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Die Ausgabe 49 des Magazin erwachsenenbildung.at (Meb) bildet den Status quo des Nachhaltigkeitsdiskurses in der Erwachsenenbildung ab, beschreibt das konkrete, praktische Handeln und zeigt zukunftsweisende Ideen und Perspektiven. Die Beiträge beleuchten theoretisch verankerte Konzepte und Lösungsideen sowie praktische Umsetzungsbeispiele ebenso wie Blinde Flecken und unterschiedliche Dilemmata, die sich in diesem Kontext ergeben. Die Autor*innen machen deutlich, dass Bildungsprozesse allein die Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen können. Ein solcher Zugang birgt die Gefahr, die Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung auf das Individuum zu übertragen, ohne die strukturellen Probleme und Zusammenhänge ausreichend zu berücksichtigen. Es bedarf daher einer kritischen Reflexion der bestehenden Systeme und Strukturen in Hinblick auf deren Beitrag zur Nachhaltigkeit, und es braucht alternative Ansätze, die über einen individualisierten Zugang hinaus emanzipatorische und kollektive Prozesse betonen und strukturelle Veränderungen anstoßen. (Red.)
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Seitenzahl: 268
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Aus der Redaktion
01
Editorial
Franz Rauch und Julia Schindler
Thema
02
Transformative Bildung – ein Weg zur Nachhaltigkeit?
Werner Wintersteiner, Christiana Glettler, Heidi Grobbauer, Hans Karl Peterlini, Franz Rauch und Regina Steiner
03
Erwachsenenbildung für nachhaltige Entwicklung? Eine Problematisierung aus ökofeministischer Perspektive
Maria Stimm und Simone Müller
04
Ökologie der Veränderung. Partizipative Erwachsenenbildung als „Labor“ für nachhaltige Entwicklung
Lea Pelosi
05
Politische Bildung für nachhaltige Entwicklung an Volkshochschulen. Spannungsfelder und Herausforderungen in der Programmplanung
Michael Nagel
06
„Künstliche Intelligenz“ und soziale Nachhaltigkeit. Ethische Prinzipien für KI-Technologien als Lösungen für die globale Reduktion von Armut und Ungleichheit?
Johann Cas
Standpunkt
07
Transformative Erwachsenenbildung. Ein Plädoyer für vielgestaltige und reflexive Ansätze
Hans Holzinger
08
Nachhaltige Entwicklung in der Erwachsenenbildung. Chancen für gesellschaftliche Transformation
Cornelia Malojer
09
Digitalisierung und ihre ökologischen Auswirkungen. Ein Interview mit Barbara Zuliani
Raphael Krapscha
Praxis
10
Bildung für nachhaltige Entwicklung – (k)ein Thema für Bibliotheken?! Bibliotheken als Akteure und Partner in der Bildung für nachhaltige Entwicklung
Petra Hauke
11
Green Guidance: Nachhaltigkeit in der Bildungs- und Berufsberatung. Am Beispiel der Bildungsberatung Niederösterreich und des Projekts„Green Jobs for YOU“
Wolfgang Bliem, Margit Helene Meister und Rosemarie Pichler
12
„Ich tu´s“ – die Initiative Klimaschutz in der Steiermark. Sensibilisierung, Klimacheck und Weiterbildung für die steirische Erwachsenenbildung
Karin Dullnig, Daniela List und Andrea Widmann
13
Klimagerechte Alltagspraxen (klAP). Ein partizipatives Projekt zum Klimawandel für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte
Celine Wawruschka
14
Nachhaltigkeit im virtuellen Klassenzimmer. Das Erasmus+ Projekt SCLASS am BFI Oberösterreich
Daniela Neudorfer und Marlies Auer
Kurz vorgestellt
15
„Natur im Garten“. Eine Initiative des Landes Niederösterreich zur Ökologisierung von Gärten und Grünräumen
Anna Leithner
Rezension
16
Außerschulische Bildung Heft 3/2020: Die Klimakrise und die gesellschaftlichen Folgen. Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V. (Hrsg.)
Werner Lenz
Englischsprachige bzw. bei englischsprachigen Artikeln deutschsprachige Abstracts finden sich im Anschluss an die Artikel (ausgenommen Rezensionen).
Franz Rauch und Julia Schindler
Rauch, Franz/Schindler, Julia (2023): Editorial. In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 49, 2023. Online: https://erwachsenenbildung.at/magazin/ausgabe-49.
Schlagworte: Nachhaltigkeit, Erwachsenenbildung, Sustainable Development Goals, SDGs, Bildung für nachhaltige Entwicklung, transformatives Lernen, transformative Bildung, gesellschaftliche Transformation
Abstract
Die Ausgabe 49 des Magazin erwachsenenbildung.at (Meb) bildet den Status quo des Nachhaltigkeitsdiskurses in der Erwachsenenbildung ab, beschreibt das konkrete, praktische Handeln und zeigt zukunftsweisende Ideen und Perspektiven. Die Beiträge beleuchten theoretisch verankerte Konzepte und Lösungsideen sowie praktische Umsetzungsbeispiele ebenso wie Blinde Flecken und unterschiedliche Dilemmata, die sich in diesem Kontext ergeben. Die Autor*innen machen deutlich, dass Bildungsprozesse allein die Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen können. Ein solcher Zugang birgt die Gefahr, die Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung auf das Individuum zu übertragen, ohne die strukturellen Probleme und Zusammenhänge ausreichend zu berücksichtigen. Es bedarf daher einer kritischen Reflexion der bestehenden Systeme und Strukturen in Hinblick auf deren Beitrag zur Nachhaltigkeit, und es braucht alternative Ansätze, die über einen individualisierten Zugang hinaus emanzipatorische und kollektive Prozesse betonen und strukturelle Veränderungen anstoßen. (Red.)
