Exerzitien der Selbstliebe - Michael Pflaum - E-Book

Exerzitien der Selbstliebe E-Book

Michael Pflaum

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Beschreibung

Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst! Wie kann man sich darin üben, sich selbst zu lieben? Selbstliebe wächst, wenn ich lerne, mit meinen inneren Anteilen liebevoll zu reden. Von meinem Selbst aus kann ich z. B. meinen inneren Kritiker verständnisvoll kennenlernen oder meine verwundeten Anteile aus der Verdrängung holen, heilen und neues Leben schenken. Mit Predigten, Übungsbausteinen, Gebeten und Essays setzt dieses Buch Arbeiten mit dem inneren Familiensystem von Richard Schwartz als spirituellen Exerzitienweg um.

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Damit in mir kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen.

nach 1 Kor 12,25

wie ein Kammermusikensemble

gut zusammenspielt:

jeder Teil trägt seinen Part bei

geleitet von einem Dirigenten

der sich vom Hl. Geist führen lässt.

Inhalt

Einführung

Predigten

Predigt: Alltägliche innere Streitgespräche

Predigt: Ich bin Viele

Predigt: Zusammenhang von Nächstenliebe und Selbstliebe

Predigt: Qualitäten des Selbst

Predigt: Das Selbst und das göttliche Licht

Predigt: Meine inneren Personen kennenlernen

Predigt: Verschmolzen mit dem Teil und sich lösen

Predigt: Vertiefende und heilende Gespräche mit einer inneren Person

Predigt: Mediation mit inneren zerstrittenen Personen

Predigt: Von großen und kleinen Leuten und ihrer Geschichte

Predigt: Der Manager in mir – eine kritische Würdigung

Predigt: Der innere Kritiker – was er eigentlich will

Predigt: Wer leitet? Und wer folgt nach?

Predigt: Gelähmte durch Traumata

Predigt: Überblick über Heilungsprozess eines Verbannten

Predigt: Unsere Mitmenschen – Herausforderer und Helfer

Predigt: Drei heilende Liebeszusagen

Predigt: Der trinitarische Gott, die drei Zugänge und meine innere Familie

Allgemeine Übungsbausteine

Teile entdecken im Alltag

Teile studieren

Vier Tore zum Teil

Dem Teil einen Namen geben und eine externe Gestalt

Verräumlichung Außen und Innen

Teile-Landkarte

Verbindung mit dem Selbst schaffen

Duales Gewahrsein

Sich auf ein Gespräch mit einem Teil vorbereiten

Gespräch mit einem Teil

Selbst vorstellen und Alter und Fähigkeiten klären

Abschluss des Gesprächs und nach dem Gespräch

Konferenz mit allen Teilen

Beschützer kennenlernen

Ängste von Beschützern aufgreifen, aufklären

Übungsbausteine für den Heilungsprozess von Verbannten

Heilungsprozess von Verbannten – die Schritte

Von Erblasten und Glaubenssätzen befreien

Teile bei stärkerer Traumatisierung

Übungsbausteine für den Alltag

Achtsamkeit im Alltag: Selbst, Teile, Ablenkungen

Notfallkiste

Das Selbst steht einem Teil bei

Das Selbst wechselt Teile aus

Das Selbst fragt Teil, was er braucht, damit er seine Sorgen zur Seite legen kann

Das Selbst fragt alle Teile: Wer möchte die Aufgabe übernehmen?

Das Selbst verhandelt mit einem Teil, dass es die Führung übernimmt

Ein Teil beruhigt sich und klärt sich beim Selbst

Übungsbausteine zu speziellen Themen

Focusing bei Teilen, die sich nur vage zeigen

Zwischen widerstreitende, polarisierte Teile vermitteln

Gespräch mit inneren Kritiker

Zu sich selbst stehen – Selbstwertgefühl kultivieren

Der Gütige spricht mit mir und dem inneren Kritiker

Gespräche mit Feuerbekämpfer

Überwindung von Süchten

Selbstähnliche Teile erkennen

Verkeilungen in Beziehungen erforschen und Ausstiege suchen und ausprobieren

Die Nächstenliebe ist der Lackmustest der Selbstliebe

Entscheidungen mit Teile-Konferenz treffen

Gemeinsam Lösungen finden

Hinweise für Begleiter in IFS-Gesprächen

Den Verlauf begleiten

Direktes Gespräch zwischen Begleiter und Teil

Einige Erfahrungen und Einsichten

Essays

Essay: Die Realität der Teile

Essay: Die drei Beziehungsebenen, die drei Exerzitien und die Idiomenkommunikation in mir

Essay: Von der GfK zur IFS

Essay: Annehmen oder ändern?

Essay: IFS und das Enneagramm

Essay: Über Glaubenssätze, Vorstellungen und den Kampf um Menschenbilder

Essay: Neues Verständnis vom Ego durch die Arbeit mit dem inneren Familiensystem

Essay: Der Schmerzkörper und die gute Absicht der Teile

Essay: Die zwei Naturen des Selbst und die Außen-Innen-hochzwei-Struktur

Meditation

Literatur

Anmerkungen

Einführung

Exerzitien der Selbstliebe

Wie kann man andere lieben, wenn man sich nicht selbst liebt?

Wie kann man sich darin üben, sich selbst zu lieben?

Liebende sprechen liebevoll miteinander! Selbstliebe wächst somit, wenn ich mit mir liebevoll rede.

Ich kann mit mir selbst reden, weil ich in mir erlebe: Es gibt Teile in mir, innere Persönlichkeitsanteile, die manchmal gut zusammenarbeiten und sich manchmal in die Haare bekommen.

Also sind Exerzitien der Selbstliebe: Üben, wie ich mit meinen Teilen liebevoll sprechen kann. Von meinem Selbst aus kann ich z. B. meinen Antreiber wertschätzen, meine inneren Kritiker wirklich verständnisvoll kennenlernen, meine verwundeten Anteile aus der Verdrängung holen, heilen und neues Leben schenken.

Richard Schwartz hat das Arbeiten mit dem inneren Familiensystem (IFS) entwickelt. Es ist für mich einer der besten Wege, um sich in Selbstliebe zu üben. Mit Predigten, Übungsbausteinen, Gebeten und Essays setze ich hiermit seine Arbeit mit dem inneren Familiensystem als spirituellen Weg, als Exerzitienweg um.

Die Predigten

Die Leserin, der Leser werden mit den Predigten immer weiter hineingeführt. Die Ansprachen beginnen mit alltäglichen Erfahrungen und führen in einen Weg der Selbsterkenntnis und letztlich auch der Gotteserkenntnis.

Die erste Predigt enthält kompakt die drei wichtigsten Elemente: Ich habe Teile. Mit ihnen kann ich reden. Ich rede vom Selbst aus mit ihnen.

Die folgenden vier Predigten verdeutlichen die Grundlagen.

Die Predigten 6.-8. erläutern genauer, wie ich vom Selbst aus Gespräche mit einem Teil in mir führen kann. Das Gespräch mit einem Teil ist der Kern der Arbeit von Richard Schwartz und somit auch der „Exerzitien der Selbstliebe“.

Die Predigten 9.-13. differenzieren das Gespräch mit den Teilen aus und geben weiteres Hintergrundwissen.

Die Predigten 14.-15. widmen sich speziell den Verbannten und ihrem Heilungsprozess.

Die Predigten 16.-17. nehmen die zwischenmenschliche Dimension explizit in den Blick.

Theologisch und spirituell schließt die 18. Predigt die Reihe ab.

Die Predigten und die Übungsbausteine

Es gibt keine enge Verbindung zwischen den Predigten und den Übungsbausteinen. Man kann zuerst alle Predigten lesen und danach mit den Übungen beginnen.

Man kann auch locker Predigten mit den Übungen koppeln. Nach jeder Predigt verweise ich auf die der Predigt entsprechende Übung. So kann man Predigt lesen und Einübung in die Selbstliebe mit den Übungsbausteinen miteinander verbinden. Siehe auch die Hinweise am Anfang des Kapitels „Allgemeine Übungsbausteine“.

Die Gebete laden ein, die Predigten mit einem Gebet zu vertiefen oder Übungsbausteine mit einem Gebet zu beginnen und abzuschließen. Ich habe in diesem Zusammenhang die Psalmen entdeckt als Gebete, die ein Ringen mit sich selbst als eine Zwiesprache mit Gott in gestalteter Form darstellen.

Meditative Texte und biblische Texte laden die Leserin, den Leser ein, innezuhalten, die Texte zu verkosten und im Inneren wirken zu lassen.

Alltagsexerzitien Diese Exerzitien kann man als Alltagsexerzitien im eigenen Tempo vollziehen: Im Alltag kann man sich zwar nicht längere Zeit am Stück zurückziehen, um erst einmal in der Selbstliebe zu wachsen. Das muss man aber auch nicht. Denn gerade die strukturelle Parallelität von Nächstenliebe und Selbstliebe bringt es mit sich, dass unsere Mitmenschen die idealen unbestechlichen Lehrerinnen und Lehrer in Selbstliebe sind…

Die „Exerzitien der Nächstenliebe“ können ohne weiteres diese „Exerzitien der Selbstliebe“ ergänzen, siehe 16. Predigt.

