Erinnern für die Zukunft 1937 – 1977 - Ulrich Börngen - E-Book

Erinnern für die Zukunft 1937 – 1977 E-Book

Ulrich Börngen

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Beschreibung

In zehn Kapiteln werden 40 Jahre überaus reiche Lebensgeschichte von 1937 – 1977 aufgearbeitet. Ambivalent bleibt die Information über die Vorfahren. Die Jugendzeit in Halle an der Saale kann bis 1955 als unbeschwert angesehen werden. Sie ist geprägt auch durch eine große, von den Eltern vermittelte Liebe zu den Bergen. Zeitlebens prägend sind unmittelbare und nachhaltige Kriegseindrücke durch Judendeportation, Luftangriffe und Artilleriebeschuß. Ausführlich wird auf schwimmsportliches Abheben eingegangen. Die große Caesur erfolgte 1955/56 durch Verweigerung des Studiums in der DDR und notgedrungene Übersiedlung in die Bundesrepublik. Marburg an der Lahn entwickelte sich als 2. Heimat. Nachfolgend erfolgte ein Medizinstudium in Würzburg und Freiburg im Breisgau. Die Assistentenzeit wurde im süddeutschen Schwabenland absolviert. Zehn Jahre wieder in Marburg führte ärztlich zum Internisten, zu Sportmedizin und Habilitation und zum Privatdozenten.

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Seitenzahl: 377

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Für mich

Für meine Wegbegleitung und meine Nachfahren

Für Interessierte

Denn es gilt die jüdische Weisheit:„Sachor [Gedenke!]: Der Zukunft ein Gedächtnis“durch Handeln im Jetzt und für die Zukunft identitätsstiftend und verbindend„Zukunft braucht Erinnerung“

Inhaltsverzeichnis

Zu wenig Information über meine Vorfahren

Mein Vater

„Nach 1945“

Vorfahren

Meine Mutter

Gästebuch

Unbeschwerte Jugend in Halle/Saale 1937-1955

Jugendstreiche

Oberschule

Zonengrenze

17. Juni 1953

Durch meine Eltern Liebe zu den Bergen

Alpenwanderungen

Berner Oberland

Mittelgebirge

Unmittelbare und nachhaltige Kriegseindrücke

Judendeportation

Luftangriffe

Artilleriebeschuß

Schwimmsportliches Abheben

Erste Erfolge

Halle „ausgeblutet“

Marburg/Südwesten

Caesur 1955/1956

Geologie und Abitur

Studiumquerelen

Marburg

Marburg als meine 2. Heimat 1955-1959

Jugendwohnheim

Geologie

Medizin

ESG

Student in Würzburg und Freiburg/Bsg. 1959-1961

„Liebe auf den 1. Blick“

Allgäu

Promotion

Staatsexamen

Assistent in Ochsenhausen und Mindelheim 1962-1967

Hochzeit 1962

„Unser 1. Kind“ 1963

Approbation 1964

Steffi 1965

Zehn Jahre wieder Universität Marburg 1967-1977

Thomas 1969

Klettern

Internist

Sportmedizin

Habilitation

Privatdozent

1. Zu wenig Information über meine Vorfahren

Darüber bin ich seit vielen Jahren traurig. Dieses Problem ließ sich bedauerlicherweise auch in den letzten Jahrzehnten im Hinblick auf meine Geschwister und Verwandten als letzte Informationsträger nicht mehr aufarbeiten. Warum wurde über meine Vorfahren und Familiengeschichte in meinem Elternhaus unmittelbar und konkret zu wenig gesprochen. Jedenfalls ist mir zu wenig in Erinnerung geblieben.

Unter dem Eindruck punktuell sich ausweitender familiärer Nachlaß-Erkenntnisse empfinde ich jedenfalls große Dankbarkeit über das, was mir im Laufe der Zeit jetzt wenigstens doch noch über meinen Vater bzw. meine Eltern überliefert wurde. Ich entdecke zunehmend Informationen, die mir außerordentlich wichtig und bedeutsam erscheinen, aber auch ambivalent und verschiedentlich unerwartet bedenklich. Ich kann mich hier auf Ausführungen in Briefen und Dokumenten von meinem Vater beziehen, die er 40-60 Jahre bis zu seinem Lebensende gehütet und aufbewahrt hat, weil sie ihm offensichtlich sehr wertvoll gewesen sind. Verschiedentlich will ich flankierend von meinem Vater auch aufgehobene Briefe und Schilderungen von Freunden und Wegbegleitern gezielt zu Wort kommen lassen. Sie sollen zusätzlich kirchlich und gesellschaftspolitisch den Zeitgeist authentisch festhalten und deutlich machen. Insofern erscheint mir alles auch über unseren familiären Bezug hinaus als wertvolles Zeitdokument mit historischer Dimension.

Beginn meiner Aufzeichnungen ab etwa 2008. Mein Vater hat praktisch nie Textteile fett hervorgehoben. Ich erlaube mir, mir besonders wichtige Aussagen und Passagen fett hervorzuheben.

Traurig und unbefriedigend - zumindest z.Zt. - erweist sich, daß auch meine Nachfahren an einer historischen Information und Aufarbeitung unserer Familiengeschichte offensichtlich nicht so interessiert sind, wie ich mir dies gewünscht hätte. Das entmutigt mich freilich nicht.

Mein Vater, Horst Eduard Richard Börngen, geboren 11. März 1900, als 1. Kind von dann sieben Geschwistern, stammt aus Dresden in Sachsen. Noch immer habe ich in den Ohren, daß er darüber lustig und glücklich gesprochen hat, der Herrgott habe es mit ihm gut gemeint, weil er schlecht rechnen könne. Er habe sein Alter einfach mit dem Jahrhundertjahr prompt zur Hand. Von 1907-1909 hat er „schöne Jugendjahre“ erlebt im Dorf Ockrilla, wohin die Familie vorübergehend verzogen ist, wie mein Vater in einem Brief an seine Schwester Lotte noch 1954 schwärmt. Von seinen Geschwistern habe ich nur seine Schwester Charlotte Stier (Museumsführerin) aus Plauen, Onkel Herbert (Kaufmann) mit Tante Frieda vom Münchner Platz und Onkel Alexander (Gastwirt vom „Zum Frieden“) mit Tante Ilse in Dresden-Löbtau persönlich erlebt. Die Gaststätte lag belegungsmäßig günstig gegenüber vom Neuen Annenfriedhof in Dresden-Löbtau an der Kesselsdorfer Ecke Wernerstraße. Auf diesem Friedhof existiert noch eine bedeutende Grabstätte der Familie Börngen.

Von meinem Vater hatte ich mir als Jugendlicher einmal selbst bruchstückhaft notiert und, dokumentengestützt eigentlich erst 2021, detailliert ergänzen können: Besuch des Wettiner Gymnasiums in Dresden von 1911-1920. Konfirmation 21. März 1915 in der Ev.-luth. Friedenskirche in Dresden Löbtau, Denkspruch Eph 4,3. Studium der Medizin an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Juni 1920 - Februar 1921. Dem Abgangszeugnis ist höchstinteressant zu entnehmen, daß mein Vater neben den üblichen vorklinischen Fächern auch Vorlesungen belegt hat über „Sozialismus und Arbeiterfrage Prof. Dr. Stephinger“ und „Allgemeine Aesthetik Prof. Dr. v. Lange“. Aus einem Belegbuch geht hervor, daß dann ein Medizinstudium an der Thüringischen Landesuniversität Jena vom November 1923 - November 1924 erfolgte. Vor der Aufnahme mußten 39.000.000.000 Mark gezahlt werden. Das Thüringische Ministerium für Volksbildung und Justiz hat meinem Vater, nachdem er „am 15.August 1925 die ärztliche Prüfung vor dem Prüfungsausschuß in Jena ... bestanden und den Bestimmungen über das Praktische Jahr mit dem 1.9.1926 entsprochen hat ... die Approbation als Arzt“, Weimar, den 17.12.1926, mitgeteilt. Die Universität Frankfurt am Main hat auch am 17.12.1926 „auf Grund der Arbeit ,Adrenalinspülungen bei Cystitis‘ nach bestandener Prüfung Titel und Würde eines Doktors der Medizin“ erteilt. Tätigkeit 1926 auch in der Inneren Universitätsklinik von Bergmann in Frankfurt/ Main. Vom Direktor der Frauenklinik am Stadtkrankenhaus Friedrichstadt Dresden, Prof. Albert, liegt vom 29.12.1928 folgendes Zeugnis vor: ... “am 1.1.1927 als Volontär auf meiner Abteilung eingetreten; seit März 1927 hat er vertretungsweise die operative, septische und für einige Wochen die geburtshilfliche Station innegehabt ... Er zeigte bei allen seinen Massnahmen die größte Vorsicht und gutes Geschick und hat durch seine guten Kenntnisse auf auch anderen Gebieten seine Kranken auf das beste und gewissenhafteste versorgt.“

