Erlösung - Anselm Grün - E-Book

Erlösung E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Erlösung ist ein großes Wort. Doch was bedeutet es eigentlich? Viele Menschen sehnen sich danach, nach der Befreiung von Schuldgefühlen, von Ängsten oder Sinnkrisen. Anselm Grün untersucht die Bedeutung der Erlösung für unser Leben. Er zeigt, wie das befreiende Tun Gottes in Jesus Christus und das Aufzeigen des rechten Weges für jeden Menschen zusammengehören.

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Seitenzahl: 198

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Anselm Grün

Erlösung

Ihre Bedeutung in unserem Leben

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2017

Neuausgabe des 2004 im Kreuz-Verlag erschienen gleichnamigen Titels

ISBN 978-3-7365-9001-4

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0589-6

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Covergestaltung: Finken und Bumiller, Stuttgart

Covermotiv: bürosüd, München

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhalt
Einleitung
1 Wovon soll der Mensch erlöst werden?
2 Erlösung durch die Menschwerdung Gottes
3 Erlösung durch Jesu Weg
4 Erlösung durch Jesu Worte
5 Erlösung durch Jesu Handeln
6 Erlösung durch Jesu Tod am Kreuz
Die Idee der Stellvertretung
Das Bild der Sühne
Gestorben für unsere Sünden
Erlösung als Rechtfertigung
Der Tod Jesu als Opfer
Reingewaschen durch sein Blut
Loskauf
Durch seine Wunden sind wir geheilt
7 Erlösung und das Gelingen unseres Lebens
8 Gnosis und Erlösung
9 Segen und Erlösung
10 Kosmische Bedeutung der Erlösung
11 Erlösung und die Zerstörung dieser Welt
12 Erlösung durch die Einsicht in Jesu Worte
Schluss
Zitierte und weiterführende Literatur

Einleitung

Bei Vorträgen werde ich in der Aussprache immer wieder mit Vorstellungen von Erlösung konfrontiert, die mir weh tun. Da ist auf der einen Seite die Vorstellung von dem blutrünstigen Gott, der den Tod seines Sohnes braucht, um uns vergeben zu können. In manchen Köpfen schwirrt noch immer die Idee herum, dass Gott seinen Sohn sterben lässt, um unsere Sünden zu vergeben. Doch was ist das für ein Gott, der den Tod seines Sohnes nötig hat, um uns vergeben zu können? Ist Gott nicht schon im Alten Testament der barmherzige und vergebende Gott, der vergibt, weil er Gott ist, und nicht, weil sein Sohn für uns stirbt? Viele Menschen wehren sich gegen dieses grausame Gottesbild und lehnen mit dem Gottesbild auch den Gedanken der Erlösung ab. Für sie hat die christliche Erlösungsvorstellung etwas Aggressives und Pessimistisches an sich. Und sie argumentieren, dass sie sich gar nicht erlösungsbedürftig fühlen und dass sie auch keine qualitative Änderung der Geschichte seit dem Tod Jesu erkennen können.

Verstehst du auch, was du liest?

Apostelgeschichte 8,30

Und er deutet ihm die Stelle aus dem Propheten, damit er sie verstehen kann. So möchte ich in diesem Buch einige biblische Stellen deuten, damit ich sie selbst einsehen und damit die Leser und Leserinnen sie verstehen können. Die Texte der Bibel zu verstehen heißt immer auch sich selbst besser verstehen, Einblick bekommen in das Geheimnis der eigenen Existenz vor Gott.

