From Below - Die Toten warten - Darcy Coates - E-Book

From Below - Die Toten warten E-Book

Darcy Coates

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Beschreibung

Tief unter der Meeresoberfläche wartet ein Friedhof ... 1928 verschwand der Ozeandampfer SS Arcadia auf der Fahrt von den USA nach Großbritannien spurlos. Obwohl noch drei Notrufe gesendet wurden, die seltsamerweise schnell wechselnde Koordinaten übermittelten, konnten weder das Schiff noch Überlebende gefunden werden. 60 Jahre später wird das rostige Wrack auf dem Meeresgrund geortet – mehr als 300 Meilen vom ursprünglichen Kurs entfernt ... Ein Taucherteam will herausfinden, was mit dem angeblich unsinkbaren Schiff passiert ist. Aber die Arcadia hat noch nicht genug vom Tod: Etwas Dunkles und Hungriges wartet in der Tiefe.   Darcy Coates, die Autorin vieler unheimlicher Bestseller, zieht uns hinab in eine fesselnde Geistergeschichte. Eine Gruppe von Tauchern muss sich durch ein unaussprechliches Grauen kämpfen. Booklist: »Unheimlich, klaustrophobisch und durch und durch beängstigend.« Publishers Weekly: »Coates versteht es besonders gut, etwas Unheilvolles nur anzudeuten …«

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Seitenzahl: 705

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Aus dem Amerikanischen von Susanne Picard

Impressum

Die australische Originalausgabe From Below

erschien 2022 im Verlag Poisoned Pen Press.

Copyright © 2022 by Darcy Coates

Copyright © dieser Ausgabe 2024 by Festa Verlag GmbH, Leipzig

Titelbild: Germán Castro · VISIVA/99design

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-98676-113-4

www.Festa-Verlag.de

1

Bottnischer Meerbusen,

ca. 41 Meilen vor der schwedischen Küste

Am Morgen des ersten Tauchgangs

Der Fokus der Kamera verschwamm und wurde wieder scharf, sodass das Profil der Frau im Bild erkennbar wurde. Cove Waimarie beugte sich gerade über einen Tisch, schwarzes Haar fiel wie ein Vorhang über eine Gesichtshälfte, während sie mit einem dicken Bleistift ein paar Sätze in ihr Notizbuch kritzelte. Durch die bodentiefen Fensterscheiben fiel kaltes Licht in den Raum. Schaumgekrönte Wellen tauchten immer dann davor auf, wenn das stampfende Schiff sich leicht schräg stellte.

»Hallo«, rief Roy hinter der Kamera. »Stell dir mal vor. Wir sind endlich auf Sendung!«

Sie hob den Kopf. Eine Augenbraue zog sich in die Höhe, ein Schmunzeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. »Hast du das Ding doch noch ans Laufen gekriegt?«

»Zumindest für den Augenblick.« Er justierte ein weiteres Mal die Kamera und zwang die Linse erneut, die Tiefenschärfe passend auszurichten. Coves Gestalt ging mit dem grellen Licht von draußen kurz eine Einheit ein, bevor das Bild wieder an Schärfe gewann. »Wolltest du ein Intro machen oder …«

»Sollte ich jemals keins wollen, musst du mich wirklich vom Elend dieser Welt erlösen.« Cove richtete sich auf und lehnte sich mit der Hüfte an den Tisch. Die Knöchel hatte sie gekreuzt. Das Schiff schaukelte und rollte über jede Welle, die unter ihnen hinwegging, doch sie schien nicht um ihr Gleichgewicht kämpfen zu müssen. Sie war gelassen, ihre Kleidung aus weißen Leinenhosen und einer beigebraunen Bluse betonte ihre cremefarbene Haut und verstärkte den lässigen Eindruck, den sie machte. Insgesamt wirkte sie wie eine Frau, die sich in ihrer Haut und in dieser Situation wohlfühlte.

»Wir befinden uns in der Ostsee, im Bottnischen Meerbusen, etwa zwei Tagesreisen vom nächstgelegenen Hafen entfernt. Irgendwo unter uns in der Tiefe liegt das Wrack eines Schiffs, das die Welt schon seit Jahrzehnten sowohl fasziniert als auch in Atem gehalten hat. Was hatte es hier draußen verloren, so weit von allen Schifffahrtslinien entfernt? Warum ist es gesunken? Wir haben uns vorgenommen, in den nächsten Tagen die Antwort darauf zu finden … Wie war das?«

Die letzte Frage sprach sie nicht in die Kamera, sondern richtete sie an Roy. Er hatte sich die sperrige Profikamera auf die Schulter gelegt und hielt sie dort fest, um ihr mit der freien Hand ein »Daumen hoch!« zu signalisieren. »Hast du das geübt oder ist dir das gerade erst eingefallen?«

»Mein Vater meinte immer zu mir, ich solle mir einen Job suchen, den ich liebe.« Coves Lächeln wurde breiter und ließ die weißen Zähne in ihrem bronzefarbenen Gesicht aufblitzen. Die grünen Augen lachten. »Und ich liebe es zu reden. Also bin ich geworden, was ich bin.«

»Nun, es gibt nicht viele Jobs, bei denen man den ganzen Tag Filme schauen kann. Aber immerhin habe ich mir das Nächstbeste ausgesucht.« Roy schwang die Kamera herum und hielt sie so, dass sie nun ihn selbst einfing. Die Enge des Winkels verzerrte sein ohnehin schon breites Kinn und erfüllte das Bild im Sucher mit dichtem, dunklem Barthaar. »Jetzt mache ich den ganzen Tag lang Filme.«

Aus dem Hintergrund der Lounge klang eine ungeduldige Stimme zu ihnen herüber. »Du bist Kameramann, kein Regisseur.«

»Oh, oh, oh.« Wieder schwang die Kamera herum. Das Bild fuhr hektisch über den heftig schwankenden Metallboden, von dem die Farbe abblätterte, bevor es eine der dunkleren Ecken des Raums in den Fokus nahm. Dort lümmelte sich ein Mann, der eine Kontrollkonsole in der Hand hatte, auf einem Drehstuhl. Auf dem Tisch hinter ihm lagen Schraubenzieher und allerlei Material zum Löten von Kabeln. »Das ist übrigens unser launischer Produktionstechniker. Er sollte eigentlich nur seine kleinen ferngesteuerten Unterwasserfahrzeuge ins Wasser schmeißen und sie per Joystick dort unten durchs Wrack dirigieren. Aber den ROVs ging es wie meiner Kameraausrüstung: Sie versagten zwischen dem Auslaufen und dem Vor-Anker-Gehen hier, einer nach dem anderen. Doch der Teufel sitzt wie immer im Detail, denn im Gegensatz zu meiner Kamera konnte er seine Lieblinge nicht reparieren. Sag Hallo in die Kamera, Sean!«

Doch Sean, dessen hageres, zerfurchtes Gesicht von einer wilden Haarmähne umgeben war, die aussah, als hätte er gerade in eine Steckdose gefasst, schwieg und starrte Roy nur böse an.

»Manche würden sagen, das ist ein schlechtes Omen.«

Die Kamera schwang herum zu einem anderen, viel jüngeren Mann. Er hatte sich in seinem Stuhl nach vorn gelehnt, die Beine unordentlich vor sich hingestreckt. Er hielt einen Becher in den schlanken Händen. Sein Gesicht war wegen der unausweichlichen Sonne über dem Meer mit einer Unzahl von Sommersprossen bedeckt. Er schien leicht schockiert, dass die Kamera nun ihn erfasste, sodass er einem Kind glich, das man mit der Hand in einer Pralinenschachtel für Erwachsene erwischt hat.

»Sag Hallo«, forderte Roy ihn auf.

»Hallo.« Ein vorsichtiges Lächeln formte sich zwischen den Sommersprossen. Im Gegensatz zu Cove fiel es dem jungen Mann schwer, Kontakt mit der Kamera aufzunehmen. »Ähm … Ich bin Aidan … schätze ich.«

»Schätzt du?« Roy brach in helles Gelächter aus. »Wenn wir schon über schlechte Vorzeichen reden, würde ich sagen, dass das Vergessen des eigenen Namens ganz oben auf der Liste steht.«

»Tut mir leid. Ich mein ja nur.« Aidan beschäftigte sich jetzt angelegentlich mit seinen Füßen, die unruhig über den Boden rutschten. Seine Finger hatten den dampfenden Kaffeebecher so fest umklammert, dass deren Knöchel ganz weiß geworden waren. »Ist schon komisch. Die Roboter fallen aus, die Haupt- und die Ersatzkamera ebenfalls. Unser Navigationssystem arbeitet nur unzuverlässig und hat uns 20 Meilen vom Kurs abkommen lassen.«

Cove gesellte sich jetzt zu Aidan und drückte ihm mit einer Hand kurz die Schulter. Ihre andere Hand hatte sie in der hinteren Hosentasche vergraben. »Weißt du, ich glaube ja eher, dass das ein ganz großer Glücksfall ist.«

»Ach ja?« Roy verlagerte sein Gewicht, um Coves lachende Augen besser einfangen zu können.

