Es ist okay - Angela Doe - E-Book
SONDERANGEBOT

Es ist okay E-Book

Angela Doe

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Den eigenen Platz im Leben finden - auch über Umwege Es ist okay, an sich selbst zu zweifeln. Es ist okay, nicht zu wissen, was man will. Es ist okay, mit 30 single zu sein. Du bist okay so wie du bist. Mit all deinen Ängsten, Unsicherheiten und Träumen. Denn Selbstfindung ist eine Lebensaufgabe und keine Checkliste, die man bis Ende zwanzig abgearbeitet haben muss. Diese wichtige Erkenntnis musste sich Angela Doe hart erkämpfen. Stück für Stück lernte sie, ihren Körper und das Leben zu lieben. Sie überwand ihre Essstörung, beendete eine toxische Beziehung und fand immer mehr zu sich selbst. In ihrem Buch erzählt sie von ihrem Weg und ermutigt dazu, aus dem eigenen Herzen heraus zu leben und zu handeln und sein Leben so zu gestalten, wie man selbst es als richtig empfindet - und nicht nach Vorgaben von außen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Es ist okay, an sich selbst zu zweifeln. Es ist okay, nicht zu wissen, was man will. Du bist okay so wie du bist. Mit all deinen Ängsten, Unsicherheiten und Träumen. Denn Selbstfindung ist eine Lebensaufgabe und keine Checkliste, die man bis Ende zwanzig abgearbeitet haben muss.

Diese wichtige Erkenntnis musste sich Angela Doe erst erkämpfen. Stück für Stück lernte sie, ihren Körper und das Leben zu lieben. In ihrem Buch erzählt sie von diesem Weg und ermutigt dazu, aus dem eigenen Herzen heraus zu leben und zu handeln und sein Leben so zu gestalten, wie man selbst es als richtig empfindet.

Die Autorin

Angela Doe wurde 1989 in München geboren. Sie studierte Fotodesign an der Hochschule in München und gründete 2013 ihren Blog. Dort war sie lange Jahre erfolgreich als Fashionbloggerin unterwegs, bis sie sich umorientierte. Heute steht sie mit ihrem Instagram-Kanal @ANGELADOE für Themen wie Selbstakzeptanz, Verletzlichkeit und Offenheit ein. Gemeinsam mit ihrer Seniorenkatze Sherry lebt sie auch heute noch in ihrer Heimatstadt.

ANGELA DOE

Weil man sich erst verlieren muss, um sich selbst zu finden

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-buchverlage.de

Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.

Hinweis zu Urheberrechten

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.

Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Manche im Buch erwähnten Personen wurden zum Schutz der Privatsphäre verfremdet und ihre Namen geändert.

ISBN 978-3-8437-2397-8

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020

Umschlaggestaltung und Titelabbilung: Angela Doe

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
Über das Buch / Über die Autorin
Titel
Impressum
Zitat
Vorwort
Was ich mit diesem Buch versuchen möchte
Triggerwarnung: Essstörung, Narzissmus und Schwangerschaftsabbruch
Gendergerechte Sprache
Retrospektive
Für nichts und niemanden
Gift für den Kopf
Mia
I’m a loser, Baby
Rock Bottom
In your twenties
Flucht
Platz im Kopf für die schönen Dinge
Was macht mich glücklich?
Nur in meinem Kopf
The Art of Overthinking
Nichtstun
Der Geschmack von Stille
Irgendwas ist anders
Be here now
Who am I?
Wo man die Stille findet
Stille und Kreativität
Das erste Gefühl
Angst vor Veränderung
Meine ersten Gefühle
Aber was ist eigentlich »schön«?
Feuer im Herzen
Auf und davon
Hawaii
Was ich durch den Mangel an Geld gelernt habe
Obdachlos auf Hawaii
Briefe
Fast Forward
Ich glaube, es ist Mitgefühl
Die Kunst des Vergebens
Und was ist mit Mia?
Auf und Ab
2016
Weil man das Glück ganz einfach sammeln kann
Positive Psychologie
Drei gute Dinge
Random Acts of Kindness
13 Semester
Der Geschmack von Freiheit
Gut Ding will Weile haben
Nicht allein
Die Essstörung als Ventil
Ich kann was!
Man muss kein »Entrepreneur« werden, um glücklich zu sein
Was ich alles kann!
Verantwortung schafft Freiheit
Der Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung
2017, du warst so wunderbar
Schlussstriche zieht man nicht mit Bleistift
Soulmates
Ein allerletztes Mal
Und wenn’s bergab geht, dann so richtig
Siebter Oktober
Ein atmendes Wunder
Mein Privileg
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen15
Und ich fall nicht mehr so tief
Als ich Mama von Mia erzählte
Danke, Mia
Wie war das jetzt eigentlich genau in der Therapie?
Und alle reden von Selbstliebe
Vier Uhr morgens
Über meinen Schwangerschaftsabbruch
Es ist Mut
»Du kannst dir halt nichts anschaffen lassen«
Und jetzt?
Hartz IV
Zu kaputt
Eine kurze Hommage an meine Tränen
When everything falls into place
When everything falls into Place
Nachwort: Das Leben macht niemals einen Punkt
Danksagung
Anhang
Anmerkungen
Feedback an den Verlag
Empfehlungen

Ich sehe was was du nicht siehstin dir und du siehst was was ich nicht seh in mir.

– Angela Doe

Vorwort

Einer meiner größten Träume war es immer, irgendwann einmal ein Buch zu schreiben. Mit sechzehn, als ich nach meinem ersten, furchtbaren Herzschmerz meine Gefühle niederschrieb, gefiel mir die Vorstellung, Autorin zu sein. Autorin! So was von cool. Sagen zu können: »Ich habe ein Buch geschrieben!« So was von cool. Sein eigenes Buch jemanden in der S-Bahn lesen zu sehen! So was von cool. Ich dachte, schriebe ich ein Buch, dann wäre ich endlich jemand. Und Mann, wäre ich mit sechzehn gerne »jemand« gewesen. Ich wäre gern irgend»jemand« gewesen – Hauptsache, nicht ich selbst. Denn ein Buch schreiben, das können nur ganz besondere Menschen, und ich wollte doch so gerne besonders sein.

