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Blackwood House begrüßt seine neuen Besitzer. 100 Jahre des Wartens werden endlich belohnt. Mara ist die Tochter von betrügerischen Spiritualisten. Ihre Kindheit war geprägt von Séancen und vorgetäuschten Geistererscheinungen. Als Mara ihre Familie verließ, schwor sie sich, dass solch dummer Aberglaube nie wieder Platz in ihrem Leben finden wird. Nun lebt sie mit ihrem Freund Neil in einer Welt, die auf Rationalität beruht. Dann kaufen sie das Blackwood House. Sie wurden gewarnt, dass in dem verfallenen Gebäude seltsame Dinge geschehen, und tatsächlich: Türen öffnen sich von allein, in der Nacht hören sie Kinder schreien, ein Schaukelstuhl wippt pausenlos vor sich hin. Doch das ist erst der Beginn des Unheils. Wohnen sie in einem Spukhaus? Mara will davon nichts hören. Das ist nur ausgeklügelter Schwindel … Aber wenn Geister nicht real sind, wer oder was haust dann in ihrem Haus? Ihr liebt Geistergeschichten? Dann lest die Romane von Darcy Coates. Ihre Fans lieben es, wenn beim Lesen die kalten Finger der Angst die Wirbelsäule hinaufkrabbeln.
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Seitenzahl: 386
Veröffentlichungsjahr: 2024
Aus dem australischen Englisch von Eva Brunner
Impressum
Die australische Originalausgabe The Haunting of Blackwood House
erschien 2015 im Verlag Black Owl Books.
Copyright © 2015 by Darcy Coates
Copyright © dieser Ausgabe 2024 by Festa Verlag GmbH, Leipzig
Lektorat: Bernhard Kempen
Titelbild: Sabareesh Ravi
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-98676-171-4
www.Festa-Verlag.de
1
Séance
»Du bist begnadet, meine Liebe. Die Geister reißen sich darum, mit dir zu sprechen. Komm.«
Die Frau streckte Mara die Hände entgegen. Sie waren vom Rheuma verkrümmt, die Haut wie Pergament und voller Altersflecken. Mara wollte sie nicht anfassen, aber ihre Mutter stand hinter ihr und drängte sie mit einer Hand leicht nach vorn.
Mara wandte den Kopf ab. Sie wagte es nicht, mehr als ein Flüstern von sich zu geben. »Ich will nicht.«
Das Klimpern von Schmuckstücken hallte in dem kleinen Raum wider, als sich Maras Mutter vorbeugte, um ihr etwas ins Ohr zu murmeln. Ihre Mutter kleidete sich für die Séancen immer sehr aufwendig: Ketten mit Anhängern verstorbener Verwandter, Armreife, in die Totenköpfe und okkulte Sprüche eingraviert waren, und das schwere und kräftige Parfüm, das sie zu wichtigen Anlässen auflegte. Mara hasste dieses Parfüm. Es durchdrang jeden Raum, in dem sie sich aufhielten, und setzte sich in der Atmosphäre fest, bis es ihr den Magen umdrehte und ihr davon schwindelig wurde.
»Sei höflich.« Maras Mutter sprach leise und sanft. Ihr Atem kitzelte an Maras Ohr. »Miss Horowitz hat sich dir als Mentorin angeboten. Das ist eine große Ehre. Nimm ihre Hände.«
Mara atmete schwer. Das schwach beleuchtete Wohnzimmer mit dem Durcheinander aus geheimnisvollen antiken Objekten verstörte sie. Das runde Séance-Tischchen war mit einem cremefarbenen Häkeltischtuch bedeckt. Mitten darauf stand eine einzige Kerze. Tierschädel, uralte Bücher, Gläser mit toten Insekten und ein langsam tickendes Metronom füllten das Regal. Komplexe, aber dilettantische Tuschezeichnungen füllten an den Wänden jede Lücke aus. Trotz zugezogener Vorhänge ließ sich das Tosen des Sturms draußen nicht dämpfen.
»Nimm ihre Hände«, wiederholte Maras Mutter. Ihre langen Finger drückten Maras Schultern. Es war als Geste des Trostes gedacht, die auch eine leichte Warnung enthielt.
Mara versuchte zu schlucken, aber ihre Kehle war zu eng. Sie hob die Hände. Falls Miss Horowitz ihr Zittern wahrnahm, ließ sie es sich nicht anmerken. Das alte Medium stieß die eigenen Hände nach vorn wie eine Gottesanbeterin, die ihr Opfer aus der Luft schnappt, und die Finger pressten die von Mara so fest zusammen, dass es wehtat.
»Jetzt konzentriere dich, mein Liebes.« Miss Horowitz zog sie näher zu sich heran, sodass sie sich beide über den runden Tisch beugten und Mara nirgendwo anders hinschauen konnte als in das schlaffe, fleckige Gesicht. Die Kerze ließ harte Schatten über die Hautfalten tanzen, die sich um Miss Horowitz’ Augen verdüsterten. »Du hast eine unglaubliche Begabung geerbt. Ich kann spüren, wie die Kraft in dir anschwillt. Um sie freizusetzen, musst du dich nur konzentrieren. Ich werde channeln, und wir werden sehen, welche Geister heute Nacht unserem Ruf folgen.«
Ein Donnerschlag erschütterte die Fensterscheibe. Mara zuckte bei dem Geräusch zusammen, und Miss Horowitz’ Hände verkrampften sich, sodass Funken des Schmerzes durch die Finger des Mädchens schossen. Das Klirren von Schmuckstücken kündigte die Bewegungen ihrer Mutter an, und Mara warf aus dem Augenwinkel einen Blick auf sie. Elaines Gesicht glühte im Kerzenlicht, während sie ihre Tochter beobachtete. »Versuch es, Liebling«, flüsterte sie. Es lag ein tiefes, hungriges Bedürfnis in ihrer Stimme. »Miss Horowitz sagt, du könntest das mächtigste Medium deiner Generation sein. Du musst dir nur deiner Gabe bewusst werden.«
Wieder krachte der Donner. Mara konnte nicht aufhören zu zittern und schloss die Augen. Miss Horowitz hatte gesagt, sie solle sich konzentrieren, aber sie hatte keine Ahnung, worauf. Sie wollte sich nicht die Geister vorstellen, die, wie ihre Mutter sagte, sich um sie herum tummeln würden. Sie hatte sie oft genug in ihren Albträumen gesehen: skelettartig, weder lebendig noch tot, während sie in einem dämmrigen Raum gefangen waren und die sterbliche Welt mit zornigen, kohlschwarzen Augen beobachteten …
»Sie kommen«, krähte Miss Horowitz. Mara wagte es, ihre Augenlider ein wenig zu öffnen. Die ältere Frau schwankte, ihr Kopf drehte sich so heftig, dass Mara befürchtete, ihr Genick könnte gebrochen sein. Die blutunterlaufenen Augen des Mediums waren weit in den Kopf zurückgedreht, sodass das Weiße sichtbar wurde.
Der ohnehin schon heftige Sturm schien seine Anstrengungen zu verdoppeln. Das Gebrüll des Regens übertönte fast die gurgelnde, krächzende Stimme von Miss Horowitz. »Sprecht mit uns! Welche Botschaften wollt ihr euren sterblichen Gefäßen übermitteln?«
Ich will das nicht tun. Ich will nichts mehr sehen. Mara wollte sich losreißen, konnte ihre Hände aber nicht befreien. Sie drehte sich zu ihrer Mutter um, doch Elaines Augen waren ganz auf das Geistmedium konzentriert. Ihre Gesichtszüge waren von ehrfürchtigem Vertrauen erfüllt.