»Ja, wirklich. Eigentlich wollten wir auf dieser Expedition ja hauptsächlich die Drohnen für uns arbeiten lassen. Und jetzt? Jetzt können wir das Wrack selbst auskundschaften. Wir werden selbst durch die Arcadia wandern können. Aus meiner Sicht ist das durchaus ein echter Glücksfall.«

Aidan konnte sie nicht direkt anschauen, aber sein Grinsen versteckte er ebenfalls nicht. »Ja, stimmt. Das ist schon ziemlich cool.«

»Was den Ausfall der Ausrüstung und der Instrumente angeht, glaubt Devereaux, dass wir das wahrscheinlich einer Sonneneruption zu verdanken haben. Das hat die empfindlicheren Geräte zerschossen. Die Tauchausrüstung dagegen scheint noch fehlerfrei zu funktionieren und es sieht so aus, als hätte Roy wenigstens eine der Hauptkameras gerettet. Also. Was mich angeht, sind wir doch kaum beeinträchtigt.«

Hinter ihnen klapperte etwas. Als die Kamera sich auf die Geräuschquelle richtete, erfasste sie eine kleine Sicherung, die über den Tisch gerollt war und gerade zum Liegen kam. Sean hatte sie dorthin geworfen. Für eine Sekunde war es mäuschenstill im Raum, dann erklang wieder Coves Stimme, fest und ermutigend. »Unser erster Tauchgang startet in einer Stunde. Ich hab die Ausrüstung so oft überprüft, dass ich schon schiele. Jetzt wäre vielleicht eine gute Zeit, um das Team vorzustellen. Was denkst du?«

Roy rückte die Kamera auf seiner Schulter zurecht und schwenkte wieder zu ihr um. »Dann mal los. Schnelldurchlauf?«

»Schnelldurchlauf«, bestätigte sie. Cove legte beide Hände fest auf Aidans Schultern und beugte sich zu ihm hinunter, sodass ihre Haare auf seine fielen. »Aidan haben Sie ja schon kennengelernt. Er hält den Laden hier zusammen und ist unsere Basis, wenn man so will.«

Aidan lächelte jetzt aufgrund der Schmeichelei ein wenig breiter. »Ich … Ich bin der … hm, der Assistent.«

»Er ist nur bescheiden.« Cove zuckte mit den Schultern. »Er ist unser Mädchen für alles, er bereitet das Essen vor und hilft uns allen bei der Arbeit. Außerdem wird er mit uns zum Wrack abtauchen. Geben Sie ihm noch ein paar Jahre, und er wird seine eigenen Charter-Expeditionen leiten. Dann haben wir da Roy. Kamera, Ton, Beleuchtung und alles, was damit zu tun hat. Sehr wichtig!«

Roy, der immer noch filmte, ließ ein »Whohoo!« erklingen.

»Allerdings!«, bestätigte Cove. »Wir haben wirklich ein paar nette Gadgets für unseren kleinen Ausflug. Aufgrund der Tiefe können wir die Arcadia vor Ort nur begrenzt untersuchen, also müssen wir das Beste daraus machen. Roy stellt unten sicher, dass keins der coolen Spielzeuge, die wir haben, ausfällt, wenn wir es brauchen … Als Nächste ist da Hestie, die in der Lage ist, in so einer Situation in aller Ruhe ein Buch zu lesen.«

Die Kamera richtete sich auf die andere Seite des Aufenthaltsraums, wo eine dünne, drahtige Frau mit einem Taschenbuch im Sessel saß und las. Ihr farbloses, blasses Haar war geradezu aggressiv gelockt, sodass sie mehrere Haargummis benutzt hatte, um es zu einem Pferdeschwanz zu bändigen. Dennoch hatten sich einzelne Strähnen nicht zähmen lassen und umrahmten ein Gesicht, in dem ein Lächeln nun große, vorstehende Zähne sehen ließ. Doch wie Aidan vermied sie den direkten Blickkontakt mit der Kamera. »Mir ist ein bisschen schlecht.« Ihre Stimme war sanft und Roy kam auf sie zu, um den Ton besser aufnehmen zu können. »Ich versuche nur, mich abzulenken.«

Cove seufzte mitfühlend. »Als mich mein Vater das erste Mal auf ein Schiff mitnahm, gab ich die ganze Zeit dem Meer das Essen zurück, das wir ihm entnommen hatten. Immer den Ingwer in Reichweite haben, und sag mir Bescheid, wenn ich dir die Haare zurückhalten soll, ja?«

»Ach, das ist es gar nicht, es sind nur die Nerven.« Hestie räusperte sich und ließ den Blick über den Boden wandern, als wollte sie dort etwas finden, woran sie sich festhalten könnte. »Aber danke.«

»Hestie ist unsere Marine-Biologin. Sie ist die Expertin, wenn es um das Meer an sich und ganz besonders diesen Teil davon geht. Wir ziehen sie bei jedem Fisch und jedem Seeschwamm zurate, der uns unterkommt.«

Die großen Zähne blitzten wieder auf, als Hestie erfreut lächelte. »Abschluss in Biochemie und Mikrobiologie, Doktor der Meeresbiologie. Mein derzeitiges Forschungsprojekt befasst sich mit der Interaktion von Korallen. Ehrlich, ich bin einfach froh, dass ich für etwas bezahlt werde, das mit meiner wissenschaftlichen Laufbahn zu tun hat.«

»Und ich bin froh, dass man mich überhaupt bezahlt«, meldete sich Aidan zu Wort.

Roy und Cove lachten. Als wollte er den Witz noch betonen, schlug Roy an die nahe Schiffswand.

»Für all das haben wir Vivitech Productions zu danken«, fügte Cove noch hinzu. »Ohne ihre finanzielle Unterstützung wären wir nicht hier. Nicht nur also, dass wir dieses außergewöhnliche Wrack zu sehen bekommen, wir dürfen unser Abenteuer dank der Dokumentation auch noch mit der Welt teilen.«

»Gott sei Dank haben wir noch die Kameras«, erklärte Roy.

»Und apropos technische Ausrüstung … Wir dürfen Sean nicht vergessen.«

Cove wurde unterbrochen. Die Kamera schwenkte herum. Sean war aufgesprungen und stürmte durch die Tür der Lounge hinaus auf den Korridor dahinter. Eine Frau, die die Treppe zum Aufenthaltsraum heraufkam, drückte sich an die Wand, um nicht beiseitegestoßen zu werden.

Roy gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Schnauben und Gelächter lag. »Er ist bloß sauer, weil er dachte, dass seine Drohnen die Stars der ganzen Show hier sind. Und jetzt sind sie genau genommen nur Metallschrott und er hat nichts zu tun.«

»Für ihn gibt es noch genug, womit er sich beschäftigen kann«, erwiderte Cove immer noch freundlich. »Das gilt für uns alle. Das Zeitfenster für den Tauchgang ist schmal. Vor uns liegen ein paar hektische Tage. Wir haben Devereaux noch nicht vorgestellt, aber ich glaube, das machen wir später und widmen uns erst einmal Vanna, unserer Tauchspezialistin. Wie sehen wir aus?«

Vanna, die hereingekommen war, um Seans Platz einzunehmen, trug einen Trockentauchanzug über dem Arm. Große, dunkle Augen lagen unter schweren Lidern und musterten die Anwesenden. Sie war ein paar Jahre älter als Cove, in den Mundwinkeln und zwischen den Augenbrauen bildeten sich bereits Fältchen. Ihr kurz geschnittenes Haar war aus dem Gesicht mit dem festen Kinn gestrichen. Sie gab das Lächeln der Kollegen nicht zurück. »Wir sollten mit den Vorbereitungen anfangen.«

»Ich finde, dein Timing ist ausgezeichnet. Wir gehen hier schon vor Ungeduld die Wände hoch.« Cove stieß sich vom Tisch ab, gegen den sie sich wieder gelehnt hatte. Hestie holte rasch und hörbar Luft, legte ihr Buch zur Seite und gesellte sich zu Aidan. Zusammen ließen sie die Kamera hinter sich. Alle folgten Vanna in die unteren Regionen des Schiffs.

Draußen wogte unruhig die Ostsee mit ihren dunklen Versprechen.

2

Cove versuchte, nicht allzu viel Lärm zu machen, während sie die engen Stufen hinabstieg. Die Tritte der schweren Schuhe hallten auf dem Metall besonders laut. Die verkratzten weißen Wände schienen sich immer enger um sie zu schließen, als wollten sie sie erdrücken.

Sie war nicht dazu gekommen, sich selbst der Kamera vorzustellen, aber das war in Ordnung. Das würden sie eben später noch aufnehmen, vielleicht sogar im Studio. Dieser Abschnitt würde dann als Einleitung fungieren. Cove selbst war Fans von Dokumentarfilmen durchaus ein Begriff. Allerdings hatte sie den Durchbruch zum Mainstream noch nicht geschafft und ihre Stellung als Bewahrerin wichtiger Kulturschätze der Welt noch nicht festigen können.

Das Unternehmen, das ihre Expedition finanzierte, Vivitech, hatte den Ruf, kleinere Projekte mit nur sehr knappen Budgets zu fördern, war aber auch durchaus in der Lage, eine oscarverdächtige Dokumentation zu produzieren – solange man ihnen das entsprechende Material dazu in die Hände gab.

Und wer wusste schon, ob nicht ausgerechnet diese Dokumentation zu ihrem Durchbruch wurde! Alles hing davon ab, was sie auf dem Boden der Ostseebucht vorfinden würden. Cove hoffte auf Schauwerte und dass das Wrack sich als möglichst kameratauglich erwies. Besser wären natürlich Hinweise darauf, was mit dem Schiff in seinen letzten Stunden oder Tagen tatsächlich passiert war. Alle Teammitglieder, sie eingeschlossen, konnten ihre Neugier auf den gesunkenen Ozeandampfer kaum bezähmen. Die Arcadia war auf einer Transatlantikfahrt, die kaum mehr als nur Routine hätte sein dürfen, für Jahrzehnte von allen Radarschirmen verschwunden. Und Cove war mehr als alle anderen darauf angewiesen, dass diese Expedition ein Erfolg wurde.

Sie gingen um die Ecke, an der Messe vorbei und stiegen eine weitere Treppe hinab in den Lagerraum, wo die Tauchanzüge aufbewahrt wurden.

Cove war ihr Leben lang getaucht, zumeist in tropischen Korallenriffen, und das hier war ihre erste Tiefseeexpedition. Sie war qualifiziert. Gerade mal so. Aber das war bei fast ihrem ganzen Team der Fall.

In der Art von Dokumentarfilmen, die sie machte, war es üblich, die Situation, in der man sich befand, zu dramatisieren. »Schöne Frau in Gefahr« war ein Motiv, das den Studios gefiel, auch wenn von Gefahr meist nicht die Rede sein konnte. Cove hatte in einer Entfernung von sechs Metern über wilde Löwen berichtet und dabei über die ungeheure Kraft ihrer Kiefer erzählt – und dabei ganz unter den Tisch fallen lassen, dass die Löwen hinter ihr zum Inventar des Safariparks gehörten, dort aufgewachsen waren und Menschen als ihr Rudel betrachteten. Sie hatte im Schneesturm Berge bestiegen und dabei heiser und hastig etwas über erste Anzeichen von Hypothermie und Kältetod in die selbst gehaltene Kamera geflüstert, obwohl der Bergführer und das Kamerateam direkt neben ihr in der Bergwand hingen und ein Helikopter bereitstand, um sie für die Übernachtung ins Hotel zu fliegen. Und sie war nicht die Einzige, die das so handhabte. In dieser Branche wetteiferten alle darum, ihre Lage möglichst gefährlich und möglichst abenteuerlich aussehen zu lassen, um den Couch-Potatoes zu Hause die Illusion zu vermitteln, dass draußen in der Wildnis noch eine Menge Abenteuer zu finden waren. Auch wenn die »Wildnis« die meiste Zeit kaum 20 Meter neben einer gepflasterten Hauptstraße lag.

Für Cove war das hier vielleicht das erste Mal in ihrer Karriere, dass sie, was das Risiko anging, nicht würde übertreiben müssen. Bergsteigen, wilde Tiere und Sümpfe waren gefährlich, ja, aber Tiefseetauchen war etwas vollkommen anderes. Immer wieder hörte man von Tauchern mit lebenslanger Erfahrung, die trotz allem in ihnen völlig vertrauten Gewässern umkamen.

Und sie und ihre Crew tauchten nicht einfach nur bis auf den Meeresboden. Sie wollten ein Wrack untersuchen, und das nicht nur von außen. Cove wusste genau, was für ein Wagnis dahintersteckte, obwohl der Elan ihrer Schritte vermittelte, dass für sie die Welt in Ordnung war. In ein Wrack zu gehen bedeutete schlechte Sicht, durch enge Korridore hindurchzukriechen und keinen, der half, wenn man irgendwo stecken blieb.

Sie hatten eine erfahrene Taucherin engagiert, Vanna, aber Cove wusste immer noch nicht genau, was sie von ihr halten sollte. Normalerweise fiel es ihr leicht, andere Leute einzuschätzen und sie dann dazu zu bringen, sie zu mögen. Bei Vanna war ihr bisher beides nicht gelungen. Die Taucherin hatte kaum ein Wort verloren, seit das Schiff abgelegt hatte, und das war schon zwei Tage her.

Endlich kamen sie unten an und Cove drehte sich schwungvoll zu Roys Kamera um. Mit leuchtenden Augen und einem warmen Lächeln, sodass die Linse ihre Schokoladenseite aufnahm. »Dahinten ist unser Lagerraum. Dort bewahren wir unsere Tauchausrüstung auf, wenn wir sie nicht nutzen. Kommen Sie, sehen wir uns das einmal an.«

Sie trat einen Schritt zurück, sodass Roy mit der Kamera durch das schmale Metallschott klettern konnte. Hier, im untersten Deck des Schiffs, befanden sie sich praktisch schon unter der Meeresoberfläche. Der metallene Schiffskörper stöhnte, während er über die Wellen rollte und stampfte. Hier unten herrschte eine seltsame, hallende Atmosphäre wie in einer Höhle, und Cove glaubte unwillkürlich, das Meer versuche schon hier, sie zu verschlingen.

»Hier lagern unsere Nahrungsmittel, der Treibstoff, Bettwäsche und derartige Dinge«, erklärte sie und ließ die Hand an den Regalen entlanggleiten, während sie sich weiter auf die Schränke im hinteren Teil des Frachtraums zubewegte. »Doch das Beste haben wir ganz hier hinten.«

Das Schiff bot technisch gesehen mehr Platz, als sieben Leute benötigt hätten, aber trotzdem wirkte der Frachtraum überfüllt und vollgestopft mit überflüssigen Dingen. Roy hatte aufgrund seiner Größe und seiner sehr breiten Schultern Mühe, sich zwischen den Regalen hindurchzuschlängeln, ohne die Aufnahme zu ruinieren.

Vanna wartete schon bei den Tauchanzügen. Insgesamt gab es fünf. Zwei Besatzungsmitglieder, Devereaux und Sean, hatten keine Prüfung im Tiefseetauchen. Es gab nicht viele Kurse für Hobbytaucher, in denen man mehr lernen konnte als das einfache Sporttauchen, nur wenige Experten unterrichteten professionell das Tauchen auf eine Tiefe von über 50 Metern.

Cove liebte das Meer, aber wegen ihres engen Terminkalenders kam sie kaum öfter als fünf- oder sechsmal im Jahr dazu, diesem Hobby zu frönen. Bei dieser Expedition würde sie zum ersten Mal unbeaufsichtigt und ohne Trainer auf so eine Tiefe gehen.

Sie war überzeugt, dass das auch für Hestie Modise galt. Die Marinebiologin mit der wilden Haarmähne hatte für ihre Doktorarbeit überdurchschnittlich viel Zeit im Meer verbracht, aber ihre Zertifikate verrieten, dass sie kaum in nennenswerte Tiefen vorgedrungen war, wenn sie es nicht aus beruflichen Gründen hatte tun müssen. Offenbar konnte man den Ozean lieben, ohne ständig Zeit darin zu verbringen.

Roy Murray hatte im Zuge seiner Arbeit als Kameramann bereits ab und an tauchen müssen und einige Erfahrungen beim Schnorcheln in Riffen gesammelt. Was bedeutete, dass er viel Zeit unter Wasser verbrachte, aber eben nur in tropischen Regionen und seichten Gewässern. Er hatte eilig noch einen Kurs im Tiefseetauchen gemacht, um an dieser Expedition teilnehmen zu können, und Aidan dabei mitgeschleift. Offenbar hatten sich die beiden während eines Urlaubs kennengelernt und angefreundet. Cove hatte für diese Mission »ein Mädchen für alles« gesucht und festgestellt, dass der schüchterne, vorsichtige junge Mann sich gut vor der Kamera machte, also hatte sie ihn kurzerhand angeheuert. Doch mittlerweile zweifelte sie daran, dass das eine gute Entscheidung gewesen war.

Wenn nur einer oder zwei von ihnen wenig Taucherfahrung besessen hätten, wäre das wohl kaum ein Problem gewesen. Aber unterm Strich gab es in ihrem Team vielleicht einen guten Taucher. Und einen halben. Und das meiste davon deckte Vanna ab.

»Wir haben Glück, dass wir Vanna Ford für unser Vorhaben gewinnen konnten«, meinte Cove jetzt und legte einen Arm um die Schultern der älteren Frau. Sie spürte, wie Vanna sich anspannte, und hoffte, dass man das später im Film nicht bemerkte. »Vanna hat über 4000 dokumentierte Tauchgänge hinter sich. Einiges davon umfasst auch Schnorcheln, aber ihre wahre Leidenschaft gilt dem Höhlentauchen. Habe ich das richtig wiedergegeben, Vanna?«

Vannas knochige Schultern fühlten sich unter Coves Arm kalt an. Für eine qualvoll lange Sekunde ließ Vannas Antwort auf sich warten. »Ja.«

Okay, diese Sequenz wird wohl auf dem Boden des Schneideraums landen. Cove ließ die Tauchinstruktorin los und lehnte sich stattdessen an die Regale. »Die Sicherheit meiner Crew hat für mich immer oberste Priorität. Da unten auf dem Meeresboden wartet ein Labyrinth von zerdrücktem Metall und verschlungenen Korridoren auf uns. Darum wollten wir Vanna bei uns haben: Sie ist einzigartig darin, sich in engen Räumen zurechtzufinden, denn sie ist eine der besten Höhlentaucherinnen der südlichen Hemisphäre. Vanna, was glaubst du, wie wir uns heute da unten machen?«

Vanna zog die Brauen über den schweren Augenlidern zusammen, was Cove den Eindruck vermittelte, sie habe eine alberne Frage gestellt. Sie nahm sich einen Augenblick Zeit für die Antwort. »Gut. Wenn ihr meinen Anweisungen folgt.«

»Das haben wir vor. Besonders seit wir diese hier haben.« Cove hob eine der Tauchmasken auf. »Wir benutzen Vollgesichtsmasken. Das bedeutet, unsere Atemgeräte enden nicht in unserem Mund. Was uns ermöglicht, uns durch mehr als nur Handzeichen zu verständigen. Nicht nur das: Wir tragen auf einer Art Helmgestell Unterwasserkameras von bester Qualität. Zwei pro Person sogar, mit gekoppelten Scheinwerfern: Ein Set nach vorn ausgerichtet, ein anderes hält uns den Rücken frei. Wenn sich ein Hai von hinten an uns heranmacht, dann werden wir ihn in erstklassiger HD aufnehmen können.«

»Hier gibt es keine Haie«, meldete sich Hestie zu Wort. Sie und Aidan hatten sich im Hintergrund gehalten. Selbst Roy schien vergessen zu haben, dass sie hinter ihm standen, und musste sich mit einem seltsamen kleinen Hüpfer zu ihnen umdrehen.

Cove nickte ermutigend. Hestie warf einen Blick in die Kamera und schlug die Augen nieder; sie wusste nicht, wohin sie schauen sollte. Erst dann räusperte sie sich und begann: »Normalerweise sorgen Strömungen dafür, dass das Wasser der Meere ständig in Bewegung ist. Sie bringen frischen Sauerstoff heran und sorgen so dafür, dass … nun ja, dass alles lebendig bleibt. Aber hier befinden wir uns in einem toten Winkel der Ostsee. Der Bottnische Meerbusen verfügt über nur sehr wenig Strömung und entsprechend wenig Sauerstoff. An dem Wrack werden sich nur ein paar rusticles abgesetzt haben, Eisen fressende Bakterien. Oder Rostzapfen, wie wir sie manchmal auch nennen. Aber es wird keine Korallen und, wenn überhaupt, nur sehr wenige Fische geben.«

»Und keine Haie«, bestätigte Cove. »Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein soll.«

»Macht euch fertig«, unterbrach Vanna. »Wir verlieren Zeit und Energie.«

Cove lachte leise in sich hinein und stupste Vanna mit dem Ellbogen an. »Die Frau verschwendet keine Zeit. Das gefällt mir.«

Roy ließ sie noch einen Augenblick warten, weil er die Kamera auf ein Stativ stellte, um den Raum aufnehmen zu können. Dann zwängten sich alle in ihre Ausrüstungen. Sie benutzten Trockenanzüge, die den Vorzug hatten, wasserdicht abzuschließen. In diesem Teil der Welt war das mehr als nur ein Luxus: Position und Tiefe, in denen das Wrack lag, bedeuteten, dass die Wassertemperatur nur knappe zwei Grad über dem Gefrierpunkt lag. Der Trockenanzug würde sie davor bewahren, sich in menschliche Eiszapfen zu verwandeln.

Die Trockenanzüge wurden über der Kleidung getragen, an diesem Morgen hatten sie alle warme, atmungsaktive Sachen angezogen, in denen man kaum schwitzte. Die zusätzlichen Lagen von Strickware aus Wolle und Fleece würden den Wärmeschutz verdoppeln. Die Trockenanzüge waren nicht so eng anliegend wie die Nassanzüge, bedeckten darüber hinaus den ganzen Körper und endeten in Stiefeln. Trotzdem war es anstrengend, sie anzulegen.

Keiner war überrascht, dass Vanna als Erste fertig war. Sie setzte sich auf die Kante eines niedrigen Tischs und hielt die Vollmaske locker in der Hand. Sie schwieg und blieb reglos sitzen, nur ihre Augen blickten lebendig von einem zum anderen. Sie beobachtete ihre Tauchkollegen eingehend. Roy versuchte, seine Füße in die Stiefel zu drücken, Hestie hüpfte beinahe einmal im Kreis herum, während sie sich selbst in den Anzug zwängte.

Selbst Cove, der eigentlich nichts peinlich war, fühlte sich unter Vannas intensivem, prüfendem Blick unwohl. Aber sie war kurz nach Vanna fertig und ballte die Finger probeweise zu Fäusten. Außerhalb des Wassers fühlte sich der Anzug klaustrophobisch an, aber sie wusste, sie würde dankbar sein, dass es ihn gab, kaum dass sie im Wasser wäre. »Alles in Ordnung, Aidan?«

»Ja.« Der junge Mann hatte Mühe, den Reißverschluss seines Anzugs zu schließen, aber Roy hielt kurz in seinen Anstrengungen inne, um ihm behilflich zu sein.

»Du wirst dich da unten prima machen«, stellte Vanna zu Coves Überraschung fest. Sie hielt Aidans Blick stand und nickte ihm langsam und nachdenklich zu. »Du bist klein und wirst gut durch enge Stellen kommen. Es gibt eine ganze Menge Höhlentaucher, die dich um deinen Körperbau beneiden würden.«

Sein Lachen wirkte schwach und verebbte schnell. »Oh, echt jetzt? Ich weiß nicht, ob ich wirklich dafür geeignet … Ich meine, ob ich wirklich Höhlen erforschen will oder so.«

»Was ist mit mir?«, wollte Roy wissen. Er steckte jetzt vollständig in seinem eigenen Anzug und drehte sich einmal um sich selbst, um sein Werk zu präsentieren. »Ich bin vielleicht nicht so dünn wie ein Supermodel, aber du wärst sicher überrascht, wie flexibel ich sein kann.«

»Hm« war das Einzige, was Vanna dazu zu sagen hatte – was den Eindruck hinterließ, als erwartete sie von dem riesigen Mann nichts anderes, als dass er irgendwo stecken blieb.

»Ich bin fertig.« Atemlos bemühte sich Hestie, ihre ungebärdigen Haare in einem Dutt zusammenzufassen. »Tut mir leid, dass ich alle aufhalte.«

»Keine Sorge! Du machst das super.« Cove klemmte sich ihre Maske unter den Arm und griff nach ihrer Tauchausrüstung: den Flossen, dem Gürtel mit den Gewichten, dem Tauchcomputer, der am Handgelenk befestigt wurde, und der Schärpe, in der sich Werkzeuge befanden, die sie auf dem Meeresboden gut würden gebrauchen können. »Wenn alle so weit sind, brechen wir auf.«

Der Aufstieg auf das offene Schiffsdeck lief nicht so koordiniert ab wie der Abstieg in den Frachtraum. Aidan, der eigentlich schon mit seiner eigenen Ausrüstung genug zu tragen hatte, hatte darüber hinaus auch Roys Gepäck bei sich, damit der größere Mann ihnen mit der Kamera folgen und weiterfilmen konnte. Was nun letztendlich von den Aufnahmen in den endgültigen Film aufgenommen wurde, war schwer vorherzusehen, aber Cove wusste, dass der Augenblick, in dem sie über die Reling ins Wasser sprangen, hinterher auf jeden Fall hervorragend aussehen würde.

Als sie aus dem warmen Schiffsinneren hinaustrat, fegte ihr ein beißend kalter Wind ins Gesicht. Während sie über das Deck auf die Stelle zuging, an der sie ins Meer springen würden, wurde sie zunehmend dankbar dafür. Der stetig ansteigende Stress vernebelte ihr den Kopf, aber die Kälte half ihr, sich wieder auf das Abenteuer zu konzentrieren, das vor ihr lag. Die See sorgte für eine gute Atmosphäre: Leichte Wolken dämpften das Sonnenlicht und das wogende Meer wirkte anregend auf sie, denn so hoch, dass man es für gefährlich hätte halten können, waren die Wellen nicht. Düstergrau zogen sie mit weißen Schaumkronen unter ihnen hinweg und ließen das Schiff ordentlich schaukeln.

Ihr Schiff, die Skipjack, hatte den Standort in der Nacht erreicht und war rund sechs Meter von ihrem Zielpunkt entfernt vor Anker gegangen. Für die nächsten drei Tage würde es hierbleiben, damit sie ihre Mission durchführen und genug Material drehen konnten, um die Produzenten bei Vivitech Productions zufriedenzustellen. Der Vertrag sah vor, vom Wrack und vom Meeresboden darum herum zwölf Stunden Material aufzuzeichnen; Cove hatte das schon von ursprünglich geplanten 30 Stunden heruntergehandelt. Immerhin war die Ostsee kein tropenwarmes und klares Meer, in das ihr Team mal eben so mehrfach am Tag hüpfen konnte; Tiefseetauchen bedeutete, dass man jederzeit mit der Taucherkrankheit rechnen musste. Jede Minute, die sie dann in der Tiefe verbrachten, würde die Symptome der Dekompression beim Auftauchen verschlimmern, selbst wenn man das spezielle Gasgemisch, das sie in den Zylindern bei sich hatten und das diese Symptome lindern sollte, miteinrechnete. Sie würden die Oberfläche nur in kleinen Schritten wieder erreichen können. Zwölf Stunden waren schon sehr viel, besonders wenn man bedachte, wie wenig Zeit ihnen tatsächlich zur Verfügung stand.

Sie sammelten also die Luftzylinder, die Flossen und alles andere zusammen und legten die Gürtel, die Tarierwesten und die Tauchcomputer an. Vanna umkreiste sie alle wie ein Geier, zog an Reißverschlüssen und rüttelte an der Ausrüstung. Die Falten um ihren Mund und zwischen den Brauen wurden im diesigen Licht besonders deutlich. Sie blinzelte, als sie eine Salzwasserpfütze auf dem Deck erblickte, und zog sich an die Reling zurück.

»Ich bin der Sicherheitsoffizier dieser Expedition. Das heißt, solange ihr im Wasser seid, leistet ihr meinen Anweisungen unbedingten Gehorsam, habt ihr das verstanden?«

Ihre Stimme war strenger und härter, als Cove sie je zuvor gehört hatte. Jeder der Anwesenden murmelte sein Einverständnis. Alle hatten sich enger zusammengedrängt, um besser vor den eisigen Windböen geschützt zu sein.

»Das Wrack wird voller Ablagerungen, sogenanntem Silt, sein. Je mehr ihr euch bewegt, desto mehr werdet ihr aufwirbeln und umso schlechter wird für uns alle die Sicht. Macht also vorsichtige und langsame Bewegungen. Wenn ihr euch nicht geschmeidig bewegen könnt …«, sie warf einen eindringlichen Blick zu Roy hin, der hinter der Kamera leicht schmunzelte, »… versucht es im Stil eines schwimmenden Froschs: Bewegt eure Arme und Beine zur Seite hin anstatt auf und ab.«

»Manchmal braucht es Tage, bis sich derart aufgewirbelte Sedimente wieder legen«, fügte Cove hinzu. »Und unsere Zeit reicht nicht, um gegebenenfalls abzuwarten, bis wir wieder eine klare Aufnahme kriegen. Wir haben nur eine Chance, okay?«

Wieder murmelten alle ihr Einverständnis. Aidan war grau im Gesicht geworden, und Cove erkannte, dass ihm gerade klar wurde, wie bedeutsam ihr Vorhaben war.

Vanna fuhr fort, als hätte Cove nichts gesagt. »Wenn ihr euch unwohl fühlt, dann ist der Tauchgang für euch zu Ende. Beginnt sofort mit dem Aufstieg. Wenn euch schwindlig wird, ist der Tauchgang für euch ebenfalls zu Ende. Beginnt sofort mit dem Aufstieg! Befolgt die Dekompressionsprozedur, genau wie wir es besprochen haben. Heldentaten sind bei so etwas nicht angebracht.«

Diese Hinweise kannten sie alle schon. Cove warf einen Blick auf die Tür, die zur Brücke führte. Durch das fleckige Fenster erkannte sie Devereaux, den Historiker. Er blieb im Warmen und hielt einen Kaffeebecher mit beiden Händen. Dann war da Sean. Als er einen Schritt zur Seite ging, traf sein Blick für eine Sekunde ihren, unnachgiebig und beinahe unnatürlich düster. Sie wandte den Blick rasch ab und überspielte ihr Unbehagen damit, sich neben Vanna zu stellen, während diese weiter ihre Anweisungen gab.

»Wir handeln alle nach der Drittel-Regelung, was unsere Atemluft angeht. Ein Drittel für den Abstieg und zur Erforschung des Wracks. Ein Drittel für die Dekompression beim Aufstieg. Ein Drittel bleibt als Reserve für den Notfall. Wir nehmen drei Ersatzzylinder mit hinunter. Die lassen wir am Eingang des Wracks liegen, dicht neben dem Ab- und Aufstiegspunkt. Aber wir werden sie nicht benutzen. Denn wir gehen kein Risiko ein! Alles klar?«

Vielstimmiges und gedämpftes »Ja« erklang.

Cove ließ ein letztes Mal den Blick über ihr Team wandern und hielt sich dabei an der Reling fest. Roy stand ein paar Schritte von ihr entfernt. Er hatte immer noch die Kamera in der Hand. Wenn er sie alle gefilmt hatte, wie sie ins Meer sprangen, würde er sie an Devereaux übergeben. Danach waren sie vollkommen auf die an den Gestellen auf ihren Köpfen montierten Kameras angewiesen.

Aidans Gesichtsfarbe war noch grauer geworden und Cove machte sich ernsthafte Sorgen, ihm könnte schlecht sein. Wenn man das Frühstück wieder loswerden wollte, dann war es besser, das hier oben zu erledigen, nicht irgendwo unten im Meer.

Es ist nicht zu spät. Sag ihm, dass er diesmal noch nicht mittauchen muss.

Sie spürte Vannas Blick auf sich. Dunkel, unter schweren Lidern, waren ihren Augen keinerlei Emotionen anzusehen. Dennoch schien die Tauchinstruktorin auf irgendetwas zu warten. Und Cove wusste auch, worauf. Vanna war für die Sicherheit unter Wasser zuständig, doch Cove war Chefin der gesamten Expedition. Vanna wollte, dass sie Aidan befahl, hier oben zu bleiben.

Aber noch lief die Kamera. Bevor Cove etwas sagen konnte, hatte Aidan bereits seine Maske aufgesetzt und sie etwas unsicher mit den Luftflaschen verbunden.

Und sie konnte sich ja auch gar nicht leisten, jemanden außen vor zu lassen. Dazu hatte sie bereits zu viel in diese Expedition investiert.

Cove atmete schneller, als ihr lieb gewesen wäre, und zog sich die Kapuze des Trockenanzugs über. Als sie sie über den Kopf stülpte, kratzte sie zuerst an den Ohren und klemmte ein paar Haare ein, dann umschloss sie eng den ganzen Kopf und ließ nur noch ein Oval für das Gesicht frei. Ihr war gar nicht aufgefallen, wie laut das Meer war, bis das Klatschen der Wellen gegen den Schiffsrumpf und der brausende Wind von der Kapuze ausgeschlossen wurden. Sie setzte die Maske auf und fixierte sie, damit sie dicht mit der Halsmanschette abschloss. Dann öffnete sie das Ventil für die Atemluft.

Von jetzt auf gleich war sie vom Rest der Welt abgeschnitten. Für die nächsten drei Stunden würde sie sich voll und ganz auf dieses geschlossene System verlassen müssen. Jeder Atemzug kam ab jetzt aus den Zylindern, die sie auf dem Rücken trug. Ihre Hände und Füße konnte sie frei bewegen, aber dennoch würde sie immer nur das Neopren ihres Anzugs berühren. Sie war eine Astronautin auf ihrem eigenen Planeten.

Vanna machte kein Geräusch, als sie sich mit geübten Bewegungen ihre eigene Maske aufsetzte. Die Luftflaschen, der schwerste Teil der Ausrüstung, wurden an Ort und Stelle gehievt, zwei auf den Rücken, außerdem noch ein weiterer, kleinerer Behälter an die Seite, damit die Trockenanzüge aufgebläht blieben.

Eigentlich hätte Cove die Zügel in der Hand behalten müssen. Doch niemals hatte sie sich so hilflos gefühlt, so, als hätte sie nichts mehr unter Kontrolle. Nicht damals im Schneesturm, nicht als die Horde Bonobos über sie hergefallen war und an ihrer Kleidung zerrte, nicht als das Kanu mitten im Dreh ein Leck bekommen hatte. Jetzt konnte sie nichts weiter tun als zuzusehen, wie der Rest ihres Teams sich in eine Reihe vor die Reling stellte, mit dem Rücken zum Meer, bereit, hintenüber in die Tiefe zu fallen.

Vanna stand immer noch neben ihr. Cove sah hinab in die Wellen. Für einen Augenblick glaubte sie, das Wasser befinde sich hinter ihrem Visier und verzerre ihren Blick, doch dann wurde ihr klar, was sie da wirklich sah. Vanna hatte die Reling gepackt, die Hand im Neopren ihres Anzugs zitterte. Sie legte den Kopf in den Nacken und für einen Sekundenbruchteil sah Cove nur das Weiße ihrer Augen, bevor Vanna nach hinten ins Meer kippte und in einem Strudel schaumigen Wassers verschwand.

Ich kann immer noch alle zurückpfeifen, schoss ihr irrationalerweise durch den Kopf, doch das war gar nicht mehr möglich. Hestie war ebenfalls über Bord gesprungen und Aidan folgte ihr auf dem Fuß.

Die Würfel waren gefallen. Die Kamera war jetzt auf sie gerichtet. Wenn sie noch einen Moment länger zögerte, würde das nur allen klarmachen, wie groß ihre Angst tatsächlich war. Also überließ Cove sich der Schwerkraft und kippte nach hinten weg.

Sie prallte mit dem Rücken aufs Wasser und fühlte die Erschütterung durch ihre Lunge laufen. Ihr Gesicht war dem Himmel zugewandt, doch rasch schäumte Meerwasser über das Visier ihrer Maske und ließ die Sicht auf Schiff und Himmel verschwimmen. Das diesige, blendende Licht wurde schnell düsterer und dunkler, als sich die Ostsee über ihr schloss und sie in den Abgrund sank.

Das Letzte, was sie sah, war die Kameralinse, die sie über die Reling hinweg beobachtete.

Wie ein gigantisches schwarzes Auge.

3

18. April 1928

RMS Margaret, 135 Meilen von Irland entfernt

Zwei Tage vor dem Untergang der Arcadia

»Pan-Pan.«

Philip schreckte auf. Das Chronometer auf dem Armaturenbrett vor ihm zeigte kurz vor vier Uhr morgens an. Er war in seiner dunklen Funkecke im hinteren Teil der Brücke der RMS Margaret eingedöst.

Er war mit dem Ersten Offizier Forster auf der Brücke allein. Forster saß am Fenster und hatte sich die Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen, um von den Lampen nicht geblendet zu werden. Sein Gesicht wirkte hohlwangig, während er in die leere Nacht hinausstarrte.

Phillip war sicher, dass er eine Stimme gehört hatte, doch Forster zeigte keinerlei Anzeichen, sie ebenfalls vernommen zu haben. Vorsichtig streckte Phillip sich in seinem Stuhl, massierte sich einen gezerrten Nerv im Nacken und bemerkte dabei, dass ihm die Kopfhörer des Funkgeräts immer noch auf den Ohren saßen. Er war die gepolsterten Hörer auf seinen Ohren so gewohnt, dass ihm ihr Gewicht kaum noch auffiel. Er hatte auf das Signal eines anderen Schiffs gewartet, als er eingenickt war. Jetzt griff er sich an die Hörer und lauschte erwartungsvoll.

Dann erklang die Stimme wieder. »Pan-Pan.«

Das war ein allgemeingültiger Notruf. Nicht so ernst wie Mayday, dafür mussten Menschenleben in Gefahr sein. Aber dennoch, man verwendete das Signal dann, wenn etwas wirklich aus dem Ruder lief. Eine ausgefallene Maschine oder ein kleines Leck in der Schiffshülle vielleicht. Oder ein Schiff, das gestrandet war.

Phillip beugte sich über die Konsole und legte einen Schalter um, um sich zu melden. »Hier ist die RMS Margaret, Kommunikationsoffizier Bowden. Wie ist Ihre Lage?«

Erst nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, wurde Phillip klar, dass etwas in der Stimme mitschwang … etwas Seltsames. Kommunikationspersonal fasste sich gewöhnlich kurz, ja, man war meist ausgesprochen kurz angebunden. Man sprach deutlich und rasch und übermittelte Nachrichten mit so wenigen Worten, wie es nur ging. Das war auch nötig, denn jedes Schiff benutzte für die Kommunikation dieselben Frequenzen. Ausschweifende Erklärungen und ausgefeilte Formulierungen bedeuteten, dass andere im Zweifelsfall wichtige Botschaften nicht absetzen konnten.

Aber diese Stimme … die »Pan-Pan«-Stimme, hatte langsam gesprochen. Heiser, atemlos. So als hätte sie zu wenig Sauerstoff. Als ob der Sprecher nur mit Anstrengung wach blieb.

Von einer Sekunde zur anderen wurde Phillip von einer Woge würgenden Schreckens gepackt. Wie lange er wohl geschlafen hatte? Wie lange hatte der unbekannte Funker ihm ins Ohr geatmet und auf eine Antwort gewartet, Stunden vielleicht?

Wieder erklang die Stimme und diesmal schwang echtes Grauen darin mit. »Pan-Pan.«

»Ich höre Sie. Hier ist die RMS Margaret. Nennen Sie Ihren Namen und Ihre Position.«

Eine sehr lange Pause entstand. Der Erste Offizier hatte sich umgedreht und starrte mit dunklem Blick zu ihm herüber. Er hatte die Kiefer fest zusammengepresst, Phillip gefiel das nicht. Es war, als hätte Forster der gleiche Schrecken erfasst, der ihn ergriffen hatte. Als ob sie beide in einen Albtraum gesogen worden wären, den sie nicht ganz verstanden.

Der Sprecher schluckte. Ein schmatzendes Geräusch erklang, als würde er sich die Lippen anfeuchten. »Ich bin an Bord der Arcadia. Sieht übel hier aus, Kumpel.«

Phillip hielt den Bleistift bereit. »Wie sind Ihre Koordinaten?«

»51° 43′ Nord, 19° 26′ West. Oder 45° 42′ Nord, 14° 17′ West. Oder … Verflixt. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nicht, wo wir sind. Wie lange ist das schon her? Es sind zu viele. Viel zu viele … zu viele …«

Phillip drehte sich der Magen um. Er kannte die Arcadia. Sie war ein Linienschiff, das regelmäßig den Atlantik überquerte. Er hatte schon Rufe des Schiffs aufgefangen, keine Notrufe, nur Nachrichten, die weitergegeben werden sollten, Wetterwarnungen, das Übliche eben. Und er hatte diese Meldungen weitergegeben wie so viele andere Nachrichten. Doch so etwas wie jetzt hatte er nie empfangen. Er kannte auch den Ersten Funkoffizier der Arcadia: Drummer. Ein guter Mann, verlässlich und ruhig. Aber diese Stimme gehörte nicht Drummer.

»Es ist 56° 43′ Nord, 2° 87′ West, glaube ich«, fuhr die grauenvolle Stimme fort. »Osman ist tot, Baines und Boswell und Rudd sind auch tot und ich glaube, dass sogar Wilton nicht mehr lebt. Es sind einfach zu viele …«

Phillip hatte alle Koordinaten aufgeschrieben, aber die zuletzt durchgegebenen unterstrichen. Er hasste die Heiserkeit der Stimme. Die Art, wie jeder Atemzug den Sprecher zu schmerzen schien. Dass er röchelte, als müsste er gleich Schleim aus der Kehle hervorhusten.

»Wie ist Ihre Lage? Was ist denn geschehen?«

»Sie sind in den Wänden.« Die Stimme rang nach Luft und ließ ein röchelndes Lachen hören, das sofort wieder erstarb. Sie schien noch etwas zu sagen, aber ein Ausbruch knisternder Statik übertönte die Worte.

Phillip runzelte unwillkürlich die Stirn und strengte sich an, das Gesagte zu verstehen. »Bitte wiederholen Sie das.«

»In den Wänden …« Die Stimme im Äther stöhnte. Der Klang hallte nicht nur in Phillips Kopfhörern wider, sondern ließ auch seine Knochen vibrieren, bis sie schmerzten. »Die Wände.«

»Bitte wiederholen Sie …« Die Lichter auf der Brücke flimmerten und flackerten.

Phillip duckte sich über die Konsole und starrte ängstlich auf die Glühbirnen, die so heftig flackerten, dass er befürchten musste, sie explodierten gleich.

Dann wurde die Stimme plötzlich lauter, bis sie in seinen Ohren widerhallte. Die rohe Gewalt darin hämmerte wie eine harsche Ohrfeige auf seinen Verstand ein.

»Da sind Leichen in den Wänden.«

Aufnahmen von der Nacht vor dem ersten Tauchgang

Ein zittriges Kamerabild flammte auf. Es fing stumpfe graue Metallwände ein, Risse im Deckenanstrich und dann, als es sich fokussierte, Aidan. Ein triumphierendes Lächeln erstrahlte auf seinem Gesicht. Das grelle Licht des Kamerascheinwerfers ließ seine Sommersprossen beinahe unsichtbar werden und bildete einen scharf abgegrenzten Kreis auf der Wand hinter ihm.

»Hey.« Er sprach sanft und hatte den Blick zur Decke gewandt. »Ich muss leise sein. Die anderen sind noch beim Abendessen. Und ich wollte das hier ganz allein machen. Wenn er davon wüsste, würde Roy …« Aidan konnte ein kleines, schüchternes Lachen nicht unterdrücken. »Roy ist einfach toll und ich bin so dankbar, dass er mir diesen Job verschafft hat; aber wenn er wüsste, was ich hier vorhabe, dann würde er mir das den Rest meines Lebens unter die Nase reiben, weißt du? Und ich will nicht, dass er dir alles viel zu früh verrät, Pen, bevor ich selbst so weit bin. Also …«

Irgendwo im Schiff knirschten die Schotten. Aidan fuhr herum und warf einen raschen Blick auf die Stufen gleich neben ihm. Er lachte immer noch, war aber auch sichtlich nervös.

»Ich bin hier unten im Frachtraum. Die anderen Kameras sind alle kaputt, auch Seans ROVs. Roy meint, er kann sie wieder reparieren, und ich wette, das kann er tatsächlich. Aber im Augenblick sieht es so aus, als müssten wir uns alle auf die Kameras verlassen, die wir unter Wasser tragen müssen. Also drück mal die Daumen, dass die auch an Bord funktionieren.«

Er huschte an die rückwärtige Wand und hielt dabei die Kamera in beiden Händen. Der Winkel war schief und das Bild so eingestellt, dass es ihm den Scheitel abschnitt und ein Auge nur halb zu sehen war. Das Licht lag auf seinem Grinsen.

»Ich bin ziemlich sicher, dass niemand sich die Aufnahmen ansieht, bevor wir im Schneideraum sind. Ich habe keine Ahnung, ob das Studio dann das hier mit im Final Cut haben will, aber ich hoffe doch. Es ist … na ja, es ist eben …«

Wieder lachte er mit funkelnden Augen. Sein Gelächter war erwartungsfroh, aber schüchtern und verriet seine Nervosität. Die Kamera richtete sich neu aus und zeigte ihn jetzt mit einer der Masken in der einen Hand, während er sich mit der anderen in den Ausschnitt des T-Shirts griff. Als er die Hand wieder hervorzog, hielt er darin ein silbernes Kettchen. Ein zierlicher Diamantring hing daran.

»Pen, wenn ich wieder zurück bin, dann werde ich dir einen Antrag machen. Und ich hoffe, dass das Studio das hier mit in den Film aufnimmt, denn dann können wir uns das zusammen ansehen und du wirst wissen, wie lange ich darüber nachgedacht habe und wie sehr ich das will und wie sehr ich in dich verliebt bin.«

Wieder knirschten die Schotten und Aidan fuhr erneut herum. Dann ließ er den Kopf zerknirscht hängen. Ein gedämpftes Lachen war zu hören. »Siehst du, deshalb mach ich das hier so weit wie möglich von Roy entfernt. Er ist ein netter Kerl, ein echt guter Typ, aber er würde sich nach Leibeskräften über mich lustig machen.«

Aidan ließ den Ring an der Kette auf das T-Shirt fallen, das er trug. »Ich trage den Ring jetzt schon vier Monate mit mir herum. Nur damit ich den richtigen Augenblick nicht verpasse. Und dann erzählte mir Roy von der Expedition hier und da dachte ich … Ach, keine Ahnung. Das ist doch etwas ganz Besonderes, oder? Etwas Bedeutendes. Die Leute werden sich daran erinnern. Vielleicht nicht sehr viele, aber ein paar. Genug.«

Eine schwere Woge erfasste das Schiff von der Seite, doch das Donnern der Welle gegen die Hülle war im Inneren kaum zu hören. Die Wände des Frachtraums waren so vollgestellt mit Waren und Ausrüstung, dass es hier drin ungewöhnlich still und ruhig war. Nur das schwache Ächzen des Metalls wurde vom Mikro der Kamera aufgenommen.

»Ich bin 22, aber jeder behandelt mich immer noch wie ein Kind. Als müsste man auf mich aufpassen. Aber du nicht. Wenn du mich ansiehst, dann ist es, als sähest du einen Helden. Als wäre ich der Größte.«

Er lachte. Seine Augen glänzten feucht. »Und das bin ich doch gar nicht. Ich hab keine Ahnung, was ich bin. Die Pubertät hat mir nicht viele Gefallen getan und ich hab die Hoffnung aufgegeben, dass ich noch wachse. Aber es ist, als würdest du das alles gar nicht sehen. Du siehst nur … Na ja, jemanden, der’s wert ist. Und genau das will ich für dich sein. Darum …« Er schüttelte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe. »Ich weiß, das ist dumm, das sehe sogar ich selbst ein. Aber wenn ich das hier schaffe, dann krieg ich vielleicht endlich selbst das Gefühl, ich wäre gut genug für dich. Vielleicht wäre ich immer noch nicht auf Augenhöhe mit dir, denn machen wir uns nichts vor, du spielst in einer ganz anderen Liga. Aber wenn ich etwas so Tolles wie das hier mache, etwas, das vielleicht sogar ein bisschen gefährlich ist, dann würde ich vielleicht nicht mehr so sehr an mir zweifeln. Denn ich will dein Mann sein. Ich will jeden Tag für dich zu einem besonderen machen. Und ich will so bald wie möglich damit anfangen. Wenn ich also wieder nach Hause komme …« Er nahm den Ring und steckte ihn wieder unter sein T-Shirt.

»Dann fangen wir an. Und, o Mann, du sagst besser Ja, denn wenn die Redakteure das hier wirklich in den Film reinschneiden und du mir einen Korb gibst, dann wird das echt eine peinliche Premierenfeier. Okay. Ich liebe dich, Pen. Bis bald.«

4

Erster Tauchgang

Das Wasser schlug wie eine Decke über Cove zusammen. Sprudelnde Bläschen rauschten an ihr vorbei zur Oberfläche. Sie hing da wie an Fäden, mit hochgestreckten Gliedern, und versuchte, sich zu orientieren. Hier und da durchschnitten helle Lichtstrahlen neben ihr das Wasser, gefiltert von den Wolken, und erhellten eine dunkle Silhouette neben ihr: einer der anderen Taucher. Doch sie wusste nicht, wer es war.

Coves erster Instinkt bestand darin, die Luft anzuhalten. Doch sie konnte ihn verdrängen und schöpfte einen tiefen, langen Atemzug.

Sie tauchte nun schon, seit sie zehn Jahre alt war, aber diese reflexhafte »Du bist jetzt unter Wasser, also halt die Luft an!«-Reaktion erfasste sie immer, sobald sich die Wellen über ihr schlossen. Aber sie wusste auch, dass es mit jeder Minute leichter wurde.

»Audio-Test!« Wenigstens klang ihre Stimme fest und ruhig. »Nennt mir eure Namen, dem Alphabet nach, sodass ich weiß, ihr könnt mich hören.«

»Aidan.« Die Stimme hallte ganz ungewohnt von allen Seiten in ihrem Kommunikationssystem wider, erklang gleichzeitig in beiden Ohren, was ihr jegliche Orientierung, jeglichen Richtungssinn nahm und es unmöglich machte zu sagen, welche der maskierten Gestalten um sie herum gesprochen hatte.

»Hestie.«

»Vanna.«

»Großartig, ich höre euch alle einwandfrei.« Sie hob das Handgelenk, um einen Blick auf den Tauchcomputer zu werfen, den sie dort angelegt hatte. Fast zwei Meter unter Wasser, Luftmenge 99 Prozent, Auftrieb neutral. »Wir warten noch auf Roy und dann …«

Wie aufs Stichwort schäumte das Wasser hinter ihr auf und bildete einen Strudel von Blasen und Silhouetten von ein paar Armen und Beinen. Im Gegensatz zu allen anderen, die sich ganz klassisch hintenüber ins Wasser hatten fallen lassen, war Roy mit einer Arschbombe ins Wasser gesprungen. Hestie gab einen kleinen Schreckenslaut von sich, der Vannas Seufzen fast übertönte.

»Heeeey«, rief Roy. Seine Stimme hallte unangenehm laut über den Funk. »Dann lassen wir die Party mal steigen, was?«

Cove kicherte unwillkürlich. Es gab einen Grund, warum sie Roy seit fast vier Jahren immer wieder für ihre Filmprojekte engagierte. Er nutzte jede Gelegenheit, um einer ernsten Situation etwas Leichtigkeit zu verleihen, und das war das, was Cove oft bitter nötig hatte. »Das klingt doch mal wie ein Plan«, erwiderte sie. »Dann lasst es mal krachen, Leute, legen wir los. Überprüft eure Kameras, stellt sie an und macht euch für den Abstieg bereit. Die erfahrenste Taucherin, Vanna, bringt uns runter. Folgt ihren Anweisungen.«

Eine Boje hing im Wasser, gleich neben dem Schiff. Vanna hatte die Führungsleine bereits daran befestigt und begann nun zu sinken. Die leuchtend weiße Leine zog sie hinter sich her. Am Meeresboden angekommen, würde das Tau neben dem Wrack befestigt werden. Das Team konnte dieser Führungsleine dann wieder nach oben folgen, damit sie nicht allzu weit vom Schiff entfernt wieder auftauchten.

Cove blieb ein Stück zurück, um sicherzugehen, dass sie die Nachhut bildete. So konnte sie ihr Team im Blick behalten. Die einzelnen Gestalten waren im trüben Wasser nur schwer auszumachen, sie konnte sie gerade noch erkennen. Vanna schwamm voraus, mit eleganten, mühelosen Schwimmzügen. Hestie war direkt hinter ihr, aber nicht so selbstsicher. Ihr Körper schien in Vannas Fahrwasser zu zittern. Dann kam Roy, seine Größe war unverwechselbar. Zuletzt kam Aidan. Seine Flossen ruderten heftig, er versuchte, mit den anderen Tauchern Schritt zu halten, doch der Abstand wurde größer.

»Aidan, prüf mal deinen Auftrieb.«

»Oh … Ja, richtig.« Er hielt kurz inne, um die Tauchblase, einen aufblasbaren Beutel, der die Tauchgewichte an der Tarierweste ausglich, neu einzustellen. Jetzt ging es schneller.

Er sollte gar nicht hier sein. Er hat seine Lizenz in den gerade mal sieben Tagen durchgepaukt, bevor wir losgefahren sind. Und das auch nur, weil Roy neben ihm saß und seine Fehler heimlich ausgebügelt hat. Ich hätte ihn oben lassen sollen.

Hätte, hätte, Fahrradkette.

Sie erinnerte sich an eine Zeit, in der sie 14 gewesen war. Mager, mit großen, viel zu eifrig aufgerissenen Augen und steif wie ein Stock neben dem balinesischen Reiseführer, der in freundlichen und ruhigen Worten erklärte, sie sei zu klein und dürfe deshalb nicht mit zum Wildwasser-Rafting. Noch nicht, aber vielleicht in ein paar Jahren, okay? Und wie sie antwortete und dabei den Kiekser in ihrer Stimme hasste, der sich gebildet hatte und mit dem sie versicherte, dass sie eine tolle Schwimmerin sei und wisse, was sie tue. Und sie hatte auch nicht vergessen, dass das Zögern des Führers sich in Luft auflöste, als Coves Vater hinter ihr erschienen war, um ihr den Rücken zu stärken. Er bestand nur aus Muskeln und funkelnden Augen und war im Gegensatz zu Cove ganz der furchtlose Maori, als er sagte: »Sie gestatten doch, dass mein Mädchen mitfahren darf, oder?«

Ihr ganzes Leben lang hatten die Leute versucht, ihr ihre Träume wegzunehmen. Es stand ihr nicht zu, das anderen anzutun.

Wieder warf sie einen Blick auf den Computer an ihrem Handgelenk. Er sah aus wie eine etwas klobige Armbanduhr. Eine erkleckliche Anzahl von Anzeigen flackerte über den kleinen Bildschirm. An der Seite befanden sich eine Menge Knöpfe, um in andere Modi zu wechseln oder Daten aufzuzeichnen. Derzeitige Tiefe: viereinhalb Meter. Sauerstoff: 98 Prozent.

Cove war durchaus vertraut damit, wie sich Wasser und auch die Taucher mit zunehmender Tiefe veränderten.

An der Oberfläche war Stickstoff ein neutrales, ein harmloses Gas. Man atmete es ein und aus, ohne seine Existenz überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Aber wenn man Stickstoff unter Druck setzte, wurde er wasserlöslich. Das Prinzip war ähnlich wie bei Kohlensäure in Limonade. Gab man das gepresste Gas ins Wasser, sprudelte und zischte es. Wenn man die Flasche öffnete, kondensierte es in winzige Bläschen.

Aber das Prinzip funktionierte nicht nur bei Limonade. Auch der menschliche Körper konnte Gas in gepresster, halb flüssiger Form aufnehmen, wenn der atmosphärische Druck nur stark genug war. Und Wasser konnte enormen Druck ausüben.

Bei rund sechs Metern würde der Stickstoff anfangen, die Lunge auszufüllen, und sich dann in Blutkreislauf, Muskeln und sogar dem Gehirn ansammeln. Das wäre dann noch nicht wirklich gefährlich. Genau wie die Kohlensäure einer geschlossenen Limonadenflasche nicht entweichen konnte, würde sich der Stickstoff in ihren Körpern verteilen und harmlos sein … bis der Druck nachließ.

Und die Rückkehr an die Oberfläche würde dieses Ventil öffnen. Der Stickstoff in ihnen würde sich wandeln. Bläschen würden sich in der Lunge bilden, den Muskeln, den Gelenken. Kleine Mengen würden einfach nur schmerzen. Größere Mengen aber konnten dauerhaften Schaden anrichten. Taucher nannten das die Caissonkrankheit. Nicht nur Karrieren fanden dann schnell ein Ende, es konnte auch Leben kosten.

Daher war es nötig, beim Aufstieg zur Sicherheit Zwischenhalte einzulegen. Jeder, der tiefer als sechs Meter tauchte, musste solche Zwischenhalte auf dem Weg zurück an die Oberfläche einlegen, damit der umgewandelte Stickstoff im Körper aus der Lunge wieder hinausgeatmet werden konnte. Und je tiefer sie kamen und je länger sie unten blieben, desto mehr Dekompressionsstopps waren notwendig. Ein Taucher, der eine Viertelstunde mit der Erkundung eines Wracks verbrachte und dann zwei Stunden für den Aufstieg brauchte, war nichts Ungewöhnliches.

Cove warf erneut einen Blick auf ihren Computer. Etwas mehr als zwölf Meter. Bei rund 20 Metern würden sie vom gewöhnlichen Sporttauchen zum Tiefseetauchen übergehen; ein Level, das normale Freizeittaucher nie überschritten. Alle Kurse für fortgeschrittenes Tauchen, die Zertifikate und Lizenzen hatten sie genau deshalb durchlaufen: um tiefer tauchen zu können als der Durchschnitt der Taucher. Als ein normaler Mensch tauchen sollte. Und das aus gutem Grund.

Den menschlichen Körper in eine sprudelnde Limoflasche zu verwandeln war nicht das Einzige, was Stickstoff anstellen konnte. Bei circa 30 Metern konnte der Tiefenrausch einsetzen, den die erhöhte Aufnahme von Stickstoff auslösen konnte. Die Bewegungen verlangsamten sich, die Reflexe ebenso, eine sanfte, wärmende Ruhe breitete sich in den daran Erkrankten aus und sagte ihnen, dass alles in Ordnung war. Schließ einfach die Augen. Lass deine Gedanken treiben und die Luft im Tank verschwinden, während du einfach immer tiefer und immer tiefer im Meer versinkst …

Cove und ihr Team würden die 30-Meter-Marke weit überschreiten. Um die Symptome des Tiefenrauschs weitgehend zu unterdrücken, waren ihre Luftbehälter mit Trimix befüllt, einer speziellen Luftmischung. Ein Teil des notwendigen Stickstoffs wurde durch Helium ersetzt, so war es ihnen möglich, die Grenzen, die ihnen die Natur setzte, zu überschreiten und tiefer zu tauchen, als Sterbliche es gewöhnlich tun konnten.

Doch derartige Tiefen setzten den Körper noch ganz anderen Strapazen aus. Ab etwa 30 Metern atmete man tiefer und energischer, um den zunehmenden Wasserdruck auszugleichen.

Alles unter 50 Metern erforderte noch spezialisiertere Zertifizierungen und ausgedehntes Training, um damit fertigzuwerden. Und bei rund 70 Metern musste man sogar damit rechnen, dass der Sauerstoff in den Tanks giftige Auswirkungen hatte.

Und Cove und ihr Team wollten auf 95 Meter tauchen. Fast 100.

Die Tauchleine wand sich träge vor Cove her und wies ihr die Richtung. Der Druck nahm zu. Jeder Atemzug wurde schwerer als der davor, jeder Meter Tiefe, der hinzukam, machte das Meer düsterer, da das natürliche Tageslicht mehr und mehr verschwand. Der Lichtkegel des Scheinwerfers auf ihrem Kopf fing immer wieder die harten Umrisse von Aidans Flossen vor ihr ein.

Cove suchte um sich herum nach irgendetwas, an dem das Auge sich festhalten konnte, und entdeckte in der dunklen Unendlichkeit eine vage Bewegung. Hestie hatte behauptet, es gäbe keine Haie und wahrscheinlich nur sehr wenige Fische, aber Cove glaubte, große Gestalten zu erblicken, die auf sie zukamen, bevor sie wieder mit der Leere verschmolzen.

Der Computer zeigte die 60-Meter-Marke an. Sie konnte über den Funk hören, wie ihre Gefährten atmeten; es klang angestrengt, obwohl doch die Gewichte an den Gürteln den Hauptanteil daran hatten, dass sie immer weiter sanken. Mit einem Ohr hörte sie immer darauf, ob sich Laute ausmachen ließen, die auf Panik hinwiesen.

Menschen waren nicht dafür geschaffen, in die Tiefen vorzudringen, die sie erreichen wollten. Um das zu tun, was sie heute taten, war ein Jahrhundert von fehlgeschlagenen Versuchen notwendig gewesen, ein ständiges Hinausschieben der Grenzen, zahllose Todesfälle auf der Suche nach einem Weg abwärts. Cove hatte es schon immer fasziniert, dass Menschen so viel gutes, gesundes Land hatten, auf dem sie leben konnten, aber dennoch immer wieder in Kauf nahmen, bei der Besteigung eines Gipfels zu ersticken, beim Erreichen eines Pols zu erfrieren oder beim Erkunden der Meerestiefen zu ertrinken. Jetzt ließ diese Vorstellung sie beinahe panisch auflachen.

Sofort unterzog sie diese Reaktion einer Prüfung. Euphorie war ein frühes Symptom des Tiefenrauschs. Sie suchte nach Anzeichen, dass ihr Urteilsvermögen nachließ oder ihre Glieder schwer wurden, doch das Trimix tat, was es tun sollte: Ihr Verstand war scharf wie immer. Beinahe zu scharf. Sie überschritten jetzt die 75-Meter-Marke. Noch eine Minute, und das Wrack würde zu sehen sein.

Aber da war noch so viel, das schiefgehen konnte. Sie wussten nicht einmal, ob sie das richtige Schiff gefunden hatten. Das Wrack war eher zufällig während geodätischer Untersuchungen in diesem Teil der Ostsee entdeckt worden. Körnige, verzerrte Bilder zeigten zwar die einzigartige Struktur des Bugs der Arcadia, aber Coves Leute würden die Ersten sein, die es tatsächlich würden in Augenschein nehmen können. Vielleicht lag ein Irrtum vor. Es konnte ja sein, dass es sich um ein vollkommen anderes Schiff handelte, eines, das weniger rätselhaft war und eine weitaus weniger bekannte Geschichte hatte. Oder vielleicht hatten sie nur eine Felsformation vor sich, die es schon seit Urzeiten gab und die nur zufällig so ähnlich geformt war wie ein Schiffsbug. Die Fotos, die bei den geologischen Untersuchungen geschossen worden waren, waren so grobkörnig, dass man Einzelheiten darauf nicht ausmachen konnte.

88 Meter. Der Abstieg war fast rauschhaft schnell gegangen. Das Wasser um sie herum war trübe und düster und unglaublich schwer. Flocken unbekannten Materials schwebten im Lichtkegel der Scheinwerfer vorbei. Die weiße Tauchleine schwankte neben ihr, aber sah nicht so aus wie irgendetwas, das Cove je gesehen hatte. Diese Welt war unirdisch. Unbewohnbar. Unvorstellbar feindselig.

»Direkt da vorn«, teilte Vanna durch das Interkom mit.

Cove beugte sich vor. Um sie herum schälten sich Gesteinsformationen aus der Düsternis. Sie hatten ihn erreicht. Den Meeresboden, 95 Meter von atembarer Luft entfernt.

Der Winkel des Abstiegs änderte sich jetzt. Statt weiter senkrecht nach unten zu sinken, führte Vanna sie in einem flacheren Winkel abwärts. Gewaltige, bergartige Felsen, deren scharfe Kanten dank der Schichten schneeartigen Sediments darauf weicher wirkten, erhoben sich jetzt rechts und links von ihnen.

Dann erblickte sie es, direkt geradeaus.

Cove sog langsam die Luft ein, als mit einem Mal der Bug einer riesigen metallenen Schiffshülle wie ein Pfeil aus der Finsternis ragte.

5

Adelaide Courier, 12. Januar 1929

WRACKTEILE DERARCADIAGESTRANDET

Nahezu neun Monate nach dem mysteriösen Verschwinden des Linienschiffs SS Arcadia sind einige Hinweise auf seine letzte Ruhestätte an Polens Stränden aufgetaucht. Das Schiff wurde nach seinem Verschwinden auf einer Transatlantikfahrt von den USA nach Großbritannien zum Gegenstand von vielen Spekulationen, waren doch die Begleitumstände vor dem Abbruch der Kommunikation äußerst ungewöhnlich.

Drei Schiffe hatten seinerzeit gemeldet, sie hätten von der Arcadia zwischen dem 17. und dem 18. April 1928 verschiedene Notrufe erhalten. Doch in jedem dieser Notrufe wurden andere Koordinaten der angeblichen Position durchgegeben. Eine exakte Positionsbestimmung konnte so nicht vorgenommen werden, doch alle Nachrichtenempfänger stimmten überein, dass die Arcadia um Hilfe bat.

Schiffe, die sich in der Nähe befanden, durchsuchten die Gewässer um die gemeldeten Koordinaten, doch man fand keine Spur der Arcadia. Nach dem letzten Notruf, der um etwa vier Uhr morgens des 18. von der HMS Margaret aufgezeichnet wurde, brach jegliche Kommunikation ab, der Kontakt mit der Arcadia konnte nicht wieder aufgenommen werden. Als das Schiff den Zielhafen nicht erreichte, wurde allgemein angenommen, dass die Arcadia auf See verloren gegangen und gesunken sei.

Theorien, warum die Arcadia