Eukasia und die Rettung der Nordkoreanischen Marsfähre - Helmut Moldaschl - E-Book

Eukasia und die Rettung der Nordkoreanischen Marsfähre E-Book

Helmut Moldaschl

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Beschreibung

Wenige Tage vor dem Ende der ersten Marsmission entdeckt Deltono Randill eine Statue, die denen auf der irdischen Osterinsel gleicht. Mit diesem Fund wird die Geschichte des Mars und der Erde völlig neu geschrieben. 2040 startet dann die modernste Raumfähre aller Zeiten zum Mars. Doch zunächst stellt sich ein unerwartetes Problem.

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Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr. Weder der Autor noch der Verlag können für Nachteile oder Schäden Haftung übernehmen, ebenso nicht für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden.

1. Auflage

Mai 2017

Verlagsanschrift

Kreuzstraße 23 D-91077 Neunkirchen Deutschland

Internet

prozessmanagement.de

e-mail

[email protected]

Satz und Layout

© IPM Edition

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

1

Wenige Tage vor dem Ende der ersten Marsmission war Deltono Randill nochmals mit dem Rover in der Nähe der Habitate herumgefahren. Im diffusen braunroten Licht war das Gebilde eher unauffällig, doch bei näherer Betrachtung glich es wie ein Ei dem anderen den Statuen der irdischen Osterinsel. Deltono hatte es also einige Male fotografiert, auch kleine Proben genommen, war dann zur Fähre zurückgekehrt und hatte über seine Entdeckung berichtet.

Niemand in der Mannschaft hatte zunächst begriffen, dass dieser Fund, mit dem Randill später weltberühmt werden sollte, alle bisherigen Vermutungen über das Schicksal des Mars völlig auf den Kopf stellen und auch die Entwicklung der Erde bestimmen würde.

Dabei war diese erste Mission bis kurz vor ihrem Ende 2031 fast skandalös langweilig verlaufen. Zumindest hatten es die Zeitungen so dargestellt. An der fehlenden Planung der Experimente hätte es gelegen. Die Veranstalter hätten die Mission einfach herankommen lassen, in der Meinung, irgendwann würde sich irgendetwas ergeben um das Interesse der Finanziers zu wecken. Schließlich war es die erste bemannte Mission zu einem fremden Planeten, und das sollte genügen.

Das eigentliche Interesse der Politik und damit auch der Missionsleitung hatte indes nicht der Forschung gegolten, sondern der Fixierung von Gebietsansprüchen im gesamten Planetensystem. Das freilich war der Öffentlichkeit und auch der Presse nicht bekannt gewesen. Der Weltraum gehört uns war der Ehrgeiz hoher Politiker und des Militärs. Man wollte sich politisch positionieren, und dazu musste man der Erste sein. Der Sputnik-Schock steckte dem Westen seit fast hundert Jahren in den Knochen, Positionen sollten besetzt werden, also musste man die vorhandene Technik bis aufs Äußerste fordern. In der ersten Phase der Realisierung hatte man die Apollo-Technik aufgebohrt, die letzten Reserven aus ihr herausgeholt und war nun immens stolz und zufrieden, dass man mit diesen technisch kargen Mitteln die Landung auf dem Mars geschafft hatte.

Nach Beendigung der Mission Mars1 hieß es: Wir waren die Ersten und werden nun den Anspruch auf das Planetensystem anmelden..

Alle die finanziell involviert waren, hatten natürlich auch auf eine Sensation im Ablauf gewartet, eine solche war aber bis kurz vor Ende ausgeblieben, so dass die zahlenden Parteien laufend ihre Enttäuschung kundgetan hatten. Da war nichts explodiert oder abgestürzt und niemand richtig gestorben, worüber sollte man also jetzt berichten.

Die Presse fasste spöttisch zusammen, was sie schon vor Beginn der Mission erkannt haben wollte, dass nämlich einfach nichts zu finden wäre auf dieser Kugel, als der unendlich feine braune glasharte Sand. Fein wie Kaffeepulver würde er jede scheinbar unbezwingbare Oberfläche abschleifen und in jeden noch so engen Spalt hineinkriechen. Durch die verkratzten Gläser ihrer Helme würden die Marsfahrer nur die lähmend ockerfarbene Trostlosigkeit platt geschliffener Strukturen erkennen können. Ebenen. Gräben. Platten. Steine, und über diese Monotonie konnte auch ein magischer Horizont nicht hinwegtrösten, der zwar aus durchaus eindrucksvollen Gebirgsketten bestand und letztlich doch nur der optische Abschluss einer ewigen Einöde war.

Zudem gab es nicht den geringsten Hinweis auf jenes wertvolle Nass, das man versprochen und nun zwanghaft herbeizureden versucht hatte. Wasser war immerhin der Treiber für das Sponsoring des kostspieligen Unternehmens gewesen. Industrie auf dem Roten Planeten hatten die Zeitungen vorausgesagt, blühende Landschaften irgendeinmal. Angeblich sollte dieses Wasser irgendwo in der Tiefe schlummern und nur auf seine Erweckung warten. So war der irrwitzige Vorschlag entstanden, an der trockensten Stelle im Planetensystem danach zu graben.

Deshalb auch wohl hatte man Deltono dringend von einer weiteren Fahrt kurz vor Missionsschluss abgeraten. Sie wäre zu riskant. Es gäbe da nur Staub. Er solle es bleiben lassen, würde den Missionsablauf gefährden, doch hatte er das Plazet der Missionsleitung eingeholt, und eine Stunde nach seiner Abfahrt war er an dieser bemerkenswerten Felsformation vorbeigekommen.

Wenige Tage nach der Rückkehr zur Erde hatte sich die gesamte wissenschaftliche Welt auf seine Entdeckung gestürzt, und sofort stellten sich fundamentale Fragen zur Besiedlung des Mars, der Erde und aller anderen Planeten. Einen Treffer allererster wissenschaftlicher Ordnung, hatte es die Internationale Presse gleich genannt und wichtige Fragen gestellt:

War der Mars schon vor der Erde besiedelt?

Waren uns die Marsianer möglicherweise wissenschaftlich, technisch und kulturell weit voraus?

Weshalb ist der Planet aber nun so öde und leer!

Sie hatte das Ereignis also begeistert aufgegriffen, und immerhin war sie von ihrer monatelangen Häme-Kampagne auf den Belobigungsmodus umgeschwenkt. Jeder Wissenschaftler der etwas auf sich hielt, hatte sich des Themas angenommen, die Sequenz analysiert, in der Erde und Mars besiedelt und kultiviert worden sein mussten, und in diesem Kielwasser der Sensationen konnte die NASA ihre Ansprüche auf pekuniäre Unterstützung nachfolgender Missionsplanungen deutlich erweitern.

Die Missionsleitung hatte sich überdies ereifert darauf hinzuweisen, dass man im Grunde genommen dankbar zu sein hatte, dass alles so glatt und erfolgreich verlaufen war und man keine Katastrophe zu beklagen hatte, denn bei solch gefährlichen Unternehmen mit derart mangelhaftem Gerät, einer unzureichenden technischen Ausstattung und vor allem wegen des alten und schwachen Antriebs wäre ein Desaster keinesfalls auszuschließen gewesen. Man hätte also nun schleunigst nachzubessern, und dafür brauche man natürlich mehr Geld.

Führende politische Kreise waren in Geberlaune, da sich die USA mit dieser Mission zweifelsfrei politisch wirksam im Weltraum positioniert hatten. Bei den obligaten Stadtrundfahrten der Mannschaft hatte es stürmischen Beifall gegeben und eine Menge Blumen und weitere Missionsplanungen hatten einen spürbar größeren Drive erhalten.

Allerdings zischelten einige beleidigte Gegner der bemannten Raumfahrt, es wäre der blanke Zufall gewesen, denn die Mannschaft wäre doch nur wochenlang auftragsgemäß herumgekurvt, hätte im Habitat, deprimiert von der Sinn- und Nutzlosigkeit des Ganzen, wohl ab und zu einen ergebnislosen Blick in die trostlose Landschaft geworfen, und irgendwann hätte dann eben einer das Ding da gefunden.

Tatsächlich hatte das Unternehmen in seiner Endphase eine besondere Wendung genommen mit einer Entdeckung von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert, hatte alles bisher über die Entwicklung der Erde Gedachte über den Haufen geworfen, denn schließlich stand da eben auch auf dem Mars eine solche Figur, wie sie der Vogelkult auf der Erde hervorgebracht hatte, um Eindringlinge von der kargen Insel fernzuhalten. Die Mars Crew aber war in der Endphase des Unternehmens so übermüdet gewesen, dass sie die wissenschaftliche Wucht dieser Parallelität nicht annähernd erfassen konnte. Obwohl höchst naheliegend, wurde die logische Notwendigkeit der Existenz einer extraterrestrischen Intelligenz zunächst übersehen, und erst nach dem Ende der Mission wurde nach dem Urgrund der Figur gefragt.

Selbst als man Deltono Randill die Bedeutung seines Fundes erläutert hatte, konnte nicht einmal er als der Entdecker der Figur glauben mit einem Schlag das aktuelle Wissen über die ethnische Basis der Welt aus den Angeln gehoben und ein Vielfaches der Missionskosten eingespielt zu haben.

Er selbst hatte ohnehin stets Probleme mit dem Glauben an die Existenz von Extraterrestrians, und daher war es geradezu grotesk, dass der Beleg dafür nun gerade vor ihm lag. Vor ihm, der stets gelästert hatte, der beste Beweis für das Bestehen Extraterrestrischer Intelligenz bestünde darin, dass diese noch keinen Kontakt mit uns aufgenommen hätte.