»Kommt!« Miss Horowitz’ Stimme erhob sich zu einem Heulen über dem Donner. »Sprecht!«
Der Tisch bebte, und die Flamme flackerte. Mara unterdrückte einen Schrei. Sie war sich nicht bewusst gewesen, dass sie weinte, aber nasse Spuren kitzelten ihre Wangen.
»Kommt!«
Das Zittern verstärkte sich. Miss Horowitz’ Mund klaffte weit auf und entblößte stark abgenutzte und unregelmäßige Zähne in einem Zahnfleisch, das sich fast bis zu den Wurzeln zurückgebildet hatte. Sie warf den Kopf hin und her, wobei sich ihr wallendes graues Haar aus dem Knoten löste und in fettigen Strähnen übers Gesicht hing. Ein Speichelfaden rann über ihren Unterkiefer.
Dann kippte Miss Horowitz nach vorn, als hätte ein unsichtbares Wesen ihr gegen den Hinterkopf geschlagen. Sie keuchte. Ihre Augenlider flatterten und ihre Hände zitterten. Dann sagte sie mit einer tiefen, kehligen Stimme, die nicht ihre eigene war: »Hüte dich vor dem Haus, das dich begehrt, Kind. Deine Gabe und dein Fluch sind dasselbe. Hüte dich vor dem Haus, das dich begehrt.«
Die letzten Worte wurden mit einem Gebrüll ausgestoßen, das der Lautstärke des Donners gleichkam. Maras Herz flatterte. Der Schrecken hatte sie erstarren lassen. Sie konnte nicht mehr atmen. Als Miss Horowitz’ Augen nach unten rollten und Mara fixierten, flossen Angst, Schock und Sauerstoffmangel zusammen, um sie von der Séance zu befreien. Sie fiel in Ohnmacht.
2
Planänderungen
»Igitt!« Mara drückte ihre Daumen gegen den Nasenrücken. Der Traum hing an ihr wie ein übler Geruch. Schlimmer noch, der Fernseher ihres Nachbarn war viel zu laut. Die kitschige Tonspur mit den Lachern fühlte sich an, als würde sie sich in ihr Gehirn bohren.
Heute ist ein guter Tag, schon vergessen? Du bekommst heute dein eigenes Haus – wahrscheinlich, vielleicht – und Ende des Monats bist du raus aus dieser Bruchbude. Gut so. Es geht uns gut.
Irgendwo weiter weg im Wohnkomplex kreischte ein Kind, und Mara musste gegen den Impuls ankämpfen, mit der Stirn gegen das Fenster zu schlagen. Stattdessen ließ sie sich auf den Plastikstuhl fallen. Sie besaß nicht viele Möbel, und das meiste davon – die Stühle, der Klapptisch und die Matratze – stand vor dem Fenster. In dem kleinen Quadrat aus natürlichem Licht erholte sie sich von den kahlen grau verputzten Wänden und dem abgenutzten Teppich. Außerdem hatte sie von hier aus einen guten Blick auf den Eingang zur Allee. Neil sollte erst in zehn Minuten eintreffen, aber sie hoffte inständig, dass er früher da sein würde. Jetzt, wo sie so kurz davor war, der schäbigen Wohnung in der Innenstadt zu entkommen, konnte sie es kaum ertragen, noch eine Stunde darin zu verbringen.
Du bist begnadet, mein Liebes.
»Reiß dich zusammen«, knurrte Mara. Sie kaute an ihrem Daumen, während sie zusah, wie ein zerknülltes Zeitungsblatt durch die Straße wehte. Es ist vier Jahre her, dass du ausgezogen bist. Du hast jetzt die Kontrolle. Verschwende keine Minute mehr mit dem Gedanken an diese Verrückte.
Etwas Silbernes fiel ihr ins Auge, und Mara atmete aus, als Neils großer Wagen ihrer Wohnung entgegenfuhr. Sie schnappte sich ihre Jacke von der Stuhllehne, stopfte die Schlüssel in die Tasche und verließ ihr Zimmer in einem flotten Laufschritt. Auf dem Weg nach draußen musste sie gegen die Tür treten, damit sie richtig einrastete, und einer ihrer Nachbarn rief: »Hey, nicht so laut da draußen!«
Mara nahm zwei Stufen auf einmal, vorbei an dem Zimmer mit dem quengelnden Kind und dem scheinbar unaufhörlichen Rumpeln der Waschmaschine. Die Scharniere der Haustür quietschten, als Mara ins Sonnenlicht trat. Der Wetterbericht hatte ein plötzliches Abgleiten in einen nieseligen, kalten Herbst vorhergesagt, aber der Tag war warm und klar genug, um immer noch hochsommerlich zu sein.
Neils Wagen stand im Leerlauf auf der Straße. Im krassen Gegensatz zu den schmuddeligen Billigwohnungen war das Auto groß, sauber und offensichtlich gepflegt.
Neil beugte sich über den Sitz, um Mara die Beifahrertür zu öffnen. Er schien sich sehr zu freuen, sie zu sehen, und Maras Herz machte einen kleinen Hüpfer. Plötzlich schien der Traum von heute früh nicht mehr so wichtig zu sein.
»Guten Morgen.« Er drückte ihr einen warmen Kuss auf die Wange, als sie sich auf dem Beifahrersitz niederließ. »Wie hast du geschlafen?«
Schrecklich. »Kann mich nicht beklagen. Und du?«
»Großartig, danke.« Neil wartete, bis Mara sich angeschnallt hatte, bevor er den Gang einlegte und mit dem Wagen vom Bordstein losfuhr. Er lenkte ihn aus der engen Straße und griff dann hinter seinen Sitz, um zwei Papiertüten und eine Thermoskanne hervorzuholen. »Ich nehme an, du hast das Frühstück ausgelassen.«
Der Duft von etwas Heißem und Gutem stieg Mara in die Nase, und sie griff nach den Tüten und schüttelte sie auf. »Gütiger Himmel! Das ist der wahre Grund, warum ich mit dir zusammen bin, weißt du?«
Neil lachte. »In der einen sind Pommes und in der anderen ist Salat. Ich dachte, du würdest etwas Gesundes essen, wenn ich dich mit Junkfood besteche.«
»Törichte Hoffnung«, sagte Mara mit dem Mund voller Pommes. »Danke trotzdem. Ach du meine Güte – du hast Ingwerwaffeln!«
»Ich dachte mir schon, dass du die magst.«
»Du bist ein Heiliger.« Mara warf Neil einen Blick zu, während sie aß. Er war ungefähr so groß wie ein Ochse und doppelt so sanft wie ein Kätzchen und brauchte den übergroßen SUV, um bequem zu sitzen. Sein frisch gebügeltes Hemd passte gut zu seinen breiten Schultern, und sie dachte, dass er sich an diesem Morgen vielleicht tatsächlich die Mühe gemacht hatte, sein sandbraunes Haar zu kämmen, obwohl die Frisur einfach nicht saß. Er versuchte, sein Grinsen zu unterdrücken, und ein Hauch Rot um seine Ohren verriet Mara, dass ihm ihre Reaktion auf das Essen gefiel.
Der Tacho des Wagens blieb ein wenig unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, während sich Neil mit geübter Leichtigkeit aus den Straßen der Innenstadt in die weitläufigeren, hübscheren Vororte schlängelte. Das Haus, das sie besichtigen wollten, lag unweit des Stadtrands. Es war erst am Vortag auf den Markt gekommen und erfüllte alle Kriterien für Mara: Es war erschwinglich, keine Bruchbude und lag in einer guten Gegend. Mara war bereit, es noch am selben Tag zu kaufen, wenn das Gebäude auch in Wirklichkeit so gut aussah wie auf den Fotos.