1928/1929 müssen meine Eltern von Dresden nach Halle umgezogen sein. Als gesichert kann eine erste Tätigkeit als Assistenzarzt im Diakonissenkrankenhaus angesehen werden. Auf einem Bild von den Eltern ist zu erkennen, daß es auf einem häuslichen Balkon im nahen Advokatenweg zu lokalisieren ist. Einer Zeitungsanzeige, die von meinem Vater handschriftlich auf den 17.2.1934 datiert wurde, ist zu entnehmen: „Nach 8jähriger Krankenhaustätigkeit, davon 5 Jahre als Assistent von Sanitätsrat Keil am Diakonissenkrankenhaus, übernehme ich ab Montag die Spezialpraxis meines verstorbenen Chefs in der Wohnung Martinsberg 11. Sprechstunden 11-12 und von 4-5 Uhr.“ Während ich am 6.8.1937 noch im Martinsberg geboren wurde, geht aus einer notariellen Ausfertigung vom 2.4.1937 hervor, daß mein Vater offiziell ab 1. Oktober 1937 als Besitzer des Grundstücks Hindenburgstraße 32 angesehen werden muß. Das „seit dem Jahre 1888“ bestehende Haus wurde mit einer Grundstücksfläche von etwa 525 qm für 50.000,- RM gekauft und gehörte früher Herrn Louis Huth und ab 1927 Herrn Johannes Erbss.

Noch im Februar 1934 hat mein Vater einen Antrag auf Zulassung zur Kassen[arzt]praxis gestellt. Das Schiedsamt beim Oberversicherungsamt Merseburg hat am 5.4.1934 diesen Antrag wegen statistischer Überbesetzung abgelehnt. In dieser Zulassungsstreitsache hat auch das Reichsschiedsamt in Berlin am 13.9.1934 eine Revision zurückgewiesen. Schwierigkeiten dieser Art sind auch mir nicht unbekannt. Irgendwann wird eine Zulassung genehmigt worden sein. Aus einem Zeugnis von Prof. Dr. G. Frommolt, Leiter der gebh.-gyn. Abteilung des Evangelischen Diakonissenkrankenhauses Halle/S., vom 3.10.1934 geht hervor: ... “war vom 15.4.-15.9.1934 als Assistent an der von mir geleiteten geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung des Diakonissenhauses tätig. Ich habe in Herrn B. bei der Übernahme der Abteilung [kam offensichtlich von der Charité Berlin] einen vollständig ausgebildeten Gynäkologen und Geburtshelfer vorgefunden. Herr B. erwies sich mit der gynäkologischen Diagnostik und Therapie bis in alle Einzelheiten vertraut, er zeigte sich als geschickter Operateur und gewissenhafter Arzt, der das Vertrauen seiner Patientinnen im höchsten Masse besass. Seine ruhige und immer freundliche Arbeitsweise gewährleistete ein tadelloses Zusammenarbeiten mit den Kollegen und Schwestern.“ ...

Aus einer Anmelde-Bescheinigung des Oberbürgermeisters, Magistrat der Stadt Halle, vom 21.2.1934 geht hervor, daß mein Vater, wohnhaft noch im Mühlweg 50a im Verzeichnis der Gewerbe-Anmeldungen als Gewerbebetrieb, Facharzt für Frauenleiden, Martinsberg 11, eingetragen wurde.

Zur Frauenarztpraxis dann auch in der Hindenburgstraße kam noch eine zusätzliche Tätigkeit, gewissermaßen als Belegarzt, in der gynäkologischen Klinik Dr. Lippmann, nur vier Minuten vom Elternhaus entfernt, in der Kruckenbergstraße. Es dürfte wohl eine besondere Freude und Genugtuung meines Vaters gewesen sein, gynäkologisch und geburtshilflich viele Jahrzehnte operieren zu können. Nach meinem Eindruck über 10-15 Jahre muß ich davon ausgehen, daß mein Vater praktisch von drei Nächten an zwei Nächten gestört wurde und Patientinnen, in der Regel Geburten, versorgt hat. Dies hat ihm offensichtlich gesundheitlich nicht geschadet. Neben einer infektiösen Hepatitis kann ich mich nur erinnern, daß mein Vater einmal im Bad kurz bewußtlos auf dem Boden gelegen hatte, aber ohne auffällige Folgen. Immerhin konnte ich selbst vielleicht in den 70er Jahren bei einer EKG-Überprüfung eindeutig alte Infarktnarben im

Herzvorderwandbereich feststellen. Von Herzbeschwerden habe ich nie etwas in Erfahrung gebracht. Zeitlebens kann man ihn als körperlich ordentlich belastbar bezeichnen. Sicher lag ein leichter Altersdiabetes vor. Am 17. Dezember 1990 ist mein Vater nach rund 1-jähriger Bettlägerigkeit, wegen allgemeiner Schwäche und Unfähigkeit, gehen zu können, ohne besondere neurologische Symptomatik mit fast 91 Jahren im halleschen Elternhaus verstorben.

Einige medizinische Sonderdrucke meines Vaters bedürfen besonderer Erwähnung:

Inaugural-Dissertation Universität Frankfurt 1926: Adrenalinspülungen bei Cystitis

Perflatio therapeutica. Die Medizinische Welt. Nr. 29, 1933. Aus der Frauenabteilung des Diakonissenhauses Halle/Saale (Oberarzt: San.-Rat Keil)

Therapeutische Erfahrungen bei Blasenschließmuskelschwäche. Die Medizinische Welt. Nr. 41, 1937

Über Incontinentia urinae und ihre Therapie. Ärztliche Korrespondenz. Heft 15/16, 1938

Beckenneuralgie, eine nervöse gynäkologische Erkrankung. Ärztliche Korrespondenz. Heft 5, 1938

Incontinentia urinae und ihre Therapie. Hippokrates. 1940, 810 Beckenneuralgie, ein gynäkologisches Krankheitsbild bei neuzeitlicher Ganzheitsbetrachtung. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, 1944, 84

Weitere Literatur: Nächte am Nil; Eine Josephslegende, 1949; Blätter aus dem Urlaub, 1950; Quer über die Alpen 1943, 1952.

