Essstörung – bin ich betroffen? - Michaela Schubert - E-Book

Essstörung – bin ich betroffen? E-Book

Michaela Schubert

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Beschreibung

Essstörungen sind eine gesamtgesellschaftliche Problematik, die kaum jemand wahrhaben möchte. Die Dunkelziffer ist hoch, und meist werden die ersten Hinweise auf eine Essstörung von den Betroffenen nicht wahrgenommen oder vom Umfeld nicht rechtzeitig erkannt. Die Autorin, die in ihrer Vergangenheit selbst von einer Essstörung betroffen war, liefert mit diesem Buch einen grundlegenden, komprimierten Einblick in das Thema. Mithilfe ihrer drei Avatare Rexi, Limi und Eati, die stellvertretend für die drei Varianten der Essstörung stehen, zeigt Michaela Schubert in einer oft schockierenden Direktheit sämtliche Alltagsfacetten einer solcher Krankheit auf. Sie erfahren, wie sich eine Essstörung in das Leben einschleicht, warum sich Hungern, Erbrechen und Essen zu einer Sucht entwickeln kann, wie sich der Alltag Betroffener darstellt und vieles mehr. In der Summe erhalten Sie mit diesem Buch ein kurzweiliges Nachschlagewerk, das mit zahlreichen Fallbeispielen viel Aufklärungs- und Präventionsarbeit leistet.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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ESSSTÖRUNG – BIN ICH BETROFFEN?, Michaela Schubert

Neuauflage des Titels „Esstörungen – was ist das?“

Taschenbuchausgabe ©2023 dielus edition, Bosestraße 5, 04109 Leipzig.

Impressum siehe auch: www.dielus.com

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Dadurch begründete Rechte, insbesondere der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Vervielfältigungen des Werkes oder von Teilen des Werkes sind auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie sind grundsätzlich vergütungspflichtig.

Lektorat:

         

Maren Klingelhöfer, www.maren-klingelhoefer.de

ISBN:

   

978-3-9825308-5-7

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://portal.dnb.de

INHALT

VORWORT

1 EINFÜHRUNG

2 ESS-BRECHT-SUCHT

3 MAGERSUCHT

4 ESSANFALLSTÖRUNG

5 HILFEMÖGLICHKEITEN

6 ESSSTÖRUNGEN IM ÜBERBLICK

VORWORT

Ich selbst war von einer Essstörung betroffen und machte mich viele Jahre für die Prävention von solchen Suchterkankungen stark. Ich ging an die Öffentlichkeit und berichtete beispielsweise an Schulen von meinen Erfahrungen in diesem Bereich.

Ich kann mit meiner eigenen Geschichte anderen helfen – sei es durch Abschreckung oder als Vorbild, indem ich aufzeige, wie man sich Hilfe zur Bewältigung der Essstörung holen kann. Obwohl ich in diesem Themenbereich mittlerweile nicht mehr aktiv bin, so wird mir Aufklärung und Prävention immer am Herzen liegen.

Die Regale der Buchläden und Bibliotheken sind voll von Sachbüchern jeglicher Art. Also, warum noch ein weiteres Buch? Ganz einfach, weil ich eine gesamtgesellschaftliche Problematik präventiv aufgreifen möchte, die kaum jemand wahrhaben möchte.

Essstörungen sind schambesetzt und werden deshalb oft totgeschwiegen. Die Dunkelziffer der Betroffenen ist unsagbar hoch. In den Medien kursieren lediglich Halbwahrheiten. Das geht sogar so weit, dass sich Journalisten einem Experiment unterziehen, um sich wie eine essgestörte Person zu fühlen. Doch Essstörungen sind kein Experiment, denn man ist schneller in dem Kreislauf drin, als einem lieb ist. Keiner, wirklich keiner, ist davor gefeit.

Ich weiß, wie schwer der erste Schritt heraus aus der Sucht ist. Ich weiß aber auch, dass sich dieser Schritt lohnt. Es gibt ein Leben nach der Essstörung, aber viel schöner wäre es natürlich, erst gar nicht daran zu erkranken.

