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Die Welt ist aus den Fugen geraten. So können wir nicht weiterleben. Seit Jahrzehnten setzt sich weltweit eine neoliberale ökonomische Sicht der gesellschaftlichen und politisch-wirtschaftlichen Welt durch. Sie zerstört soziale und politische Mitmenschlichkeit, das Gesundheitswesen und die Ökosysteme dieser Erde zugunsten der alleinigen kommerziellen und machtbesessenen Regulierungen. Die Welt wird apokalyptisch bedroht durch kapitalistische Wachstumsideologie und utilitaristischen Fortschrittsglauben. Dem setzen wir unsere Vision von "Konvivialismus", Börngen BoD 2020, besser zusammenleben, statt einander niederzumetzeln, gegenüber. Sie kann die Welt zum Besseren verändern. Alle menschgedachten "wertvollen Elemente" der Jahrhunderte in Bezug auf "heilige Eingebungen", Vernunft in Philosophie und Morallehren sowie Freiheit in politischen Ideologien müssen zur Transformation und Umkehr unseres Lebens führen. Dies bedeutet ein erweiterter Humanismus und eine Politik der Menschenwürde. Letztlich geht es um eine globale Verwirklichung von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, religionsverbindend um eine Ökumene der Weltreligionen. 40 Verantwortliche unserer Zeit, darunter Vertreter von acht Weltreligionen, haben dazu in großer Weltverantwortung und bewegender Gemeinsamkeit ihre Sicht darstellen können. Gefragt ist eine weltweite Vernetzung vieler zivilgesellschaftlicher Bewegungen durch Gedankenaustausch und konvivialistische Zusammenarbeit, eine globale Zivilgesellschaft als Gegenstück zur kapitalistischen Globalisierung. In der Klimakatastrophe hat aktuell "absolute Priorität die Senkung des CO2-Ausstoßes und die Nutzung der erneuerbaren Energien anstelle der Kernkraft und der fossilen Energien."
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Seitenzahl: 196
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Vorwort von Pfarrer Wolfgang Wagner, Rottenburg a. Neckar
Einführung
Persönliche legitimierte Zusammenfassung
Übersicht der Unterstützer und persönliche Aussagen
Religionsverbindendes Friedensgebet 2022
Podium »Konvivialismus als Ausweg?«
Auch Andere sind auf dem Weg:
Weltethos
Sangsaeng − Zusammenleben
Ubuntu – afrikanische Menschlichkeit und Lebensphilosophie
Vernachlässigter Konziliarer Prozeß
»Wertvolle Elemente« in ökumenischer Vielgestaltigkeit der Weltreligionen
»Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit«
Zur Anregung und Weiterführung 2023
aus www.wolfgangwagnerblog.wordpress.com
Archiv für den Monat Februar 2021
Transformation in Bad Boll [mit Leonardo Boff]
In seinem Beitrag stellt Boff vor allem zwei Schriften heraus: Das neue Buch des Papstes »Wage zu träumen!« und eine Schrift des Ökumenischen Rates der Kirchen zu Transformationsprozessen. Beide vertiefen die auch von Boff vertretene ökologische Theologie.
Papst Franziskus verstärkt seine Grundbotschaft gegen den Kapitalismus und den Marktradikalismus, die er schon an den Beginn seines Pontifikats verkündet hatte: »Diese Wirtschaft tötet.« Vor kurzem hat er in seiner Sozialenzyklika »Fratelli tutti« eine Wirtschaftsordnung kritisiert, die Menschen für die Privilegien anderer opfert – und gegen die Gewaltformen angeschrieben, zu denen diese Art des Wirtschaftens führt. Er bezeichnet sie als Dritten Weltkrieg auf Raten; er führt dazu an: den Abbau der Gesundheitssysteme in vielen Ländern; die Aggressivität im Internet und den neuen Nationalismus, der mit dem universalen Gottesglauben nicht zu vereinbaren sei.
Es ist eine Art Regierungserklärung. Für ihn gibt es kein Zurück zur Normalität vor der Corona-Pandemie. Vielmehr appelliert er an eine Neuausrichtung der Gesellschaft und erklärt, warum wir diese sicherer und gerechter gestalten müssen.
