Es ist Dein Ärger - Thubten Chodron - E-Book
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Es ist Dein Ärger E-Book

Thubten Chodron

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Beschreibung

Wir alle werden von unangenehmen Gefühlen wie Ärger, Eifersucht, Neid, Wut usw. geplagt und möchten diese meist gerne loswerden. Wenn wir Menschen wie den Dalai Lama erleben, der Schlimmes erlebt hat und doch so ausgeglichen wirkt, können wir sehen, dass wir offenbar diesen Gefühlen nicht zwingend ausgeliefert sein müssen. Die Autorin Thubten Chodron zeigt hilfreiche Wege aus tibetisch-buddhistischer Tradition auf, um mit schwierigen Umständen und Gefühlen umgehen zu lernen - auf andere Weise, als wir es gewohnt sind. Es ist möglich, sich von Ärger und vielen weiteren plagenden Emotionen zu befreien, doch nicht dadurch, dass wir die Dinge verändern, sondern indem wir eine andere Haltung dazu finden. Anstatt ständig zu kämpfen, können wir lernen, zu einem unerschütterlichen inneren Frieden zu finden und in Harmonie mit uns selbst und unserer Umwelt zu leben.

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Seitenzahl: 260

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Thubten Chodron

Es ist Dein Ärger

Methoden zum Umgang mitstarken Gefühlen

Aus dem Amerikanischen vonBirgit Schweiberer

Theseus im Internet: www.theseus-verlag.de.

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem TitelWorking With Anger2001 bei Snow Lion Publications, Ithaca, N.Y.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-95883-338-8ISBN eBook 98-3-95883-320-3

Lizenzausgabe

Copyright © 2001 by Thubten ChodronCopyright der deutschen Ausgabe © 2008 Theseus inKamphausen Media GmbH, Bielefeldwww.weltinnenraum.de

Alle Rechte vorbehalten

Die Verwertung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung: Morian & Bayer-Eynck, Coesfeld,www.mbedesign.de unter Verwendung eines Fotos von© Hildegard MorianLektorat: Susanne KleinGestaltung und Satz: Ingeburg Zoschke

Inhalt

Vorwort

1Geist, Emotion und Ärger

2Die Nachteile des Ärgers

3Geduld, die Alternative

4Ist Ärger jemals nützlich?

5Unseren Ärger und seine Ursachen erkennen

6Training in Geduld

7Mit Kritik fertig werden

8Das Spiel mit der Schuld

9Wenn unsere Knöpfe gedrückt werden

10Annahme und Ermächtigung

11Dem Feind begegnen

12Groll und Rachegefühle loslassen

13Wenn Vertrauen gebrochen wird

14Die Schlange des Neides

15Wut auf uns selbst

16Liebe und Mitgefühl kultivieren

17Anderen helfen, Wut zu überwinden

18Weisheit, die den Geist entspannt

Anhang 1: Konfliktstile

Anhang 2: Überblick über die Techniken zum Umgang mit Ärger

Glossar

Weiterführende Literatur

Über die Autorin

Vorwort

Ärger macht jedem von uns in irgendeiner Form zu schaffen, sei es auf persönlicher, nationaler oder internationaler Ebene. Wenn er sich im Geist auch nur einer einzigen Person manifestiert, ganz zu schweigen von ganzen Gruppen oder Nationen, ist unter Umständen die ganze Welt davon betroffen, wie die beiden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts bezeugen. Auf persönlicher Ebene kann Ärger unsere Beziehungen gerade zu den Menschen zerstören, die uns am meisten am Herzen liegen, und unseren Geist in Negativspiralen gefangen halten. Innerhalb von Gruppen spaltet Ärger Menschen in Fraktionen auf und bringt sie dazu, gegeneinander statt für gemeinsame gute Ziele zu arbeiten. Auf internationaler Bühne gießt Ärger Öl ins Feuer von Konflikten, in Nahost, auf dem Balkan und andernorts.

So mächtig Ärger sein mag, es fehlt ihm jegliche materielle Substanz. Und doch vermag er unser Leben und das Leben anderer so drastisch und so schmerzlich zu beeinflussen. Wenn wir jedoch unseren Blick nach innen richten, in unseren eigenen Geist und unser Herz, und die störenden Emotionen besser verstehen lernen, werden wir seine unrealistischen Projektionen allmählich erkennen und ihm seine Geschichten nicht mehr so ohne Weiteres abnehmen. Nach und nach werden wir fähig werden, uns von dieser schmerzhaften Emotion zu distanzieren, ohne sie dabei unterdrücken, verdrängen oder ausdrücken zu müssen. Wir werden lernen, sie durch gesündere und nützlichere Geisteszustände zu ersetzen, und auf diese Weise Geduld, Toleranz, Liebe und Mitgefühl in uns zur Entfaltung bringen. Das Ziel dieses Buches ist es, einige der Techniken zu vermitteln, mit denen das erreicht werden kann.

Es ist Dein Ärger ist für jeden geschrieben, denn unabhängig von unserer Ausbildung, unserer sozioökonomischen Gesellschaftsschicht, Geschlecht, Rasse oder Religionszugehörigkeit sind wir alle gefährdet, dem Ärger zum Opfer zu fallen. Dieses Buch enthält in einer zwanglosen, freundlichen Sprache zahlreiche Beispiele von Situationen des täglichen Lebens, in denen diese Lehren angewendet werden können. Einige der Beispiele sind mir von Freunden, Familie und Studenten erzählt worden, andere wiederum stammen aus meinem eigenen Leben.