Das Unwissen in Bezug auf diese Thematik ist erschreckend. Das möchte ich ändern. Auch wenn man Essstörungen nicht verhindern kann, lässt sich der Blick dafür doch sensibilisieren. Essstörungen gehen alle etwas an, egal ob das unmittelbare Umfeld betroffen ist oder nicht.

Ich habe mich hinsichtlich der Anrede in diesem Buch für das vertrauensvolle „Du” entschieden. Zwar kennen wir uns nicht, aber ich werde von sehr intimen und persönlichen Erfahrungen berichten und dabei kein Blatt vor dem Mund nehmen.

Auch wenn ich hier nicht jedes Detail aufgreifen kann, wirst du viele schonungslose Fakten rund um das Thema Essstörungen erfahren. Somit gewährt dir dieses Buch einen grundlegenden ersten Blick hinter die schützende Fassade. Nicht ich erzähle dir die Einzelheiten, sondern meine – neudeutsch – Avatare übernehmen es. Ich nenne Sie Rexi, Limi und Eati:

Logisch, meine Erfahrungen und die derjenigen, die mich in diesem Projekt unterstützen, fließen mit in die Bekenntnisse der Figuren ein. Auch wenn Rexi & Co. mein Sprachrohr sind: Das, was sie berichten, ist die nackte Wahrheit.

Zuerst erläutere ich in der Einführung vorausbestimmte, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren und weitere Grundlagen der Essstörungen. Dann folgen drei große Kapitel, in denen die jeweilige Figur für eine bestimmte Essstörung steht. In jedem Kapitel arbeite ich mich Stück für Stück durch das ABC der jeweiligen Störung. Das heißt, ich handele die typischen Aspekte dieser Essstörungen in den drei Kapiteln immer alphabetisch ab.

Als Erstes stellt sich Rexi mit ihrer Magersucht vor. Hast du gewusst, dass es Magersucht bereits seit Menschengedenken gibt? Nicht selten wird aus einer anfänglichen Magersucht eine Ess-Brech-Sucht. Warum, erläutert dir Limi ausführlich. Die letzte Essstörung, auf die speziell Eati eingeht, ist die Essanfallstörung.

In diesem Buch wird nichts beschönigt. Klare, deutliche und treffsichere Worte sprechen für sich. Essstörungen sind heute fast jedem ein Begriff, aber über die ekligen Hintergründe möchte kaum einer etwas wissen. Wegsehen hilft keinem, außer der Essstörung, denn diese verbreitet sich vor allem unbeachtet fröhlich weiter – wie ein lästiger Hefepilz. Sie wird größer und größer, bis sie dir alles nimmt, was dir einst heilig und wichtig war.

Nun wünsche ich dir eine interessante Lesezeit!

Michaela Schubert

Kapitel 1: Einführung

ESSSTÖRUNGEN, BITTE WAS?!

Fakt ist: Essstörungen sind mittlerweile sehr weit verbreitet. Deshalb reicht es nicht, nur Schüler und Eltern über die Symptomatik einer Essstörung aufzuklären, denn Essstörungen betreffen auch dich als:

○pädagogische und medizinische Fachkraft,

○Privatperson,

○Vereinsmitglied etc.

Wusstest du, dass bereits viele Jugendliche einzelne Symptome einer Essstörung aufweisen? Bei ca. einem Fünftel aller 11- bis 17-Jährigen sind erste Anzeichen, die auf eine Essstörung hindeuten, vorhanden. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie des Robert Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Erschreckend, oder?

Weißt du, was sich tatsächlich hinter einer Essstörung verbirgt? Glaubst du, Teenager und junge Erwachsene kennen sich mit der Thematik aus?

Bist du der Meinung, dass das Lehrbuchwissen zur Prävention ausreicht?

ESSGESTÖRTES VERHALTEN VS. ESSSTÖRUNG

Ein großer Unterschied liegt bereits in der Bezeichnung essgestörtes Verhalten und Essstörung. Du denkst, beides sagt das Gleiche aus? Weit gefehlt.