Franz Rauch und Julia Schindler
Die Frage nach Lebensweisen, die die Erde länger in einem für Menschen bewohnbaren Zustand halten, ist drängender denn je und stellt auch die Erwachsenenbildung vor große Herausforderungen. Dabei geht es um ein Ineinandergreifen von Umweltschutz, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Ökonomie. Die Komplexität dieses Ineinandergreifens zu er fassen und in die vielfältigen Bereiche der Erwachsenenbildung mit ihren unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Kontexten zu integrieren, erfordert eine umfassende Herangehensweise und kann nicht auf eine einzelne Strategie reduziert werden.
Einerseits ist es erfreulich zu sehen, dass immer mehr Institutionen und Personen in der Erwachsenenbildung sich dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung verschreiben. Es gibt zahlreiche Praxisbeispiele, die zeigen, wie Bildung dazu beitragen kann, das Bewusstsein und die Kompetenz für eine nachhaltige Zukunft zu stärken. Auch im Bereich Governance und Bildungsplanung ist die Thematik präsent und wird über unterschiedliche theoretische Kanäle reflektiert.
Andererseits können durch Bildungsprozesse allein die Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden. Im Nachhaltigkeitsdiskurs sind die Themen Klimawandel und Biodiversitätsverlust zurzeit zentral. Da die Folgen dieser Umweltveränderungen soziale Gruppen unterschiedlich stark treffen, sind damit unter anderem die Ziele der Armutsbekämpfung und Geschlechtergerechtigkeit verbunden. Diese dürfen keinesfalls vernachlässigt werden. Bildungsprozesse als einseitiges Agens der Veränderung zu sehen, birgt die Gefahr, Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung auf das Individuum zu übertragen, ohne die strukturellen Probleme und Aspekte ausreichend zu berücksichtigen. Es ist nicht zielführend, den Nachhaltigkeitsgedanken als „Label“ zu instrumentalisieren, nur oberflächlich bemüht, ohne tatsächlich grundlegende Veränderungen anzustoßen.
Es bedarf deshalb alternativer Ansätze, die über einen individualisierten Zugang hinausgehen, emanzipatorische und kollektive Prozesse betonen und strukturelle Veränderungen anstoßen. Hierzu gehört auch eine kritische Reflexion der bestehenden Bildungssysteme und -strukturen und deren ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und leistungsorientierten Glaubenssätze, die beispielsweise oft wenig Raum für eine systemische Betrachtung des Nachhaltigkeitsthemas zulassen. Mit ihrer langen Tradition der Selbstreflexion und Selbstkritik ist die Erwachsenenbildung gut gerüstet, um neue Ideen aufzugreifen und diese auch praktisch umzusetzen.
Die vorliegende Ausgabe des Magazin erwachsenenbildung.at zum Thema „Nachhaltigkeit und Erwachsenenbildung“ hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, sowohl den Status quo des Nachhaltigkeitsdiskurses und das konkrete, praktische Handeln in der Erwachsenenbildung abzubilden als auch zukunftsweisende Ideen und Perspektiven auf zeigen. Dabei geht es darum, die unterschiedlichen Dilemmata und Herausforderungen zu benennen, kritische Reflexion und auch unpopuläre Meinungen zuzulassen und Räume zur Umsetzung von Ideen und Plänen zu schaffen – mit dem Ziel einer um fassenden Betrachtung der Nachhaltigkeit im Kontext Erwachsenenbildung sowie einer kritischen Reflexion struktureller Rahmenbedingungen.
Dementsprechend vielfältig sind die Beiträge dieser Ausgabe bezüglich der Themen, Perspektiven und Stoßrichtungen.
Werner Wintersteiner, Christiana Glettler, Heidi Grobbauer, Hans Karl Peterlini, Franz Rauch und Regina Steiner untersuchen die Rolle der pädagogischen Praxis in Bezug auf gesellschaftlichen Wandel und die Transformation hin zu einer nachhaltigen Weltgesellschaft. Sie zeigen auf, dass Pädagogik zwischen gesellschaftlichen Zielen und der Autonomie der Lernenden agieren kann, indem sie sich auf konkrete Lebensbedingungen und deren Auswirkungen konzentriert. Der Beitrag schließt mit neun Fragen an politische Pädagogiken als Gradmesser für deren transformative Qualität.
Maria Stimm und Simone Müller plädieren dafür, die Voraussetzungen des BNE-Konzepts kritisch zu hinterfragen und mit alternativen Perspektiven, etwa ökofeministischen Ansätzen und deren post-anthropozentrischer Erweiterung, emanzipatorische Denk- und Handlungsmöglichkeiten zu entwerfen. Zentral dabei ist für sie die Verknüpfung von Geschlechterthemen, (globaler) sozialer Ungleichheit, Kapitalismuskritik und Umweltzerstörung sowie die Fokussierung auf materielle, ideologische und normative Bedingungen und Grenzen von Nachhaltigkeit.
Lea Pelosi spricht in ihrem Beitrag jenes Unbehagen an, das entsteht, weil Bildung für nachhaltige Entwicklung sowohl die Auseinandersetzung mit komplexen Zusammenhängen erfordert als auch die Bereitschaft, im Ungewissen zu handeln. Wie die Erwachsenenbildung diesem Unbehagen begegnen könnte, demonstriert sie am Beispiel des Erasmus+ Projekts „Bridging Barriers“ und zeigt das Potenzial partizipativer Settings in der Erwachsenenbildung für die Auseinandersetzung mit nachhaltigen Entwicklungsprozessen auf.
