Kein Stopp ohne Schluck! - Helmut Moldaschl - E-Book

Kein Stopp ohne Schluck! E-Book

Helmut Moldaschl

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Beschreibung

Bis jetzt sind Sie mit Ihrem Fahrrad nur kurze Strecken gefahren. Aber jetzt wollen Sie einmal richtig raus. Ein kleines, überschaubares Abenteuer soll es sein. Wir haben es einfach getan. In Deutschland zuerst und dann nach Italien und Frankreich. Sie haben noch keine Erfahrung, trauen sich eigentlich nicht. Auf dem Rad werden Sie eine Menge erfahren. Sie werden die Natur ganz anders wahrnehmen als bisher. Licht, Schatten, Hitze, Regen, Gerüche, Geräusche. Werden direkt ins Innere von Städten fahren, ohne Probleme mit Parkplätzen. An Stränden entlang wo Autos verboten sind. Sie werden viele Menschen treffen. Ich erzähle Ihnen worauf Sie achten müssen und was Sie dabei erleben können.

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Seitenzahl: 158

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Inhalt

Warum auf Tour gehen?

Mein erstes Fahrrad

Meine allererste Tour

Eine Fahrt durch Franken

Etwas Biking in den Alpen

Das Fahrrad

6.1 Der Rahmen

6.2 Die Gabel

6.3 Die Felgen

6.4 Die Speichen

6.5 Die Bremsen

6.6 Die Reifen

6.7 Die Schläuche

6.8 Die Schutzbleche

6.9 Der Sattel

6.10 Der Lenker

6.11 Die Pedale

6.12 Die Kette

6.13 Die Schaltung

6.14 Der Gepäckträger

6.15 Die Werkzeugtasche

6.16 Der Fahrradständer

6.17 Die Rückspiegel

6.18 Die Beleuchtung

6.19 Der Kilometerzähler

6.20 Das Navigationsgerät

Die Kleidung

7.1 Der Helm

7.2 Die Brillen

7.3 Die Radhosen

7.4 Die Regenkleidung

7.5 Die Jacke

7.6 Die Schuhe

7.7 Die Überhose

7.8 Die Handschuhe

7.9 Leuchtende Klettbänder

7.10 Die Schuhe

7.11 Socken, Strümpfe

7.12 Unterhosen, Rad-Unterhosen

7.13 Unterhemden, Hemden, Pullover

7.14 Pyjama

7.15 Abendkleidung

Die Gepäcktechnik

8.1 Der Gepäckträger

8.2 Die Lenkertasche

8.3 Die Seitentaschen

8.4 Der Koffer

8.5 Die Schlösser

Der Proviant

Verschiedenes

10.1 Werkzeug und Ersatzmaterial

10.2 Verbandmaterial und Medikamente

10.3 Dokumente

10.4 Lese- und Sonnebrille

10.5 Orientierungshilfen

10.6 Die Kommunikation

10.7 Der Fotoapparat

Planung einer Tour

11.1 Grundsätzliches

11.2 Wie viel Training ist erforderlich?

11.3 Das Wetter und die Angst vor dem Regen

2005 Die Tour durch Franken

Mai 2006 Die Tour nach Nizza

13.1 Nürnberg - Bellinzona

13.2 Bellinzona – Angera

13.3 Angera – Mortara

13.4 Mortara – Acqui Terme - Savona

13.5 Von Savona nach Nizza

Abbildungen

Abbildung 1: Meine Cousine Hilde und ich auf Tour

Abbildung 2: Weikersheim

Abbildung 3: Creglingen

Abbildung 4: Der Gasteiner Wasserfall

Abbildung 5: Gasteiner Nassfeld

Abbildung 6: Das Rad

Abbildung 7: Ellingen

Abbildung 8: Burg Kalteneck

Abbildung 9: Wangen im Allgäu. Kopfwäsche-Brunnen

Abbildung 10: Der Bodensee

Abbildung 11: Am Altrhein nach Chur

Abbildung 12: Die Verladung für San Bernardino

Abbildung 13: Schlechtwetter bei der Abfahrt

Abbildung 14: Wetterbesserung. Abfahrt vom Bernardino

Abbildung 15: Bellinzona

Abbildung 16: Am Lago Maggiore