Neil begleitete sie, um sie moralisch zu unterstützen und seine Meinung über das Gebäude beizusteuern. Er arbeitete als Schreiner und hatte ihr angeboten, nach Anzeichen von Termiten oder Baumängeln Ausschau zu halten.
Manchmal fragte sie sich, wie sie an Neil geraten war. In Maras Augen war er fast – nicht ganz, aber fast – perfekt. Nur dass Neil religiös war. Und Religion an sich widerstrebte Mara mit jeder Faser ihres Wesens.
Sie waren in vielerlei Hinsicht ein Spiegelbild des jeweils anderen. Sie waren beide in einem spirituell geprägten Elternhaus aufgewachsen. Aber Neil hatte sich als Erwachsener den Glauben seiner Familie zu eigen gemacht, während Mara an dem Tag, als sie 18 wurde, ihr Zuhause verlassen hatte.
Obwohl ihre Situationen alles andere als identisch waren. Er musste nie an ganztägigen Séancen teilnehmen oder einem unter Drogen stehenden Medium zuhören, das seiner Mutter weismachen wollte, sie wäre eine Wiedergeburt der Kleopatra.
»Was gibt’s?« Neil hielt vor einer Ampel an und beobachtete Mara aus den Augenwinkeln.
Sie bemerkte, dass sie die Stirn gerunzelt hatte, und entspannte das Gesicht. »Nichts. Mir geht’s gut.«
Neil lächelte sie an, aber er ließ die Stille fortdauern.
Mara seufzte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. »Ich hatte wieder den Traum von der Séance.«
»Verdammt.« Neils Hand fand ihre und drückte sie. Mara verspürte einen angenehmen Schauer, als sich die großen Finger um ihre legten. Neil war absolut zuverlässig. Er respektierte sie und ihre Überzeugungen. Das war mehr, als sie sich von einem Partner hätte erhoffen können.
»Alles gut.« Sie drückte seine Hand ebenfalls, als Neil mit dem Daumen über ihre Fingerknöchel strich. »Ich bin darüber hinweg. Heute wird ein guter Tag werden. Dieses Haus könnte das Richtige sein. Ich meine, für den Preis, den sie verlangen, ist es wahrscheinlich von Asseln befallen, aber …«
»Ha!« Die Ampel schaltete auf Grün, doch Neil ließ seine Hand noch eine Sekunde auf ihrer verweilen, bevor er sie wieder ans Lenkrad legte. »Ich bin einfach nur froh, wenn du aus dieser Wohnung rauskommst, Asseln hin oder her.«
Mara rümpfte die Nase. »Es ist keine schlechte Wohnung.«
»Schätzchen, du wohnst neben einem Meth-Süchtigen, und die Polizei hat deinen Vermieter im letzten Monat dreimal festgenommen.«
»Ja, du hast recht. Es ist eine schreckliche Wohnung.« Mara lehnte sich ans Fenster und beobachtete die großen Ulmen, die vorbeizogen. Sie wollte es nicht laut sagen, aber sie hoffte inständig, dass das Haus, das sie besichtigten, ihres werden würde. Die Fristen drückten aus allen Richtungen, also musste sie schnell eine neue Bleibe finden.
Sie hatte als Packerin in einem Lagerhaus gearbeitet, aber die Firma hatte vor Kurzem die Hälfte der Mitarbeiter entlassen, darunter auch Mara. Einerseits war sie arbeitslos. Andererseits reichte ihre Abfindung in Verbindung mit vier Jahren gewissenhaftem Sparen aus, um ein kleines Haus zu kaufen. Das war es, was Mara schon immer wollte: einen Ort, den sie ihr Eigen nennen konnte, wo sie nicht den Launen eines wütenden Vermieters ausgeliefert wäre, der ihr kündigen konnte, wann immer er wollte. Und der Mietvertrag für ihre jetzige Wohnung lief zum Monatsende aus. Wenn sie ihn verlängerte, wäre sie für weitere drei Jahre an das winzige, schäbige Gebäude gebunden. Sie glaubte nicht, dass sie das überleben würde.
Neil hatte sie bereits gefragt, ob sie in seinem Haus wohnen wollte, aber Mara hatte diese Idee verworfen, bevor er zu Ende gesprochen hatte. Als sie aus ihrem Elternhaus ausgezogen war, schwor sie sich, nie wieder in einem Gebäude zu schlafen, das von Spiritismus, Astrologie, Hellseherei oder Religion durchseucht war. Und in Neils Elternhaus stank es nach Religion. Ein Kreuz an einer Wand, Kirchenmusik in den Playlists, religiöse Bücher zwischen den Krimis – all das waren Dinge, die Neil kaum wahrnahm, nachdem er sein ganzes Leben lang damit zugebracht hatte, aber Mara verursachten sie eine Gänsehaut.
Trotzdem waren Neil und seine Mutter Pam sehr nette Leute. Neil war ein entspannter Christ. Mara wusste, dass er in die Kirche ging und mit Gleichgesinnten befreundet war, aber sein Leben war nicht vom Glauben durchdrungen.
Das Thema kam überhaupt erst bei ihrem dritten Date auf. Mara hätte fast das Restaurant verlassen, als er ihr sagte, dass er Christ sei. Aber zu diesem Zeitpunkt fühlte sie sich zu sehr zu ihm hingezogen, als dass sie ihn einfach hätte aufgeben können, also hatte sie ihm vorsichtig eine Chance gegeben. Sie war froh darüber. Er konnte nachempfinden, wie es für sie gewesen war, in einem spiritistischen Haushalt aufzuwachsen, und verstand, warum sie diese Erfahrung nie mehr machen wollte.
Aus Neils Telefon ertönte ein fröhlicher Popsong. Er fuhr auf den unbefestigten Streifen neben der Straße und drückte die Lautsprechertaste seines Handys. »Neil hier.«
»Oh, gut, dass ich Sie erreiche.« Die Stimme am anderen Ende war außer Atem. Mara erkannte sie sofort. Jenny, ihre Immobilienmaklerin, schien in einem ständigen Zustand des Sauerstoffmangels zu leben. Neil bemerkte es entweder nicht oder tat so, als ob er es nicht bemerkte, aber Mara fand es faszinierend. Sie stellte sich ihre Maklerin gern als Jenny Atemlos vor. »Es tut mir so leid, mein Lieber, aber das Haus ist weg.«
»Was?« Mara ließ eine ungegessene Fritte zurück in die Tüte fallen. »Aber es wurde doch erst gestern Abend ausgeschrieben!«
»Oh, hallo Mara.« Jennys bedauernde Stimme klang nun eher besorgt. »Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie. Aber es war ein wirklich gutes Angebot, meine Liebe. Ein Pärchen hat es sich heute früh angesehen und machte sofort eine Anzahlung. Es tut mir so leid, dass ich Sie enttäuschen muss.«
»Ist schon okay«, sagte Neil.
Mara kochte vor Wut. »Es ist nicht okay …«
Neil holte eine Waffel aus der Tüte und stopfte sie Mara in den Mund, um sie zum Schweigen zu bringen. »Es ist okay, Jenny. Haben Sie noch andere Objekte, die wir heute besichtigen könnten? Wir sitzen gerade im Auto.«
Mara warf Neil einen finsteren Blick zu, während sie die Waffel zerkaute. Er schenkte ihr daraufhin ein zerknirschtes Lächeln.