Die Corona-Krise hat die großen gesellschaftlichen Probleme wie ein Brennglas verdeutlicht. Wirtschaftliche Ungleichheit, Existenzängste und Sorgen um die Gesundheit bestimmen das tägliche Denken. Es sind starke politische Forderungen. In seinem neuen Buch geht der Papst deutlich mit den herrschenden politischen Systemen ins Gericht und wirft den Industriestaaten vor, ihr Handeln zu sehr an Börseninteressen und zu wenig am einzelnen Menschen auszurichten. So gipfelt das Buch in seinem Schlusskapitel in der Forderung nach einem »universellen Grundeinkommen«. Es geht ihm um eine »bedingungslose Pauschalzahlung an alle Bürger, die über das Steuersystem verteilt werden könnte«. Franziskus fordert eine Rückbesinnung auf den Wert von Arbeit, die dem Menschen Würde verschafft und Wohlergehen. »Die Priorisierung des Zugangs zur Arbeit muss zu einem Kernziel der nationalen öffentlichen Politik werden.« In der Hinleitung zu diesem Gedanken kritisiert das Kirchenoberhaupt sowohl Gewerkschaften, die die Menschen »an den Rändern« nicht im Blick hätten, als auch Unternehmens-Chefs und Aktionäre. Zwar seien es die Arbeitnehmer, die Werte schafften, aber sie würden »als das entbehrlichste Element eines Unternehmens behandelt«. Einige Aktionäre, deren Interesse eng an Gewinnmaximierung ausgerichtet sei, hielten dagegen »die Zügel in der Hand«.
Nach diesem überraschenden Plädoyer für den gegenwärtigen Papst blickt Boff auch auf die Genfer Ökumene. Die Erklärung »Wirtschaft für Befreiung und Leben« ist in der Tat ziemlich untergegangen. Darin heißt es u.a.:
»Dieses auf Profitmaximierung begründete gegenwärtige Finanzsystem opfert … weiterhin Leben. Aus diesem Grund und im Sinne des Erhalts allen Lebens fordern wir demokratische, partizipative und rechenschaftspflichtige internationale Finanzinstitutionen; eine Abkehr von Finanzstrukturen, die auf dem Prinzip von Zins und Wucher basieren, hin zu einer Ökonomie der Versorgung, Gegenseitigkeit und Solidarität; und die Entwicklung von Systemen für Reparationen und Wiedergutmachung. Konkret bedeutet dies, dass wir gemeinsam folgende Forderungen an internationale Finanzinstitutionen und Regierungen stellen:
1. Bereitstellung von Mitteln, um Länder von ihren historischen Schulden zu entlasten und zu befreien. Diese Situation wird durch die COVID-19-Pandemie noch dramatischer. Weiterhin Förderung unterschiedlicher, keine Schulden generierender Finanzierungsstrukturen auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und Fairness.
2. Sicherstellen ausreichender Finanzmittel für Länder mit niedrigen und mittleren durchschnittlichen Einkommen als Voraussetzung für deren Regierungen, die COVID-19-Krise zu bewältigen und die Krisenfestigkeit und die Existenzgrundlagen der Menschen und Gemeinschaften zu verbessern, aber auch als soziale und ökologische Reparationen für eine historische Schuld.
3. Durchführung von Steuerreformen als vorrangige Möglichkeit der Mobilisierung öffentlicher Ressourcen. Es müssen besondere Steuern für die Superreichen, die Private Equity- und Hedge-Fonds und auch für die multinationalen Konzerne, die E-Commerce- und die digitalen Unternehmen erhoben werden, die während der Krise profitiert haben, ergänzt durch Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung.
4. Erweiterung und Ausdehnung der Zuweisung von Sonderziehungsrechten (SZR) zugunsten der Länder des Globalen Südens zur Finanzierung der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und der wirtschaftlichen Erholung.
5. Einrichtung eines umfassenden, fairen, transparenten und schnellen internationalen Verfahrens zur Umstrukturierung von Schulden, um die Zahlungsunfähigkeit von Staaten zu vermeiden. Dieser Mechanismus muss in der Lage sein, Staatsschulden zu prüfen und verabscheuungswürdige und illegitime Schulden zu erlassen, die in betrügerischer Absicht oder durch despotische Regimes und ohne Zustimmung der Bevölkerung zustande gekommen sind, für die Wucherzinsen zu zahlen sind, deren Rückzahlung immense soziale und ökologische Belastungen nach sich zieht oder mit denen sozial- und umweltschädliche Projekte finanziert werden.
6. Ablehnung der Austeritätspolitik und stattdessen Einrichtung von Systemen der sozialen Grundsicherung als Schutz vor den sozioökonomischen Folgen gegenwärtiger und zukünftiger Krisen.