Essgestörtes Verhalten bedeutet: Das Essverhalten unterscheidet sich kurzzeitig von der gewohnten Nahrungsaufnahme. Dies ist beispielsweise der Fall bei:

○Diäten,

○gezügeltem oder hastigem Essen,

○unregelmäßigen Mahlzeiten,

○Auslassen von Mahlzeiten.

Typische Begleiterscheinungen sind:

○eine realitätsfremde Körperwahrnehmung,

○eine hyperkritische Einstellung zum eigenen Körper,

○die perfekte Figur über alles stellen,

○eine ständige gedankliche Auseinandersetzung mit Essen, Lebensmitteln, Gewichtsreduktion.

Essstörungen dagegen …

○sind langanhaltend und haben Suchtcharakter.

○suchen sich die betroffenen Frauen, Männer und Kinder nicht bewusst aus.

○zählen vor allem in der westlichen Gesellschaft zu den häufigsten psychosomatischen Erkrankungen.

○ziehen ein gestörtes Verhältnis zum Essen und zum eigenen Körper nach sich.

○haben schwere psychische, körperliche sowie soziale Folgen.

Also Achtung: Nicht jeder, der eine Diät macht, hat gleich eine Essstörung. Zwischen essgestörtem Verhalten und Essstörung ist es eine Gratwanderung, es handelt sich um einen langsamen und schleichenden Prozess.

DIE ARTEN DER ESSSTÖRUNG IM ÜBERBLICK

Hauptformen:

○Magersucht (Anorexia nervosa)

○Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa)

○Essanfallstörung (Binge Eating Disorder)

○Pica-Syndrom

○Orthorexia nervosa

Misch- und Unterformen:

○Drunkorexie

○Bulimarexie

○Sportanorexie (Anorexia athletica)

○Sportbulimie (Exercise-Bulimie)

○Chewing and spitting

○Night-Eating-Syndrom

○Biggerexie

Weitere problematische Essensmuster:

○Selektives Essverhalten: Es wird nur eine begrenzte Auswahl an Lebensmitteln gegessen.

○Restriktives Essverhalten: Es erfolgt nur eine geringe Kalorienzufuhr ohne körperliche Defizite.

○Essphobie: Man ekelt sich aus unterschiedlichen Gründen vor Lebensmitteln.

○Psychogener Appetitverlust: Bei bestimmten Ereignissen scheint eine Nahrungsaufnahme schier unmöglich, beispielsweise bei zu viel Stress, psychischen Problemen.

Ich beschränke mich hauptsächlich auf die ersten drei Essstörungen, weil diese am geläufigsten sind: Magersucht, Ess-Brech-Sucht und Essanfallstörung.

WARUM SUCHT?

Wenn du den Begriff Sucht hörst oder liest, an was denkst du zuerst? An Drogensucht? Alkoholsucht? Spielsucht? Handysucht? Zigarettensucht? Oder etwa an Sexsucht oder Kaufsucht?

Vielleicht denkst du, Essstörungen gehören eher zu den schlechten Angewohnheiten? Wenn das tatsächlich so einfach wäre, würde es den Umgang mit Essstörungen erheblich erleichtern. Doch selbst dann wäre es gar nicht so leicht.

Denn stell dir einmal folgende Frage: Kannst du eine liebgewonnene Angewohnheit von jetzt auf gleich abstellen?

Du brauchst dich nur an deine jährlichen guten Vorsätze zu erinnern. Hältst du dich wirklich ab dem ersten Januar daran, oder verschiebst du sie immer wieder?

Fakt ist: Essstörungen gehören zu den stoffungebundenen Süchten und sind durch zwanghafte Verhaltensweisen wie extremes Hungern oder exzessives Essen gekennzeichnet. Diese können kurzzeitig berauschend und befreiend wirken. Viele Menschen denken, damit, einfach wieder normal zu essen, sei das Problem erledigt. Schön wär´s!