Ich schrieb viel – aber niemals ein Buch. Ich schrieb verschleierte Herzschmerz-Botschaften auf MySpace, Einser-Aufsätze in der Schule, endlose Chat-Nachrichten auf ICQ, Kurzgeschichten auf meiner Knuddels-Homepage und bis vor einigen Jahren sogar noch einen Blog – aber ein Buch schrieb ich nie. Es dauerte eine Zeit, bis ich verstand, dass meine Beweggründe falsch waren. Ich wollte kein »Buch schreiben« – ich wollte »ein Buch geschrieben haben«. Ich wollte kein »Buch schreiben«, ich wollte jemand SEIN, der Bücher schreibt. Denn ich wollte den Stempel der Autorin für meinen viel zu kleinen Selbstwert.

Um es aber gleich mal vorwegzunehmen: Ich find’s schon immer noch ziemlich nice, dass ich gerade ein Buch schreibe. Machen wir uns mal nichts vor. Ein bisschen 16-jährige Angela ist wohl immer noch in mir, und das ist okay. Man soll sein inneres Kind doch in den Arm nehmen, dann darf ich jetzt auch mal das Ego meines Teenager-Ichs streicheln. Ich klopfe ihr also hiermit auf die Schulter. Gut gemacht!

Der Unterschied zu meinen Beweggründen von damals ist, dass ich heute geradezu darauf brenne, endlich einen Ort für meine Gedanken, Gefühle und Erkenntnisse zu erschaffen. Da ist so viel in mir, das nur darauf wartet, endlich mal in halbwegs strukturierter Form zu Papier gebracht zu werden. Ich schreibe dieses Buch also nicht ausschließlich für euch – sondern auch ein bisschen für mich. Denn das Schreiben ist auch heute noch wie eine Therapiesitzung mit mir selbst. Ich setz mich hin und trinke einen Kaffee mit meinen Gefühlen. Und wenn du magst, dann setz dich doch zu mir.

Was ich mit diesem Buch versuchen möchte

Ganz kurz und vielleicht etwas platt gesagt: Ich war früher, als Teenager und auch noch weit in die Zwanziger hinein, kein besonders glücklicher Mensch. Heute bin ich es viel mehr. Was dazwischen passiert ist und wie ich da hingekommen bin, soll dieses Buch erzählen.

Mir geht es auch heute nicht immer gut. Ich bin nicht immer glücklich. Ein großer Teil meiner Entwicklung aber bestand auch darin zu akzeptieren, dass das Leben Polarität, ein Auf und Ab, eine Gefühlsachterbahn zwischen Gut und Schlecht ist. Der Unterschied zu damals aber ist, dass ich gelernt habe, im freien Fall die Arme hochzureißen, und manchmal denke ich sogar daran, den Fallschirm zu öffnen. Die Tiefs fühlen sich nicht mehr ganz so tief an, dafür aber koste ich die Hochs mit all meinen Sinnen aus.

Trotzdem fühle ich mich nicht befugt, einen »Lebensratgeber« zu schreiben. In meinen Augen ist eigentlich niemand dazu befugt – außer man hat eine entsprechende Ausbildung gemacht. Person Y kann keinen Ratgeber für Person B schreiben. Denn Person Y ist nicht Person B. Menschen, Leben, Umfelder, Erfahrungen sind so vielfältig und unterschiedlich, wie es Sterne im Universum gibt. Kein Mensch ist gleich. Ich kann dir also nicht sagen, wie du dein Leben leben sollst, damit du glücklich wirst. Ich habe leider keine Anleitung für dich. Weder deine Eltern noch deine Freunde oder deine Vorbilder haben eine Anleitung für dich. Aber die gute Nachricht ist: Die hatte ich auch nie! Denn was dich in deinem Leben glücklich macht, wirst du niemals im Vergleich mit jemand anderem herausfinden. Auch nicht im Vergleich mit mir. Denn keiner kennt deine Gedanken, keiner kennt deine Erfahrungen, keiner kennt dein Wesen so gut wie du. Ganz allein du selbst kannst herausfinden, wer du bist und welcher Weg für dich richtig ist.

Wozu schreibe ich also all das hier?

Ich möchte versuchen, eben die Worte aufzuschreiben, die ich in meinem Leben gerne gehört hätte, die mir ganz oft gefehlt haben, um den Willen und den Mut aufzubringen weiterzugehen. Für mich persönlich waren immer genau die Bücher und Texte am hilfreichsten, in denen ich mich selbst erkannt habe. Und wann immer ich etwas im Internet poste – die meiste Liebe bekomme ich, wenn ich euch das Gefühl nehme, mit bestimmten Problemen und Sorgen ganz allein auf der Welt zu sein. Wann immer ich mich öffnete und meine eigenen Probleme anspreche, werde ich überhäuft mit Dankesnachrichten. Und dabei habe ich ganz oft nicht einmal eine Lösung parat. Doch das An- und Aussprechen des Problems reicht offenbar bereits. Was den Menschen Erleichterung verschafft, ist das Gefühl, nicht allein zu sein. Da draußen gibt es noch jemanden, der genauso awkward ist! Der genauso keine Ahnung hat, wohin es im Leben gehen soll!

Ich habe mich selbst ganz oft einsam gefühlt mit meinen Problemen, hab mich eingeigelt und mir eingeredet, mich würde sowieso keiner verstehen. Turns out, je mehr ich mir wie ein Alien vorkam, desto mehr Menschen sprach das Thema an. Wenn ich etwas verbalisierte, das sich sonst aus Scham oder Angst keiner traute auszusprechen, genau dann öffneten sich auf einmal die meisten Herzen. Und ich, ich war wieder Mensch und kein Alien mehr. Und ein paar andere Aliens vor ihrem Handybildschirm wurden auf einmal auch wieder zu Menschen.