7. Neuaufstellung internationaler Finanzinstitutionen, die in Krisenzeiten Mittel ohne Strukturanpassungsauflagen zur Verfügung stellen, deren Maßnahmen nicht von wohlhabenden und eigennützigen Interessengruppen dominiert werden und deren Politik gerecht wäre und auf die sozialen und ökologischen Konsequenzen finanzpolitischer Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen eingehen würde.
In Übereinstimmung mit diesen Forderungen weisen wir erneut auf die befreienden Elemente in unseren unterschiedlichen Glaubenstraditionen hin, die uns zu rechten Beziehungen auf der Basis von Gerechtigkeit, Verantwortung, Mitgefühl und Solidarität aufrufen. Sie erinnern uns daran, dass die Ökonomie als Mittel, nicht als Zweck zu betrachten ist, dass Wohlergehen nicht durch das Ansammeln materieller Güter erreicht werden kann, und dass die Sorge um die Menschen und das Leben in jeder Form und nicht der Profit im Mittelpunkt jedes Wirtschaftssystems stehen muss. In gegenseitiger Solidarität setzen wir uns für die gemeinsame Vision einer Welt ein, in der alles Leben in Freiheit, Erfüllung und Frieden und befreit von ungerechter Verschuldung gedeihen kann.«
https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/just-economics-for-liberation-and-life
Zwar findet Leonardo Boff sich selbst »etwas müde«, aber mit Hinweis auf diese Texte ist er doch kämpferisch wie eh und je. Es ist nun an uns, sie mit Leben zu füllen und nicht nur eine weitere »epd-Dokumentation« zu produzieren. Wenn sich die Evangelische Akademie daran beteiligt, wirkt sie tatsächlich im Geiste Christoph Blumhardts – wie Direktor Hübner in seinem Grußwort behauptete.
Hintergrund und Beweggründe
Als Mitglied der Initiative für eine neue internationale Finanz- und Wirtschaftsarchitektur (NIFEA) haben der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK), der Lutherische Weltbund (LWB) und der Rat für Weltmission (CWM) am 02., 12. und 16. Oktober eine interreligiöse Online-Konsultation zum Thema ›Just Finance und Reparationen‹ einberufen, um mit Menschen unterschiedlicher Glaubensperspektiven ins Gespräch zu kommen, voneinander zu lernen und die interreligiöse Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaftsgerechtigkeit zu vertiefen.
Alle unsere Glaubenstraditionen haben ihre Vorstellungen von einer gerechten und mitfühlenden Welt. Inspiriert von einer solchen Vision, haben unsere unterschiedlichen Glaubenstraditionen sich Gedanken über die menschliche Gier und das Wirtschaftsleben sowie über die Rolle der Finanzen und des Geldes in der Gesellschaft gemacht. Während Schulden in früheren Zeiten noch in ein Gefüge gegenseitiger gesellschaftlicher Verpflichtungen eingebettet waren, sind sie im Laufe der Zeit zu ungerechten, auf Zinsforderungen beruhenden Wuchersystemen geworden. Diese Situation ist durch die anhaltende Coronavirus-Pandemie und den Klimawandel weiter verschärft worden, so dass zu den Altlasten aus der Kolonialzeit eine weitere Bürde hinzukommt.
An der Online-Konsultation nahmen führende Personen buddhistischen, christlichen, hinduistischen, muslimischen, jüdischen und rastafarischen Glaubens sowie der Bahá’í-Glaubensgemeinschaft teil. …
Meine Vision für eine »neue Kunst des Zusammenlebens« in der realen Transformation geht zurück auf die deutsche Übersetzung des Buches: Adloff, Frank, Claus Leggewie: Das konvivialistische Manifest. transcript Bielefeld 2014. Das Manifest ist eine Gemeinschaftsinitiative französischer, europäischer und weltweit sich verantwortlich fühlender Bürgerinnen und Bürger.
Ich selbst habe das Manifest 2017 als 3.634ster unterschrieben. Im Zusammenhang mit einer historischen Aufarbeitung von Familiengeschichte, in der mein Vater 1932 und noch 1933 den »Menschentum mißachtenden Kapitalismus« öffentlich kritisiert hat (Börngen BoD 2020, Seite 124 und 158), war mir die Thematik zeitlos so bedeutsam, daß ich eine rasch lesbare und eher leicht verbreitbare Kurzfassung in diesem Buch aufgenommen habe (Seite 306-308). Beide Autoren, Adloff und Leggewie, haben als Soziologen und Kulturwissenschaftler meine Kurzfassung und Initiative im nachherein 2020 intensiv unterstützt (»Ich finde Ihre Initiative … sehr richtig und wichtig«, »Ihre Zusammenfassung der Konvivialismus-Thesen erfaßt deren Ansatz und Absichten sehr gut«). Damit ist davon auszugehen, daß mein Beitrag als eine legitimierte Zusammenfassung anzusehen ist.