»Nun … Nun …« Ein Geräusch von raschelndem Papier drang durch den Lautsprecher, und Mara konnte sich den Schreibtisch von Jenny Atemlos vorstellen, so unordentlich und chaotisch, wie er bei ihrem ersten Treffen gewesen war. »Ah … bestimmt … Nein, das Haus in Westbrook ist bereits verkauft, nicht wahr …?«
»Lassen Sie sich Zeit«, sagte Neil sanft.
»Okay … es gibt ein wirklich schönes Haus in Reddington, aber es liegt etwas außerhalb Ihres Budgets.«
Mara schluckte die Waffel hinunter. »Wie viel?«
»Nun … es kostet fast das Doppelte …«
»Nein.« Mara war so frustriert, dass ihr fast die Tränen kamen. Der Verlust des Hauses schmerzte. Wenn sie nicht innerhalb der nächsten Tage ein Zuhause fand, wäre sie gezwungen, entweder ihren Mietvertrag zu verlängern oder eine kurzfristige Alternative zu finden – und beide Optionen würden ihre Ersparnisse aufzehren. Sie nahm die Thermoskanne aus dem Becherhalter, damit ihre Hände etwas zu tun hatten. Neil hatte ihr Kamillentee gemacht. Sie vermutete, dass es sich um den teuren Bio-Tee mit losen Blättern handelte, den seine Mutter für besondere Anlässe aufbewahrte. Der Gedanke daran wärmte sie ein wenig, aber nicht genug, um die Enttäuschung zu verdrängen.
Neil presste eine Hand auf das Handy, um seine Stimme zu dämpfen. »Mara, ich könnte dir etwas leihen …«
»Ich will keine Almosen«, blaffte Mara.
Neil blinzelte, nickte langsam und nahm seine Hand vom Telefon. Sie kniff die Augen zusammen. Mist, habe ich ihm wehgetan?
»Nun gut.« Jenny spürte offensichtlich den Druck. »Es gibt leere Grundstücke … oder, äh …«
Sie brach ab, und das Rascheln hörte auf. Die Stille zog sich in die Länge, sodass Mara schon befürchtete, der Anruf sei unterbrochen worden.
»Es gibt ein Objekt«, sagte Jenny schließlich. In ihrer Stimme lag ein seltsamer, vorsichtiger Ton. »Es ist schon seit Ewigkeiten auf dem Markt. Es ist etwas größer als das, was Sie suchen, aber es liegt unter Ihrem Budget.«
»Was stimmt damit nicht?«, fragte Mara automatisch. Sie konzentrierte ihren Blick auf den Deckel der Thermoskanne, um Neils Gesicht nicht sehen zu müssen. Warum musste ich ihn anschnauzen? Er hat doch nur versucht zu helfen.
»Ich will ganz offen mit Ihnen sein, meine Liebe. Da muss noch einiges gemacht werden. Und … Es hat keine sehr schöne Geschichte.« Mara wartete ungeduldig, bis Jenny sich gesammelt hatte. Das Papierrascheln war wieder da, aber dieses Mal dachte Mara, dass ihre Maklerin sich mit einem Stapel loser Blätter Luft zufächelte. »Ist Ihnen Robert Kant ein Begriff?«
Neil atmete scharf ein, aber Mara war der Name neu. »Nein. Sollte er das?«
»Er … Er war kein guter Mensch, meine Liebe.«
»Er war ein Serienmörder in den frühen 1900er-Jahren«, murmelte Neil zu Mara, bevor er sich wieder dem Telefon zuwandte. »Jenny, wollen Sie damit sagen, dass das Haus mit ihm in Verbindung steht?«
»Ich fürchte, ja. Er hat die letzten vier Jahre seines Lebens dort verbracht, bevor er sich … nun ja … erhängt hat.«
»Erschossen«, sagte Neil.
»Nein, erhängt«, korrigierte ihn Jenny geduldig.
Mara kaute fasziniert auf ihrem Daumen herum. Die Leute konnten zimperlich sein, wenn es darum ging, in einem Gebäude zu wohnen, das einst einen Mörder beherbergt hatte, als ob die Wände selbst irgendwie verdorben wären. Vor allem ihre Eltern glaubten fest an spirituelle Rückstände und schlechte Energien. Aber für Mara war ein Haus nichts weiter als eine Ansammlung von Ziegeln und Holz. Allein die Nähe zu einem unangenehmen Menschen sollte den Wert des Gebäudes nicht wesentlich mindern. Und wenn es sonst niemand wollte …
»Wo ist es?«, fragte sie.
Jenny klang überrascht. »Wenn es Sie nicht stört … Es heißt Blackwood House und ist eine halbe Stunde Fahrt von der Stadt entfernt. Wir könnten uns gleich dort treffen, wenn Sie möchten …? Ich gebe Ihnen die Wegbeschreibung.«
Mara warf Neil einen kurzen Blick zu, als er die Adresse in das Navi eintippte. Sein Gesicht war ruhig, aber eine leichte Anspannung um seine Lippen verriet ihr, dass er nicht ganz glücklich war. Sie richtete den Blick wieder auf die Thermoskanne.
»Okay«, sagte Jenny Atemlos. »Ich werde dort sein, so schnell ich kann. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt.«
Das Gespräch wurde beendet, und Neil lenkte den Wagen zurück auf die Straße. Mara überlegte, wie sie ihre Gedanken am besten ausdrücken sollte, aber Neil brach das Schweigen als Erster.
»Es tut mir leid, dass wir nicht das Haus bekommen haben, das du wolltest. Ich weiß, dass du enttäuscht bist, aber wenn das neue Haus nicht passt, werden wir uns etwas einfallen lassen.«
Mara hob schließlich den Blick. In Neils Gesicht war nichts von der Distanz oder Feindseligkeit zu sehen, die sie befürchtet hatte. Stattdessen wirkte er ängstlich. Er warf ihr immer wieder Blicke zu, während er in drei Zügen wendete. Sie spürte, wie sich ihre Kehle zusammenzog, und murmelte, bevor sie den Mut verlor: »Es tut mir leid, dass ich ausgerastet bin. Du warst wirklich großzügig, aber …«
»Ich weiß.« Sein warmes Lächeln war wieder da. Er nahm ihre Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. »Unabhängigkeit ist dir wichtig. Ich verstehe das. Irgendwie gefällt mir das sogar.«
Mara beugte sich hinüber und legte den Kopf an seine Schulter. Sie konnte spüren, wie sich seine Muskeln bewegten, als er das Lenkrad drehte, und er roch nach Kräutern und Sägemehl. Sie hätte nie erwartet, dass diese Kombination so gut riechen würde, wie es bei ihm war. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.« Neil nutzte die Gelegenheit und küsste Mara auf den Kopf. Dann fügte er in einem atemlosen Tonfall hinzu: »Meine Liebe.«
Mara brach in unkontrolliertes Lachen aus. »Du liebe Zeit! Ich schwöre, wenn sie mich noch einmal meine Liebe nennt …«
3
Blackwood House
»Achte auf deine Sprache!«, sagte Neil freundlich.
»Oh, Entschuldigung. Heilige Scheiße! Ist das besser?«
Neil schmunzelte. Sie parkten in der vermeintlichen Auffahrt zu Blackwood House, aber Mara konnte es kaum glauben. Ihr Gespartes sollte für eine kleine Wohnung oder ein Zweizimmerhäuschen mit kleinem Garten reichen, wenn sie Glück hatte. Aber Blackwood war riesengroß. Sie zählte zehn Fenster auf zwei Etagen, und es schien einen Dachboden zu geben. Es war fast groß genug für ein kleines Hotel. Jenny muss sich vertan haben. Das kann unmöglich in meinem Budget liegen, egal wie viele Serienmörder man da reintut.
