Spinoza und Rosenberg - Michael Pflaum - E-Book

Spinoza und Rosenberg E-Book

Michael Pflaum

0,0

Beschreibung

Eine bereichernde Begegnung für beide Seiten: Die gewaltfreie Kommunikation erkennt sich als eine universale Ethik. Und Spinozas Ethik wird konkret verständlich und anwendbar. Gefolgt von essayistischen Streifzügen durch Spinozas Ethik und Rosenbergs gewaltfreier Kommunikation mit Bergsons Lebensphilosophie, Whiteheads Prozessphilosophie, der Bibelinterpretation von Schaik/Michel, Clare Graves´ Spiral Dynamics und der PSI-Theorie von Julius Kuhl.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 364

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Vorwort und Hinführung zur Grundthese

Ein Bild für Spinoza und Rosenberg

Jenseits von gut und böse – Spinozas ethische Differenz

Bedürfnisse und Gemeinbegriffe – eine universale Ethik

Am Anfang immer ein Mischmasch …

„… immer ein bisschen weniger dumm“

Spinoza im Gespräch mit Rosenberg, Schaik/Michel, Graves und Bloom

Spinoza und Rosenberg im Gespräch über Macht

Schaik/Michel: Die Bibel als Tagebuch der Menschheit

Die Spiral Dynamics von Clare Graves

Clare Graves und Schaik/Michel im Dialog

Vorläufiges Innehalten, Fragen und Gespräch mit Paul Bloom

Irritationen, Illusionen und falsches Denken überwinden

Spinozas Gott, Bergsons Elan vital, Whiteheads Poet der Welt

Die Immanenz entdecken – der Faden der Gnade

Spinozas Gotteslehre

Fazit zu Spinozas Gotteslehre: Einsichten und Fragen

Bergsons Elan vital

Whiteheads Poet der Welt

Nur ein

bester Versuch? Freiheit und Bedürfniserfüllung

Spinoza und die PSI-Theorie von Julius Kuhl

Urteile und Nichtwissen

Nachwort: Heutige politische Bedeutung

Literatur und Anmerkungen

Eine bereichernde Begegnung für beide Seiten:

Die gewaltfreie Kommunikation erkennt sich als eine universale Ethik.

Und Spinozas Ethik wird konkret verständlich und anwendbar.

Gefolgt von essayistischen Streifzügen durch Spinozas Ethik und Rosenbergs gewaltfreier Kommunikation mit Bergsons Lebensphilosophie, Whiteheads Prozessphilosophie, der Bibelinterpretation von Schaik/Michel, Clare Graves´ Spiral Dynamics und der PSI-Theorie von Julius Kuhl.

Vorwort und Hinführung zur Grundthese

Die gewaltfreie Kommunikation (GfK) erlebte in den letzten drei Jahrzehnten eine immer größere Verbreitung in den unterschiedlichsten Bereichen: in der Paarberatung, in Betrieben und Firmen, in Mediationen und Konfliktbewältigungen aller Art, in der Erziehung und Pädagogik, in der interkulturellen Versöhnungsarbeit und Friedensarbeit usw.

Marshall Rosenberg hatte mit der Verbreitung seiner GfK letztlich ein politisch-gesellschaftliches Ziel im Blick: Er wollte mit der GfK dazu beitragen, dass die Welt friedlicher wird. Für ihn war die „strukturelle Sünde“, die die Ausbreitung von Frieden verhindert, das Denken, das hinter der Wolfssprache steckt. Indem er initiierte, die Praxis einer Giraffensprache zu verbreitern, wollte er dieses Wolfsdenken überwinden.

Wer die Literatur zur gewaltfreien Kommunikation überblickt, erkennt schnell, dass es eigentlich nur Praxisbücher gibt. Es gibt keine philosophische oder theologische oder psychologische oder soziologische Metareflexion über die gewaltfreie Kommunikation. Die jeweiligen Wissenschaftler dieser Disziplinen greifen auch (meines Wissens) die gewaltfreie Kommunikation nicht auf und untersuchen sie.