Im übrigen habe ich bei diesem Vorgehen ein Verfahren angewendet, was Hans Küng und Karl-Josef Kuschel 1993 bei der Verlesung einer Zusammenfassung der »Erklärung zum Weltethos« vor dem Parlament der Weltreligionen in gleicher Weise toleriert haben. Ein »Redaktionskomittee des ›Council‹ des Parlaments der Weltreligionen in Chicago [hat] erstellt … zu publizistischen Zwecken – eine knappe Zusammenfassung der Erklärung … [diese wurde] bei der feierlichen öffentlichen Abschlußversammlung am 4. September 1993 … [in] Chicago verlesen.« (Siehe Seite 97) Interessant, daß auch hier eine praktisch legitimierte Zusammenfassung der weltweiten Öffentlichkeit angeboten und offensichtlich akzeptiert wurde. Daß Küng und Kuschel dieselbe an den Beginn »Ihrer Erklärung zum Weltethos …« gestellt haben, weist auf die fundamentale Bedeutung der Aussagen auch für sie hin!
Dies unterstützt meine Bemühungen um Solidarisierung und eine weite Verbreitung. Dabei steht seit 2022 die gewünschte Suche nach »wertvollen Elementen« von Vertreterinnen und Vertretern von Weltreligionen, Philosophien, Morallehren und Ideologien im Vordergrund, und von mir hinzugefügt, auch von Basisinitiativen und Einzelpersonen. Somit war naheliegend, diese Suche nach selbstvergewissender, nachhaltiger und tiefgründiger Lebensweisheit insbesondere im Zusammenhang mit meinen jahrzehntelangen Bemühungen um interreligiös Dialog und Zusammenarbeit, www.igfstuttgart.de, umzusetzen. Speziell konnte die Suche nach wertvollen Elementen thematisch auch unserem Religionsverbindenden Friedensgebet aus Anlaß der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen am 7.9.2022 in Karlsruhe zugeordnet werden. Primär steht alles letztlich auch in Zusammenhang mit einer Pressemitteilung Heidelberg vom 20.4.2020 »Die Zeichen der Zeit nicht verkennen!«
Mit einem allgemeinen Mail-Anschreiben wurden im Februar und im November 2022 rund 50 aufgeschlossene Personen angesprochen. Mit ihnen hatte »ich großartige Begegnungen vor vielen Jahren erfahren … insbesondere im Zusammenhang mit IGF Stuttgart, (früher WCRP) und dem Konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sowie einem zum Teil jahrelangen Prozeß eines interreligiösen Dialogs und wertvoller Zusammenarbeit.« »Es wäre großartig und wegweisend, wenn auch Sie sich motivieren lassen, Wege zu suchen, sich in großer Weltverantwortung zu solidarisieren. Dies ist z.B. durch eine Übersendung Ihrer »wertvollen Elemente« aus Ihrem Lebensbereich an mich im Sinne meiner legitimierten Zusammenfassung möglich, maximal 2.500-3.000 Anschläge, was zwei Buchseiten entspricht. In der Kürze liegt die Würze!«
Die legitimierte Zusammenfassung kann neuerdings auch nachgelesen werden in www.igfstuttgart.de : Einsatz für ein besseres Zusammenleben – Aufruf an Alle … Seite 1.
