Es ist vorbei - ich weiß es nur noch nicht - Tanja Sahib - E-Book

Es ist vorbei - ich weiß es nur noch nicht E-Book

Tanja Sahib

4,8

Beschreibung

Das Buch "Es ist vorbei – ich weiß es nur noch nicht" handelt von der Bewältigung traumatischer Geburtserfahrungen, die viele Mütter aus unterschiedlichen Gründen erlebten. Diese Mütter fragen sich, wieso mit der Geburt ihres Kindes, die schon Wochen und Monate zurückliegt, Lebensfreude und Zuversicht abhanden gekommen sind. Hinzu kommen lückenhafte Erinnerungen an das Geschehen und fehlende Liebesgefühle dem Kind gegenüber. Dieses Buch bietet Ideen eines Heilungsprozesses vom Erleben der Geburtssituation über den Umgang mit möglichen Folgen traumatischer Erfahrungen hin zu deren Bewältigung. Anschaulich und verständlich werden mittels Fragen und Übungen Hilfestellungen beim Prozess der Bewältigung und Verarbeitung des Traumas gegeben. Zitate und Erfahrungsberichte von Müttern und Vätern, konkrete Anregungen für Angehörige und Tipps zur mutigen Vorbereitung einer nächsten Geburt runden dieses Buch ab.

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Tanja Sahib, Diplom-Psychologin, Systemische und Traumatherapeutin ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. Tanja Sahib arbeitet seit über zehn Jahren als Beraterin in der Beratungsstelle Familienzelt des Vereins „Selbstbestimmte Geburt und Familie“. Sie berät und begleitet Frauen und ihre Familien vor und nach der Geburt eines Kindes.

Anregungen, Ideen u. Fragen bitte an: [email protected]

Urheberrecht beachten! Alle Rechte der Wiedergabe dieses Buches zur beruflichen Weiterbildung, auch auszugsweise und in jeder Form, liegen bei der Autorin. Für Vervielfältigungen für den privaten Gebrauch oder zum Zwecke der Unterrichtsgestaltung ist die schriftliche Genehmigung der Autorin einzuholen. Zuwiderhandlungen berechtigen die Autorin zu Schadensersatzforderungen.

Inhaltsangabe

Teil I

Traumatisierende Gebur

Geburt als besonderes Lebensereignis

Dilemma der Hebammen und Geburtshelfer

Traumatisierte Mütter

Traumatisierende Geburtssituationen

Kurzzeitige Folgen des Traumas im Wochenbett

Teil II

Der dynamische Verlauf der Traumabewältigung

Erste Stufe – Ausblenden als Schutzmechanismus

Drachengeschichte I. Teil

Zweite Stufe – Hervorbrechende Gedanken,

Gefühle und Körperempfindungen

Endlose Gedankenkarusselle

Verletztes Körperempfinden

Innere Leere

Verdrängung und Vermeidung

Überwältigende Angst

Unkontrollierbare Wut

Bittere Enttäuschung

Quälende Schuld- und Schamgefühle

Unvermittelte Traurigkeit

Drachengeschichte II. Teil

Dritte Stufe – Stabilität erlangen

Äußere Sicherheit

Zunehmende Bändigung starker Gefühle

Lösen der körperlichen Anspannung

Annahme der körperlichen Veränderungen

Überwinden von Schuld und Scham

Vervollständigen der Erinnerungen

Auch tiefe Wunden können heilen

Trauern um alle erlittenen Verluste

Drachengeschichte III. Teil

Vierte Stufe – Integration in die eigene Lebensgeschichte

Heilsame Aussöhnung

Abschluss der Trauerphasen

Vollständige Annahme der körperlichen Veränderungen

Stärkung einer liebevollen Bindung zum Kind

Applaus für die Geburt!

Der schönste Moment

Drachengeschichte IV. Teil

Fünfte Stufe – Neue Verbundenheit mit sich und der Welt

Drachengeschichte V. Teil

Teil III

Unterstützung durch ein schützendes Umfeld

Betroffene Angehörige und Freunde

Ebenen der Unterstützung

Ideen zur praktischen Unterstützung

Ideen zur emotionalen Unterstützung

Ideen zur mentalen Unterstützung

Traumatisierte Väter?

Väter während der Geburt

Väter nach der Geburt

Auswirkungen auf die Paarbeziehung

Gemeinsames Liebesglück

Väter als Ressource für die Kinder

Traumatisierte Babys?

Verlorenes erstes Kennenlernen

Traumatisierte Geschwister?

Eine besondere Situation

Verschiedene Altersstufen

Altersstufe bis zu drei Jahren

Altersstufe von drei bis sechs Jahren

Altersstufe von sieben bis zwölf Jahren

Altersstufe von dreizehn bis siebzehn Jahren

Unterstützende Familie

Ihre Familie

Seine Familie

Hilfreiche Freunde

Entlastender Austausch mit anderen betroffenen Müttern

Unterstützung durch Internet – Netzwerke

Teil IV

Mut zu einer weiteren Geburt

Einleitung – Jede Geburt ist einzigartig

Suche nach vertrauenswürdigen Begleitpersonen

Suche nach beständiger, respektvoller Unterstützung durch kompetente Geburtshelfer

Suche nach sicherem und ungestörtem Geburtsort

Entscheidung über Art der Geburt (natürliche Geburt oder primärer Kaiserschnitt)

Erinnern an eigene Ressourcen, die helfen, auch bei Schmerz und Angst nicht aufzugeben

Erbitten von ausführlichen Begründungen medizinischer Interventionen bei eventuellen Komplikationen

Aktives Mitentscheiden bei veränderten Bedingungen während der Geburt

Mütter erzählen über die folgende Geburt nach einer ersten traumatischen Geburt:

Elisa

Charlotte

Natalie

Teil V

Trauma – ein theoretischer Exkurs

Traumatische Ereignisse

Prozesse im Gehirn während einer bedrohlichen Situation

Wiederholungsphänomene

Entlastung durch Erklärung der Folgen durch Traumatisierung

Psychotherapie

Teil VI

Eltern erzählen über ihre erschütternd erlebten Geburten

Corinna

Rosa

Nelly

Sophia

Beatrice

Mary

Jonathan und Birka

Teil VII

Anhänge

Anhang 1:

Berliner Fragebogen zu Auswirkungen von Traumatisierungen während der Geburt – BFAG ©

Anhang 2:

WHO-Empfehlungen zur normalen Geburt – „Geburt ist keine Krankheit“

Anhang 3:

Trauma-Bewältigung als dynamisches Stufen-Modell

Anhang 4:

Anschreiben zur Anforderung des Geburtsberichtes

Anhang 5

:

Atem-, Bewegungs- und Imaginationsübungen

Anhang 6

:

Checkliste zur Vorbereitung eines Willkommensfestes

Anhang 7

:

Berliner Fragebogen zur Angst vor einem nächsten Kind – BFAG ©

Glossar

Literaturverzeichnis

Schlussworte

Geleitworte Silvia Höfer

Manche Frauen finden nach der Geburt nicht das erwartete Gefühl des Glücks. Sie sind traumatisiert und erleben Gefühle, die sie verwirren und hilflos vor ihrem neuen Lebensabschnitt allein stehen lassen. Leider ist es nach wie vor ein Tabuthema, dass sich Mütter nach der Geburt verletzt und unglücklich fühlen. Was ist eine traumatisierende Geburt? Ist nicht jede Geburt ein überwältigendes Ereignis im Leben einer Frau? Das ist es mit Sicherheit. Es gibt aber einen Unterschied zwischen einer berührenden Geburt und einer Geburt, die für die Frau als außergewöhnliches Ereignis mit intensiver Angst und dem Gefühl absoluter Machtlosigkeit erlebt wurde.

Es ist der Psychologin Tanja Sahib wunderbar gelungen, diesen Unterschied für alle Leser und Leserinnen herauszuarbeiten. In dem vorliegenden Buch bündelte sie ihre systemischen und traumatherapeutischen Kenntnisse, um uns verstehen zu lassen, wie einschneidend sich eine derartige Erfahrung auf die körperliche und psychische Gesundheit der Mutter und der ganzen Familie auswirken kann. Tanja Sahib möchte mit ihrem Buch den betroffenen Frauen und deren Angehörigen, aber auch Hebammen, Ärzten und Ärztinnen helfen, die möglichen Folgen einer traumatischen Geburtserfahrung verstehen und bewältigen zu können. Die von der Autorin vorgeschlagenen Schritte aus der traumatischen Erfahrung heraus in ein selbstbestimmtes Leben sind verständlich dargestellt und umsetzbar. Mit auf die Situation bezogenen Anregungen, respektvollen Fragen und praktischen Übungen wird der Umgang mit den eigenen, als belastend erlebten Reaktionen erleichtert. Frau Sahib spricht die Leser und Leserinnen verständnisvoll und mitfühlend an. Sie gibt auf angenehm zurückhaltende Weise Anregungen und Hilfestellungen bei dem Prozess der Bewältigung und der Verarbeitung des Traumas.

Die Zeichnungen der kleinen Stiefelfrau, die ihre Herausforderungen großartig bewältigt, begleiten durch das Buch und machen auf kreative Weise immer wieder Mut.

Tanja Sahibs wertschätzende Grundhaltung basiert neben ihrer großen fachlichen Kompetenz als Psychologin auf dem Wunsch, Frauen und Eltern eine Möglichkeit zu schaffen, die Phase ihrer Familiengründung selbstbestimmt gestalten und erleben zu können. Dieser Wunsch wurde 1980 von der Soziologin Hanne Beittel mit den Worten formuliert: „Wenn wir die Gewalt, die unser aller Leben bedroht, abbauen wollen, dann haben wir die Möglichkeit, das zu tun, indem wir uns gegen die Gewalt in der Geburt wehren, uns wehren, dass aus der Schwangerschaft eine Krankheit und aus der Geburt ein medizinischer Eingriff wird, dem wir Frauen machtlos gegenüberstehen.“

Mit diesem Buch ist allen Betroffenen ein praxistaugliches Werkzeug in die Hand gegeben. Ein Werkzeug, das nach der überwältigenden Erfahrung einer traumatischen Geburt einen Weg aus dem Verletzt sein aufzeigt. Einen Weg, der hilft, die eigenen Selbstheilungskräfte zu unterstützen und in ein Leben zu finden, das sich nach den überwundenen traumatischen Erfahrungen intensiver und bewusster anfühlt – auch für die ganze Familie.

Silvia Höfer

im Mai 2013

Dank

Dieses Buch entstand mit der Unterstützung vieler betroffener Mütter und Väter, die mir ihre Erfahrungen mitteilten. Ich danke ihnen für ihre Offenheit.

In memoriam danke ich meinem Vater, der immer an meine publizistischen Fähigkeiten glaubte, und meiner Mutter für ihre liebenswerte, energische und pragmatische Lebenshaltung.

Meinem Mann Ibrahim und meinen drei Kindern Junis, Sinan und Muna danke ich dafür, dass sie in den letzten zwei Jahren Geduld bewiesen, weil ich viel Zeit und Energie in dieses Buch steckte. Sinan, habe Dank für Deine philosophischen Gedanken und den fabelhaften Drachen.

Amire, Annett und Lina, Josefine Remus, Barbara Abdul Hadi, Juliane Inozemtsev und Antje Remke danke ich für ihre anregenden Ideen.

Meinen Kolleginnen Lucia Gaciniski und Carlotta Keifenheim vom Familienzelt bin ich dankbar für ihre immerwährende Unterstützung.