Das Belohnungszentrum im Kopf einer essgestörten Person reagiert ähnlich wie bei stoffgebundenen Abhängigen, die nach Substanzen wie Heroin, LSD, Crystal Meth, Nikotin oder Alkohol süchtig sind.

Daher können Essanfälle oder Hungern genauso abhängig machen wie Zigaretten. Das Fatale dabei: Wir müssen essen, um zu leben. Ein Raucher hat die Möglichkeit, ein gesundes und erfülltes Leben ohne Zigaretten zu führen. Essgestörte Menschen sind dagegen ihr ganzes Leben lang auf die Droge Essen angewiesen.

Die tägliche Konfrontation mit den Mahlzeiten ist für Essgestörte die Hölle: entweder, weil sie nichts herunterbekommen aus Angst, an Gewicht zuzulegen, oder weil sie befürchten, einer Essattacke zu erliegen.

WIE ENTSTEHT EINE ESSSTÖRUNG?

Eine Essstörung entsteht nicht über Nacht. Sie ist auch nicht mit Tabletten oder irgendwelchen Wundermittelchen zu heilen. Eine Essstörung entwickelt sich langsam, wie ein Geschwür. Keiner wacht morgens auf und entschließt sich: „Guten Morgen liebe Sonne, weißt du was? Ab heute leide ich unter einer Essstörung.“

Hinter jeder Essstörung steckt eine individuelle Lebenserfahrung, ein schwerwiegendes Problem oder ein unverarbeitetes Trauma, mit dem die Person nicht klarkommt. Mithilfe der Essstörung versucht sie, sich auszudrücken, möchte endlich gesehen werden oder die Beachtung erhalten, die sie sich so sehr wünscht. So makaber das auch klingen mag, eine Essstörung gibt dem Betroffenen für einen kleinen Augenblick das, was er – bewusst oder unbewusst – so sehr vermisst. Wenn alles aus dem Ruder zu laufen droht, die Essstörung ist eine Konstante, sie ist immer da.

Wie letztendlich eine Essstörung im Einzelfall entsteht, kann keiner beantworten, denn jeder geht mit Schicksalsschlägen oder anderen auslösenden Faktoren, wie beispielsweise Mobbing, anders um. Eine Essstörung hat unzählige Gesichter und ebenso viele mögliche Ursachen. Als Beispiele dienen die fiktiven Figuren Rexi, Limi und Eati, die im Weiteren von ihren Erfahrungen berichten.

REXI, LIMI UND EATI

Rexi ist:

○weiblich und introvertiert,

○diszipliniert, ehrgeizig, zerbrechlich,

○perfektionistisch, schüchtern, zurückhaltend,

○ein typisches Mauerblümchen, angepasst.

Rexi rutschte mit 8 Jahren in die Magersucht. Bis zu ihrem 10. Geburtstag war ihre Welt dennoch halbwegs in Ordnung.

Die darauffolgenden Jahre waren die reinste Hölle aus häuslicher Gewalt, sexuellen Übergriffen und ausgiebigen Alkoholexzessen. Rexis alkoholkranke Mutter und deren tyrannischer Lebensgefährte zerstörten ihre Kindheit und jegliche familiäre Verbundenheit. Als sie das 18. Lebensjahr erreichte, zog Rexi mit 55 kg bei einer Größe von 1,70 m von zu Hause aus.

In den darauffolgenden Monaten fing sie sich und aß mit gutem Gewissen. Mit 20 hatte Rexi 66 kg auf den Rippen und fühlte sich unsagbar fett. Also beschloss sie, ihr Gewicht wieder radikal zu reduzieren.

Mit Erfolg, in nur 10 Wochen verlor sie 20 Kilo, indem sie kaum etwas aß und wahnsinnig viel Sport trieb. Rexi war besessen, endlich schlank und erfolgreich zu sein.

Bei 42 kg war dann Schluss. Sie war nun am Ende und begab sich in eine 30-wöchige Therapie. Nach anfänglichem Gewichtsverlust wurde Rexi letzten Endes mit 55 Kilo entlassen. Sie brauchte weitere lange 10 Jahre, um die Magersucht endgültig zu besiegen.