Im Konvivialistischen Manifest, Bielefeld 2014, führt Frank Adloff in seiner Einleitung auf Seite 28 bemerkenswert aus:
»Das Manifest kann also insgesamt als Aufforderung verstanden werden, sich an der Suche nach »realen Utopien« (vgl. Wright 2012) zu beteiligen, die reformistisch und zugleich radikal dazu beitragen können, Utilitarismus und maßloses Wachstum zu überwinden. Auf den letzten Seiten des Manifests wird ein konvivialistischer New Deal gefordert. Ein solcher kann und darf jedoch nicht primär ein sozialplanerisches und expertokratisches Projekt sein. Alle sind aufgerufen, sich kreativ zu beteiligen, ihre Empörung einzubringen und diejenigen zu beschämen, die die Möglichkeit eines konvivialen Zusammenlebens aufs Spiel setzen. Zugegeben: Das klingt sehr naiv, doch darin liegt – so hat es die italienische Philosophin Elena Pulcini pointiert – die besondere Radikalität und Stärke des konvivialistischen Projekts.«
Diese starken und gerade prophetischen Ausführungen dürften auch der Angelpunkt gewesen sein für die Verwirklichung dieses Buchprojektes. Mich hat also vor allen Dingen die starke öffentliche Kritik am »Menschentum mißachtenden Kapitalismus« und die religions- und gemeinschafts-verbindende Solidarisierung phasziniert. Gerade in unserer zunehmend spannungsgeladenen Zeit von anthropozänischer Weltbeherrschung durch neoliberalen Kapitalismus, Wachstumswahn, Gigantopathie, Elektromanie als totales Wachstumsversagen, Fehlglobalisierung in Form modernem Kolonialismus, Aufrüstungsaggressivität, Krieg und Friedlosigkeit, Verdrängung nuklearer Supergefahren, Rekordverschuldung Rücksichtslosigkeit und Trägheit in einer unvorstellbar ausufernden Wegwerf-, Spaß- und Aggressionsgesellschaft.
Interessant ist es, daß eine 2. konvivialistische Fassung verschiedentlich »abgespeckt« erscheint. Immerhin wird in einer »Kurzfassung« deutlich auf »Weisheiten … der Jahrhunderte« und ausführlich auf »unzählige Initiativen« verwiesen, »die Alternativen zu der vorliegenden Weltverfassung entwerfen«. Darüber hinaus regen vier Grundprinzipien auf dem Gebiet von Moral, Politik, Ökologie und Wirtschaft zum Handeln an.
In den nachfolgenden Ausführungen habe ich in der Regel mir und allgemein besonders Wichtiges, jedenfalls nach meinen Vorstellungen, fett unterlegt.
des Buches Adloff, Frank, Claus Leggewie: Das konvivialistische Manifest
Für eine neue Kunst des Zusammenlebens. transcript Bielefeld 2014, S. 39-77.
Aus: Börngen, Ulrich: Christlich-Sozial gegen braune Überflutung und für den Menschen 1929-1933. In Erinnerung an meinen Vater, Dr. med. Horst Börngen, Halle/Saale. BoD 2020, Seite 306-308:
»Alle … wertvollen Elemente [der Jahrhunderte] sollten so schnell wie möglich zusammengetragen und in einer Weise erklärt werden … [um], ihre Kräfte und Energien zu bündeln und ihre Gemeinsamkeiten hervorzuheben.«
»Gemeinsam ist ihnen die Suche nach einem Konvivialismus … einer Kunst des Zusammenlebens (con-vivere), die die Beziehung und die Zusammenarbeit würdigt und es ermöglicht, einander zu widersprechen, ohne einander niederzumetzeln, und gleichzeitig für einander und für die Natur Sorge zu tragen.« »Angestrebt … [wird] eine dauerhafte, sowohl ethische, ökonomische, ökologische wie politische Grundlage des gemeinsamen Lebens … Gesucht wird sie unter Berufung auf das Heilige, sowohl in den ursprünglichen Religionen als auch in den großen Weltreligionen oder den Quasi-Religionen: Taoismus, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Judentum, Christentum, Islam. Gesucht wird sie auch unter Berufung auf die Vernunft in allen großen Philosophien oder in den weltlichen und humanistischen Morallehren. Und gesucht wird sie schließlich unter Berufung auf die Freiheit in den großen politischen Ideologien der Moderne: Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus oder Anarchismus.«
