Etymologische Streifzüge - Tomaso Mattarucco - E-Book

Etymologische Streifzüge E-Book

Tomaso Mattarucco

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Beschreibung

Woher kommt die deutsche Sprache? Was ist das präindoeuropäische Substrat? Und was haben die Indoeuropäer mit der heutigen deutschen Sprache zu tun? Wie kommt es, dass unsere Sprache so reich an Entlehnungen ist? Tomaso Mattarucco gibt klare, verständliche, auf die essenziellen Fakten konzentrierte Antworten auf all diese Fragen und versetzt den Leser in die Lage, die Entwicklung des Deutschen in ihren Grundzügen nachzuvollziehen und den roten Faden zu erkennen, der seit mehreren tausend Jahren ununterbrochen bis zu uns führt. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte unserer Sprachen ermöglicht uns, unsere eigene Identität besser zu verstehen und das Zusammenspiel von Sprache und außersprachlicher Wirklichkeit zu begreifen.

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Seitenzahl: 128

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ibidem-Verlag, Stuttgart

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Probleme der Etymologie und archäologische Linguistik

Kapitel 2 Anmerkungen zur Geschichte der deutschen Sprache

Kapitel 3 Etymologische Streifzüge: Zur Geschichte einiger Wörter im Deutschen

Kapitel 4 Arabische Entlehnungen ins Deutsche: ein historischer Überblick

Bibliografie

Impressum

 

 

 

 

 

Für Paul, Julius und Anne

 

Vorwort

Die Geschichte unserer Sprachen, der indoeuropäischen und der nicht-indoeuropäischen, ist die Geschichte eines langen Prozesses der ständigen Neumodellierung, der Verdrängung, der Begegnung. Es ist die Geschichte einer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung, die nicht nur die besondere politische, militärische und historische Konstellation eines bestimmten Volkes wiedergibt, sondern uns auch in die Lage versetzt, unsere sprachlichen Kenntnisse immer wieder in Frage zu stellen und zu ergänzen, unsere Vergangenheit zu erforschen und unser Selbstbild zu revidieren.

Das Ziel dieser Arbeit besteht primär darin, die Geschichte des Deutschen in Grundzügen zu thematisieren und die Entwicklung einiger Wörter in den passenden historischen Kontext einzuordnen, so dass bestimmte lexikalische Merkmale unserer heutigen Sprache erklärt werden können.

Die Entwicklung der deutschen Sprache ist so faszinierend, dass manch eine etymologische Erklärung fast einen anekdotischen Charakter aufweist: Auch in diesem Fall kann der Leser konstatieren, dass eine ausführliche Analyse solide Kenntnisse auf dem Gebiet der Geschichte, der Linguistik und der Philologie voraussetzt; nur auf diese Weise kann der Sprachwissenschaftler eine nahezu lückenlose und effektive Rekonstruktion vornehmen. Diese Arbeit wendet sich nicht an Experten, sondern vor allem an Deutschstudenten und an Leser, die sich mit der Geschichte der deutschen Sprache kaum auseinandergesetzt haben. Es werden hauptsächlich historische Zusammenhänge betont, die in der Fachliteratur teilweise zu kurz kommen.

Diese diachronische Betrachtung soll also dem heutigen Leser helfen, mehr über die Sprache zu erfahren und zugleich sein Sensorium für linguistische Probleme und sprachgeschichtliche Herausforderungen zu verfeinern.

Wenn dieses ehrgeizige Anliegen von unserer Seite auch nur im Ansatz erfüllt wird, wird unser Ziel erreicht.

 

„Bacone aveva ragione a dire che il

primo dovere del sapiente è imparare le lingue.“

Umberto Eco, Il nome della rosa

 

„Weil für das Sein des Da, das heißt Befindlichkeit und Verstehen, die Rede konstitutiv ist, Dasein aber besagt: In-der-Welt-sein, hat das Sein als redendes In-Sein sich schon ausgesprochen. Das Dasein hat Sprache. Ist es Zufall, dass die Griechen, deren alltägliches Existieren sich vorwiegend in das Miteinanderreden verlegt hatte, und die zugleich „Augen hatten“, zu sehen, in der vorphilosophischen sowohl wie in der philosophischen Daseinsauslegung das Wesen des Menschen bestimmten als ζῷον λóγον ἒχον? Die spätere Auslegung dieser Definition des Menschen im Sinne von animal rationale, „vernünftiges Lebewesen“, ist zwar nicht „falsch“, aber sie verdeckt den phänomenalen Boden, dem diese Definition des Daseins entnommen ist. Der Mensch zeigt sich als Seiendes, das redet.“