Matthew Fox hat die Schöpfungsspiritualität der Erlösungsspiritualität gegenübergestellt. Die Schöpfungsspiritualität beginnt mit der Schöpfung. Sie dankt Gott für den Segen, mit dem er uns in seiner guten Schöpfung gesegnet hat. Matthew Fox meint, die Erlösungsspiritualität gehe zu sehr von der Schuld des Menschen aus und sei in ihrem Ansatz pessimistisch. Sein Einwand richtet sich zu Recht gegen manche Formen von Erlösungstheologie. Und es ist gut, dass wir neu das Geheimnis der Schöpfung bedenken, Gott dafür loben und in Festen unserer Freude über die guten Gaben Gottes Ausdruck verleihen. Gerade in unserer Zeit brauchen wir einen achtsamen und behutsamen Umgang mit der Schöpfung. Doch wir sollten Schöpfungsspiritualität und Erlösungsspiritualität nicht einfach als Gegensätze sehen. Beide Pole sind wichtig. Die Schöpfung ist Gottes erstes Geschenk an den Menschen. Doch der Mensch erlebt nicht nur die Schönheit der Schöpfung. Er erlebt sein Leben auch als brüchig, als gefährdet durch Dunkelheit und Leid, durch Sünde und Schuld. Er erfährt seine Verstrickung in ungerechte Strukturen, in unfaire Auseinandersetzungen der politischen Gruppierungen. Und er spürt die Abgründe in seiner Seele, die Schatten, die nach ihr greifen und sie verdunkeln. Auf die Erfahrung seiner brüchigen Existenz braucht der Mensch genauso eine theologische Antwort wie auf das dankbare Staunen über die Schönheit der Schöpfung.

Die Botschaft von der Erlösung ist eine zentrale biblische Botschaft. In ihr geht es um die Grundfragen des Menschen, die schon im 2. Jahrhundert Clemens von Alexandrien in seiner Auseinandersetzung mit der Gnosis gestellt hat und die jeder für sich immer wieder von neuem beantworten muss:

Wer waren wir? Wer sind wir geworden? Wo waren wir? Wohin sind wir geworfen? Wohin eilen wir? Wovon sind wir befreit? Was ist Geburt? Was Wiedergeburt?

Scholten, Gnosis 805

Als ich von 1967 bis 1971 in Rom studiert habe, hat mich immer schon die Frage nach der Erlösung beschäftigt. Was heißt das: erlöst zu werden? Wovon soll ich denn erlöst werden? Wie hat Jesus uns erlöst? Welche Rolle spielt da sein Kreuz? So habe ich schon meine Lizentiatsarbeit mit dem Titel geschrieben: »Erlösung durch das Kreuz bei Paul Tillich«. Und in meiner Doktorarbeit habe ich das Thema fortgesetzt: »Erlösung durch das Kreuz. Karl Rahners Beitrag zu einem heutigen Erlösungsverständnis«. Seitdem ringe ich immer wieder nach einer Antwort auf meine tiefsten Fragen. Und ich spüre, dass ich nie fertig werde, das Geheimnis der Erlösung zu verstehen. In jeder Lebenszeit, in jeder existenziellen Situation tauchen neue Fragen in mir auf und beeinflussen auch die Antworten.

In Diskussionen wird immer wieder argumentiert, die östlichen Religionen, etwa der Buddhismus, seien Selbsterlösung, das Christentum predige dagegen die Erlösung durch Jesus Christus. Christus hat alles für uns getan. Wir brauchen nichts mehr zu tun. Oft werden auch die spirituellen Wege, etwa der Weg der Meditation, der Weg des Enneagramms oder der asketische Weg der Mönche als Selbsterlösung abgelehnt. Für mich ist diese Alternative Selbsterlösung oder Fremderlösung in sich schon falsch gestellt. Einmal ist auch im Buddhismus immer Gott derjenige, der uns aus den Fesseln dieser Welt befreit und erlöst. Zum anderen ist auch Jesus in den Evangelien der Lehrer der Weisheit, der uns einführt in die Kunst des Lebens. Die Evangelisten erzählen uns das Leben Jesu, seine Worte und Lehren, seine Taten, seine Wunder und seine Ausstrahlung. Sie reduzieren das Wirken Jesu nicht auf die Erlösung und nicht auf seinen Tod und seine Auferstehung. Jesus als geschichtliche Gestalt ist für sie wichtig. Seine Art, wie er von Gott redet und wie er den Menschen begegnet, wie er Kranke heilt und Tote auferweckt, ist für sie befreiend und heilend. Christentum ist nicht nur die Botschaft von der Erlösung, sondern die Botschaft von Jesus Christus, der in unserer Geschichte gelebt hat, der anders von Gott gesprochen hat als viele Propheten und Theologen und an dessen Leben etwas sichtbar wird, was auf das Geheimnis Gottes verweist. Jesus hat uns in seiner Verkündigung einen Weg gezeigt, wie wir so leben können, dass unser Leben gelingt. Und das hat für die Evangelisten auch schon etwas mit Erlösung zu tun.