»Das wachsende Unvermögen der Parteien und der politischen Institutionen, sich den Problemen unserer Zeit zu stellen … , erklärt sich aus der Unfähigkeit, das demokratische Ideal neu zu definieren«. »Seit Anfang der 1980er Jahre setzt sich … im Bereich der Wissenschaft und Philosophie eine rein ökonomische Sicht der gesellschaftlichen und sogar der natürlichen Welt durch. Seitdem ist … der Zerstörung aller sozialen und politischen Regulierungen zugunsten der alleinigen kommerziellen Regulierungen Tür und Tor geöffnet … Nach und nach sehen sich auch alle Bereiche des Daseins bis hin zu den Affekten und den Freundschafts- oder Liebesbeziehungen einer buchhalterischen, technischen und betriebswirtschaftlichen Logik unterworfen … Wenn das einzige legitime und gesellschaftlich anerkannte Ziel der Menschen, dasjenige, das alle anderen beherrscht, darin besteht, sich so viel wie möglich zu bereichern, darf man sich nicht wundern, dass überall in der Welt durch zunehmende Absprachen der politischen und Finanzklassen ein Klima immer größerer Korruption entsteht.«
»Es geht darum, einen neuen, radikalisierten und erweiterten Humanismus zu erfinden, und das bedeutet die Entwicklung neuer Formen der Menschlichkeit.« So ist »Konvivialismus … die Bewegung ihrer gegenseitigen Befragung, die auf dem Gefühl der extremen Dringlichkeit angesichts der möglichen Katastrophe beruht. Er will das Wertvollste jeder der überkommenen Lehren bewahren. Was ist das Wertvollste? … Auf diese Frage kann – und darf – es keine eindeutige Antwort geben.« »Die einzige legitime Politik ist diejenige, die sich auf das Prinzip einer gemeinsamen Menschheit, einer gemeinsamen Sozialität, der Individuation und der Konfliktbeherrschung beruft.«
Interessanterweise wird, vor den UN-Menschenrechten, auf die Erklärung von Philadelphia verwiesen, »in der 1944 die Ziele der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) neu definiert wurden und die im Artikel II bestimmte: »Alle Menschen, ungeachtet ihrer Rasse, ihres Glaubens und ihres Geschlechts, haben das Recht, materiellen Wohlstand und geistige Entwicklung in Freiheit und Würde, in wirtschaftlicher Sicherheit und unter gleich günstigen Bedingungen zu erstreben. Eine richtige Politik ist eine Politik der Würde.«
»Absolute Priorität hat die Senkung des CO2-Ausstoßes und die Nutzung der erneuerbaren Energien anstelle der Kernkraft und der fossilen Energien … Vorrangig ist der Kampf gegen die spekulativen Auswüchse der Finanzwirtschaft, die Hauptursache der kapitalistischen Maßlosigkeit. Daraus folgt, dass die Abkoppelung der Realwirtschaft von der Finanzwirtschaft verhindert werden muss, indem man die Banktätigkeit und die Finanz- wie die Rohstoffmärkte streng reguliert, die Größe der Banken begrenzt und den Steuerparadiesen ein Ende setzt.«
»Das Gebot der Gerechtigkeit und der gemeinsamen Sozialität … bedeutet, die schwindelerregenden Ungleichheiten zu beseitigen, die zwischen den Reichsten und dem Rest der Bevölkerung seit den 1970er Jahren explosionsartig zugenommen haben, und gleichzeitig … ein Mindesteinkommen sowie ein Höchsteinkommen einzuführen.«
Es fällt auf und ist auch fast nicht verwunderlich, daß diese Konvivialismus-Initiative im deutschen Raum keine besondere mediale oder öffentliche Resonanz gefunden hat. Sie dürfte auch im kirchlichen Bereich nie wirksam aufgegriffen worden sein. Dies trifft übrigens im Prinzip auch auf Theo Sundermann zu, der als Sozialethiker, Dogmatiker und ökumenischer Theologe, ehemals Heidelberg, den analogen Begriff Konvivenz 1986 (Ökumenische Existenz heute, Band 1 München) zum Verhalten des Christentums zu den außerchristlichen Religionen eingeführt hat.
Immerhin liegt ein beachtenswerter Beitrag von Jürgen Manemann, fiph Hannover, vor, »Konvivialismus weiterdenken Das konvivialistische Manifest – eine Kritik, veröffentlicht am 8. 10. 2014 von AMH«.
Auf diese kritische Äußerung habe ich mit nachfolgender Replik antworten müssen:
Die für mich wertvollste und bedeutsamste Aussage ist: »Alles, was im Manifest steht, kann auch ich unterschreiben.« Großartig, immerhin von einem ordinierten Direktor eines angesehenen Forschungsinstituts für Philosophie! Bleibt die Frage, ob diese Möglichkeit auch wirklich erfolgt ist?! Ich hoffe auf Verständnis, daß unter 4.367 Unterschriften zwischen 2013 und 2019 erspart bleibt, dies herauszufinden.
Als erfreulich und motivierend kann festgehalten werden, daß eine Reihe von wichtigen Aussagen zum Gemeinwohl im »Konvivialistischen Manifest«, von F. Adloff und C. Leggewie 2014 veröffentlicht, dokumentiert wurden. Was fehlt? Ich lege zugrunde eine persönliche, legitimierte Zusammenfassung (Börngen 2020).