Meine Selbstliebe wird getragen von der Einsicht und Erfahrung, dass Gott mich liebt. Deswegen empfehle ich ein Gebetsleben, um eine Beziehung zu Gott pflegen zu können. Also Exerzitien der Gottesliebe! Siehe dazu meine Ausführungen zum Jesusgebet „Die Lichtflamme in Dir“.

Gespräche mit den Teilen alleine oder mit Begleitung?

Dieses Exerzitienbuch versucht, soviel an Verständnis und Hilfe zu bieten, dass man Gespräche mit den eigenen Teilen für sich und allein durchführen kann.

Manche Menschen haben von ihrer Art her auch einen schnellen Zugang und reden in kurzer Zeit mit ihren Teilen wie mit Freunden.

Andere Menschen brauchen vielleicht einiges an Hintergrundwissen, das dieses Buch kompakt bietet. Wer dann noch das Buch von Earley „Meine innere Welt verstehen“ (und evtl. noch andere Bücher, siehe Literatur) liest, hat genügend Wissen, um die Gespräche mit den Teilen zu beginnen.

Wieder anderen Menschen hilft es, wenn ein Vertrauter dabei ist, Fragenvorschläge macht und mit Aufmerksamkeit und Wohlwollen begleitet. Dieser Vertraute sollte dann auch ein gewisses Wissen über IFS haben. Empfehlenswert ist natürlich ein Einführungskurs in IFS. Menschen in Krisen, mit großen inneren Konflikten, mit Traumata sollten sich eine Begleitung suchen, die Erfahrung mit IFS-Gesprächen hat, z. B. IFS-Therapeuten.

Die Essays betrachten weitere Zusammenhänge und Fragen. Sie sind nicht nötig, um die „Exerzitien der Selbstliebe“ durchführen zu können. Sie sind ergänzende Reflexionen.

Sie zeigen insbesondere auf, warum für mich die IFS wie die Entdeckung eines fehlenden Puzzleteils ist: Gespräche mit den inneren Teilen ist Exerzitien der Selbstliebe, neben Exerzitien der Nächstenliebe (Gespräche mit den Nächsten) und Exerzitien der Gottesliebe (Gespräche mit Gott bzw. Lauschen auf Gott). Und es ermöglicht ein neues Verständnis von Ego und Selbst, das viele Ungereimtheiten vieler spiritueller Lehren auflöst.

Hinweis: Begriffe, Synonyme und Abkürzungen

Ich benutze im ganzen Buch die Begriffe „innere Person“, „Persönlichkeitsanteil“ und „Teil“ synonym.

Ebenso benutze ich synonym „inneres Familiensystem“, „inneres Team“ oder auch „inneres Orchester“.

Der „Ziel-Teil“ ist der Teil, mit dem man sprechen will.

IFS: Inneres Familiensystem. Die Abkürzung steht auch für die Arbeit mit dem inneren Familiensystem, also auch für Theorie und Praxis, die Richard Schwartz lehrt.

GfK: gewaltfreie Kommunikation, Theorie und Praxis, die Marshall Rosenberg lehrt.

Exerzitant: Dieser Begriff steht für einen Übenden, männlich oder weiblich, der/die Gespräche mit seinen /ihren Teilen macht, um in der Selbstliebe zu wachsen.

Danken möchte ich allen, denen ich die IFS zeigen durfte und die mir das Vertrauen geschenkt haben, dass ich sie bei ihren Gesprächen mit ihren Teilen begleiten durfte. Auch herzliches Dankeschön an alle, die mir erlaubten, etwas aus ihren inneren Prozessen, die ich begleitete, als Beispiele in die Predigten einzubauen.

Vielen Dank an alle begeisterten KorrekturleserInnen!

Psalm 139

Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich.

Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir.

Von fern erkennst du meine Gedanken.

Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt;

du bist vertraut mit all meinen Wegen.

Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge - du,

Herr, kennst es bereits.

Du umschließt mich von allen Seiten

und legst deine Hand auf mich.

Zu wunderbar ist für mich dieses Wissen,

zu hoch, ich kann es nicht begreifen.

Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist,

wohin mich vor deinem Angesicht flüchten?

Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort;

bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen.

Nehme ich die Flügel des Morgenrots

und lasse mich nieder am äußersten Meer,

auch dort wird deine Hand mich ergreifen

und deine Rechte mich fassen.

Würde ich sagen: „Finsternis soll mich bedecken,

statt Licht soll Nacht mich umgeben“,

auch die Finsternis wäre für dich nicht finster,

die Nacht würde leuchten wie der Tag,

die Finsternis wäre wie Licht.

Denn du hast mein Inneres geschaffen,

mich gewoben im Schoß meiner Mutter.

Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast.

Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.

Als ich geformt wurde im Dunkeln,

kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde,

waren meine Glieder dir nicht verborgen.

Deine Augen sahen, wie ich entstand,

in deinem Buch war schon alles verzeichnet;

meine Tage waren schon gebildet,

als noch keiner von ihnen da war.

Wie schwierig sind für mich, o Gott, deine Gedanken,

wie gewaltig ist ihre Zahl!

Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand.

Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir.

Wolltest du, Gott, doch den Frevler töten!

Ihr blutgierigen Menschen, lasst ab von mir!

Sie reden über dich voll Tücke

und missbrauchen deinen Namen.

Soll ich die nicht hassen, Herr, die dich hassen,

die nicht verabscheuen, die sich gegen dich erheben?

Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz,

prüfe mich und erkenne mein Denken!

Sieh her, ob ich auf dem Weg bin, der dich kränkt,

und leite mich auf dem altbewährten Weg!

Predigten

1. Predigt: Alltägliche innere Streitgespräche

Themen:

Innere Streitgespräche

Innere Personen bzw. Teile

Innere Konferenz

Der innere Teamchef, der innere Dirigent, das Selbst

Das Bewusstsein als Wohnzimmer

Bibeltext: Der barmherziger Samariter, Lk 10, 30-37

Wenn wir diese Geschichte hören, gilt unsere Sympathie natürlich dem barmherzigen Samariter. Er ist wirklich ein gutes Vorbild. Und unsere Antipathie gilt dem Priester und dem Levit, die vorbei gehen.

Jedoch sollten wir uns ehrlich fragen. Bin ich in harmloseren Situationen nicht öfters auch wie der Priester und der Levit? Der Fall, den Jesus erzählt, ist ein extremer Fall: Der Überfallene war sicherlich stark verletzt. Er war in Gefahr zu verbluten. Wenn wir heute an einem Autounfall vorbeifahren, niemand ist sonst da, und wir helfen nicht, dann kann das die Straftat unterlassene Hilfeleistung sein.

Jedoch schauen wir uns harmlosere Situationen an: Ich gebe sicherlich nicht jedem Bettler, den ich in der Innenstadt treffe, ein Eurostück. Und vielleicht können Sie nachvollziehen, dass ich es nicht schaffe, jedem Hilfsbedürftigem, der an der Pfarrhaustür klingelt, freundlich, großzügig und entspannt zu begegnen, zuzuhören und zu helfen. Manchmal habe ich selber gleich einen Termin und muss schnell weg. Manchmal werde ich in meinem Mittagsschlaf gestört und bin genervt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass dieser Sandler schon zu oft geläutet habe. Usw.

Innere Streitgespräche Und dann erlebe ich in mir auch Streitgespräche: Hättest ruhig freundlicher sein können! Dagegen tönt es: Der nervt, jede Woche kommt er! Und eine dritte Stimme: Ich brauche jetzt meine Mittagsruhe!

Natürlich sollten wir uns den barmherzigen Samariter als Vorbild nehmen. Jedoch wenn wir uns mit der Vorstellung eines inneren streitenden Teams in den Priester und Levit hineindenken, dann können wir auch von ihnen lernen. Wir erkennen, dass auch wir manchmal blockiert sind und nicht passend handeln können, weil unser inneres Team zerstritten ist.

Innere Personen bzw. Teile (Ich benutze im ganzen Buch die Begriffe „innere Person“, „Persönlichkeitsanteil“ und „Teil“ synonym.) Ich lade Sie ein, sich zu überlegen, welche inneren Stimmen, welche inneren Personen bei Ihnen vielleicht sich zu Wort melden, wenn Sie an einem Bettler vorbeilaufen bzw. wenn ein Bettler Sie anspricht:

Der Mitleidige: Ein armer Kerl, wenn er hier sitzen muss.

Der Hartherzige: Wenn er wollte, könnte er Arbeit finden!

Der Moralische: Ich bin Christ und muss wie der barmherzige Samariter helfen.

Der Skeptische: Vielleicht gehört er zu einer Bettlerbande. Das organisierte Verbrechen will ich nicht unterstützen.

Der Eilige: Ich habe jetzt keine Zeit! Ich habe einen Termin!

Der Angepasste: Wenn die anderen etwas geben, will ich nicht dadurch auffallen, dass ich nichts gebe.