Jesus sagt zu dem Gesetzeslehrer, der ihm die Gebote Gottes aufzählt:

Handle danach, und du wirst leben.

Lukas 10,28

Erlösung ist kein magisches Geschehen, das uns von aller Verantwortung für das eigene Leben befreit. Vielmehr hängt es auch von unserem Tun ab, ob unser Leben gelingt oder nicht. Das Geheimnis Jesu besteht darin, dass er keine Lehre verkündet, die von ihm unabhängig ist, sondern dass er das, was er lehrt, mit seinem eigenen Leben bestätigt und vorlebt. Die Nachfolge Jesu ist daher für die Evangelisten Einweisung in das gelingende Leben, ein Weg, auf dem wir in immer größere Lebendigkeit, Freiheit und Liebe hineingehen. Aber auch das ist nur ein Aspekt der Erlösung, wie sie die Evangelisten verstehen. In Jesus ist Gott selbst Mensch geworden, um das beschädigte Menschsein zu heilen und um die Brüchigkeit und Zerrissenheit unseres Lebens mit seinem göttlichen Leben zu erfüllen und auf diese Weise in sich zu einen und heil und ganz zu machen. Jesus ist nicht einfach nur ein eingeweihter Mensch und ein begnadeter Religionsstifter. Wir glauben, dass er Gottes Sohn ist, dass in ihm Gott selbst unser Menschsein angenommen, es vergöttlicht und auf diese Weise geheilt und erlöst hat. Bei der Heilung unseres verletzten und verwundeten Daseins spielt auch der Tod Jesu eine wichtige Rolle. Da heilt Jesus unsere tiefste Wunde. Der amerikanische Psychologe Yalom meint, ohne sich mit der eigenen Todesangst auszusöhnen, gibt es kein gelingendes Leben. Die Evangelisten erzählen uns nicht nur das Leben Jesu, sondern auch seinen Weg der Passion und sein Sterben und Auferstehen, damit wir uns mit dem zentralen Thema unseres Lebens auseinandersetzen: Wie können wir leben angesichts des eigenen Todes? Wie gelingt unser Leben, das im Tod zerbrochen wird? Tod und Auferstehung Jesu sind keine Lehre, sondern eine existenzielle Antwort auf unsere tief in unserer Seele verwurzelte Angst vor dem Tod. Insofern ist das Leben Jesu eine existenzielle Therapie für Menschen, die so gerne vor dem eigenen Tod davonlaufen.