Die Immobilienmaklerin hatte jedoch nicht übertrieben, als sie sagte, dass noch einiges gemacht werden musste. Das Haus sah aus, als hätte seit Jahrzehnten kein Mensch mehr hier gewohnt. Das dunkelgraue Holz hing an einigen Stellen durch und auf dem Dach fehlten Schindeln.
Das Haus lag am Ende einer sehr langen und schmalen Straße. In den letzten zehn Minuten ihrer Fahrt waren sie an keinen anderen Häusern vorbeigekommen, was Mara erstaunlich fand. Es war nicht so weit von der Stadt entfernt, dass es für sie nicht infrage käme, aber sie fühlte sich in dieser Umgebung ziemlich isoliert.
Das Gebiet war dicht bewaldet mit dünnen, hohen Bäumen. Mara erblickte eine enge, geschwungene Baumreihe am Rand des Gartens. Die Stämme waren alle dunkelgrau, und sie vermutete, dies könnte die Inspiration für den Namen des Hauses gewesen sein.
»Also, wollen wir es erkunden?«, schlug Mara vor.
»Findest du nicht, dass wir auf Jenny warten sollten?«
»Nein.« Mara grinste Neil an. Der erwiderte das Grinsen und öffnete die Autotür. Gemeinsam folgten sie dem schmalen Kieselsteinweg zur vorderen Haustür. Halb abgestorbenes Unkraut wuchs zu beiden Seiten hoch und drückte sich durch die kleinen weißen Steinchen unter ihren Füßen. Winzige Insekten huschten bei jedem Schritt davon. Mara war froh, dass sie lange Jeans und keine Shorts trug.
Das Gebäude wirkte immer düsterer, je näher sie kamen. Ein Gewirr von vertrockneten, zerrissenen Spinnweben hing über dem Vordach. Die Hälfte der Fenster hatte gesprungene Scheiben, und die andere Hälfte war völlig zerbrochen. Flechten und Moos wuchsen auf der hölzernen Hausfassade und hingen an den nächstgelegenen Bäumen.
Mara sprang die Treppe zur Veranda hinauf und blickte durch eines der Fenster. Das Zimmer dahinter war wegen der verschmutzten Scheiben schummrig und trüb, aber sie konnte die Umrisse eines großen Sessels erkennen. »Ich glaube, das Haus ist möbliert.«
»Das wird in keinem guten Zustand sein«, sagte Neil, als er durch das Fenster neben ihr schaute. »Aber man kann vielleicht einiges retten.«
Mara ging über die Veranda zur Tür. Sie erwartete, dass sie abgeschlossen war, aber der Türgriff ließ sich zu ihrer Überraschung drehen, begleitet von einem grässlichen Kreischen. Die Tür öffnete sich nach innen, und Mara hatte den Eindruck, dass sie ein Siegel gebrochen hatte. Die Luft, die durch die Öffnung kam, roch schwer, muffig und kalt.
Die Fenster waren zu verschmutzt, um allzu viel natürliches Sonnenlicht hereinzulassen, sodass das Innere verwaschen wirkte. Mara trat über die Schwelle und fand sich in einer großen Eingangshalle wieder. Eine Treppe führte an der Rückwand hinauf, und links und rechts davon befanden sich Türbogen, die in ein Ess- und in ein Wohnzimmer führten. Es schien keine Lichtschalter zu geben.
Mara betrat das Wohnzimmer. Sie hatte recht, es war möbliert, auch wenn sie an der Brauchbarkeit der Stücke zweifelte. Zwei mottenzerfressene, verschimmelte Sessel standen neben dem leeren Kamin. Unter dem Fenster stand ein Schaukelstuhl. Mara tippte ihn mit dem Fuß an. Er knarrte schmerzhaft, als er auf seinen Kufen zurückschwang. An einer Wand hing eine stark verschlissene Kreuzstickerei mit blauen und rosafarbenen Blumen, die die Worte »Das Zuhause ist, wo das Herz ist« umrahmten. Mara rümpfte die Nase. »Igitt.«
Sie ging ins Esszimmer, wo Neil vor dem Tisch stand. Da er die Lippen zu einem verkniffenen Ausdruck verzogen hatte, trat sie vor, um zu sehen, was ihn gestört hatte.
Der Esstisch, in dessen Mitte drei Serviertabletts standen, war mit fünf Tellern gedeckt. Das Besteck lag an die Tellerränder gestützt, als wären die Bewohner während einer Mahlzeit gestört worden. Das Gedeck war voller Staub, und neben den verschrumpelten, ledernen Klumpen, die kaum noch als Fleisch zu erkennen waren, befanden sich dunkle Flecke – eingetrocknete Soßen oder verdorbenes Gemüse, dachte Mara. Eines der Gläser war zerbrochen, und die Scherben lagen auf dem cremefarbenen Tischtuch verstreut.
»Wow«, flüsterte Mara und beugte sich näher heran, um das vertrocknete Essen zu untersuchen. »Es sieht aus, als wären sie bei der Mahlzeit gestört worden und nie zurückgekehrt.«
Neil gab einen unglücklichen Laut von sich, und als Mara nach vorn griff, um einen der getrockneten Klumpen anzustupsen, packte er ihre Hand. »Fass das nicht an!«
»Warum? Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es nicht aufessen werden.«
»Mara«, zischte Neil und versuchte, sich sein ängstliches Lachen zu verkneifen.
»Okay, okay. Schauen wir uns den Rest des Hauses an. Ich kann nicht glauben, dass die Besitzer das Haus einfach so zurückgelassen haben. Kein Wunder, dass sie das Gebäude nicht verkaufen können.«
Neil hatte seinen Griff um Maras Hand nicht gelöst, und sie versuchte nicht, sich zu befreien. Sie mochte es, wie sich seine Finger anfühlten. Sie waren rau und schwielig von der Holzbearbeitung und herrlich stark. Der Kontrast zwischen Neils einschüchternden körperlichen Attributen und seiner zuckersüßen Persönlichkeit erregte sie immer wieder.
Sie führte ihn zur Treppe an der Rückseite der Eingangshalle. Das Holz knirschte unter ihren Füßen, und Mara hielt nach der vierten Stufe inne. »Das wird doch nicht einstürzen, oder?«
Neil wippte versuchsweise auf der Stufe. »Wohl kaum. Mit der Konstruktion scheint alles in Ordnung zu sein, nur das Holz ist alt.«
»Gut.« Mara stieg weiter hinauf und hielt auf halber Strecke noch einmal inne, um ein Spinnennetz zur Seite zu wischen. Am oberen Ende der Treppe öffnete sich ein langer Flur mit mehreren Türen in beiden Richtungen. Mara ging durch die erste und fand ein vollständig eingerichtetes Schlafzimmer vor. Sie rümpfte die Nase beim Anblick der vielen toten Motten, die den Boden übersäten. »Wie lange wird es her sein, dass jemand hier wohnte?«
»Das muss schon eine Weile her sein.« Neil ließ ihre Hand los, um die Schranktür zu öffnen. Ein halbes Dutzend Motten flatterte heraus, und er scheuchte sie weg. »Ich würde sagen, mindestens ein Jahrzehnt.«
Mara ging zum Fenster. Es bot einen Blick auf den hinteren Garten – oder das, was davon übrig war. Der Wald hinter dem Haus nahm ihn allmählich in Beschlag. Das Unkraut wuchs so hoch, dass sie dachte, es würde ihr bis zur Taille reichen. Kleine Bäume wuchsen aus dem Rasen, und Sträucher gruppierten sich um das, was einst vermutlich eine Steinbank gewesen war. Die Lichtung hatte jedoch eine gute Größe. Groß genug, um einen Gemüsegarten und eine Veranda anzulegen.