Eine Schreibmaschinen-Notiz ohne Datum: „Unsere Schüler-Bibelkreise in Dresden. Aus dem Schülerbibelkränzchen wurde bald mannbar der Bibelkreis. Unvergeßlich bleibt, daß am 25. Januar 1915 unser BK-Leiter Arthur Scherf aus Colmitz im Osterzgebirge bei Craonne gefallen ist und im Massengrab beerdigt wurde. Als ich 1912 von meinem Klassenkameraden Fritze Mörtzsch in den BK 3 Stockwerk hoch am Neumarkt gegenüber der Frauenkirche mitgenommen wurde, fand ich hier bald meine geistliche Heimat. Nach dem Umzug des CVJM in das große Haus Ammonstraße/Feldgasse, nahe dem Hauptbahnhof, wurden auch wir BKler daselbst heimisch. Unsere sonntäglichen Wanderfahrten führten uns in die Sächsische Schweiz und ins Osterzgebirge. 1914 nahm ich erstmals an einer Ferienfahrt (FF) zu Pfingsten auf Schloß Mückenberg teil. Alljährlich fanden unsere FF statt: In die Diakonenanstalt Moritzburg nach Dorfhain, Hohenstein-Ernsttal, nach Gelenau im Erzgebirge und nach Rosenthal in der Sächsischen Schweiz. Auch die Kriegszeit machte davon keine Ausnahme. Besonders attraktiv war dabei, daß wir nicht nur Dresdner beisammen waren, sondern auch Schüler aus Pirna, von Radeberg und von Leipzig. Besonders erwähnen möchte ich nur meinen BK-Intimus Max Rublack aus Leipzig, der nach dem 2. Weltkrieg die Leitung des Gymnasiums der Herrnhuter in Königsfeld im Schwarzwald übernahm. Fesselnd waren die Berichte ab und zu von Missionaren von Herrnhut und Leipzig. Namentlich möchte ich noch eine Freizeit in Benneckenstein im Harz anführen für Mitteldeutschland. Dort hatte der ,Dampfschmidt‘ aus Kassel ein Jugendheim erstellt sogar mit Duschen. Für jede Lokomotive bekam er eine Prämie zugeteilt. Leider kamen wir dort nicht unter, weil ein Lazarettzug erwartet wurde, auch wenn er dann doch nicht kam. Aber auch in den Holzbaracken haben wir uns wohlgefühlt. Unser Schriftsteller Karl Iderhoff, genannt Udo Degenfeld, gehörte mit zum Leitergremium. Mit Gesang und Klampfenklang stürmten wir zum Brocken (1142m) hinauf, während der Kessel mit Kartoffelsalat es mit der Brockenbahn bequemer hatte. Schon als Student von Würzburg aus war ich als Quartiermacher in 5 Dörfern auf der Reichs-BKler-Tagung auf der Wanderslebener Burgruine eingesetzt mit 1000 Mann Besuchern.

Meine Frau, geb. Rosel Stang aus Frankfurt am Main, dann Marktbreit am Main, wurde vom ersten BK-Leiter konfirmiert, war MBKlerin und leitete später auch einen Mädchen-Bibelkreis in Frankfurt/Main.“

Aus einem „Berechtigungsschein zum einjährig=freiwilligen Dienste. Der Gymnasiast Ernst Eduard Richard Horst Börngen, geboren am 11.3.1900 zu Dresden ... erhält nach Prüfung seiner persönlichen Verhältnisse und seiner wissenschaftlichen Befähigung hiermit die Berechtigung, als Einjährigi=Freiwilliger zu dienen ... Dresden, am 7.9.1917. Prüfungskommission ... Oberregierungsrat Major“

Das Original-Dokument habe ich im März 2021 gefunden. Was kann man heute dazu sagen? Auf jeden Fall dürfte mein Vater dem Anliegen nicht nachgekommen sein.

Bezüglich einiger interessanter und bedeutsamer und geradezu lyrisch-bemerkenswerte Ausführungen meines Vaters möchte ich auf meine Dokumentation: „Christlich-Sozial gegen braune Überflutung und für den Menschen 1929-1933“, BoD 2020, verweisen. Es handelt sich um

Unsere bürgerliche Erziehung, am ehesten Herbst 1931, Seite 65 Friedhofs-Erinnerungen, 21.11.1931, Seite 70

Sterbende Birke, nach Juli 1932, Seite 94

Meine Studentenwirtin, 9. August 1932, Seite 110 und ein Kardinalthema der Moderne „Menschentum mißachtender Kapitalismus“, Seite 243-255.

Im Buch habe ich auch ausführlich Stellung genommen zu einer Entlassungs-Bescheinigung vom 11.3.1938 aus der SA der NSDAP, Seite 286-289.

Die nachfolgende Publikation meines Vaters habe ich erst im April 2021 an gesonderter Stelle im Nachlaß gefunden. Sie hätte eigentlich an die Stelle BoD 2020 Seite 166 gehört. Wegen ihrer ganz besonderen Bedeutung und Belastung für mich soll sie hier im Original wiedergegeben werden:

Börngen, Horst: Grenzen ärztlicher Vollmacht. Christlicher Volksdienst [für Sachsen], 4. Jahrg., Nr. 27, Beilage, S. 2, Herrnhut 9.7.1933

Auf Seite 1 wird vermerkt: „Die Organisation des Christlichsozialen Volksdienstes ist gefallen. Die Reichsleitung hat den Auflösungsbeschluß der Presse zur Veröffentlichung übergeben. Mit der Auflösung sind wir Volksdienstfreunde aber nicht unseres Dienstes am Volk entbunden“.

- Es scheint so, als ob dies die letzte Nummer des Christlichen Volksdienstes, Region Herrnhut, gewesen ist.

„Grenzen ärztlicher Vollmacht. Eugenische Betrachtungen von Dr. med. Börngen, Halle, S. (Siehe auch Drucksatz von Pfarrer Hünlich, Waldheim, über , Grundprobleme der Eugenik‘ in Nr. 18 und 19 unseres Blattes.)

Das urgewaltige völkische Erwachen hat für eugenische Fragestellungen in der deutschen Volksgemeinschaft wie Ärzteschaft lebhaftere Anteilnahme ausgelöst. Neben die gesundheitliche Betreuung einzelner Glieder tritt zwingend die Verantwortung dem ganzen Volk in dessen Geschlechterfolge und raschen Erbständen gegenüber. Negative Auslese, die etwa in der blinden, gedankenlosen Unterstützung des

Fortpflanzungswillens schwachsinniger Eltern durch die öffentliche Fürsorge der Allgemeinheit sich zeigt, ist nicht der Sinn sozialer Bemühungen. Angesichts der Tatsache, daß wir Deutsche ein zahlenmäßig absterbendes Volk geworden sind, kommt allen ärztlichen Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt, diesen Niedergang aufzuhalten, schicksalhafte Bedeutung zu. Unserem Volk fehlen heute acht Millionen Kinder, die zunächst lediglich als Verbraucher auf dem Wirtschaftsmarkt in Erscheinung treten würden. Denken wir daran, daß uns ein östlicher Nachbar angrenzt, dessen Frauen doppelt so vielen Kindern das Leben schenken als deutsche Frauen! Durch den freiwilligen Verzicht auf Nachkommenschaft, vor allem auch in der Führerschicht, streichen sich die Völker selbst aus der Weltgeschichte aus. Gewiß hemmt die ernste Wirtschaftskrisis die Ehegründungen und den Kindersegen in unserem Volk. Der Geburtenrückgang ist aber in seinen Anfängen nicht wirtschaftlich, sondern weltanschaulich begründet. Wir Christenleute bekennen dazu, es ist Glaubenssache.

Von den beiden Möglichkeiten eugenischen Einwirkens kann allein der forderlichen positiven Seite durchgreifender Wert zuerkannt werden; alle lediglich hindernden negativen Maßnahmen treten dahinter zurück.

Nicht so sehr die Fortpflanzungsfähigkeit als vielmehr der Fortpflanzungswille bedarf einer Aufmunterung und Stärkung. Zur positiven Eugenik gehört, was die Gesundheit, den Lebenswillen und Fortpflanzungsfreudigkeit zu heben imstande ist. Es muß ein Anliegen des Staates sein, reifen Menschen möglichst frühzeitig nach der wirtschaftlichen