Oft höre ich den Vorwurf, einen spirituellen Weg zu gehen, etwa den Weg der Meditation, den Weg des Mönchtums, den Weg der Mystik, das sei ein Rückfall in die Gnosis. So ein Vorwurf ist für mich immer angstbesetzt. Jede wichtige Bewegung in der Kirchengeschichte hatte auch einen Funken Wahrheit in sich. Die Gnosis war für die frühe Kirche eine große Versuchung. Der gnostischen Bewegung ging es darum, die Erfahrung von Entfremdung und Verlorenheit in einer Welt, die zur Bedrohung geworden war, zu überwinden und durch den Erlöser, der aus der himmlischen Sphäre herabkam, das eigene Selbst zu entdecken, den inneren Lichtfunken, über den die Welt keine Macht hatte. Die Gnosis faszinierte suchende Menschen und wies ihnen einen Weg, wie sie ihre spirituelle Sehnsucht konkret leben konnten. Die gnostischen Kreise machten auf viele Christen einen starken Eindruck und zogen sie an. Es war wichtig, dass die Kirche sich auf die Diskussion mit der Gnosis einließ. Denn sie formulierte Sehnsüchte, auf die auch die Christen eine Antwort suchten. Anstatt diese Bewegung abzulehnen und sich auf die Gegenposition zu begeben, geht es darum, sie in das Christentum zu integrieren. Das haben damals schon Kirchenväter wie Clemens von Alexandrien oder Origenes getan. Das ist auch heute der richtige Weg im Umgang mit der Esoterik, die viele Aspekte der Gnosis in unserer Zeit aufgegriffen hat. Es geht um Klärung, wo eine Bewegung in die Sackgasse führt und ihre Gefahren in sich birgt. Aber letztlich geht es immer um Integration. Jede Bewegung, die die Menschen bewegt, will ernst genommen werden. Theologie heißt für mich, in einen Dialog mit diesen Bewegungen einzutreten, um ihre berechtigten Anliegen aufzugreifen und die Gefahren des Irrtums abzuwehren.

Wenn ich mit Missionaren spreche, die in Afrika arbeiten, merke ich, dass dort die biblischen Vorstellungen von Opfer und Sühne auf offene Ohren stoßen. Offensichtlich gibt es religiöse und kulturelle Kontexte, die für bestimmte Erlösungsvorstellungen offen sind. Doch die Bilder von Erlösung, die die afrikanische Mentalität ansprechen, sind für aufgeklärte Westeuropäer schwer zu verstehen. Schon die Bibel hat die Erlösung durch Jesus Christus in die verschiedenen kulturellen und religiösen Kontexte hineinübersetzt. Da gibt es biblische Stellen bei Paulus, in denen er die jüdischen Vorstellungen von Schuld und Sühne aufgreift. Lukas dagegen kann mit solchen Bildern wenig anfangen. Er übersetzt die Erlösung durch Jesus Christus in die griechische Mentalität, die geprägt ist von Aufklärung und Philosophie. Andere Schriften, wie die Pastoralbriefe, versuchen, das erlösende Geschehen in Jesus Christus in die hellenistische Umwelt hinein zu verkünden. Die hellenistische Umwelt war ein Sammelbecken für die verschiedensten religiösen Strömungen, für griechische und römische Religionsideen, aber auch für die Mysterienkulte aus dem Osten und für persische und ägyptische religiöse Vorstellungen. All diese Versuche, das Geheimnis Jesu Christi in die verschiedensten Sprachen und Kulturen hineinzuübersetzen, ermutigen mich, die Botschaft von der Erlösung immer wieder neu zu buchstabieren, so dass ich selbst sie verstehen kann und dass die Menschen, denen ich in Gesprächen und Vorträgen begegne, sich von der biblischen Botschaft angesprochen fühlen.

Die Bibel hat die Botschaft Jesu nicht in ein dogmatisches System gepresst. Sie hat in vielen Bildern das Geheimnis zum Ausdruck gebracht, dass in Jesus Gott selbst Mensch geworden ist und das menschliche Leben von der Geburt bis zum Tod geheiligt und verwandelt hat. In diesem Jesus Christus ist etwas geschehen, was für alle Zeiten eine heilende Wirkung hat. Aber wie wir diese heilende und befreiende Wirkung verstehen sollen, das kann man nicht in abstrakten Begriffen erklären. Das können uns nur Bilder nahe bringen. Bilder bringen in uns etwas in Bewegung. Sie sprechen uns an. Sie öffnen ein Fenster, damit unser Blick sich weitet und wir verstehen, wer Gott ist, wer Jesus für uns ist und wer wir selbst durch ihn geworden sind. Über Bilder kann man nicht streiten. Sie sprechen an oder aber sie bleiben nichtssagend. Bilder sind nicht wie Begriffe, um die man ringen muss. Sie zeigen uns einen Horizont, in dem wir auf das Geheimnis Gottes und des Menschen schauen. Daher verzichtet eine bildhafte Theologie, wie sie die Kirchenväter entwickelt haben, auf rechthaberische Streitigkeiten. Auch die Kirchenväter ringen um die Wahrheit. Und dafür brauchen sie auch Begriffe. Aber sie wissen immer darum, dass auch die Begriffe letztlich kondensierte Bilder sind, die in eine Richtung weisen, aber die Wahrheit nie in den Griff bekommen.