Ich schreibe dieses Buch also in erster Linie dafür, dass du dich verstanden fühlst. Ich möchte so viele meiner Schwächen und Probleme der letzten Jahre offen darlegen, wie es mir nur möglich ist. Ich will, dass du dich am Ende dieses Buches wieder ein bisschen mehr als Teil eines Großen und Ganzen fühlst. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gefühl, Teil von etwas zu sein, maßgeblich zum eigenen Glück beiträgt. In Afrika nennt man dieses Gefühl, diese Lebenseinstellung »Ubuntu«: »Ich bin, weil du bist«, es bedeutet, dass es zum Wesen des Menschen gehört, Teil von etwas zu sein. Oder wie Johann Gottlieb Fichte es bereits sagte: »Der Mensch wird nur unter Menschen ein Mensch – sollen überhaupt Menschen sein, so müssen mehrere sein.«1 Ich gehöre in diese Welt genauso wie du – und wenn du in diesem Buch Gemeinsamkeiten mit mir entdeckst, dann fühlst du hoffentlich ein bisschen Ubuntu in dir.

Denn zusammen ist man weniger allein.

"Triggerwarnung: Essstörung, Narzissmus und Schwangerschaftsabbruch

Bevor es losgeht, möchte und muss ich für dieses Buch eine allgemeine Triggerwarnung zum Thema Essstörung setzen. Zwar geht es natürlich hauptsächlich darum, wie ich diese für mich auflösen konnte – aber dennoch erzähle ich vor allem zu Beginn, was mich in die Bulimie getrieben hat und wie sich meine Essstörung genau äußerte. Der Sinn dieses Buches soll nicht sein, dass du dir etwas von der alten Teenager-Angela abguckst. Bitte sei achtsam und beobachte deine Gedanken und Gefühle. Sobald du dich beispielsweise dabei erwischst, dass du einen Abnehm-»Tipp« als eine »gute Idee« empfindest, hör am besten sofort auf zu lesen und geh weiter zum nächsten Kapitel. Weitere Triggerwarnungen findest du vor den jeweiligen Kapiteln.

Gendergerechte Sprache

Ich habe mich dazu entschlossen, in diesem Buch eine gendergerechte Sprache zu verwenden. Ich verwende hierzu den Doppelpunkt (Beispiel: Freund:innen), um Menschen aller Geschlechteridentitäten zu inkludieren. Und obwohl ich nach bestem Gewissen versuche, keine Fehler zu machen, können sich einige einschleichen. Ich möchte euch hiermit um Nachsicht bitten, falls dem so sein sollte.

Retrospektive

Um euch voll und ganz in meine Gefühlswelt mitzunehmen, zeige ich euch Texte und Tagebucheinträge, die ich über die Jahre geschrieben habe. Das Schreiben war seit besagtem erstem Herzschmerz schon immer mein Ventil, um meinen Gefühlen Raum zu geben. Ich musste sie sozusagen »auskotzen«, weil sie mich sonst innerlich zerfressen hätten. Es ist paradox, wenn man bedenkt, dass ich acht Jahre meines Lebens an Bulimie litt – das »Loswerden« meiner viel zu starken Gefühle und Probleme spiegelte sich nicht nur auf Papier, sondern auch in meinem Essverhalten wider. Diese Gefühlskotze war meist ein undurchschaubares Wirrwarr aus Angst, Zweifel und Aussichtslosigkeit. Ein fest verwirrter Knoten und ich mittendrin. Diese Texte von damals sind sehr emotional, verzweifelt, vielleicht sogar erdrückend. Sie werden vielleicht etwas Vergangenes in dir aufrütteln oder auch etwas, das gerade präsent ist. Deshalb bitte ich dich darum, das Buch nach solch einem Text nicht gleich beiseitezulegen. Ich möchte dich nicht mit dem Gefühl der Leere und Aussichtslosigkeit zurücklassen, sondern gemeinsam mit dir auf diese Texte und Erfahrungen zurückblicken. Denn ich möchte immer auch erzählen, was ich aus diesen Erfahrungen gelernt habe und wie sie mir letztendlich betrachtet in meinem Weiterkommen geholfen haben. Lies also bitte nie »nur« den Schmerz, sondern immer auch das, was danach kommt.

Rückblickend betrachtet – und davon bin ich fest überzeugt – sieht jedes noch so große und aussichtslose Problem auf einmal gar nicht mehr so wild aus. Ich erkenne den Knoten – aber ich erkenne auch die einzelnen Stränge, die zu diesem Knoten geführt haben. Ich kann jetzt herauslesen, wer ich war, warum ich so dachte, wieso die Verzweiflung so tief saß.

Für nichts und niemanden

2009

Ich starre auf die Espressomaschine vor mir. Mein Kopf hämmert. Meine Augen, die vom vielen Weinen noch immer zugeschwollen sind, drohen sich wieder mit Tränen zu füllen, und ich frage mich, ob da überhaupt noch etwas übrig sein kann, ob dem Körper die Ressourcen zur Tränenproduktion nicht auch irgendwann ausgehen. Offensichtlich nicht.