Verselbständigung die Wege zur Ehegemeinschaft bahnen zu helfen. In diese Richtung weist schon das jüngst erlassene Gesetz über Ehestandsdarlehen. Wenn Jungakademiker heute früher als vor dem Kriege sich zur ehelichen Bindung entschließen, sollte von Seiten der Behörden, auch der kirchlichen, solchem Wollen zur Einfachheit und Beschränkung Anerkennung will[wider]fahren, statt sich darauf zu versteifen, ledige Bewerber zu berücksichtigen. Die neue Führung im Reich hat erklärt, daß sie für die Bestrebungen der Kinderreichen volles Verständnis aufbringe. Mit allen staatlichen Mitteln muß der Behauptung entgegengetreten werden, daß nur noch die Dummen sich noch Kinder anschaffen und viele Kinder haben. Es darf sich im neuen Reich nicht mehr lohnen, keine Kinder zu haben! Sobald es der Krankenversicherung nur irgend tragbar sein wird, sollte dafür Sorge getragen werden, daß bei Entbindungen in weitgehendem Umfang bei schlechten häuslichen Verhältnissen Aufnahme dazu in ein Krankenhaus mit seinen viel besseren hygienischen und pflegerischen Möglichkeiten gestattet wird. Jungverheiratete treten einer Krankenkasse bei, um sich für Krankenhausfälle zu sichern. Wenn dann in der Ehe die Entbindung die ersten Krankenhauskosten verursacht, treten gegenwärtig bei normalen Entbindungen die Kassen nicht dafür ein. Ein zehntägiger Aufenthalt würde die junge Mutter wie alle Beteiligten sonst bei den wohl lange Zeit hinaus noch bedrängten und beschränkten räumlichen Verhältnissen in unsrer Notzeit vieler Mühen und Erwägungen entheben, durch die der eugenisch wertvolle Wille zur Familiengründung gesunder Menschen beschnitten wird. Der unheimlichen Abtreibungsseuche, dem Kein- und Einkindersystem muß gewehrt werden. Viel schmerzliches sieches Frauentum ist allein dadurch vorhanden. Durch das deutsche Volk ist mit der nationalsozialistischen Revolution nach Gottes gnädigen Willen ein starkes Erwachen gegangen. Zur dauernden völkischen Erhebung gehört, daß solche vom Erwachen noch unberührt gebliebenen Dämmerzustände überwunden werden. Nichts vermag das sittliche Verantwortungsgefühl für das Volksganze tiefer zu begründen als ein Gottes Geboten aufgeschlossenes Gewissen, wie es durch unsere evangelische Jugendarbeit schon jahrzehntelang in treulicher

Vorarbeit geweckt und gefestigt wurde. Es ist eine sehr erfreuliche Feststellung, daß gerade in unserer bewußt christlicher Akademikerschaft eine Abkehr von den volkzerstörenden Manieren, die von oben herab in unser Volk gedrungen sind, spürbar geworden ist.

Negative eugenische Maßnahmen sind leider nicht völlig zu umgehen. Die Sterilisierung (Unfruchtbarmachung) erbuntüchtiger Menschen wie die Kastration sexuell perverser Naturen haben in der Öffentlichkeit viel von sich reden gemacht. Damit wird eine Frage ärztlicher Vollmacht angeschnitten. Schon der Psalmist bekennt, daß der Mensch wenig niedriger denn Gott in seiner Schöpfungsvollmacht gemacht sei (Ps. 8,6). [5. Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, und des Menschen Kind ... 6. Du hast ihn wenig niedriger gemacht denn Gott, und mit Ehre und Schmuck hast du ihn gekrönt.‘ - mit Albert Schweitzer würde man heute von besonderer Verantwortung für das Leben im Sinne von ,Ehrfurcht vor dem Leben‘ sprechen]. Eine Bestätigung für die weitreichenden Vollmachten gibt dem an Christus gebundenen Gewissen das Herrenwort: Was ihr auf Erden bindet, soll auch im Himmel gebunden sein. Gewiß bezieht sich diese Vollmacht auf seelsorgerlichen Dienst. Jenes Begebnis in der Nacht vor dem Karfreitag, wo der Meister seinem Jünger den Weg zum finsteren Verrat weist, beleuchtet scharf, daß auch vom Geist bevollmächtigtes Handeln kaum eine Grenze kennt, daß jedenfalls auch negative Entscheidungen möglich und als radikale Eingriffe nicht von vorneherein auszuschalten sind.

Der Richter, der ein Menschenleben dem Tod überantwortet, steht vor einer ähnlichen Entscheidung. Der revolutionäre Politiker muß im gleichen Sinne wirksam sein. Der englische Staatsmann Oliver Cromwell zögerte darum als Bibelchrist durchaus nicht, 1649 das Todesurteil über den König Karl Stuart zu unterschreiben. Im Zusammenhang solcher letzter Verantwortungen muß auch die operative Sterilisierung von erbuntüchtigen volksbelastenden Menschen betrachtet werden. Bislang war es nur unter Umgehung des § 223 des Strafgesetzbuches möglich, nun soll durch entsprechende Gesetzesänderung die richterliche Freigabe gewährleistet werden.

Bei der durch Operation herbeigeführten Entmannung von notorischen Sexualverbrechern steht heute schon der Heilwert eines solchen Eingriffs fest. Durch die Entfernung der Geschlechtsdrüsen erlischt jedes sexuelle Empfinden, auch das abnorme, wofür in der Fachliteratur an Einzelfällen Beweise vorliegen. Aus diesen Berichten geht fast eindeutig hervor, daß tatsächlich die Kastration als Heilmethode zu gelten hat für Patienten, die auf Grund ihres überstarken Trieblebens sich selbst und der Gesellschaft zur Qual werden, sich auch krank fühlen und ohne den Operateur sich nicht mehr zu helfen wissen. Durch die Keimdrüsen können Geisteskrankheiten ausgelöst werden. Beim weiblichen Geschlecht liegen verwickeltere Verhältnisse vor.

Bei der Sterilisierung aus eugenischen Gründen liegt keine rein medizinische Begründung insofern vor, als dem Eingriff der Charakter der Heilbehandlung abgeht. Sachkenner gestehen ein, daß die wirtschaftlichen Sparvorteile für die Allgemeinheit nicht besonders in das Gewicht fallen werden. Der Schutz des keimenden Lebens muß gewahrt bleiben. Allenfalls müssen solche Kinder mit erbuntüchtigen Aussichten nach der Geschlechtsreife unfruchtbar gemacht werden. Schon in diesem Zusammenhang fällt auf die Festsetzung der unteren Altersgrenze für die Vornahme des Eingriffs ein besonderes Gewicht. Keineswegs darf es dahin kommen, eine erbtüchtige Frau deswegen zu sterilisieren, weil ihr Mann etwa Trinker ist und verantwortungslos Kind nach Kind erzeugt. Auch die Frage der freiwilligen Sterilisation auf eigenen Antrag spielt eine Rolle. Eingesperrten Menschen mit verminderten geistigen und willensmäßigen Energien diese Frage vorzulegen hat keinen Sinn. Die Verantwortung muß dem entscheidenden Arztkollegium und dem Vormund zufallen und von ihnen getragen werden. Ein etwaiger Heilwert der Sterilisierung, wo also nur die Geschlechtswege unter Schonung der Drüsen selbst unterbunden werden, ist heute noch durchaus fraglich.“

- Einige von mir fett hervorgehobene Passagen ambivalenter und nicht immer leicht verständlicher Aussagen insbesondere auch fachärztlich-theologischer Art muß ich versuchen, schweren Herzens aus unserer Sicht heute zu interpretieren. Auf jeden Fall wird auf „Grenzen“ ärztlichen Handelns in jeder Richtung hingewiesen. Mehr als fremd erscheint mir „das urgewaltige völkische Erwachen“ und eine problematische falsch-lehrhafte „nationalsozialistische(n) Revolution nach Gottes gnädigem Willen“! „Unterstützung von Fortpflanzung schwachsinniger Eltern“ dürfte auch heute sozial-diakonisch problematisch sein. „Eugenisches Einwirken“ ist „allein der förderlichen positiven Seite“ vorbehalten, auch wenn unklar bleibt, was dies bedeutet. Ich habe das Gefühl, daß mein Vater vor allen Dingen allein die „positive (lebenserhaltende) Seite der Eugenik“ unterstützt und insbesondere „der unheimlichen Abtreibungsseuche“ gegenüberstellt. „Sittliche(s) Verantwortungsgefühl für das Volksganze“ kann entscheidend ausschließlich nur durch ein an „Gottes Geboten aufgeschlossenes Gewissen“ entwickelt und gehandhabt werden! Eine Unfruchtbarmachung von „Kindern mit erbuntüchtigen Aussichten nach der Geschlechtsreife“ muß ausschließlich der Verantwortung des „entscheidenden Arztkollegium[s] und dem Vormund“ zufallen. 2021 habe ich aus neuerer hallescher Quelle den allgemeinen Hinweis erfahren, daß mein Vater bis 1933 in Halle an Sterilisationen beteiligt gewesen sei. In dem Zeitraum 1928/1929 bis 1934 ist belegt, daß mein Vater als Assistent am Diakonissenkrankenhaus geburtshilflich-gynäkologisch tätig gewesen ist. Aus beruflichen Gründen ist davon auszugehen, daß er als Gynäkologe während seiner gesamten Praxistätigkeit lebenslang überhaupt ständig mit der Problematik einer Sterilisation konfrontiert wurde. Dabei bin ich mir sicher, daß mein Vater Zeit seines Lebens den zum 9.7.1933 formulierten Grundsätzen treu geblieben ist, „Grenzen ärztlicher Vollmacht ... [als ein] sittliche[s] Verantwortungsgefühl ... [durch ein nur in] Gottes Geboten aufgeschlossenes Gewissen“. „Verantwortung [in Sachen Sterilisation] muß dem entscheidenden Arztkollegium und dem Vormund zufallen“.