Michael Nagel analysiert die Programmplanung deutscher und österreichischer Volkshochschulen im Bereich politische Bildung für nachhaltige Entwicklung. Seine Ergebnisse zeigen, dass nur wenige Angebote explizit Nachhaltigkeitsthemen in deren Ankündigungstext adressieren. Ist der Bezug eindeutig, handelt es sich überwiegend um Einzelveranstaltungen wie Vorträge. Der Bedarf an Bildungsangeboten zum Thema Nachhaltigkeit sei aus Sicht zweier befragter Expertinnen zwar vorhanden, diese würden sich wirtschaftlich aber nicht rechnen, Kooperationen mit Drittanbietern seien eine Möglichkeit, diesem Bedarf nachzukommen.
Johann Cas fragt in seinem Beitrag, wie ethische Prinzipien für KI-Technologien helfen können, Armut und Ungleichheit global zu reduzieren. Er untersucht Konzepte und Empfehlungen hinsichtlich ihres Beitrags zur Reduktion von Ungleichheiten und Armut wie auch KI-Initiativen der Europäischen Union (z.B. die Ethik-Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI, das Weißbuch zur Künstlichen Intelligenz oder den Vorschlag für ein KI Gesetz/AI Act) und globale KI-Initiativen (z.B. die KI-Ethik-Empfehlungen der UNESCO, der OECD und des IEEE) auf ihre Bezüge zu sozialer Nachhaltigkeit. Sein Ergebnis ist: Soziale Nachhaltigkeit kommt darin kaum vor.
Hans Holzinger hinterfragt, wie wir von der Erkenntnis über nachhaltiges Handeln zur tatsächlichen Transformation in eine nachhaltige Gesellschaft gelangen können. Er hebt die Bedeutung der Transformationsforschung hervor, die nach den Barrieren und Erfolgsfaktoren für Veränderung sucht, und fordert eine erweiterte Perspektive in der Erwachsenenbildung, die sich auch mit (wirtschafts-)politischen und systemischen Bildungsangeboten befasst und strategische Fragen der Umsteuerung thematisiert.
Cornelia Malojer argumentiert, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Erwachsenenbildung noch nicht ausreichend etabliert ist, obwohl sie das Potenzial hat, positive Veränderungen zu bewirken und zur nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Sie benennt das Konzept des transformativen Lernens als besonders lohnenden Ansatz, der darin stärkt, sich reflexiv und kritisch an gesellschaftlichen Diskursen zu beteiligen und übernommene Überzeugungen zu hinterfragen.
Raphael Krapscha unterhielt sich in seinem Interview mit der Medienpädagogin Barbara Zuliani darüber, worin für sie die größten Vorteile und Nachteile der Digitalisierung für die Umwelt liegen und an welchen Beispielen sich diese festmachen lassen. Potenzial der Digitalisierung für die Umwelt sieht Barbara Zuliani in der Mobilität, im Bereich der Energieeffizienz und auch im Bildungsbereich, etwa um Bildungsinhalte ressourcenschonend zu vermitteln.
Petra Hauke thematisiert in ihrem Beitrag die oft unterschätzte Rolle von Bibliotheken als Akteure und Partner in der Bildung für nachhaltige Entwicklung und stellt u.a. auch das Konzept „Grüne Bibliotheken“ vor: Diese setzen auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit, dienen als Vorbild und bieten innovative Bildungsangebote wie Urban-Gardening-Projekte, Repair-Cafés und Saatgut-Bibliotheken. Demonstriert wird die wichtige Rolle von Bibliotheken als zugängliche Bildungseinrichtungen für eine nachhaltige Entwicklung.
Wolfgang Bliem, Margit Helene Meister und Rosemarie Pichler stellen das Projekt „Green Guidance: Nachhaltigkeit in der Bildungs- und Berufsberatung“ vor und zeigen anhand des Beispiels der Bildungsberatung Niederösterreich und des Projekts „Green Jobs for YOU“ auf, wie Bildungs- und Berufsberatung einen Beitrag zu einer gerechten und nachhaltigen Zukunft leisten können. Ihr Fokus ist dabei, Auswirkungen von Bildungs- und Berufswahl auf die Umwelt sowie Fragen der sozialen Gerechtigkeit in der Bildungsberatung zu berücksichtigen, mit dem Ziel, junge Erwachsene an grüne Berufe heranzuführen.
Celine Wawruschka präsentiert das Projekt „Klimagerechte Alltagspraxen“ (klAP), das sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte für den Klimawandel zu sensibilisieren. Durch ein partizipatives Format werden individuelle, alltagsrelevante Maßnahmen entwickelt, um den Klimawandel auf Basis der Lebenswirklichkeit der Teilnehmer*innen zu verlangsamen. Deutlich wird die Bedeutung der Einbindung unterschiedlicher Perspektiven bei der Vermittlung von Nachhaltigkeitsthemen.
Daniela Neudorfer und Marlies Auer veranschaulichen anhand einer konkreten Umsetzung, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Erwachsenenbildung aussehen kann. Sie schildern konkrete Lerneinheiten zu Nachhaltigkeitsthemen in einer internationalen Lerngruppe im Rahmen des Erasmus+ Projekts „SCLASS – sustainability in shared classrooms“, die im Kontext Pflichtschulabschluss vom BFI OÖ umgesetzt wurden, und ziehen eine positive und zum Nachmachen ermutigende Bilanz.
