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Daniel sucht dringend einen neuen Job, als er einen mysteriösen Brief erhält. Jemand bietet ihm die Stelle des Hausmeisters in einem Anwesen namens Craven Manor an. Als er dort ankommt, läuten seine Alarmglocken. Das Gelände ist völlig zugewuchert und es ist klar, dass in dem alten Haus längst niemand mehr wohnt. Aber es erwarten ihn weitere schriftliche Anweisungen und sein erstes Gehalt … Als Daniel sich abends einen Drink im Pub gönnt, erzählt ihm der Barkeeper die Geschichte von Craven Manor. Eine Geschichte über einen Familienfluch, eine Wahnsinnige, die ihre Tochter ermordete und deren Geist noch in dem Herrenhaus umherstreifen soll … Daniel glaubt nicht an so etwas. Doch weshalb wurde er in das unheimliche Haus gelockt? Welches Geheimnis verbirgt sich in den Mauern von Craven Manor? New York Journal of Books: »Gespenstisch und unheimlich und äußerst spannend.« Eine neue, fesselnde Spukhausgeschichte von Darcy Coates, der australischen Autorin vieler unheimlicher Bestseller.
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Seitenzahl: 391
Veröffentlichungsjahr: 2024
Aus dem australischen Englisch von Olaf Bentkämper
Impressum
Die australische Originalausgabe Craven Manor
erschien 2017 im Verlag Black Owl Books.
Copyright © 2017 by Darcy Coates
Copyright © dieser Ausgabe 2024 by Festa Verlag GmbH, Leipzig
Titelbild: César Pardo
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-98676-149-3
www.Festa-Verlag.de
1
Daniels Schuh scharrte über den Läufer im Flur und zog lose Fäden mit sich. Er warf einen mitleidigen Blick darauf, als er um die Ecke bog, die zur Wohnung seines Cousins führte.
Das sechsstöckige Mietshaus war dringend sanierungsbedürftig. Die dicke weiße Farbe, mit der die Wände gestrichen waren, war vergilbt, wo sie nicht schon durch Wasserschäden fleckig war, und zwei der drei Lampen im Flur waren defekt. Daniel bezweifelte, dass das Haus wenigstens in seinen besten Tagen ein einladender Ort gewesen war, aber als er eingezogen war, war es längst zu einer Absteige für Arbeitslose, Sterbende und Menschen geworden, die nirgendwo sonst mehr hinkonnten.
Ein Heim für verzweifelte Menschen. Daniel straffte seine schmerzenden Schultern. Er hatte den ganzen Tag die Toilettenböden in einem Casino geschrubbt. Es war keine dauerhafte Anstellung. Die meisten seiner Vormittage verbrachte Daniel damit, sich in jedem Geschäft zu bewerben, vor dem ein AUSHILFE GESUCHT-Schild hing, so unattraktiv die Arbeit auch erscheinen mochte. Wenn er wirklich knapp bei Kasse war, sah er sich im Rotlichtviertel der Stadt um und schaute, ob ihn jemand für den Tag einstellen wollte. Meistens konnte er sich für ein paar Stunden als Hausmeister in einem Nachtclub, einer Kneipe oder einem der billigen Hotels verdingen. Die Bezahlung lag weit unter dem Mindestlohn, aber er war nicht in der Position zu verhandeln.
»Daniel! Daniel!« Eine kleine, faltige Frau trat wackelig auf den Flur und winkte ihm zu. Sie hatte sich für den Tag zurechtgemacht, aber anscheinend vergessen, dass sie noch ihre Nachtmütze trug. Mit zusammengekniffenen Augen blinzelte sie durch große, dicke Brillengläser und hielt ihm einen Porzellanteller hin. »Daniel! Ich habe Kekse gebacken. Probier mal!«
Ein Teil von Daniels Müdigkeit fiel von ihm ab, als er seine Nachbarin an der Tür traf. »Danke, Mrs. Kirshner. Das ist echt lieb.«
Sie reichte ihm nur bis zur Hüfte, schien aber angesichts seiner Worte zu wachsen. »Ich backe sie extra für dich, Daniel. Junger Kerl wie du muss mehr essen.«
Daniel nahm einen der einfachen braunen Kekse, die sie ihm hinhielt. Der Keks war hart und ein wenig trocken, aber Daniel war hungrig und schlang ihn schnell herunter. »Die sind gut. Ihr eigenes Rezept?«
»Jaja.« Die winzige Frau schob ihre Brille ein wenig höher und ihr Lächeln flackerte. »Sind normal Cranberrys drin, aber … aber heute nicht.«
»Oh.« Daniel wurde das Herz schwer. Er warf einen Blick über sie hinweg in ihre Wohnung. Ihr grauer Kater, Alonzo, schlief auf der Fensterbank. Durch das vorhanglose Fenster fiel grelles Licht in den kargen Raum. Er hätte schwören können, dass sie mehr Möbel besessen hatte, als sie eingezogen war. Eine Tasse Tee stand auf dem Boden neben ihrem Stuhl. Der Tee war schwarz, aber er wusste, dass sie ihn lieber mit Milch trank.
»Ähm, Mrs. Kirshner, geht es Ihnen gut? Ich meine, kommen Sie zurecht?«
»Mach dir keine Sorgen, Daniel.« Sie gab ihm einen Klaps auf die Brust. Ihre Hände waren winzig und von Arthritis gekrümmt, aber ihr Lächeln wich nicht aus ihrem Gesicht. »Uns geht es gut. Ich rufe meine Tochter an, weißt du? Sie schickt nächste Woche Geld.«
Heute ist Dienstag. Eine Woche kann ziemlich lang werden. Und sie ruft ihre Tochter nie an, es sei denn, die Lage ist ernst … Daniel kramte in seiner Tasche nach den 20 Dollar, die er mit Toilettenputzen verdient hatte. Von dem Geld hatte er an diesem Abend und am nächsten Tag essen wollen, aber so hungrig war er nun auch nicht, entschied er. »Bitte. Es ist nicht viel, aber es sollte bis nächste Woche reichen.«
»Oh.« Sie gab einen beschwichtigenden Laut von sich und versuchte, seine Hand wieder um den Schein zu schließen. »Nein, nein, ist Daniels Geld.«
»Wirklich.« Er lachte und schob den Schein in die Tasche ihrer Strickjacke, bevor sie weitere Einwände erheben konnte. »Das ist die Bezahlung für die ganzen Kekse, die Sie für mich backen. Passen Sie auf sich auf, Mrs. Kirshner.«
»Guter Junge, guter Junge«, sagte sie sanft und hielt ihm zitternd den Teller hin. »Nimm noch mehr.«
»Danke.« Er nahm einen zweiten Keks und winkte, als sie sich in ihre Wohnung zurückzog. Als sie die Tür schloss, hörte er sie ihrem Kater ein Wiegenlied vorsingen. Sie klang glücklich.
Daniel kaute auf dem Keks herum und legte den Kopf in den Nacken, um auf die fleckige Decke einen Meter über seinem Kopf zu blicken. Ein paar Türen weiter begann ein Baby zu schreien. Zwei Männer stritten sich in der Etage unter ihm. Das Licht am Ende des Flurs – eine der beiden noch funktionierenden Glühbirnen – zischte und flackerte.