Die Lieblingsbücher meiner Kindheit wurden von der Grafikerin Elisabeth Shaw illustriert. Wenn ich selbst zeichne, ist zu sehen, dass sie mir als Vorbild dient. Ich danke der Tochter von Elisabeth Shaw, Anne Schneider, dass sie in meinen Zeichnungen jedoch etwas ganz Eigenes sieht und einer Veröffentlichung meiner Illustrationen zustimmt.

Wichtig waren mir die wertschätzenden Blickwinkel aus systemisch-lösungsorientierter Sicht durch Esther-Maria Keil und aus traumatherapeutischer Sicht durch Julia Krieg.

Dankbar bin ich der freiberuflichen Hebamme und Autorin von Fach- und Lehrbüchern für Hebammen und Familien Silvia Höfer für ihre wunderbaren Geleitworte.

Eine tiefe Wertschätzung gilt meiner Lektorin Petra Markstein für ihren beherzten und klugen Umgang mit meinen geschriebenen Wörtern. Sie hat das Manuskript zu einem lesenswerten Buch werden lassen.

Eine besondere Würdigung geht an Dagmar Frohning für die letzten Schliffe am Manuskript.

Einleitende Worte

Liebe Mütter, Sie haben ein Kind bekommen und sind nicht glücklich? Die Geburt verlief ganz anders, als Sie es sich vorgestellt hatten? Die Ereignisse überschlugen sich und Sie hatten plötzlich nicht mehr die Kontrolle über die Situation oder konnten nicht mehr mitentscheiden, was mit Ihnen und Ihrem Körper geschieht? Sie sind dankbar, dass alles gut gegangen ist und fühlen sich trotzdem um Ihr Geburtserlebnis gebracht? Sie sind bekümmert darüber, dass es Ihnen möglicherweise bisher noch nicht gelungen ist, eine schöne, tragfähige Beziehung zu Ihrem Kind aufzubauen? Sie haben erlebt, dass sich die Liebesbeziehung zu Ihrem Kind in der Schwangerschaft entwickelte und nun unterbrochen scheint?

Liebe Väter,

Ihre Frau hat ein Kind bekommen und ist erschüttert? Sie will entweder gar nicht darüber reden oder hat das Bedürfnis, im Gespräch die Geburt wieder und wieder durchzugehen? Es fällt ihr schwer, mütterliche Gefühle zu Ihrem gemeinsamen Kind aufzubauen und sie leidet darunter? Wünschen Sie sich, dass Ihre Frau nicht mehr so unglücklich ist?

Liebe Angehörige, liebe Freunde,

ein Paar hat ein Kind bekommen. Sie bemerken, dass es ihm nicht gut geht. Sie vermuten, dass die Geburt keine gute Erfahrung war? Nun fragen Sie sich, wie Sie die Familie unterstützen können?

In der Beratungsstelle Familienzelt unseres Vereins „Selbstbestimmte Geburt und Familie“ berate ich seit vielen Jahren Eltern bei Fragen, die sich rund um die Geburt ergeben. Als systemische Therapeutin unterstütze ich nicht nur die Mütter, die in unsere Beratungsstelle kommen, sondern beziehe auch deren Familien in die Lösung der Problem- und Konfliktsituationen ein. Alle gemeinsamen Ressourcen führen zu nachhaltigen Verbesserungen. Es ist für mich immer wieder beeindruckend zu sehen, wie kreativ jede Frau dabei ihren ganz persönlichen Weg aus der Krise findet.

Besonders ergreifend war und ist für mich das Begleiten von Frauen, die nach der Geburt ihres Kindes „wie gelähmt“ wirken. Manchen Frauen ist mit der Geburt ihres Kindes Lebensfreude und Zuversicht abhanden gekommen. Sie berichten über die Geburt als eine zutiefst erschütternde Erfahrung. Todesgefahr, das Erleben der eigenen Ohnmacht und das übermächtige Gefühl, keinen eigenen Handlungsspielraum mehr zu haben, hatten für sie die Geburt zu einer traumatisierenden Erfahrung werden lassen. Es ist ihnen anzusehen, dass ein Teil von ihnen immer noch in der Geburtssituation steckt, was sie daran hindert, in dieser neuen Lebensphase anzukommen.

Möglicherweise fühlen sich die einen oder anderen Frauen noch nicht als Mütter, wenngleich sie ihre Kinder sehr gut versorgen. Gleichzeitig erleben sie, dass ihre Freunde und Familienangehörige zu ihnen sagen: „Was hast du denn? Es ist doch noch mal gutgegangen. Freu dich, dass du lebst und es dem Kleinen gut geht!“ Viele Mütter fühlen sich allein gelassen und unverstanden.

Auch nach der Geburt bemühen sich viele Frauen, das geforderte Bild einer glücklichen Mutter zu präsentieren und bleiben in ihrer Not allein. Erst, wenn es ihnen gelingt, Stärke darin zu sehen, sich Unterstützung zu holen und ihre Ängste zu zeigen, geht es ihnen besser. Sobald sie den Mut finden, aktiv die ersten Schritte zu gehen, erobern sie sich Stück für Stück ihre Selbstbestimmung zurück.

Jede Familie findet ihre eigenen Lösungen aus der belastenden Lebensphase heraus und nimmt die beängstigenden Erinnerungen an. Es ist für mich berührend zu sehen, wie es den Eltern gelingt, das Erlebnis der Geburt in ihre Lebensgeschichte zu integrieren und in ihrer neuen Lebensphase anzukommen.

Gehen Sie souverän mit meinem Werk um. Lesen Sie nur das, was Ihnen gut tun könnte. Ich habe einige Fragen an die Leserin, ihren Partner und ihre Angehörigen formuliert. Bitte verstehen Sie diese Fragen als Anregungen, die Sie beantworten oder überblättern können. Erscheinen Ihnen der theoretische Exkurs über Psychotraumatologie, manche Erzählungen der Eltern oder Imaginationsübungen nicht hilfreich, vertrauen Sie Ihrer Skepsis und überspringen Sie diesen Abschnitt.