Karin Dullnig, Daniela List und Andrea Widmann stellen Leitgedanken, Handlungsfelder und Angebote der vom Land Steiermark beauftragten und seit 2012 bestehenden Klimainitiative „Ich tu’s – für unsere Zukunft“ vor. Einrichtungen der Erwachsenenbildung und selbstständig tätige Trainer*innen haben die Möglichkeit, neben einem systematischen Klimacheck (inklusive Klimaschutz-Fachberatung und Prozessbegleitung bei der Organisationsentwicklung), auf Informations- und Lehrmaterialien zuzugreifen und die Netzwerkaktivitäten der „Ich tu’s-Bildungspartner*innen“ zu nutzen. Die Erfahrungen aus der Initiative zeigen: Klimaschutz ist ein Thema der Organisationsentwicklung und bedarf des Dranbleibens. Den Abschluss des Beitrags bilden vier Kurzvorstellungen aus der Redaktion von an Ich tu’s beteiligten Einrichtungen der Erwachsenenbildung.
Die Kurzvorstellung „Natur im Garten“ von Anna Leithner präsentiert die gleichnamige Initiative des Landes Niederösterreich, die sich der ökologischen Gestaltung und Pflege von Gärten und Grün räumen widmet und eine nachhaltige Gartenkultur anstrebt. Dabei spielt die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten eine entscheidende Rolle, die in unterschiedlichsten Formaten realisiert wird.
Werner Lenz rezensiert Heft 3 der Zeitschrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung „Außer schulische Bildung“ aus dem Jahr 2020 mit dem bezeichnenden Titel „Die Klimakrise und die gesellschaftlichen Folgen“. Sein Fazit: Grundsätzliche Fragen und praxisorientierte Anliegen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung werden wissenschaftlich fundiert dargestellt, für die Bildungstätigkeit mit Jugendlichen und Erwachsenen zahlreiche Impulse gegeben.
Die Jubiläumsausgabe 50 des Magazin erwachsenenbildung.at widmet sich einem Thema, das als Grundgedanke wohl so alt ist wie die Erwachsenenbildung selbst: Teilnehmer*innenorientierung. Sie steht für die Aufforderung, den*die Erwachsene*n als autonomes Subjekt in den Mittelpunkt gelingender Bildungsbemühungen zu stellen. Sie wird von Anita Brünner und Elke Gruber herausgegeben und erscheint im Herbst 2023.
Die von Philipp Schnell und Kurt Schmid herausgegebene Ausgabe 51, die im Februar 2024 veröffentlicht werden soll, thematisiert die berufliche Weiterbildung. Sie fragt nach der Rolle betrieblicher Weiterbildungsprozesse und der Relevanz außerbetrieblicher Strukturen für die berufliche Weiterbildung vor dem Hintergrund des Strukturwandels und dessen Effekte auf den österreichischen Arbeitsmarkt. Artikel können bis 31. August 2023 eingereicht werden.
Mit dem Thema „Wissenschaft und Kommunikation“ setzt sich die Ausgabe 52 (Juni 2024) auseinander. Auch dieses Thema – im Sinne von Popularisierung von Wissenschaft, Bildung von kritischem Bewusstsein und Bildung der Massen – war seit jeher zentrales Anliegen der Erwachsenenbildung. Die Herausgeber Lukas Wieselberg und Stefan Vater fragen nach der Geschichte der Wissenschaftskommunikation sowie der Vermittlung und Demokratisierung von Wissenschaft in der Erwachsenenbildung ebenso wie nach Wissenschaftsskepsis und Praxisbeispielen oder Reflexionen zu Konzepten öffentlicher demokratischer Wissenschaft.
Die jeweils offenen Calls und Themen künftiger Ausgaben sowie sämtliche Informationen für Autor*innen zum Einreichen von Artikeln finden sich unter: https://erwachsenenbildung.at/magazin/calls.php.
Franz Rauch arbeitet am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung (IUS) an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Er hat einen Masterabschluss in Naturwissenschaften (Lehramt), promovierte an der Universität Graz und habilitierte (mit Schwerpunkt Umweltbildung) an der Universität Klagenfurt. Er ist seit vielen Jahren in Forschungs- und Entwicklungsprojekten auf nationaler und internationaler Ebene tätig. Er war als Gastwissenschaftler in Newcastle upon Thyne, England, und als Fulbright-Stipendiat in St. Louis, USA, tätig. Er ist einer der Herausgeber des Educational Action Research Journal und des Journals ARISE und arbeitet in Redaktionsausschüssen anderer Zeitschriften (The Journal of Environmental Education und The Journal of Work-Applied Management) mit. Seine Forschungs-, Lehr- und Publikationsschwerpunkte sind Bildung für nachhaltige Entwicklung, Netzwerke in der Bildung, Schulentwicklung, wissenschaftliche Bildung, Lehrer*innenfortbildung und Aktionsforschung.
[email protected] +43 (0)699 11440047
Julia Schindler war seit ihrem Studienabschluss in Angewandter Linguistik (Innsbruck und Jyväskylä) lange Zeit in der Basisbildung tätig: sowohl als Trainerin als auch in leitender Position. Aktuell liegt der Fokus ihrer Arbeit auf eLearning und digital unterstütztem Lernen in unterschiedlichen Kontexten der Erwachsenenbildung. Im Zweitberuf ist sie Informatikerin.