Und so gehen wir vielleicht immer wieder mit ungutem Gefühl an einem Bettler vorbei, weil sich diese inneren Personen uneins sind. Was kann man tun? Gerade in wichtigen Entscheidungssituationen? Der Kommunikationswissenschaftler Schulz von Thun empfiehlt eine Teambesprechung, ein Klärungsgespräch zwischen den inneren Personen. Bei folgendem Beispiel ist eine innere Teambesprechung für eine gute Entscheidung möglich und durchaus angebracht:

Beispiel Vorlesungsmitschriften Ein Student, der nicht regelmäßig die Vorlesung besucht hat, fragt seine Mitstudentin: „Könnte ich Deine Vorlesungsmitschriften kopieren? Bekommst sie morgen in der Mensa wieder!“ Wie würden Sie reagieren? Vielleicht sagen Sie spontan: „Ja klar!“ Aber vielleicht kommt Ihnen später in den Sinn:

Warum gebe ich meine Skripten einem Faulenzer und Schmarotzer? Erst hat die großzügig Hilfsbereite gesagt: Ja klar! Dann verspätet meldet sich die Genervte bzw. auf-sich-Bedachte: Das sind meine Skripten. Vielleicht gibt es noch die Besorgte: Gibt er mir wirklich das Skript morgen zurück? Habe ich nicht auch paar persönliche Notizen im Skript stehen? Und die solidarische Stimme: Wir sollten uns als Studierende gegenseitig helfen.1

Innere Konferenz Nehmen wir an, die Studentin hätte gesagt: Lass mich mal kurz überlegen. Ich gebe Dir nach der Vorlesung Bescheid. Dann könnte sie für sich in der Pause nachdenken. Bzw. sie könnte eine Besprechung mit ihrem inneren Team machen. Sie hört sich alle vier inneren Personen an. Dann könnte sie sich im zweiten Schritt überlegen, welche Bedürfnisse und Werte die einzelnen inneren Personen haben: Hilfsbereitschaft, Solidarität, aber auch Balance zwischen Geben und Nehmen und Schutz der Privatsphäre.

Eine Lösung, um alle Bedürfnisse abzudecken wäre dann z. B.: Sie schaut ihre Mitschriften durch und sieht, dass nichts Persönliches drin steht oder sie nimmt das Persönliche heraus. Sie gibt ihrem Mitstudenten das Skript unter der Bedingung, dass er ihr im nächsten Semester von einer anderen Vorlesung seine Mitschriften zum Kopieren gibt. Und sie tauschen die Handynummern aus, dass sie ihn erreichen kann für den Fall, dass er vergisst, am nächsten Tag ihr in der Mensa das Skript zu geben.

Der innere Teamchef, der innere Dirigent, das Selbst Wer leitet diese Besprechung? Es gibt in uns auch einen Teamchef. Dieser ist nicht wie eine einzelne innere Person. Richard Schwartz nennt diesen Teamchef: das Selbst. Dieses Selbst zeigt bei unserem Beispiel mehrere Fähigkeiten. Es kann jedem Teil gut zuhören und allen Verständnis und Respekt entgegenbringen. Es kann aber auch wie ein Mediator sein, der zwischen den Teilen vermittelt.

Aber diesem Selbst müssen wir auch Raum geben.

Das Bewusstsein als Wohnzimmer Wir können uns unser Bewusstsein wie ein Wohnzimmer vorstellen: Je nach Situation und Mitmensch treten die einzelnen inneren Personen in das Wohnzimmer ein oder verlassen es. Es können eine Person oder mehrere innere Personen im Wohnzimmer „Bewusstsein“ sein. Es kann passieren, dass eine innere Person das ganze Wohnzimmer ausfüllt. Zwei oder mehrere innere Personen können sich im Wohnzimmer streiten. Dann haben wir ein inneres Streitgespräch. Eine innere Person kann auch von anderen inneren Personen aus dem Wohnzimmer verdrängt werden.1

In unserem Fall von der Studentin trat zuerst die Helferin in das Wohnzimmer und antwortete dem Mitstudenten. Dann jedoch kamen in das Wohnzimmer „Bewusstsein“ andere innere Personen und stritten mit der Helferin: Die Genervte und die Besorgte treten auf, verbünden sich und streiten mit der Helferin. Dieser kommt die Solidarische zur Seite und verteidigt sie. Der Effekt bei der Studentin:

Sie fühlt sich mulmig, innerlich zerrissen und unzufrieden. Unser zweiter Durchgang: Die Studentin erbittet sich Bedenkzeit und das Selbst, der Teamchef lässt alle vier ins Wohnzimmer kommen und hört sich alle vier Meinungen an. Im ersten Schritt darf jeder frei reden.

Dann versucht der innere Teamchef das dahinterliegende Bedürfnis bei jeder inneren Person im Dialog zu ergründen. Wenn das gelungen ist, kann der Teamchef auch eine gute Lösung vorschlagen.

Das Selbst kann nicht nur jedem gut zuhören, es kann auch gut mit innerer Klarheit, Ruhe und Mitgefühl entscheiden. Vorausgesetzt dass es nicht von anderen inneren Personen verdrängt wird.

Kehren wir zum barmherzigen Samariter zurück: Vielleicht gab es auch bei ihm einige widerstreitende Stimmen. Neben dem Helfer vielleicht den Ängstlichen oder den Beschäftigten. Jedoch hatte er Mitleid – so erzählt es Jesus. Er half aus echtem Mitleid, aus echtem Mitgefühl. Er konnte sich gleich in die Lage des anderen hinein versetzen und merkte, wie es dem Verletzten ging und was er brauchte. Sein Selbst ließ sich nicht aus dem Wohnzimmer seines Bewusstseins verdrängen. Sein innerer Teamchef entschied klar, mutig und mitfühlend. Und vielleicht führten innere Personen wie der Handelnde, der Fürsorgliche und der Organisator die Entscheidung des Teamchefs aus.

Siehe Übung: Teile entdecken im Alltag

Wie würde sich mein Leben verändern

Wenn ich mich in mich selbst verlieben würde?

Ich würde für mich einstehen

mir Zeit nehmen zu verstehen

nach meinem Lebenssinn zu hören

mich kennen zu lernen.

Ich würde mich mitnehmen zu langen Spaziergängen

Aufgeregt, und freudig über das, was ich sähe

Mit mir sprechen,

mich jeden Tag mit mir verbinden

mir Aufmerksamkeit und Zeit geben

meine Ziele und Träume anzuhören

Über meine eigenen Witze lachen.

Ich würde mich an das erste Mal erinnern

wie ich mich dabei ertappte

mich im Spiegel fasziniert anzuschauen.

Ich würde mich ermutigen, Ärger zu empfinden

und Irritationen als unbefriedigte Bedürfnisse zu sehen,

die gehört werden wollen, gesehen werden wollen,

während ich meine Lebendigkeit feiere.

Ich würde mir Zeit nehmen, mir Notizen auszudenken,

die ich verstecken würde,

Um sie dann wieder zu finden, wenn ich ein Lächeln brauche.

Bruce Mortensen

1 Tom Holmes hat in seinem Buch zum Bewusstseins-Wohnzimmer und zu vielen Teilen sehr anschauliche Bilder bzw. Illustrationen.

2. Predigt: Ich bin Viele

Themen:

Viele innere Personen

Teile versuchen andere Teile zu bändigen und zu verdrängen

Beispiele für innere Personen

Manche Teile wirken im Verborgenen

Woher kommt es, dass wir in uns verschiedene Teile, innere Personen, Teilpersönlichkeiten haben?

Warum ist es vorteilhaft, sich selbst eher als inneres Team, als eine innere Familie vorzustellen?

Bibeltext: Heilung eines Besessenen in Gerasa, Mk 5, 1-20

Viele innere Personen „Mein Name ist Legion; denn wir sind viele.“ Viele innere Stimmen und Dämonen bevölkern seinen Geist und quälen und blockieren ihn.

Sagt uns das etwas? Kennen wir das in milderer Form auch von uns? Bevor Sie gleich abwimmeln und sich denken: „Ich doch nicht!“, möchte ich Ihnen paar Redewendungen und Zitate präsentieren:

Da hat mich irgendetwas geritten! – Das sagen wir, wenn wir etwas

Dummes getan haben, wenn wir uns haben gehen lassen und einer wilden Tendenz in uns nachgegeben haben. Oder Goethes Faust:

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,

die eine will sich von der andern trennen:

Die eine hält in derber Liebeslust

sich an die Welt mit klammernden Organen;

die andre hebt gewaltsam sich vom Dust

zu den Gefilden hoher Ahnen.“2

Dass wir immer wieder mal ähnlich wie Faust hin und her gerissen sind, das kennen wir alle! Da gibt es mindestens zwei Stimmen, die miteinander streiten.

Bismarck meinte dazu lakonisch: „Faust beklagte, dass er zwei Seelen in seiner Brust habe. Ich habe eine ganze sich zankende Menge. Da geht es zu wie in einer Republik.“3

Teile versuchen, andere Teile zu bändigen und zu verdrängen Der Besessene wurde immer wieder von den Leuten gefesselt, um ihn zu bändigen. Jedoch war seine innere Legion stärker und brach mit Wucht heraus.

Auch das kennen wir in milderer Form auch. Immense Wut über eine tiefe Verletzung bzw. Verärgerung regt sich. Wir wollen die Wut runter schlucken, wir wollen die Wut bändigen. Es gibt in uns auch Leute, die diese Wut z. B. fesseln wollen. Denn wir sind in Sorge, dass ein Wutausbruch vieles zerstört. Das wollen wir ja auch nicht. Und wenn jemand fragt: Ist was los? Sagen wir etwas grimmig: Nichts ist los! Da braucht es nur einen Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen – und unsere Wut poltert los.

Halten wir schon mal fest: Wir sind keine multiplen Persönlichkeiten, keine Schizophrenen. Doch verschiedene Tendenzen, Stimmen, Teile können wir alle in uns mehr oder weniger feststellen, wenn wir ehrlich nach innen horchen. Sie fallen nicht völlig auseinander wie bei der multiplen Persönlichkeitsstörung, so dass wir die Erinnerung an unsere anderen Teile verloren hätten.

Zu manchen Zeiten jedoch können sie bei uns allen im Streit liegen. Sie arbeiten nicht immer harmonisch zusammen.

Und manche Teile werden von anderen Teilen bewacht, zurückgedrängt, aus Sorge, sie würden uns „übermannen“, das „Steuer in die Hand nehmen“ und „alles liefe aus dem Ruder“. Also helfen diese besorgten Teile, dass wir uns „zusammenreißen“. Sie merken schon: Ich gebrauche eine Redewendung nach der anderen. Was darauf hinweist, dass diese Prozesse und inneren Kämpfe sehr vielen Menschen bekannt sind!

Beispiele für innere Personen Wir haben normalerweise mehr als zwei Stimmen. Kennen Sie vielleicht auch einen inneren Richter, der alles beurteilt und vieles kritisiert? Ein braves Kind, das es den Autoritäten recht machen will? Einen Eisenmann, der Angriffe abprallen lässt? Einen Multi-Tasking-Manager für den Alltagsstress? Einen erschöpften Frustrierten, der sich Trost holt, indem er sich vom „Genußschwein“ dazu verführen lässt, einen riesigen Eisbecher in Windeseile hineinzuschlingen? Einen Baustellen-Polier, der wie wild alle antreibt? Eine Aufmüpfige, die am liebsten sagt: Rutsch mir doch den Buckel runter? Einen Teil, der sich zur Muße, zur Besinnung und zur Kreativität Zeit nimmt – vorausgesetzt, die anderen lassen ihm Raum dazu und treten zweitweise zurück? Die Ängstliche, die sich manchmal zu viel Sorgen macht, die aber uns auch schon vor Gefahren gerettet hat? Das Spielkind, das Fünfe grade sein lassen kann?

Vielleicht konnten Sie nicht alle Teile in sich entdecken. Aber einige vermutlich schon.

Nach diesen Einsichten zufolge „besteht die menschliche Psyche aus unterschiedlichen Anteilen, den Subpersönlichkeiten. Man kann sie sich als winzige Menschen vorstellen, die unter einem Dach zu Hause sind. Jeder von ihnen hat seine eigene Perspektive, seine Gefühle, Erinnerungen, Ziele und Motivationen.“4

Manche Teile wirken im Verborgenen „Sandra wollte an einem Videoprojekt arbeiten, schaffte es jedoch einfach nicht, damit anzufangen. Zuerst musste sie ihr Arbeitszimmer aufräumen, was scheinbar ewig dauerte. […] Okay, dachte sie, jetzt kann ich aber loslegen. […] Eine halbe Stunde später war sie damit beschäftigt, eine opulente Mahlzeit zuzubereiten.“5 Ihr dämmerte, dass sie ständig ihre Arbeit am Projekt aufschob. Irgendetwas hielt sie davon ab, blockierte sie, verlockte sie zu Ablenkungen, um bloß nicht richtig anzufangen. Sie kannte dieses Muster schon von früher und die Lektüre von Ratgeberliteratur half ihr nicht wirklich, aus diesem Muster auszusteigen. Denn die Empfehlungen vieler Ratgeber gehen nicht an den Kern des Problems: „Ein Teil von Sandra will nicht an ihrem Videoprojekt arbeiten. Sie nennt ihn den betriebsamen Teil. Er beschäftigt sie mit anderen Aktivitäten, um die Arbeit an dem Projekt zu vermeiden, obwohl es ihre höchste Priorität ist. Der betriebsame Teil ist auf einer unbewussten Ebene aktiv“6. Weil er unbewusst, im Verborgenen agiert, hat er solche Macht. Er wirkt fast wie ein Virusprogramm auf dem Computer. Weil Sandra nichts über ihn weiß und hilflos ist, wie sie mit umgehen soll, ist er so mächtig. Viele Therapien sehen so ein Muster als Problem an, das bekämpft und überwunden werden muss.

Der Lösungsweg der IFS dagegen ist: Lerne den Teil kennen, rede mit ihm, lerne seine eigentlichen Absichten kennen, dann kannst Du erreichen, dass er seine Strategien und Taktiken wandelt, weil Du mit Deinem Selbst mit ihm sprichst.

Vier zentrale Fragen ergeben sich aus dem Gesagten:

Woher kommt es, dass wir in uns verschiedene Teile, innere Personen, Teilpersönlichkeiten haben?

Warum ist es vorteilhaft, sich selbst eher als inneres Team, als eine innere Familie oder als ein durcheinander spielendes oder harmonisch zusammen spielendes Orchester vorzustellen?

Wie können wir diese Teile in uns besser kennen lernen?

Wie erreichen wir in unserem inneren Team mehr Kooperation und Harmonie?

Die dritte und vierte Frage werde ich in den folgenden Predigten behandeln. Die ersten zwei in dieser Predigt:

Also: Woher kommt es, dass wir in uns verschiedene Teile, innere Personen, Teilpersönlichkeiten haben?

Ein Grund: Wir müssen verschiedene Rollen im Alltag übernehmen. In der Firma verhalten wir uns anders als zuhause und wieder anders im Verein. Und diese verschiedenen Rollen können auch im Außen zu Konflikten führen – schon im Teenageralter: Zuhause soll man höflich sein, unter den Kumpels will man cool sein und in der Schule ist Leistung gefragt. Jedoch wenn die Kumpels einen in der Schule zu coolem Verhalten anstacheln, man dafür einen Verweis bekommt, merken die Eltern, dass sich ihr Sprössling woanders anders verhält als zuhause. Den Krach, den der Teenager mit seinen Eltern und mit den Lehrern hat, internalisiert er. Und schon kämpfen vielleicht in ihm drei innere Personen miteinander: der Coole, der Strebsame und der Brave.

Ein weiterer Grund: Die vielen verschiedenen Einflüsse, die moderne Welt mit ihren vielfältigen Wissenssystemen, Vorstellungen, Meinungen, Teilbereichen spiegeln sich auch in uns wieder in einer Vielzahl von Tendenzen.

Noch ein weiterer Grund: Tiefe Enttäuschungen besonders in der Kindheit können zu verletzten inneren Personen führen. Eltern oder andere Autoritätspersonen mögen absichtlich oder unabsichtlich ein Kind verletzt haben und ihm einen Giftsatz mitgegeben haben. Vielleicht wurde das Kind missachtet oder ungerecht behandelt und glaubt nun: Ich bin nicht geliebt, weil ich nicht gut genug bin. Oder: Ich bin schwach und ohnmächtig. Oder: Ich fühle mich einsam und verloren. Oder: Ich bin zu dumm.

Diese verletzte innere Person kann von anderen inneren Personen verdrängt werden. Sie bemühen sich, dass ich diesen Schmerz in Zukunft nicht mehr spüren muss. Und so haben wir schon mindestens zwei innere Personen: Das verbannte verletzte Kind und die Beschützer und Manager des Alltags, die den damaligen Schmerz verhindern wollen.

Nun zur zweiten Frage: Warum ist es vorteilhaft, sich selbst eher als inneres Team, als eine innere Familie oder als ein durcheinander spielendes oder harmonisch zusammen spielendes Orchester vorzustellen?

Man kann sich natürlich darüber streiten, ob es diese inneren Personen wirklich gibt oder ob sie Metaphern sind. Von den Ergebnissen der Neurowissenschaften her zeigt sich, dass verschiedene Teile des Gehirns in verschiedenen Situationen zusammenarbeiten oder auch gegeneinander arbeiten können. Unser eigenes inneres Erleben, dass wir eher ein Team, manchmal auch zerstrittenes Team sind, widerspricht nicht den neurologischen Forschungsergebnissen.

Was aber noch wichtiger ist: Wenn ich von einem inneren Team ausgehe, dann kann das für meinen Umgang mit mir selbst förderlich sein.

Wenn ich etwas tue, das ich später bereue, muss ich mich nicht als Ganzes total schlecht fühlen. Ohne meine Verantwortung zu leugnen, kann ich zu mir sagen: Ein Teil von mir hat mich dazu getrieben. Dieser Teil hat zu sehr das Ruder in die Hand genommen. Und andere Teile wollten das verhindern und konnten es nicht.

Ich kann eine Differenz in mir feststellen bzw. einrichten, indem ich sage: In mir gibt es einen wütenden Teil, aber ich bin nicht diese Wut. Dann kann ich die Wut bzw. den wütenden Teil anschauen oder sogar mit ihm reden. Ich bin nicht mehr gefangen zwischen Skylla und Charybdis: Entweder der Wut folgen oder die Wut unterdrücken. Wenn ich mit den Teilen beginne zu reden, merke ich sogar, dass sie aus guten Absichten handeln und dass sie sich verändern können, heilen und reifen können. (Wenn ich jedoch meine inneren Teile als feste, unveränderliche, böse und finstere Mächte verstehe, ist verständlich, dass ich sie in einen Tresor einsperren und den Riegel fest zuschließen möchte.

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Ich kann meine inneren Vorgänge besser verstehen und damit bewusster gestalten. Vieles in mir zeigt sich als Streit oder Disharmonie zwischen den Teilen. Aber ich erkenne auch, dass es neben den Teilen noch ein Selbst gibt: einen Teamchef, den ich stärken kann, so dass er wieder mehr gegenseitiges Verständnis, Austausch und Kooperation im inneren Team erreicht.

Auch meine Mitmenschen versuche ich nicht mehr mit einem Eigenschaftswort zu beschreiben. Wer einmal die innere Vielfalt in sich entdeckt hat, wird auch seine Mitmenschen differenzierter und damit fairer und verständnisvoller gegenüber treten können.

Ich gehe also erstens von einigen inneren Personen aus, die zeitweise zerstritten sind und evtl. mehr Kooperation und Führung brauchen. Zweitens gehe ich von einem inneren Selbst aus, das wie ein Teamchef oder guter Dirigent wirken kann. Das werde ich in folgenden Predigten noch ausführen. Mein Selbst ist der Schlüssel für Heilung und Reifung. Durch das Selbst wirkt nämlich der Heilige Geist in mir.

Wenn ich mir selbst mit dieser Vorstellung begegne, dann ist das für mich befreiend, entlastend, lösungsförderlich, mitfühlend mit sich selbst.

Die Vorstellung jedoch, ich sei ein kompaktes einheitliches Ich, vertieft die Frustration, die ich mit meinen inneren Kämpfe habe. Denn dann bin ich mit meinen inneren „Dämonen“ von Wut, Traurigkeit oder Sinnlosigkeit untrennbar verschmolzen. Mir geht es dann, wie es Paulus im Römerbrief beschreibt: „Denn ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse.“ Röm 7,15.

Fazit: Auch wenn wir nicht genau wissen, ob die inneren Teile real sind oder nicht, es lohnt sich für meinen liebenden Umgang mit mir selbst davon auszugehen, als ob sie real wären. (Siehe Essay: Die Realität der Teile)

Auch wenn im heutigen Evangelium eine Radikallösung präsentiert wurde… Ich muss meine extremen Teile ja nicht gleich in Schweine schicken und sie den Abhang hinunter jagen. Wir werden sanftere Wege kennenlernen, wie wir unsere extremen inneren Personen beruhigen können und zur gesunden Kooperation führen können. Das werden die folgenden Predigten zeigen.

Jesus,

ich bin manchmal hin und her gerissen,

ein anderes Mal könnte ich aus der Haut fahren,

kurz später frage ich mich:

Was hat mich da geritten?

Wie Paulus sagt:

„Denn ich begreife mein Handeln nicht:

Ich tue nicht das, was ich will,

sondern das, was ich hasse.“

Röm 7,15

Mehr als zwei Seelen kämpfen in meiner Brust!

Wie soll ich Frieden um mich herum stiften können,

wenn in mir Streit und Kampf ist?

Kannst Du mir helfen,

Frieden in mir zu schaffen?

Ich vertraue auf Dein Wort:

„Meinen Frieden gebe ich Euch!“

3. Predigt: Zusammenhang von Nächstenliebe und Selbstliebe

Themen:

Innen-Außen-Korrespondenz

Innen-Außen-Parallelität

Wie Schulz von Thun das innere Team entdeckte

Wie Richard Schwartz die innere Familie entdeckte

Richard Schwartz entdeckte das Selbst

Bibeltext: Mk 12, 31

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Wir können dieses Gebot in zwei Weisen verstehen. Die erste übliche Weise ist: Du liebst Dich. Und du sollst genauso deinen Nächsten lieben. Diese Deutung geht davon aus, dass jeder Mensch natürlich sich selbst liebt. Und die Herausforderung ist, auch den Nächsten so zu lieben. Ich soll in der Nächstenliebe wachsen.

Die zweite Weise ist: Du sollst Dich lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Diese zweite Deutung nimmt die Erfahrung mit hinein, dass wir uns ja nicht immer wirklich lieben. Ich mag nicht immer alles an mir, manchmal bin ich wütend auf mich. Manche hassen sich sogar. Die Herausforderung in dieser zweiten Deutung ist, in der wahren Selbstliebe und in der Nächstenliebe zu wachsen. Und es wird angenommen, dass das Wachstum der Selbstliebe und das Wachstum der Nächstenliebe zusammenhängen.

Wenn wir von der zweiten Deutung ausgehen, dann ergeben sich eine Innen-Außen-Korrespondenz und eine Innen-Außen-Parallelität. Damit meine ich: Mein Verhältnis zu mir lebe ich innerlich. Mein Verhältnis zu meinen Mitmenschen lebe ich äußerlich.

Innen-Außen-Korrespondenz meint dann: Mein Verhältnis zu mir hängt mit meinen Verhältnissen zu meinen Mitmenschen zusammen. Und Innen-Außen-Parallelität bedeutet: Mein Verhältnis zu mir hat Parallelen, Ähnlichkeiten mit meinen Verhältnissen zu meinen Mitmenschen. Diese eher abstrakten, strukturellen Gedanken werden ganz lebendig und konkret, wenn wir uns die Entdeckungen zweier Wissenschaftler bzw. Therapeuten anschauen: die Entdeckungen des Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun und des systemischen Familientherapeuten Richard Schwartz.

Wie Schulz von Thun das innere Team entdeckte In einem Kommunikationsseminar für Führungskräfte Mitte der achtziger Jahre kam Schulz von Thun das erste Mal auf die Idee, mit dem inneren Team zu arbeiten. Ein Abteilungsleiter fragte ihn: „Wie kann ich mit einem Mitarbeiter reden, der bei mir immer wieder ankommt und eine Sondergenehmigung will, auch am Wochenende ungestört in der Firma zu arbeiten, weil er sonst die gesteckten Termine nicht erreichen würde? Welchen Ton schlägt man da am besten an?“8 Schulz von Thun fragte den Abteilungsleiter, wie er denn innerlich auf diese Anfrage reagiere. „Immer solche Extrawürste, das ist bei dem Mann ja nicht das erste Mal, das will mir ganz und gar nicht in den Kopf! Es ist auch schon rein aus Prinzip schlecht möglich – wenn das alle machen würden, dann hätten wir samstags Hochbetrieb! Aber man will dann auch wieder kein Prinzipienreiter sein und sich auf stur stellen, verstehen Sie?“9 Schulz von Thun ermunterte ihn, diese innere Stimme, die nun sagt, er solle kein Prinzipienreiter sein, etwas auszuführen. „Die sagt: Wenn der Mitarbeiter das selbst so wünscht, warum soll ich ihn dran hindern? So wie jeder nach seiner Fasson selig werden soll, so soll jeder sich auch nach seiner Fasson motivieren! Als Vorgesetzter werde ich doch dafür bezahlt, dass ich Bedingungen schaffen, unter denen Mitarbeiter aufblühen können. – Aber da [...] kommt dann gleich wieder die andere Stimme und sagt: „Das kann ja nun nicht bedeuten, dass ich jedem eine Extrawurst brate“.“10 Schulz von Thun zeigte dann auf: Zwei Seelen schlagen in der Brust des Abteilungsleiter. Oder in gewisser Weise ist es wie in einem Team, in dem zwei unterschiedliche Mitarbeiter sitzen. Dem einen sind besonders geordnete Verhältnisse wichtig, der andere steht für Flexibilität. Sein inneres Team ist zerstritten und in einer Pattsituation. Solange er Unruhe und Unklarheit in seinem inneren Team hat, kann er auch keine Ruhe und Klarheit in seinem äußeren Team, seiner Abteilung schaffen. Denn er wird unklar kommunizieren, der Mitarbeiter wird vielleicht irritiert oder verärgert sein.

Schulz von Thun führt aus: „Wir sind meist auf Leute schlecht zu sprechen, die in uns eine Unstimmigkeit erzeugen. Die Verführung wäre jetzt, diesen quälenden Zustand dadurch zu beenden, dass Sie eine der beiden Wortmeldungen als Quatsch abtun und dann mit der Wucht dessen, der nur eine Wahrheit kennt, dem Mitarbeiter begegnen. Dadurch würde sowohl innerlich als auch zwischenmenschlich etwas auf der Strecke bleiben, und die Sachlösung wäre wahrscheinlich auch nicht optimal.“11

Der Abteilungsleiter wünscht sich eine Lösung von Schulz von Thun. Eine fertige Lösung präsentiert er ihm natürlich nicht. „Wenn ich sage, es komme darauf an, diese innere Uneinigkeit eine Zeit lang auszuhalten, dann meine ich damit: Nimm dir so viel Zeit, wie nötig ist, um alle inneren Experten zu dem Thema zu hören und sie miteinander in Kontakt kommen zu lassen. Sodann muss der Chef hier entscheiden und handeln. Aber jetzt ist die Chance größer, dass er Lösungen findet, die beide inneren Kontrahenten befriedigen oder die so sind, dass beide damit leben können, wie man so schön sagt.“12

Allgemein formuliert: Ich habe es im Außen mit Gruppen, Teams, Familien zu tun und mit diesen Mitmenschen muss ich reden. Nächstenliebe heißt da ganz konkret, im Dialog zu bleiben, bereit zu sein, offen zuzuhören, und transparent die eigenen Ansichten und Wünsche zu äußern und dann im Gespräch zu Klärungen und Lösungen zu finden. Parallel heißt Selbstliebe dann ganz konkret, dass ich mit meinen inneren Mitarbeitern ins Gespräch komme und sie anhöre. Durch diese Gespräche fühlen sie sich verstanden und wertgeschätzt und ich sehe die verschiedenen Aspekte klarer. Nach einer inneren Teamsitzung kann ich besser entscheiden und nach außen klarer und souveräner kommunizieren.

Wie Richard Schwartz die innere Familie entdeckte Richard Schwartz begann als systemischer Familientherapeut. Er dachte gemäß seiner Ausbildung in systemischer Familientherapie: Wenn ich die äußeren Beziehungen und Verhältnisse kläre und verbessere, würden sich die Probleme meiner Klienten lösen. Aber das trat nicht immer ein. Er hatte es z. B. geschafft, das Verhältnis der Klientin zu ihren Eltern zu klären und wesentlich zu verbessern. Jedoch ihre Probleme, z. B. Bulimie, quälten sie immer noch. Durch seine Klienten selbst entdeckte er, dass er nicht nur im Außen, sondern auch im Inneren mehr Harmonie erreichen müsse. „Aus dieser Frustration heraus fing ich an, meine Klienten darüber zu befragen, welche Art Gefühle und Gedanken sie in ihren alten Gleisen fest hielten. Zu dieser Zeit hatte ich einige Klienten, die von verschiedenen ihrer Persönlichkeitsanteile so sprachen, als ob diese „Teile“ selbständige Stimmen oder Unterpersönlichkeiten wären.“13 Durch diese Gespräche über das Innere und die inneren Stimmen erkannte er, dass seine Klienten quasi auch eine innere Familie haben. Auch in dieser inneren Familie brauchte es Klärung und gegenseitige Aussprache, damit die Probleme der Klienten gelöst werden konnten.

Eine ausführliche Erzählung über seine Entdeckungen möchte ich hier anführen: „Zum Beispiel sprach eine entzückende junge Frau namens Diane von ihrer „pessimistischen Stimme“ und ihrem „Kritiker“, die beide jegliche ihrer positiven Aktionen mit ihren düsteren Gesängen von Versagen und Untergang begleiteten. Sie sagte, sie habe andere Stimmen, die sich mit diesen Propheten des Scheiterns stritten, und wieder andere, die sich einfach schämten und unfähig fühlten. Sie glaubte, dass die Scham und die Unfähigkeit die „wahre Diane“ seien. Als Familientherapeut fand ich diese inneren Kämpfe hoch interessant. Auf die gleiche Art, wie ich vorher versucht hatte, Konflikte in Familien zu verändern, bat ich nun Diane und andere Klienten, an diesen inneren Kämpfen zu arbeiten. […]

Es sah so aus, als ob Diane und viele andere Klienten tatsächlich in der Lage waren, sich mit diesen Gedanken und Gefühlen zu unterhalten, so als ob sie echte Persönlichkeiten wären. Ich bat Diane, ihre pessimistische Stimme zu fragen, warum sie ihr immer sage, es sei hoffnungslos.

Diane tat es, und zu meinem Erstaunen antwortete ihr die Stimme. Sie sagte ihr, es [d. h. die pessimistische Stimme] sei hoffnungslos, damit sie keine Gefahr eingehe und verletzt würde. Sie versuche, sie zu beschützen. Das sah nach einer viel versprechenden Interaktion aus. Wenn dieser Pessimist wirklich eine gute Absicht hatte, konnte Diane vielleicht mit ihm verhandeln, so dass er seine Rolle veränderte. Aber Diane war nicht interessiert. Sie war wütend auf diese Stimme und sagte ihr, sie solle sie einfach in Ruhe lassen. Ich fragte sie, warum sie so unhöflich zu dem Pessimisten sei, und sie setzte zu einer langen Schmährede an und beschrieb mir, wie diese Stimme jeden Schritt, den sie in ihrem Leben gegangen sei, in eine große Hürde verwandelt habe. Da hatte ich die Idee, dass ich nicht mit Diane sprach, sondern mit einem anderen ihrer Teile, der in ständigem Kampf mit dem Pessimisten lag. In einer früheren Unterhaltung hatte Diane mir von einem immerwährenden inneren Krieg zwischen einer Stimme, die sie zu Leistung drängte und dem Pessimisten, der ihr sagte, es sei hoffnungslos, berichtet. Anscheinend hatte sich dieser antreibende Teil eingemischt, während sie mit dem Pessimisten sprach.

Ich forderte Diane auf, sich der Stimme zuzuwenden, die so wütend auf den Pessimisten war, und sie zu bitten, sich in ihre Verhandlung mit ihm nicht einzumischen. Und, wieder zu meiner Überraschung, war diese bereit „zurück zu treten“. Diane steckte von diesem Moment an nicht mehr in der Wut, die sie Sekunden zuvor so stark empfunden hatte. Als ich Diane fragte, was sie jetzt für den Pessimisten empfinde, schien eine andere Person zu antworten. Mit ruhiger, liebevoller Stimme sagte sie, sie sei ihm dankbar, dass er versuche, sie zu beschützen und sie bedauere, dass er so schwer arbeiten müsse. Ihr Gesichtsausdruck und ihre Haltung hatten sich auch verändert und entsprachen dem sanften Mitgefühl in ihrer Stimme.“14 Zuletzt sprach ihr Selbst mit dem Pessimisten.

Richard Schwartz entdeckte das Selbst wie die Teile durch seine Klienten. Er fragte sie, was übrig bleibt, wenn die Teile, die einen Dialog mit einem Teil erschweren, zur Seite getreten sind. Viele Klienten sagten: Das ist mein Selbst. Er hat bei all seinen Klienten das Selbst entdecken können. Und wenn es einmal ungestört da sein durfte, konnte es bei jedem klar, mitfühlend, aufmerksam, gelassen zuhören und mit den Teilen in Dialog treten. So erkannte Schwartz mit der Zeit: Wenn der Klient aus seinem Selbst heraus mit den Teilpersönlichkeiten reden kann, kann innere Disharmonie, innere Kämpfe, Selbsthass usw. überwunden werden.

Innen-Außen-Korrespondenz und eine Innen-Außen-Parallelität. Schwartz offenbart uns damit noch eine weitere wichtige Einsicht. Es braucht immer wieder eine bewusste Klärung und versöhnliche Aussprache in der inneren Familie, damit ich wieder mich selbst lieben kann. (Manche Menschen machen dies intuitiv in einem Selbstgespräch, ohne zu wissen, dass sie Gespräche mit ihren inneren Teilen führen.) Wenn ich in dieser Selbstliebe wachse, kann ich auch im Außen, in meiner Nächstenliebe vorankommen. Dann kann ich auch meine Probleme mit meinen Mitmenschen, Partner, Kinder, Arbeitskollegen besser lösen. Das ist die Innen-Außen-Korrespondenz. (Es gilt auch umgekehrt: Wenn ich in meiner Nächstenliebe mich übe und wachse, reife ich auch in der Selbstliebe.) Des Weiteren erkannte Schwartz, dass er sein Handwerkszeug als Familientherapeut auch für die Arbeit mit der inneren Familie anwenden kann. Denn ob äußere oder innere Familie, es kommt darauf an, dass jeder zu Wort kommen kann, jeder respektiert wird, jeder gehört wird und dann gemeinsam Lösungen gefunden werden. Oder anders formuliert: strukturell sind Nächstenliebe und Selbstliebe parallel. (Die Parallelität ist nicht unbedingt inhaltlich. Das was ich bei anderen ablehne, kann etwas anderes sein als das, was ich in mir ablehne. Jedoch oft gibt es auch inhaltliche Ähnlichkeiten.) Ich liebe, wenn ich mit anderen im fairen, respektvollen Dialog bin. Ob das meine Mitmenschen sind oder meine inneren Teilpersönlichkeiten.

Mit mir selbst Freundschaft schließen bedeutet, zu jedem Teil eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen.

Mich selbst zu lieben bedeutet, jeden meiner Teile zu lieben.

Anmerkung: Geschichten als Gleichnisse für innere Vorgänge lesen Die ausgeführte Parallelität ist der Grund, warum ich Geschichten zwischen Menschen auch als Hinweise für Vorgänge im Inneren eines Menschen deuten kann. Ich habe in meinen Predigten immer wieder Geschichten zwischen Menschen als „Gleichnis“ für innere seelische Prozesse neu gelesen. Z. B. Loriots Geschichte „Feierabend“ und die Christuslegende „Lichtflamme“ von Selma Lagerlöf in „Die Lichtflamme in Dir“, Maria und Martha und andere Bibelgeschichten in diesem Buch.

Siehe Übung: Teile studieren

Ich mag Besserwisser nicht

Mich nervt mein innerer Kritiker

Und ich weiß sehr gut, was andere besser machen könnten…

Ertappt

Ja Jesus, Du hast Recht:

Ich liebe den anderen, wie mich selbst!

Ich liebe meine Mitmenschen genauso

wie ich mein inneres Team liebe –

Innen wie Außen.

Besserwisser nebenan und mein Kritiker in mir –

Ich mag sie beide nicht!

Und sie wollen beide was Gutes?

Das muss ich noch mehr entdecken!

Hilf mir, Jesus, dabei!

4. Predigt: Qualitäten des Selbst

Themen:

Friede, innerer Friede

Klarheit

Neugierde

Mitgefühl

Zuversicht

Mut

Kreativität

Verbundenheit

Bibeltext: Der Friede sei mit euch! Joh 20, 19-31

„Laut einer alten Legende überlegten die Götter vor langer Zeit, wo sie das Geheimnis von Frieden und Freude verstecken sollten. Sie wollten nicht, dass die Menschen es fänden, bevor sie bereit wären, es auch zu schätzen. Ein Gott sagte, lasst es uns auf dem höchsten Berg verstecken. Ein anderer sagte, nein, dort wird es zu leicht und zu schnell gefunden werden. Ein weiterer Gott schlug vor, es tief im dichtesten Wald zu verstecken, aber dieser Ort wurde aus demselben Grund abgelehnt. Nach vielen weiteren Vorschlägen und Ablehnungen sagte der weiseste Gott: „Versteckt es im menschlichen Herz, das ist der letzte Platz, an dem sie suchen werden.“ Die Götter stimmten alle zu und so geschah es.“15

Die Legende zeigt zweierlei!

Erstens: Der göttliche Friede ist wirklich in den Herzen aller Menschen.

Zweitens: Da der göttliche Friede am Herzensgrund liegt, spüren wir ihn nicht immer. Der eine spürt ihn häufiger, der andere seltener. Ja viele haben eher den Eindruck, dass der göttliche Friede nicht grundsätzlich im Herzen der Menschen anwesend ist.

Wenn der Auferstandene seinen Jüngern zuspricht: Der Friede sei mit euch. Empfangt den Heiligen Geist. Dann spricht er den Hl. Geist uns zu und will uns entdecken lassen, was verborgen schon immer da ist: der göttliche Friede, der Heilige Geist. Aber wir brauchen anscheinend den Auferstandenen, der uns den Frieden und den Heiligen Geist zuspricht, um ihn in uns entdecken zu können.

Wer jedoch in Verbindung kommt mit dem göttlichen Frieden und dem Heiligen Geist in sich selbst, der kann mehr aus seinem Herzen leben, aus seinem inneren Selbst, aus einer Verbindung mit dem Heiligen Geist.

Und wenn ich mit meinem inneren Selbst, mit dem Heiligen Geist in mir verbunden bin, und sei es nur teilweise oder zeitweise, dann kann ich mich verändern und es können in mir neue Qualitäten wachsen. Die Kirche spricht von den sieben Gaben des Heiligen Geistes und bezieht sich damit auf eine Stelle bei Jesaja. Ich möchte Ihnen heute acht andere Qualitäten, Gaben bzw. Tugenden dieser Beziehung zur inneren Mitte, zum göttlichen Kern in uns vorstellen:

Friede, innerer Friede: Ich merke vielleicht mit der Zeit, dass mein hyperaktiver Geist, mein Grübler in mir, mein gedankliches Hamsterrad sich beruhigt. Es wächst etwas mehr Gelassenheit. Rasende Aktivität und Unruhe werden weniger. Natürlich wird mir das Leben immer wieder Herausforderungen bringen. Aber dann lasse ich mich nicht mehr völlig in den Strudel hineinreißen. In mir gibt es immer noch einen ruhigen Ort, auch wenn es um mich herum wild ist. Klarheit: Ich merke, dass ich durch die Verbindung mit dem Heiligen Geist in der Fähigkeit wachse, Situationen auch ohne Verzerrung wahrnehmen zu können. Mir gelingt es immer wieder, andere Menschen oder Situationen offener und unvoreingenommener wahrzunehmen und zu begegnen. Ich schaffe es, neu und frisch auf einen anderen zuzugehen. Sozusagen mit einem Anfängergeist, der nicht belastet ist von Vorurteilen.

Neugierde: Bei Kindern erleben wir fasziniert kindliche Neugierde. Kinder können über ein Vogelnest staunen, neugierig ein Waldstück erkunden oder einen Käfer bewundern. Mit Neugierde können wir auch auf eine ärgerliche Person reagieren. Anstatt uns zu verteidigen oder ihn zu verurteilen, können wir aus der inneren wohlwollenden Neugierde heraus ihm offen zuhören und arglos nachfragen. So eine Neugierde öffnet beim anderen das Herz und er entspannt sich und beginnt zu erzählen, was ihn eigentlich bedrückt.

Mit Friede, Klarheit und Neugierde kann ich auch auf meine inneren Teile zugehen und mit ihnen ins Gespräch kommen, sie kennenlernen und sie wertschätzen.

Mitgefühl: Wahres Mitgefühl ist fähig, das Kreuz des anderen mitzutragen, ohne dabei selber zu verzweifeln, ohne dem anderen seine Verantwortung für sich selbst abzunehmen. Ein wirklich mitfühlender Mensch fühlt sich in den anderen hinein und erahnt, wie es dem anderen geht. Er fragt sich vielleicht unbewusst oder sogar bewusst: Wie würde es mir an seiner Stelle gehen? Aber ein mitfühlender Mensch, der eine Verbindung zu seinem inneren Selbst, zum Heiligen Geist hat, der versinkt nicht im Schmerz des anderen. Wenn man beim Einfühlen in den Schmerz des anderen versinkt, so möchte man lieber selber flüchten, weil man es nicht mehr aushalten kann. Das kann dann zur Gegenbewegung führen: Man hat zwar irgendwie Mitleid, aber geht innerlich auf Distanz. Vielleicht möchte man mit Ratschlägen das Leid, das Kreuz schnell aus der Welt schaffen.

Wahres Mitgefühl ist fähig, das Kreuz des anderen mitzutragen. Man kann es mittragen, weil man die Zuversicht hat, dass der heilige Geist auch den anderen führt und heilen kann. Und so kommen wir zu den nächsten Qualitäten und Tugenden: Zuversicht und Mut. Sie braucht man nämlich für wahres Mitgefühl!

Zuversicht: Der Auferstandene möchte uns wirklich Zuversicht zusprechen. Er möchte uns einladen, völlig aus einer Zuversicht zum Heiligen Geist heraus zu leben. In dieser Zuversicht bin ich mir gewiss: Ich bin geliebt von Gott, ich bin gesegnet, ich werde von ihm geführt. Egal, wie schlecht die Lage aussieht, Gott führt mich.

Mut: Aus dem inneren Frieden heraus haben wir den Mut, anderen wirklich aufmerksam zuzuhören, auch wenn es schwer fällt oder traurig ist. Wir haben den Mut, uns aufrichtig zu entschuldigen und zu fragen, was wir tun können, um den Schaden wieder gut zu machen. Mit der Verbindung zum inneren Frieden und zum Heiligen Geist können wir sogar dem Mut haben, uns für Gerechtigkeit einzusetzen, ohne den anderen zu richten. Nur durch den inneren Frieden und die Verbindung mit dem Heiligen Geist konnte zum Beispiel Martin Luther King einen gewaltlosen Widerstand anführen. Mit Zuversicht, Mut und Mitgefühl können wir auch unsere inneren Teile, die wir sonst eher gerne verdrängen, kommen lassen, ihnen zuhören, ihnen Verständnis zeigen, ihnen Schutz und Heilung schenken und sie damit harmonisch wieder integrieren.

Kreativität: Wenn der innere Lärm weniger wird, wenn die Macht des inneren Kritikers nicht mehr so stark ist, wenn wir immer wieder auch eine Verbindung mit dem inneren Frieden finden, dann ist auch neue Kreativität möglich. Viele Wissenschaftler haben intuitiv neue Einsichten gehabt. Künstler ziehen sich zurück, um aus der Stille heraus schöne Werke zu erschaffen. Menschen, die durch Gebet den göttlichen Frieden in sich entdecken, finden zu neuen Lösungen für Probleme, die sie vielleicht lange für unlösbar hielten.

Verbundenheit: Weil der göttliche Friede, der heilige Geist in allen Menschen ist, ja der heilige Geist alles erschaffen hat und in allem Lebendigen wirkt, bringt mehr Kontakt zu inneren Mitte auch mehr Verbundenheit zu den Mitmenschen und zur Schöpfung. In Gesprächen erleben wir, dass wir wirkliche Ich-Du-Begegnungen erfahren dürfen. Eine Begegnung von Herz zu Herz.

Thomas Wie können wir den göttlichen Frieden in uns entdecken? Dafür sollten wir nicht versuchen, unsere zweifelnden Stimmen, unsere inneren Kritiker wegzuschieben und zwanghaft optimistisch zu sein. Besser ist es, wir machen es wie Thomas. Er legt seine Zweifel, seine Skepsis Jesus dar. Er zeigt ihm offen seinen inneren Kritiker und Zweifler. Und der Auferstandene nimmt diese Teile von Thomas ernst und zeigt ihm seine Wunden. Das können wir auch, indem wir beten, mit Jesus reden.

So kann Thomas zum heiligen Geist in ihm vordringen und aus ihm heraus gläubig sagen: Mein Herr und mein Gott! Durch die Begegnung mit dem Auferstandenen findet Thomas zu seinem inneren Frieden, zum göttlichen Frieden in ihm.

Noch eine Warnung zuletzt: Manche lesen die Liste der Qualitäten des Selbst, schauen in sich hinein und stellen erst einmal frustriert fest: Davon habe ich doch ganz wenig. Giftsätze wie „Das schaffe ich nicht!“, „Ich bin zu blöd!“ usw. kommen hoch und so meinen sie: Wenn jeder ein Selbst hat, also auch ich, dann müsste ich doch diese Qualitäten spüren, aber ich spüre davon wenig. Sie übersehen, dass das Selbst immer schon in ihnen wirkt und manchmal erst in zarter und kleiner Form wirkt. Jesus verglich das Reich Gottes mit dem Senfkorn. Das kleinste Korn. Aber so klein es auch sei, das Selbst ist da, es wirkt aus sich. Ich darf darauf vertrauen. Ich muss die Qualitäten des Selbst nicht machen. Alles ist schon da. Und das göttliche Licht leuchtet schon. Entdecken wir es in uns!

Das Selbst hat Anteil an der Weisheit Gottes

In der Weisheit ist ein Geist,

gedankenvoll, heilig, einzigartig,

mannigfaltig, zart, beweglich,

durchdringend, unbefleckt, klar,

unverletzlich, das Gute liebend, scharf,

nicht zu hemmen, wohltätig, menschenfreundlich,

fest, sicher, ohne Sorge,

alles vermögend, alles überwachend

und alle Geister durchdringend,

die denkenden, reinen und zartesten.

Denn die Weisheit ist beweglicher als alle Bewegung;

in ihrer Reinheit durchdringt und erfüllt sie alles.

Sie ist ein Hauch der Kraft Gottes

und reiner Ausfluss der Herrlichkeit des Allherrschers;

darum fällt kein Schatten auf sie.

Sie ist der Widerschein des ewigen Lichts,

der ungetrübte Spiegel von Gottes Kraft,

das Bild seiner Vollkommenheit.

Sie ist nur eine und vermag doch alles;

ohne sich zu ändern, erneuert sie alles.

Von Geschlecht zu Geschlecht tritt sie in Seelen ein

und schafft Freunde Gottes und Propheten.

Weisheit 7,22-27

5. Predigt: Das Selbst und das göttliche Licht

Themen:

In jedem ist das göttliche Licht!

Das Selbst – nicht fern

Wie entdeckte Schwartz das Selbst?

Die zwei Naturen des Selbst

Der innere Dirigent

Das Selbst ist oft verstellt

Das Selbst ist unsichtbar

Das Selbst wirkt durch die Teile

IFS ist Seelsorge

Bibeltext: Ihr seid das Licht der Welt! Mt 5, 14

In jedem ist das göttliche Licht! „Ihr seid das Licht der Welt!“ Ruft Jesus der Menge in der Bergpredigt zu. Jedoch im Johannesevangelium sagt Jesus: „Ich bin das Licht der Welt!“ Joh 8, 12. Kann beides richtig sein? Dass Jesus das Licht der Welt ist und dass wir alle das Licht der Welt sind? Wenn beides richtig ist, wie hängen beide Aussagen zusammen?

Hier kann uns eine schöne Stelle aus dem Buch „Marienfeste“ von Anselm Grün weiterhelfen. Er schreibt zum Fest Immaculata: „Aber in Maria feiern wir uns selbst, unsere eigene Möglichkeit, unsere eigene Erlösung. […] Auch in uns ist ein Ort, an dem die Schuld nicht hinreicht, ein Ort, an dem Gott allein in uns wohnt.“16

In jedem von uns gibt es einen Ort, in dem Gott wohnt, in dem Christi Licht leuchtet! Jeder hat das göttliche Licht in sich. Auch wenn es bei dem einen mehr und beim anderen weniger ausstrahlt. Wenn ich mich Jesus Christus zuwende, zeigt er mit seinem Licht, wo das göttliche Licht in mir ist und hilft mir, dass das göttliche Licht „vor den Menschen“ Mt 5,16 leuchten kann.

Diesen Ort, in dem das göttliche Licht leuchtet, können wir das „Selbst“ nennen.

Das Selbst – nicht fern Wenn Menschen, die viele spirituelle Schriften verschiedener Religionen gelesen haben, das Wort „Selbst“ lesen oder hören, neigen sie möglicherweise zu folgendem Reflex: Ja klar! Jeder hat ein Selbst! Jedoch der Weg, es zu finden, ist lang und schwer und man erreicht es höchstens durch langjährige und fleißige Meditation. (Man denke nur an die Ochsenbilder im Zen. Sie zeigen den langen Weg, bis man die Buddhanatur entdeckt.) De jure hat jeder ein Selbst. De facto erreichen es nur ganz wenige Erleuchtete. Diese Sichtweise ist natürlich frustrierend. (Genauso ist es frustrierend, wenn man das Fest Immaculata so versteht, dass sich Maria wesentlich von uns unterscheidet: Nur sie ist ohne Erbsünde. Nur in ihr gibt es den reinen Ort.)

Zum Glück bietet Richard Schwartz uns aufgrund seiner langen Erfahrung mit vielen Klienten eine andere Sichtweise: „Nachdem ich in über einem Jahrzehnt mit Hunderten von Klienten gearbeitet habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass jeder ein Selbst besitzt, gleich wie schwerwiegend seine Symptome oder wie polarisiert sein inneres System auch sein mag. Das Selbst verfügt über die Klarheit der Perspektive und andere Eigenschaften, die zu einer effektiven Führung notwendig sind. Wenn das Selbst völlig abgegrenzt ist – beispielsweise durch eine Imaginationsübung, in welcher der Klient gebeten wird, auf einem Berg zu klettern und seine Teile unten im Tal zu lassen –, erleben die Menschen im Allgemeinen einen ähnlichen Zustand. Sie beschreiben, sich „zentriert“ zu fühlen, ein Zustand von ruhigem Wohlsein und Unbeschwertheit. Sie fühlen sich selbstlos, frei und offenherzig. Sie beschreiben, „in der Gegenwart zu sein“ (d.

h. nur zu empfinden, ohne zu denken). Sie verlieren das Gefühl des Getrenntseins und empfinden eine erhebende Verbindung oder Verschmelzung mit dem Universum. Dieser Zustand ähnelt dem, wie Menschen eine Meditation beschreiben.“17

Das Entdecken des Selbst ist also ein gradueller Prozess. Wir müssen nicht erst ganz viele Steine wegräumen und ganz zum Schluss kommt das Selbst heraus. Nein, das Selbst kann immer schon mehr oder weniger zum Vorschein kommen und wirken. Wie tröstlich und aufbauend ist diese Einsicht von Richard Schwartz!

Wie entdeckte Schwartz das Selbst? Erst entdeckte er die Teilpersönlichkeiten bei seinen Klienten. So fragte er sich mit der Zeit: Wer ist jenseits all der Teilpersönlichkeiten? Wer ist der Berichterstatter, der einen Teil sieht und hört, der dessen Gefühle erlebt und nach außen berichten kann? Ist das ein weiterer Teil oder etwas anderes?18

In der therapeutischen Arbeit empfiehlt Schwartz immer wieder die Klienten, die wütenden Teile zu bitten, dass sie beiseite treten. Und dann, wenn die einzelnen Teile sich zurückgezogen haben, spricht was für ein Teil? Dieser Teil ist jedenfalls ruhig, mitfühlend, aufmerksam, akzeptierend. Schwartz fragte die Klienten: Was bleibt übrig, wenn die einzelnen Teile sich zurückgezogen haben? Viele Klienten sagten: Das ist mein wahres Selbst. Das Selbst erlebten die Klienten anders als ihre Teile.

Die zwei Naturen des Selbst