Überblick

Das erste Kapitel gibt den Rahmen vor, in dem die buddhistische Auffassung von Geist, Emotionen und Ärger dargelegt wird. Davon ausgehend werden wir Ärger im zweiten Kapitel dann definieren und seine Nachteile diskutieren. Das dritte Kapitel handelt von Geduld, dem Gegenmittel zum Ärger, d. h. der Fähigkeit, angesichts von Leid und Schaden ruhig zu bleiben. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit eventuell verbleibenden Zweifeln, die im Hinblick auf das Überwinden von Ärger und das Entwickeln von Geduld noch bestehen könnten, während das fünfte unterdrückten Ärger und Faktoren diskutiert, die die Entstehung von Ärger im eigenen Geist auslösen.

Das sechste Kapitel beginnt mit einer Beschreibung von Techniken, mit denen dem Ärger entgegengewirkt werden kann, das siebte Kapitel fährt damit fort, indem es Möglichkeiten aufzeigt, mit der Kränkung und dem Ärger, die entstehen, wenn wir kritisiert werden, kreativ umzugehen. Das achte Kapitel zeigt, wie wir vermeiden können, uns selbst und anderen für unsere Probleme die Schuld zu geben. Es beschäftigt sich auch mit der Wut, die aufgrund von körperlicher Krankheit entsteht. Jeder von uns hat seine »Knöpfe«, wunde Punkte und sensible Themen, die uns, wenn sie absichtlich oder zufällig berührt werden, »auf die Palme bringen«. Wie man mit diesen Situationen arbeiten kann, wird dann im neunten Kapitel besprochen.

Die gegenwärtige Realität zu akzeptieren und dabei dennoch daran zu arbeiten, die Zukunft zu verbessern, ist eine kraftvolle Gegenmaßnahme zur Wut und Thema des zehnten Kapitels, während Kapitel elf unsere Ichbezogenheit als eigentlichen Feind identifiziert und die außergewöhnlichen Techniken beschreibt, mit denen all unsere Leiden der eigenen Ichbezogenheit übergeben werden und gleichzeitig die Freundlichkeit der Person betrachtet wird, die uns Schaden zufügt. Groll und Verbitterung können schwer auf uns lasten, wenn wir sie über Jahre hinweg aufstauen. Sie loszulassen, um leichten Herzens durchs Leben zu gehen, ist Thema des zwölften Kapitels. Das dreizehnte Kapitel handelt dann von der schmerzhaften Erfahrung des Vertrauensbruches, während das vierzehnte Wege aufzeigt, mit der »Schlange des Neides« fertig zu werden.

Gelegentlich ist unsere Wut nicht gegen andere, sondern gegen uns selbst gerichtet, und wir verstricken uns in Schuldgefühle und Selbstanklagen. Davon loszulassen ist Thema des fünfzehnten Kapitels. Liebe und Mitgefühl versetzen uns in die Lage, Wut am Entstehen zu hindern, und das Erlangen von Weisheit beseitigt diese mit der Wurzel. Diese Themen werden jeweils in Kapitel sechzehn und siebzehn diskutiert.

Während es in diesem Buch vorwiegend um den Umgang mit den inneren Anteilen des Ärgers geht, werden im ersten Anhang äußere Verhaltensweisen, d. h. verschiedene Konfliktstile, besprochen. Es wird gezeigt, mit welchen Arten der Motivation und unter welchen Umständen diese Konfliktstile jeweils einzusetzen sind. Ein Glossar und eine Liste mit weiterführender Literatur sind am Ende des Buches zu Ihrem Gebrauch angefügt.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch zur Harmonie in der Welt beiträgt, zu der Harmonie des Herzens, nach der sich jeder von uns sich sehnt, und der Harmonie, die wir in unseren Gesellschaften so gerne untereinander schaffen würden. Ich glaube, dass es nicht das Überleben des Stärkeren ist, das den Fortbestand einer Spezies sicherstellt, sondern das Überleben des Mitfühlenderen. Mein Lehrer, Seine Heiligkeit der Dalai Lama, weist immer wieder darauf hin, dass Bienen und Ameisen viel mehr miteinander kooperieren als wir vorgeblich so viel intelligenteren Menschen. Für sich selbst genommen würde eine Ameise untergehen, wohingegen sie jedoch lebt und gedeiht, wenn sie sich auch um andere Ameisen kümmert und mit ihnen zusammenarbeitet.

Wenn unser Geist frohgemut und frei von Ärger und Ressentiments ist, tragen wir mit unserer Arbeit unser Teil zum allseitigen Nutzen bei; sind wir dagegen unglücklich und voll Ärger, richten wir sowohl die guten Werke anderer als auch unsere eigenen zugrunde. Das wird sehr deutlich, wenn wir einmal das Folgende bedenken: Niemand wacht morgens auf und denkt sich dabei: »Heute geht es mir so ausgezeichnet, ich werde jetzt aus dem Haus gehen und jemandem schaden!« Wir schaden anderen nur, wenn uns Ärger zu schaffen macht. Weil wir als Lebewesen so sehr voneinander abhängig sind, löst unser destruktives Verhalten genau dasselbe in anderen aus. Deswegen können wir den Kreislauf der Leiden aufhalten, wenn jeder Einzelne von uns lernt, mit seinem Ärger konstruktiv umzugehen und ein mitfühlendes Herz zu entwickeln, das anderen wohl will.