Abstract
Issue 49 of The Austrian Open Access Journal on Adult Education (Magazin erwachsenenbildung.at – Meb in German) depicts the status quo of the discourse on sustainability in adult education, describing concrete, practical action and showing groundbreaking ideas and perspectives. The articles examine theoretically based concepts and ideas for solutions as well as examples of their implementation in practice along with blind spots and different dilemmas that arise in this context. The authors make clear that educational processes alone cannot achieve sustainability goals. Such an approach runs the risk of transferring the responsibility for sustainable development to the individual without sufficient consideration of structural problems and interconnections. It requires critical reflection on the existing systems and structures with regard to their contribution to sustainability, and it necessitates alternative approaches that stress emancipatory and collective processes beyond an individualized approach and initiate structural changes. (Ed.)
Werner Wintersteiner, Christiana Glettler, Heidi Grobbauer, Hans Karl Peterlini, Franz Rauch und Regina Steiner
Wintersteiner, Werner/Glettler, Christiana/Grobbauer, Heidi/Peterlini, Hans Karl/Rauch, Franz/ Steiner, Regina (2023): Transformative Bildung – ein Weg zur Nachhaltigkeit? In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 49, 2023. Online: https://erwachsenenbildung.at/magazin/ausgabe-49.
Schlagworte: Nachhaltigkeit, Transformative Bildung, nachhaltiger Lebensstil, gesellschaftliche Transformation, pädagogisches Handeln, politische Bildung, Mezirow
Abstract
„Transformation“ (auch „social change“ oder „global cultural change“) bezeichnet eine Umgestaltung des Bestehenden im Sinne eines tiefgreifenden kulturellen und strukturellen Wandels. Was kann pädagogisches Handeln für den gesellschaftlichen Wandel, für die Transformation in eine nachhaltige Weltgesellschaft leisten? Und welches Veränderungspotenzial haben Lernen und Bildung für den einzelnen Menschen? Diese Fragen stehen hinter den Begriffen „Transformative Bildung“ oder „Transformatives Lernen“, die auf Jack Mezirow zurückgehen, über dessen Lerntheorie aus den 1970er Jahren aber hinausgehen. Beide Begriffe werden oft als Zauberformeln für gesellschaftliche Transformation missverstanden. Tatsächlich implizieren sie aber kritische Fragen. Zum Beispiel: Wie kann sich Pädagogik im Spannungsfeld zwischen normativen gesellschaftlichen Zielen und dem Ziel der Autonomie der Lernenden bewegen? Ein Ansatz wäre, statt normativer Vorgaben für einen nachhaltigen Lebensstil die Menschen aufzufordern, sich mit ihren konkreten Lebensbedingungen und deren Auswirkungen auseinanderzusetzen. Auch Pädagog*innen und Erwachsenenbildner*innen müssen sich selbst immer wieder kritisch hinterfragen und in Kontakt und Austausch mit politischen Bewegungen treten, die an sozial-ökologischer Transformation arbeiten. Ansatzpunkte, wie dies gelingen kann, finden sich in den Traditionen des Globalen Lernens und von Global Citizenship Education, in der Entwicklungspädagogik und in der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). (Red.)
Werner Wintersteiner, Christiana Glettler, Heidi Grobbauer, Hans Karl Peterlini, Franz Rauch und Regina Steiner
„Transformatives Lernen für Mensch und Erde ist überlebensnotwendig für uns und für künftige Generationen. Die Zeit zu lernen und für unseren Planeten zu handeln ist jetzt.“
Berliner Erklärung der UNESCO zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, Mai 2021
Transformative Bildung ist eine neue Form, alte Fragen zu stellen – die Frage nach dem Veränderungspotenzial von Lernen und Bildung für den einzelnen Menschen und die Frage nach der Wirksamkeit pädagogischen Handelns für einen gesellschaftlichen Wandel. Gesellschaftlicher Wandel wird vorwiegend als Antwort auf die gegenwärtige globale Polykrise begriffen und als Arbeit an einer Nachhaltigkeit, die eine sozial-ökologische Transformation zur Voraussetzung hat.1„Als politischer Diskurs reagiert Nachhaltigkeit somit auf eine fundamentale Krise des Verhältnisses von Natur und Kultur und ist als Programm einer globalen Transformation in eine nachhaltige Weltgesellschaft zu verstehen, in dem Bildung und Wissenschaft eine entscheidende Rolle zugewiesen wird“ (Kehren 2017, S. 63). Transformation zu bewirken, bedarf eben auch pädagogischer Anstrengungen.
Aus diesem Anspruch ergeben sich grundlegende Fragen und einige pädagogische Dilemmata: Wie wirken personale Lern- und Bildungsprozesse mit gesellschaftlichen Ansprüchen und Bedingtheiten zusammen? Welche Rolle nehmen pädagogische Angebote und pädagogische Intervention in diesem komplexen Geschehen ein? Bleibt die Wirksamkeit pädagogischen Handelns eine unbestätigte Hoffnung oder kann sie empirisch nachgewiesen werden? Ist das Postulat der Wirksamkeit nicht unvereinbar mit dem Postulat der Freiheit der Lernenden? Wie kann ein Balanceakt zwischen diesen Polen gelingen? Sind Lernen und Bildung als autonome Leistungen des*der Einzelnen oder als gesellschaftliche Steuerungen des Individuums zu verstehen?
Transformative Bildung und Transformatives Lernen benennen diese Problematiken auf ihre Weise und eröffnen dadurch einen Diskussionsraum. Sie können aber auch, sofern sie als Zauberformeln (miss-)verstanden werden, die Problematiken hinter den Begriffen verdecken und diese der ständig nötigen kritischen Auseinandersetzung entziehen.
