EX Meridian - A. E. Via - E-Book

EX Meridian E-Book

A.E. Via

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Beschreibung

Die Polizeilieutenants God und Day stehen unter immensem Druck: Sie müssen die Kontrolle über die Straßen von Atlanta zurückzugewinnen. Das Letzte, was ihre Task Force jetzt gebrauchen kann, sind zwei ausgebildete Killer in der Stadt, die eine persönliche Rechnung zu begleichen haben. Ex und Meridian, diese beiden Codenamen sind für internationale Terroristen gleichbedeutend mit "garantiertem Tod". Zwei gebrochene Männer aus denselben kriminellen Milieus, rekrutiert für ein geheimes Regierungsprogramm, von dem nur wenige wissen. Ausgebildet, um gemeinsam möglichst effizient – tödlich – zu operieren. Aber nach ihrer ersten Begegnung mit God und seinem beschützenden Ehemann Day beginnen Ex und Meridian, ihre eigene Beziehung neu zu bewerten. Sie fragen sich, ob sie noch tödlicher sein könnten, wenn sie die Gefühle füreinander befreien würden, die sie seit Jahren unterdrücken mussten. Hinweis: Dieser Titel konzentriert sich auf zwei neue Charaktere in der Serie. Und obwohl er für sich allein stehen kann, treten auch Hauptcharaktere aus früheren Teilen auf.

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Seitenzahl: 431

Veröffentlichungsjahr: 2025

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A. E. Via

EX Meridian

Nothing Special Band 7

Impressum:

© dead soft verlag, Mettingen 2025

http://www.deadsoft.de

Für Fragen der Produktsicherheit:

[email protected]

Querenbergstr. 26, D-49497 Mettingen

© the author

Titel der Originalausgabe: EX MERIDIAN, Nothing Special VII

Übersetzung: Florentina Hellmas

Coverbearbeitung: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Coverartist: Jay Aheer

Simply Defined Art

https://www.simplydefinedart.com/

1. Auflage

Inhalt:

Die Polizeilieutenants God und Day stehen unter immensem Druck: Sie müssen die Kontrolle über die Straßen von Atlanta zurückzugewinnen. Das Letzte, was ihre Task Force jetzt gebrauchen kann, sind zwei ausgebildete Killer in der Stadt, die eine persönliche Rechnung zu begleichen haben.

Ex und Meridian, diese beiden Codenamen sind für internationale Terroristen gleichbedeutend mit „garantiertem Tod“.

Zwei gebrochene Männer aus denselben kriminellen Milieus, rekrutiert für ein geheimes Regierungsprogramm, von dem nur wenige wissen. Ausgebildet, um gemeinsam möglichst effizient – tödlich – zu operieren.

Aber nach ihrer ersten Begegnung mit God und seinem beschützenden Ehemann Day beginnen Ex und Meridian, ihre eigene Beziehung neu zu bewerten. Sie fragen sich, ob sie noch tödlicher sein könnten, wenn sie die Gefühle füreinander befreien würden, die sie seit Jahren unterdrücken mussten.

Kapitel 1

Ex

Ex saß reglos in der dunklen Limousine und starrte durch die getönten Scheiben, während schwere Regentropfen auf die Motorhaube prasselten. Es war ein trüber Januarmorgen, der Himmel grau und mit Gewitterwolken verhangen, ein passendes Ambiente für eine Beerdigung. Es wäre unsinnig gewesen, für einen so düsteren Anlass Sonnenstrahlen zu verschwenden. Er verzog keine Miene, als er zusah, wie die Bestattungsunternehmer den Sarg seines kleinen Bruders in die Erde senkten. Er hätte sich nicht so aufgewühlt oder verletzt fühlen dürfen – er sollte eigentlich überhaupt nichts fühlen. Aber er tat es.

Ex stützte sich mit dem Ellbogen auf dem Fensterrahmen ab und legte die Faust leicht an sein Kinn. Er strich sich über seine immer vorhandenen Bartstoppeln, während er beobachtete, wie ein großer, stämmiger Mann seine trauernde Mutter umarmte. Er lockerte seine Faust, als er Mr. Harold erkannte, den Freund seiner Mutter während der letzten sieben Monate. Er hatte ihn recherchiert, so wie er jeden überprüft hatte, der in das Leben seiner Familie trat. Er hätte sich gewünscht, seine Mutter in den Arm nehmen und ihr sagen zu können, dass alles gut werden würde. Aber das konnte er nicht. Er hatte diese harte Realität schon vor langer Zeit akzeptiert.

„Ich kann es möglich machen.“ Die tiefe Stimme seines Partners durchbrach die Stille wie ein Messer.

Ex zuckte nicht zurück, unfähig, sich von Meridian erschrecken zu lassen. Seine imposante Präsenz war immer da. Die beiden waren darauf trainiert, am besten zu funktionieren, wenn sie zusammen waren … und das taten sie. Er wusste, was sein Partner ihm anbot, aber es war verboten. Sie brachen bereits zu viele Regeln, weil sie sich auf dieser Seite des Atlantiks befanden, ganz zu schweigen davon, dass sie in seiner Heimatstadt waren. Was, wenn jemand ihn gesehen und erkannt hätte? Aber er hatte es nicht über sich gebracht, die Beerdigung seines Bruders zu verpassen. Wäre er für ihn da gewesen, dann wäre er vielleicht noch am Leben. Ex war jetzt ein Einzelkind, obwohl er eigentlich gar keine Familie haben durfte, denn seine Vergangenheit war ihm im Laufe der Jahre genommen worden und hatte ihn zu jemand anderem gemacht – zu jemandem, den seine eigene Mutter nicht erkannt hätte. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er sich vor acht Jahren von ihr verabschiedet hatte. Damals war er 18 Jahre alt gewesen. „Ich würde es nicht wagen, von dir zu verlangen, dich zu kompromittieren.“

„Du hast es nicht verlangt … ich habe es dir angeboten.“

Ex dachte über Meridians Worte nach, während er seine Mutter anstarrte. Wenn er sie nur umarmen könnte, nur einmal, nur um sie wissen zu lassen, dass sie nicht kinderlos war. Dass er noch lebte, sie beobachtete, sie beschützte, ungeachtet der Tatsache, dass er nicht da sein konnte, um der Sohn zu sein, den sie sich wünschte. Das war Evans Aufgabe gewesen – sein kleiner Bruder. Ein toller Junge, der sein ganzes Leben noch vor sich gehabt hatte. Evan war ein Musterschüler gewesen, der immer hart gearbeitet hatte, um seine Mutter stolz zu machen. Er hatte das Gesindel in der Nachbarschaft gemieden und sich so sehr auf seine Zukunft konzentriert, dass er ein Teilstipendium für das Georgia Institute of Technology erhalten hatte.

Verdammt! Das ist nicht fair! Sein Verstand tobte und kämpfte mit seinen Emotionen, die er gut verbarg, während er starr wie ein Stein auf dem warmen Ledersitz saß. Jeder, der von außen hinsah, hätte angenommen, dass ihn das Verschwinden des silbernen Sarges seines Bruders nicht im Geringsten berührte, als er langsam zwei Meter tief in die Erde gelassen wurde. Seine Fäuste wollten vor Wut zittern, aber er hielt sie ruhig und zeigte keine Gefühle.

„Warum lässt du mich Mom nicht sagen, dass ich dieses Jahr wenigstens mit dir gesprochen habe, sie macht sich so viele Sorgen“, sagte Evan, nachdem er sich aus einer engen Umarmung befreit hatte. „Ich mache mir auch Sorgen. Wir wissen nicht, was du machst und warum du für uns tot sein musst.“

Ex lehnte sich an die Metallstangen unter der Stadiontribüne hinter Evans Highschool. Während er zwischen zwei Aufträgen steckte, hatte er eine kryptische Nachricht an seinen Bruder geschickt, dass er ihn am späten Sonntagabend dort treffen sollte. Sein Partner schaltete die Überwachungskameras der Schule auf der Rückseite des Geländes aus, damit er unentdeckt bleiben konnte.

„Ich wünschte, ich könnte es, Ev. Aber so ist es am sichersten, glaub mir. Du weißt, dass ich schon gegen die Regeln verstoße, wenn ich mit dir spreche.“

„Wie kommt es, dass du keine Familie haben kannst? Ich würde nie jemandem erzählen, wo du bist oder welchen Job du machst. Ich schwöre es“, flehte Evan. Seine Gefühle lagen völlig offen. So offen, dass es Ex überwältigte.

Er seufzte angesichts der Aufrichtigkeit in den grauen Augen seines Bruders, Augen, von denen er wusste, dass sie seinen eigenen ähnelten. „Ich weiß, dass du das nicht würdest, Kleiner, aber es ist wirklich zu deinem Besten. Ich kann nicht zulassen, dass jemand versucht, dich oder Mom zu benutzen, um an mich heranzukommen.“

„Mann, was zum Teufel machst du beim Militär?“

Nicht beim Militär, sondern in einem Zweig der Regierung, ja. Ex antwortete nicht. Das tat er nie. Das Letzte, was seine Mutter und sein Bruder offiziell wussten, war, dass er vor acht Jahren in Fort Benning in einen Bus gestiegen war, der ihn ins Ausbildungslager bringen sollte, und dass man nie wieder von ihm gehört hatte. Bis er an Evans 13. Geburtstag zusammenbrach und seinen Bruder mit einem sicheren Handy kontaktierte, das er als Geschenk verpackt geschickt hatte.

„Es gibt zu viel zu erklären, und ich habe nicht viel Zeit.“

„Ich weiß“, sagte Evan leise. Er ließ den Kopf sinken und trat mit der Spitze seines Tennisschuhs gegen den Kies. „Wann werde ich dich wiedersehen?“

Er war jetzt 15 und immer voller Fragen, die Ex ignorieren musste. „Hoffentlich nicht zu lange.“

„Es waren fast zwei Jahre.“

„Hast du dein Geschenk bekommen?“ Ex schaltete einen Gang höher. Er konnte zwar ablenken, aber sein ganzes Training verpuffte, wenn er mit seinem kleinen Bruder zusammen war - dem, der zu ihm aufgesehen hatte und so sein wollte wie er. Das wollte er immer noch. Vielleicht hatte der Leiter des Programms deshalb darauf bestanden, dass sie alle Verbindungen zu Familie und Freunden abbrachen. Liebe war ein Handicap.

„Ja! Der Computer ist toll. Er muss dich ein Vermögen gekostet haben, Xavier. Mama weiß, dass die Geschenke von dir kommen. Sie grinst immer so wissend und freut sich, wenn ich ein schwarzes Paket bekomme. Ich meine, sie ist ja nicht blöd.“

„Ich weiß, dass du ihr schon vor langer Zeit gesagt hast, dass ich noch lebe. Das hatte ich vermutet. Aber sie darf mich nicht sehen“, betonte Ex.

„Ich weiß. Also, wo ist dein Partner?“ fragte Evan und scannte ihre Umgebung. Er würde Meridian nie sehen, es sei denn, der Mann wollte es.

„Er ist in der Nähe.“ Ex ließ seinen Bruder nicht aus den Augen, aber er spürte, dass Meridian in der Nähe war, wahrscheinlich auf dem Dach des Schulgebäudes … und ihn beobachtete.

„Ihr zwei seid wirklich knallharte Burschen, nicht wahr?“ Evan grinste. „Wie ein paar geheime, verdeckte Agenten.“

Ex pfiff leise und blickte ins Leere. „Ich habe nichts dergleichen gesagt.“

Sein Bruder lachte und stürzte wieder auf ihn zu, wobei er seine schlaksigen Arme um seine Taille schlang. „Ich vermisse dich so sehr. Und ich verspreche dir. Ich werde es niemandem erzählen.“

Ex brauchte eine Sekunde, um zu verarbeiten, dass er umarmt wurde, das Gefühl war ihm nach so langer Zeit fast fremd. Dann hob er langsam seine Hände, legte sie um Evans Schultern und drückte ihn im Gegenzug. Es fühlte sich gut an. Es fühlte sich wirklich gut an, und Evan umarmte ihn noch fester. Wenn sein Betreuer das gesehen hätte, hätte er Ex zum Direktor zitiert, um sich zu erklären. Aber er konnte nicht loslassen.

„Ex“, sagte Meridian knapp und riss ihn aus seiner Erinnerung.

„Mach es“, antwortete er rasch. Er richtete seinen Blick auf das Grab, in dem sein einziger Bruder jetzt ruhte. Er dachte an all die Zeiten, in denen er Evan nicht gesehen hatte. Zeit, die er vergeudet hatte. Jetzt würde er seine Mutter zum ersten Mal seit acht Jahren wiedersehen.

Ihr Fahrer war ein pensionierter Drill-Sergeant der Armee, der auf den Spitznamen Slade hörte. Ihm gehörte der Autoservice für gehobene Kundschaft, den sie für die kurze Zeit ihres Besuchs engagiert hatten. Ein Service, der für seine hervorragenden Fahrkünste und vor allem für seine Anonymität bekannt war. Slade folgte der Prozession, bis sie auf die Hauptstraße einbogen, die zu Ex' Elternhaus führte. Als sie sich Lakewood Heights näherten, bog er in eine Einbahnstraße ein, und Meridian klopfte einmal auf die schwarze schalldichte Trennscheibe, um dem Fahrer zu sagen, wo er aussteigen wollte. Slade fuhr dicht an den Bordstein vor einem Starbucks heran und ließ den Wagen in Fahrtrichtung stehen.

„Ich schicke Ihnen eine SMS, wo wir uns treffen, Slade. 25 Minuten“, informierte Meridian ihn. Er warf einen kurzen Blick nach rechts und Ex nach links, aber er wusste, dass er hier keine Gefahr finden würde. Dann stieg Meridian mit einer Grazie, die ein Mann seiner Größe nicht haben sollte, aus dem Auto, öffnete einen schwarzen Regenschirm und fügte sich mühelos in den Fußgängerverkehr in Richtung Osten ein. In Richtung des Hauses von Ex' Mutter.

Ex hatte nie gefragt, wie sein Partner das anstellen wollte, aber er hatte keinen Zweifel daran, dass er es tun würde. Er würde Meridian das für ihn tun lassen, selbst wenn es sie beide ihre Karriere kosten konnte.

Slade hielt auf einem Kirchenparkplatz, ein paar Blocks von dem Ort entfernt, an dem er Meridian vor 21 Minuten abgesetzt hatte. Ex hörte, wie das Telefon des Fahrers eine Benachrichtigung anzeigte, dann fuhren sie weiter. Das war es also. Er streckte seinen Rücken und atmete ein paar Mal tief durch. Er war überrascht über das fremde Flattern in seinem Magen. So etwas wie Nervosität hatte er seit Jahren nicht mehr gespürt, aber er erkannte das Gefühl dennoch.

Kapitel 2

Meridian

Meridian betrat das vollbesetzte zweistöckige Stadthaus und konnte immer noch nicht glauben, dass er sich dazu bereit erklärt hatte. Er hatte verdammt noch mal nichts im Haus der Familie seines Partners zu suchen, der im Begriff war, sich seinem einzigen Elternteil zu nähern. Ihre Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, die ganze Familie sollte aus ihren Köpfen gestrichen werden. Aber das Gehirn funktionierte nicht immer auf diese Weise. Ex tickte anders. Er war etwas Besonderes und Meridian wusste das. Für ihn war es leicht gewesen, seine beschissene Vergangenheit zu vergessen. Er war mehr als froh gewesen, seine misshandelnden Eltern aus seinem Leben auszulöschen.

Bei Ex war das anders. Niemand wusste von den Gefühlen, an die er sich klammerte und die er unter der eisernen Rüstung verbarg, die er nach außen hin trug. Ungeachtet der Tatsache, dass Ex immer noch tief empfand, hatte ihn das in seinem Job nicht weniger effektiv gemacht, und Meridian war stolz darauf, sein Partner zu sein. Die beiden waren bei korrupten Führern und Organisationen auf der ganzen Welt bekannt, und das vor allem wegen Ex. Weil er einer der wenigen war, die noch eine verdammte Seele hatten … ein Gewissen. Meridian würde alles tun, um sicherzustellen, dass Ex es nie verlor, deshalb war er nun hier.

Er bahnte sich einen Weg durch die feierliche Menge, die vom Grab aus zu dem anschließenden Buffet gekommen war. Die meisten von ihnen waren schwarz gekleidet und unterhielten sich leise. Das Haus war warm und geschmackvoll dekoriert, obwohl die Möbel umgestellt worden waren, um den Trauernden Platz zu bieten. Auf dem Weg zur Küche im hinteren Teil des Hauses, wo sich, wie er wusste, die Mutter von Ex aufhielt, hörte er leise Gespräche.

„Es ist so traurig, dass Evan das passiert ist.“

„Ich weiß. Er war so ein guter Junge, und er war so klug.“

„Zwei Söhne verloren … das kann ich mir nicht vorstellen“, flüsterte eine andere Frau über den Rand ihrer Kaffeetasse.

Meridian behielt sein Ziel im Auge, hielt nicht an, um mit jemandem zu sprechen, und begegnete auch nicht den neugierigen Blicken, die ihn verfolgten, während er sich bewegte. Er sah zwar nicht so aus, als gehöre er dorthin, ein Freund der Familie, aber sein dunkler Anzug gewährte ihm leichten Zugang. Er war froh, dass sich nur ein paar ältere Frauen in der Wohnküche aufhielten und Ex' Mutter umschwirrten, während sie einen dampfenden Topf auf dem Herd umrührte. Sie war viel kleiner als er und hatte eine zierliche Figur. So wie ihr schwarzes Kostüm an ihrem Körper hing, sah sie aus, als hätte sie kürzlich abgenommen. Und während ihr Gesicht immer noch den gleichen niedergeschlagenen Ausdruck hatte, den er am Grab bei ihr gesehen hatte, erinnerte ihn ihre helle Haut an seinen Partner und daran, warum er dort war.

„Melinda, warum setzt du dich nicht und isst eine Kleinigkeit? Ich bin mir sicher, dass du dich dann viel besser fühlst, als wenn du dich verausgabst“, sagte eine von den Frauen und versuchte erfolglos, ihre Freundin vom Herd wegzuziehen.

Warum glaubten die Leute immer, sie wüssten, was das Beste für andere war? Meridian schüttelte nicht den Kopf, als er unauffällig vor einem überlangen Tisch neben der Terrassentür stand. Er betrachtete die zehn verschiedenen Sorten Kuchen und Torten, die angeboten wurden. Er nahm einen kleinen Teller und legte ein Stück Zitronenkuchen darauf und etwas, das einem krümeligen Kaffeekuchen ähnelte.

„Meine Küche entspannt mich“, protestierte die Mutter. „Könnt ihr mir nur eine Minute geben. Bitte.“

Sie starrten sie einen langen Moment lang an, während sie auf die blubbernde Schüssel hinunterblickte, die sie gerade umrührte, und beäugten sich dann gegenseitig misstrauisch. Mit einem resignierten Seufzen zogen sich beide Frauen ins Wohnzimmer zurück und flüsterten miteinander, als wäre Ex' Mutter plötzlich taub geworden.

Meridian stellte sich dicht hinter sie. Er griff um sie herum und stellte seinen Teller vor ihr auf die Arbeitsfläche. Sie zuckte kurz zusammen, drehte sich dann um und hielt seinem Blick stand. Er reagierte weder auf ihr Erschrecken noch auf ihr Keuchen. Ex' Mutter schluckte schwer und umklammerte das silberne Kreuz, das um ihren Hals hing.

„Der Verlust Ihres Sohnes tut mir leid“, sagte Meridian, seine Stimme so leise wie möglich, doch Melinda zuckte trotzdem zusammen.

„Sie haben Evan gekannt?“, fragte sie und runzelte leicht ihre glatte Stirn. Die einzigen Falten in ihrem Gesicht waren die in ihren Augen- und Mundwinkeln.

„Nein. Ich habe nur Geschichten über ihn gehört.“

Sie versuchte, einen Schritt zurückzutreten, aber sie war so nah am Herd, wie sie nur konnte, ohne sich zu verbrennen. „Von wem?“

„Von seinem Bruder.“

Ihre Lippen begannen sofort zu zittern, und die andere Hand – die das Kreuz nicht mehr festhielt – wanderte zu ihrem Mund. Sie schien darum zu kämpfen, Luft zu holen, denn sie atmete schnell und flach. Wässrige, hellgraue Augen starrten ihn an, und er sah den Moment, in dem die Erkenntnis einsetzte. Meridian wusste, dass Evan seiner Mutter gesagt hatte, dass ihr anderer Sohn nicht tot war, sondern tatsächlich verdeckt für die Regierung arbeitete, sie ihn aber wahrscheinlich trotzdem nie wieder sehen würde. Meridian wusste von den wenigen Hinweisen und Kleinigkeiten, die Ex seiner Familie im Laufe der Jahre geschickt hatte, um sie wissen zu lassen, dass er sie nicht vergessen hatte. Er hatte nie jemandem verraten, dass sein Partner eine ihrer wichtigsten Regeln gebrochen hatte. Aber irgendetwas an Ex und seiner Familie, irgendetwas an dem, was sie durchgemacht hatten, war der Grund dafür, dass er nicht alle Verbindungen zu seiner Mutter und seinem kleinen Bruder abbrechen konnte. Er wollte es einfach nicht, und das war es, was ihn an seinem Partner am meisten faszinierte – ein Stück Trotz, das seiner extrem kalkulierten Existenz etwas Aufregung verlieh.

„Sie kannten Xavier?“, fragte sie, während sie leise aufschluchzte.

Meridian schüttelte den Kopf. „Nein. Ich kenne Xavier.“

Ihr Schluchzen wurde etwas lauter und Meridian setzte sich in Bewegung. Zum einen, weil er dachte, dass das eifrige Duo zurückkommen und ihn aufhalten würde, aber er mochte auch nicht so viele Emotionen um sich haben.

„Wo ist er?“, fragte sie in einem rauen Flüsterton, als sie seinen Arm ergreifen wollte, aber sein Instinkt ließ ihn ihrer Berührung ausweichen, bevor sie ihn zu fassen bekam. „Oh mein Gott.“

„Kommen Sie mit. Ich bringe Sie zu ihm.“

Sie rührte sich nicht und er auch nicht. Melinda sah aus, als würde sie spüren, dass etwas nicht stimmte, und kniff die Augen zusammen. Meridian wusste es zu schätzen, dass sie nicht dumm war, kein leichtes Ziel.

„Bringen Sie ihm ein Stück Zitronenkuchen mit. Das ist immer noch sein Lieblingskuchen.“

Melindas Augen weiteten sich – als ob Meridian ihren Test bestanden hätte – und sie unterdrückte ein weiteres Schluchzen, als sie durch eine Seitentür huschte, die Meridian als Speisekammer erkannte, und ihre Handtasche von einem Haken nahm. Sie kümmerte sich nicht um den Kuchen, sondern bewegte sich, als wäre sie auf einer Mission. Er stand an der Terrassentür und wartete auf sie, nachdem sie sich einen schwarz-grauen Schal über die Schultern geschlungen hatte. Meridian schob die Tür zur Seite und führte sie hinaus in den trüben, kalten Abend, ohne dass jemand etwas davon mitbekam.

„Ihre Schlüssel“, murmelte Meridian.

Melinda kramte krampfhaft in ihrer kleinen Tasche und reichte ihm den Schlüsselbund. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz ihres Honda Accord und drückte ihre Handtasche so fest an ihren Bauch, als würde ihr gleich schlecht werden. Meridian setzte den Wagen rückwärts aus der langen Einfahrt und fuhr in Richtung Osten. Er schickte Slade eine SMS von seiner Smartwatch und teilte ihm mit, wo er ihn treffen sollte. Melinda konnte ihre Hände nicht ruhig halten, und als er fünf Minuten später in die Tiefgarage einer teuren Eigentumswohnung einbog, liefen ihr Tränen übers Gesicht.

Meridian parkte ein paar Plätze weiter, wo die Limousine im Leerlauf stand. Er stieg aus und öffnete Melinda die Tür. Sie stürzte nicht aus dem Auto, wie er es von einer emotionalen Mutter erwartet hätte. Stattdessen holte sie ein paar Mal tief Luft, kramte ein zerknittertes Taschentuch aus ihrer Handtasche und wischte sich damit schnell über die Wangen. Dann stand sie auf, straffte ihren Rücken und starrte geradeaus auf die schnittige Limousine.

„Sie wollen mir sagen, dass mein älterer Sohn in diesem Auto sitzt?“

Meridian antwortete nicht. Er führte sie zu dem Fahrzeug und öffnete die hintere Tür. Sie duckte sich hinein und er schloss sie hinter ihr.

Kapitel 3

Ex

Es kostete Ex viel Willenskraft, seinen Blick von Meridian abzuwenden und zu beobachten, wie seine Mutter den kurzen Weg zu ihm zurücklegte. Die Tränen in ihren Augen, das schnelle Heben und Senken ihres Brustkorbs und der stotternde Gang, als ob sie darum kämpfte, einen Fuß vor den anderen zu setzen, waren alles Reaktionen, die ihn zu übermannen drohten. Er konnte das nicht zulassen. Sein Blick kehrte zu seinem Partner in seinem schwarzen Maßanzug und dem schwarzen Hemd zurück. Er sah scharf und tödlich aus. Sein einziger treuer Freund, und Ex konnte nicht glauben, dass Meridian das für ihn getan hatte. Sie könnten in diesem Moment unter Beobachtung stehen. Sobald sie aktiviert wurden, würden sie sofort geortet und überwacht werden. Ihre Betreuer wären online und würden auf ihren Check-in warten.

Aber er konnte auf keinen Fall gehen, ohne seine Mutter wissen … sehen … zu lassen, dass sie nicht kinderlos war. Alles, was sie in seinem jungen Leben für ihn getan hatte, jeder Nachtjob, den sie ausgeübt hatte, und die einsamen Nächte, die sie für ihn ertragen hatte, damit aus ihm und Evan etwas werden konnte, würde es ihm niemals erlauben, sie zu verlassen.

Die Tür öffnete sich, und der Duft von Estée Lauder drang in den dunklen Innenraum, bevor seine Mutter einstieg und sich den der Tür am nächsten gelegenen Sitz aussuchte. Nostalgie versuchte, sich in seinen steifen Knochen festzusetzen, aber er verdrängte die Erinnerungen an seine Kindheit. Er setzte sich gerade hin und stützte beide Hände auf die Oberschenkel. Er hielt ihren verschleierten Blick fest, während sie leise in ihre Handflächen weinte und zitterte, während sie ihn langsam musterte.

Die Tür auf der gegenüberliegenden Seite öffnete sich und Meridian schob seinen großen Körper auf die Sitzbank ihnen gegenüber und hüllte sie erneut in Dunkelheit … und Schweigen. Ex wusste, dass er etwas sagen sollte, er hatte dem zugestimmt, aber jetzt fühlte sich seine Zunge wie gelähmt an. Sein Puls raste unkontrolliert und er musste sich besonders anstrengen, nach außen hin unbeeindruckt zu bleiben.

„Hallo“, sagte er zu seiner Mutter, als wäre er ein Roboter.

Sie schnappte nach Luft und schüttelte den Kopf, als würde sie ihren Ohren nicht trauen. „Hallo? Hallo?“, stotterte sie. „Wenn ich nicht so erleichtert wäre, dich zu sehen, würde ich dir den Kopf mit einer Ohrfeige zurechtrücken.“

Ex spürte, wie seine Mundwinkel zuckten, als er die Lieblingsdrohung seiner Mutter aus der Zeit hörte, als er ein eigensinniger Teenager gewesen war. Er sagte nichts, sondern beobachtete sie nur. Sie war vielleicht nicht in der Lage gewesen, sich gegen den gewalttätigen Ehemann zu wehren, vor dem sie weggelaufen war, aber sie hatte ihre Jungs nur mit ihrer flinken Zunge gezüchtigt.

Die Hände seiner Mutter zitterten in ihrem Schoß. Sie sah ihn stirnrunzelnd an und blinzelte, als würde sie versuchen, in der schummrigen Beleuchtung seine Gesichtszüge zu erkennen. „Bist du mein Sohn?“, flüsterte sie. „Bist du noch mein Xavier?“

Er verstand ihre Frage. Er war zwar ein anderer Mensch, ein Mörder, aber er würde immer ihr Sohn sein. Er wollte nicht, dass man sie ihm wegnahm. „Ich bin es. Ich bin nur anders als …“

Bevor er seinen Satz beenden konnte, überbrückte sie den Zwischenraum, der sie trennte, und schlang ihre Arme um seinen Hals. Sein schockierter Blick flog zu Meridian, der ihm leicht zunickte und ihm leise mitteilte, dass es in Ordnung sei, sich unwohl zu fühlen, ihn aber gleichzeitig ermahnte, sich nicht zu einer Überreaktion hinreißen zu lassen. Er spürte, dass ihre Arme nur ein paar Zentimeter über seinem schwarzen Lederholster lagen. Er konnte den Lavendelduft in den blonden und grauen Haaren seiner Mutter riechen, der von der von ihrer Haarspülung stammte. Er spürte, wie ihr Herz mit 112 Schlägen pro Minute gegen seine Brust pumpte.

Er war ein Mann, der darauf trainiert war, alles wahrzunehmen.

Seine Hände waren in seinem Schoß geballt, während er langsam durch die Umarmung atmete. Die letzte Umarmung hatte er vor anderthalb Jahren von Evan bekommen. Zärtliche Momente waren zu selten, als dass er sich jemals daran hätte gewöhnen können. Man hatte ihm beigebracht, dass Gefühle Schwächen waren, die sein Feind ausnutzen konnte.

Seine Mutter zog sich vorsichtig zurück, als sie bemerkte, dass er nicht so reagierte wie sie. „Es tut mir leid.“ Sie schniefte und wischte sich mit dem weißen Tuch in ihrer Hand über die Nase. „Du fühlst nicht dasselbe.“

Ich bin nicht mehr derselbe. „Es tut mir leid wegen Ev. Er hatte das nicht verdient.“ Er wusste, dass sein Ton kalt und desinteressiert klang, weshalb er innehielt und eine andere Tonlage versuchte. „Es tut mir leid, dass ich nicht da war.“

Seine Mutter schüttelte vehement den Kopf. „Nein. Ihr beide wart als Kinder unzertrennlich. Wenn du bei ihm gewesen wärst, hätten diese Mistkerle meine beiden Jungs gekriegt.“

Sein Blick ging zu Meridian und der seiner Mutter folgte. Sie starrte seinen Partner an, vielleicht nicht ganz wissend, was sie von seinem distanzierten Ausdruck oder dem festen Zug seiner vollen Lippen halten sollte. Er saß so gerade und starr wie Ex, die straff gespannten Muskeln unter seinem teuren Anzug nur teilweise verborgen.

„Und Sie sind?“, fragte seine Mutter und schien sich zu sammeln.

Meridian befeuchtete seine Lippen – ein Zeichen dafür, dass er sich genauso unwohl fühlte wie Ex – und murmelte mechanisch: „John Smith.“

Ex bewunderte nicht, wie Meridian seine vorsichtige Mutter dazu gebracht hatte, ihn zu begleiten, wo sie doch nicht einmal seinen Namen kannte, sondern nur ein verschlossenes Gesicht und eine unnahbare Körperhaltung. Und trotzdem war sie mit ihm in ein Auto gestiegen. Aber sein Partner hatte die Gabe, jede Maske zu tragen, die nötig war, um eine Zielperson dazu zu bringen, ihm zu vertrauen, zumindest so lange, bis er nah genug dran war, um …

Sie runzelte die Stirn, drehte sich wieder zu ihm um und griff zaghaft nach seiner Faust. Er ließ zu, dass sie seine kühle Haut streichelte.

„Ich wusste, dass du noch auf dieser Erde bist, Xavier. Ich konnte es fühlen“, flüsterte sie. „Nicht, weil sie sagten, es gäbe keine Leiche zu bergen, sondern weil ich deine Mutter bin und weiß, dass dein Geist zu mir gekommen wäre, wenn du gestorben wärst.“

Xavier blickte auf das Kreuz um ihren Hals.

„Aber du musst jetzt gehen.“ Die Tränen begannen wieder zu fließen, und Ex streckte seine Hände, als er das ungewohnte Gefühl hatte, sie berühren zu wollen. Seine Mutter sah müde aus und viel älter als ihre 61 Jahre. „Diese Stadt befindet sich im Krieg und wird von Drogenbanden und Gewalt heimgesucht. Das ist kein Ort für einen disziplinierten Mann. Ich weiß nicht, was du beim Militär machst. Evan hat nie viel gesagt. Aber er sagte, du seist wichtig. Bleib nicht hier, vor allem nicht meinetwegen. Ich werde mit John nach New Haven ziehen.“

Das wusste er bereits. Er hatte gesehen, wie Mr. Harold in seinem Amazon-Job zum Bezirksleiter von New Haven befördert worden war, und er konnte zwei und zwei zusammenzählen, als sie eine Woche später ihr Haus zum Verkauf anboten.

„Ich halte es hier einfach nicht mehr aus. Ich glaube, es waren Schläger vor meinem Haus, weil ich so oft zur Polizei gegangen bin. Sie versuchen, mir Angst zu machen. Als ob es nicht schon genug wäre, dass sie mir meinen Ev weggenommen haben“, keuchte sie wie von einem gewaltigen Schmerz in der Brust getroffen, und bevor er wusste, was er tat, hatte er nach ihrer Hand gegriffen und hielt sie fest. Sie schien ein wenig mehr Kraft zu schöpfen, als sie auf ihre Verbindung blickte und den Druck seiner Hand erwiderte. „Ich werde eine Nachsendeadresse bei der Post hinterlassen.“

„Tu das nicht“, sagte Ex. „Ich werde dich finden.“

Seine Mutter schluckte, ihr Blick huschte zu Meridian, der sich nicht rührte, aber Ex war sich seiner Anwesenheit sehr bewusst. „Nicht einmal die Bullen konnten mir helfen. Auch keiner von denen, die auch in meinem Viertel wohnen und sich beschwert haben. Es gibt hier eine große Drogen-Sondereinheit der Polizei, die der Bürgermeister vor ein paar Jahren ins Leben gerufen hat, aber sie haben sich geweigert, mir zu helfen. Oder sie konnten mir nicht helfen. Vielleicht waren ihnen die Hände gebunden, ich weiß es nicht. Aber der Mörder meines Sohnes läuft frei auf den Straßen herum und genießt sein Leben, während ich …“

Ist die Polizei korrupt? Er sah die subtile Veränderung in Meridians Körperhaltung. Er dachte offensichtlich das Gleiche. Wie konnte es so schwierig sein, eine Verhaftung zu erwirken, wenn Evan ein unschuldiges Opfer eines Drive-by war, der am helllichten Tag stattgefunden hatte? Wo waren die Augenzeugen? War zu diesem Zeitpunkt niemand auf der Straße gewesen? Waren alle Straßenkameras kaputt? Ex atmete tief durch und gegen seine Wut an.

Der Mörder seines Bruders war ungeschoren davongekommen.

Seine Mutter sah fast verzweifelt aus, als sie ihn anflehte: „Du musst Atlanta verlassen. Du bist alles, was ich noch habe. Bitte geh. Geh und komm nie wieder hierher zurück, Xavier.“

Er konnte es nicht ertragen, derjenige zu sein, der ihr noch mehr Kummer bereitete. Er tat, was ihm am leichtesten fiel. Er log, ohne die geringsten Schuldgefühle zu haben. „Das werde ich, Mom.“ Sobald wir hier fertig sind. Er würde gehen, nachdem sie jeden, der für den Terror in der Nachbarschaft verantwortlich war, in ein Grab wie das seines Bruders gebracht hatten. Und er würde deswegen keine schlaflosen Nächte haben.

Mit einer letzten Umarmung, die für weitere acht Jahre reichen sollte, verließ seine Mutter die Limousine und fuhr in ihrem Wagen zurück zum Leichenschmaus für ihren jüngsten Sohn. Als sie die Garage verließen, holte Meridian sein Telefon aus der Innentasche seiner Jacke und wählte die Nummer des Fahrers. Slade nahm nach dem ersten Klingeln ab.

Meridians Stimme ließ Ex einen Schauer über den Rücken laufen. „Besorgen Sie mir alles, was Sie über eine Drogen-Sondereinheit der Polizei hier in Atlanta herausfinden können.“

Wie immer dachten sie das Gleiche: „Wenn die Polizei korrupt ist, dann werden wir uns auch um sie kümmern.“

Kapitel 4

God

Eine Woche später

„Hast du da hinten etwas, Green? Over“, sagte God in sein Funkgerät und wartete auf die Antwort eines seiner leitenden Detectives und Vollstrecker auf der Straße.

„Negativ. Alles ist ruhig. Ein bisschen zu ruhig für meinen Geschmack. Wo zum Teufel sind alle? Over“, antwortete der Beamte, dessen tiefe Stimme in der dunklen Kabine seines mitternächtlichen F350 beunruhigend klang.

„Es ist, als hätte sie etwas aus dem Block gejagt“, brummte God mehr zu sich selbst als zu seinem Partner, der neben ihm saß. „Oder jemand.“

„Aber wer?“, fragte Day. „Wie ein Uhrwerk taucht jeden Sonntagabend jemand aus Big Mikes Crew auf, um bei Jason und seinem Bruder Marcus eine Übergabe zu machen. Und ausgerechnet heute Abend tauchen sie nicht auf.“

„Stimmt. Mir schmeckt das nicht. Wenn die Stewart-Brüder einen Tipp bekommen haben, dass wir hier sind, dann würde das bedeuten, dass ich einen Spitzel in meinem Revier habe“, sagte God mit einem gedämpften Knurren, das wie der Dieselmotor klang, der seinen riesigen Truck antrieb.

Day nahm das Funkgerät in die Hand. „Free, bestätige, dass keine unmarkierten Einheiten auf Patrouille sind. Over“, forderte er seinen Technikspezialisten auf, der in seinem Büro saß und jede ihrer Bewegungen über verschiedene Live-Übertragungen auf seinem Hightech-Computersystem mit mehreren Monitoren verfolgte.

Nach ein paar Sekunden antwortete Free mit leiser Stimme: „Keine Einheiten bestätigt. Over.“

God nahm ein schwarzes Gummiband von seinem Handgelenk und band sein schulterlanges Haar im Nacken zu einem unordentlichen Dutt zusammen, dann überprüfte er noch einmal sein Holster. Day tat dasselbe, er schien immer zu wissen, wann God bereit war, loszuschlagen. „Lass uns hingehen und sie fragen, warum. Wir haben Jason schon auf der Kamera, wie er einkauft und verkauft. Wir können ihn und seinen Bruder dabei schnappen und Ro dazu bringen, die Anschuldigungen zu nutzen, um Informationen über die Schießerei vor vier Wochen aus ihm herauszubekommen.“

„Das ist alles, was ich brauche. Ich will nur einen gottverdammten Namen“, brummte Day.

God spürte die Intensität und die Wut im Tonfall seines Mannes. Ihre Abteilung hatte in den letzten Monaten einige negative Schlagzeilen einstecken müssen. So viele, dass der Chief anfing, die Berechtigung der Finanzierung ihrer teuren Sondereinheit aus Steuergeldern infrage zu stellen. Es war ja nicht so, dass sie sich nicht Tag und Nacht den Arsch aufgerissen hätten, um die Sicherheit der Stadt zu gewährleisten, aber die Last lag nicht allein auf ihren Schultern. Sie waren für das Sammeln von Beweisen und die Verhaftung zuständig, die endgültigen Ergebnisse lagen dann in den Händen der Staatsanwaltschaft. Und in letzter Zeit hatten sie bei ihren vierzehn aufsehenerregenden Verhaftungen insgesamt nur fünf Verurteilungen zu verzeichnen gehabt. Nun machte die Stadt ihr Team von widerspenstigen Detectives dafür verantwortlich, dass Mörder und Bandenführer wieder in die Gemeinden entlassen wurden, und die Drogenepidemie in Atlanta in jüngster Zeit wieder angewachsen war.

 Die gottverdammten Drogendealer wurden immer schlauer und gerissener. Viele der Drogenbosse hatten sich bei großen Anwaltskanzleien in der Innenstadt eingekauft, die 400 Dollar pro Stunde verlangten. Schäbige Anwälte, die Gerichtsverfahren in die Länge zogen und ihre Klienten vor dem Gefängnis bewahrten, indem sie die Polizei wegen illegaler Durchsuchungen, Profiling, Verführung und übermäßiger Gewaltanwendung verklagten und dabei sogar manchmal gewannen.

„Wir kriegen diese Kerle, Leo“, sagte God. Er griff nicht hinüber und streichelte den Nacken seines Mannes, wie er es gerne getan hätte. Sie waren im Dienst und im Einsatz. Sein Geliebter könnte leicht auf andere Gedanken kommen, wenn er ihn berührte. Stattdessen blieb er in der Rolle, in der Day ihn brauchte – als sein Anführer, sein Co-Lieutenant.

Day seufzte und fuhr sich mit der Hand über das kurz geschorene Haar. „Ich weiß. Wir müssen irgendwo eine verdammte Pause einlegen, Cash. Wir machen uns selbst und die ganze Abteilung kaputt. Die Vollstrecker werden anfangen, gedankenlose Fehler zu machen, wenn wir sie weiterhin so hart rannehmen. Es muss ein Ende geben …“

„Scheiße! God, Day, wir haben eine vermummte Person, die sich von hinten nähert. Der Typ bewegt sich schnell und zielgerichtet, als wäre er auf einer Mission“, ertönte Steeles Stimme durch den Funklautsprecher und unterbrach das Gespräch.

„Verdammt“, knurrte God. „Green, mach ein paar Bilder.“

„Er ist zu dunkel und zu schnell. Die Bilder sind unscharf. Over“, sagte Green.

„Was zum Teufel wird das?“ Day stöhnte. „Vielleicht halten sich Jason und Marcus bedeckt, weil sie unter Beschuss stehen.“

„Free. Kannst du dir ein Bild machen?“, fragte Day.

Ihr Technikguru hatte alle Kameras und Geräte an sein System angeschlossen. Die Bilder, die Green aufnahm, wurden direkt an ihn übertragen. „Ich kann mit diesen Bildern keine Gesichtserkennung durchführen. Er trägt eine tief sitzende Kapuze“, antwortete Free.

„Tech, Steele, folgt ihm und verliert ihn nicht, Ruxs und Green, ihr deckt den Seiteneingang“, befahl God schnell, während er und Day über die verlassene Straße in Richtung des fünfstöckigen Wohnhauses des Verdächtigen liefen.

Sie übersprangen gerade den niedrigen Zaun, der das Gebäude umgab, als God sah, wie die dunkle Gestalt mit der Heimlichkeit eines Attentäters durch die Eingangstür schlüpfte. Er informierte sein Team. „Wir haben Sichtkontakt auf der Vorderseite. Over.“

„Er kann nicht auf der Vorderseite sein. Er ist gerade durch die Hintertür gekommen“, widersprach Steele, und das Geräusch seiner gemessenen Atemzüge rauschte in ihre Ohren. God stellte den Ex-Recon-Marine, der ein weiteres Mitglied seines Vollstrecker-Teams war, nicht infrage.

„Achtung. Wir haben zwei nicht identifizierte Verdächtige, die den Vorder- und Hintereingang betreten. Seid vorsichtig“, sagte God so leise wie möglich und drückte seinen breiten Rücken an den von Day, damit sie sich gegenseitig decken konnten, während sie den Innenhof räumten.

Steele war der erste, der sich meldete. „Wir sind auf der Rückseite drin. Die Luft ist rein. Wir nehmen die Treppe in den vierten Stock. Ende.“

„Wir sichern das südliche Ende und kommen in deine Richtung, God“, meldete Green, während er und sein Partner Ruxs den anderen Ausgang sicherten.

Bevor God seinem Team antworten konnte, hörten sie drei laute Knallgeräusche und Schreie. God rannte los, und Day war ihm dicht auf den Fersen.

Kapitel 5

Day

Diese Scheiße wird immer verrückter, dachte Day, als er und God auf die Quelle des gefährlichen Lärms zustürmten. Das war ihr Job. Aber wenn jemand zwei der wenigen Spuren in ihrem Fall direkt vor ihrer Nase beseitigt hatte, war Day kurz davor, auszuflippen. Gleich, nachdem sein Mann zum zehnten Mal in dieser Woche ausgeflippt war. Es fühlte sich langsam so an, als hätten sie auf der Straße die Kontrolle verloren. Ihre Sondereinheit war bei den Drogenbossen an der ganzen Ostküste bekannt und gefürchtet, ihr Ruf eilte ihnen voraus. Aber in letzter Zeit hatten sie mehr Verluste erlitten, als ihnen lieb war.

„Redet mit mir“, polterte God in ihr Kommunikationssystem.

„Wir haben ihn verloren“, meldete Steele zurück.

„Scheiß auf den Mann in Schwarz. Geht einfach zu unseren Zeugen. Sofort!“ bellte Day, verdoppelte sein Tempo und nahm drei Stufen auf einmal.

„Verstanden“, schnaufte Steele.

God war jetzt vor ihm, und Day ließ seinen Blick über ihre Schultern wandern. Er hörte schwere Stiefel auf der Betontreppe, die sich hinter ihnen schnell näherten, und er wusste, dass es seine Vollstrecker waren, weil ihre Schritte synchron waren. Ruxs und Green bewegten sich genauso wie er und God – wie ein Mann.

Im dritten Stock brach ein Tumult aus, und Day sah, wie God eine seiner goldenen und verchromten Desert Eagle-Handfeuerwaffen aus seinem Holster zog, was ihn dazu brachte, seine Glock zu ziehen. Als sie durch die Tür zum Treppenhaus stürmten, zielte God nach links, und Day rutschte dicht an seiner Seite heran und richtete seine Waffe nach rechts. Er drehte sich um, als ein lauter Knall ertönte und der Körper eines Mannes einige Meter von ihnen entfernt gegen die Wand prallte, und schmerzerfüllt aufschrie. God hatte nur ein paar Schritte gemacht, als ein anderer Mann aus dem Flur kam und auf den am Boden liegenden Mann einschlug. Der bewegte sein Kinn mit der Hand, als hätte der Schlag, der ihn zu Boden geworfen hatte, ihm den Kiefer ausgekugelt.

Verdammte Scheiße.

„Steh auf“, stöhnte der jüngere Mann auf dem Boden.

„Verdammt. Das ist Jason“, knurrte God, als er ihren Zeugen erkannte und seine Waffe hob.

Der ältere Stewart-Bruder bemerkte sie, und seine wütenden braunen Augen weiteten sich, während er sich vor Schmerz krümmte.

Jason stieß seinen jüngeren Bruder, an. „Ich kann nicht. Lauf einfach weg, Marcus.“ Jasons wandte seinen Blick gleich wieder ab und schaute ängstlich auf etwas, das gerade auf ihn zukam.

Day runzelte die Stirn, weil er nicht wusste, was zum Teufel hier los war. Er spürte, wie Green und Ruxs durch die Tür kamen und hinter ihnen eine Verteidigungsposition einnahmen.

„Steele, Tech, wir sind im dritten Stock und haben hier eine ungeklärte Situation“, meldete Day scharf in ihr Kommunikationssystem.

„Verstanden“, antwortete Steele. „Wir haben Sichtkontakt zu dem Mann in Schwarz.“

Days Nackenhaare sträubten sich, und er hatte das vertraute Gefühl, dass gleich etwas Verrücktes passieren würde. Keiner von ihnen konnte den sich kreuzenden Flur hinuntersehen, sodass sie sich mit erhobenen Waffen vorsichtig an der Wand entlang bewegten. Es gab nur einen anderen Ausweg. Jasons kleiner Bruder sprang auf und rannte in die entgegengesetzte Richtung.

„Nein! Nimm dich vor Kellam in Acht!“, versuchte Jason seinen Bruder zu warnen, aber er kam zu spät.

Drei rot-schwarze Wurfmesser schlugen in schneller Folge gegen die Wand und blieben nur wenige Zentimeter von Marcus' Schläfe entfernt stecken, als er um die Ecke bog.

„Scheiße!“, schrie Marcus, fiel auf seinen Hintern und starrte schockiert auf die bösartig aussehenden Klingen, die ihn knapp verfehlt hatten. Er robbte im Krebsgang von dem weg, was sich ihm näherte.

„Atlanta PD!“, rief God so laut, dass die Leute in allen Wohnungen in diesem Stockwerk und darüber es hören mussten. Wer auch immer hinter den Zeugen her war, er musste wissen, mit wem zum Teufel er es zu tun hatte. „Kommen Sie langsam und mit erhobenen Händen um die Ecke!“

Day umklammerte den Griff seiner Waffe und drückte sich mit dem Rücken an die Wand, für den Fall, dass ihr schwarzer Feind weitere Messer warf. Er wusste nicht, was genau er erwartete, aber die raffinierte Falle, die Jason und Marcus gestellt worden war, war so dicht, dass Day fast damit rechnete, ein paar Kobolde des Satans zu sehen.

Doch was er tatsächlich sah, war etwas ganz anderes.

Ein Mann, der nicht größer als etwa 1,70 Meter war, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, bog mit der Grazie und Geschmeidigkeit eines Panthers um die Ecke. Die Kapuze seiner Tunika war so tief über sein Gesicht gezogen, dass Day nur den leichten Schwung seiner pfirsichfarbenen Lippen sehen konnte. Er schlich weiter, obwohl seine Hände an den Seiten ausgestreckt waren, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war und keinen Widerstand leistete. Aber Day ließ sich nicht so leicht täuschen. Niemand konnte einfach so mit Klingen um sich werfen. Das war kein kleiner Ganove, der Jason und seinen Bruder ausrauben sollte.

Steele und Tech kamen mit erhobenen Waffen um die Ecke und richteten sie auf den Rücken des Unbekannten. Er konnte nur durch sie hindurchgehen oder sich demjenigen stellen, der sich immer noch in diesem Quergang befand. Und sie brauchten nicht lange zu warten, um zu sehen, wer das war.

Ein schwarzer Mann in Jeans und einem langen, anthrazitfarbenen Ledermantel trat in die Öffnung. Seine dunklen Augen suchten aufmerksam den Raum ab und ignorierten jeden, bis sie auf dem Mann in Schwarz landeten. Dann verschwendete er keine Zeit und stellte sich direkt vor ihn.

„Keine Bewegung!“, befahl God, und die vier nahmen eine enge Rautenformation ein und verringerten den Abstand zwischen ihnen und ihrem wehrlosen Zeugen zu Füßen einiger unbekannter Mörder.

„Ich greife nur nach meinem Ausweis“, sagte der Mann und erreichte damit, dass alle ihre Schritte verlangsamten.

Day blieb der Mund offen stehen, als der hochgewachsene Adonis eine glitzernde goldene Plakette hervorholte, die an einer goldenen Gliederkette hing, die in seinem teuer aussehenden Pullover steckte, und sie zwischen seinen Brustmuskeln ruhen ließ. Alle ließen gleichzeitig ihre Waffen sinken, und God hob angewidert die Hände.

„Nicht schon wieder“, murmelte Steele und schüttelte den Kopf, während er seine Waffe in das Holster steckte.

„Wir sind Kautions-Agenten. Ich bin Ty Jenkins. Das ist mein Partner Kellam“, sagte der Größere, als wäre er der Einsatzleiter.

Der schweigsame Klingenwerfer schlug langsam eine Lage seiner Tunika zurück und zeigte seinen Kopfgeldjägerstern, der an einem breiten Baumwollgürtel befestigt war. Der kühnere der beiden sprach so selbstbewusst und souverän, als wüsste er nicht, dass er sich an sechs ranghöhere Offiziere wandte. „Wir haben Haftbefehle für diese beiden Männer und sie kommen mit uns.“

„Den Teufel tun sie“, sagte Steele kalt.

„Verdammt, lasst mich raten“, knurrte God mit zusammengebissenen Zähnen. „Ihr beide arbeitet für Duke.“

Der Farbige runzelte die Stirn, als wäre er überrascht, nickte aber.

„Ach, komm schon. Wo zum Teufel finden Duke und Quick immer diese Typen, Mann? Erst hat er sich die King-Brüder gekrallt, jetzt hat er diesen Shaft-Verschnitt und den verfluchten Prinz von Persien da drüben angeheuert, verdammt noch mal …“ Day deutete mit der Hand zu dem Mann, der immer noch pflichtbewusst neben seinem Partner stand und dessen Kapuze viel zu tief ins Gesicht gezogen war, um überhaupt etwas zu erkennen.

Day starrte dem jungen Mann ungläubig nach, als er sich an Steele und Tech vorbeischob, um seine Klingen zu holen, die er irgendwo um sein Handgelenk geschlungen hatte, und dann an die Seite seines Partners zurückkehrte. Es war unglaublich, was für Männer Duke in seiner gut ausgelasteten Kautionsfirma beschäftigte. Er und sein Geschäftspartner Quick waren solide Jungs, und sie leisteten gute Arbeit in Atlanta. Aber es war nie lustig, Dukes Männern im Außendienst zu begegnen, und genau das war der Grund. Es waren Fälle wie dieser, die Day dazu brachten, die Firma dieses Mannes schließen zu wollen.

„Ich bin froh, dass ihr wisst, wer wir sind. Wir werden unser Kopfgeld kassieren und uns auf den Weg machen.“ Der Jäger, der sich Ty nannte, griff in die Tunika seines Partners und zog einen gefalteten Haftbefehl hervor, den er ihnen zeigte.

Day ging an God vorbei, um sich Dukes neue Rekruten genauer anzusehen. Sie waren mit Sicherheit ein interessantes Paar. Ihre Nähe und die vertraute Körpersprache machten deutlich, dass sie mehr als nur Arbeitspartner waren. Der Größere hatte eine dominante Ausstrahlung, und Day musste zugeben, dass er neugierig auf die Geschichte dieses ernsten jungen Mannes war. Aber nur weil er seinen Worten Taten folgen ließ, war er noch lange nicht der Boss.

„Ich kann verstehen, dass ihr annehmt, es würde so laufen, wie ihr euch das vorstellt, aber das stimmt nicht. Ihr werdet mir meine Zeugen nicht wegnehmen.“ Day blinzelte in das Gesicht des Mannes. „Egal, wie warm sich deine Haut anfühlen mag, wie perfekt deine Wangenknochen sind oder wie unvergleichlich dein Haaransatz aussieht.“

„Day, kommst du zum verdammten Punkt?“, fauchte God.

Day erschrak nicht über Gods Tonfall. Sein Blick bohrte sich in die Augen des Kopfgeldjägers und er schüttelte den Kopf. „Aber ich bedaure, mein Junge. Dein Kopfgeld kommt mit uns.“

„Wie bitte?“, sagte Ty, dessen Statur vor Days Augen zu wachsen schien, und sofort spürte er eine vertraute Präsenz in seinem Rücken.

„Das bedeutet, dass mein Abzeichen und meine Eier größer sind als eure. Jetzt tretet zurück, damit ich meinen beiden Verdächtigen Handschellen anlegen kann“, sagte God, wobei sein Tonfall einen Hauch von Drohung und Endgültigkeit annahm. „Ihr könnt Duke bestellen, wenn er ein Problem hat, weiß er, wo er mich finden kann.“

„Oder du kannst einfach sagen, dass God seinen Segen schickt.“ Day winkte ihnen zu und konnte sich das kleine Wortspiel mit Godfreys Spitznamen wieder einmal nicht verkneifen.

Dukes Agenten waren schlau, und Ty steckte seine Papiere weg und zog sich ohne ein weiteres Wort zurück, um sich zwischen ihnen und seinem noch immer vermummten Partner zu halten, als sie gingen. Day atmete tief durch, als Ruxs und Green zwei der letzten Zeugen sicherten, die sie hatten, um ihren Fall zu lösen.

Und um einer untröstlichen Mutter zu ihrem Recht zu verhelfen.

Kapitel 6

Ex

Ex wandte seinen Blick vom Zielfernrohr seines R93-Scharfschützengewehrs ab, als er vom Dach des Nachbargebäudes aus beobachtete, wie die Detectives zwei Männer in Gewahrsam nahmen. Er brauchte nicht nachzusehen, um zu wissen, dass Meridian auf der anderen Seite des Gebäudes stand und den Rückzug der Kopfgeldjäger beobachtete. Atlanta entpuppte sich als eine Stadt voller Überraschungen. Ex hatte vorgehabt, Meridian losschicken, um sich den älteren der beiden Verdächtigen zu schnappen, die die Polizei beschattet hatte, um Informationen über Evans Tod zu erpressen, aber zwei schweigsame, gut koordinierte Typen waren wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatten ihren Plan durchkreuzt. Ex hätte sie beide von dort, wo er saß, erledigen können, aber er hatte beschlossen, die Verluste auf ein Minimum zu beschränken und seine Rache auf die richtigen Ziele zu richten – nicht auf Beamte, die versuchten, die gleichen Probleme zu lösen wie sie. Außerdem war es recht interessant gewesen, die Polizei und die Kopfgeldjäger so hart aufeinander losgehen zu sehen. So einen Sportsgeist hatte er schon lange nicht mehr gesehen.

Bis jetzt hatten er und Meridian noch keinen Betrug oder Korruptionsfall innerhalb der Spezialeinheit für Rauschgift aufdecken können, die von Lieutenant Cashel Godfrey und seinem Partner Leonidis Day geleitet wurde. Als Ex beobachtete, wie die drei großen Polizeitransporter auf der Straße verschwanden und rote und blaue Lichter zwischen den heruntergekommenen Gebäuden aufblitzen ließen, trat Meridian dicht neben ihn.

Sein Partner zog eine seiner schwarzen russischen Sobranie-Zigaretten aus der Jackentasche – eine Angewohnheit, die er sich nach seinem zweimonatigen Undercover-Aufenthalt in einem türkischen Gefängnis noch nicht abgewöhnt hatte – und schob den Zigarettenstummel in den Mund.

„Ja.“ Ex ließ sein fast einen Meter langes Gewehr über der Schulter ruhen und wandte sich Meridian zu. „Also, wo liegt das Problem?“

„Vielleicht liegt es weiter oben. Sie nehmen Verhaftungen vor, aber es gibt keine Verurteilungen.“ Sein Partner blies den Rauch langsam aus, als wolle er den Geschmack genießen, und seine dunklen Augen blickten ihn durch die weiße Rauchwolke hindurch an. „Die Staatsanwaltschaft ... die Richter?“

„Das wird einige Zeit dauern.“ Ex löste sich vom Sims und ging auf die Zugangstür zum Dach zu. Er schickte Slade eine kurze SMS, während er die Treppe hinunterstieg, sein Partner direkt hinter ihm. Sie traten aus dem Notausgang heraus, und ihre Fahrgelegenheit wartete schon auf sie.

Im warmen Innenraum des schwarzen Lincoln Town Car zerlegte Ex seine Waffe und legte die vielen Einzelteile in dem Titankoffer an ihren Platz. „Das wird Zeit kosten, die wir nicht haben.“

Meridian schwieg und Ex ließ ihn nachdenken.

„Es ist machbar“, sagte sein Partner nach einem langen Moment. „Wir sind erst seit weniger als einem Monat aus Bolivien raus. So schnell werden sie uns nicht aktivieren. Wir haben Zeit, wenn du sie brauchst, Ex. Ich weiß, es ist wichtig für dich, Evans Mörder zu finden.“

„Es ist das Richtige“, knurrte Ex. Er drückte das Zielfernrohr aggressiv in die Styroporvertiefung und griff nach der Patrone. „Ein Mörder terrorisiert die Gemeinde. Das ist unser Job.“

„Mach dir und mir nichts vor. Wir haben nichts mit innerstaatlichem Terrorismus zu tun. Das ist ein Problem für die örtlichen Behörden. Für uns hat das disziplinäre Konsequenzen, wenn jemand Wind von der Sache bekommt.“

„Von der Sache?“, wiederholte Ex und vergewisserte sich, dass er richtig gehört hatte.

„Da sollte man nicht lange suchen müssen“, sagte Meridian und starrte auf sein Handy. „Es gibt einen Direktor, einen Oberstaatsanwalt und vierzehn stellvertretende Staatsanwälte in der Behörde. Und drei Richter in den allgemeinen Bezirksgerichten, die über die Verhaftungen der Task Force entscheiden.“

„Wir müssen schnell und tief graben.“ Ex nickte. Er war fast fertig mit dem Zerlegen seiner Waffe und wollte sich Zeit lassen, damit sich sein aufgeregter Geist durch die eingespielten Bewegungen beruhigen konnte.

„Es ginge zehnmal schneller, wenn wir ein Team hätten, das die Untersuchungen durchführt. Auch der Transport wird ein Problem sein.“

„Ich habe bereits einige Ideen, wie wir das lösen können. Vertrau mir.“ Als ob Ex das hätte sagen müssen. So waren er und Meridian nun einmal. Jeder von ihnen brachte wertvolle Fähigkeiten in ihre Partnerschaft ein, auf die der andere nicht verzichten konnte, aber Ex liebte es, einen Plan auszuhecken und dann zuzusehen, wie Meridian ihn meisterhaft ausführte. Normalerweise waren sie zusammen in der ganzen Welt unterwegs, von Lago, Nicaragua, bis zu den zerklüfteten Klippen der Dingle-Halbinsel, von den verfluchten Tunneln in Kuba bis zu den Palästen in Riad, Saudi-Arabien.

Ex schloss seinen Koffer ab und stellte den Alarm ein, den er eingebaut hatte. „Überlass die Semantik in diesem Fall mir. Ich möchte, dass du dich darauf konzentrierst, diese wortkargen Zeugen davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse ist, mit der Polizei zu kooperieren.“

„Das ist meine Spezialität“, antwortete Meridian mürrisch. „Wir müssen aus diesem Hotel raus, damit ich nicht ständig ihre Kameras manipulieren muss, und an einen Ort, an dem ich mich richtig einrichten kann. Wir brauchen etwas Ausrüstung.“

„Der nächstgelegene Ort ist Langley. Ich habe dort einen Kontaktmann. Er wird uns helfen, ohne Fragen zu stellen, und sollte in der Lage sein, uns das Nötige zu besorgen.“

„Und ein sicherer Ort?“, fragte Meridian.

Ex fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und atmete tief durch. „Ich kenne einen sicheren Ort. In der Nähe ... und er gehört mir.“

Meridian leckte sich über die Lippen und richtete sich in seinem Sitz auf.

„Das gefällt dir. Das merke ich.“

„Es ist gefährlich. Wir könnten enttarnt werden“, wandte Meridian ein.

Ex konnte die rasante Beschleunigung von Meridians Puls praktisch hören, das schnelle Heben und Senken seiner breiten Brust sehen, bevor er sie wieder unter Kontrolle hatte.

„Nochmal. Du magst die Idee. Du findest das aufregend.“

Meridian

Für Meridian gab es so etwas wie ‚aufregend‘ nicht. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, aber es kostete ihn Mühe, sich innerlich zu beruhigen. Dass die beiden sich auf eine Weise über die Regeln hinwegsetzten, wie er es Ex nie zugetraut hätte, verursachte ein ungewöhnliches Gefühl in seinem Bauch. Sie waren aus gutem Grund die Besten: weil sie diszipliniert waren und keinen Mist bauten. Dies würde entweder ein ziemliches Abenteuer für sie werden oder eine totale Katastrophe. Und er konnte sich niemanden vorstellen, mit dem er dieses Risiko lieber eingehen würde.