Martin Heidegger, Sein und Zeit

 

Kapitel 1Probleme der Etymologie und archäologische Linguistik

Salimbene aus Parma (1221-1288) erzählt in seiner Chronik die mittlerweile berühmte Anekdote (eigentlich handelt es sich um ein Apophthegma), dass Friedrich II. Hohenstaufen, Enkel Friedrichs Rotbart und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, in seinem unstillbaren Wissensdurst einigen Hebammen den Befehl erteilte, Neugeborene mit Essen und Trinken vollständig zu versorgen, mit ihnen jedoch kein Wort zu wechseln. Friedrich war überzeugt, dass die Säuglinge irgendwann von allein sprechen würden. Die Frage war: in welcher Sprache? Hebräisch, Latein, Griechisch oder Arabisch (genau diese Sprachen standen zur Auswahl; Friedrich II. war ein sehr guter Kenner des Arabischen, er beeindruckte mit seinen Arabischkenntnissen während des sechsten Kreuzzuges den Sultan Al-Kamil so sehr, dass dieser keine Probleme sah, mit Friedrich ein Abkommen einzugehen, das 1229 die friedliche Übergabe von Jerusalem vorsah; weil Jerusalem ohne Kampfhandlungen erobert wurde, ärgerte sich Papst Gregor IX.)? Falls diese Kinder keinem sprachlichen Einfluss ausgesetzt waren, konnte man auf diese Art und Weise herausfinden, welche Sprache die natürliche, die echte, ja die ursprüngliche war. Diese Säuglinge sprachen jedoch überhaupt nicht und überlebten nicht einmal die ersten Monate.

In dem Kapitel Brücken zur menschlichen Sprache aus dem sehr aufschlussreichen Sachbuch Der dritte Schimpanse schreibt der Evolutionsbiologe Jared Diamond:

Der griechische Geschichtsschreiber Herodot weiß vom Experiment des ägyptischen Königs Psammetich zu berichten, mit dem dieser herausfinden wollte, welche die älteste Sprache der Welt sei. Der König ließ zwei Neugeborene in die Obhut eines Schafhirten geben, dem aufgetragen wurde, sie unter vollkommenem Stillschweigen aufzuziehen und darauf zu achten, welche Wörter sie als erstes sprechen würden. Wie ihm befohlen, berichtete der Hirte, dass beide Kinder die ersten zwei Jahre nichts als unverständliches Geplapper von sich gegeben hatten und dann eines Tages zu ihm gelaufen waren und anfingen, wieder und immer wieder Bekos zu sagen. Da dieses Wort im Phrygischen, der damals in Inneranatolien gesprochenen Sprache, „Brot“ bedeutet, soll Psammetich den Phrygiern zugestanden haben, das älteste Volk der Welt zu sein.1

Ob dieses Experiment auf die von Herodot beschriebene Weise tatsächlich durchgeführt wurde und die berichtete Folge hatte, ist allerdings zu bezweifeln.