Ein Haus für Verzweifelte …
Er atmete durch die Nase aus und ging weiter in Richtung der Wohnung seines Cousins. Die Kekse würden als Abendessen reichen müssen. Wenn er Glück hatte, konnte er am nächsten Tag wieder einen Job als Putzkraft ergattern, der bar bezahlt wurde. Oder vielleicht – er wagte nicht, sich zu viel zu erhoffen – würde er eine Antwort auf eine seiner Bewerbungen erhalten.
Jobs waren knapp in der Stadt und jedes Mal, wenn er zu einem Vorstellungsgespräch ging, nahm er neben mindestens 20 anderen Bewerbern Platz, die darauf warteten, dass ihre Namen aufgerufen wurden. Zudem hatte er kaum Berufserfahrung, keine Qualifikationen und kein Auto. Mit seinem Fahrrad kam er in der Stadt gut zurecht, aber Arbeitgeber erwarteten ein zuverlässigeres Transportmittel.
Es war eine Zwickmühle. Wenn er aus der Stadt herauskäme, hätte er vielleicht bessere Chancen, einen Job zu finden, aber er hätte keine Bleibe. Er konnte froh sein, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Sein Cousin Kyle hatte ihm angeboten, in seiner Wohnung unterzukommen, bis er »wieder auf die Füße« kam. Das war vor sechs Monaten.
Zwei bronzene Ziffern, eine 1 und eine 6, hingen an ihrer Tür. Eigentlich war es die Wohnung 616, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, die fehlende Ziffer zu ersetzen. Daniel trat die Schuhe auf der Matte vor der Tür ab, während er seinen Schlüssel ins Schloss steckte. Die Tür ging schließlich mit einem Schaben auf und Daniel wäre fast auf den weißen Umschlag getreten, der auf dem Linoleumboden lag.
»Dan, bist du das?«
Die Stimme kam aus dem Wohnzimmer und vermischte sich mit dem Lärm der Explosionen und automatischen Schusswaffen aus Kyles Videospiel.
Daniel bückte sich und hob den Umschlag auf. »Ja, ich bin’s. Ich dachte nicht, dass du zu Hause bist.«
»Der Boss ist früher weg. Also, dachte ich mir, mach ich das auch.« Eine Explosion, dann signalisierte ein enttäuschtes mechanisches Läuten, dass Kyle das Spiel verloren hatte. Er fluchte laut.
Der Umschlag war aus dickem Karton, nicht aus dem üblichen dünnen Papier, in dem die Rechnungen kamen. Er trug keine Adresse, aber auf der Vorderseite stand in einer fließenden Handschrift Daniels Name geschrieben. Er drehte den Umschlag um. Kein Absender.
Die Konsole spielte eine kleine Melodie, um eine neue Runde einzuläuten. Daniel schloss die Tür hinter sich und ging auf den Brief starrend in die winzige Küche. In der Spüle standen Teller und Töpfe, die mit den Resten irgendeiner Reismahlzeit verklebt waren. Daniel drehte den Wasserhahn auf, um die klebrige Masse einzuweichen, dann öffnete er die unverschlossene Lasche des Umschlags.
Er bekam nie Post, erst recht keine nicht adressierten, handgeschriebenen Briefe auf dickem Karton. Sein erster panischer Gedanke war, dass es sich um einen Räumungsbescheid handeln könnte, aber das ergab keinen Sinn. Die Wohnung lief auf Kyles Namen. Außerdem würde ihr Vermieter nicht mit so dekadentem Papier protzen. Er zog das Blatt heraus und entfaltete es.
Der Brief war kurz, aber in einer säuberlichen Schnörkelschrift geschrieben. Die Zeilen waren makellos gerade und die Worte klein, sodass sie in dem weißen Raum um sie herum beinahe winzig wirkten.
Daniel las den Brief zweimal, bevor er dessen Botschaft erfasste.
Mr. Daniel Kane,
ich möchte Ihnen, ab sofort, die Stelle als Gärtner von Craven Manor anbieten.
Folgen Sie der Tilbrook Street bis zur Gabelung bei der toten Eiche. Dort wenden Sie sich nach rechts und erreichen nach zwei Meilen das Anwesen.
Ich sehe Ihrer umgehenden Antwort entgegen.
– Bran
Daniel drehte das Blatt um. Die Rückseite war leer. Ist das ein Scherz?Wenn ja, dann verstehe ich ihn nicht. Seit Monaten wartete er verzweifelt auf ein Jobangebot, aber der Brief war so bizarr, dass er sich nur schwer vorstellen konnte, dass er ernst gemeint war. Wer gibt statt einer Adresse eine Wegbeschreibung zu einem Anwesen an? Und warum stellt man ausgerechnet mich als Gärtner ein? Ich habe doch gar keine Erfahrung.
Das stimmte nicht ganz. Als er vor ihrem Tod bei seiner Großmutter lebte, hatte er gern gegärtnert. An den Wochenenden hatten sie in ihrem Garten Stunden mit Jäten, Schneiden und Hegen verbracht. Der Ort hatte ihm ein Gefühl der Sicherheit gegeben.
Rund um den Wohnblock gab es keine Pflanzen. Einmal war ein Baum in den Gehweg vor dem Haus gesetzt worden, aber jetzt war nur noch sein Stumpf übrig. Manchmal sah Daniel den ganzen Tag lang nichts Grünes, außer den Algen in einem Abfluss oder hin und wieder Unkraut, das aus einem Spalt im Bürgersteig wuchs.
Für die Arbeit in einem Garten bezahlt zu werden klang wie ein Traum.
Aber es ist kein echtes Angebot. Das kann nicht sein. Jemand spielt mir einen Streich.
Die Töpfe liefen über, also drehte er den Wasserhahn zu und ging ins Wohnzimmer. Kyle saß auf der Couch. Es schien ihn nicht zu kümmern, dass er sich auf den fleckigen Teil gesetzt hatte. Er saß vorgebeugt da und starrte wie gebannt auf den Bildschirm. Sein Charakter rannte durch ein verlassenes Lagerhaus, schoss auf jeden auftauchenden Feind und warf hin und wieder Granaten. Daniel räusperte sich, aber Kyle reagierte nicht, also lehnte er sich mit dem schmerzenden Rücken gegen die Wand und wartete, bis sein Cousin fertig war.
Es war kaum zu glauben, dass Kyle auf dem College Fußball gespielt hatte. Damals war er ein beliebter Kerl gewesen, muskulös und ebenso blond wie Daniel. Er war allerdings nicht gut genug gewesen, um nach der Schule eine Karriere als Profi einzuschlagen, und hatte schließlich einen Job bei einem Bautrupp bekommen. Daniel wusste, dass Kyle hart arbeitete, aber eine Ernährung aus Softdrinks und Fast Food hatte seinen Körper ruiniert. Chipskrümel sprenkelten das schwarze T-Shirt, das sich über seinem Bauch spannte, und er hatte angefangen, an den Wangen und im Nacken Speck anzusetzen. Er knabberte an seiner Unterlippe, während er seinen Avatar dazu brachte, einen weiteren Scharfschützen niederzumähen. Die Konsole bimmelte, um das Ende des Spiels zu signalisieren. Kyles Team hatte gewonnen. Er stieß einen Jubelschrei aus und lehnte sich zurück.