Es ist Dein Ärger beruht auf den Lehren des Buddha, des weisen, mitfühlenden Lehrers, der im sechsten Jahrhundert v. Chr. in Indien lebte. In den Jahrhunderten, die auf ihn folgten, wurden seine Lehren von großen indischen Weisen und Praktizierenden aller Länder, in denen der Buddhismus sich ausbreitete, kommentiert. Aufgrund der Güte meiner Lehrer habe ich diese Unterweisungen hören können und habe daher heute die Möglichkeit, sie mit Ihnen zu teilen. Wenn wir sie in die Praxis umsetzen, wird sich ihr Nutzen erweisen.

Alle Fehler in der Darlegung sind meine eigenen.

Die Ursprünge dieses Buches

Als buddhistische Nonne und Lehrerin werde ich oft gebeten, Vorträge zum Umgang mit Ärger zu halten. Die Anfänge des Buches gehen auf zwei Vorträge zurück, die ich zu diesem Thema gehalten habe, einen in der Evergreen Buddhist Association in Kirkland, Washington, 1989, und einen auf einer Konferenz zu Buddhismus und Psychologie an der Universität von Washington in Seattle im Jahre 1992. Auf der Grundlage dieser beiden Vorträge entstand 1992 ein kleines Büchlein mit dem Titel »Working with Anger«, das im Amitabha Buddhist Center in Singapur zur freien Verteilung herausgegeben wurde. Weil viele Menschen begeistertes Interesse an dem Thema zeigten, wurde dieses Büchlein in der Folge erweitert und zu diesem Buch gemacht.

Danksagung

Ich möchte meinen Lehrern, allen voran Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, Tsenzhab Serkong Rinpoche, Zopa Rinpoche und Geshe Ngawang Dhargye, für die immense Geduld danken, mit der sie mich im Dharma unterwiesen haben. Sie haben mir die unbezahlbaren Lehren des Buddha, die Lehren von Shantideva und Dharmarakshita, der tibetischen Praktizierenden Tzongkhapa und Togme Sangpo überliefert, aus deren Texten das Material für dieses Buch entnommen ist. Darüber hinaus hat das lebendige Beispiel für Geduld und Mitgefühl meiner Lehrer mir festes Vertrauen gegeben, dass diese Lehren, wenn sie in die Praxis umgesetzt werden, zweifellos das Potenzial haben, Ärger zu überwinden und Harmonie zu schaffen.

Vielen Dank auch der Dharma Friendship Foundation für ihre Unterstützung während der Arbeit an diesem Buch. Cindy Felis transkribierte die Original-Tonbandaufzeichnungen, und Laurie Rostholder steuerte als Psychotherapeutin viele wertvolle Vorschläge bei. Barbara Rona tat als außerordentlich kompetente Lektorin weit mehr als ihre Pflicht für die Gestaltung und Verfeinerung des Manuskriptes, und ich möchte auch ihr sehr für ihre Hilfe danken.

Und wie Zopa Rinpoche mich lehrte, muss ich besonders allen, die mir je geschadet haben, meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, statt mich über sie zu ärgern. Sie sind gütiger als der Buddha, und ohne ihre Hilfe werde ich keine Erleuchtung erlangen. Ich wünsche mir, dass die positive Energie, die mit diesem Buch hervorgebracht wird, dem zeitweiligen und letztendlichen Glück aller Lebewesen zugutekommt.

Thubten ChodronSeattle, Washington, 24. Februar 2001

1

Geist, Emotion und Ärger

In einem Sommer sprach Seine Heiligkeit der Dalai Lama in Los Angeles zu einem Publikum, in dem sich auch eine Gruppe von Jugendlichen aus ärmeren Vierteln der Stadt in ihren Fatigues* und in Begleitung ihrer Betreuer befand. Nach seiner Ansprache fragte eine der Jugendlichen Seine Heiligkeit: »Manche Leute springen mir ins Gesicht und provozieren mich. Wie soll ich mich da nicht wehren?« Sie war herausfordernd, dabei aber in ihrem Anliegen sehr ernsthaft.

Seine Heiligkeit sah ihr in die Augen und sagte: »Gewalt ist veraltet. Ärger bringt dich nirgendwohin. Wenn du deinen Geist zur Ruhe bringen und geduldig bleiben kannst, wirst du ein wunderbares Beispiel für die Leute um dich herum sein.« Das Publikum klatschte, das Mädchen blieb jedoch stehen und erwiderte seinen Blick. Sie war noch nicht zufrieden.