Inzwischen hatte man Fragen nach der Herkunft der Merkmale der Figuren gestellt: stammten sie von der Erde oder vom Mars oder war ihre Ähnlichkeit nur zufällig? Konnte man aus ihrer Existenz auf historisches Leben auf dem Mars schließen, war die Mars-Figur an der Fundstelle geschaffen oder hierher transportiert worden? War auf dem Mars ehemals ein Ozean gewesen und waren Figuren an seinen Stränden gestanden? War diese Figur die einzige oder gab es noch andere, die man noch nicht gefunden hatte, lebten dort ähnliche ethnische Gruppen wie auf der Erde und was hatten sie getrieben?

So stand eine Vielzahl bedeutsamer Fragen an. Eine davon ging Deltono unter die Haut, nämlich die Frage nach der grenzenlosen Öde auf diesem Planeten. Hatte nicht gerade er sich in seiner Studienzeit im Institute Edward Teller intensiv mit den Zündern und der Wirkung von Wasserstoffbomben beschäftigt, vor allem solchen, die bei Versuchen aus irgendeinem Grund außer Kontrolle geraten waren und war nicht er schon damals ganz nebenbei auf die Idee gekommen, wie die Menschheit die Erde mit einem Schlag vernichten konnte. Indem sie nämlich eine H-Bombe in hinreichender Tiefe in einem der Ozeane versenkte und dort zündete. Wobei seine Größe unerheblich war. Es konnte auch das Mittelmeer mit seinen maximal 4000 Metern Tiefe sein. Der entscheidende Parameter für die Folgereaktion nach der menschlichen Zündung war eine minimale Tiefe von etwa 800 Metern, in die man die Bombe versenken musste. Nach der Zündung würde die Kettenreaktion auf den gesamten Ozean übergreifen und den gesamten Wasserstoff im Meer zünden. Vom molekularen Wasserstoff H2, den man zur Auslösung der Reaktion brauchte, gab es im H2O des Meerwassers wahrlich genug. Schon wenige Kilogramm davon, sagte sich Deltono, hatten ein Detonations-äquivalent von Millionen Tonnen Trinitrotoluol TNT, und TNT war immerhin einer der gewalttätigsten Sprengstoffe, den übrigens jeder Chemiestudent durch Nitrierung von Toluol mit einem Gemisch aus Salpetersäure und Schwefelsäure herstellen konnte. Aus Rohstoffen, die er sich aus dem Baumarkt holen konnte. Deltono erinnerte sich, dass er die Verunreinigungen des gekauften Stoffes vor der Verarbeitung mit heißem Wasser und einer Natriumsulfit-Lösung auswusch. Das war alles.

Dass das Holz im Wohnzimmerkamin einen viermal höheren Energiewert hatte als dieser Sprengstoff, spielte beim Vergleich mit ihm keine Rolle, zumal die Explosionsdruckwelle in der Reaktionszone des TNT eine Geschwindigkeit von mehreren tausend Metern pro Sekunde hatte und damit locker die innerstoffliche Schallgeschwindigkeit überschritt. Aber nicht nur die blitzartig freigesetzte Energie spielte eine wesentliche Rolle, sondern auch die Gase, die als Reaktionsprodukte entstanden. Damit kam es gerade im TNT zu einem extrem steilen Druck- und Temperaturanstieg und damit zu einer enormen Sprengkraft, was den Stoff so effizient und in der Militärindustrie so beliebt gemacht hatte. Weswegen man seine Explosionswirkung mit denen von nuklearen Bomben und Wasserstoffbomben verglich, auch wenn die Wirkung dieses klassischen Sprengstoffs gegenüber einer H-Bombe vergleichsweise so gering war, wie die einer Wasserpistole gegenüber einer Kalashnikow.

So hatte Deltono also nachträglich sinniert und es hatte ihn geschauderte. Er hatte sich geweigert, die logischen Konsequenzen zu ziehen, denn wenn die Marsianer ehemals so weit gewesen sein sollten, wie wir es nun waren, so sagte er sich, nämlich funktionierende Wasserstoffbomben beliebiger Größe herzustellen und mit ihnen zu experimentieren, dann würde man den Ozeanversuch auch irgendwann auf der Erde ausführen. Einen solchen Versuch jedenfalls mussten die Marsianer ehemals durchgeführt und die nachfolgende Katastrophe ausgelöst haben. Die finale Öde des Planeten war dann das verheerende Ergebnis.

Sie hatten sich selbst vernichtet, und wir Menschen waren bereits nahe dran. Das war die schreckliche Folgerung des Deltono Randill, die er zunächst für sich behielt.

In den Universitäten hatte man sich inzwischen mit der Figur beschäftigt. Mit Fragen zu Hersteller und Herkunft. Die Marsfahrer hatten zwar Fotos aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen, hatten mit bordeigenen Mitteln auch einfache Spektralanalysen durchgeführt, doch waren die Ergebnisse daraus kaum besser, als wenn man Steinsalz in einer Kerzenflamme erhitzte und aus ihrer gelben Farbe auf Natrium als eine der Komponenten des verbrannten Stoffes schloss.

Die paar Steintrümmer aus der Figur hatten sie jedenfalls eingepackt, um später aus dem Material auf die Zeit ihrer Herstellung schließen zu können. Mehr war vor Ort technisch nicht möglich gewesen. Sie konnten die Figur nicht bewegen und schon gar nicht in die Fähre laden, denn das Gewicht überstieg die Ladekapazität um Größenordnungen. Wollte man Genaueres erkunden, musste man wieder an die Fundstelle kommen. Geologen, Biologen, Chemiker, Physiker, Historiker waren daran interessiert, doch würde es eine Illusion bleiben, denn wer sollte es finanzieren.

Deltono interessierte das alles ohnedies nicht, es war ihm zu trivial, was wollte man noch erfassen was das Bisherige übertraf? Überflüssig also. Seine übergeordnete Schlussfolgerung auf das, was mit dem ganzen Planeten gewesen sein musste, war so stichhaltig, dass sie jeder Anfechtung standhielte. Sie hatten sich vernichtet, das war sonnenklar. Es gab keinen anderen Grund für die Existenz der Figur zusammen mit der Öde des Planeten, doch wollte er das zunächst nicht preisgeben. Die möglichen Konsequenzen waren unermesslich, man musste sich genau überlegen, was man sagte und tat.

Einige Historiker hatten bereits erste Schlussfolgerungen aus der Existenz der Figur veröffentlicht. Die Geschichtsforschung hatte einen untrüglichen Hinweis in der Hand, dass wir über lange Zeit hindurch im Weltall nicht alleine gewesen sein konnten, wahrscheinlich auch jetzt nicht alleine waren. Ein unermesslich weites und vielschichtiges Aufgabengebiet hatte sich aufgetan, und es hatte die klassischen Fragen nach Wasser oder Rohstoffen irgendwelcher Art und alle naturwissenschaftlichen Ansätze eines Beweises von ETIs mit einem Mal in den Hintergrund gedrängt. Bisher hatte man nicht den geringsten Hinweis auf Intelligenz gefunden, keine der unbemannten Missionen hatte irgendwelche Spuren davon entdeckt. Doch nun würden sich technische und astronomische Fragen bald aus einer gänzlich anderen Richtung stellen.

Unsere bemannte Raumforschung hatte wieder einen ungeheuren Auftrieb erhalten, was den Unbemannten, wie wir sie nannten, gar nicht passte. Sie hielten uns romantische Gründe vor. Die Weiterführung bemannter Forschungsvorhaben im Deep Space, hatten sie gesagt, wäre totaler Unsinn, was die Mars-Fahrer der ersten Generation für völlig unangemessen hielten.

Weder unter den Befürwortern noch unter den Gegnern waren die Meinungen über eine bemannte Forschung klar erkennbar. So war beispielsweise aus den Antworten der Marsfahrer auf die immer wiederkehrende Frage nach dem herrlichen Blick auf die Pole die pragmatische Ernüchterung nicht zu überhören. Dabei hätte man gerade von ihnen uneingeschränktes Entzücken erwartet: „Vergessen Sie bei Ihrer Begeisterung nicht, dass Sie bisher nur künstlerische Darstellungen aus einer Datenbank gesehen haben. In Wirklichkeit wird keiner von uns je die Pole erblicken, denn der letzte und interessanteste Teil jedes Anflugs führt nicht über sie hinweg! Die Navigation ermöglicht es nicht.“

Der euphorischen Presse hatte man deshalb geraten, sie sollte lieber schreiben, dass die kleinen weißen Kappen der braunen Kaffeekugel belanglosen Charme einhauchten, das aber nur aus großer Entfernung. Und das wäre wenigstens nicht gelogen.

„Die Sahara ist nur dann herrlich, wenn du nicht drinnen bist“, hatte Perdita Marcarolli, ein Mitglied unserer Missionsführung von 2030 einmal während der ersten Marsmission erzählt. „Wie auf Reisen durch ferne und unwirtliche Gebiete der Erde, durch glühende Wüsten, öde Savannen oder lebensfeindliche Gebirge entsteht auch in der Weltraumfahrt der Zauber einer Mission durch die riesige Entfernung von der Heimat, und was wir als Abenteuer empfinden, entspricht nicht der unmittelbaren Impression durch die neue Umgebung, sondern entsteht aus einer irrealen Imagination in unserem Kopf, der Sehnsucht. Die Unbegreiflichkeit der riesigen Distanz zum sicheren Heimatort, von dem man gestartet ist, und ein Gefühl von Spannung, ja sogar Gefahr, induzieren in unserem Gehirn Wahnvorstellungen, deren bizarrer Reiz gerade die Voraussetzung ist für die Bereitschaft der Realisierung beherzter Aktionen mit der dürren Bezeichnung Mission.“

Da war sie aber jetzt diese Figur, deren Herkunft man weiter erforschen wollte und die ab sofort ein wesentliches Motiv bildete für bemannte Forschungen im erdnahen Bereich des Planetensystems. Wir mussten wieder hin, wir mussten eine neue gewaltige Mission in den Deep Space starten doch kam dieser Beschluss sonderbarerweise nicht von uns sondern von einer Entität, deren Existenz uns nicht bekannt war. Sie würde alles bestimmen was in den nächsten Missionen zu geschehen hatte, und auch darüber wussten wir nichts.