Hunderte von Philosophen und Literaten versuchten in der Vergangenheit, die erste menschliche Sprache zu identifizieren. Da man damals über wenig bis kein naturwissenschaftliches oder linguistisches Wissen verfügte, wurden verschiedene und vielfältige Hypothesen aufgestellt, die sich vor allem auf das Buch aller Bücher, die Bibel, stützten. So wurde Hebräisch als die Protosprache der Menschheit identifiziert, aus der alle anderen Sprachen stammen mussten. War das Alte Testament nicht auf Althebräisch geschrieben worden (aber auch auf Aramäisch)? Wenn die Bibel die „Geschichte“ des göttlichen Schöpfungsaktes darstellt, dann muss Hebräisch zwangsweise die erste Sprache gewesen sein. Wie man sieht, handelte es sich dabei um genau den Denkfehler, den der Erzbischof James Ussher (1581-1656) beging, als er ausgehend von der Heiligen Schrift die Entstehung der Erde genau auf den 23. Oktober 4004 v.Chr. festlegte (ein Datum, das heute für Kreationisten immer noch gilt). So verfasste der Gelehrte Guillaume Postel (1510-1581) im Jahre 1538 das weniger bekannte Werk De originibus seu de Hebraicae linguae et gentis antiquitate, in welchem eine deutliche Abstammung der hebräischen Sprache von Noah postuliert wurde. Eine heilige Sprache also, die es wert war, gelernt und beherrscht zu werden, zumal das allgemeine Studium der antiken Sprachen in dieser Zeit, auch aus theologischen Gründen, stark intensiviert wurde. Damit verbunden war natürlich die Vorstellung, dass alle Sprachen der Welt aus diesem Protohebräischen stammten bzw. stammen mussten. Die etymologischen Annahmen, die zu dem expliziten Zweck des Nachweises dieser These postuliert wurden, waren allenfalls pseudowissenschaftlich. Mit der Zeit wurden ähnliche Theorien entworfen, die sich fast alle in dieselbe Richtung bewegten. Irgendwann, im Laufe des 16. Jahrhunderts, wurden diese Thesen in Frage gestellt. Vermutet wurde, dass die Menschheit doch älter sein könnte. Chinesisch wurde sogar als Protosprache vorgeschlagen. Was diesen Theorien zugrunde lag, war die Vorstellung einer Ursprache, welche an einem bestimmten Ort entstanden und dann weitergegeben und mit der Zeit weiterentwickelt bzw. modifiziert wurde. All diese Thesen können unter die Theorie der Monogenese subsumiert werden, die heute, wenn auch in anderer Form und mit anderen Argumenten, in der Wissenschaft als seriöse Hypothese gilt.

Die komplementäre, gegensätzliche Theorie ist als Polygenese bekannt. Sie besagt, dass die Sprachen der Welt sich unabhängig voneinander entwickelt haben, vielleicht sogar zu verschiedenen Zeiten. Wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass die Schrift in unabhängiger Weise sechs Mal entstanden ist, nämlich im präindoeuropäischen Europa, in Mesopotamien, in Ägypten, in Indien, in China und im präkolumbischen Mittelamerika, könnte man der Theorie der Polygenese sogar Glauben schenken. Die endgütigen Beweise jedoch fehlen. Die Frage muss also heute noch offen bleiben.

Der Sprachwissenschaft gelang im 18. Jahrhundert der Durchbruch, als der berühmte William Jones, erfahrener Richter und talentierter Linguist in Kalkutta,2 die Hypothese formulierte – das wird an dieser Stelle genau berichtet , auf die Gefahr hin, etwas Bekanntes zu wiederholen –, dass Altgriechisch, Sanskrit, Persisch und Latein miteinander verwandt sein mussten; es war keineswegs zu übersehen – aber die Idee war sogar vor Jones ausgesprochen worden –, dass sowohl lexikalische als auch syntaktische Ähnlichkeiten in diesen vier Sprachen vorhanden waren. Wenn man die gegenseitige Entfernung der Wiegen dieser Sprachen berücksichtigt, wie kann man diese strukturellen Parallelen erklären? Auf lexikalischer Ebene kann man dieses Postulat leicht nachweisen. Man beachte folgende exemplarische Tabelle:

Latein

Griechisch

Sanskrit

unus

εἷς

एक

duo

δύο

द्वि

tres

τρεῖς

त्रयं

sex

ἕξ

षष्

septem

ἑπτά

सप्तन्

octo

ὀκτώ

अष्ट

decem

δέχα

दश

pater

πατήρ

पितृ

mater

μήτηρ

मातृ

nurus

νυός

स्नुषा

vidua

(fehlt)

विधवा

Auch dem Nicht-Linguisten wird die frappierende lexikalische Parallelität auffallen. Es ist jedoch nicht nur eine Frage des Wortschatzes. Auch syntaktische Ähnlichkeiten ließen die damaligen Sprachforscher eine eventuelle Verwandtschaft zwischen diesen Sprachen postulieren.

Ein einfaches, aber konkretes Beispiel mag dies veranschaulichen:

Man nehme folgenden lateinischen Satz:

Medicus amicum valere putat.

Die griechische Entsprechung ist:

Ό ίατρòς νομίζει τòν φίλον ὑγιαίνειν.

Man bemerkt sofort die syntaktische Entsprechung mit der Accusativuscum infinitivo-Konstruktion. Man darf nicht vergessen, dass die Fälle in nicht-indoeuropäischen Sprachen wie dem Baskischen eine ganz andere Funktion und eine ganz andere Bedeutung haben.