In meinem Kopf spielt sich ein und derselbe Film immer und immer wieder ab: Ich sehe den Jungen, in den ich so verliebt bin, und ich sehe das Mädchen, das ich so hasse. Oder ist es der Junge, den ich so hasse, und das Mädchen, das ich heimlich bewundere? Ich hasse ihn, und doch will ich bei ihm sein, will, dass er MICH will, und ich hasse sie, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr als ihn, aber ich will gleichzeitig auch so sein wie sie, unbedingt. Und in meinem Kopf wiederholt sich der Film, in dem die beiden die Hauptrolle spielen, und ich, ich bin nur Statistin. Zu unschön für eine Hauptrolle, nicht Hollywood-tauglich. Unscharf im Hintergrund. Ich sehe den beiden zu, wie sie sich küssen, und in seiner Hand mein ganzes Herz. Ich wünschte, ich könnte es mir einfach zurückholen und damit davonlaufen. Aber ich hab’s dir nun mal geschenkt. Und du hast es genommen. Und trotzdem hast du eine andere geküsst, mit meinem Herz in deiner Hand, und es fühlt sich so an, als drücktest du es mit aller Gewalt zusammen.

Wunderst du dich wirklich darüber, Angela? Wunderst du dich wirklich darüber, dass ein Typ wie er sich eine Dünnere, Schönere sucht? War es nicht von Anfang an klar, dass so etwas passiert, wenn du nicht endlich lernst, dich am Riemen zu reißen und deinen Arsch hochzukriegen? Du musst was ändern, Angela. Koste es, was es wolle. Du wirst niemals glücklich, wenn du so aussiehst. Du wirst niemals gut genug sein für einen Mann, wenn du so aussiehst.

Die Kaffeemaschine beginnt laut zu pfeifen, und ich schiebe sie panisch von der Herdplatte. Verdammt. Ich blicke schnell durch das Fenster nach draußen in den Hof. Noch keiner da, Gott sei Dank. Wie immer bin ich extra früh gekommen, um vor Arbeitsbeginn bloß niemandem in der Küche über den Weg zu laufen. Vor allem Sven nicht. Ich halte das Gefühl nicht aus, in seiner Nähe zu sein. Ich kann seine Verachtung mit jedem Wort, mit jedem Blick wie Nadeln auf der Haut spüren. Sehe ihn den Kopf schütteln, wenn ich mal wieder »etwas Dummes« gesagt oder getan habe.

Ich kippe mir den Kaffee in die Tasse, und als ich den Kühlschrank öffne, um die Milch zu holen, halte ich inne. Keine Milch, Angela. Das sind nur wieder 50 kcal, und du wolltest heute doch höchstens 500 kcal essen. Ich stelle sie zurück. Mein Blick schielt zum Zucker. Scheiße, ich hasse Kaffee.

Ich höre ein Geräusch hinter mir, und in dieser Sekunde stelle ich erschreckend fest, dass ich getrödelt habe. Ich bin nicht mehr allein. Ich hoffe, dass es nur einer meiner Chefs sein möge, doch als ich mich umdrehe, stehen nicht nur mein Chef und Sven da, sondern auch noch Chef Nummer zwei.

»Guten Morgen, Angela. Wir würden gerne mit dir sprechen.«

Fünfzehn Minuten später laufe ich tränenüberströmt aus der Küche und sperre mich – mal wieder – in der Toilette ein. Nach nur einem Wort sind mir die Tränen gekommen, ich fühlte mich wie eine Verbrecherin auf der Anklagebank, vor mir drei Männer, die mir sagen wollen, dass »da doch was in der Luft liegt« und man »das Problem klären müsse«. Aber leider könne man ja nicht mit mir reden, weil ich »immer sofort anfange zu weinen«. Mein Versuch, die Tränen zu unterdrücken, führte zu einem panischen Hicksen, ein kindliches Weinen, das es mir nicht mehr ermöglichte zu sprechen – stattdessen versank ich vor Scham im Boden.

Also lief ich weg. Ich bin »dramatisch«, wie immer. Und das Gefühl, nicht in diese Gesellschaft zu passen, macht sich breit wie ein Lauffeuer. Dieser Job sollte mir helfen, meine »berufliche Richtung« zu finden. Damit ich irgendwann mal mit irgendwas Geld verdienen kann. Aber offensichtlich kann ich das nicht. Ich bin zu dumm, zu unmotiviert, zu schwach. Ich kann in dieser Welt nicht bestehen. Also muss ich doch einen Mann finden, der mich ein Leben lang »durchfüttert« – aber wie soll das klappen, wenn ich bin, wie ich bin, wenn ich aussehe, wie ich aussehe? Ich bin nicht schön genug. Ich bin nicht klug genug.

Ich bin für nichts und niemanden genug.

Gift für den Kopf

An diesem Tag – ich war damals 19 Jahre alt – beschloss ich, ab jetzt alles dafür zu tun, um »endlich dünn zu sein«. Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses Gefühl: als ob sich etwas einst sehr Weiches und Zartes in mir verhärtete. Schockgefrostet. Es war ein harter Knoten entstanden, und es sollte viele Jahre dauern, diesen wieder zu lösen.

Ich hatte natürlich bereits zuvor versucht, »alles dafür zu tun, endlich dünn zu sein«. Mit elf Jahren wollte ich nicht mehr zum Ballettunterricht gehen, da sich einige andere Mädchen in der Gruppe über meinen »großen Bauch« lustig machten. Ich trug seitdem keine Bikinis mehr und traute mich nur noch im Badeanzug ins Wasser. Seit ich vierzehn Jahre alt war, kämpfte ich mich durch alle erdenklichen Diäten, die das Internet damals so hergab: Ich versuchte, nichts zu essen. Ich versuchte, mich tagelang nur von Kohlsuppe zu ernähren, trank so viel Almased, dass ich mich fast übergeben musste, und versuchte mich an Low Carb, Hollywood- und Atkins-Diäten. Aber nichts davon erzielte den gewünschten Effekt, denn jeder Versuch zu hungern stürzte mich abends nur wieder in einen Essanfall.

Mit fünfzehn stieß ich im Netz das erste Mal auf »Pro Ana«- und »Pro Mia«-Seiten. Ana steht für Anorexia nervosa – also die Magersucht – und Mia für Bulimia – die Ess-Brech-Sucht. »Pro Ana« bedeutet demnach nichts anderes als »für Magersucht«, und »Pro Mia« bedeutet »für die Ess-Brech-Sucht«. Ana und Mia bekommen zwei süße weibliche Namen und stellen somit die personifizierte Essstörung als »gute Freundin« dar, die den Betroffenen »helfen« soll, anorektisch oder bulimisch zu werden oder zu bleiben.

Diese Webseiten waren (und sind auch heute noch) vollgepackt mit »Tipps und Tricks« zum Abnehmen, meist inklusive Abnehm-Tagebüchern junger Mädchen, die täglich darüber schreiben, wie viel sie abgenommen haben und auf was sie heute alles verzichten konnten. Unter dem Menüpunkt »Thinspiration« finden sich zahlreiche Fotos von dünnen Mädchen, die man sich ansehen soll, falls ein Fressanfall droht. Oder falls man nach tagelangem Fasten eine neue »Motivation« braucht. Einige Tipps, die mir bis heute im Gedächtnis geblieben sind, möchte ich kurz aufführen, um euch noch etwas tiefer in meine Gedankenwelt von damals mitzunehmen – und auch um eine Warnung zu setzen. Vielleicht hätte jemand meine Essstörung erkennen können, hätten sie von solchen Seiten gewusst. Ich möchte die Triggerwarnung noch einmal wiederholen: Überspring diese Liste unbedingt, falls du gefährdet bist.

• Beeinflusse dich jede Minute. Hetze dich selber gegen dein Gewicht auf. Verbring jeden Tag ein paar Minuten auf Pro-Ana-Seiten und schau dir in jeder freien Minute dein Tagebuch an. Je mehr du dich selber aufstachelst, umso besser wirst du durchhalten.

• Versuch in Unterwäsche vor dem Spiegel zu essen. Dann willst du bestimmt nichts mehr zu dir nehmen.

• Kauf dir eine Hose, die dir zu klein ist, und versuche immer wieder reinzukommen. Der Frust wird dich antreiben.

• Trink nach jedem Bissen einen Schluck Wasser, so wirst du schneller satt.

• Iss nur so viel, dass dein Bauch sich nicht wölbt.

• Dreh im Winter die Heizung in deinem Zimmer ab. Frieren verbrennt Kalorien!

• Iss nichts, was größer ist als deine Handfläche.

• Schaue in den Spiegel und stell dir vor, du wärst jemand anderes. Halte deine Eindrücke schriftlich fest.

• Vergiss niemals: Nichts schmeckt so gut, wie sich Dünnsein anfühlt.

Diese Listen im Netz sind natürlich endlos und umfassen meist bis zu einhundert Punkte. Heutzutage ist es durch WhatsApp sogar noch schlimmer geworden: Junge Mädchen finden in WhatsApp-Gruppen zusammen, überlegen sich Challenges zum gemeinsamen Abnehmen, und wer sich nicht an die Regeln hält oder anfängt zu essen, fliegt raus. Regeln können so etwas sein wie: Poste jeden Morgen ein Bild von der Waage. Poste jeden Abend, was du gegessen hast und was du dafür getan hast, die Kalorien wieder zu verbrennen. Dank mobilem Internet, WhatsApp und Instagram muss man nicht mehr warten, bis man zu Hause ist, um sich »Hilfe bei einer Fressattacke« zu holen – sondern chattet ganz einfach schnell mit den anderen »Anas« in der Gruppe. Essstörung für die Hosentasche. Immer mit dabei. Dass ebensolche Mädchen mit total verdrehter Selbstwahrnehmung und selbst geschürtem Hass auf ihren Körper sogar Opfer werden von Pädophilen, die sich als »Abnehm-Coaches« ausgeben, ist der abscheuliche Gipfel dieser Bewegung.2 Mein Herz wird ganz schwer, wenn ich nur daran denke, wie viele Mädchen auch heute noch der festen Überzeugung sind, dass der Selbsthass sie ins Glück führen könnte. Und was für unglaublichen Gefahren sie sich aussetzen – nicht nur aus gesundheitlicher Sicht, sondern auch aufgrund derer Menschen, die grausam genug sind, die Verzweiflung eines jungen Mädchens auszunutzen.

Ich war damals eine von ihnen. Auch ich versuchte stetig, den Selbsthass auf meinen Körper zu schüren – doch trotz Pro-Ana-Tipps und Thinspiration nahm ich nie ab. »Du musst dich nur genug selbst hassen, dann wird’s schon klappen«. Man könnte diese Methode auch als negative Affirmation bezeichnen. Eine Affirmation ist eigentlich ein bejahender Satz, den wir uns wieder und wieder sagen, um die eigenen Gedanken umzuprogrammieren. Eine gut formulierte und häufig wiederholte Affirmation kann sich positiv auf das Selbstbewusstsein auswirken: »Ich glaube jeden Tag mehr daran, etwas wert zu sein, ich glaube jeden Tag mehr und mehr an mich selbst.« Aber was passiert, wenn die eigene Affirmation darauf abzielt, sich selbst möglichst schlechtzumachen? Was, wenn wir uns über Jahre hinweg einreden, dass unser Körper hässlich ist, dass wir nichts wert sind, solange eine bestimmte Zahl auf der Waage steht? Wie kommen wir nur auf die Idee, dass sich etwas Positives in uns entwickeln könnte, wenn wir uns ständig nur Gift in den Kopf jagen? Ich habe mir damals mit voller Absicht wieder und wieder eingeredet, hässlich zu sein. Ich habe mir ein negatives Selbstbild in den Kopf gepflanzt. Ich hätte so viel abnehmen können, wie ich wollte – »schön« hätte ich mich niemals gefunden. Denn sich schön zu finden und zu fühlen hatte ich nie gelernt. Wie auch, ich redete mir seit Jahren das Gegenteil ein.

Egal, was wir auf Selbsthass sähen: Es wird niemals Glück, Selbstliebe oder Zufriedenheit daraus erwachsen. Eine Gleichung, die niemals aufgeht.

An diesem Tag, 2009, übergab ich mich nach dem Mittagessen zum ersten Mal. Wenn alles nichts hilft, dann muss das wohl sein. Und trotzdem: Essgestört war ich in meinen Augen natürlich nicht. Eine Essstörung, so sagte ich mir selbst, haben doch nur die »Abgemagerten in der Klinik«. Ich hatte mir ja bisher nur ein paar Tipps aus dem Internet für drei oder vier Kilos weniger gesucht, weiter nichts. Und als ich mich schließlich übergab, machte ich das ja nicht immer, nicht nach jeder Mahlzeit, und deshalb war es nicht so schlimm. Auch die Bulimie kannte ich bis dato nur aus den Medien, und in meinem Kopf entsprach ich nicht dem Bild einer:eines Bulimikers:in. Ich war ja nicht untergewichtig. Ich hatte ja keine Mangelerscheinungen, keinen Haarausfall, keine kaputten Zähne oder brüchigen Fingernägel. An mir war alles normal – also war das bisschen Erbrechen wohl auch nicht so schlimm.

Diese Zeilen zu schreiben macht mich auch heute noch tief traurig. So absurd mir all das von meinem jetzigen Standpunkt aus erscheint – damals war es meine Wahrheit. Und es ist noch heute die Wahrheit so vieler junger Menschen. Der Glaubenssatz, dass man ausschließlich mit einem sehr schlanken Körper in dieser Gesellschaft akzeptiert wird, ist immer noch weit verbreitet – wenn er auch selten laut ausgesprochen wird. Auf jedem Plakat, in jedem Magazin, in jedem Film und auf fast jedem Instagram-Account steht er in unsichtbaren Lettern geschrieben: Du musst schön sein, um etwas zu erreichen. Und auch ich war felsenfest davon überzeugt, dass all meine Probleme einzig und allein daher rührten, dass ich nicht »schön genug« war. Ich dachte, wenn ich dünn wäre, würden sich all meine Probleme endlich in Luft auflösen: Denn nur schöne Menschen erreichen etwas im Leben. Schöne Menschen sind erfolgreich und finden einen »Mann fürs Leben«. Wer schlank ist, wird nicht betrogen. Außerdem würde ich mich ja endlich schön fühlen, wenn ich dünn wäre, und somit hätte ich auch endlich mehr Selbstbewusstsein. Ich wäre schön und cool, und niemand in der Arbeit würde mich dumm oder blöd finden. Ich wäre stark und selbstbewusst und tough. Nur so, ganz allein so, würden mich endlich alle mögen – und nur so könnte ich jemals glücklich werden.

Ich hatte mir also gleich zwei negative Glaubenssätze in den Kopf gelegt: »Ich kann nichts« und »Ich bin nicht schön genug«. Natürlich war mir damals nicht bewusst, dass es sich dabei um Glaubenssätze handelte, die in der Kindheit und Jugend unter anderem durch die Gesellschaft geprägt wurden – damals war es einfach meine Wahrheit. Früher waren meine Gedanken und meine Gefühle immer die Wahrheit und somit absolut. Erst später lernte ich, nicht all meinen Gedanken und Gefühlen sofort zu glauben und darüber zu reflektieren. Damals aber konnte ich noch nicht differenzieren. Es war (und ist auch heute noch) ganz normal, dass vor allem Frauen ihre »Problemzonen« haben. Ein Mädelsabend ist kein Mädelsabend, wenn man sich nicht auch über sich selbst auslässt. Die eine findet ihre Oberschenkel zu dick, die andere mag ihre Nase nicht, die dritte beschwert sich über ihre Dellen – und all das scheint ganz normal. Sich selbst nicht zu akzeptieren wird akzeptiert. Man würde wahrscheinlich eher auf Verwunderung stoßen, fände man nichts an sich selbst auszusetzen.

Zwar sagten und zeigten meine Eltern mir tagtäglich, dass sie mich liebten, dass sie mich schön fänden, und doch liegt der Glaubenssatz »Ich bin zu dick« bei mir in der Familie. Ich kannte niemals eine Frau in meinem näheren Umfeld, die mit ihrer Figur zufrieden war.

Vor einigen Jahren, als ich gerade mit meiner Familie über Weihnachten bei meinen Großeltern war, fand ich alte Fotos von meiner Mutter: eine so schöne junge Frau, mit braunen Locken und großer 80er-Jahre-Hornbrille, High-Waist-Jeans und engem Top. Meine Augen strahlten – ich erkannte mich selbst in ihr. So eine tolle Mama habe ich, dachte ich, denn in meinen Augen ist meine Mama eine der coolsten und schönsten Frauen der Welt. Und trotzdem musste ich stutzen, als ich das Bild sah. Hatte meine Mutter nicht erzählt, dass sie »schon immer etwas zu dick« war? Ich sah kein »zu dick«, ich sah kein »zu viel«, ich sah einfach nur meine Mama mit der tollen Ausstrahlung und einem mir sehr bekannten Lächeln auf den Lippen – und einer Figur wie meiner.

Als ich ihr das Bild zeigte und sie fragte, was sie daran denn als »zu dick« empfand, sah sie mich entgeistert an. Ganz so, als könne sie nicht glauben, dass ich es nicht sehen konnte. Ich sah es nicht. Und da verstand ich zum ersten Mal, was es bedeutet, ein verzerrtes Bild von sich selbst in sich zu tragen. In meinen Augen war ich »zu dick« und meine Mutter »perfekt«. In den Augen meiner Mutter war sie »zu dick« und ich »perfekt«. Dabei sahen wir uns doch so ähnlich! Ich erkannte, dass man sich selbst immer viel strenger begutachtet als die Menschen, die man liebt. Wir beide sahen uns selbst nur durch unsere eigenen Augen kritisch.