Die Missionsplanung hatte unmittelbar nach der Mission 1 begonnen, denn vor fast zehn Jahren war bei der NASA dieser merkwürdige Brief eingetroffen, adressiert an eine Adrastea Jackson, mittlerweile Mission Commander Deep Space auf der neuen Fähre Sarpedo. Absender war eine Firma Eukasia aus West Long Branch von der zuvor niemand etwas gehört hatte. Diese Firma hatte sich an einer Nachfolgemission merkwürdig interessiert gezeigt, und sie war sogar bereit einen Teil der gewaltigen Kosten zu übernehmen, und das ohne dass man sie darum gebeten hatte, was allen industriellen Erfahrungen widersprach.

Immerhin sollte es einen Zuschuss geben und sofort beschäftigten sich einige wichtige Leute mit dem Thema Deep Space. Vorerst erschien ihnen die lange Reisezeit prohibitiv, bekanntermaßen eine der Grundsatzfragen bei der Eroberung des Weltraums, wie man das Vorhaben politisch benannte und deswegen hatte man sich zunächst auf den Einsatz von Robotern konzentriert, denn unter diesen technischen Randbedingungen kamen in der nächsten Zeit Menschen für ein solches Unternehmen nicht in Frage. Manche Politiker aus der Reihe der Unbemannten waren ohnedies der Meinung, man solle auf Menschen völlig verzichten, Automaten wären genau so gut imstande dem Weltall alle Geheimnisse zu entreißen. In einer Demokratie wäre der Mensch ein Schutzgut und er sollte es auch im Weltall bleiben, ihm wäre alles unterzuordnen, insbesondere der finanzielle Erfolg, den aber jeder Forscher stillschweigend voraussetzte. Was die politischen Beweggründe für die Raumfahrt waren, hatte man uns bis jetzt verschwiegen.

Es gab sonderbare Gruppen unter den ET-Forschern. Da waren die Weltallschützer, ein galaktischer Ableger der Alt-Irdischen Grünen. Sie waren politisch ausersehen worden Positionen im Weltall zu besetzen unter dem Vorwand, den Raum von radioaktiven und anderen gefährlichen und schädlichen Stoffen freizuhalten, sofern diese politisch verzichtbar waren. Physiker der Mission fanden die zahlreichen Widersprüche in der Aufgabenstellung grotesk, zumal man in interstellaren Missionen gegen die Radioaktivität der Sonne zu kämpfen hatte, die das Leben der Astronauten wirklich ernsthaft gefährdete und ihr Einfluss stand in krassem Widerspruch zu einigen Milligramm Plutonium, die man für den Betrieb der elektrischen Anlagen brauchte.

Missionsphilosophen, die sich während der langen Abgeschiedenheit im Nichts um das geistige Wohl der Mannschaft kümmern sollten, waren der Meinung, dass uns ohnedies nur der Glaube der Menschen in der Spur halten konnte und dass die Meinung, sie könnten irgendwo eine Entscheidung treffen, ihrem angeborenen Hochmut und ihrer Selbstüberschätzung zuzuschreiben wäre, in Wirklichkeit aber hätten sie im Weltall nichts mehr zu melden, würden beherrscht von einer ExtraTerrestrianIntelligence ETI, außerirdischen Intelligenzen also und hätten das nur noch nicht bemerkt.

Die Weltallschützer meinten dasselbe, nämlich dass Menschen im Weltall jetzt gar nichts mehr verloren hätten, sogar überflüssig wären, schädlich seien mit ihrer Einstellung. Wir hätten die Erde in der Zeit unseres Hierseins schon genügend ruiniert, und bevor nun auch noch der kärgliche Rest des Weltalls dran war, müsse unserem Treiben ein Riegel vorgeschoben werden. Alle unsere Aktivitäten sollten sofort ausgesetzt werden.

Das waren die Maxime dieser beiden Parteien, die im letzten Jahrzehnt, ohne dass es irgendein irdischer Minister gemerkt hätte oder hatte merken wollen die politische Führung der Erde übernommen hatten, mit dem Versprechen, diesen Planeten gnadenlos zu retten. Dazu würden sie sich dann freilich aller demokratischen Mittel bedienen müssen. Für diese Art nachhaltiger Staatsführung hatten sie mit dem Begriff der Fluktuierenden Politik einen griffigen und werbewirksamen Ausdruck gefunden. Die Medien waren einverstanden, denn sie sahen darin den Weg von der Machtverteilung bis zur Machtergreifung. Auf dem Buckel gleichermaßen unfähiger wie notwendiger Regierungen und einem irreal-diffusen Wahlsystem basierend auf Grünen Axiomen linksliberaler Anti-Populisten sollte das realisiert werden. Dazu zeigten sie die Chancen typischer Erd-Rettungs-Variationen auf. Das Volk, Stimmvieh für die nächsten Wahlen, war begeistert. Man hatte ihm das Demokratische Wahlrecht verkauft, ohne ihm dabei zu verraten, dass das dies mit Volksstaatlichkeit so viel zu tun hatte wie Liebe mit Kautschuk.

Diesem wüsten Treiben sollte ein Riegel vorgeschoben werden, und zwar in ganz anderer Art und in anderem Ausmaß als man es sich allgemein vorstellte. Aber noch war es nicht so weit und keiner der Irdischen hatte eine Ahnung, was ihm wirklich bevorstand.

So waren auch sie wieder da, wie zehn Jahre zuvor, diese zwei sonderbaren Gestalten. Niemand kannte sie, und auch wenn sie ab und zu bei Konferenzen erschienen, so waren sie seltsam transparent, schweigsam, unauffällig. Wenige, die ihnen angeblich begegnet waren, wurden bleich wenn man sie daran erinnerte, wollten nichts darüber berichten.

Bei ihren Auftritten sahen sie menschlichen Wesen zum Verwechseln ähnlich. So ähnlich, dass sich einer der älteren Konferenzbesucher einmal bemüßigt gefühlt hatte ihnen Spitznamen zu geben: Blonde Lady und Dunkler Begleiter. Man konnte nicht behaupten, er hätte damit genau ins Schwarze getroffen, immerhin machte es den gedanklichen Umgang mit den beiden leichter, auch wenn es genau genommen keinen Umgang gab. Manche meinten, sie könnten Gesandte einer fremden Entität sein, verpflichtet zu absoluter Diskretion. Andere wussten offenbar Genaueres und behaupteten, beide wären Diener von Eukasia, und Eukasia wiederum sei die Inkarnation einer modernen Trinität. Man hätte von gehört, dass sie das Wissen sei, die Weisheit und die Ethik, und dass sie sich um die Ordnung in der Welt kümmern würde. Sogar in den Predigten der Kirchen hätte man sie bereits zitiert, zugleich aber vorsichtshalber vor ihr gewarnt. So redete man zwar beiläufig über sie, aber darüber hinaus wusste man nichts von ihr. Vor allem nichts von ihren Absichten.

Ihre Ziele könnten den Zielen irdischer Politiker entsprechen, lästerten die Kritiker, ohne zu wissen wer und was sie waren. Die Schlussfolgerung beispielsweise, sie wäre eine Politikerin, war unbestätigt, denn sie wollte keineswegs, dass die Erde das gleiche Schicksal erlitt wie der Mars, und mindestens darin unterschied sie sich von solchen, die für das Verderben des ehemals weit entwickelten Roten Planeten verantwortlich gewesen waren und die nun bei der Erde, aus welchem Grund auch immer, vielleicht dasselbe Ziel verfolgten.

Über die Qualität von Vermutungen ging das nicht hinaus, denn niemand hatte bisher auch nur ein Wort aus dem Mund einer dieser beiden sonderbaren Gestalten vernommen. Angeblich kamen sie aus einem Bereich unseres Sonnensystems, über dessen Existenz zwar oft gesprochen wurde, auch in altehrwürdigen Gremien der Astronomie, doch nicht einmal bewiesen war die Existenz dieser Agglomeration von Objekten, und wenn die beiden einen übergeordneten Auftrag hatten, war es ohnedies gleichgültig, woher sie kamen.

Jedenfalls war nach Abschluss der Mission Mars 1 auf einem der Schreibtische der NASA dieser merkwürdige Brief gelandet und irgendwann war er zum Zentrum des Geschehens geworden. Was aber war diese Firma Eukasia Ltd. West Long Branch, die sich für die nächste Mission interessierte, ja sogar deren Finanzierung angeboten hatte. Niemand von uns kannte sie und niemand wusste zunächst was das Schreiben enthielt. Allerdings waren wichtige Anweisungen darin, doch lag der Brief eine Zeit lang unbeachtet auf dem Schreibtisch von Adrastea Jackson und geriet trotz seiner weitreichenden Bedeutung fast in Vergessenheit.