Lebenslauf meines Vaters um 1934/1935 (nach mehreren maschinengeschriebenen Vorlagen ohne Datum):

Meine Vorfahren väterlicherseits stammen aus Hannover, wo mein Urgroßvater Stabstrompeter und später Kammermusikus gewesen ist. Der Großvater, Goldschmied von Beruf, siedelte nach Dresden über. Als Kaufmannssohn und Ältester von acht Geschwistern wurde ich am 11.März 1900 in Dresden geboren. Nach fünf Jahren Volkschule besuchte ich das Wettiner Gymnasium in Dresden und bestand 1919 die Reifeprüfung. In Tübingen ab 1920 und dann in Würzburg und Jena studierte ich Medizin. Nach meinem ersten Semester gehörte ich in einer studentischen Freiwilligen-Formation sechs Wochen dem 1. Bayrischen Schützenregiment Nr. 41 in Passau an (1920). Nach dem Staatsexamen 1925 arbeitete ich in der Psychiatrischen Universitätsklinik in Jena, in der chirurgischen Klinik am Stadtkrankenhaus Dresden-Friedrichstadt und in der Inneren Universitätsklinik (Prof. von Bergmann) in Frankfurt am Main. An letzterer erlangte ich 1926 auch meine Doktorpromotion.

Nach zweijähriger Volontärassistentenzeit an der Frauenklinik (Prof. Albert) des Stadtkrankenhauses Friedrichstadt in Dresden wurde ich Januar 1929 Assistent an der Frauenabteilung des Diakonissenhauses Halle/Saale. Während der folgenden sechs Jahre war ich zugleich auf der unter der Leitung von Prof. Lehnerdt stehenden Säuglingsabteilung Assistent und erwarb mir dabei eine gute kinderärztliche Ausbildung, sodaß ich während des Urlaubs meines Chefs schon jahrelang die Station von 50 Betten selbständig leiten konnte. Auch auf der Frauenabteilung übernahm ich die Urlaubsvertretungen meines Chefs. Nach dem Tode von Sanitätsrat Keil ... leitete ich drei Monate lang dessen Abteilung für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe mit 45 Betten, bis das Diakonissenhaus am 19. April den bisherigen 1. Oberarzt der Berliner Universitätsfrauenklinik ... zum neuen Leiter berief. Ein halbes Jahr arbeitete ich dann noch mit meinem neuen Chef, Prof. Frommolt, zusammen.

Mitte Februar [1934] übernahm ich die fast 50 Jahre alte Praxis meines verstorbenen Chefs (Sanitätsrat Dr. Keil) und habe ... an der Privatklinik (Dr. Lippmann), Krukenbergstraße 27 die Möglichkeit gehabt, klinisch-operativ tätig sein zu können. Die Zulassung zu den Kassen ist jetzt erfolgt [1935?]. Meine Assistentenzeit schloß ich am 1. Oktober ab. Vertretungsweise bin ich noch am Diakonissenhaus tätig.

Für die Einrichtung einer speziell ärztlichen Abteilung für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe habe ich bei dem Umbau der Frauenabteilung am Stadtkrankenhaus Dresden-Friedrichstadt und bei der Neueinrichtung unserer hiesigen Frauenabteilung durch Prof. Frommolt reichliche und wertvolle Erfahrungen gesammelt. 1927 heiratete ich als Volontärassistent. Meine

Schwiegereltern sind Erbhofbauern in Franken. Meine Frau war, nach entsprechendem Studium, Lehrerin. Wir haben drei Kinder, die 1928, 1930 und 1932 geboren wurden. Den Nachweis arischer Abstammung musste ich von Berufs wegen erbringen. Ich gehöre mit meiner Familie der evangelischen Kirche an.“

Aus zwei Briefen von Hermann Kolb, bayerischer BK [Bekennende Kirche]-Landeswart, später Dekan in Kulmbach: „Zwiesel, 22.8.1934: Ihr lieben Rosel und Horst! ... durch das Beisammensein mit unserem Heinrich Kunstmann [Seite 71] und Dora Berger in Bad Boll sind wir viel an Euch erinnert worden ... Das Nein gegen die ,Nationalsynode‘ wird hoffentlich auch morgen eindeutig und einmütig auf unserer Landessynode gesprochen ... Da und dort strebt man im Norden anscheinend stark zur Freikirche. In der Führung der Bekenntnisfront ist man noch sehr zuversichtlich ...

Die Erbitterung über den Menschen mit seinen raffinierten Scheußlichkeiten“ ... und "Bad Kissingen, 16.12.1936: ... Die 'Eröffnung des Winterkampfes' durch Streicher und die Durchführung desselben durch Holz mit seinem unglaublichen Schmähfeldzug in Mittelfranken hat eine ungeheure Empörung ausgelöst. Der Erfolg der Kirchenaustrittspropaganda ist vorläufig noch gering. Die deutsche Glaubensbewegung kommt langsam hoch. Unsere Gemeindeglieder schlafen natürlich noch vielfach und wiegen sich in Optimismus ... Ich selbst war zu einer Evangelisation Anfang November in Gera, einer Hochburg der Thüringer DC“ ...

- wir sind also mitten im Kirchenkampf der Bekennenden Kirche! Unmittelbar daneben lag ein Schreiben von Karl Immer, „Wuppertal-Barmen, 19.10.1935: An die Mitglieder und Freunde des Coetus reformierter Prediger! ... Bei den Nebelschwaden, die heute die Sicht der Bekennenden Kirche erschweren, ist es nötig, daß wir einander die Hände fassen“. Es wird ein Gutachten beigelegt „über den Aufruf der Kirchenausschüsse ... Ich bin der guten Zuversicht, dass reformierte Prediger alsbald den Kurs des Reichskirchenministers - eines neuen Gleichschaltungsversuchs - erkannt haben. Der Aufruf der „staatlichen Kirchenmänner‘ hat uns wohl allen die letzte Illusion genommen.“

Halle, 20. Dezember 1941, An Tante Emma

... „Als unserer Reisetante muss ich Dir (als Dein ältester Neffe) zu Weihnachten noch etwas von unserer wunderbaren Italienreise erzählen. Sie kommt uns wie ein Traum vor, erlebten wir doch gerade noch die letzten Wochen ohne Marken und Punkte in Italien. Von unseren anstrengenden Tagen im Ortlergebiet schrieb ich Dir schon zum Geburtstag. Schön war es auch am Gardasee. Du kennst ihn gewiss noch von Deinen Studien aus den Reiseführern. Riva liegt an der Nordspitze. Am felsigen Ufer sind wie am Vierwaldstättersee, nur noch viel großartiger, Felsenstrassen angelegt aber gleich zwei übereinander. Das Kraftwerk am Ausgang des Ortes haben die Italiener famos getarnt durch häuserhohe Vorhänge, die kleine Wohnhäuser und Grünanlagen darstellen. Wir sind über den ganzen See von Norden nach Süden gefahren. Zur Linken zieht sich ein mächtiger Höhenzug, der Monte Baldo, hin. Die Ortschaften machen einen altertümlichen Eindruck mit ihren Hafenanlagen, mit ihren kleinen Kastellen, mit den Zypressen nahe den Friedhöfen und den roten Segelboten auf dem Wasser. An den Hängen ziehen sich umfangreiche Olivenhaine hin. Merkwürdig sehen die Zitronenpflanzungen aus; da die Zitronenbäume im Winter überdacht werden, sieht man entsprechende Einrichtungen dazu. Ein feudaler Kurort ist Gardone mit wundervollen Villen, wie wir sie sonst noch nicht gesehen haben. Palmen und südliche Blumenpracht, smaragdgrüne Grotten mit Wasseranlagen, marmorne Terrassen und Treppenaufgänge. Eidechsen huschen über den Weg weg, wie wir es in der Südschweiz gesehen haben. Am Strandbad wurde Iris von den kleinen Italienern und Italienerinnen bewundert. Einen unvergeßlichen Abend erlebten wir von der Höhe der Kirche mit dem Blick auf den See und die malerische Insel im Vordergrund. In allen Farben und Tönungen zeigte sich der See und der Himmel. Erst als die Fledermäuse schwirrten, verließen wir den Aussichtspunkt. Weißt Du noch, wie wir im Berner Oberland Alpenglühen für kurze Momente bewundern konnten? Im Norden liegt der Gardasee noch im Gebirge, während das Südufer bereits flach sich in die oberitalienische Ebene hinein erstreckt. Von dort fuhren wir nach Verona und Venedig. Wenn ich Dich besuchen komme, will ich Dir auch Ansichten von unserer Reise vorführen. Wie gesagt, zehren wir noch immer und sicherlich noch lange von dieser Auslandsreise.

Wenn der Krieg erst vorüber ist und wir ihn gut überstanden haben, wollen wir uns noch mehr von Gottes schöner Welt anschauen. Als Reisen noch nicht so volkstümlich war, wie es jetzt geworden ist, hast Du bereits die Schönheit und den Wert solcher Reisen entdeckt und uns Lust dazu gemacht, indem Du uns mitgenommen hast. Denk an unsere Spreewaldfahrt, unsere Riesengebirgsreise, unsere Fahrten nach Tirol und in die Schweiz! Schöne Erinnerungen! Unsere Kinder haben ihrerseits nun schon mancherlei gesehen. Selbst Ulrich mit seinen vier Jahren hat allerlei Bergtouren am Achensee mitgemacht, wo sonst kaum Sommerfrischler hingekommen sind. Es ist erstaunlich, was er dabei geleistet hat. Dass die Familie dabei zehn Edelweiß pflücken konnte, schrieb ich Dir schon“ ...

Juli 1942, Brief von Missionar Werner Hauffe an meine Eltern, aus Ebersdorf, Schleizer Seenplatte (auf Heimaturlaub). Er ist bedeutsam für mich, u.a., da ich ab Mai 1944 bis 24.12.1944 aus Halle privat zur Familie Hauffe nach Ebersdorf verschickt wurde. Dies erfolgte letztlich im Rahmen einer von der Schule bzw. der Stadt wegen drohender Luftangriffe geforderten Evakuierung von Kindern.

...“Erstensmal ist mein Grundsatz, das zu tun, was befohlen wird. Ob die Anordnung richtig ist, würde sich ja dann herausstellen. 2. hätte ein Einspruch gegen die Versetzung nach Russland [aus gesundheitlichen Gründen] etwas eigenartig ausgesehen. Zu schnell hätte es dann heissen können: Der Missionar will sich vor Rußland drücken. - So fuhr ich lieber mit meinen Kameraden zusammen nach Russland. 4 Wochen dauerte die Reise bis zur Front ... Wenn diese lange Fahrt auch keine Freude war, so war sie doch sehr interessant. Gerade in den grösseren Städten hatten wir, auf Anschluß wartend, oft tagelange Aufenthalte. So konnten wir uns die russischen Städte, um die im Sommer erbitterte Kämpfe stattgefunden hatten, in Ruhe ansehen. Der Schnee hatte über das Grauen eine weiße Decke gelegt, sodaß das Unheimliche der eingestürzten Häuser, der meistens nur noch stehenden Häuserfassaden mit ihren leeren Fensterbögen und Türöffnungen gemildert wurde. Ganze Stadtviertel waren nur noch Trümmer. Tote Städte, in denen einstmals Leben pulsierte! - Ich war erstaunt, zu sehen, wie doch die Städte einstmals schön gewesen sein müssen. Breite Strassen, hohe, schöne Bürgerhäuser, wie selbst die stehengebliebenen Fassaden noch zeigen, erzählten uns von der einstigen Schönheit der Städte. Freilich stammt diese Schönheit noch aus der Zarenzeit Russlands, wo es ein Bürgertum gab, das all diese jetzt zertrümmerte Schönheit und diesen vergangenen Reichtum schuf. Alya Rachmanowa's plastische Romantiken leben vor mir auf und liessen mich für Augenblicke diese toten, zerschossenen Städte voller Leben und Treiben, Lieben und Leiden erschauen ... Die kleineren Ortschaften und Dörfer, die manchmal noch ganz unversehrt waren, machten einen unschönen und verwahrlosten Eindruck. Von Ferne sahen sie ganz niedlich aus mit ihren schneebedeckten Dächern und Türmchen. Sah man dann aber näher zu, dann fand man traurige, schmutzige Lehmhütten. Die Bevölkerung, arm und abgerissen, seit vielen Jahren gab es keine Textilwaren mehr zu kaufen, blickte uns meistens stumpf und unbeteiligt an. Selten fand man Aufgeschlossenheit und Entgegenkommen. Dass Stalins Macht zertrümmert wurde, begrüssten sie. Ihr Urteil lautete oft: „Lenin war gut. Stalin ist schlecht.“ Unter Lenin gab es noch etwas Eigentum. Sie konnten auch kaufen und verkaufen. Seit Stalins Herrschaft aber konnten sie nur noch das Allernotwendigste in den Kollektivgeschäften kaufen. Manchen Abend sass ich, als ich vorn bei meiner Truppe war mit meinen russischen Hausleuten, mit denen ich in einem Zimmer wohnte und schlief, zusammen und wir unterhielten uns mit Hilfe eines russischen Dolmetschers, der fliessend Deutsch konnte, Lehrer in Moskau war und von unserer Truppe in einem Gefecht gefangengenommen wurde. Wir waren zusammen bei der Russenfamilie einquartiert. Auch der ungefähr 10jährige Sohn meiner Quartiergeber, ein heller hilfsbereiter Bub, konnte schon einige Brocken Deutsch, da sie in der Schule Deutschunterricht hatten. - Ich musste immer wieder staunen, wie einfach und unsauber sie zu leben gewohnt waren. Läuse und Wanzen waren für sie nicht ungewohntes, während mich diese lieben Tierchen reichlich quälten.

So, wie auch in den anderen Russenhäusern, stand in unserem Zimmer in einer Ecke ein Heiligenbild. Als die Russen meine Bibel liegen sahen, brachte die alte Mutter meiner Quartiergeber eine ganz vergilbte russische Bibel und fragte, ob es auch so ein Buch wie meines sei. Doch lasen die nicht in der Bibel ... Erstaunt waren die Russen, als sie beobachteten, dass man jeden Tag in der Bibel lesen könne. Doch ist dies Erstaunen nichts ungewöhnliches. Das ist ja hier in der Heimat sehr oft auch zu finden. Ebenso wunderten sich oft die deutschen Kameraden darüber, wenn sie es auch nicht sagten.

Das kameradschaftliche Zusammenleben vorn an der Front und dann auch in den Lazaretten war fein, während es in der Heimat doch viel zu wünschen übrig liess. Die gleiche Not, die gleichen Beschwerlichkeiten, das gleiche Denken an die Heimat und die Lieben, das gleiche Kämpfen liess uns vorn zusammenstehen und verband uns. Freilich jubelnde Missionsberichte lassen sich nicht schreiben. Das wäre verfehlt. Wir müssen da ganz nüchtern sein. Ich glaube nicht, dass der Krieg und die Not da wirklich eine tiefgehende Änderung bringt ... Aus Kameradschaft hören sie Dich an, so wie sie aus Kameradschaft auch den anderen reden lassen, der vielleicht das Gegenteil sagt. Du kannst jetzt mit einem reden, ihm von Dir, Deinem Erleben, von Gott, von Jesus sagen und dann geht er hin und tut im nächsten Augenblick etwas Dir Unverständliches. -

Ich glaube nicht, dass wir für das Wirken in die Breite gerufen sind. Wir stehen oft einsam, ganz einsam auf Posten, um uns Wüste und Ode. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir auf Posten stehen und jederzeit bereit, wach und offen sein müssen, für einen Ruf und Befehl. Ganz einzelnen werden wir dienen können ... Stelle Jesus in die Mitte einer Kaserne. Einige werden sich stolz und überheblich abwenden. Zu was Jesus? Wir sind ,gottgläubig‘. Einige werden spotten und höhnen. Die breite Masse wird gleichgültig schlafen, dösen oder ans Essen denken. Ein Teil wird aus Höflichkeit und Kameradschaft zuschauen. Einzelne nur werden begierig und dankbar hören und ihn aufnehmen. - Stelle dagegen eine Frau in die Mitte einer Kaserne. Von den niedrigsten Mannschaften bis zu den Offizieren wirst Du nur wenige finden, die nicht gierigen Blickes die Frau anstarren. - Ja, Frauen, das ist das Hauptthema des Soldaten. Von ihnen handeln die meisten seiner Lieder. Um sie kreist sein Denken, Sinnen und Wünschen. Es widert einen an, wenn man 2o Jahre junge Burschen oder auch Familienväter von 4o Jahren sich über dieses ihr Lieblingsthema unterhalten hört. Dann ist es oft schwer, in diesem Kreis auszuhalten, Kamerad zu bleiben. Dann erscheint einem das ganze Soldatentum so innerlich faul und hohl. Schier könnte man meinen, dass die Freiheit und das Recht des Soldaten dieses Ausleben und Austoben sei. Und doch ist es nicht an dem. Im Glutofen des Kampfes fallen dann diese Schlacken ab und sie stehen ihren Mann und sind tapfere Soldaten, deren Freiheit und Recht es ist, ihre Pflicht zu tun. So wie Freiherr von Stein sagt: ,Unser Recht ist, unsere Pflicht zu tun!‘ - Ich glaube, ganz besonders für uns, die wir xten sein wollen, gilt dieses Wort. Unser Kindesrecht ist es, da unsere Pflicht zu tun und zu dienen, wo uns unser himmlischer Vater hinstellt. Gott hat uns in unser Volk gestellt und da wollen wir nun dienen, ganz gleich wo wir auch stehen, ob in der Heimat oder an der Front.“ ...

29.5.1943, Brief von Alwin Rau, einer offensichtlich wichtigen Person für meinen Vater, von einer „Kompanie in Frankreich“.

... „Was Sie in Ihrem lieben Ostergruß über den Wert der christlichen Feste schreiben, ist mir aus der Seele geschrieben. Hier stimme ich mit Ihnen wieder völlig überein. Aber ist es nicht merkwürdig, je höher das christliche Fest in seiner Bedeutung steigt, um so weniger wird es verstanden ... Ach, leider wissen mit dem Pfingstfest auch sehr viele nichts anzufangen, die sonntäglich Gottes Wort hören, ja auch Gottes Wort von Herzen lieb haben. Ist das nicht traurig? ... Für Sie, lieber Bruder Dr. Börngen, war ja der Konfirmationstag [meiner Schwester Iris, 1943] insofern noch ein ganz besonderer Freudentag, als Sie Ihren Herrn Bruder wiedersehen durften, welcher zur 6. Armee gehörte und in Stalingrad mit dabei war. Das war freilich Grund genug zum Danken, da Gott Ihren Herrn Bruder so wunderbar bewahrt hat. Er ist ja wie ein Wunder aus dem Feuer gerettet worden.

Nun wütet der Krieg schon bald vier Jahre und das Ende desselben ist noch nicht abzusehen. Ob es zu großen Offensivhandlungen in diesem Jahre kommen wird, möchte ich bezweifeln. Ich wundere mich immer über den Optimismus der Leute, die da meinen, wir würden den Russen in diesem Jahre besiegen. Ich glaube nicht, daß wir nach den Aderlässen dieses Jahres, bei Stalingrad und in Tunis, die doch auch materialmäßig eine schwere Einbuße brachten, zu Großangriffen in der Lage sind. Es kommt vielmehr darauf an, uns unter Schonung von Kräften überall so stark zu machen, daß wir den Angriffen der Russen und eventuellen Landungsversuchen der Engländer und Amerikaner ... standhalten können. Meine Erwartungen, die ich auf das Wirken der U-Bootwaffe gesetzt hatte, sind leider nicht in Erfüllung gegangen ... Was wird noch alles kommen? Wie wird das Ende sein? Das sind die Fragen, die heute einen jeden Deutschen beschäftigen. Aber keiner ist da, der diese Fragen beantworten könnte. Wir Christen aber wissen: Gott sitzt im Regiment und ER spricht das letzte Wort. Wir dürfen unsere Blicke zum Herrn erheben und uns dessen freuen, daß wir als Christen eine herrliche Zukunft haben. Was wird es sein, wenn wir einmal frei sind von den Nöten dieses irdischen Lebens. Gottlob, ich empfange, dank der treuen Fürbitte meiner Lieben daheim, viel Kraft und Gnade, damit ich mich auch im Soldatenrock mutig zeigen und meinen Mann stellen kann“ ...

Aber auch Ostern 1943, aus Döberitz/Elsgrund, Berlin:

„Die Wehrmachtspfarrer, die ich in Frankreich hörte, kamen alle aus dem Osten und wußten ergreifend zu berichten vom seligen Sterben der Kameraden.“ [!]

Und er nimmt Bezug auf ein Schreiben meines Vaters, daß im November 1942 eine „neue Hilfe im Haushalt“ in Halle aufgenommen wurde, „eine Ukrainerin, mit Namen Katja“.

- Ich kann mich noch gut an sie erinnern, sie hat viel und kräftig gesungen, wurde auf jeden Fall wie eine deutsche Hilfe behandelt. Sie dürfte vielleicht 8-10 Monate bei uns gewesen sein. Und, Alwin Rau bedauert, daß im Elternhaus „schöne Hausabende verboten“ worden seien!

Handschriftlicher Brief, Halle, 7.7.1944, von Professor Julius Schniewind:

„Sehr verehrter, lieber Herr Doktor! Danke für die Sendung Ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Wie schön ist es, daß Sie neben der Praxis noch zum wissenschaftlichen Produzieren kommen, und diese Arbeit weist ja auf manches Finden zurück. Besonders danke ich Ihnen für den Gruß von Joh. Müller. Ich verehre ihn sehr, freue mich von Ihnen zu hören, daß er eine angemessene Kriegsarbeit hat. An allem, was er früher durchlebte, gab er nur einmal Anteil. ... Die Gersfelder Konferenz ist mir eine einzigartige Erinnerung, ich habe weder vorher noch nachher einen ansprechenderen Auftrag gehabt. Mit herzlichem und sehr ergebenem Gruß Ihr Julius Schniewind“

- Julius Schniewind (1883-1948), war deutscher evangelischer Theologe der Bekennenden Kirche, setzte sich ab 1933 für die BK in Ostpreußen ein und machte die Theologische Fakultät in Königsberg zu einem Zentrum für die BK-Theologen-Ausbildung. Wurde 1935 an die Theologische Fakultät Halle berufen, wurde von den Nazis verfolgt und war ab 1946 evangelischer Probst in Halle-Merseburg. Grabstätte auf dem Laurentiusfriedhof in Halle.

