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Gelacht und gedacht, erzählt und erzogen wurde in jiddischer Sprache seit dem Hochmittelalter. Auf den letzten Blättern gelehrter Bücher finden wir Rezepte, Zaubersprüche und Gebete. Gereimte Epen kursierten in Abschriften zum geselligen Vortrag. Ein Konvolut von 1382 aus Kairo bezeugt, dass Juden mit deutscher Literatur bestens vertraut waren und sie witzig adaptierten.
Aus Geldnot begannen findige Unternehmer im frühen 16. Jahrhundert in Krakau, Augsburg und Venedig mit dem Druck jiddischer Bücher. Jetzt hatten auch Frauen und ungelehrte Männer Zugang zur Bibel und den Religionsvorschriften. Deutsche Reformatoren sahen in jiddischen Bibeln eine Gelegenheit zur Judenmission. Doch die Verbreitung jiddischer Bücher schürte nicht die Feuer des Aufbruchs, sondern stärkte den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Sie machte die Frauen unabhängiger und selbstbewusster, denn sie kannten nun die Gesetze. Und an langen Sabbatnachmittagen lasen sie von den Abenteuern jüdischer Helden.
Susanne Klingenstein erzählt erstmals die spannende Geschichte der frühen jiddischen Literatur: Wer jiddische Literatur liebt, kann nun ihre Anfänge kennenlernen.Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 864
3Susanne Klingenstein
Es kann nicht jeder ein Gelehrter sein
Eine Kulturgeschichte der jiddischen Literatur 1105-1597
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eBook Jüdischer Verlag Berlin 2022
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe im Jüdischen Verlag.
© Jüdischer Verlag GmbH, Berlin, 2022
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Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Umschlagabbildung: Illustration aus der Zweiten Nürnberger Haggada, fol 18 r, David Sofer Collection, London, mit freundlicher Genehmigung von David Sofer
eISBN 978-3-633-77483-8
www.suhrkamp.de
6Den Gelehrten
Erika Timm
Universität Trier
und
David Stern
Harvard University
in Dankbarkeit gewidmet.
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Inhalt
Informationen zum Buch
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Inhalt
Jiddisch
Im Voraus
Doppelstrang
Politik der Wahrnehmung
Der Auftrag des Dichters
Jiddisch als Literatursprache
Jiddische Literaturgeschichtsschreibung
Epochen der jiddischen Literatur
Diese Kulturgeschichte
Vokabular der jüdischen Kultur
Schreibung
Standardisierung und Oralität
Anfänge 1105-1460
Raschis Glossen
Der Berner
Kleine Arukh
von 1290
Der Wormser Machsor von 1272
Jiddisch im Alltag
Kölner Schiefertafeln vor 1349
Der Cambridge Codex von 1382
Ein Gedicht, notiert auf Raschis Kommentar
Frühe Neuzeit 1475-1597
Buchdruck
Erste jiddische Drucke: Prag 1526, Krakau 1534
Der hebräische Buchdruck in Italien, 1475-1525
Jiddische Bibelübersetzungen in Italien, 1545-1560
Der jiddische Buchdruck in Italien, 1545-1601
Elia Levita, 1469-1549
Postscriptum:
Pariz un vyene
Jiddische Bücher nördlich der Alpen 1541-1583
Isny und Konstanz 1541-1544
Zürich 1546
Augsburg, 1543-1544
Basel und Freiburg, 1557-1583
Jakob Kündig
Ambrosius Froben und Israel Sifroni
Das Ende des italienischen Jahrhunderts: Venedig 1585-1600
Sammelhandschriften, 1579 und 1580-1600
München, Cod. hebr. 100
Mayse fun berya vezimra
Paris, héb. 589
Midrash le-pirke avot
Akeydas yitskhok
Der jiddische Buchdruck in Krakau, 1571-1597
Shevet yehudah
(1591)
Her ditraykh
(1597)
Brant shpigl
(1596)
Dank
Bildteil
Anmerkungen
Jiddisch
Doppelstrang
Politik der Wahrnehmung
Epochen der jiddischen Literatur
Diese Kulturgeschichte
Raschis Glossen
Der Berner
Kleine Arukh
von 1290
Der Wormser Machsor von 1272
Jiddisch im Alltag
Kölner Schiefertafeln vor 1349
Der Cambridge Codex von 1382
Ein Gedicht, notiert auf Raschis Kommentar
Buchdruck
Erste jiddische Drucke: Prag 1526, Krakau 1534
Der hebräische Buchdruck in Italien, 1475-1525
Jiddische Bibelübersetzungen in Italien, 1545-1560
Der jiddische Buchdruck in Italien, 1545-1601
Elia Levita, 1469-1549
Postscriptum:
Pariz un vyene
Jiddische Bücher nördlich der Alpen 1541-1583
Sammelhandschriften, 1579 und 1580-1600
Der jiddische Buchdruck in Krakau, 1571-1597
Abkürzungen
Bildnachweise
Literatur
Personen- und Werkregister
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Soll ich beginnen von Anbeginn?
Soll ich, der ich kein Abraham bin,
aus Bruderschaft zerhacken alle Götzen?
Lass ich mich, einen Lebenden, übersetzen?
Sollen wir einpflanzen unsere Zungen
und warten, bis sie sich verwandeln
nach Urväterart
in Rosinen und Mandeln?
In was für misslungnen
Witzen
predigt mein Dichterbruder mit dem Backenbart,
dass meine Muttersprache bald untergeh?
Wir werden ersichtlich in hundert Jahren noch sitzen
und am Jordan darüber verhandeln.
Denn eine Frage nagt und bohrt:
Ob er weiß, genau wo
Berditschewers Gebet,
Jehoaschs Lied
und Kulbaks Wort
dem Untergang entgegenzieht?
Und da wäre noch das Problem,
wohin denn die Sprache untergeht,
vielleicht zur Klagemauer in Jerusalem?
Würde sie verstummen und wär sie still,
dann käm ich, öffnete den Mund
wie ein Löwe, und
würde, vom feurigen Zunder umweht,
einschlingen die Sprache, die untergeht,
einschlingen, und alle Geschlechter wecken mit Löwengebrüll.
Avrom Sutzkever, 19481
Im Jahr 1965 erschien in Zürich ein Band mit Erzählungen des jiddischen Schriftstellers Mendel Mann. Im Vorwort schrieb Manès Sperber: »Die jiddische Literatur ist kaum älter als 100 Jahre; während des ersten Weltkrieges starben ihre Begründer: Mendele Mocher-Sforim, Schalom Alechem und J. L. Peretz. Deren Jünger und Nachfolger: Schalom Asch, Joseph Opatoschu, David Bergelson und so viele andere, sind nicht mehr. Manche sind eines natürlichen Todes gestorben, andere kamen in der Mitte ihres Volkes um, das die Nazis ausrotteten. Wieder andere sind in Stalins Lagern zugrunde gegangen. Und die besten jiddischen Dichter Europas sind am 12. August 1952 in Moskau erschossen worden.« Mendel Mann, fuhr Sperber fort, »gehört zur dritten Generation der jiddischen Schriftsteller. Jene, die ihre Leser gewesen wären – in Polen und in der Ukraine, in Litauen und in Weißrußland, sind nicht mehr. Daher schreiben diese Dichter in einer verwaisten Sprache, der erst Leser gewonnen werden müssen.«1
Es scheint ungeschickt, ein Buch über die dynamischen Anfänge der jiddischen Literatur in den jüdischen Metropolen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit mit ihrer Todesanzeige zu eröffnen. Doch wer heute in deutscher Sprache ein Buch über jiddische Literatur liest, wird dies meist im Bewusstsein ihres Endes tun. Der Tod aber verstellt den Blick aufs Leben.
Wie keine andere Weltliteratur ist die jiddische Literatur überfrachtet von religiösen und politischen Ideologien und Hoffnungen, von Erwartungen und Vorurteilen. Das ist schon seit dem frühen 16. Jahrhundert der Fall, als christliche Hebraisten und Konvertiten rudimentäre Grammatiken und Wörterbücher zur jiddischen Sprache schrieben, sei es, um die Judenmission zu befördern, sei es, um die Juden zum Schutz der Christen bloßzustellen, sie zu »entdecken«, wie es damals hieß. Wer sich 14mit der Geschichte der jiddischen Literatur befasst, hat immer mit einer Doppelhelix zu tun: Auf der einen Seite steht die Entwicklung der jiddischen Literatur selbst, ein gewundener, vielfaseriger Strang, der spätestens im 13. Jahrhundert seinen Anfang nimmt und bis ins Heute reicht. Sein erstes Viertel, die Zeit von etwa 1100 bis 1600, wird in diesem Band beschrieben. Auf der anderen Seite steht die Wahrnehmung dieser Literatur, ebenfalls ein langer Strang, der im frühen 16. Jahrhundert beginnt. Insbesondere im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts hielt man die jiddische Sprache auch für einen Spiegel der moralischen Korruptheit der Juden. Denn wer »verdorbenes« Deutsch sprach, musste auch selbst verdorben sein.