Tatsächlich enthielt er die rätselhafte Ankündigung eines Adressanten namens Eukasia, in die Entwicklung der Menschheit eingreifen zu wollen, und er enthielt auch den Hinweis auf die Zeit, die Eukasia der Menschheit für eine wesentliche Veränderung ihres Verhaltens gewährte, vielleicht um dann noch von diesem Eingriff abzurücken. Einerseits unterstützte sie die Mission und andererseits drohte sie mit Konsequenzen. Wer oder was sich hinter dem Namen Eukasia verbarg, war unbekannt und sollte über Jahre hindurch unbekannt bleiben.

Als dann nach einigen Tagen endlich jemand dieses Kuvert geöffnet und die Zeilen flüchtig gelesen hatte, hatte er wohl an einen Scherz gedacht und den Brief in den Mülleimer geworfen. Das spielte insofern eine untergeordnete Rolle als Eukasia keine Antwort erwartet hatte, zumal sie auf eine solche nicht angewiesen war, denn sie wusste was bereits geschehen war und was geschehen musste. Der Brief hatte lediglich dazu gedient die Menschheit auf das vorzubereiten, was ihr bevorstand, wenn sie ihr Verhalten nicht grundlegend änderte. Die Menschen hinwiederum hatten nicht die geringste Ahnung von dem, was ihnen bevorstand, vor allem waren sie an einer Veränderung nicht interessiert und so hatten die Dinge ihren Lauf genommen.

Aus menschlicher Neugier und Sehnsucht nach der Ferne, dem klassischen Grund in den Deep Space hinauszufahren, hatten wir einige Jahre später eine Mission zum Jupiter geplant, doch hatte der Fund Deltono Randills mit einem Schlag ein erstklassiges Motiv dazu geschaffen, indem er den Beweis erbracht hatte, dass da welche gewesen sein mussten, die Dinge produzieren konnten und auch Motive dafür gehabt haben mussten, wie sie die Menschen hatten. Jetzt war man also offensichtlich auf jener heißen Spur einer Extraterrestrian Intelligence, nach der man schon Jahrzehnte lang ebenso intensiv wie erfolglos geforscht hatte.

In der neuen Mission wollte man sich bei der Suche nach einem belastbaren Beweis nicht wieder auf den günstigen Zufall verlassen, sondern planvoll und zielstrebig vorgehen. Der Mars sollte nur die erste Zwischenstation auf einem viele Millionen Kilometer weiten Weg durch das All sein. Sicherlich war es sinnvoll, auch dort nach weiteren Indizien zu suchen, aber das war nicht mehr von höchster Priorität. Wenn es vielmehr gelänge, Hinweise für Intelligenzen auch auf anderen Planeten zu finden, wäre man einen bedeutenden Schritt weiter.

Allerdings blieb uns der wirkliche Anstoß für die Fahrt verborgen.

2

Es war März 2040. Wir waren mit der Vorbereitung unserer Mission zum Jupiter ein deutliches Stück weitergekommen. Der Fund Deltono Randills spielte dabei eine maßgebliche Rolle. Die Politik hatte ihre Forderungen gestellt und die Deep Space Leitung folgte dem Druck. Nebenher hatten wir erfahren, dass im ersten Schritt der Mission ein Besuch des Erdmonds und des Mars vorgesehen war, unter anderem um von dort aus den ersten Eroberungsschritt im Planetensystem zu bestätigen. Wir sollten Besuche bei den Habitaten absolvieren, etwas Material für nachfolgende Missionen bringen und einige Dinge mitnehmen.

„Wir können uns nicht dauerhaft auf die Erde beschränken“, forderten mittlerweile einige politische Repräsentanten aus dem Senat der Planetoiden, jener Planetenplaner deren Auftrag die Aufteilung des Planetensystems war.

„Wir brauchen eine neue Sicht auf das unbesetzte All, bevor es zu spät ist“, sagten sie. Das war ihnen von der Führung der Planetoiden in Weltall-Kursen eingepaukt worden.

„Alle Raumfahrer, die in unserem Auftrag handeln, müssen bereit sein, bei jedem Besuch eines Planeten unseren Anspruch auf ihn darzulegen und das Vorgehen belastbar zu dokumentieren. Doch sollten wir dabei das Motiv für unsere Fahrten nicht unbedingt an die große Glocke hängen.“

Derart waren auch die Gedanken der Adrastea Jackson, die mittlerweile die Leitung der ersten Deep Space Mission und damit große Verantwortung für die Besetzungsmissionen übernommen hatte. Auch sie war in der ESP Doktrin der Planetenbesetzung geschult worden, denn schon lange ging es nicht mehr um die Erde allein, das war auch ihr bekannt. Die Erde war Old Fashioned, ausgelaugt, verbraucht, ein nutzloser Abklatsch, wer also etwas auf sich hielt, schickte seine Nachkommen in ein Planetenseminar, wo man Interplanetare Besetzungsstrategien inskribieren konnte. Dazu gehörten unter anderem Techniken der Abwehr fremder Raumfähren, Planetendiplomatie, Terraforming. Adrastea war vom Wohlwollen der Planetoiden abhängig, also musste sie tun was man von ihr verlangte. Nach der Mission Mars 1 war sie eine der wenigen gewesen, die die Antwort auf die Frage kannte, wie die Idee zu dieser Mission entstanden war, allerdings nicht auf jene, was deren Ziel war.

Die Ziele des Senats der Planetoiden war Eukasia und ihren Adepten bekannt. Sie reichten weit über die Bahnen von Erde und Mars hinaus. Aber erst wenn es gelänge Techniken voranzutreiben, mit der die Realisierbarkeit dieser Ziele möglich war, würde man einschreiten. Bis dahin bestand keine Gefahr, dass das Planetensystem komplett von ihnen besetzt würde. Die Technik dazu war noch nicht hinreichend etabliert.

„Die Erdbewohner wollen ihre geopolitische Strategie weltweit durchsetzen“, sagte die Blonde Lady. „Die Erde ist nicht die Welt“, sagte der Dunkle Begleiter. „Eukasia wird das also verhindern“, sagte die Blonde Lady. „Aber sie arbeiten daran“, sagte der Dunkle Begleiter.

Die beiden wiederholten nur, was Eukasia irgendwann gesagt hatte, allerdings ohne den Sinn ganzheitlich zu begreifen. Sie sagten es nicht, weil es neu war, auch nicht weil sie Uneigentliche Roboter waren, die alles wiederholten ohne es zu begreifen, sondern sie sagten es auch um aktiv zu bleiben. Eukasias Worte waren das Elixier, der Antrieb der Eukasianer, zu denen sie gehörten. Eukasianer waren Uneigentliche Wesen. Sie lebten nicht, also starben sie auch nicht. Sie wurden nicht geschaffen und hatten sie keine eigene Existenz. Ihre Identität wurde ihnen immer erst kurz vor ihrem Einsatz verliehen, den sie ausführten ohne Zweck und Inhalt zu kennen. Wie man in Eukasien vieles behauptete was man nicht eigentlich verstand, weil das Verstehen nicht entscheidend war und nicht wichtig. Eingesetzt wurden die beiden in der gesamten Welt, derzeit im Planetensystem, wobei Eukasia bestimmte, wessen Identität ihnen verliehen werden konnte und in welcher Dimension. Die Standard-Verleih-Dimension für die Blonde Lady und ihren Dunklen Begleiter war noch die Dritte, bekanntermaßen die Dimension der Erd-Bewohner. Bei solchen Einsätzen dort lebten die beiden mit wenigen Ausnahmen in dieser Dimension und nur in dieser. Die Lady und ihr Begleiter bedauerten sehr, dass sie nur in Räume dieser Dimension verliehen wurden.

Eukasia hatte der Blonden Lady bislang das größte Vertrauen geschenkt, wenn man den Begriff für Eukasianer überhaupt anwenden konnte. Denn alle, die in diesen Club aufgenommen werden sollten, hatten schwere und gefährliche Prüfungen zu bestehen. So wurden sie im All auf unendliche Zeit ausgesetzt und mussten sich durchschlagen. Die Manipulation von Satelliten war eine der ersten leichten Schulungsaufgaben. Schwieriger und gefährlicher war die Installation von Pandemien in Bereichen, die dann von der Bevölkerung nicht mehr kontrolliert werden konnten. Die Blonde Lady hatte bei Vorträgen im Club einige Male Vorschläge zur totalen Ausschaltung der Menschheit abgelehnt und sie hatte ihre Haltung auch präzise begründet. Bei der Erde hatte sie den schwersten Stand, aber auch hier gelang es ihr eine humane Lösung durchzusetzen, denn nur derart würden die Erd-Bewohner irgendwann ihr Verhalten verteidigen können und man konnte sie zu Recht bestrafen. Falls das notwendig wäre.

Der Dunkle Begleiter war in die gehobene Schulung Eukasias aufgenommen worden, um seine ersten Bewährungsproben zu absolvieren. Er sollte reine Fakten aus den Missionsinformationen der Blonden Lady extrahieren und globalgalaktisch ergänzen, um sie in weitergehenden Einsätzen zu prüfen und umzusetzen. Dazu gehörten auch Ausschaltungs-Einsätze.

Die Menschheit ahnte von alldem nichts und machte einfach so weiter, wie sie es bisher getan hatte, und wir taten es ebenso mit unerhörter und wachsender Geschwindigkeit. Wir Humanoiden hatten keine Kontrolle mehr über unsere Welt. In dem Augenblick, wo wir in eine konkrete Planung eingebunden waren, hatten wir keine Zeit mehr zur Entspannung. Nicht nur die Menschen, selbst wir waren Getriebene. Von den Medien. Von der Politik. Von der Technik. Und wir fragten uns, wie lange das echte Menschen durchhalten konnten.

Enorm wichtig, ja entscheidend für die Planung aller zukünftigen Deep Space Missions und damit auch für die weiteren Einsätze würde unser neuestes technisches Gerät sein. Es würde alles ändern und alles retten. Der Antrieb war das Kernstück davon. Mit ihm wurden die physikalischen Begrenzungen für Reichweite und Reisezeit der Missionen um Größenordnungen hinausgeschoben und fast völlig aufgehoben werden. Ambitionierte Politiker sahen darin ihre große Chance. Manche von ihnen die größte aller Chancen.

Der neue Antrieb von Belinda Meck hat ein ähnliches Potential wie die Atombombe, auch wenn beide Systeme in ihrer Wirkung nicht technisch zu vergleichen sind. Doch sind sie politisch gleichwertig. Wie die Bombe wird er alle wichtigen Entscheidungen erheblich beeinflussen. Mit seiner Hilfe wird man weit außen liegende strategische Positionen im Weltraum besetzen können. Damit werden die zukünftigen Aktionen der Menschheit – oder von denen, die von ihr nach einer nuklearen Auseinandersetzung noch übrig sind – weit über das Planetensystem hinausgehen können. Es werden nicht die Milliarden sein, die jetzt saturiert dahindösen, sondern wenige, die das Wissen ins All weitertragen.

Das war die Einschätzung von Adrastea Jackson. Sie hatte unter anderem Biblische Geschichte studiert, und das Alte Testament gehörte zu ihren persönlichen Interessensgebieten. Freilich kein direkter Einstieg in die Raumfahrt, das hatte man ihr bei der Einstellung in die NASA lächelnd bedeutet, doch als man ihre Zeugnisse in den technischen Disziplinen geprüft hatte, war die Entscheidung sofort gefallen. Wie ihr ehemaliger Studienkollege Estefano Wonder meinte sie, dass zwischen den Protagonisten des Alten Testaments immer los etwas gewesen war. Sie wären stets auf der Flucht gewesen. Ein Ansporn für uns, vielleicht auch Trost für die Zukunft. Estefano war Bio-Mikrophysiker, Wissenschaftler in der Disziplin der Assemblierung organischer Moleküle zu Super-Intelligenzen. Beide diskutierten nicht selten die Bedeutung ihrer Arbeitsgebiete für die Gesellschaft. Während er ein glühender Vertreter der Demokratie war, definierte sie die Demokratie als die Diktatur der Mittelmäßigkeit. Im Grunde genommen aber waren sie einig in der Bewertung der Gesellschaft als saturiertes Kontinuum organischer Zellhaufen.

Als beide nach ihrem naturwissenschaftlichen Studium in die NASA eingetreten waren hatte man gemunkelt, dass Estefanos eigentliches Begehren weniger der Raumfahrt gegolten hatte, als Adrastea. Sie hatte nach ihrem Wechsel zur NASA einige Entwicklungsstufen durchschritten, war über das Marshall Space Flight Center, das Glenn Research Center, das Dryden Flight Research Center letztlich im Human Exploration and Operations Mission Directorate gelandet. Man hatte ihr zunächst die Betreuung und die Auswahl des Mission Staff für Mars One übertragen. Prospero Keelin hatte auf ihre Empfehlung hin die Mission Mars 1 geleitet. Mars 1 war der erste Test der Old Fashioned Technique für die Eroberung des Deep Space. So hatte es großspurig geheißen. Estefano Wonder würde in dieser großen Mission die Communication leiten. Wie kann man nur mit solchen Schachteln im Weltraum herumkurven, hatte er einmal gesagt.

Auch Belinda Meck war ein Mitglied der Truppe geworden. Die typische Abenteurerin hatte sich in ihrer Jugend noch als ‚Schriftgelehrte’ gefühlt, hatte Dokumente der Hethiter analysiert, sich mehrere Jahre in Anatolien herumgetrieben, war dort einige Jahre mit einem Wissenschaftler der Sprachanalyse verlobt gewesen. Der eigentliche Grund für ihr außergewöhnliches Studium. Dazwischen hatte ihr Interesse der Technik antiker Verteidigungsanlagen gegolten, bis sie – sie hatte sich über Nacht von ihrem Partner getrennt – als Assistent Professor für Systemanalyse an die Universität von Colorado berufen wurde. Auf einer geheimen Erdmond-Mission hatte sie sie dann Ariel Klinger begleitet, den Flight Director der Mission. Kurz nach Beginn der Missionsplanung zum Jupiter war ihr der Durchbruch mit einer bemerkenswerten Entdeckung gelungen, die sie in genialer Weise in ein neues Triebwerkkonzept umgesetzt hatte.

Alle die etwas davon verstanden, waren begeistert gewesen, auch die Ahnungslosen an den Schlüsselstellen der Finanzierung. Es kann eigentlich gar nicht besser gehen, erklärten maßgebliche Politiker selbstbewusst, und darum dürfen wir jetzt nicht zögern. Es ging ihnen um eine straffe Planung der Mission zur Besetzung des gesamten Alls, und für ein solches Vorhaben war beliebig viel Geld da. Die Missionsleitung konnten nicht nur das Triebwerk für die Führungsfähre in Auftrag geben, sondern auch kleinere Versionen für die Lander zum Abstieg auf die Oberflächen der Planeten und ihrer Monde.

Mit dieser Mission erhalten wir endlich den Blick auf unsere übergeordneten Werte, hatte der spätere Missions-Philosoph Mosiel Cleamer ausgeführt. Er stammte aus der Clique der Berufsphilosophen, die sich aktuell mit Allerleireden zur Jugendphilosophie fiskalisch über Wasser hielten, dazu fortgesetzt neue Ideologien erfinden, ihre Positionen absteckten und Fans zur Finanzierung ihrer Arbeiten und zur Deckung ihrer Lebensgrundlagen gewinnen mussten. Von der Führung war er als der ideale Mann erkannt und für die Ausarbeitung von Besetzungsphilosophien für den globalgalaktischen Auftrag ausersehen worden. Aus der Entfernung heraus, hatte er behauptet, man werde nun den Spannungsbogen zwischen der Erde und den angepeilten Planeten in unserem System straffen. Wie man das damals beim Erdmond getan hatte.

Für Eukasia war diese Bemerkung ein angesagter Anspruch auf das gesamte Planetensystem und dagegen würde sie etwas unternehmen.

Bei der ersten Marsmission hatten sie noch keinen griffigen Plan gehabt, keine klar definierten Ziele, auch nicht die technischen Möglichkeiten, um auf dem unbekannten Planeten etwas Wirkungsvolles zu unternehmen. Im Grunde genommen hatten sie keine Ahnung, welche Randbedingungen da oben bestanden. Genau genommen waren sie die meiste Zeit mit sich selbst und mit ihrer engsten Umgebung beschäftigt, also mit der Kleidung, ihrem Essen, der Baracke und dem Auto. Sie waren unter beträchtlichem Risiko hunderte Millionen Kilometer durch den Raum geflogen, sieben Monate hindurch, nur um dann die Scheiben des Rover zu putzen, ein ebenso teures wie geschmackloses Essen herunterzuschlingen, die Wäsche zu reinigen und im Habitat den Boden vom Sand zu befreien, der permanent überall hineinkroch. Und wenn sie damit fertig waren, begann das Spiel von vorn. Von der Landung bis zum Rückstart.

Mehr oder weniger phantasielos hatten wir die Tagesprobleme der Erde auf den Mars projiziert. Was wir bisher in unserer Küche und unserem Vorgarten getan hatten, das wollten wir dann auch dort zu tun. Wir hatten Erfahrung mit dem Caravaning, wobei wir das gesamte Wohnzimmer in irgendeinen Nationalpark schleppten, um dort dasselbe zu tun wie daheim.

Seit uns die Dampfmaschinen die Arbeit und die Computer das Denken abgenommen hatten, war uns nichts Besseres eingefallen, als in den schönsten Gegenden der Erde vor dem Fernseher zu sitzen, um Bilder von anderen schönsten Gegenden der Erde anzusehen, in denen wir lieber sein wollten, als dort wo wir gerade waren. Mit Begeisterung schauten wir wochenlang Krimis, in denen sich Menschen gegenseitig umbrachten, und wir spielten Spiele, in denen wir beliebig viele Menschen töten konnten, nachdem wir sie vorher mit Hilfe einer geeigneten Software als Feinde definiert hatten, und wir wurden dafür mit Punkten belohnt, die einen strategischen Vorteil im nächsten Spieldurchlauf bedeuteten.

Das war der Zustand unserer Degeneration.

Der Spaß am theoretischen Töten hatte sich nach und nach zu einer Art Volkssport entwickelt, wie die Bereitschaft, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, indem man an einem Gummiseil hängend von einer Brücke sprang oder sich ohne Fallschirm aus einem Flugzeug in ein Netz auf dem Erdboden stürzte.

Solches präsentierten die Medien lieber als eintönige Hausarbeit von Müttern, die ihre Familie Tag um Tag umsorgten, und derart wurde abgrundtiefer Unsinn zum lukrativen Geschäftsmodell. Es war ein notdürftiger Ersatz für die seit hundert Jahren fehlenden Kriege, welcher die Menschheit ab und zu bedurfte, um wieder zu sich selbst zu finden.

Sie hatten die die Weltraumfahrt als AllZiel erfunden, als allumfassendes Ziel. AllZiele konnten von den gängigen irdischen Problemen ablenken. Das enorme sozialpolitische Machtpotential von AllZielen war bald erkannt. Freilich rannten bald einige Profi-Befürchter, Bedenkenträger und Problempfleger gegen AllZiele an, sobald solche auf der sozialen Oberfläche erschienen, sie beklagten die Verstrahlung des Alls durch die Radionuklidbatterien der Raumfähren, die Störung des ökologischen Gleichgewichts durch Schwingungen im Gravitationsfeld, welche durch Raketen angeregt würden und sie zimmerten AllReligionen, die jeden schüchternen Versuch bekämpften, durch den sie sich gefährdet fühlten, und dazu gehörten auch die Absichten den Weltraum zu bereisen.

Trat man hinreichend selbstsicher auf, dann konnte man den Leuten die abstrusesten Dinge erzählen und für faule Ratschläge abkassieren. Sonderbarerweise hatten dabei die Ungelernten den größten Erfolg. Mit gezieltem Unwissenheitsmanagement hielten sie die Bevölkerung in Schach.

Die nächsten Missionen dürfen nicht mehr so konfus ablaufen, meinte der Deep Space Manager, allerdings ohne zu sagen, wie es denn nun anders weitergehen sollte. Ohne die neuen Variablen, Parameter und Funktionen einer Reise zu kennen und sie gar quantitativ definieren zu können, Parameter der komplexesten Reise, die der Mensch jemals unternehmen würde, war sein Satz das Papier nicht wert.

Was konnte man von diesem armen Mann schon verlangen, schließlich war er Manager, wie die meisten in der Runde. Er hatte kein Wissen, keine Argumente und keine Ideen, doch konnte er bereits Bestehendes und Bewährtes solange herumdrehen, bis man es für seine Schöpfung hielt. Das war eine durchaus effiziente Form von Phantasie.

Diese Vorgehensweise brachte enorm viel Geld herein, denn in der modernen saturierten Gesellschaft hing der Geldbeutel für absurde und abenteuerliche Ideen recht locker. Man wollte Sensationelles erfahren und erleben. Aus der Sicht der Missionsführung, die auf das Geld angewiesen war, war das Wirken des Managers hoch effizient, denn auch wenn er nichts von der Sache verstand, wie die Techniker betonten, brachte er schließlich das Geld herein, und das allein war entscheidend.

Die Blonde Lady und ihr Dunkler Begleiter waren in dieser galaktischen Angelegenheit, die auch die gesamte Menschheit betraf, präsent.

„Sie sind nur 3-dimensional, und dennoch haben sie eine merkwürdige Fähigkeit. Sie nennen sie Phantasie“, sagte die Blonde Lady. „Sie sind also nur scheinbar auf das Dreidimensionale beschränkt. Phantasie ist der Ausbruch aus der dritten Dimension.“

„Eukasia hat uns einen solchen Ausbruch der Dimension nicht zugestanden“, sagte der Dunkle Begleiter.

„Viele Erdbewohner besitzen eine starre 3-dimensionale Struktur“, sagte die Blonde Lady. „Ohne Phantasie. Diese Bewohner können nur planen.“

„Wir planen niemals“, sagte der Dunkle Begleiter.

„Denn wir kennen alles“, setzte die Blonde Lady fort.

„Mit ihrer Phantasie können die Erdlinge zwischen mehreren Dimensionen operieren“, sagte der Dunkle Begleiter. „Das können wir nicht. Sie können sich also uns entziehen.“

„Phantasie ist nicht gegenständlich“, sagte die Blonde Lady.

„Wir sind auch nicht gegenständlich“, sagte der Dunkle Begleiter.

„Mit ihrer Phantasie werden sie dem gesamten Weltall gefährlich werden“, sagte die Blonde Lady. „Bei der ersten Mission der Erdbewohner mussten wir noch nicht eingreifen, denn diese Missionen erledigten sie noch ohne Phantasie, deshalb waren sie auf einen abgeschlossenen Bereich des Weltalls beschränkt.“

„Nur deshalb konnten wir sie im Zaum halten“, sagte der Dunkle Begleiter, „aber mit quer-dimensionaler Phantasie werden sie sich überall durchsetzen, und irgendwann werden sie versuchen das gesamte All zu besetzen. Eukasia muss unseren Wirkungskreis erweitern, sonst werden wir nicht mehr erfolgreich sein. Seit einigen tausend Jahren operieren sie mit ihrer natürlichen Phantasie in drei Dimensionen, seit kurzem auch in der Physik und in der Technik. Ergebnis ist ihr neues Triebwerk. Wenn es einmal funktioniert, können wir sie nicht mehr fassen.“

So klar hatte sich der Dunkle Begleiter noch niemals geäußert.

„Eukasia muss unseren Operationsbereich erweitern“, sagte die Blonde Lady.

„Und unsere Operabilität“, sagte der Dunkle Begleiter.

„Eukasia muss dafür sorgen, dass die Menschen auf genau 3 Dimensionen beschränkt sind“, sagte die Blonde Lady, „auch ihre Phantasie.“

Damit hatte sie Forderung nach einer Zurückstufung der Menschheit explizit angesprochen, genau genommen nach einer Abschaffung der menschlichen Phantasie.

„Sie muss Helfer in die Fähren einschleusen“, sagte die Blonde Lady, „die die verheerenden Missionen unterwandern.“

Die beiden merkwürdigen Gestalten waren Gesandte Eukasias. Gelegentlich traten sie in Konferenzen auf, als durchsichtige menschenähnliche Gestalten. Bei einer der ersten Sitzungen noch vor der Planung von Mars 1 hatten sie ihre Beinamen erhalten. Seit diesem Auftritt arbeiteten sie im Hintergrund. Diejenigen, die ihnen begegneten, konnten sie nicht identifizieren, und schon gar nicht wussten sie um ihre Bedeutung. Ihre Art zu diskutieren war nicht menschlich und derart würden sie sofort auffallen, doch waren sie unendlich leise in ihren Gesprächen, niemand hatte je ein Wort von ihnen gehört, und überhaupt waren es nicht immer Worte, die sie benutzten.

Wir und die anderen, die für den Inhalt und den klaglosen Ablauf der Mission zuständig waren, saßen dann einmal in diesem nüchternen Besprechungsraum und warteten auf Mission Commander Adrastea Jackson, den manche noch nicht persönlich kannten und sich ihn, den Commander eines solch spektakulären Unternehmens, wohl ganz anders vorgestellt hatten.

An den halb geleerten Gläsern und aufgerissenen Kekspaketen konnte man erkennen, dass die Diskussion bereits angelaufen war, und aus dem, was dabei herausgekommen war, hätte man niemals den Schluss gezogen, dass aus der Mission das Geringste hätte werden können.

„Sie müssen alle wichtigen Maßnahmen definieren, die bei einer solchen Mission erforderlich sind“, hatte einer der designierten Missionspolitologen messerscharf erkannt.

Während seiner Seminarzeit in Deutschland war er vorübergehend Leiter des Osnabrücker Schachvereins Eckbauer gewesen, über die Bedeutung und Wirkung von Eröffnungen wusste er daher Bescheid, was ihm auch hier einen gewissen Vorteil verschaffte. Wenn er in einer Besprechung eine Eckposition zu besetzen versuchte, setzte er eine ernste Miene auf. Im Schachclub hatte man sich schon die Frage gestellt, wer ihn eingeschleust hatte.

Die Besprechung nahm ihren typischen Verlauf, indem jene, die fachlich etwas zu sagen hatten, schwiegen und die anderen nachdrücklich versuchten ihre persönliche Bedeutung darzustellen.

„Ich danke Ihnen für den Hinweis. Wir müssen einfach nur zeigen, was wir wollen.“ Diesen schlichten Satz hatte der Deep Space Manager dargebracht, mit trüben Augen, die in die Ferne schweiften, und noch bevor er Anstalten machte sich weitere Sätze dieser Qualität abzuringen, prüfte er den Flüssigkeitsstand seines Weinglases, das schon eine ganze Zeit lang leer vor ihm herumstand.

„Am besten binden wir die Sorgen der ganzen Erde ein“, leierte der Ethik-Manager nach, und mit unsicherem Blick schwenkte er dabei seinen Kopf zwischen den beiden Politologen hin und her, die sich, wie er betonte, dankenswerterweise eingefunden hatten und auf die zu verzichten er nicht wirklich bereit war.

Das hatte dann auch noch der Deep Space Manager eilig betont, ohne allerdings zu sagen, wo und wie er diese Leute einsetzen wollte. Er konnte sich also nicht wirklich entscheiden, ob man beide oder nur einen von ihnen auf die lange und beschwerliche Reise mitnahm oder ob man nicht sicherheitshalber beide hier ließ, denn er konnte ihren Nutzen nicht wirklich quantifizieren. Andererseits, dachte er, könnte man sie zwischenlagern, bis man sie brauchte oder gegebenenfalls entsorgen. Dieser keinesfalls ernstgemeinte Wortlaut war von der Presse mit professionell gespielter Entrüstung der Öffentlichkeit zum Fraß vorgeworfen worden. Endlich war wieder etwas los.

„Wir sollten uns eine Liste legen, mit der wir die Untersuchungen lenken“, lamentierte der Deep Space Manager orientierungslos dahin, vermutlich wieder ohne genau zu wissen, was er damit meinte.

„Was aber im Sinne der Sache erheblich irrelevant ist“, kommentierte einer der Mathematiker den inhaltlosen Inhalt bewusst provozierend und hob dabei seinen Bleistift ein wenig von einem weißen Blatt ab, auf dem einige Integrale standen, deren Obergrenze Unendlich war. Der Fachmann neben ihm erkannte stillschweigend, dass er damit etwas aus dem Weltall meinte. Die Masse, die Energie, das Wesen, dachte er.

„Wir sollten natürlich auch zum Saturn fahren“, ergänzte der Missions-Politologe und machte dabei den gleichen Eindruck wie der Deep Space Manager. Beim Formulierungsversuch eines vernünftigeren Satzes war zum Glück er überfordert.

„Nach meiner Information ist der Saturn einer unserer Spitzenplaneten“, schwatzte der Ethik-Manager. „Wir sind es unseren Nachkommen schuldig, ihn zu besuchen.“

Mit Hilfe professioneller Sorgenfalten war es ihm gelungen, sich irgendwann an Bord der Fähre zu mogeln. Dabei, so raunte man, war er, wie andere auch, von einer fernen Entität unterstützt worden, die seit langer Zeit die ethische Kontrolle über das Planetensystem hatte. Hinaus bis zur Oortschen Wolke. Eukasia. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Missionsführung allerdings noch nichts davon gewusst und schon gar nicht, dass sie die Teilnahme von Beobachtern selbst unterstützt hatte.

„Wie wird man sich in Zukunft auf einer fremden Planetenoberfläche bewegen wollen?“, fragte der Publizist. Eine solch genialische Frage ließ sich wie andere von ähnlich subtiler Originalität ohne viel zu überlegen überall anbringen.

„Wir brauchen kleine Raketen statt Autos“, sagte der Spitzentechniker. „Wir können den Planeten nicht mit dem Auto erkunden, dazu ist er wirklich zu groß.“ Auch hier war vieles wahr.

„Welcher Planet? Wir müssen auf die tatsächlichen Ergebnisse hinarbeiten“, sagte der Missions-Politologe, „koste es was es wolle.“

„Welche Ergebnisse?“, fragte der Publizist.

„Auf die nachhaltigen natürlich“, erklärte der Missions-Politologe. „Und wir müssen unsere Ergebnisse plausibel darstellen.“

Um Gottes Willen. Hier war offenbar die intellektuelle Spitze zugegen. Was, wenn sich diese Typen auf meiner Fähre einquartierten! Mit deren Beiträgen konnte alles unterlaufen werden, dachte Adrastea kurz nachdem sie eingetreten war und die letzten Sätze vernommen hatte. Wie werde ich diese Leute im Zaum halten können. Sie haben keine Ahnung von den Problemen einer Weltraumfahrt. Ein Wunder, dass wir schon eine Marsreise unbeschadet überstanden haben. War einer von denen eigentlich damals dabei? Wie waren sie nur auf diese Wartelisten gekommen?

Wenn jemand versuchte, den Verlauf politischer Diskussionen plausibel darzustellen, dachte zur gleichen Zeit der Missionsmathematiker, dann wäre das, als ob man versuchte, für die Sequenz der Zahlen von Lottoziehungen einen mathematischen Algorithmus anzugeben.

Er flüsterte es, denn er wollte seinen Job nicht riskieren, zumal er wusste, wie schlecht es um das Ansehen der Mathematik und der Naturwissenschaften bei der zahlenden Bevölkerung stand. Die Technik, welche die Grundlage aller modernen Produkte herschaffte, die ihnen das Leben erleichterten, interessierte die Leute ganz und gar nicht. Im Gegensatz zu den Komplizierten Wissenschaften, wie man die Physik, die Chemie und die Mathematik bezeichnete und verdammte, wurden die naturnahen Disziplinen, wie die Religionswissenschaften und die Sozialpädagogik emporgelobt. Vor einiger Zeit hatten diese empathischen Bewegungen und ihre homöopathischen Schwestern sogar Energie definitionsgemäß für erneuerbar erklärt, ohne dass aus den Naturwissenschaften dagegen Einspruch erhoben worden wäre. Die Einwände einiger beherzter Physiker waren glatt ins Leere gegangen, und wer an einem der Nachhaltigen Forschungsprojekte arbeitete, musste dem ungeliebten Basiswissen abschwören.

Ohne eine solche geistige Bücherverbrennung hätte ihm die Politik, wie weiland Galilei, mindestens die Gelder gestrichen.

„So wird diese Gesellschaft nicht weiter funktionieren. Eukasia wird sie disziplinieren“, sagte die Blonde Lady.

„Und sie wird dazu jene Parasiten einsetzen, die sich dort entwickelt, eingenistet und etabliert haben“, sagte ihr Dunkler Begleiter.

„Politologen und Publizisten werden es sein“, sagte die Blonde Lady.

„Philosophen und Ethiker“, sagte der Dunkle Begleiter.

„Einige davon werden an der Mission teilnehmen“, sagte die Blonde Lady.

„Der Senat wird ihr keinen Vorwurf machen können.“

Inzwischen wurden einige Experten bereits zum Verzicht auf ausgewählte Naturgesetze gedrängt. Dies hätte eminente Vorteile für die Naturwissenschaften, hatte man ihnen bedeutet, denn damit könne man ihre Akzeptanz im politischen und gesellschaftlichen Umfeld positiv entwickeln. Die Politiker nannten das Werkzeug, welches sie dazu einsetzten Argumentationsspielraum und jene charakterlichen Eigenschaften, die die Voraussetzung bildeten für die Aufgabe des Versuchs die Wahrheit durchzusetzen, Sozialkompetenz.

Dieser Argumentationsspielraum war ein geniales politisches Konstrukt. Auch Adrastea Jackson war nachdenklich geworden, denn er konnte auch als rechtliche Basis für die freiwillige Aufgabe von Naturgesetzen verstanden werden. Beim jüngsten Projekt würde damit nicht nur der entscheidende Spielraum für die Entwicklung einer völlig neuen Art von Raketenantrieben entstehen, sondern auch jener für die Herstellung verzögerungsfreier Kommunikationsoperatoren, wie sie in den Hirnen freiheitlicher Forscher gärten, doch bislang durch einige knöcherne Wissenschaftler hintertrieben wurden.

Ohne den Einsatz aller physikalischen Freiräume, auch bisher nicht existenter, wären diese Konzeption und ihre Realisierung unmöglich gewesen. Für alle Ewigkeit würden wir sehnsüchtig am Eingang zum Deep Space hocken ohne etwas weiterzubringen. Genau dort aber, wo wir bisher gezwungen worden waren, uns an scheinbar unerbittliche Gesetze zu halten, entstünde mit einem Mal ein gewaltiger Freiheitsgrad.

Wenn man bereit war wenige Gesetze aufzugeben, konnte der Fortschritt seinen Lauf nehmen. Das war der entscheidende Schritt ins nächste Jahrtausend.

Wir alle sollten froh sein über diese vernünftige Entscheidung, sagte sich Adrastea. Selbst unter diesen optimalen Voraussetzungen werden noch einige Jahre ins Land gehen, bis diese Technik so weit ist, dass man sie in bemannten Deep Space Missions einsetzen kann.

3

Inzwischen waren einige Jahre vergangen. Wir schrieben das Jahr 2042 und Adrastea Jackson beherrschte zur Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten die pragmatische Verknüpfung von Möglichem und Unmöglichem, von Wirklichkeit und Fiktion. Auch mit der Flexibilisierung ethischer Einstellung war sie ein Vorbild für die aufgeschlossene moderne Gesellschaft geworden. Wir erinnerten uns noch gerne an ihre Erscheinung, als sie vor Jahren als unerfahrene junge Dame – das war einige Jahre vor der ersten Mars Mission – an einem wunderschönen Frühsommertag über den Campus der Cornell University geschritten war. An ihr cremefarbenes Satinkleid, an den dunklen Ledergürtel und an ihre hochhackigen Schuhe. Wir erinnerten uns gleichermaßen an die Vollkommenheit dieses Tages, noch deutlicher aber erinnerten wir uns an ihre Entschlossenheit, das abgrundtiefe Fehlverhalten der Menschheit zu stoppen und an ihre fast förmliche Bitte, es solle doch einmal etwas geschehen, um diesem schrecklichen Treiben auf der Erde ein Ende zu bereiten. Damals konnte sie freilich nicht wissen, in welcher Weise ihre Wünsche einmal Gehör finden würden.

Aufgrund ihrer zielführenden Überlegungen war Adrastea in der Organisation der Sarpedo Mission zum Mission Commander aufgestiegen. Es war die unglaublichste Karriere für eine junge Dame, denn sie hatte nur wenig später die Schlussfolgerungen aus den Analysen der letzten Marsmission entscheidend beeinflusst, insbesondere die Forschungen über den einzigartigen Fund von Deltono Randill. Ursprünglich nicht gerade der erste Mann Prospero Keelins und mit seinen sonderbaren Scherzen eher als Spaßvogel der Mission abgetan, hatte er auf dem Mars dieses unglaubliche Ding gefunden, diese Figur wie jene des Vogelkults der irdischen Osterinsel, und er hatte damit die Ziele und Strategien aller weiteren Missionsplanungen mit einem Schlag neu ausgerichtet, aber auch, ohne dass er es wusste, die Beobachter aus der Oortschen Wolke auf sich und seine Mannschaft gezogen.

Wie damals hatte Adrastea immer noch das kleine Buch dabei, das sie auf allen großen Missionen begleitete und darin die alte U-Bahn-Karte, die sie ehemals als Lesezeichen eingelegt hatte, als sie das Boot bestiegen hatte, welches sie um einen Dollar quer über den Hafen Bostons zur U-Bahn gebracht hatte, diese dann zum Hauptbahnhof, von wo sie schließlich in allerletzter Minute mit Mühe und Not den allerletzten Waggon des alten klapprigen Zugs nach Lowell erreicht hatte. Hinter dem eher armseligen kurzen Bahnsteig der Kleinstadt landeten Reisende wenn sie in den letzten Waggon zugestiegen waren und nicht vor dem bodenlosen Ausstieg gewarnt wurden unsanft im Schotterbett der Bahngleise.