Aus einer Feldpost am 13./14. Februar 1945 als Konfirmationsbrief an meinen Bruder Freimut in Halle vom Hauptlazarett Meißen:

... “Unsere ernste Kriegszeit wird auch Dir die ganze Verantwortlichkeit zum Bewußtsein bringen. Wie schnell wirst auch Du zum öffentlichen Einsatz herangezogen werden können und vielleicht gar zum Dienst im bunten Soldatenrock! Damit gewinnt man rasch die volle Lebensreife auch als noch junger Mensch, dem möglichweise kein langes Leben mehr zur Verfügung steht.“... [!?]

... "Gestern war Fastnacht. Wir haben von Meißen aus gesehen, wie Dresden durch Bombenteppiche mit vielen Christbäumen zwei Mal angegriffen worden ist. Die Ministerien, der Theaterplatz mit dem Schloß und Zwinger, der Hauptbahnhof und die Gegend um den Albertplatz und nach Blasewitz zu wurden besonders getroffen. Heute Abend nach zwei weiteren Angriffen ist der Himmel noch brennend rot. Es tut mir leid um meine Vaterstadt. Gegen Abend haben wir einen Motorschlepper mit Ausgebombten auf der Elbe entladen. Wie die Kohlentrimmer sahen die Menschen aus ... Am Sonntag habe ich einmal mit Onkel Herbert gesprochen, um ihn auf die heikle Lage von der Ostfront her aufmerksam zu machen.“ „Nach Fastnacht beginnt heute mit dem Aschermittwoch die Passionszeit. Ich schrieb es bereits, daß auch für unser ganzes Volk Passionszeit angebrochen ist. Auch damit verfolgt Gott seine Ziele mit uns. Einen herzlichen Gruss an Mutti und Iris, an Michael und Ulrich von mir ... Gott behüte Dich und segne Dich! Dein Vati“

Sanitätsabteilung Dresden Az.: 49e/Bef./45 (C) , Dresden den 16.3.1945

Z.Zt. Res. Laz. I Dresden, Marienallee 13, Dr. Poe/W/Pi.

Betr.: Beförderung des San. Uffz. (d.R.) Dr. Horst Börngen, geb. 11.3.1900, WBK Halle/Saale Mit Wirkung vom 1.3.45 wird zum San. Feldwebel (d.R.) befördert: San. Uffz. (d.R.) Dr. Horst Börngen

Die Beförderung ist dienstlich bekanntzugeben und im Soldbuch einzutragen.

6. Sanitätsstaffel Meißen Standartarzt Oberfeldarzt

Ein Leben im 20. Jahrhundert - SR. Dr. Horst Börngen, Halle. Ohne Datum, aber schon als „SR“!, also sicher nach 1963. Nach dem Inhalt hier eingeordnet: ... „Die Eltern und alle Verwandten gehörten der evangelische Kirche an, besuchten aber niemals einen Gottesdienst, nur bei der Konfirmation von uns acht Kindern, in der Friedenskirche in Dresden-Löbtau. Bei der Beerdigung unseres Pfarrer Kretzschmars bewegte sich ein riesiger Trauerzug zum nahen Friedhof, [vorneweg] die Vereine mit ihren Fahnen. Im Konfirmationsunterricht mußten wir viele Sprüche lernen. Ich wurde zusammen mit meiner Schwester Lotte 1915 konfirmiert und [wir] gingen zwischen dem langen Zug von Jungens und dem langen von Mädchen vom Pfarrhaus zum Gotteshaus. Die Friedenskirche wurde beim Bombenangriff zerstört; in die Grundmauern hinein wurde eine Interrimskirche gesetzt. Der Kirchturm blieb erhalten zum Eingang. Entscheidend für meine innere Entwicklung war ein Bibelkreis, von denen es mehrere in der Stadt gab. BK=Bibelkreis. 3 Stock hoch am Neumarkt gegenüber der Frauenkirche in den Räumen des CVJM kamen wir am Sonnabend zusammen. Oft belauschten wir gemeinsam am Sonntag einen Gottesdienst, hernach öfter die herrliche Kirchenmusik in der Katholischen Hofkirche. Später erwarb der CVJM ein eigenes größeres Grundstück in der Nähe vom Hauptbahnhof in der Ammonstraße, auch mit einem Eingang auf der Seite zur Feldgasse. Ein größeres Hospiz mit Turnhalle schloß sich an. Daneben wohnte der sächsische Bischof D. Ihmels. Einmal hat er gesagt: Ich wohne Ammonstraße 4, Vers 1. Unser Leiter des Schülerbibelkreises war Bürovorsteher Arthur Scherf, aus Colmnitz im Osterzgebirge stammend. Am 25. Januar 1915 fiel er beim Sturm auf Craonne und wurde mit 28 anderen Kameraden im Massengrab beigesetzt. Konfirmation bedeutet Annahme des Glaubens nach der üblichen Kindtaufe. Was damit verbunden ist, hatte ich bereits im BK erfahren. Jesus ließ sich auch im Jordan taufen. Sonntags wanderten wir durch unsere engere Heimat, zumal auch in der nahen Sächsischen Schweiz. Von Bedeutung für uns junge Christenmenschen waren die Pfingstferienfahrten, etwas, was es sonst noch nicht so gegeben hat. Im Kriege versorgten wir Jüngeren unsere Freunde im Felde mit Briefen und Karten durch die Feldpost. beim letzten Heimaturlaub schenkte mir unser ,Stohkarl‘ zum Abschied eine Blume. In Galizien ist er dann gefallen. Ein anderer Freund, Heinz Jentzsch, büßte ein Auge in Galizien ein, Jahrzehnte später auch sein anderes.“

Zeit „nach 1945“

Aus einem Mitgliedsausweis der CDU Deutschlands, Nr. 0823972, vom 6.5.1971, kann entnommen werden: Mein Vater: Mitglied seit 22.7.1945 Bezirksverband Halle, Ortgruppe Leipziger Turm, Gründungsmitglied 1945 [unter Nr. VIII], Mitglied des Pro-Parlaments.

Einem Brief, Halle, am 31. Juli 1945, stellt mein Vater den [zu] ausführlichen Text aus Hiob 34, 7-30 voran:

Darum hört mich an, ihr einsichtsvollen Männer! Fern bleibe der Vorwurf von Gott, dass Er Frevel verübe, und vom Allmächtigen, dass Er Unrecht tue! Nein, was der Mensch tut, das vergilt Er ihm und lässt es jedem nach seinem Wandel gehen. Ja wahrlich, Gott handelt nicht unrecht und der Allmächtige beugt nicht das Recht. Wer hat die Erde Seiner Obhut anvertraut? Wer den ganzen Erdkreis gegründet? ...

„Gleicht nicht das Ende des dritten Reiches mit dessen Führung einem eindrücklichen und gewissenschärfenden Kommentar zu diesen alttestamentlichen Worten? Die nationalsozialistische Irrlehre und Gewaltpolitik glaubte als Kind einer liberalen Zeit, ohne die 10 Gebote, die doch die unumstössliche Grundlage alles Volkslebens abgeben, auskommen zu können. Punkt 24 vom Parteiprogramm wurde verraten. Aber irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Wo Lüge, Gewalttätigkeit und Überheblichkeit in solchem Ausmass triumphierten, mussten schliesslich die Waffen unseren Händen entfallen. Ein Niederbruch folgte, der knapp am Untergang vorübergegangen ist. Politisch sind wir auf 1648 zurückgeworfen worden und wirtschaftlich lebten wir wochenlang noch weiter zurück. Jeglicher Verkehr mit Taxe, Strassenbahn, Schiff, Eisenbahn und Flugzeug war unterbunden. Telephon, Post- und Bankwesen lag still. Wasser, Gas, Licht versagte an vielen Stellen der Stadt. Eine zentrale Regierung existiert nicht mehr in Deutschland, das in 6 grosse Teile zerstückelt ist. Am Ende des 1.Weltkriegs brach ohnmächtig die Regierung unserer Fürsten und Adligen zusammen, im Niederbruch des 3. Reichs am Ende des 2. Weltkriegs vernichtete sich selbst dessen aus der breiten Masse des Volkes stammende Führerschicht. ,Er stürzte sie über Nacht‘. Eine unbewaffnete Polizei wahrte wenigstens äusserlich die Ordnung.