Für mich ist es wichtig, dass ich kein biblisches Bild als überholt ablehne. Jedes Bild hat seine Berechtigung. Aber es ist immer zu fragen, wie ich ganz persönlich dieses Bild verstehen kann, was es mir zu sagen vermag. Ich darf mir die Bilder nicht zurechtbiegen. Aber es ist legitim zu fragen, was sie mir bedeuten und wie ich sie so sehen kann, dass sie mein Herz ansprechen und auf Erfahrungen antworten, die ich gemacht habe. Wenn ich über Erlösung schreibe, möchte ich daher jedes biblische Bild berücksichtigen. Und ich möchte die vielen Fragesteller und Gesprächspartner ernst nehmen, die mich manchmal vehement angreifen, wenn ich ihnen mein Erlösungsverständnis darlege. Immer wenn einer leidenschaftlich für etwas eintritt, hat diese Vorstellung für ihn existenzielle Bedeutung. Daher braucht es Achtung vor der Meinung des anderen. Aber zugleich darf ich auch da fragen, warum für jemanden diese Vorstellung so wichtig ist, auf welche seelischen Nöte sie antwortet und welche seelische Struktur sie verrät. In meinem Verständnis von Theologie geht es nie darum zu streiten, wer Recht hat. Es geht nicht um Rechthaberei, sondern um eine Annäherung an das Geheimnis Gottes und Jesu Christi. Es geht um den Versuch, zu verstehen, was die Bibel uns erzählt. Verstehen heißt: dass ich mit meiner Erfahrung mich den Bildern der Bibel aussetze und mich durch die Bilder selbst besser verstehen lerne. Ein Bild verstehen heißt immer: sich selbst besser zu verstehen. So geht es mir in diesem Buch nicht um abstrakte Theologie, sondern um die Frage, wie ich das Geheimnis der Erlösung und damit mein eigenes Leben besser verstehen kann. Und es geht mir darum, wie ich die Erlösung durch Jesus Christus in meinem Leben erfahre, wie sie mein Leben verwandelt und was sie zum Gelingen meines Lebens beiträgt.

1Wovon soll der Mensch erlöst werden?

In allen Religionen wird der Mensch als einer geschildert, der von Gott als gut erschaffen wurde, der aber an einem existenziellen Unbehagen leidet. Dieses Unbehagen wird auf verschiedene Weise dargestellt. Im Buddhismus wird das Unbehagen als Blindheit und Unwissen beschrieben. Der Mensch lebt einfach so dahin. Er macht sich Illusionen über die Wirklichkeit. Da braucht er einen erleuchteten Erlöser, der ihm die Augen öffnet, damit er die Wirklichkeit erkennt, wie sie in Wahrheit ist. Der Erlöser zeigt ihm einen Weg, wie er aus der Abhängigkeit von der Welt frei wird und in Gott sein wahres Heil erfährt. Das Johannesevangelium hat Jesus auch als erleuchteten Menschen dargestellt, als Offenbarer, der uns die Augen öffnet, damit wir die eigentliche Wirklichkeit erkennen, damit wir glauben und im Glauben ewiges Leben haben, wahres Leben, Leben, das auch durch den Tod nicht mehr zunichtewerden kann.