Für die junge Dame war dies der erste große Schritt zur Universität und in dieser ein bedeutend größerer zur Entwicklung einer revolutionären Antriebstechnik für eine Eroberung des Deep Space. An dieser Technik hatte sie einen wesentlichen Anteil, neben dem hervorragenden ihrer Freundin Belinda Meck.

Wissenschaftler und Techniker waren an der ebenso kleinen wie feinen Universität dabei, die letzten Verbesserungen am anspruchsvollsten aller bisher entwickelten Triebwerke anzubringen. Seine Grundlage war ein Stoff, über den keiner ein Wort verlieren wollte, schon gar nicht der schielende Professor, dessen Institut in finanzieller Abhängigkeit stand von dem enormen Auftrag, der im Rahmen der neuen Mission zum Mars an sein Institut vergeben worden war. Würde er ein Erfolg, dann stiege die Universität um einige Klassen auf, ginge das Projekt aber aus irgendeinem Grund schief, dann war es eher wahrscheinlich, dass sie das bleiben würde, was sie in den letzten hundert Jahren gewesen war, nämlich ein mit studentischem Eifer angefüllter Rohziegelbau. Ein paar Institute würden weiterhin in Kooperation mit Russland in dumpfen Kellern Zentralsibiriens Betatrons zusammenschustern, zu nichts anderem gut, als alte Lastwagen zu durchleuchten, um festzustellen was man ohnedies wusste, dass nämlich drei von den hundert Fahrrädern, die jeden Tag über eine einsame Grenze gingen, in Wirklichkeit bunt lackierte Kalashnikows waren.

Hier in Maine sah die Sache im Moment anders aus, denn sie würden demnächst dieses Triebwerk herausbringen mit einer Leistung, die niemand für möglich gehalten hatte.

Adrastea war mittlerweile fünfzehn Jahre reifer und noch hübscher geworden, das Wetter war so schön wie damals, sie hatte die Hochhackigen gegen bequeme Jogging Boots getauscht und das Satin-Kleid gegen einen blauen ärmellosen Rolli. Nun setzte sie sich auf die Bank neben einem fast kitschig überblühten Fliederbusch, und wenn auch das Buch mit den phantastischen Gedichten dasselbe war, so war sein Inhalt keineswegs langweiliger geworden, ganz im Gegenteil. Sie musste über die Worte des genialen Mathematikers David Hilbert schmunzeln, der einmal einen seiner Freunde bedauert hatte, zumal der Arme zu den Dichtern gegangen war, wohl weil er für die Mathematik zu wenig Phantasie gehabt hatte, und mit leichtem Lächeln legte sie ihren linken Zeigefinder an die zweite Strophe eines Gedichts von Hermann Hesse, an das sie sich immer dann erinnerte, wenn bei ihr etwas wie Hemmung entstanden war:

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten

An keinem wie an einer Heimat hängen

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen

Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten

Danach war sie aufgestanden und einen Moment regungslos in der Sonne stehengeblieben, als ob sie sich erst noch zu entscheiden hätte, die Freiheit des grünen Parks zugunsten einer aufzugeben, die sie sich aus den Ergebnissen der nachfolgenden Konferenz versprach.

Sie las weiter:

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise

Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen

Da sie sich wohl dem Deep Space verschworen hatte, konnte sie dies als Aufforderung interpretieren, sich den Abenteuern unserer Zeit hinzugeben, also die Erde ohne Furcht zu verlassen, um vielleicht wiederzukommen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

Uns neuen Räumen jung entgegen senden

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

In diesem Universum konnte nichts sonderbarer sein, als dass diese unbekannte Blonde Lady ein Gedicht von Hermann Hesse kannte und zu Ende führen konnte.

Ihr Dunkler Begleiter fragte nach dem Ursprung.

„Eukasia hat es mitgegeben“, sagte die Blonde Lady.

„Was ist Todesstunde?“, fragte der Dunkle Begleiter.

„Eukasia hat soeben die Bestrafung der Menschheit entschieden“, sagte die Blonde Lady.

„Wir brauchen Instruktionen“, sagte ihr Dunkler Begleiter.

Sie waren sonderbar präsent, ohne physisch gegenwärtig zu sein. Nie hatte jemand mit ihnen gesprochen oder physischen Kontakt gehabt. Man wusste nichts über ihre Existenz, auch wenn sie gelegentlich und nahezu leiblich in Konferenzen aufgetreten waren. Auch ihre Auftraggeberin war niemandem jemals leibhaftig begegnet.

Genau in diesem Moment hatte Adrastea die alte U-Bahn-Karte in ihr kleines Buch gelegt, dieses geschlossen und das Gebäude betreten. In der Biblischen Sphäre des 1. Buch Mose, flüsterte sie vor sich hin, erhalten jene Menschen Hilfestellung, die bereit sind, an der Verhinderung der terrestrischen Katastrophe mitzuwirken.

Wir vielleicht, seufzte sie und ahnte nicht, was das bedeutete.

Sie betrat den Sitzungssaal, und als sie der Sitzungsleiter vorstellte, ging ein Raunen durch die Reihen.

„Wir begrüßen unseren Mission Commander Adrastea Jackson. Sie begleitet unsere Gemeinschaft schon seit Jahren. Wir haben ihr einige wichtige Gedanken und Wendungen zu verdanken, insbesondere war sie an der Entwicklung des neuen revolutionären Triebwerks beteiligt. Sie wird uns berichten, lassen wir uns überraschen.“

Von der Seite stieg sie auf die kleine Bühne, ergriff das Mikrophon und begann ohne Einleitung.

„Wir werden uns auch an den maßgeblichen Missionen der Vergangenheit orientieren“, sagte sie, „natürlich nicht direkt an der Mission von Moses und seiner Arche, doch sollte sie uns zum Nachdenken anregen, denn glauben Sie mir, wir brauchen die Erfahrungen von früher. Wir sollten niemals so arrogant sein zu glauben, dass wir alles wüssten. Auch wenn unsere neue Entwicklung mit der alten Technik scheinbar nichts mehr zu tun hat, in jeder Mission gab es gute und schlechte Ideen. Wir müssen das Gute bewahren, um Schreckliches zu verhindern.“

„Was meinen Sie mit Schrecklichem?“ fragte ein Journalist aus der zweiten Reihe.

„Den Verlust einer Mission. Er ist gleichermaßen schrecklich für die Besatzung wie für das Land, das ihn zu verkraften hat. Ein solcher würde unsere Planung um Monate zurückwerfen. Wir müssen also alle Ziele und die Technik, um sie zu realisieren, überprüfen, revidieren, anpassen. Erfahrungsgemäß baut man mit jeder Veränderung neue Fehler ein, also ist bei jeder solcher wiederum die ganze Aufmerksamkeit auf alle Komponenten zu richten. Das kostet Zeit und Geld. Von jeder alten Idee und von jedem Fehler, den man beim Übergang zu neuen Konzepten macht, kann man lernen. Man wird immens sensibilisiert durch die Schwierigkeiten, denen man auf der ehemaligen technischen Basis begegnet ist und die man überwunden hat. Allerdings hat man damit immer jene Schwierigkeiten überwunden, die sich mit den damaligen vergleichsweise einfachen Aufgaben entgegenstellten. Daher sind die Erfahrungen aus der alten Technik nur bedingt auf neue Konzepte übertragbar.

Die Reisen zum Erdmond beispielsweise waren solche relativ einfachen Aufgaben. Die erste Reise zum Mars war dann deutlich anspruchsvoller, auch wenn sie wesentlich unspektakulärer gewirkt haben muss, als die erste Apollo-Mission oder beispielsweise die Mission Apollo 13, wo wir die Mannschaft um Haaresbreite verloren und damit die Aufmerksamkeit der gesamten Erdbevölkerung auf uns gezogen hatten. Probleme verkaufen sich eben in der Regel deutlich besser als unproblematische Projekte.

Der Start von Mars 1 war zunächst die Sensation schlechthin gewesen, doch war das Interesse der Allgemeinheit schon während der elend langen Anreise verflacht, denn die Presse hatte die Leute schlichtweg vergessen und in der Zwischenzeit fast nichts berichtet. Zwar hatte es immer wieder kurze Reportagen und alte Filme gegeben, aber letztlich war die Information langweilig. Was wollte man auch schon aus den wenigen Quadratmetern berichten, auf denen sich sechs Leute herumquetschten und, wie es schien, dummes Zeugs redeten. Interessanter waren da eher die möglichen Beziehungen zwischen drei Männern und drei Frauen an Bord der Fähre. Hatten sie etwas miteinander oder nicht? Manche Zeitung vermutete, dass da bereits ein Baby unterwegs war. Sex in der Fähre? Eifersüchteleien! Gefährliche Streitereien! Würde es vielleicht sogar auf dem Mars geboren werden? Sechs hin und sieben zurück, hatte eine Zeitung bereits gewusst, was aber nachweislich falsch war.“

„Die Presse muss sich auch um solche Dinge kümmern“, rechtfertigte der Journalist das Verhalten der Presse. „Sie muss Verantwortung übernehmen. Es können nicht immer nur komplizierte Gleichungen oder Parameter sein. Solche sind nichts für die Allgemeinheit, die sich nicht in Theorien verlieren kann. Die meisten haben keine Ahnung von der riesigen Entfernung und den echten technischen Problemen an Bord.“

Er kannte sich aus. Wo aber genau sollte die Presse hier Verantwortung haben?

„Bei Apollo 13 interessierte sie die Schachtel am meisten, die Ed Smylie, der Chef der Abteilung Crew Systems brachte“, sagte Adrastea und lachte. „Mit einer Schachtel kann man die Herzen der Menschen gewinnen.“

„Was meinen Sie damit?“, fragte der Journalist.