Es fehlen folgende eindeutige und überzeugende Aussagen:
1. »Alle wertvollen Elemente [der Jahrhunderte] sollten so schnell wie möglich zusammengetragen werden … [um] ihre Kräfte und Energien zu bündeln, als ›Grundlage des gemeinsamen Lebens‹. Konkret wird ›gesucht … unter Berufung auf das Heilige, sowohl in den ursprünglichen Religionen als auch in den großen Weltreligionen oder den Quasi-Religionen: Taoismus, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Judentum, Christentum, Islam … unter Berufung auf die Vernunft in allen großen Philosophien oder in den weltlichen und humanistischen Morallehren … unter Berufung auf die Freiheit in den großen politischen Ideologien der Moderne: – Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus oder Anarchismus.«
die Ideologien werden verfremdet in anderem Zusammenhang erwähnt!
also kein Bezug auf ein Pauluswort: »Prüfet aber alles, und das Gute behaltet.« 1. Thess 5,21 – z.B. als ein wichtiger biblischer Bezug, den ich sonst unverständlicherweise völlig vermisse.
also keine überzeugende Zusammenarbeit auch der Religionen im Sinne einer heute zunehmend Bedeutung gewinnenden »Ökumene der Weltreligionen« und historisch bedeutender Philosophien und Ideologien, und ich würde hinzufügen, auch mit Basisinitiativen und Einzelpersonen.
Übrigens haben wir 2007/2008 zur analogen Konvivenz (Theo Sundermann 1986 und 2000) in einer Ökumene der Weltreligionen neben der propagierten Hilfs-, Lern- und Festgemeinschaft als 4. These eine spirituelle Gemeinschaft hinzugefügt.
2. Massive und deutlich ausgesprochene Kritik am heutigen realen Kapitalismus.
»Seit Anfang der 1980er Jahre setzt sich … [auch] im Bereich der Wissenschaft … eine rein ökonomische Sicht der gesellschaftlichen und sogar der natürlichen Welt durch … der Zerstörung aller sozialen und politischen Regulierungen zugunsten der alleinigen kommerziellen Regulierungen Tür und Tor geöffnet«, z.B. seit über 30 Jahren im deutschen Gesundheitswesen zum Schaden der Menschen erfahrbar.
»Vorrangig ist der Kampf gegen die spekulativen Auswüchse der Finanzwirtschaft, die Hauptursache der kapitalistischen Maßlosigkeit indem man die Banktätigkeit und die Finanz- wie die Rohstoffmärkte streng reguliert, die Größe der Banken begrenzt und den Steuerparadiesen ein Ende setzt.«
3. »Das wachsende Unvermögen der Parteien und der politischen Institutionen, sich den Problemen unserer Zeit zu stellen … erklärt sich aus der Unfähigkeit, das demokratische Ideal neu zu definieren«. Dies ist keinesfalls nur eine Erfahrung unserer Jahrzehnte (L. Späth 1985; C.-F. von Weizsäcker, 1990).
4. »Absolute Priorität hat die Senkung des CO2-Ausstoßes und die Nutzung der erneuerbaren Energien anstelle der Kernkraft und der fossilen Energien«. Es fehlt ausgerechnet diese elementare und absolut berechtigte Forderung der Jugend und z.B. einer nobelpreisfähigen IPPNW. Das wäre eine wirklich überzeugende »Begleitung« im »Dienst der Jugend« und einer seit den 80er Jahren bedeutsamen NGO.
5. »Das Gebot der Gerechtigkeit und der gemeinsamen Sozialität … bedeutet, die schwindelerregenden Ungleichheiten zu beseitigen, die zwischen den Reichsten und dem Rest der Bevölkerung seit den 1970er Jahren explosionsartig zugenommen haben«.