In diesem Buch werden zur besseren Lesbarkeit die Bezeichnungen „Geburtshelfer“, „Ärzte“, „Experten“ im Sinne der weiblichen und männlichen Formen verwendet.

Im Anhang finden Sie zwei Fragebögen, mit deren Hilfe Sie für sich erkennen, ob für Sie die Geburt Ihres Kindes traumatisierend war und wie groß eventuell die Angst vor einem nächsten Kind sein könnte. Im besten Fall ermutigen Sie diese Fragebögen herauszufinden, was Sie brauchen, um die vorangegangene Geburt in Ihr Leben zu integrieren.

Dieses Buch ist den Frauen und Männern gewidmet, die mir erlaubten, Aspekte ihrer Erzählungen wiederzugeben. Sie haben eine bewundernswerte Stärke bewiesen, traumatische Situationen zu überwinden, das Erlebte anzunehmen und Zuversicht und Lebensfreude zurück zu erlangen.

Teil I

Traumatisierende Geburt

1. Geburt als besonderes Lebensereignis

Die Geburt ihres Kindes ist für jede Frau bewegend und berührend. Die meisten Frauen und ihre Partner wünschen sich einen sanften und natürlichen Verlauf. Noch vor zwei Generationen und vor der Pille wurden Schwangerschaft und Geburt als schicksalhafte, nicht immer planbare Lebensereignisse betrachtet.

Mit der Entwicklung der Pille zur Verhütung von Schwangerschaften und der Zunahme der Intensivmedizin bei der Geburt änderte sich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts weltweit die Sichtweise auf Schwangerschaft und Geburt. Hausgeburten wurden immer seltener. Bei einem bestimmten medizinischen Grundstandard gingen die meisten Mütter in das nächstgelegene Krankenhaus, um dort ihr Kind zu gebären. Mit zunehmender Technisierung verselbständigte sich der Umgang mit den gebärenden Frauen in vielen Ländern. In manchen Kliniken wurde es sogar gängige Praxis, um den errechneten Geburtstermin herum, die Geburt mit einem Wehentropf einzuleiten. Der Schichtbetrieb für das Personal in den Kreißsälen ließ sich so besser im Voraus planen.

Die Geburt wurde von vielen Frauen nur noch als ein von Technik und Krankenhausbetrieb bestimmter Akt empfunden, dem gegenüber sie sich entfremdet und ausgeliefert fühlten. Die Frauen spürten, dass ihnen der besondere Moment der Geburt genommen wurde. Aus diesem Grund forderten sie vor einer Generation, vor allem in den USA und in Westeuropa, dass die Geburt wieder mehr als natürlicher Vorgang betrachtet werden muss. Denn neben der medizinischen Versorgung sind soziale, emotionale und psychische Faktoren für eine umfassende Betreuung in der Schwangerschaft entscheidend. Deshalb entwickelte in den neunziger Jahren die Weltgesundheitsorganisation sechzehn Empfehlungen, die das Selbstbestimmungsrecht der Frauen stärkten.1 Diese Empfehlungen unter der Überschrift „Geburt ist keine Krankheit“ sind bis heute hochaktuell und im Anhang nachzulesen.

In den zwei Jahrzehnten danach wurde die Diskussion um die „richtige“ Geburt teilweise sehr ideologisch geführt. Die Zahl der Hausgeburten stieg wieder und es entstanden die ersten Geburtshäuser. Kreißsäle in den Kliniken wurden behaglich eingerichtet und bekamen bequeme Gebärbetten. Die Rückenlage der Frau beim Gebären wurde abgelöst von anderen Gebärhaltungen und die Kliniken investierten sogar in spezielle Badewannen für Wassergeburten. Was vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar schien – die Anwesenheit des Vaters bei der Geburt, wurde immer selbstverständlicher.

Diese positiven Veränderungen in der Geburtshilfe der achtziger und neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts führten dazu, dass Eltern inzwischen Geburtsorte mit Sicherheit und Wohlbefinden zugleich assoziieren. Heutzutage informieren sich werdende Eltern intensiv über die verschiedenen Geburtsorte, Geburtspositionen und den Umgang mit Wehen. Sie nutzen die Zeit der Schwangerschaft, um sich auf die Geburt umfassend vorzubereiten. Dies ist erfreulich, birgt aber das Risiko, dass Unvorhergesehenes in ihren vorbereitenden Überlegungen wenig Raum hat.

Ratgeber, Informationsabende und Geburtsvorbereitungskurse in Geburtshäusern und Kliniken bestärken die Eltern zu glauben, dass alles um die Geburt planbar sei und nichts Unerwartetes mehr geschehen könne. Gleichzeitig nimmt aber in der Schwangerenvorsorge und in den Krankenhäusern das Risikodenken immer mehr zu. In diesem Spannungsfeld zwischen Sicherheitsdenken und dem Wunsch nach ungestörter intimer Geburt suchen die Paare den idealen Geburtsort.

Die Möglichkeiten der Wahl sind heute vielfältig. Die weitaus meisten Frauen entscheiden sich für eine Geburt in der Klinik. Jedoch werden dort häufig viel eher, als tatsächlich notwendig, Medikamente oder medizinische Apparate eingesetzt. Auch die Dammschnittrate ist höher als bei außerklinischen Geburten.2

Frauen, die sich für eine Geburt außerhalb der Klinik entscheiden, lehnen bewusst eine medizinische Routine während dieses Ereignisses ab. Sie wünschen sich die vertrauensvolle Begleitung einer erfahrenen Hebamme und legen Wert auf ihre Selbstbestimmung und den Schutz ihres Intimitätsbedürfnisses.