»Weißt du, wie weit der Wald reicht?«, fragte Mara.
»Wahrscheinlich ein ganzes Stück.« Neil klang abgelenkt, und Mara drehte sich um. Er stand mit dem Gesicht zur Tür. Seine Finger fuhren über eine Ansammlung von Spuren auf dem Holz, dann zog er die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. Er trat von der Tür weg, seine Nasenlöcher blähten sich und er blickte finster drein. »Da ist Blut in den Ritzen.«
»Was?« Sie schob ihn beiseite und beugte sich zur Tür hinab. Im Holz waren lange Kratzer zu sehen. Die weiße Farbe war eindeutig gereinigt worden, aber in den Kerben waren winzige Flecken von etwas Dunklem zurückgeblieben.
Sie drehte sich wieder zu Neil herum, der mit den Daumen über seine kurzen Fingernägel fuhr. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengezogen.
»Was? Glaubst du, jemand war in diesem Raum eingesperrt und versuchte rauszukommen?«
Er antwortete nicht, also nahm Mara seine Hand, um die unruhige Bewegung zu stoppen. »Komm schon. Das Haus ist seltsam und es macht dich nervös. Diese Kratzer stammen wahrscheinlich von einem Hund, und die schwarzen Flecken sind Schmutz, den sie nicht wegschrubben konnten.«
»Wahrscheinlich.« Neil stieß die Tür mit dem Fuß auf, und Mara hatte den leisen Verdacht, dass er ihrer Theorie nicht traute. »Willst du mehr vom Haus sehen?«
»Aber ja.« Mara folgte dem Flur und schaute beim Vorbeigehen in jedes der Zimmer. Einige waren leer, andere waren komplett möbliert. In einem stand ein altes, verrostetes Kinderbett unter dem Fenster, in dessen Ecke eine Puppe mit toten Augen saß.
Dies ist ein prachtvolles Gebäude. Warum steht es schon so lange leer? Ein Mörder war hier vier Jahre lang zu Hause, aber es muss noch mehr dahinterstecken.
Mara drehte sich um und fand Neil, der am Eingang auf sie wartete. »Hey, Neil, was weißt du über den Kerl, der hier wohnte?«
»Robert Kant? Nicht viel. In den frühen 1900er-Jahren gab es in dieser Gegend eine Reihe von Vermisstenfällen, vor allem Kinder, die man schließlich Kant zuschrieb. Er ist so etwas wie eine lokale Legende.«
»Jenny sagte, er habe die letzten vier Jahre seines Lebens hier verbracht. Glaubst du, er hat in diesem Haus jemanden getötet?«
Neils Lächeln wirkte gezwungen. »Wahrscheinlich. Möglicherweise. Ich glaube, ich habe gehört, dass eines seiner geplanten Opfer entkommen ist und der Polizei seinen Aufenthaltsort verraten hat. Das könnte dieses Haus gewesen sein.«
»Ach.« Mara wandte sich wieder dem Kinderbett zu.
»Schatz, Liebling – warum die Fragen?«
»Ich möchte nur herausfinden, warum niemand das Haus gekauft hat. Ich kann mir denken, dass es ein paar Jahre lang leer stand. Aber so lange? Was stimmt denn damit nicht?« Mara beugte sich vor, um die Puppe aufzuheben, aber das Quietschen von Reifen unterbrach sie. Sie spähte durch das Fenster und sah Jenny Atemlos aus ihrem pinkfarbenen Auto steigen.
»Komm schon«, sagte Mara. »Wir gehen besser zu Jenny, bevor sie sich das Genick bricht. Ich kann nicht glauben, dass sie Stöckelschuhe trägt, um ein Haus wie dieses zu besichtigen.«
4
Angebote
Sie waren an der Haustür angelangt, als Jenny sich dem Ende des Zugangsweges näherte. Wie Mara vorhergesagt hatte, führte die pummelige Frau mittleren Alters einen fast aussichtslosen Kampf, um in den Schuhen auf den weißen Steinen nicht auszurutschen. Diesmal hatte sie einen Grund, außer Atem zu sein, als sie die beiden begrüßte. »Oh, da sind Sie ja, meine Liebe. Und Sie, äh, haben schon ins Haus gefunden.«
»Die Tür war nicht abgeschlossen.« Mara streckte ihre Hand aus, um die von Jenny zu schütteln, und trat dann zur Seite, damit Neil dasselbe tun konnte. Ihr blieb nicht verborgen, dass Neil ein viel wärmeres Lächeln erhielt.
»Nun, das ist … Sie sollte eigentlich abgeschlossen sein … Nun ja. So haben Sie einen Startvorteil bei der Besichtigung. Das ist gut.«
Jenny wirkte, als würde sie sich am liebsten hinsetzen, gab sich aber alle Mühe, das mit Spinnweben übersäte Holz nicht zu berühren. Sie zupfte an der Vorderseite ihrer Bluse, um den Stoff aufzufächern, während sie sich ein aufgesetztes Lächeln ins Gesicht zauberte. »Etwas schwül heute, was? Nun gut. Das ist also Blackwood House. Es wurde Ende des 19. Jahrhunderts von einem Holzfäller erbaut. Wie Sie sehen, ist es für sein Alter erstaunlich gut erhalten.«
Eine einzelne Schindel, die sich hoch oben nicht mehr halten konnte, rutschte vom Rand des Daches und fiel auf die Einfahrt hinter ihnen. Jenny tat so, als würde sie es nicht bemerken.
»Ich weiß, dass Sie möglichst schnell ein Haus finden wollen. Ich habe gehört, dass die Sanitäranlagen noch funktionieren – die letzten Besitzer haben sie erneuert –, aber ich fürchte, es gibt keinen Strom. Allerdings haben Sie einen wunderbaren Kamin, der Sie nachts warm hält, und natürlich ist es hervorragend isoliert.«
Mara warf einen Blick nach oben auf die vielen Löcher, die im Dach klafften. Es kostete sie viel Selbstbeherrschung, sich auf die Zunge zu beißen.
»Ich weiß ja, dass es für junge Leute wichtig ist, ständig online zu sein. Es wird Sie freuen zu hören, dass Blackwood House hervorragend mit dem Internet kompatibel ist.«
»Ach du liebe Zeit«, murmelte Mara gerade laut genug, dass Neil es hören konnte. Er unterdrückte ein Lächeln, als er ihre Hand nahm.
Jenny Atemlos hatte ihr Handy aus der Tasche gefischt, um es zu demonstrieren, und runzelte die Stirn, als sie die fehlenden Empfangsbalken sah. »Ah, das heißt, es ist normalerweise kompatibel. Das Internet hat heute wohl ein paar Probleme mit der Stromversorgung.«
»Ach du liebe Zeit«, wiederholte Mara. Neil drückte ihre Hand fester.