Trotzdem: Eine Essstörung ist nicht in Stein gemeißelt, nur weil die eigene Mutter – wie viele Frauen – ebenfalls Probleme mit dem Selbstbild hat. Ich denke sogar, dass viele Eltern einen ähnlichen Glaubenssatz in sich tragen, und trotzdem rutscht das eigene Kind nicht in eine Essstörung. Auch mein damaliger Freund, der mich zur Zeit des Praktikums betrog, war nicht »schuld« an meinem negativen Selbstbild – es war nur ein weiterer Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ein Fass, das ich bereits mit elf Jahren anfing zu füllen.

Über die Jahre und vor allem durch meine Therapie begab ich mich immer weiter auf die Suche nach den Gründen. Heute weiß ich: Es ist verdammt schwer, in dieser Gesellschaft frei zu bleiben von einem negativen Selbstbild. Dazu kam noch der gesellschaftliche Druck, als junge Erwachsene meinen Platz in der Gesellschaft zu finden, meine Sensibilität und Emotionalität und die Tatsache, dass Wut kein Gefühl war, das ich zu akzeptieren und auszuleben wusste: Bevor sich meine Wut gegen mein Gegenüber richten konnte, schluckte ich sie herunter, weinte und zog mich zurück. Dass ich all diese unterdrückten Gefühle letztendlich an meinem eigenen Körper ausließ, erscheint mir heute als logische Schlussfolgerung daraus. Wohin mit all der Energie, mit all der Aggression, wenn sie nicht nach außen kann? Dann verläuft sie sich im Inneren, in einem Kampf gegen sich selbst.

Aber woher hätte ich damals all das wissen sollen? Woher hätten mein Chef, meine Eltern und mein damaliger Freund es also wissen sollen? Ich kannte mich selbst (noch) nicht – wie hätten andere mich (er)kennen sollen?

Mia

Die Jahre danach wurde die Bulimie meine treue, beständige Begleiterin. Mia, eine toxische Freundin, die immer für mich da war. In meiner damaligen Realität redete ich mir weiterhin ein, dass eine »Krankheit« ganz anders aussähe. Ich übergab mich ja »nur« zwei- bis dreimal die Woche. Nicht jeden Tag oder mehrere Male nach jeder Mahlzeit. »Es ist ja nicht so schlimm« wurde zu meinem eigenen kleinen Mantra. Die Bulimie fühlte sich viel zu leicht an, als dass sie eine schwere Krankheit hätte sein können: Irgendwann war ich so routiniert, dass sich das Erbrechen wie Händewaschen anfühlte. Ich hing nicht – wie man es sich klassisch vorstellt – weinend und voller Selbsthass geplagt über der Kloschüssel, sondern ich lief ins Bad, steckte mir den Finger in den Hals, und binnen dreißig Sekunden war alles vorbei. Und ich war für den Moment wieder glücklich. Manchmal konnte ich mich nicht einmal mehr daran erinnern, ob ich mich heute schon übergeben hatte oder nicht. Es war zur Normalität geworden. Auch hatte ich selbst nach acht Jahren Bulimie keine erkennbaren Schäden davongetragen – für mich nur ein weiteres Indiz dafür, dass es »nicht so schlimm« sei. Ich möchte also noch einmal betonen (weil ich ebensolche Zeilen damals sehr gebraucht hätte): Nur weil du in deinem Kopf nicht dem Bild einer Essgestörten, einer drogen-, alkoholsüchtigen oder depressiven Person entsprichst, bedeutet es nicht, dass du keine Hilfe in Anspruch nehmen darfst. Die unsichtbaren psychischen Probleme sind vielleicht sogar die schlimmsten. Jahre später, als ich meinen Weg in die Therapiegruppe fand, stellte ich erneut fest: Essstörungen sind viel mehr im Kopf als auf den Hüften. Ich saß jeden Mittwoch in einem Raum mit neun anderen essgestörten Frauen, und erkennbar untergewichtig waren höchstens zwei. Nur den wenigsten hat man ihre Essstörung angesehen.

Ich erkenne erst heute, über zehn Jahre nach dem schlimmen Moment im Praktikum, was die Bulimie damals für mich getan hat – und wieso ich nicht daran dachte, sie loszulassen: All die ständigen Gedankenkreise ums Essen und die permanente Angst vor dem Zunehmen waren auf einmal wie weggeblasen. Wann immer ich essen wollte, aß ich. Denn ich konnte es hinterher einfach wieder »loswerden«. Die Bulimie nahm mir mein schlechtes Gewissen, das mich jahrelang zuvor so zermürbte. Ich fühlte mich dadurch endlich frei. Der Gedanke daran, mein Essen immer bei mir behalten zu müssen, hätte mich wieder unendlich traurig gemacht. Doch genau das ist die Tücke, die größte Lüge, die sich Essgestörte selbst erzählen: Die Essstörung macht alles besser. Denn sie hilft uns, das Wesentliche, das, was eigentlich so schmerzt, schnell und unkompliziert zu verdrängen.