Der Dalai Lama fuhr damit fort, zu beschreiben, wie so viele große Menschen, Martin Luther King, Mahatma Gandhi und Jesus zum Beispiel, angesichts von Gewalt und Widrigkeiten friedfertig geblieben waren. Viele von ihnen lernten Schwierigkeiten kennen, während sie heranwuchsen. »Selbst ich«, sagte er. »Meine Jugend war voller Konflikte und Gewalt. Dennoch traten alle diese Menschen für Gewaltlosigkeit und Liebe für andere ein. Und durch ihren Beitrag ist die Welt besser geworden. Das kannst du auch.«

Dann deutete er dem Mädchen an, sie möge zu ihm kommen und seine Hand schütteln. Als sie mit ausgestreckter Hand und einem unsicheren Lächeln auf dem Gesicht auf ihn zuging, breitete der Dalai Lama die Arme aus und drückte sie fest an seine Brust. Das Mädchen kehrte daraufhin strahlend an ihrem Platz zurück.

Nach dem Vortrag fragte einer der Sponsoren, ob die Jugendlichen ihre Erfahrung mitteilen wollten. Ein untersetzter junger Mann von derbem Aussehen trat mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht ans Mikrophon. »Puh«, sagte er. »Ihr müsst ja von eurem Platz aus hören können, wie mein Herz schlägt! Ich habe den Dalai Lama im Fernsehen und in Zeitschriften gesehen, und ich dachte, er ist ziemlich cool, aber ich kann nicht beschreiben, wie es sich anfühlt, ihm begegnet zu sein!«, und er fasste sich ans Herz.

Ein tibetischer Mönch, der nur einige Jahre zuvor aus dem kommunistisch besetzten Tibet geflohen war, erzählte mir seine Geschichte. Seine Familie war eine der wohlhabenden und prominenten der Gegend in Tibet gewesen, in der er aufgewachsen war. Nach der kommunistischen Besetzung Tibets im Jahre 1950 und dem darauf folgenden erfolglosen Aufstand im Jahre 1959 wurde sein Elternhaus konfisziert und zu einem Gefängnis umfunktioniert. Weil die Mitglieder seiner Familie Landbesitzer waren und er ein Mönch, wurde er von den chinesischen Kommunisten inhaftiert und wurde Gefangener in dem Haus, das vordem sein Zuhause gewesen war. Er und seine anderen Mitgefangenen durften zweimal am Tag zur Toilette nach draußen gehen, ansonsten hatten sie im Haus zu bleiben, das nunmehr kaputte Fenster und keine der früheren Bequemlichkeiten mehr aufwies. Angesichts solcher Ungerechtigkeit und Demütigung wären die meisten Menschen vermutlich außer sich gewesen vor Wut. Dieser Mönch dagegen erzählte mir, wie er sich bemüht habe, seine Zeit klug zu nutzen, indem er seiner Meditationspraxis nachging, um seinen Geisteszustand zu verbessern. Es waren ihm zwar alle religiösen Gegenstände genommen worden, doch rezitierte er still die Texte, die er auswendig kannte, und dachte über ihre Bedeutung nach. So machte er seinen Geist mit Einstellungen und Emotionen vertraut, die zur Erleuchtung führen, und vermied es, sich in Hass zu verstricken. Während ich mit ihm sprach, bemerkte ich keinerlei Zeichen von Verbitterung gegenüber den chinesischen Kommunisten. Er hatte ganz einfach eine tiefe Liebe zum Leben.

Geschichten wie diese geben uns zu denken: »Wie machen diese Leute das?« Sie sind Menschen genau wie wir, doch obwohl sie härteren Umständen ausgesetzt waren als wohl irgendjemand von uns, darunter Vertreibung, Gefangenschaft, Folter und der Verlust vieler lieber Menschen, sind sie weder von Zorn noch von Rachsucht bestimmt.

Dieses Buch ist im Großen und Ganzen eine Zusammenstellung buddhistischer Methoden, um Wut in all ihren Facetten zu verhindern und zu überwinden, Methoden, die sich für den Dalai Lama, den oben genannten Mönch und viele andere in ihrem Leben als wirksam und nützlich erwiesen haben.

Nichts an diesen Methoden ist spezifisch »buddhistisch«. In der Tat sind viele der Lehren des Buddha viel eher gesunder Menschenverstand als religiöse Doktrin, und keine Religion hat den gesunden Menschenverstand für sich allein gepachtet. Vielmehr sind es vernünftige und nützliche Methoden, unser Leben zu leben. Unabhängig davon, welcher Religion wir angehören, es ist in jedem Fall hilfreich, unseren Geist zu beobachten und zu lernen, mit unserem Ärger umzugehen.

Der Buddhismus ist auch eine »Wissenschaft des Geistes« genannt worden. Viele von denen, die ihn praktizieren, sagen über den Buddha, dass er im Grunde ein großer Therapeut gewesen sei, der praktische Methoden vermittelte, mit störenden Einstellungen, negativen Emotionen und Problemen des täglichen Lebens umzugehen. Natürlich geht der Buddhismus über die Zielsetzungen der Psychotherapie hinaus und unterscheidet sich in einigen entscheidenden Punkten von ihr. Nichtsdestotrotz handelt er, genau wie die Psychotherapie, vom menschlichen Geist und menschlichen Emotionen, und genau wie sie ist er bemüht, zufriedenere Menschen und eine bessere Gesellschaft hervorzubringen.

Am liebsten würden wir natürlich sofort in die praktischen Anwendungen des Ärger-Managements eintauchen. Weil aber die praktischen Anwendungen im Kontext der buddhistischen Auffassung von Geist und Emotionen dargelegt werden, sind einige Hintergrundinformationen zu diesem Thema für ein besseres Verständnis zunächst hilfreich.

Die buddhistische Perspektive auf Geist und Emotionen

Der Begriff »Geist« bezieht sich auf den erfahrenden, erkennenden, intellektuellen, wahrnehmenden und empfindenden Teil in uns. Er ist seiner Natur nach immateriell, während unser Körper, der aus Atomen besteht, von materieller Natur ist. Innerhalb der großen Kategorie Geist finden wir verschiedene Geistesarten. Unter ihnen haben wir die verschiedenen Arten von Sinnesbewusstsein, die äußere Objekte, wie sichtbare Formen, Töne, Gerüche, Geschmäcker und Berührbares, wahrnehmen, und unser geistiges Bewusstsein, das denkt, träumt, schläft und spirituelle Realisationen erfahren kann.

Ärger ist wie alle Emotionen eine Geistesart. Er ist ein Geistesfaktor, der unser begriffliches geistiges Bewusstsein begleitet. Das bedeutet, dass er auf der geistigen Ebene beeinflusst, unterbunden oder angeregt werden kann. Auch Geduld, Liebe, Mitgefühl und Freude sind gleichermaßen Geistesfaktoren, die wohlgemerkt jedoch nicht gleichzeitig mit dem Ärger auftreten. Auch sie können auf geistiger Ebene verstärkt oder reduziert werden. Aus diesem Grunde betonte der Buddha, dass die Quelle all unserer Leiden und Freuden unser Geist sei.

»Geist« kann auch mit »Herz« übersetzt werden, so wie wenn wir zum Beispiel sagen: »Dieser Mensch hat ein gutes Herz.« Wir sehen hier, dass der Buddhismus nicht dieselbe Unterscheidung zwischen Denken und Fühlen macht wie wir westlichen Menschen, die der Ansicht sind, dass Gedanken begrifflicher Natur seien, Emotionen dagegen nicht. In der Tat hat keine der Sprachen – Sanskrit, Pali oder Tibetisch –, in denen buddhistische Texte niedergeschrieben sind, ein Wort, das die direkte Übersetzung von »Emotion« wäre. Aus buddhistischer Sicht haben viele Emotionen, wie beispielsweise Ärger, eine Gefühlskomponente, sind dabei aber begrifflicher Natur, d. h., sie kennen ihr Objekt mithilfe eines geistigen Bildes. Wir können zum Beispiel wütend sein, während die Person, auf die wir wütend sind, sich nicht im selben Raum befindet. In diesem Moment nehmen wir die Person nicht mit den Augen wahr, vielmehr denken wir auf eine Weise an sie, dass in unserem Bewusstsein ein geistiges Bild der Person erscheint.

Was ist Ärger?

Im Buddhismus ist Ärger (Tibetisch: khong khro) ein Geistesfaktor, der unfähig ist, eine Person, einen Gegenstand, eine Situation oder Idee zu ertragen, und Feindseligkeit oder den Wunsch hegt, dem betreffenden Objekt Schaden zuzufügen. Ärger umspannt eine ganze Reihe von Emotionen wie Verdruss, Gereiztheit, Frustration, Gehässigkeit, Streitlust, Groll, Hass, Wut und Zorn. Wenn auch das deutsche Wort »Ärger« ganz gelegentlich in einem positiven Sinne verwendet wird, meint Ärger hier eine der grundlegenden (wörtlich: »Wurzel-«) störenden Emotionen und hat damit ausschließlich negative Bedeutung.

Vorläufer des Ärgers ist ein Geistesfaktor, den man »unangemessene Betrachtung« nennt und der in diesem Falle die negativen Eigenschaften einer Person, eines Objekt, einer Situation oder einer Idee entweder übertreibt oder auf diese nicht vorhandene negative Eigenschaften projiziert und so eine unwahre Geschichte dazu erfindet. Dave kommt beispielsweise eines Morgens ins Büro spaziert und seine Kollegin, die gerade mit etwas anderem beschäftigt ist, grüßt ihn nicht. Daraufhin denkt er: »Das ist aber wirklich eine unfreundliche und unhöfliche Person.« Aufgrund dieser unangemessenen Betrachtung, die in die Handlung der anderen Person Absicht und Motivation hineininterpretiert, wird er ungehalten. Seine innere Verärgerung führt zu einer äußeren Handlung, und Dave macht eine sarkastische Bemerkung. Diese verletzt seine Kollegin, und sie schnauzt ihn ihrerseits an. Hier ist leicht zu sehen, wie ein Augenblick unangemessener Betrachtung und Ärger eine Kettenreaktion von Vorgängen auslösen kann, die uns selbst und anderen Leid zufügen.

Auf einem Treffen Seiner Heiligkeit des Dalai Lama mit westlichen Wissenschaftlern, bei dem destruktive Emotionen diskutiert wurden, habe ich gelernt, dass Wissenschaftler im Allgemeinen drei Komponenten von Emotionen beschreiben: einen Gefühlsanteil, einen physiologischen und einen Verhaltensanteil. Für sie beinhaltet »Ärger« also nicht nur ein Gefühl, sondern auch die physiologische Aktivierung bestimmter Hirnareale und die Ausschüttung bestimmter Hormone im Körper. Außerdem gehört ein bestimmtes Verhalten dazu, wie Schreien oder Schmollen, das mit einem bestimmten Ärger einhergeht.

Buddhisten dagegen beziehen sich vornehmlich auf die Gefühlskomponente, wenn sie von Emotionen wie Ärger oder Mitgefühl sprechen. Buddhistische Texte thematisieren das Gehirn oder Hormone praktisch nicht, wohl weil das wissenschaftliche Instrumentarium zum Verständnis ihrer Funktionen erst jüngeren Datums ist. Ärger steht in Beziehung zum Körper, d. h. zur körperlichen Energie wie auch zu Hormonen wie Adrenalin, die ihn beeinflussen, Ärger selbst ist jedoch kein körperlicher Zustand. Er ist ein Geisteszustand, auch wenn manche Menschen sich ihres Ärgers zunächst oft anhand körperlicher Anzeichen, wie eines erhöhten Muskeltonus oder einer Magenverstimmung, bewusst werden. Für Buddhisten beinhaltet der Begriff »Ärger« auch nicht das Verhalten, das den Ärger begleitet. Dasselbe gilt auch für andere Emotionen.

Negative Emotionen und die Befreiung davon

Die westliche Kultur und der Buddhismus messen den Ausdrücken »negative Emotion« und »positive Emotion« ganz unterschiedliche Bedeutungen zu. Für westliche Menschen sind negative Emotionen solche, die sich unangenehm anfühlen, positive dagegen solche, die sich angenehm anfühlen. Traurigkeit gilt beispielsweise als negative Emotion, weil die betreffende Person sich dabei unwohl fühlt, wohingegen Anhaftung an ein schönes Haus durchaus als positive Emotion betrachtet wird, weil die Person dabei Zufriedenheit empfindet.

Aus buddhistischer Sicht wird jedoch zwischen negativen und positiven Emotionen jeweils danach unterschieden, ob sie zu zyklischer Existenz oder zu Befreiung führen. Zyklische Existenz ist die stete Wiederkehr der Probleme, denen wir von Leben zu Leben als Resultat unserer grundlegenden Unwissenheit ausgesetzt sind. Befreiung dagegen bedeutet Freiheit von eben dieser [grundlegenden Unwissenheit], einen Zustand bleibenden Glücks. Damit können einige Formen von Traurigkeit durchaus als positiv betrachtet werden. Die Traurigkeit zum Beispiel, die uns befällt, wenn wir erkennen, dass Sinnesobjekte uns kein dauerhaftes Glück bringen, ist außerordentlich positiv, weil die Enttäuschung über etwas, das uns dauerhaft nicht glücklich machen kann, die Entschlossenheit in uns weckt, Freiheit von zyklischer Existenz und damit Befreiung zu erlangen. Dagegen wird es als abträglich betrachtet, sich an Besitz zu klammern, auch wenn diese Anhaftung mit einem gewissen Wohlgefühl einhergehen mag, weil sie uns in zyklischer Existenz gefangen hält. Mit solchen Anhaftungen sind wir immerzu auf der Suche nach Glück durch äußere Quellen, d. h. Menschen und Dinge, die genau wie wir selbst der Vergänglichkeit unterworfen und daher außerstande sind, uns bleibendes Glück zu bescheren. Der Buddhismus lehrt Methoden, destruktive Emotionen, d. h. Emotionen, die uns in zyklischer Existenz gefangen halten, unter Kontrolle zu bringen, und er vermittelt uns Methoden, mit denen konstruktive Emotionen, d. h. solche, die uns zur Befreiung führen, entwickelt werden können.

Die Möglichkeit zur Veränderung

Es ist möglich, negative Emotionen zu eliminieren und positive zu kultivieren, weil wir nach buddhistischer Auffassung keine feste, solide Persönlichkeit haben. Das, was wir »Ich« nennen, existiert nur in Beziehung zu Körper und Geist, die ja beide in ständiger Veränderung begriffen sind. Auf der physischen Ebene sind die subatomaren Teilchen unseres Körpers in steter Bewegung, auf der geistigen Ebene sind es unsere Wahrnehmungen, Stimmungen, Gedanken und Emotionen, die sich unablässig verändern. Weil Veränderung in jedem Augenblick stattfindet, besteht die Herausforderung für uns darin, sie in produktiver Weise zu steuern.

Erleuchtung erfordert keine völlige Aufgabe unserer Persönlichkeit. Einige Buddhas sind vielleicht introvertiert, andere durchaus extrovertiert, einige essen vielleicht gern mexikanisch, andere ziehen italienisches Essen vor. Allerdings erfordert Erleuchtung die Aufgabe einiger Aspekte unserer Persönlichkeit, nämlich der gewohnheitsmäßigen Emotionen und Haltungen, die uns in unserem selbst gemachten Gefängnis gefangen halten. Weil diese aber kein integraler Bestandteil unseres Geistes sind, ist es uns möglich, diese (Emotionen und Haltungen) vollständig aufzugeben.

Die grundlegende Natur des Geistes wird oft mit einem klaren, offenen Himmel verglichen. Der Himmel ist immer da, auch wenn er an einigen Tagen von Wolken verdeckt wird. Dennoch gehören die Wolken nicht zur Natur des Himmels und können daher beseitigt werden. Genauso gehören störende Einstellungen und negative Emotionen wie Ärger nicht zur Natur des Geistes. Sie können aufgegeben und die reine, strahlende Natur des Geistes zum Vorschein gebracht werden.

Zudem beruhen die störenden Einstellungen und negativen Emotionen auf Unwissenheit. Unwissenheit bedeutet in diesem Fall nicht, dass jemand nicht dazu in der Lage ist, die Hauptstädte aller Staaten aufzuzählen. Vielmehr handelt es sich um eine ganz bestimmte Art von Unwissenheit, die in Unkenntnis der Realität Personen und Phänomene als inhärent existent auffasst, d. h. so, als hätten sie ihr unabhängiges, eigenes Wesen. Wenn diese Unwissenheit beseitigt wird, verschwinden alle schädlichen Faktoren des Geistes, die von ihr abhängen, ähnlich, wie das ganze Astwerk abstirbt, wenn ein Baum entwurzelt wird. Weil Unwissenheit die Realität falsch auffasst, kann sie durch eine korrekte Erkenntnis der Realität eliminiert werden. Der Geistesfaktor, der das bewirkt, wird Weisheit genannt, und das ist der Grund, aus dem die buddhistischen Lehren so ausführlich über das Kultivieren der Weisheit sprechen, die das Fehlen von – oder auch die Leerheit von – inhärenter Existenz erkennt.

Bevor wir jedoch in der Lage sind, Weisheit einzusetzen, um unsere destruktiven Haltungen und Emotionen mitsamt der Wurzel zu eliminieren, müssen wir einfachere Methoden zu Hilfe nehmen, um ihnen entgegenzuwirken. Aus diesem Grund haben große buddhistische Meister wie Shantideva über eine Reihe leicht anwendbarer »Gegenmittel« zum Ärger gesprochen, d. h. Techniken zur Neutralisierung dieser »giftigen« Emotion. Von eben diesen Techniken handelt dieses Buch im Wesentlichen.

*Eine Art Campuniform (Anm. d. Ü.)

2

Die Nachteile des Ärgers

Wut kann uns ein unerhörtes Gefühl der Macht verleihen. Gleichzeitig aber untergräbt sie unser eigenes Glück und das Glück anderer. Wie Gendundrup, der erste Dalai Lama, in einem Gebet an Tara, einen weiblichen Buddha, sagte:

Vom Winde unbotmäßiger Betrachtung angefacht,

inmitten wühlender Rauchwolken unheilvoller Taten,

hat sie die Macht, ganze Wälder an Verdiensten zu versengen:

Die Feuersbrunst der Wut – errette uns von dieser Gefahr!

Ist Ärger zutreffend in der Einschätzung der Wirklichkeit?

Ärger ist nicht zutreffend in der Einschätzung der Wirklichkeit, denn er beruht definitionsgemäß auf Übertreibungen oder Zuschreibungen negativer Eigenschaften. Während wir aber ärgerlich sind, haben wir keineswegs das Gefühl, zu übertreiben oder Eigenschaften zuzuschreiben, die nicht der Realität entsprechen. Wir haben schlicht das Gefühl, dass wir recht haben! Tatsächlich scheint der wütende Geist sich völlig klar darüber zu sein, dass »ich recht habe, dass Du unrecht hast und dass Du Dich ändern musst!«

Unter dem Einfluss des Ärgers picken wir uns einige negative Einzelheiten aus dem Ganzen heraus und bilden uns auf ihrer Grundlage eine eingeschränkte Meinung, die wir nur sehr widerwillig ändern. Diana zum Beispiel arbeitete in derselben Organisation wie Harry, und obschon sie ihn nicht sehr gut kannte, unterstützten sie dieselben Ziele. Eines Tages strich er ein Seminar, das sie zu geben hatte, woraufhin sie wütend wurde, weil sie sein Verhalten als unfair empfand. Monatelang verkrampfte sich jedes Mal etwas in ihr, wenn sie ihn sah oder auch nur seinen Namen hörte. Irgendwann wurde ihr jedoch bewusst, dass sie sich auf der Grundlage einer halben Stunde im fünfundvierzigjährigen Leben dieser Person eine Meinung über sie gebildet hatte, von deren Richtigkeit sie überzeugt war. »Bestimmt«, erkannte sie »ist er doch viel mehr als diese eine unglückliche Begegnung, die wir hatten.« Als sie sah, dass ihr Ärger unrealistisch war, ließ sie von ihren fixen Vorstellungen über ihn ab. Diana sah Harry nun nicht mehr so finster an, und er wurde freundlicher zu ihr. Schließlich waren sie dann imstande, über die Streichung ihres Seminars zu sprechen und das Problem zu bereinigen.

An einer festen, unzutreffenden Meinung über jemanden festzuhalten, führt zu Misstrauen und fortwährender Unzufriedenheit. Wenn wir wütend auf jemanden sind, erscheint uns alles, was derjenige tut, falsch, und selbst unscheinbarste Handlungen nehmen wir als weitere Bestätigung dafür, dass unsere negative Ansicht über ihn der Realität entspricht. Im oben genannten Beispiel dachte Diana jedes Mal, wenn Harry Blickkontakt mit ihr aufnahm oder sie grüßte, dass er sich über sie lustig mache und sie verspotte, weil er einflussreicher war. In Wirklichkeit war ihm bewusst, dass sie wütend auf ihn war, und er war bemüht, eine freundlichere Atmosphäre zu schaffen, in der er mit ihr über den Vorfall reden konnte.