In der Gnosis wird das Leid des Menschen als Entfremdung verstanden. Der Mensch ist

aus einer intakten jenseitigen Welt herausgefallen ..., deren Wesen noch in ihm steckt, und zwar in diese Welt von Materie, Leiblichkeit und Finsternis hinein.

Brox 17

Metaphern für die Entfremdung des Menschen sind: Schlaf, Traum, Leidenschaft, Mangel, Betäubung oder Trunkenheit. Der Gnostiker – so meint das gnostische Evangelium der Wahrheit – hat das Wissen erlangt

wie einer, der betrunken war und aus seiner Trunkenheit nüchtern wurde, der sich sich selbst zuwandte und sein Eigenes in Ordnung brachte.

Brox 16

Gnosis ist der Weg zur wahren Selbsterkenntnis. Der Gnostiker erinnert sich, wer er eigentlich von Gott her ist. Selbsterkenntnis geschieht durch Selbsterinnerung. Im gnostischen Text »Buch des Athleten Thomas« spricht der auferstandene Jesus Christus den Gnostiker an:

Prüfe dich selbst, damit du verstehst, wer du bist, wie du existierst und wie du sein wirst ... Es darf nicht sein, dass du dich selbst nicht kennst ... Denn wer sich selbst nicht erkannt hat, hat nichts erkannt, aber wer sich selbst erkannt hat, hat gleichzeitig Wissen erlangt über die Tiefe des Alls.

Brox 17

Solche Texte faszinierten nicht nur damals die Christen, sie sprechen auch heute viele suchende Menschen an. Die christliche Erlösungslehre tut gut daran, auch diesen Ansatz zu berücksichtigen. Das hat schon das Johannesevangelium getan. So dürfen wir auch in dieser Richtung weiterdenken, ohne den gnostischen Irrtümern zu verfallen.

Im Christentum ist das existenzielle Unbehagen vor allem als Sünde und Schuld, als Leiden an der Vergänglichkeit und Sterblichkeit und als Sinnlosigkeit beschrieben worden. Aber auch im Christentum – etwa im Johannesevangelium und in der Mystik – ist die Entfremdung des Menschen von seinem göttlichen Kern als die eigentliche Not des Menschen gesehen worden. Diese Entfremdung zeigt sich im Johannesevangelium als Abgeschnittensein des Menschen von seiner inneren Quelle und als Unfähigkeit zur Liebe. Denn die innerste Quelle, aus der der Mensch lebt, ist die göttliche Liebe, die nie versiegt. Deshalb ist die wahre Heilung des Menschen, dass er mit göttlichem Leben und göttlicher Kraft erfüllt wird.

Viele verbinden heute Erlösung vor allem mit Erlösung von Sünde und Schuld. Doch was heißt das? Ist die Sünde ein juristischer Tatbestand, der durch Jesus gelöscht wird? Oder wird Schuld durch Jesus abgetragen oder gesühnt? Und wie sollen wir das verstehen? Bevor wir auf diese Fragen nach einer Antwort suchen, müssen wir erst einmal das Verständnis von Sünde und Schuld anschauen. Die Sünde wird innerhalb der christlichen und jüdischen Tradition verschieden gesehen. Da ist einmal die Sünde als Übertretung von Gottes Geboten. Der Mensch richtet sich nicht nach den Geboten Gottes, sondern tut, was er will. Die Gebote Gottes sind dabei nicht als rein äußere Vorschriften verstanden, sondern als Weg, wie der Mensch seinem Wesen entsprechend zu leben vermag. Die Gebote sind für die Juden schon ein wesentlicher Teil des erlösenden Handelns Gottes. Gott gibt dem Menschen Gebote, damit er richtig lebt und damit das Zusammenleben innerhalb der Gemeinschaft gelingt. Wenn einer die Gebote übertritt, lebt er letztlich gegen sein eigenes Wesen. Er schadet sich selbst. Er verliert seinen Weg.