Daß wir als ältere Generation »versagt haben« ist seit dem Club of Rome 1968 [1972] weltweit unzweifelhaft bekannt und auch der »Mut der Älteren« mit diversen »Selbstverpflichtungen« (Seoul 1999; Colloquium 2000 Hofgeismar; politische Koalitionsvertrags-Finte Büchel/Ramstein) ist derartig strapaziert und unerfüllt geblieben, daß solche Argumentationen heute absolut untauglich und banal anzusehen sind. Es scheint heute fast unumgänglich zu sein, was J. Habermas 2009 nach einem Vortrag von C. West gesagt haben soll, daß »jeglicher akademische Diskurs albern ist und man sofort auf die Straße gehen sollte«. Großartig und zunehmend weltbewegend, wie dies uns Fridays for Future seit Jahren vormacht UND von uns auch begleitet wird. Auf jeden Fall haben die konvivialistischen Visionen von 2013 unverändert auch in unserer Zeit eher zunehmende Priorität im Sinne einer notwendigen Selbstvergewisserung und unserer Weltverantwortung.
Insgesamt ist die erschreckend geringe Resonanz im deutschsprachlichen Raum bedauerlich. Insofern erscheint auch dieser Beitrag wenig wegweisend und förderlich gewesen zu sein!
Es ist an der Zeit, den großen reformierten Theologen Leonhard Ragaz aus der Schweiz zu zitieren: Von Recht und Unrecht des Kapitalismus. Neue Wege: Beiträge zu Religion und Sozialismus. 1906-1907, Band 1 Heft 6, S. 129. »Der Kapitalismus hat eine Unruhe in die Welt gebracht, die nur mit der Geburt einer neuen Kultur endigen kann.«
Leider sind verschiedene Versuche, mit französisch-sprachlichen Verantwortlichen von »Convivialisme« weiterführenden Kontakt aufzunehmen, nicht gelungen. In meinem letzten Versuch am 27.9.2021 konnte ich folgendes Schreiben verfassen:
»les convivialistes«
»Zusammenfassung der Konvivialismus-Thesen«
Sehr geehrte und liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für Konvivialismus, …
Vor Jahren habe ich das Konvivialistische Manifest unterschrieben. 2020 habe ich die Unterstützung konkret in meinem Buch: Börngen, Ulrich: Christlich-Sozial gegen braune Überflutung und für den Menschen 19291933. BoD 2020, Seite 306-308, aufgenommen. Es handelt sich um die nachfolgende persönliche Zusammenfassung vom Buch Adloff, Frank, Claus Leggewie: Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kunst des Zusammenlebens. transcript Bielefeld 2014. Beide Autoren (»sehr richtig und wichtig«, »Ihre Zusammenfassung der Konvivialismus-Thesen erfasst deren Ansatz und Absichten sehr gut«) haben meine Zusammenfassung und Initiative intensiv unterstützt.
Vor allem liegt auch mir »eine Vernetzung vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen« sehr am Herzen.
HIER wurde der Originaltext »Persönliche legitimierte Zusammenfassung« beigefügt.
Sehr geehrte und liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, ich freue mich und bin dankbar, daß eine liebe Tochter eines meiner besten Freunde [Annette Maurier, Metz] mein Anliegen in die französische Sprache übersetzen will. Mein großer Wunsch wäre, wenn auch die verantwortliche Führung von »les convivialistes« den Inhalt meiner Zusammenfassung wirkmächtig und überzeugend begrüßen, legitimieren und unterstützen könnte. Mit diesem überschaubareren Text würde ich mich gerne zivilgesellschaftlich für eine breite Information und Anregung mit dem Ziel einer großen Solidarisierung und Vernetzung einsetzen.
Ich erbitte eine entsprechende kurze Antwort an mich.
Mit besten solidarischen und convivialistischen Grüßen, großen Dank und allen guten Wünschen Ulrich Börngen
Hier soll das Gesamtschreiben in französischer Sprache wiedergegeben werden:
«Les convivialistes»
«Résumé des thèses de convivialisme»
Chers collègues militants du convivialisme,
Merci pour votre lettre du 20 janvier 2019.
Il y a des années, j’ai signé le Manifeste Convivialiste. En 2020 je l’ai soutenu concrètement dans mon livre: Börngen, Ulrich : Christlich-Sozial gegen braune Überflutung und für den Menschen 1929-1933.(Chrétien-social contre le débordement brun et pour l’homme) BoD 2020, pages 306-308. Il s’agit de mon résumé personnel du livre Adloff, Frank, Claus Leggewie : Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kunst des Zusammenlebens. (Le manifeste convivialiste. Pour un nouvel art de vivre ensemble.) transcription Bielefeld 2014. Les deux auteurs («très correct et important», «Votre résumé des thèses de convivialisme saisit très bien leur approche et leurs intentions») ont soutenu intensément mon résumé et mon initiative.
Par-dessus tout, j’ai à coeur «la mise en réseau de nombreuses organisations de la société civile».