»Hey«, sagte Daniel und hielt das Blatt Papier hoch. »Hast du mir das dagelassen?«
»Was zum Geier ist das?« Kyle schielte auf das Blatt, machte aber keine Anstalten, es sich genauer anzusehen. »Hast du endlich einen Job gekriegt?«
»Nein – ich meine, ich …«
»Weil ich mit dir darüber sprechen wollte. Wir müssen noch einen Mitbewohner aufnehmen.« Kyle kratzte sich die Bartstoppeln und warf den Gamecontroller beiseite. »Ich weiß, dass du dich an der Miete beteiligst, aber die Nebenkosten werden nächsten Monat erhöht und was du mir zahlst, reicht einfach nicht aus. Ich hab schon mit einem Freund von der Arbeit gesprochen. Ich glaube, er ist dabei.«
»Oh.« Daniel spürte das vertraute flaue Gefühl im Magen. Er rutschte ein Stück an der Wand herunter. »Aber wir haben nur zwei Schlafzimmer …«
»Ja, deswegen müsst ihr euch eins teilen. Ich kann nicht riskieren, dass mein Schlaf gestört wird, verstehst du? Ich muss früh aufstehen wegen der Arbeit.«
Kyle verließ das Haus selten vor neun, aber Daniel biss sich bei dem Thema auf die Zunge. »Ein zweites Bett passt nicht in mein Zimmer. Da ist eh schon kaum Platz.«
»Hast du einen Job? Kannst du mehr zahlen?« Kyle schob die Unterlippe vor und zog die Augenbrauen hoch. »Denn wenn nicht, werden wir beide auf der Straße stehen.«
»Verstehe schon. Wenn wir einen dritten Mieter brauchen … nun, dann muss es wohl sein, oder?« Daniel rieb sich den Nacken und zuckte die Achseln. »Könnten wir vielleicht die Zimmer tauschen? Deins ist groß genug für zwei Betten und in meinem hättest du immer noch deine Privatsphäre.«
»Sorry, Kumpel.« Er nahm den Gamecontroller und begann, die Optionen für ein neues Spiel auszuwählen. »Du weißt doch, dass ich mehr Kram habe, als in das winzige Zimmer passt. Hey, kannst du mir auf dem Weg ein Bier aus dem Kühlschrank holen?«
Daniel holte brav eine Dose, warf sie Kyle zu und ging dann zur Tür hinaus. Sein Herz pochte und seine Hände waren schweißnass. Bei der Vorstellung, wieder auf der Straße zu leben – zu betteln und Essen aus Mülltonnen zu kramen, wie er es getan hatte, bevor Kyle ihn aufnahm –, wurde ihm ganz übel.
Er stand auf der Fußmatte und hörte, wie die Schreie des weinenden Babys durch den Flur hallten. Das Licht flackerte und jedes Aufblitzen schien seine Nerven zu strapazieren.
Er fuhr mit dem Daumen über das kühle Papier und spürte dessen Struktur und Gewicht. Natürlich konnte es sich nicht um einen von Kyles Scherzen handeln; dafür war er zu subtil und skurril. Sein Cousin bevorzugte die schrillere, lautere Variante, wie zum Beispiel um drei Uhr morgens Knallfrösche in Daniels Bett zu zünden. Seine Laken waren davon noch immer angesengt.
Aber wer sonst würde eine solche Nachricht hinterlassen? Nicht Mrs. Kirshner. Sie ist zu nett und ihre Schrift ist nicht so ordentlich. Aber ich glaube nicht, dass sonst jemand in diesem Haus meinen Nachnamen kennt.
Daniel faltete und entfaltete den Zettel. Die Falze waren scharf und präzise. Er murmelte die Worte vor sich hin. »Ich biete Ihnen den Job des Gärtners an …«
Das Geschrei des Babys ging schließlich in Schluckauf über. Daniel steckte den Brief in die Tasche seiner Jeans und lief die Treppe zur Lobby hinunter, wo er sein Rad abgestellt hatte. Es war bald Essenszeit, aber die Sonne würde erst in ein paar Stunden untergehen, also hatte er noch Zeit, um zumindest zu überprüfen, ob das Anwesen überhaupt existierte.
Er lebte in einem Heim für verzweifelte Menschen, und verzweifelte Menschen konnten nicht wählerisch sein.
2
Daniel lehnte sich über den Lenker und genoss das Gefühl des kalten Fahrtwinds, der ihm die Haare ins Gesicht peitschte. Wann immer er aus der Stadt herauskam, mochte er es, so schnell wie möglich die Pedale zu treten und über die Hügel und Senken zu rasen. Wenn er genau den richtigen Winkel fand, fühlte es sich an, als würde er fliegen.
Umgeben vom Gezwitscher der Vögel bog er, den Anweisungen auf dem Zettel folgend, in die Tilbrook Street ein und befand sich in einer Gegend, die ihm nicht vertraut war. Gelegentlich kam er an Bauernhäusern und Abzweigungen vorbei, aber keine Autos störten die Ruhe des frühen Abends. Je weiter er fuhr, desto seltener wurden die Gebäude, bis er nur noch von dichten Kiefern und Schlingpflanzen umgeben war.
Er erreichte eine Kurve in der Straße. Am Ende des Weges stand eine massive, seit Langem abgestorbene Eiche. Ihre Äste schienen sich wie knorrige, verdrehte Finger nach Daniel auszustrecken. Schwer atmend bremste er ab, während er sich näherte, und blieb in ihrem Schatten stehen.
Der Weg knickte an der Eiche scharf nach links ab, als wäre er auf das Hindernis gestoßen und gezwungen gewesen, es zu umgehen. Auf dem Zettel hieß es, er solle sich nach rechts wenden. Daniel sah sich um, aber es gab keine Anzeichen für einen Pfad, nur dichte, kompakte Vegetation.
Es war also doch ein Scherz. Er drehte sich um und blickte hinter sich. Vor Unbehagen stellten sich die Härchen auf seinen Armen auf. Er konnte sich nur allzu leicht vorstellen, dass ein Verbrecherkartell einen verzweifelten, alleinstehenden jungen Erwachsenen mit dem Versprechen auf einen Job in eine abgelegene Straße lockte, um ihn dann mit einem Ziegelstein bewusstlos zu schlagen und seine Nieren zu stehlen. Daniel wusste, dass man für menschliche Organe auf dem Schwarzmarkt viel Geld bekam; er hatte sich an einigen seiner besonders verzweifelten Abende darüber informiert.
Der Feldweg war kahl und soweit er es erkennen konnte, lauerte nichts zwischen der Vegetation auf beiden Seiten. Er stieg vom Rad, stets wachsam bleibend, und ging näher an den Baum heran.
Kinder und Teenager hatten Botschaften in den Stamm geritzt. Einige sahen so alt aus, dass sie aus der Zeit vor Daniels Geburt stammen könnten; keine sah jüngeren Datums aus. Viele bestanden aus der vertrauten Kombination aus Initialen und Pluszeichen in einem Herz, und eine schien ein Vers zu sein, der mittendrin unterbrochen worden war. Und eine lautete einfach Craven Manor, mit einem kleinen Pfeil, der nach rechts zeigte.
Daniel drehte sich um. Er sah noch immer keinen Weg durch die Bäume. Die Sonne stand immer tiefer und jetzt, da er sich nicht mehr bewegte, begann er zu frösteln. Kehr um. Fahr nach Hause.
Er stellte sich vor, was der Abend bringen würde: wach im Bett liegen, hungrig und frustriert, während er Kyle beim Zocken zuhörte. Er würde hundemüde sein, aber die Schmerzen in seinen Muskeln würden ihn stundenlang wach halten. Daniel verzog das Gesicht.
Mit dem Rad an der Seite näherte er sich der Stelle aus Bäumen und Kletterpflanzen, wo sich der Weg hätte gabeln müssen. Als er nahe genug war, erkannte er eine Reihe grauer Dinger, die in den Boden eingelassen waren. Er schabte mit seinem Schuh über eins davon, um den Schmutz zu entfernen, und legte eine flache, von Menschenhand geschaffene Steinplatte frei. Als er den Blick hob, sah er noch mehr von ihnen, die in den Wald führten. Einige lagen in seltsamen Winkeln, von Baumwurzeln aus dem Boden gedrückt. Andere waren tief in die Erde gesunken und kaum noch sichtbar. Er vermutete, dass noch weitere hier verborgen, aber nicht zu erkennen waren, mit der Zeit überwachsen, und so etwas wie einen Pfad bildeten.
»Na, was sagt man dazu?!« Daniel warf einen letzten Blick hinter sich, um sich zu vergewissern, dass er nicht im Begriff war, entführt zu werden, dann hob er das Rad und trug es über die massiven Wurzeln der Eiche.
Er glaubte nicht, dass er sich nur einbildete, dass die Luft kälter wurde. Der Wald war hier so dicht, dass er kein Licht durchließ, und Wassertropfen klebten an den Pflanzen. Sie spritzten auf ihn, als er sich einen Weg durch sie bahnte, liefen ihm in den Kragen und ließen ihn schaudern.
Der Pfad schlängelte sich chaotisch dahin. An manchen Stellen wuchsen Bäume aus den Steinen und unterbrachen den Weg und Daniel musste suchen, wo es weiterging. Es gefiel ihm nicht, wie verwahrlost der Weg war. Er hielt es für möglich, dass eine andere Straße aus einer anderen Richtung auf das Anwesen zuführte und dass der Eigentümer des Hauses ihn einfach auf einen lange nicht mehr genutzten Schleichweg gelotst hatte. Aber er fühlte sich schutzlos. Die Vogelstimmen schienen verzerrt und die Bäume ragten bedrohlich über ihm auf. Ihre Stämme waren so breit, dass er seine Arme um sie hätte legen können, ohne dass sich seine Finger berührten.
Der Pfad führte leicht bergan. Daniel überlegte, sein Rad stehen zu lassen und es auf dem Rückweg zu holen, aber der Gedanke, es im Wald zu verlieren, reichte aus, um seine klammen Finger am Lenker zu halten. Immer wieder verfingen sich Ranken und Äste in den Speichen und der Weg war so uneben, dass er es meistens tragen musste.
Daniel war außer Atem, als sich der Wald lichtete. Die Dämmerung war hereingebrochen und die Umgebung begann ihre Farben zu verlieren. Bereits strapazierte Muskeln schmerzten von der Anstrengung, aber Daniel konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er auf ein massives schmiedeeisernes Tor stieß, das ihm den Weg versperrte.
Das Anwesen ist also echt. Heißt das, dass auch das Jobangebot echt ist? Zum ersten Mal seit gefühlten Monaten erwärmte ein Funke Hoffnung sein Inneres. Dann trat er näher an das Tor heran und die Beklemmung kehrte zurück, um seine Hoffnung zu ersticken.
Die massive Eisenkonstruktion, mit Reihen bösartiger Stacheln an der Spitze, überragte ihn. Aber sie war auch unglaublich alt. Sie war von Schlingpflanzen überwachsen und dicke Flocken Rost waren von ihr abgeblättert. Durch Bodenerosion hatte sich ein Flügel geöffnet, sodass eine kleine Lücke entstand, durch die er eintreten konnte. Dahinter verdeckten überwucherte Gärten das Herrenhaus. Ein paar Minuten Fußweg entfernt konnte er sein dunkles Dach erkennen, das sich im schwindenden Licht abzeichnete.
Das muss der richtige Ort sein, oder nicht? Das Tor sieht allerdings uralt aus. Auf einem Schild, das quer über das Tor verlief, waren Worte eingraviert. Daniel wischte den Dreck ab, um den Namen zu lesen: Craven Manor.
Er klammerte sich an die Hoffnung, dass er auf einem Schleichweg gekommen war. Wenn niemand je diesen Teil des Anwesens aufsuchte, spielte es keine Rolle, dass das Tor so vernachlässigt war, dass es auseinanderfiel. Und in Anbetracht der verwilderten Gärten vermutete er, dass schon lange keiner mehr in dieser Ecke gewesen war.
Seltsam, dass ich auf dieser Route hergeführt worden bin. Auch wenn es eine Abkürzung sein sollte, ist es fast unmöglich, sie zu finden.
Der Spalt zwischen den Torflügeln war breit genug, um sich hindurchzuzwängen, aber es würde nicht einfach sein, wieder herauszukommen. Er zögerte – stellte sich vor, wie er zu fliehen versuchte, gejagt von bösartigen Wachhunden, denen der Geifer aus den Mäulern troff, während sie nach seinen Knöcheln schnappten – und presste die Lippen zusammen.
Verzweifelte Menschen können nicht wählerisch sein.
Er lehnte sein Rad an das Tor, dann hob er einen Fuß, schob ihn durch die Lücke und balancierte ihn auf einem Stein auf der anderen Seite. Er klammerte sich an das rostige Metall, als er sich hindurchzwängte, und tat sein Bestes, um seine Kleidung nicht zu ruinieren, obwohl der Dreck seine Hände schwarz färbte. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn das Tor seit mehr als 100 Jahren nicht mehr angerührt worden war; es sah mindestens so alt aus.
Sein Fuß verfing sich in Gestrüpp, als er ihn hinter sich herzog, und er geriet ins Stolpern, bevor er sich fangen und an einem Baum festhalten konnte. Mit Einbruch der Dunkelheit schwand die Sicht und Daniel fragte sich nervös, ob er den Weg nach Hause finden würde. Aber in dem Brief hatte es geheißen, er solle sofort mit der Arbeit anfangen. Sie suchten offenbar verzweifelt nach einem Gärtner. Wenn er sich zierte und kehrtmachte, könnte der Eigentümer denken, dass er die Stelle nicht wollte, und sie jemand anderem anbieten.
Der gepflasterte Weg war innerhalb des Anwesens deutlicher zu erkennen, aber die Lücken zwischen den Steinen waren von Unkraut überwuchert. Pflanzen wuchsen in einem unkontrollierbaren Gewirr über die Begrenzungen ihrer Einfassungen hinaus und kämpften um Platz. Es gab fast ebenso viele tote wie lebende Bäume und viele von ihnen waren umgestürzt und wurden von winzigen Insekten langsam in Kompost verwandelt. Daniel musste über mehrere große herumliegende Stämme klettern, als er dem Pfad zum Haus folgte.
Ein tiefer, lang gezogener, melancholischer Schrei schreckte Daniel auf. Ein Schwarm Krähen hockte auf einem Baum in der Nähe des Hauses und schien das Gebäude zu bewachen. Zwei von ihnen ergriffen die Flucht, als Daniel unter ihnen herging. Ihre mächtigen Flügel erzeugten ein hohes Schwirren, als sie die Luft aufwirbelten. Er sah zu, wie sie davonflogen und das schwindende Licht sich in ihrem seidigen schwarzen Gefieder spiegelte.
Dann wandte er sich dem Haus zu und der kleine Funke warmer Hoffnung, den er genährt hatte, verkümmerte zu einem Brocken toter Kohle.
Craven Manor war ein gewaltiges Gebäude. Seine drei Stockwerke schienen wie eine Abscheulichkeit aus dem Boden gewachsen zu sein, voller ungeordneter Vorsprünge und Simse. Mehr als zwei Dutzend schwarze Fenster überblickten den Eingang, der aus drei breiten Steinstufen bestand, die zu einer Doppeltür mit Holzbogen führten. Säulen stützten ein Vordach, unter dem leicht 20 Personen Platz finden konnten. Die Steine waren alt, verwittert und mit graugrünen Flechten gesprenkelt. An der Seite des Gebäudes ragte ein Turm über den höchsten Punkt des Dachs hinaus.
Daniel schaute hinter sich, als hätte er womöglich das eigentliche Haus übersehen, aber das hatte er nicht. Das Gebäude war von einschüchternder Größe und das verschlungene schwarze Mauerwerk war beängstigend, aber noch schlimmer war der Zustand des Verfalls. Viele der Fenster wiesen Sprünge oder Löcher auf. Das Mauerwerk war an vielen Stellen abgesplittert und vom jahrzehntelangen Regen verschmutzt. Das dunkle Schieferdach sah an den Stellen, an denen Ziegel heruntergefallen waren, zerklüftet aus. Eine der großen Doppeltüren stand offen, aber im Inneren des Gebäudes war kein Licht zu sehen.
Lange abgestorbenes Laub knirschte unter seinen Füßen, als er die verwitterten Stufen zur Eingangstür hinaufstieg. Das Haus war eindeutig verlassen. Als er fröstelnd auf der obersten Stufe stand, fragte sich Daniel, ob er womöglich der erste Mensch seit Jahrzehnten war, der sich hierher verirrt hatte.
Wem gehört das Haus? Und warum hat man es so verwahrlosen lassen?
Er näherte sich den Türen. Einer der massiven Holzflügel war angelehnt und schien ihn in das Foyer einzuladen. Daniels Nerven und seine Neugierde rangen einen Moment miteinander, aber die Neugier siegte. Er ballte die Hände zu Fäusten und beugte sich vor, um seinen Kopf durch die Öffnung zu stecken. Das Foyer war riesig. Mindestens 20 Türen säumten seine Wände. An der Rückseite des Raums befand sich eine prächtige Treppe, die in den zweiten und dritten Stock führte. In ihrer Mitte verlief ein Teppich, der allerdings noch abgenutzter aussah als der Läufer in Daniels Wohnblock.
Vier alte, brüchige Sessel standen um einen Kamin, der rechts in die Wand eingelassen, aber eindeutig schon lange nicht mehr genutzt worden war. Das Holz im Gestell daneben war trocken und schien nur darauf zu warten, angezündet zu werden, war aber, genau wie alles andere im Raum, von einer dicken Staubschicht bedeckt.
Laub und Dreck waren durch die Eingangstür und die zerbrochenen Fenster hereingeweht worden, lagen verstreut auf dem Boden des Foyers und türmten sich in den Ecken wie Schneewehen.
Das ist nicht gut. Hau lieber ab. Er stand auf der Schwelle, eine Hand erhoben, als wollte er sie gegen die offene Tür legen, aber er zögerte noch immer, irgendeinen Teil des Hauses zu berühren. Hier wohnt niemand. Schon lange nicht mehr. Verzieh dich.
Doch etwas fiel Daniel ins Auge, bevor er sich abwenden konnte. Ein paar Schritte entfernt lag ein Umschlag im Laub und Dreck, anscheinend mit großer Sorgfalt so platziert, dass er von der Haustür aus zu sehen war. Er sah genauso aus wie der Umschlag, den Daniel in der Wohnung vorgefunden hatte, bis hin zu dem elegant geschriebenen »Daniel« auf der Vorderseite.
3
Kehr um. Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Ort. Hau ab, solange du noch kannst.
Daniel machte einen zögernden Schritt in das Gebäude, seine Aufmerksamkeit auf den Umschlag mit seinem Namen gerichtet. Sein strahlendes Weiß hob sich deutlich von den Braun- und Schwarztönen um ihn herum ab.
Was immer hier vor sich geht, ist faul. Sei kein Narr. Kehr um. Laub knirschte unter seinem Absatz. Daniel leckte sich die trockenen Lippen. Sein Herz pochte, aber er konnte den Umschlag nicht ignorieren. Er wartete auf ihn, anscheinend unschuldig, fünf Schritte innerhalb des Gebäudes. Als er sich ihm näherte, hatte er das Gefühl, in einen tiefen schwarzen Abgrund zu stürzen. Das Licht war bereits schwach und mit jedem Schritt ins Gebäude hinein wurde er weiter von der Dunkelheit verschluckt.
Er griff nach dem Brief. Im Gegensatz zum Boden, den Möbeln und dem massiven Kronleuchter über seinem Kopf war der Umschlag nicht von Staub bedeckt. Zumindest er war neu.
Daniel hob ihn auf. Der Umschlag war schwerer als der Brief in seiner Wohnung. Er warf einen letzten vorsichtigen Blick zur Tür, halb aus Angst, sie könnte zufallen und ihn im Haus einsperren, dann öffnete er die Lasche, um hineinzusehen.
Der Umschlag enthielt einen Brief und zwei flache, runde Gegenstände. Daniel nahm zuerst den Brief heraus. Er bestand aus zwei Blättern. Wie die Einladung nach Craven Manor war auch die erste Nachricht kurz und in einer kleinen kursiven Handschrift geschrieben.
Mr. Kane,
zu Ihren Aufgaben gehört es, die Gruft zu reinigen und zu pflegen und den Garten nach besten Kräften instand zu setzen. Wenn Sie Vorräte benötigen, legen Sie bitte einen Zettel mit Ihren Wünschen auf den Kaminsims im Foyer. Die Gärtnerhütte in der hinteren Ecke des Gartens steht Ihnen zur Verfügung, wenn Sie dort wohnen möchten. Sie werden wöchentlich bezahlt, sofern Ihre Arbeit zufriedenstellend ist.
– Bran
Wöchentlich bezahlt … Die beiden runden Dinger klirrten am Boden des Umschlags gegeneinander. Daniel kippte sie in seine Handfläche. Es waren Münzen, aber anders als jede Währung, die Daniel je gesehen hatte. Sie waren groß wie Pflaumen und schwer. Auf der Vorderseite war ein Familienwappen eingeprägt. Er hielt es für möglich, dass sie aus Gold waren. Ist das meine Bezahlung?
Das zweite Blatt Papier löste sich vom ersten und Daniel drehte es um, damit er es lesen konnte.
Regeln:
Fremden ist der Zutritt zum Grundstück nicht gestattet.Betreten Sie nicht den Turm.Verlassen Sie die Gärtnerhütte nicht zwischen Mitternacht und Morgengrauen. Ziehen Sie die Vorhänge zu.Halten Sie die Tür verschlossen. Falls Sie ein Klopfen hören, machen Sie nicht auf.»Okay.« Das Wort kam fast wie ein Flüstern heraus. Daniel faltete die Blätter sorgfältig und steckte sie zurück in den Umschlag. »Ja, nee, lass mal stecken.«
Er war verzweifelt, aber nicht wahnsinnig. Das verlassene Haus, die Briefe und die ominösen Regeln bildeten ein bedrohlich wirkendes Gemenge, mit dem er nichts zu tun haben wollte. Es war leichtsinnig von ihm gewesen, dem überwucherten Pfad dorthin zu folgen, wo, wie er jetzt vermutete, das Eingangstor des Anwesens war. Noch fahrlässiger war es gewesen, ein verlassenes Gebäude zu betreten, nur weil er einen Umschlag mit seinem Namen darauf gesehen hatte. Würde er die Stelle als Gärtner annehmen, könnte er sich auch gleich auf die Vermisstenliste setzen lassen.
Ein scharrendes Geräusch hallte durch das Gebäude. Es schien aus einem der oberen Stockwerke zu kommen und klang in einer Weise nach, die Daniel zurückschrecken ließ. Er wartete darauf, dass etwas am oberen Ende der Treppe auftauchte, aber die schattigen, von Spinnweben verhangenen oberen Flure blieben leer.
Ein Tier vielleicht? Diese Krähen würden wohl durch die zerbrochenen Fenster passen. Er war sich fast sicher, dass er allein war, aber seine Nerven waren angespannt und er hatte nicht vor, zu bleiben und eines Besseren belehrt zu werden.
Er hielt immer noch die Münzen in der Hand. Er könnte sich an diesem und vielleicht auch an den nächsten Abenden etwas zu essen davon besorgen. Aber er war kein Dieb und er wollte keinen Ärger. Er ließ die Münzen zurück in den Umschlag fallen und legte ihn dort ab, wo er ihn gefunden hatte, auf dem von Laub übersäten Marmorboden. Dann ging er rückwärts zur offenen Haustür, immer wieder das Foyer und die oberen Flure prüfend, bis er draußen war.
Eine einzelne riesige Krähe saß noch immer in dem Baum nahe dem Eingang. Sie sah alt aus; ihr Gefieder hatte eine staubig graue Färbung angenommen und wenn sie mit den Flügeln schlug, waren ihre Bewegungen träge. Aber als er die breite, geschwungene Eingangstreppe hinunterlief, betrachtete sie Daniel wie ein Raubtier, das seine Beute beobachtet.
Daniel bewegte sich durch den verworrenen Garten, während die letzten Reste des Tages in den Abend übergingen. Er hatte die Orientierung verloren und konnte sich nicht mehr an den Weg zum Tor erinnern. Vereinzelt lugten Pflastersteine aus der Erde, aber sie schienen in verschiedene Richtungen zu führen. Er entschied sich für einen Pfad, betete, dass er sich richtig entschieden hatte, und drängte sich zwischen zwei dornigen Büschen hindurch, um nach einem Ausweg zu suchen.
Das Haus stand in seinem Rücken und schien ihn zu beobachten. Es gab so viele Fenster, alle schwarz und kalt. Wenn wirklich jemand darin wohnte, könnte der ihn beobachten, verborgen in vollkommener Dunkelheit und umgeben von Spinnweben und Staub.
Dieser Gedanke war lächerlich. Niemand könnte an diesem Ort in dessen jetzigem Zustand leben. Aber wer hat dann den Brief geschickt? Und warum soll der Garten instand gesetzt werden?
In den Anweisungen war eine Gruft erwähnt worden, aber Daniel sah sie nicht, während er sich abmühte, den Ausgang zu finden. Die Gruft war entweder hinter dem Haus verborgen oder so von Pflanzen überwuchert, dass sie nicht zu sehen war. Er drängte weiter voran und kam auf eine kleine Lichtung. Marmorne Statuen umringten eine leere, zerbrochene Vogeltränke. Schichten von Wasserflecken liefen an den Statuen herab und vermittelten den Eindruck, dass der Stein blutete. Die Skulpturen stellten Frauen, Zentauren und Minotauren dar, die auf zerbrochenen Säulen standen. Ihre Köpfe waren gen Himmel gerichtet und ihre Münder zu stummen Schreien geöffnet. Daniel versuchte, sie nicht anzustarren.
Auf dem Weg hierher war er an keinen Skulpturen vorbeigekommen. Er fuhr sich mit den Händen durch das Haar und versuchte, sich nicht von seiner wachsenden Panik überwältigen zu lassen.
Ein Schwirren ließ Daniel aufschreien und gegen eine der Statuen taumeln. Er umklammerte den Stein und schreckte vor einer dunklen Gestalt zurück, die sich über ihm abzeichnete.
Ein Krähenschwarm zog über ihn hinweg. Ihre Flügelschläge waren laut – lauter, als Vögel sein sollten –, aber sie waren binnen Sekunden verschwunden. Daniel schnappte nach Luft und lockerte seinen Griff um die Statue. Er hatte sich an eine griechische Frau geklammert, die Wasser aus einer Vase goss, während ihr Kleid in einer geschmackvollen Zurschaustellung von Nacktheit herunterrutschte. Schmutz hatte sich in den Rillen der Statue gesammelt und sie dunkel gefärbt … besonders um die Augen herum. Sie sah aus, als würde sie weinen.
Als Daniel sich von ihr entfernte, seine Brust schmerzhaft angespannt und sein Herz pochend, erblickte er zwischen zwei Bäumen eine hohe Mauer. Er folgte ihr nach links, um weitere dornige Büsche herum und an einem trockenen Wasserspiel vorbei. Der Bewuchs war dicht und eine metallene Sitzbank versperrte ihm den Weg. Er kletterte darüber hinweg, hörte das Ächzen des Metalls, als er es belastete, und ließ sich dann auf der anderen Seite fallen. Das Tor kam in Sicht und Erleichterung durchströmte ihn, seine unterkühlten Glieder wärmend.
Er rannte den Rest des Weges bis zum Tor, sprang über Bodendecker und scherte sich nicht einmal darum, als ein toter Ast sein Hemd erwischte und ein Loch in den Ärmel riss. Er erreichte das Tor und schlängelte sich durch den schmalen Spalt. Sein Rad wartete dort, wo er es abgestellt hatte, und er hob es auf die Schulter, ohne sich darum zu kümmern, wie müde seine Muskeln waren.
Daniel warf einen letzten Blick zurück auf Craven Manor. Die Bäume verdeckten alles bis auf das zerklüftete, dunkle Schieferdach und einen Teil des Turms. Er wusste, dass seine Augen ihm einen Streich spielen mussten, aber eine Sekunde lang glaubte er, dass sich etwas am Fenster des Turms bewegt hatte.
»Hey, ich bin wieder da.« Daniel stieß die Wohnungstür auf und trat sich den Schmutz von den Schuhen, bevor er eintrat. Ihm war klar, dass er schlimm aussehen musste. Er spürte Blätter in seinem Haar und seine Hände waren schmutzig davon, sich zwischen den Bäumen hindurchgetastet zu haben. Wenigstens hatte sein Rad den Ausflug unbeschadet überstanden. »Du wirst nicht glauben, was passiert ist …«
»Hey.«
Ein Fremder saß neben Kyle auf der Wohnzimmercouch. Sein langes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und sein Hemd hatte Schweißflecken unter den Achseln. Er und Kyle zockten gerade ein Ballerspiel, aber Kyle unterbrach es, als Daniel den Raum betrat.