Abbildung 17: Santa Caterina del Sasso

Abbildung 18: Die Po-Ebene und der Monte Rosa

Abbildung 19: Ponte di Valenza

Abbildung 20: Acqui Terme La Bollente. 73 Grad

Abbildung 21: Der erste Blick aufs Mittelmeer

Abbildung 22: Übernachtung in Finale Ligure

Abbildung 23: Diano Marina

Abbildung 24: Das Meer bei Menton

Abbildung 25: Menton

Abbildung 26: Anfahrt nach Monaco

Abbildung 27: Casino Monte Carlo

Abbildung 28: Ankunft in Nizza

Abbildung 29: Flohmarkt in Nizza

Abbildung 30: Die Île d'Or

Abbildung 31: Die Route

1 Warum auf Tour gehen?

Früher nannten wir es schon eine Tour, wenn wir uns per Rad ein paar Meter von zu Hause entfernten. Als Kind einfach um den Block, ums Haus, um den Schrebergarten. Als Jugendlicher dann in den Wienerwald, die Fränkische Schweiz, den Englischen Garten. Mit den Jahren aber schrumpfen die Entfernung und damit ihr Reiz. Die Reisenden von heute erleben immer mehr in immer kürzerer Zeit. Das aber geht nicht endlos so weiter.

Wir fragen uns natürlich, was man denn schon Neues auf einer Reise mit dem Fahrrad erleben kann, wo wir mindestens ein Mal im Jahr um den Globus fahren, in wenigen Tagen die Welt kennenlernen. Zumindest glauben wir das. Dazu komprimieren wir die Erlebnisse, mit der Hoffnung und der Erwartung, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu sehen. Tatsächlich sehen wir viel, aber von den meisten Zusammenhängen kriegen wir nichts mit.

Bis jetzt sind Sie mit Ihrem Fahrrad, das Ihnen ja grundsätzlich ganz Europa eröffnen könnte, ein paar Stunden in der Ihnen bekannten Gegend herumgefahren. Mit einer unstillbaren Sehnsucht nach der Ferne vielleicht. Aber jetzt wollen Sie einmal richtig raus. Etwas weiter weg. Nicht zu fern, aber ein überschaubares Abenteuer sollte es schon sein.

Wir haben in gleicher Weise überlegt: Zuerst machen wir eine Runde durch Deutschland und dann fahren wir vielleicht irgendwann hinaus. Ohne richtige Erfahrung machen wir das. Wir wissen auch noch nicht wohin.

Sie selbst haben auch keine so rechte Erfahrung mit großen Touren und trauen sich eigentlich nicht wirklich. Was da nämlich alles passieren kann, denken Sie selbst und das sagt man Ihnen auch ständig. Höchstwahrscheinlich ein Reifendefekt, bei einer weiten Strecke, wenn nicht etwas noch Schlimmeres. Die Frau brummt. Was ist mit mir, wenn etwas passiert. Oder sie spricht Ihnen zu, wie das meine getan hat nach meiner schweren Krankheit 2004. Meinetwegen, aber willst du dich nicht zunächst erholen?

Auf dem Rad werden Sie eine Menge erfahren. Sie werden die Natur ganz anders wahrnehmen als bisher. Gerüche, Geräusche, Licht, Schatten, Regen, Hitze. Sie werden viele Menschen treffen, werden nicht wissen, was Sie am nächsten Tag erwartet. Sie werden erkennen, wie wenig Sie bisher selbst auf weiten Strecken erlebt haben. Mit dem Auto, der Bahn und erst recht mit dem Flugzeug.

Ich werde Ihnen erzählen, wie es mir auf der Fahrradtour ergangen ist, und ich sage Ihnen auch, worauf Sie achten müssen. Wir sind nach dieser ersten Tour, die ich hier beschreibe, noch andere gefahren und immer war es überaus interessant.

Wie oft haben Sie eigentlich einen Platten gehabt? Typische Fragen von Leuten, die keine Ahnung haben und sich durch diese einfache Frage selbst enttarnen. Leute, die niemals eine Tour gefahren sind. Keinesfalls nach Afghanistan, wie eine Erlanger Krankenschwester, die eines Tages ihr Krankenhaus satt hatte, alles verkaufte oder verschenkte und sechst Jahre rund um die Welt fuhr. Einfach so, völlig alleine, die dabei niemals überfallen wurde, niemals ausgeraubt und schon gar nicht vergewaltigt. Blöde Fragen gab es zu hauf. Haben Sie ein Bild von der Dame gesehen oder so ähnlich lauten die Diffamierungsversuche. Natürlich konnte immer etwas passieren, aber auch daheim. Der Krankenschwester war nichts Böses passiert. Ob sie jetzt wieder im Krankenhaus wäre? Ich weiß es nicht.

Am besten also man nimmt sich nicht so viel vor und fährt einfach los. Das habe ich dann nach zehn Jahren Erfahrung in verschiedenen Radtouren getan, mit umfangreicher Erfahrung unter den Pedalen. Man sollte das nicht gleich beim ersten Mal versuchen, obwohl auch dagegen nichts wirklich spricht.

Auf meinen Touren sind einige wichtige Erfahrungen zusammengekommen, von denen Sie profitieren können. Man sollte nicht glauben, dass man schon alles erlebt hat, nur weil man einige Male durch die Fränkische Schweiz geradelt ist. Bergauf – bergab sozusagen. Die Welt wird anders wenn Sie zweihundert Kilometer gefahren sind. Also lesen Sie das Buch, und vielleicht markieren Sie jene Dinge, von denen Sie meinen, sie seien wichtig. Es gibt gute Gründe auf Tour zu gehen.

Wenn Sie nicht interessiert, wie alles angefangen hat, dann lesen Sie bei Kapitel 4 weiter. Das Interesse an 2 und 3 wird vielleicht später kommen.

2 Mein erstes Fahrrad

Inzwischen fahren immer mehr Leute mit dem Fahrrad. Das liegt daran, dass ihnen immer häufiger ein Elektromotor die Mühsal abnimmt, weil er dann anzieht, wenn man selbst nicht mehr kann oder nicht mehr will. Insbesondere, wenn man sich mangels Training zuviel vorgenommen hat. Selbst Kleinkinder trifft man bereits in diesem Behindertensport, die mit Motor zu hohe Geschwindigkeiten wählen, um noch sicher zu fahren und vor allem auch bremsen zu können.

Als Unerfahrener erhält man den Elektromotor als Hilfe, die er auf langen Touren nicht ist. Mit seinem Gewicht kann er sogar zu einer prohibitiven Last werden, denn ein schweres Rad wird umso lästiger je leerer der Akku wird, denn dann bestimmt die nächste freie Steckdose die Route. Auf einer meiner Fahrten durch Burgund waren die Unterkünfte sehr rar und erst recht die Steckdosen. Selbst solche für ein TomTom, das man mir nur mit großem Widerwillen eine halbe Stunde laden ließ.

Das freie Rad, also das Rad ohne Akku ist und bleibt ein geniales Verkehrsmittel. Mit ihm bestimmen Sie selbst die Länge der Tour und die Route und nicht die Verfügbarkeit der Steckdosen. Glauben Sie mir, auch im Ligurischen Apennin werden Sie kaum eine finden, und was tun Sie, wenn der Akku leer ist? Ein Taxi für Sie und Ihr Rad kann eine Lösung sein. Falls Sie eine Funkverbindung haben, was keinesfalls sicher ist.

Die Vorzüge eines steckdosenfreien Rades aber sind vielfältig und überwiegen bei weitem die Nachteile, nämlich den Nachteil einer scheinbar geringeren Reichweite. Ich bin viele Jahre hindurch Touren gefahren, zuerst hier bei uns, in der Fränkischen Schweiz. Bergauf, bergab, kleine Hügel, schöne Täler. Wassergerinne, Flüsschen, in die man die heißen Füße hinein hängt, schöne Pflanzen. Eine unaufgeregte Landschaft. Dazwischen liegen zahlreiche Gasthäuser mit kleinen Gärten, wo man eine Brotzeit essen und ein Bier trinken kann. Danach geht’s weiter und am Abend ist man zu Hause. Dort kann man duschen, essen und das Rad intakt setzen, falls etwas einzustellen oder zu reparieren ist. Man hat sortiertes Werkzeug zur Verfügung. Zangen, besonders schwere verstellbare Zangen, Schraubenzieher aller möglichen Dimensionen, einen Schraubstock vielleicht und so weiter. Das meiste davon haben Sie auf einer Tour nicht zur Verfügung. Schon dadurch unterscheiden sich Tagestouren von Touren über lange Strecken, aber gerade das macht diese so spannend.

Habt Ihr da immer reserviert? Typische Fragen von Leuten, die niemals eine Tour gefahren sind.

Tatsächlich kann die Suche einer Unterkunft sehr spannend werden. Wenn Sie auf diese Spannung verzichten wollen, werden Sie Ihre Möglichkeiten auf der Tour stark einschränken müssen. Dann nämlich müssen Sie reservieren oder reservieren lassen, doch Sie wissen nicht, wie weit sie kommen werden, es sei, die Tour ist geführt und vielleicht wird Ihr Gepäck sogar von einem externen Veranstalter transportiert. Dann aber machen Sie die Tour gemeinsam mit vielen Leuten, von denen ein jeder seine spezifischen Wünsche hat, die nicht unbedingt mit Ihren konform sind.

Und immer können Sie manche Überraschung erleben, selbst wenn die Tour noch so sorgfältig geplant und geführt ist. Die kurze Tagestour entbehrt solche Überraschungen. Damit wird sie berechenbar. Das ist toll.

Was ist heute im Fernsehen? Kannst du mir ein Schnitzel machen? Haben wir ein Pflaster zu Hause? Ich sollte vormittags zum Augenarzt gehen, mein linkes Auge brennt. Erst wenn es besser ist kann ich die nächste Runde fahren. Vielleicht ist es günstiger, wenn ich morgen überhaupt aussetze.

Es gibt viele Ratgeber, die man sich zu Gemüte führen kann, wenn man eine größere Tour plant, schon um sich zu beruhigen, weil man ja keine Erfahrung hat. Aber wie holt man sich diese.

Grundsätzlich wird man nirgendwo erfahren was man wirklich braucht, weil man nicht weiß was alles passieren kann. Das sind die vielen kleinen praktischen Erfahrungen, die man aus jeder Tour mitbringt. Erfahrung kommt eben von Fahren.

Wir – und unter wir meine ich im Regelfall mich und meinen Radkumpel – waren nicht allzu weit weg. Vielleicht tausend Kilometer oder etwas weiter. Es gibt Leute, die weltweite Touren gefahren sind, Touren über ganze Kontinente hinweg. Über viele Wochen hindurch, über Monate oder gar Jahre. Zu mehreren, zu zweit oder alleine. Darüber gibt es ausführliche Beschreibungen. Uns waren solche Routen wegen der Kosten verwehrt und auch zu beschwerlich. Wir fuhren Reisen, die auch von anderen gefahren werden können, also von Leuten, die nicht jedes Jahr beim Hawaii-Marathon dabei sind. Solche Leute wie Sie und ich. Es lohnt sich durch das zivilisierte Europa zu fahren. Durch Deutschland, die Schweiz, Italien und Frankreich. Auch dabei kann man viel erleben.

Meine Erfahrung, mein Training, wie habe ich sie erreicht? Ja mein Gott. Seit ich mich erinnern kann stehe oder sitze ich auf etwas das zwei Räder hat, mich trägt und sich schneller vorwärts bewegt, als ich das sonst kann. Viel mehr war das nicht.

Angefangen hat es mit einem Tretroller. Einen solchen hatte mein Vater 1946 auf einem Schrotthaufen aufgelesen, repariert, lackiert und unter den Weihnachtsbaum gestellt. Es war das schönste Geschenk, an das ich mich erinnern kann. Ausgenommen mein Fahrrad, meine Spielzeugeisenbahn, meine Lederschultasche aus Holland und meine Armbanduhr, die mir meine Frau zu unserer Hochzeit geschenkt hat. Aber letztlich war das Eindrucksvollste dieser einfache Tretroller. Er war eine Wucht. Er hatte eine graublaue Lenkerstange, bunte Blumen auf dem Trittbrett und zwei dünne Vollgummiräder mit Kugellagern. Was konnte ich mit drei Jahren von Kugellagern wissen? Mein Großvater hatte in seinem Gartenhaus irgendwo ein total verrostetes Kugellager herumliegen. Damit konnte man nichts anfangen, schon weil man den inneren Ring nicht bewegen konnte. Er war starr, und da lagen noch andere rostige Kugeln verschiedener Größe herum, die zu nichts zu gebrauchen waren, und nun hatte dieser Tretroller Kugellager. Um aber zu zeigen, wie gut ein Kugellager sein konnte, stellte mein Vater den Roller auf den Kopf, stieß die Räder ein wenig an und sie drehten und drehten und drehten sich und wollten partout nicht aufhören sich zu drehen. Das war faszinierend. Wer kann sich vorstellen, wie ein solches Rad zwei Kinderaugen leuchten ließ, kurz nach dem Krieg, wo alles kaputt war! Das ist heute nicht mehr vorstellbar, wo es doch bereits alles gibt. Er erklärte mir den Unterschied zu anderen Rädern, die nicht aus Metall, sondern nur aus Holz waren, die Steckachsen aus Metall waren durch ein Loch im Holzrad gesteckt und wackelten herum. Wenn man sie anschubste, blieben sie sofort mit einem Quietschton stehen, der einem durch Mark und Bein ging. Meine Metallräder aber liefen langsam und wunderbar geräuschlos aus. Ein Schubs mit einem Bein und man fuhr zehn Meter weit.

Unmittelbar nach dem Krieg hatte es nichts gegeben. Kurz gesagt, wir hatten nichts, nicht einmal ein Reindl (eine Kasserolle) ohne durchgerostete Stellen, fast jedes Haus war beschädigt, und viele Leute schliefen gleichsam im Freien. Es war eisig kalt und nass im Winter 1946, und wir hatten nichts um die kalte feuchte Wohnung zu heizen. An einem derart kalten Wintertag war ich auf einem alten Schlitten gesessen, den meine Mutter zog und war eingewickelt in einige löchrige Decken. Dennoch machte es ungeheuren Spaß in den Schnee zu greifen und ihn an den Wangen zu reiben. Die Luft duftete nach Natur und Rauch. Rauch, werden Sie fragen, und Geruch? Ja, warmer Rauch kann duften, denn dort wo geheizt wird, raucht es und ist es warm, und das war schließlich das Entscheidende, und so saß ich im Winter eingepackt auf meinem Schlitten und dachte an den Sommer und an meinen Tretroller. Wann endlich würde es wärmer werden, wann endlich würde ich ihn das erste Mal richtig fahren können. Es war der Urgrund meiner Sehnsucht, einmal eine Reise zu machen.

Und dann kam der ersehnte Frühling. Ich sauste aus der Einfahrt auf die leere Straße. Es gab ja kaum irgendwo ein Auto, es gab keine Motorräder, die Leute gingen zu Fuß. Ab und zu ging jemand mit der Milchkanne und einem alten Lederbeutel zu Frau Raible, über die feuchten Stufen hinab in ihr Milchgeschäft. Es war nichts anderes als ein kleiner dunkler Keller, wo sie mit einem zerbeulten Aluminiumgefäß in die große Milchtonne fasste und einen viertel oder einen halben Liter oder ganz selten einen ganzen Liter frischer duftender Kuhmilch schöpfte und in die verbeulte Milchkanne schüttete und dann diese Milchkanne mit dem total verbeulten Deckel verschloss. Heute wäre das aus hygienischen Gründen undenkbar, in der EU streng verboten, man könnte ja sterbenskrank werden von diesem verheerenden Schmutz in der Milch, so würde man denken, außerdem ist ja Milch ohnedies furchtbar schädlich. Aber das ist ein anderes, ein schauerliches Thema, diese alltägliche Gefährdung der Gesundheit durch die verseuchten Lebensmittel heutzutage.

Ab jetzt brauchte ich also nie mehr zu Fuß zu Frau Raible zu gehen, sondern hängte meine Kanne an den Lenker des Rollers und sauste stolz an den Leuten vorbei, die da vor mir langsam humpelten und schlurften.

„Gib acht, dass du nicht hinfällst“, warnte meine Mutter stets vor Beginn dieser kleinen Expedition. „Keine Sorge“, beruhigte ich sie, und fort war ich.

Nur einen einzigen Sturz hatte ich damals getan mit meinem Liebling, dem Roller, und die Narbe auf dem linken Knie habe ich heute noch. Wenn man weiß wo sie ist, kann man sie erkennen. Auf dem rechten Knie habe ich eine andere Narbe, sie stammt von einem späteren Sturz mit meinem ersten Fahrrad.

Übrigens hat mir mein Schulkamerad Peter zehn Jahre später beim schwungvollen Abhacken eines Schilfrohrs mit seinem neuen Taschenmesser tief in meinen rechten Zeigefinger geschnitten. Diese Wunde kann man noch deutlich erkennen. Peter ist später Universitätsprofessor für Chemie geworden. Mittlerweile ist er schon emeritiert, ich sollte ihn vielleicht einmal anrufen.

Der Roller wurde mir irgendwann zu klein. Da gibt es ein Bild von mir, das beweist, dass ich Monika, meine erste Freundin, mit dem Roller irgendwo hingefahren habe. Mein Vater meinte damals, vielleicht würde dabei das Rohr brechen unter dem Gewicht von uns beiden. Der tapfere Roller jedoch hat uns beide ausgehalten. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

Abbildung 1: Meine Cousine Hilde und ich auf Tour

Und irgendwann war dann dieses Rad da. Dieses Rad war – ganz im Gegensatz zum Roller – ein hässliches Entlein, doch hatte ich es über alle Maßen geliebt. Es hatte einen komischen Rahmen, der war mit zusätzlichen Rohreinsätzen verstärkt, mindestens fünfmal geschweißt, und deshalb schon war das Rad schwerer als es sonst gewesen wäre. Da waren 26-Zoll-Räder in einem 24-Zoll-Rahmen. Ja das gab es damals. Manche Leute fragen mich damals, ob es denn ein Rohr gibt, dessen Innendurchmesser größer ist, als sein Außendurchmesser. Das war sicher eine eigenartige Verwechslung, dachte ich damals, und entschloss mich Mathematik zu studieren.

Na gut, dieser Rahmen war etwas Besonderes, er war zwar klein, hatte aber eine Gabel von einem anderen Rad, und diese Gabel war so lang, dass eben ein 26-Zoll-Rad hineinpasste. Da ist dieses Foto von ihm und mir und meiner Cousine Hilde. Sie war um ein Jahr älter als ich, und wir waren gemeinsam mit unseren Rädern herumgefahren. Sie hatte ein wunderschönes Damenrad mit einem Ledersattel, einer riesengroßen Lampe und einer verchromten Klingel. Eine Seltenheit. Mein Rad hatte wie das Rad von Hilde auch einen Ledersattel. Er war komplett durchgeritten, hatte Löcher an jenen Stellen, wo die großen Schraubenfedern befestigt sind, und so saß man an diesen Stellen eher auf den Federn, als auf dem Leder. Das spielte insofern keine Rolle, als ich im Sommer eine dicke Lederhose trug. Quasi die analytische Fortsetzung des Sattels.

Im Gegensatz zu Hildes Lenker hatte meiner einen barocken Schwung, der heute das Herz jedes Sammlers höher schlagen ließe. An den Rohrenden waren Gummimuffen – Kunststoff gab es damals noch nicht – und diese Muffen waren durch das oftmalige Umfallen des Rades auf harte und scharfe Oberflächen der durch und durch kaputten Straßen aufgerissen, sodass die rostig scharfen Enden durchdrangen. Das Rad hatte zwei Bremsen, was meine Mutter sehr beruhigte, denn sie meinte im Gegensatz zu mir und meiner Cousine, dass das Wichtigste beim Radfahren das Bremsen wäre. Da war die Rücktrittbremse. Sie hat in meiner Fahrradhaltung bis heute ihre Spuren hinterlassen, denn auch heute noch fahre ich im Leergang immer mit dem rechten Pedal nach hinten, also bremsbereit für einen fiktiven Rücktritt, den die Mountain Bikes nicht haben.

Die Rücktrittbremse hat gezogen