Limi ist:

○weiblich, extrovertiert, eitel, modebewusst,

○auf die Meinung der anderen angewiesen,

○hilfsbereit – auch weil sie es jedem recht machen möchte,

○chaotisch, impulsiv, abenteuerlustig, rebellisch.

Limi wuchs mit der Bulimie auf. Ihre Mutter aß und erbrach in regelmäßigen Abständen. Sie verheimlichte es nicht. Zu Hause wurde das Essverhalten der Mutter akzeptiert.

Limis Kindheit war geprägt von sexuellen Erfahrungen, die sie nicht verarbeiten konnte. Die Mutter war nicht für Limi da, als sie dringend gebraucht wird.

Mit 11 Jahren erbrach sich Limi das erste Mal vorsätzlich und ab ihrem 16. Lebensjahr regelmäßig. Ungefähr mit 18 Jahren erbrach sie sich bis zu 20-mal pro Tag. Erst mit 25 Jahren getraute sich Limi, zu ihrer Sucht zu stehen. Bis zur Therapie vergingen noch weitere drei Jahre.

Seit ihrem 34. Lebensjahr ist sie halbwegs von der Bulimie weg. Noch kann sie nicht von sich behaupten, es komplett aus dem Sumpf geschafft zu haben. Jedoch ist Limi auf einem sehr guten Weg.

Eati ist:

○männlich, erfolgsorientiert – auch weil er Angst hat zu scheitern,

○nach außen fröhlich und unbeschwert, innerlich einsam,

○ohne Selbstwertgefühl, ohne Selbstvertrauen,

○durch seine Erfahrungen skeptisch und misstrauisch.

Eati ist das Nesthäkchen der Familie und war viel allein. Seine Einsamkeit überbrückte er mit ständigem Essen. Bereits als Kind gehörte er eher zu der schwereren Fraktion. So richtig fett war er nicht, aber kräftig. Zumindest reichte es aus, um ständig und überall gehänselt zu werden.

Seinen ersten Essanfall hatte er nach einer Sportstunde. Von da an wiederholten sich die Attacken, anfangs unregelmäßig. Je älter er wurde, je häufiger verlor Eati die Kontrolle. Sein Gewicht schwankt ständig, schon allein, weil er unzählige Diäten ausprobiert. In stationärer Therapie war er noch nicht, aber mittlerweile geht Eati einmal pro Monat zu einer Psychologin.

VORAUSBESTIMMTE (PRÄDISPONIERENDE) FAKTOREN

Die vorausbestimmten (prädisponierenden) Faktoren lassen sich am anorektischen Beispiel Rexi gut erklären: Rexi lebte mit ihrer Mutter und deren Lebensgefährten in einem kleinen Dorf. Beide waren Alkoholiker. Sie wurde als Kind überhaupt nicht wahrgenommen. Jeden Tag gab es Ärger, weil sie wieder etwas falsch gemacht hatte. Mütterliche Liebe und Zuneigung erfuhr sie kaum. Sie ist also in einer instabilen Familie aufgewachsen, in der sie auf Aggression und Ablehnung stieß. Der Grundstein für eine mögliche Magersucht wurde dadurch gelegt. Den Tagesverlauf ihrer Kindheit konnte sie nicht bestimmen, aber sie konnte sich bewusst entscheiden, ob sie essen möchte oder nicht. Dazu konnte sie keiner zwingen. Davon abgesehen interessierte es keinen, ob oder was sie aß.

AUSLÖSENDE UND GENETISCHE FAKTOREN

Die auslösenden und genetischen Faktoren werden am bulimischen Beispiel Limi deutlich: Limis Mutter leidet wie ihre Tochter an Ess-Brech-Sucht. Limi wuchs also mit der Sucht ihrer Mutter auf. Essanfälle und Erbrechen gehörten für sie zum Alltag, anfangs nur als Koabhängige.

In der frühen Pubertät bekam Limi (nach einem auslösenden Erlebnis) ihren ersten Essanfall und erbrach wie ihre Mutter anschließend alles wieder. Wenn es ihre Mutter so machte, kann nichts Verwerfliches daran sein, dachte Limi.

Ob Essstörungen vererbbar sind, wissen die Mediziner noch nicht. Viele Untersuchungen wurden dazu in der Vergangenheit durchgeführt, jedoch ohne eindeutiges Ergebnis.

Bei Limi kann die Ess-Brecht-Sucht einerseits vererbt sein, anderseits besteht die Möglichkeit, dass sie durch die Vorbildfunktion der Mutter in die Essstörung gerutscht ist.

AUFRECHTERHALTENDE FAKTOREN

Die aufrechterhaltenden Faktoren der Essstörung lassen sich am Binge-Eating-Beispiel Eati nachvollziehen: Eati war oft allein zu Hause. Seine Eltern arbeiteten den ganzen Tag und hatten wenig Zeit für ihn. Für seinen Ärger und seine Schwierigkeiten hatte er keinen Ansprechpartner.

Immer dann, wenn die Probleme für Eati unerträglich groß wurden, begann er, übermäßig viel zu essen, um sich betäuben zu können.

Im Laufe der Zeit manifestierten sich die Essattacken bei belastenden Stresssituationen. Eati ist unfähig, seine Belastungen mit anderen Strategien als Essen zu bewältigen. Dadurch verliert er immer dann die Kontrolle, wenn er keinen anderen Ausweg sieht, seine negativen Emotionen abzubauen.

ES SIND IMMER MEHRERE FAKTOREN VERANTWORTLICH

Die Ursachen für eine Essstörung sind so facettenreich wie Essstörungen selbst:

○Häusliche Gewalt, Mobbing, Cybermobbing,

○Konflikte im sozialen Umfeld, Verlust eines Verwandten, Freundes, Bekannten, Haustieres,

○Schul-, Jobprobleme, Orts-, Schul-, Jobwechsel,

○Traumatische Erlebnisse, Vernachlässigung sowie Überfürsorge.

Rexi wollte sich durch das Hungern unsichtbar machen, um wahrgenommen zu werden und dadurch wenigstens ein bisschen Kontrolle über ihr Leben zu bekommen. Für dich mag das widersprüchlich klingen. Für Rexi dagegen war es die einzige Möglichkeit, die sie sah: ein stummer Schrei nach Anerkennung und Liebe. Rexi wünschte sich nichts sehnlicher als eine liebevolle Mutter, die sich um sie kümmerte.

Bei Limi war es u. a. eine schlimme Erfahrung, die sie als junges Mädchen durchmachte. Als sie noch keine 10 Jahre alt war, wurde sie vom Freund ihrer Mutter sexuell belästigt. Immer und immer wieder musste sie den Typen zwischen den Beinen streicheln, wenn ihre Mutter schlief. Limi fühlte sich dreckig. Der Druck in ihr wurde größer. Eines Tages traf sie nach der Schule auf einen Entblößer. An diesem Nachmittag aß und erbrach sie das erste Mal, weil sie das Gefühl hatte, sonst zu platzen.

Eati wuchs in einer intakten Familie auf: Mutter, Vater, zwei ältere Geschwister und ein Hund. Seine Eltern waren den ganzen Tag auf der Arbeit, und seine Geschwister hatten ihr eigenes Leben.

Es war an einem Freitagvormittag im Sportunterricht. Eati hasste Sport und vor allem Geräteturnen. Er wusste, dass er dicker war als seine Mitschüler. Dafür schämte er sich ein wenig. Vor allem im Sport, wenn alles an ihm wackelte.

Hochsprung war gerade dran. In dem Moment als er loslief, hörte er den Lehrer sagen: „Jetzt wird der Boden gleich beben, unser Moppelchen ist an der Reihe.“ Eati verpatzte den Sprung und kullerte unbeholfen von der Matte. Seine Klassenkameraden und auch der Sportlehrer lachten, als wäre etwas Komisches geschehen. Eati rannte in die Umkleidekabine, zog sich um und schwänzte den restlichen Schultag. Zu Hause stopfte er alles in sich hinein, was er fand, bis sein Magen schmerzte. Im Essen fand Eati Trost.

Ein einzelner kritischer Faktor löst noch keine Essstörung aus. Die Kombination mit weiteren individuellen Auslösern, wie Persönlichkeit, Lebensumfeld, genetische Veranlagungen, ist bei der Entstehung entscheidend. Deshalb muss stets die ganze Person betrachtet werden.

Eati hätte beispielsweise anders auf das Auslachen reagiert, wenn er selbstbewusster wäre. Vielleicht hätte er mitgelacht, sich wieder in die Reihe gestellt und hätte ein zweites Mal versucht, über die Latte zu springen.

Jeder von uns geht anders mit schwierigen Situationen um. Selbst eineiige Zwillinge reagieren bzw. agieren nicht identisch.

Genauso verhält es sich mit Diäten. Nicht alle Abnehmwillige, die eine Gewichtsreduktion nach Plan verfolgen, sind am Ende essgestört.

So möchte ich an dieser Stelle noch einmal unterstreichen: Viele persönliche Probleme, das vorherrschende Schönheitsideal sowie die unterschiedlichsten Diäten und Ernährungsmythen können zu einer Essstörung führen, müssen es aber nicht. Weder ist den Medien die alleinige Schuld zu geben noch pauschal den Eltern oder gar den Betroffenen selbst. So wie Schönheit im Auge des Betrachters liegt, ist der Umgang mit Notlagen von Person zu Person unterschiedlich. Dennoch ist keiner vor einer Essstörung gefeit.

Nachdem du nun über die Grundlagen der Essstörungen Bescheid weißt, bist du bereit für das detaillierte ABC der Essstörung. Das heißt, auf den nächsten Seiten wird dir ein schonungsloser Blick hinter die Fassade der Essstörungen gewährt.

Kapitel 2: ESS-BRECH-SUCHT

Ess-Brech-Sucht ist auch noch unter folgenden Namen bekannt:

○Bulimie

○Ochsenhunger oder Stierhunger (griech. bous = Ochse, limos = Hunger)

○Bulimarexie, Bulimia nervosa (= nervlich bedingter Ochsenhunger)

Formen der Ess-Brech-Sucht:

○Purging-Typ (to purge = abführen, säubern, entfernen; typische Form)

○Non-Purging-Typ (kein abführendes, säuberndes, entfernendes Verhalten, also kein Erbrechen oder Missbrauch von Abführmittel; kommt eher selten vor)

○Atypische Bulimia nervosa (nicht alle klassischen Merkmale einer Ess-Brech-Sucht sind diagnostisch erfüllt)

MERKMALE DER ESS-BRECH-SUCHT

Die Ess-Brech-Sucht wird seit 1980 als eigenständige Krankheit betrachtet. Früher galt sie als Unterform der Magersucht, die in der Literatur schon viel eher beschrieben wurde.

Einige Merkmale, die das Essverhalten betreffen:

○Limi verschwindet während oder unmittelbar nach dem Essen sofort ins Bad.

○Limi isst heimlich (Essanfälle mit Kontrollverlust).

○Häufig verwendet sie Ausreden, damit sie nicht in Gesellschaft essen muss.

Einige allgemeine Anzeichen:

○Sie ist unzufrieden mit sich selbst, deshalb ist sie ständig im Diätmodus und wiegt sich häufig.

○Sie verwendet Abführmittel, Appetitzügler und wassertreibende Medikamente.

○Sie besitzt einen stark ausgeprägten Bewegungsdrang.

○Sie schottet sich ab.

Einige körperliche Kennzeichen:

○Limis Gewicht schwankt stark.

○Sie leidet häufig unter Kreislaufproblemen und Konzentrationsschwäche.

○Sie hat Zahnschäden und Zahnfleischbluten.

○Sie ist oft heiser.

Die oben aufgeführten Merkmale sind besonders sensibel zu betrachten, denn sie können ein Indikator für Bulimie sein, müssen es aber nicht.

Wie ich bereits auch bei der Magersucht erwähnte: Die aufgelisteten Anzeichen sind nicht vollständig. Viele weitere Gesichtspunkte sowie diverse fachärztliche Untersuchungen müssen für eine endgültige Diagnose herangezogen werden.

Mit einer Ess-Brech-Sucht ist nicht zu spaßen. Sie treibt dich in eine düstere Schattenwelt und entreißt dir das Licht der Hoffnung.

A WIE ABSICHTEN

„Ess-Brech-Sucht – ach, das ist doch nur eine Modeerscheinung! Und eine Auswirkung unserer Überflussgesellschaft. Oder nur der Versuch, anders zu sein als alle anderen. Es geht denen doch nur um Aufmerksamkeit.“

Fasten, Hungern und der Verzicht auf leckeres Essen hat Hochkonjunktur. Wenige Kohlenhydrate, am Abend keine Kohlenhydrate oder noch besser: überhaupt keine Kohlenhydrate. Ab 17.00 Uhr macht jeder lieber einen riesengroßen Bogen um sämtliche Nahrungsmittel, denn die Fettverbrennung ist bis zum nächsten Morgen 6.00 Uhr nicht mehr aktiv. Die Bevölkerung würde sogar glauben, dass Mainzelmännchen im Magen Uno spielen, ohne sich Licht zu machen, wenn es irgendeinen Nutzen verspräche. Du lachst? Das würde ich auch, wenn es nicht bitterernste Realität wäre.

Der extreme Verzicht funktioniert bei den meisten Menschen nur einen begrenzten Zeitraum. Ganz schnell gewinnt die Sehnsucht nach vollen Tellern und genussvoller Schlemmerei wieder die Oberhand. Das hat zur Folge, dass die begonnene Diät ein jähes Ende findet, während die neue bereits in den Startlöchern steht.

Welche Anforderungen werden überhaupt an eine Diät gestellt? Sie muss satt machen, Abwechslung bieten und sich den Wünschen und Gewohnheiten des Diäthaltenden unterordnen. Und das Wichtigste: In null Komma nichts müssen seine fiesen Speckröllchen verschwunden sein – natürlich ohne dass er sich großartig anstrengen muss. Seine alten Gewohnheiten darf er getrost behalten, und den inneren Schweinehund muss er selbstverständlich nicht überwinden.

In der Realität sieht es anders aus: Diäten von der Stange (mit allgemeinen Ratschlägen) werden meist so schnell wieder abgebrochen, wie sie angefangen wurden.

„Um einen von der Gesellschaft anerkannten Körper zu bekommen, muss man sich nur einer universellen Ernährungsumstellung unterziehen.“ So wird es in den unterschiedlichsten Medien von verschiedenen prominenten Persönlichkeiten propagiert. Doch Limi ist von diesen Werbeversprechen alles andere als überzeugt. Indem sie isst und alles wieder erbricht, kann sie so viel essen, wie sie will, und bleibt trotzdem schlank.

Was möchten Menschen durch ihre Bulimie erreichen – was sind ihre Absichten? Bei der Bulimie wird alles dafür getan, eine Gewichtszunahme zu verhindern. Wie bei der Anaroxia nervosa handelt es sich um ein suchtartiges Verhalten. Typisch für diese Form der Essstörung ist jedoch auch das hastige, anfallartige Vertilgen von hochkalorischen Lebensmitteln.

Dies steht im krassen Widerspruch zu der Angst, an Gewicht zuzunehmen. Deshalb muss nach dem Anfall die aufgenommene Nahrung den Körper wieder verlassen bzw. sofort in Bewegungsenergie umgewandelt werden.

Das geschieht durch Erbrechen, Einnahme von Abführmitteln, Diuretika oder extremen Sport.

Limi berichtet:

Meine Mutter schob mal wieder einen Fressanfall. Alles, was ihr in die Finger kam, stopfte sie in ihren Mund. Ich ging in mein Zimmer, ich konnte es nicht mehr mit ansehen.

---ENDE DER LESEPROBE---