Der griechische Begriff von Sünde »hamartia« meint das Verfehlen des Menschen. Der Mensch verfehlt sein Ziel. Er lebt an sich selbst vorbei. Er ist blind für den wahren Weg, der zum Leben führt. Er macht sich Illusionen über sein Leben und lebt nach Maßstäben, die ihm letztlich nicht guttun. Das deutsche Wort Sünde kommt von Sondern, Absondern, Abschneiden, sich Herausnehmen. Jürgen Werbick nennt Sünde die »Verabsolutierung der eigenen Perspektive«. Und er beschreibt die Sünde als

den zunehmend bedenkenlos ausgelebten Trend, sich ohne viel Rücksicht auf die gegebenen Zusammenhänge, unter Missachtung der Nebenwirkungen für andere und anderes, etwas herauszunehmen und die Verantwortung für all das, was dieser Eingriff auch noch anrichtet, fröhlich zu ignorieren.

Werbick 173

Heute zeigt sich dieses Herausnehmen auf Kosten der anderen einmal darin, sich die natürlichen und humanen Ressourcen herauszunehmen und den anderen die Folgewirkungen aufzuladen, sich den Spaß herauszunehmen

und fröhlich zu ignorieren, was man denen wegnimmt und verweigert, mit denen man seinen Spaß hat,

sich nur Informationen herauszugreifen,

mit denen man eigene Interessen durchsetzen kann, ohne Rücksicht darauf, was dieser selektive Informationseinsatz zerstört, an Lebensmöglichkeiten und Reifungschancen, an mitmenschlicher Achtung.

Werbick 174

Und man nimmt sich nur die schönen Seiten des Lebens heraus und verdrängt das Leid. Man wälzt es auf andere ab oder entzieht den Leidenden die Aufmerksamkeit. Erlösung von der Sünde ist dann Perspektivenwechsel: Statt sich herauszunehmen, alles im Zusammenhang zu sehen und zu belassen,

Verdrängte und Verdrängtes hereinzuholen, Abgespaltenes zu leben, Ignoriertes geltend zu machen, also jenen großen heilvollen Zusammenhang neu wahrzunehmen, der in Gottes Schöpferwille und Weisheit seinen Grund hat und in Gottes Herrschaft seine Vollendung finden soll.

Werbick 182

In diesem Sündenverständnis von Jürgen Werbick geschieht Erlösung von der Sünde nicht allein durch den Tod Jesu und nicht durch einen Akt der Sühne, sondern durch das ganze Dasein Jesu. Jesus hat in seinem Leben und Sterben, in seinen Worten und Taten uns eine neue Perspektive aufgezeigt. Und darin geschieht Erlösung.

Der Begriff der Sünde als Verfehlen wird ergänzt durch den Begriff der Schuld. Sünde bezieht sich mehr auf das Handeln des Menschen. Schuldig wird der Mensch als Ganzer, einmal indem er sich selbst oder andere verletzt. Das kann durch eine Tat geschehen. Der Mensch kann aber auch schuldig werden, indem er sich weigert, seine eigene Wirklichkeit anzuschauen und ihr gemäß zu leben. Für den Schweizer Therapeuten C. G. Jung ist Schuld Spaltung. Der Mensch spaltet einen Teil von sich selbst ab. Er verleugnet oder verdrängt ihn. Damit wird er nicht nur sich selbst gegenüber schuldig, sondern auch Gott gegenüber, der ihn so geschaffen hat, wie er nun einmal ist. Er missachtet seine göttliche Würde. Die Schuld schließt den Menschen aus der menschlichen Gemeinschaft aus. Wer sich schuldig fühlt, kann sich selbst kaum annehmen. Und er hat den Eindruck, dass er sich der menschlichen Gemeinschaft nicht zumuten darf. Er hat das Gefühl, die anderen würden ihn ablehnen, wenn sie nur wüssten, was in ihm für Gedanken und Phantasien seien oder was er an Bösem getan habe.