Dass solche Projektionen möglich waren, hat einerseits mit der Haltung gegenüber Juden zu tun (denn wie man eine Sprache einschätzt, wird bestimmt vom Prestige ihrer Nutzer2) und andererseits mit der Besonderheit des Jiddischen, das zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert vermutlich im mitteldeutschen Sprachraum seinen Anfang nahm.3 Seit dem 16. Jahrhundert entwickelte es sich in Osteuropa von Riga bis Odessa und von Lemberg/Lviv bis Kiew in verschiedenen dialektalen Varianten zur Alltagssprache der Juden und wurde schließlich auf der ersten jiddischen Sprachkonferenz in Czernowitz 1908 zu einer Nationalsprache der Juden erklärt.
Doch im Gegensatz zu Deutsch oder Französisch fand Jiddisch lange keinen Rückhalt in den Institutionen eines Nationalstaats, die für die Standardisierung von Schreibung, Grammatik und Wortschatz hätten sorgen können.4 Allerdings wurde Jiddisch bis Ende des 19. Jahrhunderts auch nicht wie andere nationale Sprachen ideologisch vereinnahmt. Es fehlen im Jiddischen rhetorisches Säbelrasseln und Drohgebärden, aber es fehlten eben lange auch die öffentlichen Reden und politischen Schriften, die einem Volk Konturen verleihen und das nationale Selbstverständnis definieren. Jiddisch hatte bis 1897, als der Zionismus und die jüdische Arbeiterbewegung erstmals organisiert hervor15traten, häuslichen und familiären Charakter.5 Es wurde bis 1925 von keiner Akademie verwaltet und war darum als Sprache auf ganz eigene Weise frei.
Hefker (הפקר) nannte der Dichter Itsik Manger diesen Zustand. Ein verlassenes Haus oder ein Waisenkind sind hefker. Das Wort bedeutet verlassen, preisgegeben, schutzlos.6 Jiddisch war eine Sprache ohne Staatsgebilde und Armee. Obwohl es um 1900 bereits eine alte und anspruchsvolle Literatur in jiddischer Sprache gab, blieb Jiddisch, insbesondere in der Wahrnehmung von außen, verknüpft mit der Fluidität einer nur gesprochenen, nicht formalisierten, ästhetisierten oder verbürgerlichten Sprache. Jiddisch ist »di shprakh vos redt zikh«.7 Diese Assoziation schuf Ambivalenz. Denn mit Mündlichkeit verbinden wir einerseits Positives: Authentizität, Individualität, Intimität, Emotionalität, Improvisation, Mutterwitz, Bodenständigkeit, Zugehörigkeit zu Volk oder Ethnie, und andererseits Negatives: Instabilität, Bildungsmangel und Vulgarität. Mündlichkeit lässt Zweifel aufkommen, ob eine Sprache zu wissenschaftlicher Präzision und ästhetischer Form fähig ist.8 Platon, Shakespeare, Kant schienen westlichen Intellektuellen in jiddischer Übersetzung lange schwer vorstellbar.
Nach der gescheiterten Russischen Revolution von 1905 begannen junge Juden, die in der Revolution politisch aktiv gewesen waren, sich in Wilna, Warschau und St. Petersburg für die Standardisierung des Jiddischen und die ethnographische Erfassung der jiddischen Volkskultur einzusetzen. Ihr Engagement ist in etwa vergleichbar mit dem der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm für die deutsche Sprache. In beiden Fällen sollten das genaue Erfassen der Sprache und die Sammlung mündlich tradierter Gebräuche, Lieder und Erzählungen zu einem national einigenden Fundament für ein regional diverses und politisch rechtloses Volk geformt werden. Der Erste Weltkrieg unterbrach das jüdische Unternehmen. Die Kriegshandlungen an der Ostfront, die Revolution von 1917, der nachfolgende Bürgerkrieg 16und der sowjetisch-polnische Krieg sowie die Hungersnöte und Pogrome in den Jahren 1918 bis 1921 zerstörten die ökonomische und kulturelle Infrastruktur im alten ostjüdischen Siedlungsgebiet (Polen, Litauen, Weißrussland, Ukraine), das mit der Errichtung der Sowjetunion gespalten wurde. In wissenschaftlichen Instituten und Verlagen in Kiew, Charkow, Minsk und Moskau begann die Sowjetisierung der jiddischen Kultur. In Warschau und Wilna erblühte das literarische Leben in jiddischer Sprache. In Berlin wurde im Frühjahr 1925 das Jüdische Forschungsinstitut (Yidisher visnshaftlekher institut, YIVO) gegründet und im Herbst nach Wilna verlegt. Bis zur Besetzung der Stadt durch deutsche Truppen im Juni 1941 publizierten die Gelehrten des YIVO philologische, historische, ethnographische und statistische Arbeiten auf hohem Niveau und bewiesen, dass Jiddisch zu jeder Form des Ausdrucks fähig war.9 Wären diese jungen Akademiker und ihre Institutionen nicht mit der gesamten Matrix der jiddischen Kultur im Holocaust untergegangen, hätte sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts im westlichen Europa wohl bald eine andere Auffassung des Jiddischen etabliert. Aber so überlebte die über Jahrhunderte hinweg eingeübte Wahrnehmung der Mündlichkeit der jiddischen Kultur und ihre Assoziation mit Authentizität, Komik und Vulgarität10 und die Vorstellung ihres kurzen literarischen Lebens. Der Bibliograph Moritz Steinschneider, der es hätte besser wissen können, fasste das literarische Potential der jiddischen Sprache 1904 in dem Satz zusammen: »Selbst der Ausdruck eines poetischen Gemüts kann im Jargon nur Mitleid nicht Bewunderung erwecken; Jargon ist niemals ›schön‹.«11
In den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hätte die Chance bestanden, diese Wahrnehmung zu korrigieren. Schon im April 1945 begannen die Überlebenden der Ghettos und Lager mit der Arbeit der Restauration: Sammlung, Sichtung, Verwahrung, Rückbesinnung, Neubesinnung, Aufbau und Neuschöpfung. Wer als Schriftsteller in ein Ghetto oder Lager 17geraten war, verließ es auch als Schriftsteller. Die Überlebenden schrieben wie im Rausch. Ihre literarische Produktivität war in den ersten drei Jahrzehnten nach 1945 so extensiv, dass man diese Epoche das »silberne Zeitalter« der jiddischen Literatur genannt hat.12 Es entstanden Romane, Gedichte, Essays und eine große Zahl detaillierter Erinnerungen, die die lange Tradition der jiddischen Literatur für sich fruchtbar machten. Die Epizentren des literarischen Schaffens waren Paris, New York, Montreal, Buenos Aires und Jerusalem. Da diese Literatur für die kulturelle Neubesinnung europäischer Staatsbürger nicht wichtig war, wurde sie außerhalb einer geschrumpften jiddischen Leserschaft nicht rezipiert und konnte daher auch die Wahrnehmung des Jiddischen als eine Sprache von immenser Subtilität und Intellektualität nicht beeinflussen.
Für die versäumte Rezeption in den drei entscheidenden Jahrzehnten nach 1945 gibt es viele Gründe. Jedes europäische Volk war mit sich selbst beschäftigt. Schmerzvermeidung war eine Überlebensstrategie. Sich der jiddischen Literatur auszusetzen, hätte auf der persönlichen Ebene der Rezeption des Erzählten zu intimsten Begegnungen mit den millionenfachen Morden geführt. Zudem wirkten die Überlebenden in einer dynamischen Zeit, in der alle in die Zukunft strebten, wenig einladend. Sie waren Gestalten, die vom Gestern bestimmt waren, auch wenn sie dies oft verbargen. Den so grauenhaft Besiegten hing der Ruch der Schwäche an, der verstärkt wurde durch alte westliche Vorstellungen von Ostjuden als bedauernswert vormodernen Gestalten, die in einer Zeitfalte steckengeblieben waren und nun im »Jargon« ihr Elend in die Welt schrien.13 Der anschwellenden Flut dieser Texte, die zuhauf in München, Warschau, Paris, New York und Buenos Aires gedruckt wurden, verweigerten europäische, aber auch amerikanische Intellektuelle das Gehör. So entstand der Mythos vom Schweigen der Überlebenden und vom tragischen Untergang der jiddischen Literatur, aus der einzig Isaac Bashevis Singer als Kuriosum in die Gegenwart ragte. 18Nur wenige Texte der jiddischen Zeugenschaft und fast nichts von der neuen jiddischen Belletristik gelangte in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Krieg zur Veröffentlichung in nichtjüdischen Sprachen.14
Dabei gab es jüdische Intellektuelle, die in New York, Jerusalem und Paris hätten Weichen stellen und vermitteln können. Zu ihnen gehörte Manès Sperber. Doch sein Vorwort zu Mendel Manns Erzählungen bahnte keinen Weg zur jiddischen Literatur, sondern schloss hinter ihr die Tür, als sei hier nur noch eine Totenkammer, bestenfalls ein Museum zu besichtigen. Diesen Augenblick des Jahres 1965, an dem die beiden Stränge, jiddische Literatur und ihre Wahrnehmung, einander so ungemein nahkamen, um verständnislos aneinander vorbeizuschwingen, muss man klar erfassen, denn er erhellt, warum es bislang keine Kulturgeschichte der jiddischen Literatur gegeben hat und was ein solches Unternehmen leisten muss. Was also geschah 1965? Warum verpasste Sperber die Chance, die jiddische Literatur als lebendiges Phänomen und essentiellen Träger jüdischer Geschichte und Identität anzuerkennen?
Mendel Mann lebte seit 1961 in Paris. Er wurde 1916 im polnischen Plońsk geboren, studierte Malerei in Warschau, veröffentlichte dort 1938 einen ersten Gedichtband. Im September 1939 meldete er sich zur polnischen Armee, kämpfte in den Straßen Warschaus, entkam in die Sowjetunion und lebte als Lehrer auf einer Kolchose in Tienguschai an der Wolga. Im Juni 1941 meldete er sich zur Roten Armee, kämpfte in der Schlacht um Moskau (1941/1942) und gehörte zu den ersten russischen Soldaten, die im April 1945 Berlin betraten. Mann ließ sich in Łódź nieder, lehrte an einer jiddischen Schule und veröffentlichte schon 1945 seinen Gedichtband Di shtilkayt mont (Die Stille mahnt). Es war das erste jiddische Buch, das in Polen nach dem Krieg gedruckt wurde. Das Pogrom in Kielce am 4. Juli 1946, bei dem vierzig Juden, darunter Frauen und Kinder, bru19tal erschlagen wurden, veranlasste Tausende von Überlebenden, den Versuch des Neubeginns in Polen aufzugeben und Richtung Westen zu ziehen. Über Böhmen kam Mann nach Regensburg. Dort traf er auf Naftoli Zilberberg, Yekhezkl Keytelman und Yitskhok Perlov, jiddische Literaten, die vor dem Krieg Journalisten, Lyriker, Dramatiker und Romanciers gewesen waren und nun in Regensburg die jiddische Zeitung Der nayer moment herausgaben.15 Mann machte mit. Er schrieb und zeichnete für die Zeitung, setzte und druckte sie. Nach Feierabend setzte er seinen Gedichtband Yerushe (Erbe). Perlov publizierte seinen Gedichtband Undzer like-khame (Unsere Sonnenfinsternis) und Keytelman seine Erzählungen Oysterlishe geshikhtn (Merkwürdige Geschichten). Ihren Regensburger Verlag nannten sie »Jüdische Setzer« (Yidishe zetser).
Im Lauf des Jahres 1947 zerfiel die kleine Gruppe. Zilberberg und Keytelman gingen nach Paris und New York, Mann und Perlov nach Tel Aviv. Perlov hatte das Pech, sich am 10. Juli 1947 im französischen Sète zusammen mit 4514 anderen Flüchtlingen auf der »Exodus 1947« einzuschiffen. Da jüdische Einwanderung in das britische Mandatsgebiet illegal war, wurden die Flüchtlinge im Hafen von Haifa aufgegriffen und nach Deutschland zurückgeschickt. Dort schrieb Perlov zwei Bücher über seine Fahrt. Die vier »Jüdischen Setzer« blieben literarisch aktiv. Perlov übersetzte 1959 Boris Pasternaks Doktor Schiwago ins Jiddische. Seine Übertragung erschien in Tel Aviv. Im Frühjahr 1961, als in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann begann, übersiedelte Perlov nach New York. Mann hingegen zog 1961 nach Paris, um dort die 1944 gegründete jiddische Zeitung Undzer vort herauszugeben.
Mann war in Paris gut eingeführt. Er war seit 1958 mit Marc Chagall befreundet und der erste Band seiner Kriegstrilogie Bay di toyern fun moskve war 1960 unter dem Titel Aux portes de Moscou bei Calmann-Lévy erschienen. Dort war Manès Sperber sein Lektor.
20Sperber schrieb auf Deutsch. Er wurde 1905 im galizischen Zabłotów in eine chassidische Familie geboren, die 1916 aus dem Kriegsgebiet nach Wien flüchtete. Schon als Dreizehnjähriger wandte Sperber sich vom Chassidismus ab. Er wurde Zionist, entdeckte die Individualpsychologie und den Kommunismus. Er zog 1927 nach Berlin, trat der KPD bei, wurde 1933 verhaftet, kam unverhofft frei und wurde ausgewiesen. Seine Partei schickte ihn nach Paris. Doch 1937, während Stalins Großem Terror mit seinen Exekutionen, Verschleppungen und Schauprozessen in Moskau, verließ Sperber die Kommunistische Partei. Im Winter 1939 meldete er sich zur Fremdenlegion, wurde aber ausgemustert, ohne im Feld gestanden zu haben. Er floh 1942 in die Schweiz. Im Frühjahr 1945 kehrte er nach Paris zurück und trat bei Calmann-Lévy als Lektor ein. Dort entdeckte er Mendel Mann.
An diesem Punkt treffen ostjüdische und westjüdische Welt aufeinander. Sperber war trotz seiner chassidischen Kindheit ganz der deutschen Sprache und Kultur zugetan. Mann hingegen war intensiv dem jiddischen Milieu verbunden, in dem er sich auch in Paris bewegte.16 Was Sperber an Manns Trilogie über die Jahre 1939 bis 1945 interessierte, war die Innenansicht der Roten Armee,17 denn Sperber hatte in seiner eigenen Romantrilogie Wie eine Träne im Ozean (1949-1952) mit den totalitären Strukturen des sowjetischen Kommunismus abgerechnet und eine Utopie des gerechten politischen Handelns entworfen. Als spezifisch jiddische Literatur war Sperber Manns Werk völlig fremd. In seinem Vorwort zu den Erzählungen Das Haus in den Dornen (1965), in denen Mann die Schwierigkeiten seiner Verpflanzung nach Israel verdichtet, sah Sperber sich genötigt, Mann in eine literarische Tradition zu stellen. Hier nun war die Chance, auf die neue jiddische Literatur nach 1945 zu verweisen, auf ihre Tradition und ihr gegenwärtiges Publikum. In Paris war Jiddisch eine Alltagssprache und Mann schrieb für eine jiddische Zeitung. Doch dieses Umfeld nahm Sperber so 21wenig zur Kenntnis wie seine Kollegen in New York die vitale jiddische Literaturszene in Manhattan, Brooklyn und der Bronx. Zwar notierte Sperber, dass Manns Erzählungen in Israel spielten. Aber es packte ihn nicht, dass in ihnen die alten literarischen Topoi der Zionssehnsucht und der Reise ins Heilige Land auf die steinharte, dornige Wirklichkeit trafen, und es elektrisierte ihn nicht, dass im jungen Staat die Totgesagten erstmals mit einer eigenen Armee für ihre Zukunft kämpften. Obgleich in Tel Aviv eine moderne jüdische Stadt entstanden war, deren erstes Hochhaus just 1965 hochgezogen wurde, betonte Sperber den Tod, skizzierte die Ermordung der jiddischen Schriftsteller, nannte ihre Sprache verwaist und charakterisierte Mann als einen im biblischen Urgestein verlorenen Einzelgänger und Überlebenden einer Kultur, deren Wiedergeburt fraglich war.
Diese Einschätzung hatte wenig mit der Sperber umgebenden Wirklichkeit zu tun, sondern reflektierte auf perverse Weise eine Wunschvorstellung, die in den sechziger Jahren zur wichtigsten modernen Wahrnehmung der jiddischen Literatur wurde: Jiddisch war hefker, war waffenlos den Märtyrertod gestorben. Sie war abgeschlossen und ruhte jenseits von Gut und Böse. Jiddisch war kadosch (abgesondert, heilig). Jiddisch war unschuldig. Je insistenter der Staat Israel sich mit Waffengewalt behauptete, desto attraktiver wurde »Jiddischland« als eine moralisch schuldfreie Alternative für jüdische Identität. Den Begriff »Jiddischland« setzte der politische Essayist, Nietzsche-Übersetzer und grundlegende Theoretiker des Jiddischismus Chaim Zhitlowsky in Umlauf. Jiddischland bezeichnete die »Sprachsphäre« der Juden zwischen Kaunas und Odessa, Kiew und Wien. Jiddischland, sagte Zhitlowsky 1937 auf einer Konferenz in Paris, sei ein »geistig-nationales Zuhause«.18 Sieben Jahre später bestand es fast nur noch aus Literatur und Menschen mit Erinnerungen. Trotzdem hat sich Jiddischland mit der Zeit als bündige Bezeichnung für das große Gebiet in Osteuropa durchgesetzt, wo vom 16. bis zum 20. Jahrhundert Jiddisch die im jü22dischen Alltag dominierende Sprache war. Jiddischland ist das grenzübergreifende Sprach- und Kulturgebiet der Juden, das seine eigene Ökonomie, seine eigene Zeiteinteilung und Gesellschaftsstruktur und seine eigene Literatur hatte. Von diesem Land gibt es auch Karten. Die komplexeste ist der von Uriel Weinreich begründete Sprach- und Kulturatlas der aschkenasischen Juden.19
Parallel dazu gibt es ein utopisches Jiddischland. Als Mitte der sechziger Jahre junge Intellektuelle nach Alternativen zu Nationalismus, Militarismus und Kapitalismus suchten, entdeckten sie Jiddischland und fanden dort ethische Qualitäten wie soziale Gerechtigkeit, Pazifismus, Empathie, Solidarität mit Unterdrückten, Bescheidenheit und Lebensweisheit. Der Milchhändler Tevye im Musical Fiddler on the Roof (Anatevka, 1964) verkörperte diese Fiktion, obwohl er im Urtext, Sholem Aleichems Roman Tevye der milkhiker, ein pragmatischer Realist ist, der die Naivität der Gesellschaftsutopisten vehement kritisiert. Doch da Jiddisch seit 1897 eng mit der jüdischen Arbeiterbewegung, sozialistischen Ideen und revolutionärem Engagement verbunden war, wurde jiddische Literatur mit progressiven Weltanschauungen verknüpft. Die Bezeichnung Yiddishland für eine vergangene Utopie vermeintlich selbstlos-tugendhaften Verhaltens erschien zum ersten Mal 1983 im Titel eines französischen Films über die Schtetl-Welt. Die jüdischen Revolutionäre, die aus dieser bedrängten Welt hervorgehen, kämpfen gegen Unterdrückung und für Gleichheit und Brüderlichkeit.20 Jiddisch, heißt es in diesem Film, ist die selbstloseste Sprache der Welt (»c'est la langue la moins chauvine du monde«). Vor allem in Amerika hat sich der Begriff Yiddishland für einen emotional positiv besetzten Raum jüdischer Liberalität und Kreativität etabliert und Yiddish wird assoziiert mit Empathie, Selbstironie, Witz und Sprachgewandtheit.
Für die erstaunliche Erscheinung, dass Menschen mit der jiddischen Sprache und Kultur positive Werte verbinden, ohne ein 23Wort dieser Sprache zu verstehen, prägte der Kulturwissenschaftler Jeffrey Shandler den Begriff der postvernacularity (Nachsprachlichkeit). Shandler definierte »postvernacular Yiddish« als »eine Form des Umgangs mit der Sprache, in der ihre sekundäre, symbolische Bedeutung wichtiger ist als ihre primäre Funktion als Instrument der Vermittlung von Informationen, Meinungen und Ideen«.21 Man könnte, diesem Konzept entsprechend, vom 16. bis zum 19. Jahrhundert auch von einem prevernacular Jiddisch sprechen, eine Abwertung der jiddischen Sprache aufgrund der negativen sozialen Einschätzung ihrer Sprecher, bevor man selbst die Sprache gelernt hat.22 Zwischen den Polen von pre- und postvernacular Jiddisch erstreckt sich vernacular Yiddish, die vielfältige Wirklichkeit von Jiddischland, festgehalten in einer Literatur mit Zehntausenden von Werken. Real war dieses Land noch für Yekhezkel Keytelman, der im Vorwort zu Oysterlishe geshikhtn schrieb: »In der zamlung kumen arayn akhutz [außer] nokh nisht gedrukte arbetn – dertseylungen, vos zenen mit a tsayt tsurik farefntlekht gevorn in lodzher Nayem lebn, nyu yorker Eynikayt, kanader Vokhnblat, Davar, tel aviv, parizer yidisher prese un in english-yidishn zhurnal in dorem [Süd]-afrike The Zionist Record.«23 Sie sehen, sagte Kafka 1912 in seiner »Rede über die jiddische Sprache«, »wie viel mehr Jargon Sie verstehen als Sie glauben«.24
Diese Kulturgeschichte führt ins Innere von Jiddischland. Sie stellt dar, was jiddische Literatur ist; wer sie wann und für wen schrieb und warum so und nicht anders. In diesem Band geht es insbesondere um Anfänge und Grundlagen. Die erste Entdeckung im Herzen von Jiddischland ist ein tiefer Schacht. Der jiddische Schriftsteller Chaim Grade wählte dafür das Bild des Brunnens.25 Die jüdische Literatur besitzt eine vertikale Dimension, die es in dieser intensiv kultivierten Form in anderen europäischen Literaturen nicht gibt. Natürlich sind die griechische und römische Kultur der Antike und die christliche Kultur 24des Antike und des Mittelalters in den europäischen Kulturen noch präsent, doch wenn Autoren sich auf Vorläufer beziehen, wie Chaucer auf Boccaccio, Montaigne auf Cicero und Seneca, Goethe auf Plotin, James Joyce auf Homer, Ossip Mandelstam auf Ovid, sind das persönliche und punktuelle Bezüge, die für die Gesamtkultur letztlich unverbindlich sind.26 In der jüdischen Kultur hingegen sind explizite Rückbezüge auf die klassischen gemeinschaftskonstituierenden Texte nicht beliebig, sondern Teil des geistigen Programms. Sie verorten die Autoren als zugehörig und verleihen ihnen Gewicht. Eine große Anzahl antiker Texte in hebräischer und aramäischer Sprache, die in Anthologien gebündelt vorliegen (Bibel, Mischna, Talmud, Midraschim, Haggada), werden in fast allen jüdischen Werken mitreflektiert. Um Bibel und Talmud ranken sich Tausende von Kommentaren, die die Kerntexte ständig erneuern, indem sie ihre Auslegung und Anwendbarkeit sich wandelnden sozialen Umständen anpassen, ohne sie scheinbar in ihren identitätsstiftenden Grundaussagen anzutasten. Diese widersprüchliche Kombination aus Unbeweglichkeit des Fundaments und Flexibilität entlang der Zeitachse ermöglichte Dauer, das ist, die ständige Präsenz der Antike in der Gegenwart.
Die vertikale Achse ist also nicht eigentlich ein Schacht, sondern ein diachrones Geflecht aus Texten, die Leser in die Tiefe ziehen, wenn sie den Urgrund, den Anfang suchen. Franz Kafka, der sich schreibend seiner Identität zu vergewissern suchte und zeitlebens eine solide Basis jüdischer Gelehrtheit vermisste, notierte zu Beginn des ersten Heftes seiner Tagebücher: »Alle Dinge nämlich die mir einfallen, fallen mir nicht von der Wurzel aus ein, sondern erst irgendwo gegen ihre Mitte. Versuche sie dann jemand zu halten, versuche jemand ein Gras und sich an ihm zu halten das erst in der Mitte des Stengels zu wachsen anfängt.«27
Eine Geschichte der jiddischen Literatur sollte nicht in der Mitte des Stängels zu wachsen anfangen, sondern von der Wurzel aus. Für die jiddische Sprache können erste zarte Wurzeln 25um 1100 vermutet werden. Doch ist es dann so, wie Kafka weiter beschreibt, dass die Leiter, die man auf den vermeintlichen Wurzeln aufrichtet, »nicht auf dem Boden aufliegt, sondern auf den emporgehaltenen Sohlen eines halb Liegenden«. Der halb Liegende ist die Gesamtheit der antiken hebräischen und aramäischen sowie der späteren sefardischen Literatur (in die arabische, persische und griechische Werke eingingen), die die jiddische Literatur in Form von kreativen Adaptionen in sich aufnimmt. Die jüdischen Literaturen sind miteinander verwoben und rezipieren darüber hinaus die gängigen nichtjüdischen Literaturen ihres Umfelds.
Es kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu. Sobald man in die vertikale Achse eingetaucht ist, wird sie zur horizontalen: Es sind nämlich alle Texte gleichzeitig präsent. Ältere Texte behalten ihre Gültigkeit und werden Teil des gegenwärtigen jüdischen Selbstverständnisses. So entsteht eine über alle Zeitgrenzen hinweg geeinte Kultur. In Dovid Bergelsons Erzählung »Yoysef shor« (»Joseph Schur«, 1922) wird von einem modernen jüdischen Lebemann gesagt: »Er las Ḥovot ha-levavot (Pflichten des Herzens) wie einen Roman«. Witzig und tief wird diese Stelle erst, wenn man weiß, dass das um 1040 in Zaragoza auf Arabisch entstandene Buch Bachja ibn Pakudas ein von der asketischen islamischen Mystik inspiriertes Werk der philosophischen Ethik ist. In Bergelsons Roman Nokh alemen (Das Ende vom Lied, 1913) stützt sich der Geschäftsmann Gedalja Hurwitz, der kurz vor dem Bankrott steht, auf Das Buch Kusari, ein philosophisches Werk des nordspanischen Dichters Jehuda Halevi aus der Zeit um 1140, und auf die Tora-Kommentare Isaak Abarbanels, eines Gelehrten und reichen Geschäftsmanns, der 1492 mit Tausenden von Juden aus Spanien vertrieben wurde und 1508 in Venedig starb. Den Wahnsinn der ständigen Gegenwart alter Bücher und die politische Lähmung, die daraus entstehen kann, kritisierte Sholem Yankev Abramovitsh, der bei jiddischen Lesern meist nur unter dem Namen seiner wich26tigsten Erzählerfigur Mendele Moykher-Sforim (Mendele der Buchhändler) bekannt war, in seiner jiddischen Don-Quijote-Parodie Die Reisen Benjamins des Dritten (1878).28
Diese Kulturgeschichte bietet also auch Einblicke in den jüdischen Umgang mit Büchern und in den Prozess, wie aus Büchern jüdische Identität entsteht. Dieser Prozess ist der Schlüssel zur Langlebigkeit der Juden als kultureller Entität, als Volk. Denn wenn nach Vertreibungen und Massakern, wie sie in Europa nach 1096 zur Regel wurden, Juden sich erneut irgendwo einfanden, waren es Bücher, insbesondere die Bibel, halachische Kompendien und Gebetbücher, die den Neuanfang als Wiederanknüpfung ermöglichten und Zusammenhalt schufen. Von den Gegnern der Juden war es völlig richtig gedacht, die Vernichtung der Juden mit der Verbrennung ihrer Bücher, insbesondere des Talmuds, zu beginnen, da sie die Quelle des Widerstands wie auch der Erneuerung waren. Der hebräische Buchdruck, der 1469 in Rom begann, erwies sich als Rettungsanker. Die im Venedig des 16. Jahrhunderts gedruckten hebräischen Bücher dienten dem osteuropäischen Judentum lange als Fundament.
Diese Kulturgeschichte verfolgt in erster Linie den kreativen Strang der jiddischen Literatur. Ihre Entwicklung bis 1600 zu zeichnen, ist das Hauptanliegen dieses Bandes. Die Kenntnis der frühen Werke ist für das Verständnis der modernen jiddischen Literatur unabdingbar. Das Vergangene war und ist nie vergangen. Man kann die moderne jiddische Literatur, wie Manès Sperber indirekt vorschlägt, im November 1864 mit Abramovitshs Erzählung Dos kleyne mentshele (Homunkulus) beginnen lassen. Das ist aber schon die Mitte des Stängels. Abramovitsh legte seine Leiter auf die Sohlen des halb Liegenden Elia Levita, der 1507 in Padua mit Bovo d'Antona den ersten jiddischen Reise- und Abenteuerroman schuf, den Abramovitshs fahrender Ritter Benjamin der Dritte als einen seiner Wegweiser zitiert.29
27Der Lyriker und literarische Essayist Yankev Glatshteyn sah in Levita das Urgestein: »S'iz shver tsu zogn, ver s'zaynen di foters, zeydes, feter un elter-feters fun der yidisher literatur, ober eyn zakh iz zikher, az elye bokher iz geven der elter-elter-zeyde fun yidishn lid […] Elye bokher iz lekhol-hadeyes geven der ershter yidisher dikhter, vos hot geboygn dos yidishe loshn in gemostene ferzn un gramen, ven dos yidishe loshn iz nokh gelegn in di vikelekh.«30 Als der junge Lyriker Avrom Sutzkever sich in Wilna auf die Suche nach jiddischer Dichtung machte, die sprachlich nicht gegen seine Empfindlichkeit verstieß, landete er bei Elia Levita, dessen ausgeklügelte altjiddische Verse er im Wilnaer Ghetto in ein modernes Jiddisch übertrug.31
Dieses Buch beginnt mit einem Überblick über die beiden Stränge Wahrnehmung und Produktion. Das Kapitel »Politik der Wahrnehmung« skizziert die Entwicklung der jiddischen Literaturgeschichtsschreibung. Ihm folgt ein knapper Überblick über die vier Epochen der jiddischen Literatur und schließlich eine Erläuterung des Ansatzes und Vorgehens dieser Kulturgeschichte. Dort werden jüdische Termini eingeführt und praktische Details erklärt. Damit ist die Vorbereitung abgeschlossen und der Einstieg in den Schacht steht bevor.
Die fünf Jahrhunderte zwischen 1100 und 1600 waren eine harte und oft brutale Zeit, die in Architektur, Kunst, Buchkunst, Literatur und Philosophie Werke von großer Schönheit hervorbrachte. Auch in der jüdischen Kultur änderte sich in dieser Epoche sehr viel. Der Übergang von der Manuskript- zur Buchkultur erschütterte traditionelle Autoritäten. Im Prinzip aber war der Unterschied zwischen Mendel Mann, der 1946 in Regensburg eine jiddische Zeitung, und Elia Levita, der 1546 in Venedig seine hebräischen Grammatiken setzte, nicht sehr groß.
Juni 1941. Wenige Tage nachdem »die Pest in Wilna einmarschiert« war, versteckte sich der Dichter Avrom Sutzkever im Haus seiner Mutter, denn in den Straßen machten die Deutschen und ihre litauischen Greifer Jagd auf jüdische Männer.1 »Für jeden eingefangenen Juden, der zum Tode bestimmt war, bekam der Greifer zehn Rubel ausgezahlt.« Nach Tagen in einem engen Kamin schuf Sutzkever sich eine Maline (ein Versteck) im winzigen Hohlraum unter einem vorspringenden Blechdach. »Die Maline erwies sich als etwas zu niedrig. Ich konnte nur in ganzer Länge dort liegen, und es war kaum möglich, sich auf die andere Seite zu drehen. Nachdem ich mit den Füssen voran hineingekrochen war, zog ich die Bretter wieder zu und verschloss von innen mit einem Draht, damit keiner eindringen konnte. So lag ich in der Maline sieben Wochen lang. Ich bohrte in das Blech eine winzige Öffnung, und bei dem kleinen Lichtschein, wie einem Nadellicht, schrieb ich meine Gedichte ›Gesichter in Sümpfen‹.«2
Die radikale Verengung von Sutzkevers Lebenswelt auf ein sargähnliches Gehäuse und die dadurch bedingte Konzentration auf einen winzigen Lichtkegel, in dessen Schein Sutzkever seine Existenz in Dichtung verwandelte, waren seine Wirklichkeit, doch zugleich nutzte Sutzkever sie als Metapher für die Lage jedes Dichters, der nach Absolutheit strebt, der nichts anderes ist und nichts anderes sein kann als Literatur. So formulierte Franz Kafka in seinem nächtlichen Prager Gehäuse seine Zwangslage in einem Brief an die ferne Verlobte.3 Ossip Mandelstam in Moskau oder im Exil auf der Krim hätte das ebenfalls schreiben können. Sutzkever, Kafka und Mandelstam waren bei allen Unterschieden jüdische Dichter, für die Literatur eine Form des 29Widerstands gegen die physischen Grenzen der Existenz war. Dichten war der Weg in ein geistiges Sein. Nur ein sprachliches Kunstwerk konnte den Menschen dem Göttlichen annähern und die körperliche Hülle des Dichters, seine Gefangenschaft im Irdischen, transzendieren. In dieser Auffassung verwahrt sind älteste jüdische Gedanken vom kreativen Gebrauch der Sprache, die den Menschen zur imago dei, zum Ebenbild Gottes macht.4
In der Maline liegend, war die Fortsetzung seiner lyrischen Arbeit die einzige Möglichkeit für Sutzkever, sein Menschsein der tierischen Brutalität der Besatzer entgegenzusetzen und sich, von der Sprache getragen, über sie zu erheben. Nur selten nennt Sutzkever in seinen Erinnerungen die Namen der deutschen Besatzer. Mit Namen verknüpft sich im jüdischen Denken der Zauber des Überlebens. Zu den Ausnahmen gehört »der deutsche Offizier Schweinenberg«.5 Man kann sich der Vermutung schwer entziehen, dass Sutzkever diesen Namen angemessen fand. Wenn Sutzkever 1942 von der »Pest« spricht, die in Wilna einmarschiert war,6 stellt er sich damit auch in eine literarische Tradition. Die Erzählungen in Boccaccios Decamerone (1350) entstehen kontrapunktisch zur Pest, die die Erzählenden in ihrem Zufluchtsort, einem hortus conclusus, fest umschließt. In Wilna wurde das Ghetto ein kulturell aktiver ummauerter Ort. Albert Camus schrieb 1946, im Jahr von Sutzkevers Erinnerungswerk, an seinem Roman Die Pest, einer Allegorie des französischen Widerstands gegen die deutsche Besetzung. Ein Dichter, schrieb Nadeschda Mandelstam über ihren Mann Ossip, der im Mai 1934 verhaftet wurde, ist nur ein Mensch wie alle anderen und teilt das Schicksal, das allen bestimmt ist.7 Doch ein Dichter wird sich dem Erlebten gegenüber immer dichtend verhalten, denn er bleibt auch unter widrigsten Umständen ein Dichter.
Jüdische Dichtung hörte in den Ghettos und Lagern nicht auf, sondern diente der psychischen Selbsterhaltung. Widerstand und Zeugenschaft sind die unmittelbare Motivation.8 Je 30stärker die Unterdrückung, desto stärker die Dichtung. Das gilt, wie diese Kulturgeschichte darstellt, insgesamt für die jiddische Literatur.9 Das gilt aber auch für andere Literaturen: äußere Widrigkeiten und innere Pein treiben zur Dichtung.
Im Fall der jüdischen Literatur kommt ein weiteres Element hinzu, nämlich der unbedingte Wille zur Kontinuität als Volk. Positiv gewendet, wird er in der zentralen Segensformel der Auserwählung artikuliert: »Barukh atah adonay, elohenu melekh ha-olam asher baḥar banu mikol ha-amim ve-natan lanu et torato« (Gelobt seist du, Herr, unser Gott, König der Welt, der du uns auserwählt hast vor den Völkern für den Empfang deiner Lehre). Dieser Segen enthält auch die Anweisung, wie radikale Zerstörung überwunden werden kann, nämlich durch das Studium der Lehre (Tora). Auf die Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 folgte nicht der Zerfall des auf den Tempelkult ausgerichteten jüdischen Volkes, sondern die konzentrierte Diskussion der jüdischen Gesetze in Javne. Aus ihr ging um 200 die Mischna hervor, eine kühn zusammengestellte Sammlung von oft unentschiedenen Debatten, in der die Rabbinen über die Pflichten der Juden nachdenken, als hätte die Tempelzerstörung nie stattgefunden.10 Ebenso wurden 1945 in den DP-Lagern sofort wieder sforim (religiöse Bücher) gedruckt, allen voran die Mischna und ethische Werke wie Ḥovot ha-levavot.11 In seinem ersten Prosawerk nach Kriegsende ließ Chaim Grade zwei ehemalige Kommilitonen aus einer Jeschiwa in Bialystok 1947 in Paris aufeinandertreffen. Chaim Wilner ist Schriftsteller geworden, sein Freund Hirsch leitet eine strenge Jeschiwa. Als Chaim fragt, ob das nach den Morden nicht absurd sei, antwortet Hirsch: »Wer sich beherrscht, bestätigt den Herrn der Welt.« Chaims Kultur der humanistischen Werte habe die Katastrophe ja keineswegs verhindert, sondern sie begünstigt. »Deine Welt ist gefallen. […] Ich aber schreie, bis ich erschöpft bin […]: ›Vater, Vater, nur du bist uns geblieben.‹«12 Das unbedingte Bestehen auf dem Weiterführen des Dia31logs mit dem »Vater« ist die eigentliche goldene Kette, die die jüdische Literatur über alle Katastrophen hinweg zusammenhält. Di goldene keyt hieß auch die jiddische Literaturzeitschrift, die Sutzkever 1949 in Jerusalem gründete.
Sutzkever verließ die Maline im September 1941 und wurde wie alle Juden im Ghetto von Wilna interniert. Dort entstand das Gedicht »Unter deinen weißen Sternen«, das in einer Melodie von Avrom Brudno schon im Ghetto zum Volkslied wurde. Es führt Sutzkevers Gedanken aus der Maline fort: Man jagt den Dichter durch die engen Straßen der Stadt. Am Ende seiner Flucht über Treppen und Höfe hängt er als gerissene Saite im Leeren. Doch auch in höchster Not will er weiter singen: Heng ikh a geplatste strune/ un ikh zing tsu dir azoy. Denn der Auftrag des Dichters ist das Transzendieren seiner irdischen Lage. Der Refrain des Gedichts (jiddisch: lid), das er unter diesen Umständen hervorbringt, besteht aus vier Zeilen:
Unter dayne vayse shtern
Shtrek tsu mir dayn vayse hant.
Mayne verter zenen trern,
viln ruen in dayn hant.13
Die Aufforderung, Gott möge dem Dichter die Hand reichen, nicht etwa damit Gott ihm aus der Not helfe, sondern damit er, der Dichter, etwas in sie hineinlege, ist eine Wiederaufnahme des Nadellichts aus der Maline. Das Licht der Transzendenz drang von außen in die Maline und ermöglichte das Schreiben. Nun reicht der im Ghetto inhaftierte Dichter das Geschriebene hinaus. Es ist sein Vermögen im doppelten Sinne (un ikh vil dokh, got mayn trayer, / dir fartroyen mayn farmeg).14 Es ist das zur Dichtung gewordene Schicksal des jüdischen Volkes. Sutzkever verstand sein Schreiben als Fortführung einer Tradition, die zu den Psalmen, aber direkter vielleicht zu jenen Ge32dichten (piyyutim) zurückreicht, die als Reaktionen auf die Kreuzzüge entstanden sind.
An Sutzkevers Gedicht bestechen die Gelassenheit des lyrischen Ichs und das Selbstwertgefühl, mit dem es seine Schöpfung in die Hand des höchsten Schöpfers legen will. Sutzkever bezweifelte nie, dass sich in jiddischer Sprache formal vollkommene Kunstwerke gestalten ließen. Das war nicht selbstverständlich, denn Zweifel an der Literaturfähigkeit der jiddischen Sprache waren bis ins frühe 20. Jahrhundert weit verbreitet. Diese Zweifel hatten für Juden und Nichtjuden unterschiedliche Quellen. Die drei wichtigsten sollen hier zusammen genannt werden.
Da war zunächst die traditionelle jüdische Erziehung, die, wie Dov-Ber Kerler in einer Studie zur Entstehung des modernen literarischen Jiddisch darlegte, ihr Augenmerk nur auf die Lehre des Hebräischen und Aramäischen richtete, in denen die identitätsstiftenden Texte der Juden, nämlich Bibel und Talmud, verfasst worden waren. Dadurch wurde der Alltagssprache der Juden ein niedrigerer Status zugewiesen. Das genaue Verstehen der antiken Sprachen war wichtig, denn nur das Studium von Bibel und Talmud und der rasch zunehmenden religionsgesetzlichen Kommentare ermöglichte nach Massakern und Vertreibungen die Rekonstitution als Gemeinschaft. Hilfsmittel, die einen Zugang zu biblischen und rabbinischen Texten schufen, nämlich Grammatiken, Glossare, Randnotizen (Glossen), Bibelkommentare und schließlich auch Bibelübersetzungen und Bibelparaphrasen, gehörten zu den wichtigsten Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Die Gegenwartssprachen der Juden, die in ihnen zunehmend in Erscheinung traten, betrachteten die meisten Zeitgenossen als Zubringersprachen ohne eigene Wichtigkeit und religiöses Potential.15
33Allerdings entstanden schon im mittelalterlichen Aschkenas (Europa nördlich der Alpen) gereimte Epen und Fabeln, deren Autoren witzig und kunstvoll mit ihrer Gegenwartssprache, dem Früh- oder Altjiddischen, umgingen. Eine gehobene jiddische Literatursprache gab es schon im 14. Jahrhundert. Gerade weil Jiddisch eine Gegenwartssprache war, entstanden in ihr, von den Notwendigkeiten des Alltags bestimmt, alle möglichen Textsorten: Briefe, Testamente, Verträge, Schwüre, Gebete, Festgedichte, moralische und medizinische Lebenshilfen und dergleichen mehr.16 Chone Shmeruk nannte die jiddische Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts eine »Literatur der Zwischenräume«. Das heißt, die jiddische Sprache füllte für Männer und Frauen gleichermaßen alles aus, was nicht vom Hebräischen und Aramäischen besetzt war.17 Das war im gelebten Alltag sehr viel.
Die zweite große Ursache des Zweifels an der Literaturfähigkeit der jiddischen Sprache war die lange Geschichte der negativen moralischen Bewertung der Juden, die in der Frühen Neuzeit insbesondere durch deutsche reformatorisch gesinnte Intellektuelle gefördert und gefestigt wurde. Dabei schien es zunächst, als ob es nach der theologisch motivierten Abwertung der Juden und den ökonomisch motivierten Verfolgungen des Mittelalters in der Renaissance unter Intellektuellen zu einer Aufwertung der Juden, ihrer Kultur und ihrer Sprachen kommen werde.
Humanisten und Intellektuelle im hohen katholischen Klerus entdeckten Mitte des 15. Jahrhunderts die hebräische Sprache und die Kabbala als direkten Weg zur innersten Wahrheit der Bibel und zum geheimen Wesen Gottes. Die Wiedergeburt des christlichen Lebens durch das Studium der ursprünglichen Sprachen der Heiligen Schriften wurde zu einem zentralen Topos der Renaissance.18 Insbesondere für die Reformatoren war Hebräisch »die Sprache, in der Gott mit Adam und Eva und diese beiden selbst gesprochen«.19 Ihre Kenntnis ermöglichte ein 34neues, von katholischen Traditionen unabhängiges Verständnis der Bibel, die allein den Reformatoren als Vermittlerin der Heilsbotschaft galt (sola scriptura). In ihren hebräischen Grammatiken und Glossaren lieferten deutsche Reformatoren auch erste rudimentäre Beschreibungen des Jiddischen als Tor zum Hebräischen und zu den Juden selbst, die bekehrt werden mussten. Das vornehmliche Ziel der Reformatoren war jedoch, die Juden als Hebräischlehrer und Interpreten der Rede Gottes durch sich selbst zu ersetzen. In der Nachfolge der ersten skizzenhaften Grammatiken von Konrad Pellikan (1504) und Johannes Reuchlin (1506) erschienen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Hunderte von hebräischen Grammatiken protestantischer Autoren.20 Sie wurden schon ab 1514 durch Einführungen in die Alltagssprache der Juden ergänzt. Die erste dieser Einführungen war Johannes Böschensteins Elementale Introductionum in hebreas litteras teutonice (Augsburg 1514).21
Deutsche Protestanten interessierten sich aus drei triftigen Gründen für die Alltagssprache der Juden: (1) Sie wurde in hebräischen Buchstaben geschrieben und enthielt einen substantiellen Anteil an hebräischen Wörtern und konnte darum als Brücke zum Hebräischen dienen; (2) sie ermöglichte die Lektüre der jiddischen Bibelübersetzungen, die der hebräischen Syntax folgten und sehr wörtlich waren und deshalb den einfachen Schriftsinn besser erhellten als christliche Kommentare,22 und (3) sie erleichterte die Judenmission. Da Drohungen und Polemiken in lateinischer, deutscher und hebräischer Sprache an den Juden abzuprallen schienen, publizierten Reformatoren jiddische Übersetzungen der Bibel, allen voran Paulus Fagius (1544) und Elias Schadeus (1592).
Letzterer versuchte, in Bekehrungspredigten mit süßen Worten sowie durch freundliches Entgegenkommen die Juden zu gewinnen. In seinem Büchlein Mysterium veröffentlichte er 1592 drei dieser im Straßburger Münster gehaltenen Predigten und fügte ihnen am Ende eine Einführung ins Jiddische hinzu, die 35den Titel trug: »Ein gewisser Bericht von der Teutschen Hebreischen Schrift / deren sich die Juden gebrauchen.«23 Schadeus ging es natürlich nicht um die jiddische Sprache, sondern um die Brückenfunktion ihres hebräischen Alphabets. Es führt in die Welt der Juden und zu ihren Schriften, weshalb Theologen und Missionare »der Juden Teutsch Hebreische Schrifft« erlernen sollte, was mit Hilfe von Schadeus' Darstellung »ohne sondere müh in kurtzer zeit geschehen kann«.24 Sollte seine »arbeit angenem« sein, schloss Schadeus, werde er eine jiddische Ausgabe des Buches Hiob herausbringen. Allerdings wolle er dies nicht tun »vum der Juden Dolmetschung willen / als von wegen viler ort vnnd wörter die schwer darin zu verstehen / vmb der Arabischen vnd andern frembden wort vnnd auch der halb Poetischen art willen«.25 Die jiddischen Bibelübersetzungen, so Schadeus, fungieren als Verständnishilfen der fremden Inhalte.
Doch zum Druck des jiddischen Hiob kam es nicht, denn, wie Max Weinreich trocken bemerkte, schienen Schadeus' »Predigten, Schriften und Vorschläge kein besonderes Aufsehen erregt zu haben«. Die christliche Koryphäe der Zeit, was Juden betraf, war der Basler Professor Johann Buxtorf. »Von Schadeus hat niemand etwas gelernt.«26
Nach Schadeus wurde vom Jiddischen für die Judenmission kein Gebrauch mehr gemacht, bis Johann Christoph Wagenseil das Interesse an der Sprache der Juden 1699 neu belebte. »Wenn man aber unsere Juden in Schrifften widerlegen will«, schrieb Wagenseil in seiner Belehrung der Jüdisch-Teutschen Red- und Schreibart, »so halte ich dafür / man müsse ebener massen / sich ihnen gleich stellen / und ihres Teutschen Dialecti, wie auch der Hebreischen Buchstaben sich bedienen.« Da weder Hebräisch und Latein noch Hochdeutsch adäquat zur Verständigung dienen konnte, empfahl Wagenseil, »woferne es uns ein rechter Ernst ist / denen Juden die mitleidige und hüffliche Hand zu bieten / damit sie aus der Tieffe des Unglaubens darinnen sie stecken / mögen gezogen werden / daß man / damit sie gewonnen 36werden / sich ihnen gleichförmig mache / und nach ihrem Dialecto schreibe / auch das verabfasste mit ihren Buchstaben drucken lasse«.27
Wagenseils Judenmission in jiddischer Sprache wurde 1729 zum akademischen Programm, als Johann Heinrich Callenberg im 1728 gegründeten Institutum Judaicum et Muhammedicum in Halle den ersten Kurs in jiddischer Sprache anbot. Seinem Beispiel folgte in Helmstedt Wilhelm C. J. Chrysander. Beide Theologen schrieben mehrere Lehrbücher über die jiddische Sprache.28 Besonders produktiv wurden ihre Beobachtungen zur Integration hebräischer Wörter ins Jiddische, wie etwa in dem Satz: »Er iz mekane geven« (Er war eifersüchtig). Daraus entwickelte sich die Kritik, Jiddisch sei ein »Gemengsel«, eine »verworrene Mischlingssprache«, ein »erbärmlicher Mischmasch«, ein Kauderwelsch, eine »unreine Sprache«.29 Man ahnt, wohin das führt. Da die Autoren in ihren Beschreibungen des Jiddischen vom Deutschen als der korrekten Sprache ausgingen, von dem die Sprache der Juden scheinbar fehlerhaft abwich, wurde die grammatische Eigenständigkeit des Jiddischen bis ins frühe 20. Jahrhundert nicht erkannt.30
Schwerwiegender war, dass christliche Theologen infolge ihres Studiums der jüdischen Sprache, Literatur und Kultur neben dem Mythos vom Jiddischen als korrumpiertem Deutsch drei weitere Mythen förderten: Den Mythos von der Andersartigkeit der Juden, den Mythos ihrer Feindseligkeit und blasphemischen Gedanken und den Mythos ihres geheimen Wissens.31 Diese Mythen wurden im aufstrebenden Antisemitismus des 19. Jahrhunderts produktiv. Christliche Autoren des 16. Jahrhunderts wollten zunächst nur die entscheidende Verfehlung der Juden herausstreichen: ihren Abfall von der göttlichen, in der Bibel offenbarten Wahrheit und ihre Hinwendung zu einer menschlichen Quelle der Wahrheit, nämlich den rabbinischen Spitzfindigkeiten im Talmud. Aus dieser Initialdiagnose (Aufgabe der Bibel zugunsten des Talmuds), die bereits zu den schwe37ren Anschuldigungen des Konvertiten Nikolaus Donin gehört und zur Pariser Talmudverbrennung von 1241 geführt hatte, und aus der Betrachtung der so anderen, auf antiken Religionsgesetzen basierenden kultischen Gebräuche der Juden entwickelten sich ab dem 17. Jahrhundert Darstellungen ihrer Lächerlichkeit, Verderbtheit und Gefährlichkeit.32 Mit perverser Folgerichtigkeit führten die ethnographischen Erkundungen der Juden durch christliche Autoren von den durch Folter erzwungenen Aussagen der jüdischen Angeklagten im Ritualmordprozess von Trient 1475 zu negativen Darstellungen wie Pfefferkorns Ich heyß ein buchlein der Iude[n] peicht (1508), Margarithas Der gantz Jüdisch glaub (1530) und Buxtorfs täuschend milden Jüden schul (1603), zu hämischen Enthüllungsbüchern wie Samuel Friedrich Brenz' Jüdischer abgestreifter Schlangenbalg (1614) und Dietrich Schwabs Jüdischer Deckmantel (1619) und endlich zu antisemitischen Kompendien wie Johann Eisenmengers Entdecktes Judentum (1700/1711), dem eine lange Karriere beschieden war.33
Der Philosoph Moses Mendelssohn wollte das gefährliche Knäuel aus Vorurteilen und Ressentiments ins Leere laufen lassen. Er legte den Juden ans Herz, ihre Sprache, die zur Verunglimpfung einlud, zugunsten der »reinen deutschen Mundart« aufzugeben. Korrektheit, Klarheit, Vernunft und Transparenz waren für Mendelssohn die entscheidenden Werte. Die perfekte Beherrschung der deutschen Sprache hielt er für den Königsweg zur Anerkennung der Juden als gleichberechtigte Bürger. Seine negative Einstellung gegenüber dem »Jargon«34 reflektierte die Haltung der gebildeten Deutschsprecher und gelangte über jüdische Intellektuelle, die sich der Berliner Haskala (Aufklärung) verschrieben hatten, in die jiddischen Kernregionen Galizien, Polen, die westliche Ukraine und Litauen mit weitreichenden Folgen für die jiddische Literatur.
Wie Mendelssohn gehofft hatte, verdrängte die zunehmende Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft ab dem 18. Jahr38hundert das Westjiddische allmählich aus dem Alltag, und es blieb schließlich nur noch in wenigen Sprachinseln erhalten. Gleichzeitig entstand die Karikatur des blökenden, meckernden, zischelnden Juden als komischer Figur. »Meckern« (lächerlich) und »Mauscheln« (bedrohlich) wurden die beiden prominentesten sprachlichen Erscheinungsformen des Juden in der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Andersartigkeit des Juden fand ihren Ausdruck in seiner sprachlichen Distanz zum reinen Deutsch. Ein Jude, der sich sprachlich nicht von Deutschen unterschied, wie ihn Gotthold Ephraim Lessing in seinem Schauspiel Die Juden (1749) vorführte, war beunruhigend. Je stärker die Juden sich kulturell assimilierten und sprachlich ununterscheidbar wurden, desto stärker wurden sie als Bedrohung empfunden und desto akzeptabler wurde ihre sprachliche Karikatur.35 Reduktion zur Witzfigur ist eine Strategie der Entschärfung einer gefühlten Bedrohung. Darum konnten der Jude als Witzfigur und der Jude als Blutsauger in der deutschen Phantasie nebeneinander bestehen. Richard Wagners Schrift »Das Judenthum in der Musik« (1850), die als Reaktion auf die Erfolge Giacomo Meyerbeers in Paris entstand, führte diese Strategie komprimiert vor. Wagner entschärfte die Bedrohung durch erfolgreiche Juden, indem er sie als komische Figuren ohne Substanz desavouierte.36
Der Weg der Juden in die deutsche Sprache, ihr Engagement in Literatur und Wissenschaft, ihre politische und gesellschaftliche Emanzipation, ihre finanziellen und künstlerischen Erfolge wurden Vorbild und Traum der aufgeklärten jüdischen Intellektuellen (Maskilim) in Russland, die all das auch für die Juden in ihrer Gesellschaft erreichen wollten. Sie erstrebten soziale Integration durch Bildung und hielten den »Jargon« für eine provinzielle, unterentwickelte Sprache. Die immensen Bildungsanstrengungen der Juden führten zur Entstehung einer soliden Schicht russisch-jüdischer Intellektueller und assimilierter Bürger. Obgleich sie erfüllt hatten, was eine lange Reihe russischer 39Kommissionen zur Lösung der »jüdischen Frage« gefordert hatte, und »modern« geworden waren, wurden ihnen doch, wie allen Juden in Russland, Bürgerrechte und Gleichstellung verweigert.37 Zwischen 1872 und 1907 erschütterten Hunderte von kleineren und größeren lokalen Pogromen die ökonomisch ausgelaugte und im Generations- und Glaubenskonflikt zerfallende jüdische Gesellschaft.38 Russische und polnische Juden emigrierten in großer Zahl nach Amerika.
Dort trafen sie auf deutsche Juden, die schon Jahrzehnte früher gekommen waren. Entsetzt von der altertümlichen Erscheinung ihrer östlichen Vettern und der Hässlichkeit ihrer Sprache, gründeten die deutschen Juden Hilfsorganisationen, um die Neuankömmlinge zu ›zivilisieren‹. Die deutschen Juden hatten sich ihren gesellschaftlichen und finanziellen Erfolg in Amerika durch Assimilation hart erkämpft und fürchteten nun, ihre verarmten Glaubensbrüder aus dem Osten könnten ein schlechtes Licht auf sie selbst werfen. Einer der prominentesten deutsch-jüdischen Philanthropen, der in Frankfurt geborene Bankier Jacob Henry Schiff, ging in der Tat so weit zu postulieren, die Juden Osteuropas hätten durch hartnäckige Selbstabsonderung, die Ursache ihrer Unkultiviertheit und Rückständigkeit, ihre Verfolgung selbst provoziert. Denn Juden, die sich modern und respektabel verhielten, entzögen ja wohl der antijüdischen Kritik den Boden. Noch im Frühjahr 1916 fragte Schiff seine New Yorker Zuhörer bei der Einweihung des Central Jewish Institute: »Sind wir nun amerikanische Juden oder Juden, die zufällig in Amerika leben?« Und fuhr fort: »Wir sollten unser Judentum nur als Religion leben und uns in allen anderen Dingen als Amerikaner verhalten; wenn wir das nicht tun, glaube ich, werden unsere Nachfahren Tragisches erleben. Wenn die Juden in Russland und Polen sich nicht abgesondert und nicht auf ihrer eigenen Sprache bestanden hätten, hätten die Katastrophen und Verfolgungen, die sie durchleben mussten, niemals dieses Ausmaß erreicht.«39 Schiffs negative Einstellung nicht nur zur jiddischen 40Sprache, sondern auch zu der mit ihr verbundenen kulturellen Eigenständigkeit, spiegelte die Haltung der deutsch-jüdischen Elite. Ihre Kritik an den Ostjuden maskierte nur das zeitlose Problem der Angst, dass sie als jüdisch identifizierbare Juden nicht toleriert würden. Nicht Selbstbehauptung, sondern Mimikry, Verschwinden in der Menge, schien die sicherste Überlebensstrategie. Wäre dem nicht so, hätten christliche Gesellschaften es nicht für nötig erachtet, Juden durch spitze oder gelbe Hüte, gelbe Ringe oder Sterne zu kennzeichnen.
Die deutschen Juden der Upper East Side konnten nicht verhindern, dass sich ab 1880 in den Wohnvierteln der jüdischen Einwanderer ein intensives kulturelles Leben in jiddischer Sprache entfaltete. Doch der soziale Aufstieg der nächsten Generationen führte zum Sprachschwund. Ab den 1950er Jahren wurde Jiddisch unter amerikanischen Juden die Sprache der Alten Welt, der Einwanderer, der Armut, der Arbeiterbewegung und ihrer Zeitungen und einer populären Unterhaltungskultur, die sich aus dem großen jiddischen Theater des frühen 20. Jahrhunderts entwickelte und sowohl Hollywood als auch ab den 1940er Jahren eine verbale Komikerkultur (stand-up comedy) hervorbrachte. Dennoch war Jiddisch das, was die nächste Generation auf ihrem Weg in die Universitäten hinter sich ließ. Wenn im Herbst 2017 Art Spiegelman, der Schöpfer von Maus, einer »graphic novel« über die Erinnerung seines Vaters an Auschwitz, sagen konnte: »Comics is the Yiddish of art« (Comics sind die jiddische Sprache der Kunst), bedeutet das, dass Jiddisch als hohe Literatursprache bei ihm nicht angekommen war. Jiddisch war auch für ihn die Sprache der Straße, der Unterschicht, der Opposition, der Außenseiter, der Mäuse, die von den Katzen gejagt werden, der am Abgrund entlangschlitternden Fast-Verlierer, die durch Mutterwitz oder Zufall überlebten.40
Wir sind am entgegengesetzten Ende von Sutzkevers Dichtung angelangt. Zwischen Sutzkevers Auffassung von der jiddi41schen Sprache als Medium sublimer Kunst (1941) und Spiegelmans Identifikation (2017) von Jiddisch und Comics in ihrem subversiven und ironisierenden Bezug zur ›Hochkultur‹ liegen der Holocaust und die systematische Dezimierung der jüdischen Kultur in der Sowjetunion zwischen 1934 und 1953. Die beiden aufeinander folgenden Katastrophen sind die dritte Ursache der Abwertung der jiddischen Sprache. Denn die Auslöschung der jüdischen Eliten durch Hitler und Stalin setzte der Erforschung der jiddischen Sprache und Literaturgeschichte auf wissenschaftlichem Niveau erst einmal ein Ende.
Im zunehmend dichter besiedelten jüdischen »Ansiedlungsrayon«41