»Hey, Mann.« Kyle lehnte sich zurück und grinste. Er sah aus, als würde er sich ein Lachen verkneifen. Irgendetwas in seiner Miene gab Daniel das Gefühl, dass er die Zielscheibe des Spotts war. »Du hast dir ja ganz schön Zeit gelassen, nach Hause zu kommen. Wir hatten doch darüber gesprochen, noch einen Mitbewohner aufzunehmen, oder? Das ist Fletch.«
»Hey«, sagte Fletch wieder, diesmal zur Begrüßung einen Finger vom Controller hebend.
»Hi. Ähm. Wow.« Daniel brachte ein Lachen zustande. »Das ging ja schnell.«
Kyle benutzte den Controller, um sich am Kinn zu kratzen. »Ja, er hat sich von seiner Freundin getrennt, also bleibt er eine Weile bei uns. Er nimmt dein Zimmer. Du kommst doch auch auf der Couch klar, oder?«
Daniel öffnete und schloss mehrmals den Mund. Alles schien zu schnell zu gehen. Er war müde und hungrig, und alles, was er gewollt hatte, war, nach Hause zu kommen, zu duschen und ins Bett zu kriechen. »Eigentlich würde ich lieber mein Zimmer behalten, wenn das okay ist.«
»Kein Platz für ein zweites Bett.« Kyle zuckte in »Was soll man machen?«-Manier die Achseln. »Und Fletch kann hier nicht pennen. Die Straßenlaterne leuchtet durch das Küchenfenster rein und würde ihn wach halten.«
»Schlaflosigkeit«, stimmte Fletch zu.
»Genau, also braucht er das Zimmer. Seine Schicht in der Fish-and-Chips-Bude fängt früh an, also braucht er seinen Schlaf.«
»Moment mal.« Daniel fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und brachte damit die Blätter, den Schmutz und eine kleine Spinne, die sich darin eingenistet hatte, durcheinander. »Ich dachte, er ist ein Arbeitskollege von dir.«
»Ja, nun, ich kaufe mein Mittagessen bei ihm, oder?« Kyle klopfte Fletch auf die Schulter, stand dann auf und ging um den Stuhl herum, um sich vor Daniel aufzubauen. »Der Punkt ist, dass er für die Unterkunft bezahlt, also bekommt er das Zimmer.«
»Aber ich doch auch.« Eine Mischung aus Ärger und Verzweiflung verwirrte sich in Daniels Kehle und seine Stimme klang heiser. »Ich war noch nie mit der Miete im Rückstand. Nicht ein einziges Mal!«
»Aber du steuerst nichts zu dem bei, was sonst so anfällt. Essen, Bier, neue Spiele. Das alles kostet Geld. Bis du also deinen Arsch hochkriegst und einen Job findest, musst du nehmen, was du kriegen kannst, ja?«
Die Ungerechtigkeit tat weh. Daniel hatte Kyles Lebensmittel noch nie angerührt, nicht mal an den Tagen, an denen er selbst nichts zu essen hatte. Aber er wusste, was sein Cousin meinte: Fletch hatte Geld für teuren Schnickschnack, den sich Daniel nicht leisten konnte. Schnickschnack, an dem auch Kyle teilhaben würde.
Kyle verpasste ihm einen spöttischen Klaps auf die Wange, der Daniels Blut in Wallung brachte. »Wenn du nett zu Fletch bist, besorgt er dir vielleicht einen Job in seinem Laden. Als Tellerwäscher oder so. Die sind nicht allzu wählerisch, wen sie dafür einstellen.«
»Ich habe ein Jobangebot.« Die Worte waren heraus, bevor er darüber nachdenken konnte, ob es klug wäre. »Als Gärtner. Gute Bezahlung. Inklusive Unterkunft. Also …«
Kyles schlaffe Wangen verzogen sich, als er versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. »Was? Gärtner? Ist das überhaupt ein richtiger Job? Du verarschst mich doch.«
»Tu ich nicht. Ich hab den Brief!« Er zog ihn aus der Tasche und wedelte Kyle damit zu, aber sein Cousin hatte sich bereits mit einem flapsigen »Pfft!« wieder der Couch zugewandt.
Fletch griff eine Handvoll Chips aus einer Tüte neben ihm und nahm mit der anderen das Spiel wieder auf. »Oh, und hey, ich habe deine Sachen aus dem Zimmer geräumt, Mann. Ist alles im Flur. Sorry wegen der Unannehmlichkeiten und so.«
Sorry wegen der Unannehmlichkeiten und so. Die Worte wiederholten sich in Endlosschleife in Daniels Kopf, während er wach lag und auf die gelbe Decke starrte. Er war auf der Couch, wie versprochen. Sie war mit Kyles Erbrochenem von vor ein paar Monaten befleckt und zu kurz, um seine Beine ausstrecken zu können. Die Straßenlaterne vor dem vorhanglosen Küchenfenster warf grelles Licht auf die Wand neben ihm, schlimmer als ein Nachtlicht. Sorry wegen der Unannehmlichkeiten …
Er rollte auf die Seite und ballte die Fäuste unter dem Kissen. Er hatte es immer geschafft, genug für seinen Anteil an der Miete zusammenzukratzen. Die Miete für ein Zimmer – nicht nur für eine Couch. Er hatte versucht, eine geringere monatliche Rate auszuhandeln, solange Fletch bei ihnen wohnte, aber Kyle war hartnäckig geblieben. Sie brauchten das zusätzliche Geld, um die Nebenkosten zu bezahlen.
Nebenkosten und neue Spiele. Daniel starrte auf die Schachteln, die neben dem Fernseher aufgereiht standen. Kyle hatte mindestens zwei Dutzend davon, und ein- oder zweimal im Monat schien eine neue dazuzukommen.
So kann ich nicht leben. Aber … ich kann sonst nirgendwohin. Oder doch?
Seine abwehrenden Worte fielen ihm wieder ein. Ich habe ein Jobangebot.
Das stimmte im Prinzip. Ein Job in einem unheimlichen, verlassenen Haus, von einem Mann, den er nie getroffen hatte und der ihn in Goldmünzen bezahlte. Aber die Münzen waren echt gewesen. Daniel hatte ihr Gewicht in seiner Hand gespürt. Wenn das Ganze ein Streich oder ein kranker Scherz war, warum hatte man die Münzen dagelassen, die Daniel einfach hätte mitgehen lassen können?
Das hieß, dass er entweder von jemandem verarscht wurde, der wohlhabend war – wie in einer Fernsehshow, die vorführen wollte, zu was ein arbeitsloser Mann bereit ist –, oder aber das Angebot war echt.
Daniel brachte sogar ein Lachen zustande, das ihm aber schnell wieder verging. Kann es sein, dass der Job echt ist? Kein Scherz und keine Mörder, die darauf warten, meine Organe zu ernten? Wenn es ihr Ziel war, mich in eine abgelegene Gegend zu locken, haben sie es bereits erreicht. Warum die Münzen dalassen? Warum mich nicht angreifen, solange ich unachtsam war? Und wenn es wirklich eine Fernsehshow oder etwas in der Art war, sollte ich zumindest entschädigt werden, oder?
Der Kühlschrank rappelte beim Abtauen. Kyles Schnarchen war durch die dünnen Wände zu hören und der Geruch von Gras drang unter der Tür zu dem Raum hervor, der einmal Daniels Zimmer gewesen war. Er warf die Decke beiseite und stand auf.
Daniel bahnte sich einen Weg zwischen den leeren Chipstüten und Bierdosen hindurch zu dem Platz, wo seine Sachen wahllos im Flur gestapelt waren, und er stopfte ein paar Ersatzklamotten und seinen wichtigsten Kleinkram in einen schäbigen Rucksack. Der Uhr an der Wand zufolge war es fünf Uhr morgens. Die Sonne würde bald aufgehen und seinen Weg nach Craven Manor beleuchten.
4
Bei jedem Atemzug bildete sich ein Nebelwölkchen um Daniels Gesicht. Er zitterte, obwohl er sich mehrere Lagen zusätzlicher Kleidung angezogen hatte. Er wanderte den steinigen Pfad entlang, der zum Tor des Anwesens führte, trug sein Rad und verfluchte sich im Stillen für seinen Starrsinn.
Selbst wenn ich ermordet werde, ist das immer noch besser, als wieder obdachlos zu sein. Er wischte sich mit dem Handrücken über die triefende Nase und versuchte, nicht daran zu denken. Immer hungrig sein. Immer frieren. Ladeninhaber, die ihn davonjagten, wenn er bei Regen unter ihrer Markise Schutz suchte. Die Schulkinder, nur ein paar Jahre jünger als er, die gelacht hatten, als sie ihn traten.
Aber das Schlimmste war, von allen ignoriert zu werden. Als Obdachloser war er unsichtbar. Die Leute gingen vorüber, trugen dicke Mäntel, tranken heißen Kaffee oder aßen Burger. Ihre Blicke gingen über ihn hinweg, als wäre er ein unschöner Teil der Szenerie. Niemand grüßte oder sah ihn auch nur an. Und dieses Gefühl, nicht zu existieren, hatte in ihm eine ständige Angst hinterlassen, von der Welt vergessen zu werden.
Er nahm an, dass das der Grund war, warum er Kyle meist die Regeln diktieren ließ. Kyle hatte ihn eines Nachmittags auf der Straße erkannt und Daniel angeboten, bei ihm zu wohnen. Kyle konnte stur, unreif und aufdringlich sein, aber er hatte Daniel auch Beachtung geschenkt, als niemand sonst es tat.
Daniel verlangsamte seine Schritte. Als er sich Craven Manor näherte, mischten sich wieder Bedenken in seine Gedanken. Wenn es sich um einen echten Job handelte, musste er davon ausgehen, dass der Eigentümer des Herrenhauses irgendwas zwischen exzentrisch und verrückt war. Selbst wenn Bran keine bösen Absichten verfolgte, könnte der Job gefährlich sein.
Das Rad blieb an einer Wurzel hängen und er musste anhalten, um es freizukriegen. Stirnrunzelnd beschleunigte er sein Tempo wieder. Auch wenn der Job gefährlich war, gab es dafür echtes Geld, und er war im Voraus bezahlt worden. Er könnte die Münzen am nächsten Tag umtauschen und Pläne schmieden, je nachdem, wie viel sie wert waren.
Frühes Licht beschien den Tau, der sich auf dem schmiedeeisernen Tor gesammelt hatte. Im Morgenrot sah es noch tragischer aus, vor allem weil er jetzt erkennen konnte, wie prächtig es einst gewesen sein musste. Die verschlungenen, in Eisen gearbeiteten Muster erzählten von altmodischer Aristokratie und dekadenten Herrenhäusern. Wie am Tag zuvor ließ er sein Rad am Tor stehen und zwängte sich durch die Lücke. Er versuchte, nicht zu zittern, als das kalte Metall seine Finger berührte.
Am Abend zuvor hatte er den Garten nicht im Detail erkennen können, aber nun sah er, dass es dem gesamten Anwesen wie dem Tor ergangen war. Einst war die Anlage lebendig und elegant gewesen, voller sorgsam gehegter exotischer Pflanzen, doch durch die Verwahrlosung war sie verwildert und verfallen. Abgestorbene Äste vermischten sich mit lebenden. Störrische Pflanzen überwucherten ihre schwächeren Nachbarn. Übereifrige Wurzeln und Triebe hatten steinerne Beeteinfassungen umgeworfen. Daniel presste seine Handfläche gegen die Stirn, während er sich vorzustellen versuchte, was getan werden müsste, um den Bewuchs wieder einzudämmen.
Die Krähen hatten sich in den Bäumen in der Nähe des Tors niedergelassen und stießen eine Reihe von Klagelauten aus, als Daniel unter ihnen hindurchging. Er behielt das Haus im Auge, während er sich seinen Weg durch den Garten bahnte, gleichzeitig hoffend und fürchtend, dass der Eigentümer in der Nacht zurückgekehrt war, aber die Fenster blieben dunkel.
Er folgte der Umzäunung, um zu sehen, wie groß das Grundstück war, und stieß auf eine Holzhütte, die zwischen drei alten Bäumen stand. Sie war nicht groß, aber sie schien mehrere Zimmer zu haben. Lavendel und Sträucher, die er nicht identifizieren konnte, drängten sich um die Eingangstür, aber der gepflasterte Weg, der zu ihr führte, war frei. Er umrundete das Gebäude und entdeckte einen kleinen Schuppen, der an der Seite angebaut war. Die Tür stand offen und die verrosteten Scharniere quietschten, als er dagegendrückte. Die Fenster waren zu schmutzig, um viel Licht hereinzulassen, aber er konnte eine Vielzahl von Tontöpfen, metallenen Gießkannen, eine Schubkarre, Scheren und eine Gartenhacke ausmachen.
Das ist also die Gärtnerhütte. In dem Brief stand, dass sie mir gehört. Das heißt wohl, dass ich reingehen darf?
Er vollendete seine Runde um das Gebäude und wandte sich dem Herrenhaus zu. Von der Gärtnerhütte aus konnte er den Turm und mehrere der Fenster in den Steinmauern erkennen. Während er das Haus betrachtete, ließ sich eine Krähe auf dem Dach des Gebäudes nieder. Er rieb sich die Gänsehaut, die sich auf seinen Unterarmen bildete.
Daniel versuchte, durch das kleine Fenster in der Tür der Hütte zu schauen, aber es war zu dunkel, um außer vagen Umrissen etwas erkennen zu können. Er holte tief Luft und zog am Griff. Die Tür öffnete sich scharrend.
Die Gärtnerhütte war wesentlich sauberer als das Haupthaus. Ein wenig Staub hatte sich auf den Oberflächen abgelagert, aber das war kein Vergleich zu der dicken, alles erstickenden Schicht, die sich im Haupthaus abgesetzt hatte. Die Aufteilung und die Möbel – eine Küchenzeile zur Rechten, ein Bett zur Linken und ein Kamin geradeaus – waren einfach, wirkten aber gemütlich und unbeschadet. Die Hütte war nicht annähernd so prächtig wie das Haupthaus, aber sie war immer noch sehr viel besser als das winzige, ranzige Zimmer, in dem er bei Kyle gewohnt hatte.