Noch ein Beispiel: Selbst bei einer relativ seltenen Konstruktion wie dem sogenannten Genitivus criminis kann man eine auffallende grammatikalische Parallelität konstatieren:

 

Latein

Griechisch

Reus furti absolutus est.

ὁ φεύγων ἀπελύθη κλοπῆς.

 

Da die Parallelen in vielen syntaktischen und grammatikalischen Fällen nahezu systematisch sind, so wie in den angeführten Beispielen, kann man nicht mehr von Zufall sprechen.

 

Im Jahr 1876 sagte William Jones (es folgt ein Auszug aus der berühmten Rede bei der Royal Asiatic Society of Bengala, in der er die indogermanische Linguistik sozusagen inaugurierte):

 

„Das Sanskritische hat eine hervorragende Struktur, die noch perfekter als Griechisch, breiter als Latein und viel entwickelter als beide ist. Überdies beweist es im Vergleich zu den anderen sowohl bezüglich des Stammes der Verben als auch in der Grammatik eine so enge Ähnlichkeit, dass es unmöglich ist, diese als zufällig zu bezeichnen. Kein Philologe könnte diese drei Sprachen analysieren, ohne in Betracht zu ziehen, dass sie einer gemeinsamen Quelle entspringen, die heute ausgestorben ist. Ähnliche Gründe lassen vermuten, dass sowohl Gotisch als auch Keltisch, obgleich mit unterschiedlichen Sprachen gemischt, dieselbe Herkunft haben wie Sanskrit. Zu dieser Sprachfamilie gehört auch das Altpersische.“

 

Es lässt sich überdies belegen, dass dem talentierten spanischen Jesuiten Lorenzo Hervás y Panduro (1735-1809), der heute immer noch als Sprachgenie gilt, da er über 40 Sprachen nahezu perfekt beherrschte und deren Grammatik in seinen linguistischen Werken ausführlich beschrieb, unter anderem Philosophie lehrte, weiterführende Studien auf dem Bereich der komparativen Sprachwissenschaft betrieb und die genetische Verwandtschaft der malaiischen und polynesischen Sprachen entdeckte, was als seine Spitzenleistung angesehen wird, auffiel, dass Hebräisch, Chaldäisch, Syrisch und Arabisch miteinander verwandt sind und zur selben Sprachfamilie gehören. Vermutlich bemerkte er, dass auch die Parallelitäten zwischen Griechisch und Sanskrit nicht dem Zufall zuzuschreiben waren.3

 

Wie man leicht feststellen kann, machte die komparative Linguistik im 18. und 19. Jahrhundert Riesenschritte, so dass bald die ersten Zusammenhänge zwischen den Sprachen theoretisiert werden konnten. Es stellte sich bald heraus, dass sich die meisten europäischen und viele vorderasiatische und fernorientalische Sprachen auf eine Ursprache zurückverfolgen ließen, die irgendwann gesprochen, aber nicht geschrieben, wurde: Indoeuropäisch (auch: indogermanisch). Diese Sprache ist mit den Methoden der Komparation rekonstruiert worden. Franz Bopp (1791-1867; 1816 erschien in Frankfurt am Main sein Werk Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jedem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache) und Rasmus Christian Rask (1787-1832) gelten, zusammen mit William Jones, auch als Pioniere auf dem Gebiet der Indogermanistik.

 

Um sich eine Vorstellung dieser Ursprache zu machen, wird hier eine inzwischen bekannte Fabel wiedergegeben, die vom Linguisten August Schleicher (1821-1868) in rekonstruiertem Urindogermanisch erfunden wurde:

Owis eḱwōskʷe

Gʷərēi owis, kʷesjo wl̥hnā ne ēst, eḱwōns espeḱet, oinom ghe gʷr̥um woǵhom weǵhontm̥, oinomkʷe meǵam bhorom, oinomkʷe ǵhm̥enm̥ ōḱu bherontm̥.

Owis nu eḱwobh(j)os (eḱwomos) ewewkʷet: "Ḱēr aghnutoi moi eḱwōns aǵontm̥ nerm̥ widn̥tei". Eḱwōs tu ewewkʷont: "Ḱludhi, owei, ḱēr ghe aghnutoi n̥smei widn̥tbh(j)os (widn̥tmos): nēr, potis, owiōm r̥ wl̥hnām sebhi gʷhermom westrom kʷrn̥euti. Neǵhi owiōm wl̥hnā esti". Tod ḱeḱluwōs owis aǵrom ebhuget.