Transformation setzt sich von anderen Vorstellungen des Wandels – vor allem von Reform und Revolution – deutlich ab. Reform evoziert die Möglichkeit von Veränderungen ohne die Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels, die Veränderungen bleiben dabei innerhalb der bestehenden Strukturen. Revolution wiederum will als radikale und meist schnelle gewaltsame Veränderung mit dem Bestehenden tabula rasa machen und unterscheidet in der Regel nicht zwischen dem, was erhalten werden, und dem, was verändert werden muss. Sie enthält auch nicht die Idee eines vorausgehenden oder begleitenden gesellschaftlich-kulturellen Wandels. Dem steht die Idee der Transformation gegenüber, die Konservierung und Veränderung zusammendenkt und das Bestehende als Ausgangsbasis für Umgestaltung betrachtet. Umgestaltung ist auch die Leitidee der Metamorphose, die der französische Soziologe und Philosoph Edgar Morin (2012) als sozialwissenschaftlichen Term ins Spiel brachte. Die Metamorphose, wörtlich „Gestaltsumwandlung“, ermöglichte es beispielsweise Pflanzen in unterschiedliche Lebensräume vorzudringen und die heutige Artenvielfalt hervorzubringen, indem ihre Grundorgane gänzlich neue Funktionen übernahmen.
Mittlerweile ist im öffentlichen Diskurs der Begriff „Große Transformation“ (seltener: Transition bzw. Metamorphose) mit seiner Zielvorstellung der sozial-ökologischen Wende angekommen. Damit ist auch die Idee eines tiefgreifenden kulturellen Bewusstseinswandels verbunden. Allerdings bietet die genaue Bedeutung der „Großen Transformation“ einen weiten Interpretationsspielraum, d.h., es findet sich eine große Bandbreite an Vorstellungen, was wie transformiert werden soll. Die Diskussion bzw. der politische Streit darüber sind unvermeidbar und unabschließbar. Konkrete Vorschläge wie die Sustainable Development Goals (SDGs), die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO, werden von den einen als viel zu weitreichend und von den anderen als völlig ungenügend eingeschätzt.
Diese Auseinandersetzungen über den konkreten Inhalt einer Großen Transformation wirken auch in die pädagogischen Konzepte hinein, die sich als transformativ verstehen. Bei Global Citizenship Education zum Beispiel kehrt diese Debatte als Gegensatz von „soft“ und „critical“ Global Citizenship Education (GCED) wieder (siehe Andreotti 2006), bei Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) als Gegensatz von der traditionellen und der „emanzipatorischen Form der BNE“ (Singer-Brodowski 2016, S. 132).
Eine sozial-ökologische Transformation kann nicht ohne die kritische Analyse der Ursachen der gegenwärtigen Polykrise und nicht ohne den Blick auf Fragen der Gerechtigkeit erfolgen. Das Zusammendenken von Transformation und Postkolonialismus ist daher ein zentraler Aspekt (siehe Ashcroft 2017; Chakrabarty 2012; Dürbeck 2020; Ferdinand 2019). Unter Stichworten wie dekoloniale Ökologie ( écologie décoloniale) oder postcolonial ecocriticism werden der westliche Universalismus und Euro zentrismus vieler Transformationskonzepte kritisiert. Diese Positionen in bestehende transformative Pädagogiken zu integrieren, bleibt ein Desiderat.
Eine „Übersetzung“ der Ansprüche von Ökonomie, Politik, Religion, Ethik und Ästhetik in pädagogisch legitime Ansprüche (siehe Benner 2015) wirft die Frage auf, wie diese pädagogische Legitimität begründet wird. Normative Soll-Vorgaben für Lern- und Bildungsziele sind deshalb problematisch, weil die bestimmende Instanz auch innerhalb der Pädagogik – und damit auch in der Erwachsenenpädagogik – nicht von vornherein feststeht und Pädagogik nicht davor gefeit ist, das Subjekt unter manipulative Zwänge zu stellen.
Mit Pädagogik kann nach Benner sowohl das Erziehungshandeln als auch dessen wissenschaftliche Reflexion und theoretische Systematisierung gemeint sein, ebenso wie mit der Praxis der Politik sowohl Bürger*innen, Zivilgesellschaft, Parteien, Institutionen gemeint sind. Somit finden Aushandlungsprozesse sowohl innerhalb der Praxen als auch zwischen den Praxen statt; wer die jeweiligen normativen Setzungen vornehmen kann, bleibt immer offen. Dem kann, zumindest teilweise, mit einem Perspektivenwechsel von der Zielvorgabe für Lernen und Bildung hin zu den Lern- und Bildungsprozessen selbst begegnet werden. Zwar kann Pädagogik Politik nicht ersetzen, das bedeutet aber nicht, dass sich die pädagogische Verantwortung verringert.
Franz Hamburger (2010) betont, dass Politik nicht die Pädagogik ersetzen dürfe, diese dürfe sich nicht ihrer Spielräume berauben lassen und müsse ihre Aufgaben innerhalb ihrer Begrenzungen wahrnehmen und gegenüber den Praxen vertreten. Dadurch wird Pädagogik als Praxis von Lernen und Bildung zwangsläufig auch politisch.
Lernen und Bildung können in einem Verständnis von Lernen als bildende Erfahrung zusammengedacht werden. Da Erfahrungen weder von den Lernenden noch von den Lehrenden a priori bestimmt werden können, stellt sich das Problem der von der Systemtheorie als „Technologiedefizit“ der Pädagogik diagnostizierten prinzipiellen Ergebnisoffenheit jedweden pädagogischen Handelns. Transformative Bildung ermöglicht es, die Grenzen der pädagogischen Kunst anzunehmen und eröffnet Perspektiven jenseits normativer Vorgaben und didaktischer Selbstüberschätzung.