Eben deshalb ist es mir besonders wichtig, diese Worte loszuwerden: Die Bulimie, die Essstörung, ist immer nur eine kurzweilige Erleichterung. Wie bei jeder Sucht hilft sie zu verdrängen. Ich verdrängte damals vor allem meine riesengroße Angst davor, meinen Platz in dieser Gesellschaft nicht zu finden. Ich aß aus Langeweile oder aus Frust, denn Essen und gute Geschmäcker sind immer etwas Positives, machen immer glücklich. Wann immer sich ein Mensch in eine Sucht stürzt – egal ob Binge-Eating, Bulimie, Anorexie, Alkohol oder Drogen –, verdrängt er einen tief liegenden Schmerz. In meinem Fall das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach Liebe, nach Kontrolle, nach Anerkennung. Stürzt man sich in eine Sucht und verdrängt diese Bedürfnisse und Probleme über Jahre hinweg, nimmt man sich die Möglichkeit, daran zu arbeiten. Gewährst du deinen Problemen keinen Raum, machen sie sich unterbewusst breit wie ein Lauffeuer. Sie wirken sich auf deine Beziehungen, deine Freundschaften, deine Arbeit, auf dein ganzes Leben aus – ganz still und heimlich und ohne, dass man sich dessen bewusst ist. Je früher man also anerkennt, dass eine Sucht vorhanden ist, desto mehr Zeit hat man, diese zu bekämpfen. Und natürlich tut es erst mal unfassbar weh, sich mit seinen größten Ängsten auseinanderzusetzen. Aber lass dir eines gesagt sein: Es lohnt sich. Je früher du deine Ängste anschaust und deinen Schmerz zulässt, desto früher wirst du da wieder rauskommen. Ich habe meine verdrängten Ängste acht Jahre mit mir herumgeschleppt, bis sie mich in die Depression und 2015 an meinen persönlichen Tiefpunkt trieben. Es ist schier unmöglich, sein Leben lang mit einer Sucht zu leben und gleichzeitig ein glücklicher Mensch zu sein. Innerlich aufzuräumen ist das Allerwichtigste, das wir für uns tun können – was du für dich tun kannst.

Was genau ich letztendlich getan habe, um meinen Weg aus dieser Sucht zu finden, werde ich natürlich noch erzählen.

I’m a loser, Baby

2015

Ich öffne die oberste Schublade an meinem Nachttisch und hole mein iPhone heraus. Ein vertrautes Gewicht in meinen Händen. Ich zögere, bevor ich den Einschaltknopf betätige. Ich verspüre einen Anflug von Angst, als sei das Drücken des Knopfes nun der endgültige Abschied von den sieben so unbeschwerten Festival-Tagen. Ich habe eine neunstündige Busfahrt hinter mir, die Nacht davor kaum geschlafen und möchte eigentlich nur in mein Bett fallen – aber die Neugier lässt mich nicht los. Was habe ich verpasst? Normalerweise gucke ich täglich Hunderte Male auf mein Handy. Checke meine Mails, meine Instagram-Follower-Liste, wie viele Likes und Kommentare ich bekommen habe. Und eigentlich mag ich das doch auch … oder?

Ich drücke den Knopf.

Eine Stunde später stehe ich immer noch am gleichen Fleck und tippe wie wild auf meinem Telefon herum. Ich war sofort wieder gefangen im Informationsstrudel. Mein bis vor einer Stunde noch entspannter Geist ist binnen weniger Minuten wieder randvoll mit Dingen, die ich verpasst habe, Dingen, die ich erledigen muss, und Dingen, die ich vergessen habe. Ich greife mir einen Zettel und schreibe mir eine Liste. Heute ist Dienstag.

Als ich nach einem vierzehnstündigen komatösen Schlaf total benebelt wieder aufwache und zur Toilette gehe, laufe ich im Gang an meinem Spiegel vorbei und halte kurz inne. Ich sehe mich das erste Mal nach den Festival-Tagen in einem Ganzkörperspiegel. Ich kenne meinen Anblick gut, stehe ich doch normalerweise stundenlang vor diesem Spiegel, um möglichst perfekt auszusehen. Aber jetzt erkenne ich mich kaum wieder. Ich sehe eingefallen und blass aus. Meine Haare habe ich über die Jahre total kaputt gefärbt, nach jeder Trennung und jedem Herzschmerz musste eine Veränderung her. Von Platinblond zu Pink zu Rot und schließlich zu Schwarz, weil jede andere Farbe sowieso nie so aussah wie auf der Packung. Dank der Extensions fallen sie bis über die Brust, obwohl meine eigenen Haare eigentlich auf Kinnhöhe abbrechen. Meine Haut leuchtet mir im Gegensatz dazu glatt und weiß entgegen. Ich stelle mich ganz gerade vor den Spiegel für einen Oberschenkel-Check. Jeden Morgen stehe ich so da, um mich zu vergewissern, dass sich meine Oberschenkel auch ja nicht berühren. Die Thigh Gap zwischen meinen Beinen ist in etwa so groß wie das Loch in meinem Herzen, denke ich, und in mir löst sich ein grauenhaftes dumpfes Lachen. Ich sehe meine Hüftknochen, mein Schlüsselbein, und als ich die Arme hebe, sind sogar meine Oberarme »dünn genug«. »Super«, sage ich laut und zynisch zu mir selbst, als ob mir eine tief vergrabene Angela damit irgendetwas sagen möchte.

Ich sehe eingefallen aus. Im Gesicht, an den Armen, am Bauch, an den Beinen. Eigentlich war »eingefallen« immer genau das, was ich erreichen wollte. Zart und blass wollte ich sein, zerbrechlich wie eine Elfe. Krankhaft war mein Schön. Und so »schön« empfand ich mich die letzten Monate doch auch – nur irgendwie ist es heute anders. Heute empfinde ich meinen Anblick überhaupt nicht elfenhaft – heute sehe ich mehr tot als lebendig aus. Vor mir steht ein dünnes, trauriges Mädchen, das irgendwie aussieht wie ich – und irgendwie auch nicht.

Gedanklich scrolle ich durch meinen Instagram-Feed, diese schöne, aufgeräumte Welt, die ich mir dort geschaffen habe. Meine schillernde Bloggerwelt, die genauso hell leuchtet wie die der anderen Bloggerinnen im Netz. Und wie ich hier im Dunkeln stehe, die Sonne verbannt aus meiner nach kaltem Rauch stinkenden Wohnung, zu nichts zu gebrauchen, mit geschwollenen Augen und gähnender Leere auf dem Konto, fühle ich mich wie die Königin der Heuchelei. Außer meiner nassen Augen und meiner fahlen Haut glänzt hier gerade rein gar nichts.

Möchten Sie gerne weiterlesen? Dann laden Sie jetzt das E-Book.