Psychologen sprechen von einer Refraktärperiode, die mit einer Emotion einhergeht. Während dieser Zeit verschließen wir uns jeglichem Rat und jeder vernünftigen Interpretation, die unserer Ansicht widerspricht. Wir sind weder imstande, klar über die Situation nachzudenken, noch, andere Interpretationen zuzulassen, die wohlmeinende Mitmenschen anzubieten haben. Diese Refraktärzeit mag nur kurz dauern, d. h. einige Sekunden, oder aber sehr lang, d. h. Jahre oder gar Jahrzehnte, anhalten. Wenn die Emotion sich legt und wir in der Lage sind, die Ereignisse genauer zu betrachten, sehen wir wie Diana, dass die Interpretation des Ärgers falsch war.

Ärger ist also nicht zutreffend in seiner Beurteilung der Realität, insofern als er die Situation nicht in ausgewogener Weise, sondern durch den verzerrten Filter von »ich«, »mich« und »mein« wahrnimmt. Obgleich wir glauben, dass die Situation tatsächlich objektiv »da draußen« existiert, genau so, wie sie uns erscheint, sehen wir sie jedoch, wenn wir wütend sind, in Wirklichkeit durch den Filter unserer Ichbezogenheit. Wenn der Chef meine Kollegin kritisiert, ist es gut möglich, dass ich mich nicht ärgere. Es kann sein, dass ich meine Kollegin sogar tröste, indem ich ihr sage: »Nimm es nicht so persönlich, was der Boss sagt. Ist doch keine große Sache. Er ist eben sehr unter Druck und muss ein bisschen Dampf ablassen. Das hat überhaupt nichts mit dir zu tun, morgen ist er schon wieder ganz anders.« Wenn der Chef aber mich kritisiert, dann bin ich aller Wahrscheinlichkeit nach auf der Palme. Die Situation scheint mir dann ungeheuer ernst. Alles, was meine Freunde dazu sagen, weise ich weit von mir und bleibe im Schmollwinkel. Realistisch betrachtet gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen den Worten, die der Chef zu meiner Kollegin, und denen, die er zu mir gesagt hat. Warum aber fahre ich dann aus der Haut, wenn er bei diesen Worten mich, nicht dagegen, wenn er meine Kollegin ansieht? Weil ich es bin und weil, so ungern ich es auch zugeben möchte, ich doch das Gefühl habe, dass alles, was mir geschieht, sehr viel wichtiger ist als das, was irgendjemand anderem widerfährt.

Aufgrund dieser eingefleischten, egozentrischen Sicht der Dinge erscheint alles, was in Bezug auf mich geschieht, von vordringlicher Wichtigkeit. Ich verbringe meine Zeit damit, über meine Probleme nachzudenken, nicht etwa über die Probleme eines anderen, es sei denn, ich hänge an dieser anderen Person. Es könnten Menschen in dieser Welt verhungern, mein Nachbar könnte eine herzzerreißende Scheidung durchmachen, bei einem Kollegen könnte Krebs diagnostiziert werden – sobald ich ihr Pech jedoch flüchtig zur Kenntnis genommen habe, wende ich mich wieder der eigentlichen Krise zu: der Kritik, die ich bekommen habe. Auf den ersten Blick mag das wie eine etwas banale oder flapsige Beschreibung wirken; nehmen wir aber einmal ernsthaft die Gedanken unter die Lupe, mit denen wir unsere Zeit verbringen, werden wir sehen, dass meine Probleme, mein Leben, d. h. alles, was irgendwie mit mir in Zusammenhang steht, den allerersten Rang einnimmt.

Ist Ärger nützlich?

Im Allgemeinen betrachten wir etwas als nützlich, wenn es unserem Glück zuträglich ist. Wenn wir uns aber fragen: »Bin ich eigentlich glücklich, wenn ich ärgerlich bin?«, ist die Antwort zweifellos: »Nein.« Aus physiologischen Gründen empfinden wir möglicherweise einen gewissen Energieschub, emotional jedoch fühlen wir uns dabei miserabel. Das heißt, wir können aus eigener Erfahrung sagen, dass Ärger nicht glücklich macht.

Zudem kommunizieren wir nicht gut, wenn wir wütend sind. Es kann vorkommen, dass wir sehr laut werden, so, als wäre die andere Person schwerhörig. Vielleicht wiederholen wir uns, so, als hätte sie Gedächtnisprobleme. Das ist aber keine gute Kommunikation. Gute Kommunikation beinhaltet, sich in einer Art und Weise zum Ausdruck zu bringen, dass wir von der anderen Person verstanden werden, und nicht so, dass wir lediglich unsere Gefühle auf ihr abladen. Wenn wir Leute anschreien, schalten sie ab, so wie wir selbst den Inhalt von Worten überhören, wenn uns jemand anschreit. Eine gute Kommunikation bedeutet auch, Gedanken und Gefühle mit Worten, Gesten und Beispielen zum Ausdruck zu bringen, die für die andere Person nachvollziehbar sind. Unter dem Einfluss von Ärger jedoch sind unsere Ausdrucksmittel lange nicht so kontrolliert und unsere Gedanken bei Weitem nicht so klar wie gewöhnlich.