Die einen, wie die anderen schwangeren Frauen und ihre Partner entwickeln aufgrund der umfassenden Informiertheit hohe Erwartungen hinsichtlich der Risiko- und Schmerzreduzierung. Sie wünschen sich die Ankunft ihres Kindes als großes emotionales Erlebnis und träumen von einem besonderen Glücksgefühl, das sich einstellt, sobald das Kind geboren ist. Hoher medizinischer Standard und eine vertraute Geburtsatmosphäre können jedoch nicht verhindern, dass plötzliche Komplikationen während der Geburt die Frauen und ihre Begleiter überwältigen.

Zitat: „Ich hatte völlig ausgeblendet, dass während der Geburt etwas mit mir oder meinem Baby passieren könnte. Ich hatte ein gutes Gefühl und Vertrauen zu meinem Körper. Die Beleghebamme erschien mir erfahren und ich war sehr zuversichtlich. Darauf war ich gar nicht eingestellt, dass nach der PDA3 ein Geburtsstillstand folgte. Und dann wurde die Situation immer bedrohlicher…“

Lore, 34 Jahre, nach Notsectio4, mit Helena, 20 Monate alt

2. Dilemma der Hebammen und Geburtshelfer

Obwohl sich viele Schwangere wünschen, eine natürliche Geburt möglichst ohne zusätzliche medizinische Eingriffe zu erleben, ist die Geburt zu Hause oder in einem Geburtshaus für die meisten Frauen keine Alternative. 2014 wurden nur etwa 1,4 Prozent der Kinder außerklinisch geboren, mehr als achtundneunzig Prozent aller Geburten finden in Kliniken statt.5

Fast ein Drittel aller Frauen (31,8 %) erlebte in Deutschland 2014 die Geburt als Kaiserschnitt. Innerhalb der letzten zwanzig Jahre hat sich die Zahl der Kaiserschnitte sogar fast verdoppelt (1992: 16,2 %). Im Ländervergleich war die Kaiserschnittrate im Saarland mit 40,2 % am höchsten. Die wenigsten Kaiserschnittentbindungen wurden mit 24,2 % in Sachsen vorgenommen. Im Jahr 2014 betrug die Kaiserschnittrate in Berlin 28,1 %.6

Geburtsmediziner können auf beeindruckende Zahlen verweisen, wenn es um die Senkung der Risiken für Neugeborene und Mütter geht. In Deutschland wurden 2014 von 1.000 Kindern 997 lebend geboren7.

Dabei gibt es eine paradoxe Entwicklung. Um die Gefährdung für Neugeborene zu senken, begleiten Geburtshelfer die Geburt von Beginn an intensivmedizinisch. Komplikationen während der Geburt, wie z.B. vorzeitige Plazentaablösungen8 oder Nabelschnurumschlingungen können dadurch rechtzeitig kontrolliert werden. Die lückenlose Aufzeichnung von Wehenverlauf und Herztonfrequenz des Ungeborenen durch das CTG9 ist eigentlich für geburtshilfliche Eingriffe im Zusammenhang mit Komplikationen gedacht. Medizinische Technisierung wird jedoch zunehmend zur Routine bei der Betreuung von normalen Geburten.

Viele Hebammen würden den Frauen in der Eröffnungsphase des Muttermundes zum Beispiel gerne kontinuierlich zur Seite stehen, ihnen Zuwendung und Zuspruch geben und ihnen Sicherheit vermitteln. In den Kliniken wachsen jedoch die Aufgaben, die gleichzeitig erledigt werden müssen, so sehr, dass sie oft nur kurz nach den Frauen schauen können, den Verlauf der Geburt aber mittels CTG und anderer technischer Apparate trotzdem überwachen können.

Auf der einen Seite gibt es immer behaglicher ausgestattete Kreißsäle, die während der Informationsabende gezeigt werden und auf der anderen Seite die Gegebenheiten des Klinikalltages mit knappem Personal. Dies steht inzwischen in einem bemerkenswerten Widerspruch zueinander. Doch selbst eine lückenlose, intensive medizinische Beobachtung der Gebärenden kann nicht versprechen, dass die Geburt komplikationslos verläuft. Schwangere Frauen sollten deswegen vorher gemeinsam mit Hebamme und Partner besprechen, was passieren soll, wenn Komplikationen auftreten.

In Deutschland erleben nur rund acht Prozent der gesunden Schwangeren eine Geburt ohne medizinisches Eingreifen, also ohne Interventionen wie Wehentropf, Dammschnitt, Saugglocke oder einer PDA.10 Die Rate der Rückenmarksbetäubungen11, sowie der Kaiserschnitte steigt seit Jahren kontinuierlich an. Kritiker und Kritikerinnen sehen zwischen der Zunahme der PDA’s und der folgenden Komplikationen, wie der Abnahme der Wehentätigkeit oder der Beendigung der Geburt durch Kaiserschnitt, Zusammenhänge.12

Den einerseits immer größer werdenden Erwartungen der Eltern in eine rundum komplikationslose und schmerzfreie Geburt stehen den in den letzten Jahren stetig steigende Zahlen an Beschwerden, Klagen und Prozessen in der Geburtsmedizin gegenüber. In keinem anderen Bereich der Medizin sind die Kosten für Folgeoperationen, Schadensersatz und Rehabilitation so hoch.

Eine Studie des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft hat im Frühjahr 2010 herausgefunden, dass „Personenschäden im Heilwesen“ immer teurer werden.13 Bei Geburten muss im Schadensfall ein Leben lang gezahlt werden. Dies kann die Versicherungsgesellschaften bis zu zwei Millionen Euro und Schmerzensgelder von bis zu 500.000 Euro kosten. Versicherungsgesellschaften, die Geburtsmedizin versichern, haben deshalb seit einigen Jahren die Prämien drastisch erhöht und fordern von den Geburtshelfern Sicherheitsprüfungen.

Für die Hebammen und Geburtsmediziner rücken medizinische Sicherheit und die Haftungsrisiken immer mehr in den Vordergrund. Im Zweifelsfall entscheiden sich Geburtsmediziner deswegen eher für einen Kaiserschnitt. Auch finanzielle Aspekte haben einen erheblichen Einfluss auf die ansteigende Kaiserschnittrate. Eine natürliche vaginale Geburt dauert durchschnittlich acht bis zwölf Stunden und erfordert eine ausreichend große Zahl an begleitenden Geburtshelfern. Der Kaiserschnitt kann in die Vormittagsstunden gelegt und in dreißig Minuten durchgeführt werden. Obwohl der Zeitaufwand um ein Vielfaches geringer ist, wird er bis zu achtzig Prozent besser honoriert.

Es ist also nicht verwunderlich, wenn alleine im Jahr 2014 fast ein Drittel aller Frauen die Geburt ihres Kindes als Kaiserschnitt erlebte. Der seit 1992 rapide Anstieg der Kaiserschnittrate ist in allen modernen Staaten mit einer hochentwickelten medizinischen Versorgung zu beobachten. Ein bemerkenswerter Nebeneffekt dieser Zunahme der Kaiserschnitte ist, dass geburtshilfliches Expertenwissen immer mehr verloren geht, insbesondere bei Zwillingsgeburten oder Geburten mit Kindern in Beckenendlage14. Das führt einmal mehr dazu, dass viel eher als früher in den Kliniken zu einem Kaiserschnitt geraten wird.

3. Traumatisierte Mütter

Die Geburt eines Kindes ist das erste gemeinsame Abenteuer von Mutter und Kind (und des Vaters). Doch ob eine Frau die Geburt ihres Kindes als bewegend oder als so erschütternd erlebt, dass ihr Selbst- und Weltbild ins Wanken gerät, hängt von vielen Faktoren ab.

Geplante Kaiserschnitte lösen größtenteils keine Traumatisierung bei den betroffenen Frauen aus. Die zukünftigen Mütter haben sich vorher mit dem Ablauf der Operation vertraut machen können. Sie sind psychisch darauf eingestellt und können positive Aspekte gedanklich vorwegnehmen.

Zitat: „…ich wusste, dass ich schon wenige Minuten nach Operationsbeginn mein Baby sehen werde. Deshalb wollte ich einen Kaiserschnitt mit Spinalanästhesie. Ich hatte etwas, worauf ich mich freuen konnte!“

Bella, 32 Jahre, nach primärem Kaiserschnitt bei Beckenendlage des Kindes, mit Mio, jetzt 4 Monate alt

Viele Frauen jedoch, die ihr Kind aus eigener Kraft gebären wollen, begeben sich in eine Situation, in der sie Vertrauen zu sich selbst und den Geburtshelfern haben. Sie glauben an ihre natürliche Fähigkeit des Gebärens und werden plötzlich von veränderten Geschehnissen überwältigt. Sie strengen sich an, kommen an ihre körperlichen und psychischen Grenzen und erhoffen, dass die Geburt gelingen möge. Das Ideal einer natürlichen Geburt im Kopf könnte sie daran hindern, zunehmende Komplikationen wahrzunehmen und sich darauf einzustellen. Dass gerade sie einen Kaiserschnitt erleben, erwarten sie nicht und haben sich demzufolge vorher nicht gedanklich mit dieser Möglichkeit auseinander gesetzt.

Zitat: „Wir wurden lange allein gelassen. Die Wehen wurden schwächer. Plötzlich war der Raum voller Menschen. Erst wurde mir ein Wehenmittel gegeben und die Wehen kamen mit großer Heftigkeit wieder. Doch der Muttermund öffnete sich nicht weiter. Dann wurde mir eine PDA gelegt, was schwierig war. Ich konnte wegen der starken Wehen nicht richtig stillhalten. Die Herztöne des Kindes fielen ab. Die Atmosphäre wurde irgendwie immer bedrohlicher. Mein Mann saß neben mir, das war eine große Unterstützung. Doch er war ja kein Experte und auch sehr verunsichert. Wir beide gerieten in eine Situation, in der wir nichts mehr unter Kontrolle hatten. Ich bekam immer mehr Angst, aber was hätte ich tun sollen? Ich war dem Geschehen hilflos ausgeliefert.“

Geertje, 33 Jahre, nach Notsectio, mit Hugo, jetzt 3 Monate alt

Schon immer gab es kompliziert verlaufende Geburten, doch nicht jede schwierige Geburt löst eine traumatische Reaktion aus. Einige Frauen jedoch können das Geburtsgeschehen als übermächtige Bedrohung erleben, der sie sich plötzlich hilflos ausgeliefert fühlen. Einer der häufigsten Gründe dafür sind Komplikationen bei der Geburt und damit verbundene unerwartete medizinische Eingriffe.

4. Traumatisierende Geburtssituationen

Schwierige Geburtssituationen, wie die, die im folgenden Abschnitt beschrieben werden, bergen das große Risiko einer Traumatisierung. Während die Angst immer mehr zunimmt, ist es den Frauen nicht möglich, auf ihre sonstigen Bewältigungsstrategien zurückzugreifen. Durch den Beginn der Geburt, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit des hochschwangeren Körpers, verbunden mit starken Schmerzen, ist es undenkbar, dass sie durch Flucht der immer bedrohlicheren Situation entkommen könnten. Das Geburtsereignis, das die Frauen nun erleben, übersteigt ihre Fähigkeiten und bisherigen Bewältigungserfahrungen.

Zitat: „Mir kam es so vor, als hätten sie uns stundenlang allein gelassen. Ich hatte starke Schmerzen und mein Mann wusste nicht, wie er mir helfen konnte. Ich fühlte mich so verloren und dann ging der Muttermund nicht weiter auf und dann ging alles viel zu schnell. Lars und ich konnten uns gar nicht darauf einstellen, wir hätten einfach mehr Zeit gebraucht “

Anne, 28 Jahre, nach Notsectio, mit Casper, jetzt 3 Monate alt

Das Schmerzempfinden ist individuell. Während der Geburt versuchen die Frauen, sich in den Wehenpausen zu entspannen. Angst erhöht jedoch die Spannung im Körper und verhindert, dass die Frauen gelöster sein können. Kommt das Gefühl des Ausgeliefertseins dazu, können sie dem Schmerz und der Angst aus eigener Kraft nichts mehr entgegensetzen. Fehlt die Entspannung zwischen den Wehen, weil die zukünftigen Mütter sich z.B. nicht in Sicherheit fühlen, kann das ihr Gefühl des Ausgeliefertseins verstärken.

Zitat: „Ich hatte in den Vorbereitungskursen gelernt, wie sich Wehen wegatmen lassen. Aber sie kamen mit einer solchen überwältigenden Intensität und so schnell hintereinander, dass ich mich total machtlos und den Wehen ausgeliefert fühlte.“

Jane, 29 Jahre mit Grace, jetzt 4 Monate alt

Zutiefst verängstigt und an körperlicher Bewegung gehindert, erstarren die Betroffenen oder erleben sogar einen völligen physischen und psychischen Zusammenbruch. Je größer der intensive emotionale Stress, desto länger und intensiver folgt eine Lebensphase, in der die betroffenen Frauen von ihren ursprünglichen Körpererfahrungen und ihren eigenen Empfindungen wie abgeschnitten scheinen. Ihr Leben hat sich auf dramatische Weise verändert.

Die nun folgenden Geburtssituationen sind konkret beschrieben. Achten Sie auf sich, damit Sie beim Lesen nicht überwältigt werden.

1. Plötzlicher und unerwartet anderer Verlauf der Geburt, wie

a) operative Eingriffe (z.B. Dammschnitte15, Saugglockengeburten, Zangengeburten) Wenn die Gefahr besteht, dass Zeit zum Dehnen des Damms fehlt und der Damm bei der Geburt reißen könnte, wird er geschnitten und anschließend wieder vernäht. Der Dammschnitt wird auch eingesetzt, wenn die Geburt beschleunigt werden soll. Er erleichtert den Einsatz einer Saugglocke oder Geburtszange, wenn es zu spät für einen Kaiserschnitt ist.

Zitat: „Ich wollte das nicht, niemand hat mir etwas gesagt… und dann hörte ich die Schere.“

Nelly, 35 Jahre mit Linus, jetzt 6 Monate alt

b) Kaiserschnittgeburten bei Gefahr für das Leben von Mutter und Kind Bei einem Kaiserschnitt wird das Kind auf operativem Weg durch einen Bauchschnitt aus der Gebärmutter geholt. Sofern es sich nicht um einen primären (geplanten) Kaiserschnitt handelt, wird der sekundäre Kaiserschnitt bei unvorhergesehenen Geburtsverläufen durchgeführt. Zeit, sich auf diese Operation einzustellen, hat die zukünftige Mutter nicht. Die medizinischen Abläufe rund um die Rettung des Lebens von Mutter und Kind sind vorrangig.

Zitat: „Auf einmal war ich im OP-Saal. Ich wollte das nicht! Aber ich konnte nichts mehr tun.“

Jana, 37 Jahre, mit Marlon, jetzt 7 Monate alt

2. Zu rascher oder zu langwieriger Verlauf der Geburt, eventuell mit ständiger Präsenz des CTG16

Eine Geburt kann sehr ungestüm ablaufen. Manche Frauen sind überwältigt von den starken Wehen, die einen rasanten Verlauf der Geburt beschleunigen, so dass sie sich ihrem gebärenden Körper hilflos ausgesetzt fühlen.

Zitat: „Ich hockte auf allen vieren in meinem Flur und zitterte ganz stark. Zwischen meinen Beinen lag mein Kind. Fassungslos kniete mein Mann neben mir und sagte, dass der Krankenwagen bestimmt gleich kommt. Ich war so kraftlos und konnte mir gleichzeitig überhaupt nicht vorstellen, wie ich die Treppen herunter in das Auto kommen sollte. Ich hatte das Gefühl, für immer so hocken zu müssen.“

Barbara, 32 Jahre mit Selma, jetzt 7 Monate alt

Eine Geburt kann aber auch über viele Stunden gehen. Viele Frauen sind sehr lange Zeit dem Schmerz und den fehlenden Bewegungsmöglichkeiten ihres gebärenden Körpers ausgeliefert. Hinzu kommen die zunehmende Kraftlosigkeit, das individuelle Schmerzempfinden und die schwindende Zuversicht, dass die Geburt auf gute Weise zu Ende gehen könnte.

Die Geräusche, die das CTG macht, können zusätzlich irritieren oder ängstigen.

Zitat: „Über 30 Stunden ging die Geburt meiner Tochter und die ganze Zeit hörte ich ihre Herztöne und bangte darum, dass sie überleben wird. Noch heute werde ich manchmal nachts wach und höre dieses rauschende Klopfen. Ich möchte das gern vergessen.“

Constanze, 35 Jahre mit Mia, jetzt 16 Monate alt

3. Unachtsame Behandlung durch Geburtshelfer oder Angehörige

Eine geschützte und intime Umgebung ist wichtige Voraussetzung für einen ungestörten Geburtsverlauf. Eine Frau, die ein Kind bekommt, befindet sich in einer Ausnahmesituation und ist ausschließlich mit der Geburt beschäftigt. Sie ist abhängig von den Personen, die sie dabei begleiten und ihr helfen, sich von Konflikten abzugrenzen. Empfindet sie, gerade bei unvorhersehbaren Geburtsverläufen, dass sie allein gelassen wird, unzureichend informiert wird oder sich nicht ausreichend in Entscheidungsprozesse einbezogen fühlt, verstärkt das ihr Gefühl der Ohnmacht.

Zitat: „Obwohl ich nachdrücklich um meine Brille gebeten habe, wurde sie mir weggenommen. Ohne Brille aber sehe ich kaum etwas. Ich konnte gar nichts mehr sehen und fühlte mich total ausgeliefert. Selbst mein Baby, das sie mir nur kurz gezeigt haben, konnte ich nicht erkennen.“

Mary, 26 Jahre, nach Notsectio, mit Edgar, jetzt 10 Monate alt

4. Angst um das Leben des Kindes (z.B. dramatischer Herztonabfall)

Eine gebärende Frau hat nicht nur um ihr eigenes Leben Angst, sondern auch um das Leben ihres Kindes. Sie fühlt sich ohnmächtig, wenn sie das Ungeborene nicht selbst schützen kann. Gerade, weil das Kind sich noch in ihr befindet, fühlt sie sich selbst als Verursacherin der Gefahr. Diesen furchtbaren Zwiespalt können viele Frauen noch Wochen nach der Geburt nicht auflösen.

Zitat: „Stundenlang musste ich das CTG hören... und dann... plötzlich schauten sich die Hebamme und die Ärztin so komisch an. Kurze Zeit später war ich im OP-Saal. Ich konnte ihn überhaupt nicht schützen. Er war so winzig und hat erst nicht geatmet. Schnell wurde er weggetragen und auch mein Mann durfte nicht bei ihm bleiben.“

Kathi, 39 Jahre, nach Notsectio, mit Ferdinand, 5 Monate alt

5. Verhindertes erstes Kennenlernen von Mutter und Neugeborenem

In fast jedem Ratgeber über Schwangerschaft und Geburt wird auf die Wichtigkeit der ersten Kontaktaufnahme zwischen Mutter und Neugeborenem hingewiesen. Jede werdende Mutter wünscht sich ungestörte erste Minuten mit ihrem Kind. Verläuft diese erste Phase des Kennenlernens jedoch anders, ist sie traurig darüber. Manchen Müttern gelingt es nicht, diesen fehlenden Beginn der Beziehung zu ihrem Kind nachzuholen. Sie glauben, einen unwiederbringlichen Moment verpasst zu haben, der dieses Kind zu ihrem werden lässt.

Zitat: „Weil es ihr so schlecht ging, wurde sie gleich in den Raum nebenan gebracht und vom Kinderarzt versorgt. Ich war so betäubt von den vielen Medikamenten, dass ich sie erst am nächsten Tag das erste Mal bewusst sah. Aber war das wirklich mein Kind – das aus meinem Bauch? Bis heute weiß ich nicht, wie ich mich ihr nähern darf.“

Diane, 38 Jahre mit Ava, jetzt 6 Monate alt

6. Verletzung der körperlichen Unversehrtheit durch Narben

Die medizinische Behandlung greift, insbesondere bei Operationen, in die körperliche Integrität der Frau ein. Eine zukünftige Mutter, die sich auf die Operation einstellen konnte, setzt sich schon vorher gedanklich damit auseinander, dass sie danach Spuren des Eingriffs an ihrem Körper haben wird. Eine Frau jedoch, die von der Operation überrascht wurde, braucht Zeit, um Spuren und Narben an ihrem Körper zu akzeptieren.

Zitat: „Mein Körper ist seitdem in zwei Hälften geteilt. Ich habe eine riesige, hässliche Narbe am Körper, die mich immer daran erinnern wird!“

Geertje, 33 Jahre mit Hugo, jetzt 5 Monate alt

7. Erschütterung des Selbstwertgefühls als Frau, unerfüllte Erwartungen an die Geburt

Eine Frau, die in ihrem Leben nichts dem Zufall überlässt und dann während der Geburt Momente des Ausgeliefertseins erlebt, wird in ihrem Selbstwert erschüttert und fühlt sich nachhaltig verletzt.

Zitat: „Ich kann nicht einmal gebären!“

Babette, 38 Jahre, nach Notsectio, mit Miranda, jetzt 5 Monate alt

Eine andere Frau, die die Professionalität der Experten respektiert und es ihnen Recht machen möchte, kann traurig darüber sein, dass trotz ihres Bemühens ihre eigenen Erwartungen und die der Geburtshelfer nicht in Erfüllung gehen.

Zitat: „Ich wollte eine gute Patientin sein. Ich habe mich nicht getraut, der Hebamme zu widersprechen und wollte ihre Wünsche erfüllen. Ich fühle mich um ein schönes Geburtserlebnis betrogen.“

Tina, 26 Jahre mit Finn, jetzt 6 Monate alt

8. Totgeburt oder lebenslange Beeinträchtigungen des Kindes

Überlebt das Kind die Geburt nicht oder wird es trotz intensivmedizinischer Versorgung lebenslange gesundheitliche Nachteile davontragen, fühlt sich die Mutter lange Zeit schuldig und traurig.

Zitat: „Es war wie in einem Horrorfilm. Immer wenn wir auf die Neugeborenen-Intensivstation kamen, wurde uns wieder etwas Schreckliches berichtet. Bis die Kleine stabil atmete und die Hirnblutungen aufhörten, vergingen Wochen. Und nun ist sie achtzehn Monate alt und kann noch nicht sitzen. Wir merken erst jetzt, dass die schlimme Zeit noch lange nicht zu Ende ist.“

Norma, 29 Jahre mit Livia, jetzt 18 Monate alt

5. Kurzzeitige Folgen des Traumas im Wochenbett