 

Übersetzung:

 

Das Schaf und die Pferde

 

„Auf einem Berg sah ein Schaf, das keine Wolle hatte, Pferde, von denen eines einen Wagen zog, eines eine schwere Last trug und eines einen Mann geschwind trug.

Das Schaf sprach zu den Pferden: „Mein Herz schmerzt mich beim Anblick von einem Mann, der Pferde antreibt.“ Die Pferde sprachen: „Hör zu, Schaf, unsere Herzen schmerzen uns, wenn wir dies sehen: Ein Mann, der Herr, macht aus der Wolle vom Schaf warme Kleidung für sich selbst. Und das Schaf hat keine Wolle.“

Nachdem es das gehört hatte, floh das Schaf in die Ebene.“4

 

Man beachte die Wörter owis (es erinnert an das deutsche Wort Aue), eḱwōns (deutsch Pferd, auf Latein equus, aber auf Griechisch ἵππος) und Ḱēr (griechisch καρδίᾱ, deutsch Herz > Kardiologie), die die passende Entsprechung in unseren Sprachen haben. Außerdem erinnert aǵrom zweifellos an ὁἀγρός (dt. agrarisch, it. agricolo, agricoltura).

Dass eine antike Sprache ohne schriftliche Zeugnisse auf der Basis der komparativen Linguistik zum Teil rekonstruiert werden konnte, stellt eine der großartigsten Errungenschaften der Wissenschaft im 19. Jahrhundert dar. Doch muss man in diesem Fall vorsichtig sein. Möglicherweise haben wir ausgehend von der beschriebenen Methode nur eine vage Idee des Urindogermanischen. Die oben zitierte Fabel wurde vielleicht auf diese Art und Weise nie erzählt und ist später in der Tat von anderen Sprachhistorikern geändert bzw. modifiziert worden.

Der Linguist und Indogermanist Francisco Villar macht hierzu ein bei diesen Studien klassisch gewordenes Beispiel. Man nehme folgende Sätze:

 

Spanisch: Veo dos gendarmes a caballo.

 

Französisch: Je vois deux gendarmes à cheval.

 

Italienisch: Vedo due gendarmi a cavallo.

 

In diesem Fall könnte man in Versuchung geraten, einen solchen lateinischen Satz zu (re)konstruieren:

 

Latein: Video duas gentes de armas ad caballum.5

 

Das Problem ist, dass so ein Satz auf Latein nicht möglich ist. Der erfahrene Linguist ist also bezüglich der Möglichkeit einer korrekten und lückenlosen Rekonstruktion immer vorsichtig.

Was in diesem Kontext von Bedeutung ist, ist eher der so erworbene Überblick über die Abstammung der meisten indogermanischen Sprachen und der historischen Vorgänge, die die Entwicklung dieser Sprachen begünstigten bzw. ermöglichten.

Dank den Studien der Indogermanisten und der Archäologen – man denke an die hervorragende und bahnbrechende Arbeit von Marija Gimbutas – konnte die Urheimat der Indoeuropäer in den Steppen Südrusslands identifiziert werden. Die indoeuropäische Wiege war anscheinend die Kurgan-Kultur. Die moderne Forschung geht auch andere Wege, jedoch scheint sich diese These mit den archäologischen Funden zu decken, so dass im Prinzip kein Zweifel mehr besteht. Das historische Szenario sieht also folgendermaßen aus: Präindoeuropäische Stämme bevölkerten Europa. Woher sie genau kamen, kann man heute nur vermuten. Indogermanische Völker kamen vor ungefähr 6000 Jahren aus Südrussland und überfielen die raffinierte Zivilisation der Präindoeuropäer, vermischten sich mit ihnen und initiierten neue Ethnien. Diesen Prozess darf man sich nicht als allzu schnell und unvermittelt vorstellen; möglicherweise waren mehrere Ruhepausen dazwischen. Die Gründe für diesen Massenexodus der Indogermanen sind heute nicht ganz geklärt, obwohl viele interessante Hypothesen formuliert worden sind.

 

Charles Barber schreibt zum Beispiel: