Es reicht! Für alle! - Martin Schenk - E-Book

Es reicht! Für alle! E-Book

Martin Schenk

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Beschreibung

Die SozialexpertInnen Martin Schenk und Michaela Moser machen in ihrem faktenreichen Plädoyer "Es reicht! Für alle!" deutlich, dass - selbst in Krisenzeiten - genug für alle da ist, dass Armut tatsächlich vermeidbar und die Frage der gerechteren Verteilung des Wohlstands eine der drängendsten politischen Fragen ist. Wollen wir den Aufstand in der Vorstadt dauerhaft verhindern, müssen wir in Zukunftsperspektiven investieren. Anhand von internationalen Beispielen und Best-Practice-Modellen aus unterschiedlichen Ländern zeigen die AutorInnen, was etwa Bildungsoffensiven, gezielte Kampagnen und ein deutlich gewandeltes Verständnis von Arbeit und Arbeitszeit bringen können.

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Deuticke eBook

Martin Schenk / Michaela Moser

Es reicht! Für alle!

Wege aus der Armut

Deuticke

eBook ISBN 978-3-552-06133-0

Alle Rechte vorbehalten

© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2010

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

www.hanser-literatuverlage.de

Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

7  Vorwort

11  1.  Ganz Deutschland wäre arm

40  2.  Arme Kinder fallen nicht vom Himmel

60  3.  Armut nimmt Zukunft

76  4.  Lieber reich und gesund als arm und krank

99  5.  Lebensrisiko Pflege

115  6.  Arbeiten zum Nulltarif

144  7.  Was man zum Leben braucht

167  8.  Hast du was, dann bist du wer

190  9.  Arm, aber nicht dumm

21010.  Es reicht! Für alle!

Vorwort

Es reicht! Mitten im reichen Europa leben Millionen von Menschen, die jeden Cent mehrmals umdrehen müssen. Niemand will sein eigenes gegen ein Leben in Armut tauschen. Die Betroffenen haben die schlechtesten Jobs, die geringsten Einkommen, die kleinsten und feuchtesten Wohnungen, sie haben die krankmachendsten Tätigkeiten, wohnen in den schlechtesten Vierteln, gehen in die am geringsten ausgestatteten Schulen, müssen fast überall länger warten – außer auf den Tod, der ereilt sie um einige Jahre früher als Angehörige der höheren Einkommensschichten. All dies ist alltägliche Realität – für mehr Menschen, als von den meisten angenommen. Sie leben am Limit, kämpfen mit dem Mangel an Möglichkeiten und leiden am Verlust existenzieller Freiheiten, der damit einhergeht.

Jede und jeder der Menschen, die in Armut leben, hat einen Namen, ein Gesicht, eine individuelle Geschichte. Einige werden auf den folgenden Seiten näher vorgestellt. Elisabeth, George, Michi, Selina … Wir kennen uns aus der Sozialberatung und aus Notunterkünften, aus der Arbeit an einer Straßenzeitung und von gemeinsamen Aktionen, von Nachhilfestunden und Schulprojekten, aus Initiativen zur Gesundheitsförderung und Selbsthilfegruppen und aus der europäischen Vernetzung von Menschen mit Armutserfahrungen.

»Ich hätte mir nie gedacht, dass mir das passiert«, hören wir immer öfter Frauen und Männer sagen, die sich »ganz unten« wiederfinden. Die Biografien der Betroffenen sind bunter, als der schnelle Blick glauben macht. Die Dauerpraktikantin mit Uni-Abschluss und der Schulabbrecher, die Alleinerzieherin mit drei kleinen Kindern, die früher als Dolmeterscherin in der Welt herumkam, und der Langzeitarbeitslose, der einmal eine Firma geleitet hat. Der junge Mann mit Depressionen, der sich in sozialen Initiativen engagiert, und die perfekt Deutsch sprechende Migrantin in der Leiharbeitsfirma. Der Freund, der sich als Ich-AG durchschlägt, und die – nach einem Bandscheibenvorfall des Vaters – überschuldete Familie. Ihre Geschichten sind unterschiedlich, ihre Lebensverhältnisse allesamt prekär. Kürzlich in der Beratungsstelle: eine junge Frau mit zwei Kindern, deren Einkommen so gering ist, dass sie entscheiden muss: Zahle ich die Krankenversicherung oder die Miete oder die Hefte zum Schulanfang für die Kinder.

Dass die Armut um sich greift, fällt auch jenen auf, die (noch) nicht unmittelbar von ihr betroffen sind. Drei Viertel aller EuropäerInnen geben mittlerweile an, dass die Armut in ihrem Land weit verbreitet ist. Und während aktuelle Studien zeigen, dass neun von zehn EuropäerInnen von ihren Regierungen Maßnahmen gegen Armut erwarten, wird das Fehlen politischer Maßnahmen immer deutlicher. Auch wenn es in Sonntagsreden anders klingen mag, Armut wird in Kauf genommen.

Für alle! Ungleichheit schadet, und zwar fast allen. Noch mehr Ungleichheit heißt noch mehr Krankheiten und noch geringere Lebenserwartung für Ärmere, mehr Teenager-Schwangerschaften, mehr Status-Stress, mehr Gewalt und mehr soziale Ghettos. Eine sozial polarisierte Gesellschaft bringt Nachteile nicht nur für die Ärmsten, sondern auch für die Mitte.

Es lohnt sich, im Trommelfeuer der vorgetragenen Verknappung von Mitteln, der permanenten Sparlogik und Opferrhetorik die Fülle in den Blick zu nehmen. Es lohnt sich, die ökonomischen Sachverhalte zu überprüfen, die uns als unumstößliche Wahrheit präsentiert werden. Es lohnt sich, die Produktionsstätten neualter Ideologien auszuheben, die Glück und Freiheit versprechen und soziale Polarisierung bringen. Es lohnt sich, auf die Suche danach zu gehen, was Reichtümer vermögen.

Die Finanzkrise wird abgesagt. Die soziale Krise steht aber erst vor der Tür. Während die Finanzmärkte sich wieder auf »business as usual« einstellen, soll die Bevölkerung mit Sparpaketen bezahlen, was das Finanzdesaster an Löchern in die öffentlichen Haushalte gerissen hat. Wie die Kosten der Krise verteilt werden, entscheidet über mehr oder weniger Armut in den nächsten Jahren.

Wege aus der Armut: Armut ist multidimensional und ihre Entstehung multifaktoriell. Deshalb sind auch die Instrumente zu ihrer Bekämpfung entsprechend umfassend anzulegen. Für die Reduzierung der Armut braucht es eine ganzheitliche Strategie, einen integrierten Ansatz, die Fähigkeit, in Zusammenhängen zu denken. Erst im Zusammenwirken entfalten Maßnahmen ihre Wirkung.

Es geht darum, die Schwächen des Sozialstaats zu korrigieren und seine Stärken zu optimieren. Es geht darum, Antworten auf die großen sozialen Herausforderungen und neuen sozialen Risiken, wie etwa prekäre Beschäftigung, Pflege, psychische Erkrankungen oder Migration, zu finden. Es geht um einen Freiheitsbegriff, der auch die Freiheit der Benachteiligten einschließt. Es geht um ein Verständnis von Autonomie, das Bedürftigkeit nicht als Gegensatz formuliert. Es geht um eine Politik des Sozialen, die Bürgerinnen und Bürger sieht, nicht Untertanen.

Wer seit vielen Jahren in sozialen Organisationen und Armutsnetzwerken engagiert ist, kennt neben den düsteren Realitäten auch die Wirkung der Arbeit sozialer Organisationen und die Erkenntnisse der Armutsforschung, die – wie einzelne Best-Practice-Beispiele in einigen Ländern belegen – zeigen, dass es auch anders geht. Armut ist vermeidbar – auch in Krisenzeiten. Weniger Jobs, weniger Lohn, weniger Zukunft, weniger Sicherheit sind keine Naturereignisse, die über uns hereinbrechen. Das sollen die Analysen in diesem Buch deutlich machen.

Am Ende jedes Kapitels folgen Orientierungsvorschläge für weniger Armut. Es handelt sich um eine Art Kompass, der anzeigen soll, in welche Richtung es gehen muss. Die skizzierten Wege betreffen stets die gesellschaftliche Ebene, die gemeinschaftlichen Zusammenhänge und auch den persönlichen Kontext. Die angeführten Beispiele sind dabei zwangsläufig unvollständig.

Sie sollen zeigen, dass es Alternativen gibt, auch und gerade in Zeiten der Krise.

Dass es noch viel zu tun gibt, aber auch sehr viel, was wir tun können, damit es für alle reicht.