An die Stelle normativer Vorgaben für Transformatives Lernen und Transformative Bildung kann eine Pädagogik treten, die dazu einlädt und auffordert, dass Menschen mit ihren konkreten Lebensbedingungen und deren Auswirkungen – im Kleinen wie im Großen, lokal und global – in Beziehung treten. Selbsttätigkeit und Empfänglichsein als Prinzipien des Humboldt’schen Bildungsideals bedürfen der Erprobungsräume, in denen Lehr-Lern-Hierarchien abgeflacht sind, sodass Erfahrungen möglichst angstfrei gemacht und (selbst-)kritisch reflektiert werden können: „Dabei geht es um nichts weniger, als um die Überbrückung genau jener Distanz, die Menschen von den Folgen ihres Handelns abtrennt und jenes bewusstlose, entfremdete Handeln erlaubt, das am Beginn von Fremd- und Selbstzerstörung steht. Lernen als Erfahrung, die auf das eigene Tun reflektiert [wird], ist der nötige Schritt, wieder mit sich selbst und der Welt in Verbindung zu sein“ ( Peterlini 2018, S. 101).
Damit wird gewissermaßen die Empathie selbst zur normativen Setzung. Dies kann als eine diesem Ansatz innewohnende Ambivalenz wahrgenommen werden. Das Ermöglichen von Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Lernenden und Wissensinhalten, zwischen Mensch und Welt wäre damit eine normative Vorgabe. Was in diesem Zwischen geschieht, entzieht sich allerdings dem pädagogischen Zugriff. Vertraut werden muss darauf, dass die Herstellung von Beziehung jene Indifferenz – von Adorno (1970) „Kälte“ genannt – überwindet, die Zerstörung zulässt und Änderung erschwert.
Ungeachtet dieser Aporien und Dilemmata ist eine emanzipatorische Pädagogik bemüht, auf ihre Weise zu einer gesellschaftlichen Transformation beizutragen. Dabei ist es unvermeidlich, dass die Widersprüche und Fragestellungen bei „politischen Pädagogiken“ in konkreter Form wiederkehren.
Transformation und verwandte Begriffe wie „social change“ und „global cultural change“ u.Ä. beziehen sich aus der Perspektive der sich als emanzipatorisch verstehenden Pädagogiken vor allem auf einen kulturellen Wandel, der sowohl die gesellschaftlichen Strukturen wie auch die Seh- und Denkweisen der Menschen und damit der Lernenden betrifft. Als gemeinsamen Nenner dieser Pädagogiken identifiziert Peter Mayo „a counterhegemonic approach to teaching/learning“ (Mayo 2003, S. 45).
Der kulturelle Wandel wird als elementar und von historischer Tragweite verstanden. Ausgangspunkt ist die Einschätzung, dass (aus ökologischen, politischen, ökonomischen und kulturellen Gründen) dieser Wandel unabdingbar nötig, aber auch möglich ist.
Bildung soll zu diesem Wandel befähigen, indem sie einerseits selbst auf eine Änderung des Bewusstseins abzielt, andererseits die Fähigkeiten ausbildet, am gesellschaftlichen Wandel praktisch-politisch mitzuarbeiten. Die Verbindung zwischen der pädagogischen Aufgabe – Bildung – und der politischen Aufgabe – Transformation – ist dabei stets im Blickfeld. Gesucht wird ein Scharnier, das den Zusammenhang von persönlicher und gesellschaftlicher Veränderung theoretisch modelliert.
Auf die Frage, wie Bildung Transformation pädagogisch bewerkstelligen soll, gibt es verschiedene Antworten, die meist im Bereich des Programmatischen bleiben, sich wenig auf etablierte Lerntheorien beziehen und kaum empirisch abgestützt sind. Allerdings lässt sich festhalten: „Für die Idee einer transformativen Bildung […] gibt es in den Traditionslinien des Globalen Lernens, der Entwicklungspädagogik und der ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ genügend Ausgangspunkte und Vorerfahrungen, an die wir anknüpfen können“ (Seitz 2014, S. 15).
Es war der US-amerikanische Erwachsenenbildner Jack Mezirow, der in den 1970er Jahren ein theoretisch fundiertes Konzept des „Transformative Learning“ entwickelte. Mit Bezug auf Freire, Habermas und Gould definierte Mezirow Transformatives Lernen als ein Lernen, das qualitative Veränderungen im Weltbild, in den „meaning perspectives“, „frames of reference“ und „habits of mind“ der Lernenden nach sich zieht (siehe Mezirow 1990). Sein Konzept des Transformativen Lernens schärfte den Blick auf die psychologischen Grundlagen für menschliche Veränderungen und damit auch für pädagogische Interventionsmöglichkeiten. Es war Anstoß zu zahlreichen Aktivitäten praktischer Natur wie auch zu Forschungsarbeiten, die unser Wissen über das Wie pädagogischer Transformationen generiert haben.
Dies ermöglicht den unterschiedlichsten Pädagogiken, an das Konzept anzudocken und es mit eigenen Zugängen zu bereichern. Der in den emanzipatorischen Pädagogiken postulierte Zusammenhang zwischen persönlichem und gesellschaftlichem Wandel gerät dabei jedoch häufig aus dem Blickfeld. Denn bei Mezirow steht nicht die Transformation von Gesellschaften, sondern die Transformation von individuellen Bedeutungsschemata im Mittelpunkt. Doch auch eine solche Theorie biographischen Lernens kann für eine Transformative Bildung fruchtbar gemacht werden (vgl. Seitz 2017, S. 11).