Jenny steckte ihr Handy mit einem nervösen Kichern weg. »Als ich das letzte Mal hier war, hat es funktioniert. Auch wenn das schon ein Weilchen her ist. Aber ich bin mir sicher, dass Sie jemanden finden werden, der Ihnen ein paar zusätzliche Internetanschlüsse installiert, falls Sie die brauchen.«
Mara war sprachlos. Neil räusperte sich, damit Jenny nicht den ungläubigen, entgeisterten Blick auf Maras Gesicht bemerkte. »Sie sagten, die letzten Besitzer hätten die Sanitäranlagen erneuert. Wie lange ist das her?«
»Nun, mal sehen … Ich schätze, das war vor etwas über 20 Jahren.«
Neil pfiff. »Es steht also schon eine Weile leer.«
»Ja, also, meine Liebe …« Jennys Augen huschten zum Haus, und Mara bemerkte darin einen Angstschimmer. »Die … Die Todesfälle, wissen Sie? Es ist nicht … Das heißt …« Sie sammelte sich und fuhr mit froher Stimme fort. »Aber es ist doch perfekt für ein junges Paar wie Sie. Es gibt viel Platz für eine große Familie.«
»Also hat Robert Kant hier Leute umgebracht«, sagte Mara.
Jennys Lächeln erlosch. »Wie bitte?«
»Sie haben gesagt, es habe hier Tote gegeben. Wie viele?«
»Oh, nun ja.« Jenny fischte einen zerknitterten Vertrag aus der Tasche und fächelte sich damit Luft zu. »Furchtbar schwül heute, nicht wahr? Und ich, äh, glaube, es waren sechs Opfer. Plus eines, das entkommen konnte.«
»Waren es alles Kinder?« Mara kam einen halben Schritt näher, und Jenny wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Nun ja, ich bin mir sicher, wir können die Details für Sie nachschlagen, wenn Sie wirklich …«
Jenny brach ab, und Mara ließ das Schweigen länger anhalten, bis es unangenehm wurde.
»Nicht alle«, sagte Jenny schließlich und fächelte so schnell, dass der Vertrag sinnlos flatterte. »Das Erste war der ursprüngliche Besitzer des Hauses. Dann … tötete Kant drei Jungen und zwei Mädchen. Alle unter 15 Jahren. Das letzte … geplante Opfer konnte entkommen und die Polizei benachrichtigen.«
»Sechs Opfer in vier Jahren«, überlegte Mara und blickte wieder zum Haus. »Und Sie haben gesagt, Robert Kant wurde gehängt?«
Neil erbarmte sich der schwitzenden Maklerin. »Er hat sich erhängt, bevor die Polizei ihn erreicht hat«, murmelte er. »Schatz, das ist ein bisschen morbid. Wir können die Details später nachlesen, wenn du willst.«
»Nein, schon gut. Nur zur Klarstellung: Nachdem er den ursprünglichen Besitzer des Hauses getötet hatte, zog Kant in das Haus ein? Und niemand wusste davon?«
Jenny wirkte angewidert, aber sie nickte.
»Wow. Das waren damals andere Zeiten, was?« Maras Hirn arbeitete auf Hochtouren. Sie verschränkte die Arme und betrachtete das Haus. Sechs Morde und der Tod des Mörders selbst würden den niedrigen Preis des Hauses erklären. Sie würde noch einen Gutachter beauftragen müssen, um nach weiteren Problemen zu suchen, aber es war nicht mehr ganz so unverständlich, warum niemand die Immobilie kaufen wollte.
Aber das ist nichts, was mich abschreckt. Es sind nur Ziegel und Holz. Ja, hier sind Menschen gestorben – und ja, Kinder sind hier gestorben. Aber in fast jedem alten Haus in diesem Land sind Menschen gestorben. Die Geschichte eines Hauses kann seinem zukünftigen Potenzial als Zuhause nichts anhaben.
»Wie viel?«, fragte sie.
Überrascht hörte Jenny auf, sich Luft zuzufächeln. »Wie bitte, meine Liebe?«
»Wie viel kostet das Haus?«
»Sie … Äh, nun … Die Preisvorstellung liegt deutlich unter Ihrem Budget. Und der Besitzer ist auch offen für Verhandlungen.«
Mara gestikulierte in Richtung des Rasens, der vor ihnen lag. »Und wie viel Land gehört zum Grundstück?«
Jennys Wimperntusche begann, sich aufzulösen, als ihr der Schweiß in die Augen lief, aber sie schaffte es, ihr Lächeln aufrechtzuerhalten. »Ich kann Ihnen die genauen Vermessungsunterlagen im Büro besorgen, aber es sind etwas weniger als zwei Hektar. Es erstreckt sich entlang der Auffahrt und ein Stück in den Wald hinter dem Haus.«
»Gut, danke. Können wir uns noch einmal umsehen?«
»Aber sicher, meine Liebe.« Jenny rüttelte an der Türklinke, aber sie ließ sich nicht drehen. Blinzelnd fragte sie: »Haben Sie die Tür hinter sich abgeschlossen?«
Mara und Neil sahen sich kopfschüttelnd an.
»Oh … Wie merkwürdig. Nun ja, sie sollte sowieso abgeschlossen sein. Einen Moment.« Jenny zog einen rostigen Metallschlüssel aus ihrer Tasche und steckte ihn ins Schloss. Es öffnete sich scharrend, Jenny schob die Tür nach innen und trat zurück, damit Mara und Neil vor ihr hineingehen konnten.
Mara erhaschte einen flüchtigen Blick auf Jennys zitternde, manikürte Finger. Wie sie dieses Haus hassen muss. »Es ist schon sehr schwül«, sagte sie, als sie an Jenny vorbeiging. »Möchten Sie draußen bleiben, wo ein Lüftchen weht? Neil und ich, wir können uns selber umschauen.«
Diesmal war das Lächeln echt. »Aber sicher doch, meine Lieben. Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie möchten.«
Die Tür fiel hinter ihnen knarrend ins Schloss und ließ das leise Summen der Insekten und das Rascheln der Bäume verstummen. Mara holte tief Luft und wandte sich Neil zu. »Also, was meinst du?«
Seine Augenbrauen hoben sich. »Du ziehst das Objekt tatsächlich in Betracht?«
»Du nicht?« Sie lachte. »Das ist fast wie eine Villa zum Preis einer Eigentumswohnung. Knapp zwei Hektar! Und es ist von Bäumen umgeben. Du sagst immer, ich sollte gesünder leben. Bäume sind gesund.«
»Stört dich das Haus wirklich nicht? Beunruhigt dich seine Geschichte nicht?«
»Überhaupt nicht.« Mara zuckte mit den Schultern. »Du weißt, ich bin nicht abergläubisch. Das ist eine einmalige Chance, Neil. Ich weiß, es ist sehr viel größer als das, was ich eigentlich brauche, aber soll ich es wirklich zugunsten einer engen kleinen Zweizimmerwohnung ablehnen?«
Neil schüttelte den Kopf, aber sein Gesicht hatte ein breites Lächeln angenommen. »Du bist bemerkenswert, Mara. Gut, dann schaue ich mich um und stelle sicher, dass das Haus nicht über uns zusammenbrechen wird.«
Mara verbrachte die folgende halbe Stunde damit, sich von Raum zu Raum treiben zu lassen, während Neil gegen die Wände trat und Schränke öffnete. Alle paar Minuten gab er ein unterdrücktes Geräusch des Ekels von sich, wenn er bei der Suche tote Mäuse und Kakerlaken entdeckte.
Je mehr sie von dem Haus sah, desto mehr war Mara fasziniert. Es hatte einen fast magnetischen Charme. Selbst die Mängel – das verzogene Holz, die schiefen Schranktüren und die altmodischen Möbel – trugen zu seinem Reiz bei. Sie spürte, wie ihr Puls in die Höhe schnellte, als sie mit den Fingern über das staubige Treppengeländer strich. Mein Haus. Ja, das fühlt sich irgendwie richtig an … Dies ist mein Haus.
Neil kam voller Staub durch den Eingang zum Esszimmer. Er wischte sich die Hände an der Hose ab. »Okay. Die Grundstruktur scheint solide zu sein. Es gibt etwas Holzfäule, aber eigentlich ist es viel besser, als ich erwartet hätte. Ich kann keine Anzeichen für Termiten finden, aber das sollte wahrscheinlich sowieso ein Experte überprüfen. Das Dach habe ich mir noch nicht angeschaut. Nach dem, was wir von außen gesehen haben, schätze ich, dass es ziemlich viel Arbeit benötigt. Aber ich kann nichts Gravierendes finden, das dagegenspricht.«
Maras Herz klopfte wie wild. Ein aufgeregtes, albernes Lächeln brodelte in ihr, bis sie es nicht mehr zurückhalten konnte. »Neil, ich werde dieses Haus kaufen.«
»Du wirst das Haus kaufen?«
»Ich werde das Haus kaufen!« Sie warf sich auf Neil. Er fing sie auf und wirbelte sie herum, als wäre sie gewichtslos. Sie atmete zu schwer, um seinen Kuss erwidern zu können, und schon bald lachten sie beide.
»Herzlichen Glückwunsch, Liebling.« Neil umarmte sie noch einmal fest, bevor er sie wieder auf dem Boden absetzte. »Es wird eine Menge Arbeit nötig sein, um es bewohnbar zu machen, aber wir können es in den nächsten Monaten in Ordnung bringen.«
»Wir?«, wiederholte Mara.
Neil schnaufte und strich ihr die losen Haarsträhnen aus der Stirn. »Ich werde dich nicht damit alleinlassen, dieses Chaos zu beseitigen. Joel wird nichts dagegen haben, wenn ich meine Arbeitszeit ein wenig reduziere, und ich kann Werkzeug von der Arbeit mitbringen, wenn nötig.«
Mara zögerte. »Bist du dir sicher? Das ist viel Arbeit, und ich kann dich nicht bezahlen …«
»Vetternwirtschaft hält die Welt in Schwung, Liebling. Lass mich das für dich tun. Wenn es dir lieber ist, kannst du es als dein Geburtstagsgeschenk betrachten.« Als Mara zögerte, beugte sich Neil auf ihre Höhe hinunter und lächelte ihr in die Augen. »Außerdem habe ich dann eine Ausrede, um mehr Zeit mit dir zu verbringen. Und das ist alles, was ich wirklich will.«
»Gut, gut, in Ordnung.« Mara zog Neil zu sich und küsste ihn. Seine Lippen waren warm und geschmeidig, und sie spürte, wie er sich an sie schmiegte, während sie mit den Händen in sein Haar griff. Es war ein köstliches Gefühl. Widerstrebend zog sie sich zurück. »Danke.«
»Jederzeit.« Neil grinste. »Willst du unserer armen Maklerin die Nachricht überbringen?«
»Haha, ja. Dieser Ort jagt ihr wirklich einen Schrecken ein. Sie hat sich die Provision wahrlich verdient.«
5
Geschichte
Sie fanden Jenny auf der Veranda, wo sie fieberhaft an einer Zigarette saugend auf und ab ging. Sie drückte sie auf dem Geländer aus, als Neil sich räusperte. »Und? Wie sieht es aus? Entspricht wohl nicht ganz Ihren Vorstellungen.«
Mara konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Doch, es ist toll. Ich nehme es.«
Jennys Augenbrauen schossen in die Höhe. Sie blinzelte zweimal, bevor sie wieder ihr Lächeln aufsetzte, und lachte dann nervös. »Wirklich? Sie wollen es?«
Mara zuckte mit den Schultern. »Ja. Ich will es.«
»Oh. Oh, okay! Toll! Das ist ja fantastisch! Wollen wir …?«
Obwohl sie das Objekt in ihrem Verkaufsgespräch so positiv wie möglich angepriesen hatte, schien Jenny auf das Interesse ihrer Kundin völlig unvorbereitet zu sein. Sie schaute von Mara zum Haus und wieder zurück, und ihr Lächeln verblasste langsam.
Es war nicht der Ausdruck, den Mara erwartet hatte. Sie hatte gedacht, Jenny Atemlos würde mit Freude ein Haus loswerden, das ihr offensichtlich nicht gefiel. Stattdessen wirkte sie verängstigt.
Mist! Das Haus dürfte also doch einen schwerwiegenden Mangel haben. Ich hätte es wissen müssen, denn es ist zu schön, um wahr zu sein. Was ist es? Wird es überschwemmt? Asbest? Tollwütige Eichhörnchen im Wald?
»Meine Liebe«, sagte Jenny so sanft wie möglich. »Ich muss Sie warnen …Nein, warnen ist nicht das richtige Wort … Das heißt …«
»Ja?«, fragte Mara. Neil rückte näher heran und strich mit seiner Hand über ihren Rücken. Sie atmete tief und langsam ein und sagte in einem freundlicheren Ton: »Was ist, Jenny?«
Jenny, die keine Skrupel mehr hatte, vor Kunden zu rauchen, fischte eine neue Zigarette aus der Handtasche. Sie zündete sie an, nahm einen kurzen Zug und sagte: »Ich möchte Sie nicht abschrecken, aber Sie sollten wissen, dass es Geschichten über dieses Haus gibt. Die Vorbesitzer haben hier seltsame Dinge erlebt – das behaupten sie zumindest. Übernatürlicher Natur.«
Mara ahnte, worauf das Gespräch hinauslaufen würde. Neil drückte ihre Schulter. Bleib ruhig, sagte die Geste.
»Hier spukt es also, hm?« Mara schaffte es, im Ton höflich zu bleiben, aber ihr Lächeln war angespannt. »Okay. Kein Problem. Wie wäre es, wenn wir zurück ins Büro gehen und ein paar Papiere unterschreiben? Sie sehen wie jemand aus, der einen guten Vertrag zu schätzen weiß.«
Jennys Lächeln wurde schwächer. »Ich versuche nur zu helfen, meine Liebe. Sie können nicht aus dieser Gegend sein, sonst wüssten Sie, dass das Haus keinen guten Ruf hat.«
»Das glaube ich gern.«
»Blackwood House war schon im Portfolio unserer Agentur, als ich als Maklerin anfing. Es war schon damals berüchtigt. Und nach dem, was die letzte Familie durchgemacht hat …«
»Hey, soll ich das Haus nun kaufen oder nicht?«
Jenny saugte an ihrer Zigarette und blies einen langen Rauchschwall in Richtung der Bäume. Sie schaffte es, ihre Stimme beim Sprechen wieder in einen hellen, freundlichen Tonfall zu bringen. »Es ist ein ausgezeichnetes Anwesen. Und ein absolutes Schnäppchen für den Preis. Aber ich bin sowohl moralisch als auch rechtlich verpflichtet, Sie über alle Hindernisse zu informieren, die einer für beide Seiten glücklichen Transaktion im Wege stehen.«
»Gut, schießen Sie los.« Mara verschränkte die Arme. Sie wusste, dass ihr Lächeln eher einer Grimasse glich, aber nicht einmal Neils immer fester werdender Druck konnte sie beruhigen. »Informieren Sie mich. Ist es Ektoplasma? Tropft Blut von der Decke?«