Bei allen politischen Pädagogiken (z.B. Bildung für nachhaltige Entwicklung und Global Citizenship Education, politische Erwachsenenbildung) besteht, wie ausgeführt, ein grundlegender Widerspruch zwischen der Offenheit als pädagogischem Anspruch und der Normorientierung als politischem Anspruch – ein Widerspruch, der nur durch möglichst breite Partizipation immer wieder neu zu bearbeiten ist. Dabei kann sich die Arbeit der Pädagog*innen nicht auf die pädagogische Arbeit im engeren Sinne beschränken, sie muss auch die objektiven und subjektiven Voraussetzungen ihrer Arbeit mit reflektieren. Auch muss sie ihre über die Bildung hinausreichenden Ziele mitbedenken.
Das bedeutet Kritik am bestehenden Bildungssystem und als Konsequenz auch die Arbeit mit allen pädagogischen Initiativen außerhalb des Systems, da diese oft Innovationen einbringen. Das bedeutet also eine Arbeit von den Nischen her, aber nicht, um sich in den Nischen einzurichten. Das bedeutet kritische Selbstreflexion als Pädagoge oder Pädagogin im Bewusstsein der Notwendigkeit, sich selbst zu „transformieren“. Und das bedeutet schließlich auch den Kontakt zu und Austausch mit politischen Bewegungen, die am Ziel der sozial-ökologischen Transformation arbeiten.
Ein sehr wichtiger Aspekt, der in diesem Beitrag nur angedeutet, aber nicht ausreichend dargestellt werden kann, ist die Transformation des Lernens selbst, die kritische Reflexion der Wissensvermittlung und Wissensinhalte. Ein Ausgangspunkt für Transformatives Lernen und Transformative Bildung ist auch die Kritik traditioneller Wissensvermittlung. Es geht nicht einfach um Vermittlung von Wissen, sondern auch von Wissen über Wissen.
Systematisch wurde dieser Gedanke vom französischen Philosophen Edgar Morin (2001) aufgegriffen. Aus unserer Sicht sind vor allem folgende Gedanken Morins wichtig: Erkenntnis sollte nicht „als fertiges Werkzeug“ (Morin 2001, S. 16) betrachtet werden, sondern die Wege und Irrwege der Erkenntnis müssten gelehrt werden; die Irrtümer der Vernunft wie auch paradigmatische Blindheiten (durch unhinterfragte Axiome und Ideologien) müssten bei der Wissensvermittlung mitberücksichtigt und ihre Existenz vermittelt werden. Inhaltlich gehe es um eine um fassende Erkenntnis, „die fähig ist, die globalen und fundamentalen Probleme zu erfassen und die partiellen und lokalen Erkenntnisse darin zu integrieren“ (ebd.). Der Zersplitterung des Wissens in einzelne Disziplinen müsse eine integrative Sichtweise, eine Verbindung aller Wissensbereiche zu einem Gesamtbild, entgegengesetzt werden. Letztlich sei es ein Ziel, „die irdische Identität“ zu lehren (vgl. ebd., S. 77ff.), die mehr ist als die kosmopolitische Solidarität unter den Menschen, da sie auch das ökologische Bewusstsein von der Schicksalsgemeinschaft mit allen Lebewesen der Biosphäre einschließt (vgl. ebd., S. 92ff.). Auch in diesem Sinne ist Transformatives Lernen ein Lernen mit erhöhter Komplexität.
Abschließend sollen, ausgehend von den hier skizzierten pädagogischen, bildungspolitischen und politischen Überlegungen, eine Reihe von kritischen Fragen an politische Pädagogiken gestellt werden. Sie können als Gradmesser für deren transformative Qualität dienen.
(1) Werden Lernen und Bildung ausschließlich geleitet von normativen Vorgaben entwickelt oder wird Lernen als Prozess der Lernenden verstanden, der pädagogisch begleitet wird?
(2) Machen sich die Lehrenden die Ambivalenz zwischen den dem Bildungssystem inhärenten und schon deswegen unvermeidlich normativen Ansätzen und der Ergebnisoffenheit von Lern- und Bildungsprozessen (sowohl als Ideal wie auch als Realität) selbst bewusst und transparent, wird dies kritisch reflektiert und dadurch das Lehren selbst transformiert?
(3) Werden für Lernen und Bildung möglichst enthierarchisierte und partizipative Wissensverständnisse und Bildungsangebote entwickelt, in denen Menschen zu ihren konkreten Lebensbedingungen und deren Auswirkungen in Beziehung treten können?
(4) Wird die Verbindung von transformativem Lehren und Lernen für eine sozialökologische Transformation konzeptionell bewusst gemacht und praktisch gewahrt?
(5) Wird das eigene pädagogische Konzept als in Entwicklung begriffen verstanden, das sich neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, kritischen Einwänden und postkolonialen und herrschaftskritischen Argumenten gegenüber westlicher Pädagogik öffnet und somit ständig an Komplexität, Klarheit und Konkretheit zulegt?
(6) Wird die Verbindung zwischen dem speziellen pädagogischen Ansatz und dem Gesamtzusammenhang aller transformativer Pädagogiken bewusst wahrgenommen und praktisch hergestellt?
(7) Nimmt die jeweilige Pädagogik einen reflexivkritischen Standpunkt gegenüber den strukturellen Voraussetzungen ihrer eigenen Arbeit ein?
(8) Versteht sich der jeweilige pädagogische Ansatz auch als transformativ, was die Haltung und die Praxis seiner Pädagog*innen betrifft?
(9) Sind nicht nur die Zielkataloge, sondern auch die jeweiligen didaktischen Methoden auf Emanzipation und Agency ausgerichtet – eben auf die Voraussetzungen, dass Transformatives Lernen stattfinden kann?
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