Diese Lücke will ich beginnen, mit dieser Schrift zu schließen. In gewisser Weise habe ich damit schon mit dem Buch „Exerzitien der Nächstenliebe“ begonnen, indem ich (noch ganz praktisch, ohne explizite Metareflexion) die GfK im Lichte der Ethik Jesu darstellte. Nun gehe ich einen Schritt weiter und behaupte, dass die GfK auch eine spinozistische Ethik ist. Mit dieser These versuche ich, die GfK philosophisch zu reflektieren.

Denn erstaunlicherweise wissen die GfK-ler selber nicht genau, was die GfK ist oder sein soll: Was ist die GfK? Eine „Kommunikationstechnik“? Eine Theorie und eine Praxis, wie Kommunikation gut gelingen kann? Oder ist sie mehr? Eine Haltung, die man lebt? Ein positives Menschenbild, aus dem heraus durch ein Stil von Kommunikation Frieden geschaffen werden soll?

Ich will begründen, dass die GfK eine Ethik ist, eine moderne universale Ethik. Wenn ich die GfK als Ethik ansehe, dann sind darin all die anderen Bestimmungen enthalten: GfK ist ein guter Kommunikationsstil, eine verbindende Haltung, mit anderen umzugehen, ein positives Menschenbild, das Frieden schaffen will.

Wenn ich die Frage stelle, ob die gewaltfreie Kommunikation eine spinozistische Ethik ist, dann geschieht dies in Hochachtung vor beiden: Ich schätze die gewaltfreie Kommunikation und schätze das philosophische Werk Spinozas. Das ist sicherlich für viele Leserinnen und Leser erst einmal ungewöhnlich. Denn Spinoza ist für viele Theologen ein „rotes Tuch“: der größte Pantheist, der nach ihrer Einschätzung letztlich in den Atheismus führt! Jedoch schon ein Blick auf die Geschichte der historisch-kritischen Exegese sollte uns Theologen mahnen, Spinoza nicht vorschnell zu verteufeln. Denn mit Spinoza begann die historisch-kritische Exegese! Er war der erste, der fundiert die Einheitlichkeit des Prophetenbuches Jesaja und des Pentateuchs anzweifelte. Warum sollten wir Theologen nicht auch aus seiner Ethik Gewinn schöpfen können!

Die gewaltfreie Kommunikation wird inzwischen mehr und mehr auch von praktischen Theologen aufgegriffen, wie z. B. Gottfried Orth oder Isolde Macho und Thomas Wagner. Ich selbst habe in meinen „Exerzitien der Nächstenliebe“ in den Predigten zur GfK aufzeigen wollen, dass die GfK sehr vieles der Ethik Jesu praktisch lebbar umsetzt.

Doch völlig reibungslos ist die GfK für Theologen nicht übernehmbar. Gottfried Orth, evangelischer praktischer Theologieprofessor, fragt in seinem Buch „Gewaltfreie Kommunikation in Kirchen und Gemeinden“ am Ende, wie Rosenbergs Ablehnung von Konzepten wie „Schuld“ bzw. „Sünde“ oder seine Ablehnung der Unterscheidung von „gut und böse“ mit der christlichen Theologie vereinbar ist. „Und dennoch bleibt die radikale Formulierung Rosenbergs ein Stachel in meinem theologischen Nachdenken.“1 In seinen Veröffentlichungen habe ich aber keine wirklich weiterführende Beschäftigung mit diesem Problemfeld zwischen GfK und christlicher Theologie gefunden.

Diese Ablehnung Rosenbergs der Differenz von gut und böse führte mich zu Spinoza: Denn er lehnte ebenso Konzepte wie die „Schuld, ein Gebot übertreten zu haben“ oder die Unterscheidung von „gut und böse“ ab. Ist hier eine Ähnlichkeit zwischen Spinozas Ethik und der GfK zu finden? Dies war die erste Spur, die mich zu der Hypothese führte, dass die GfK in gewisser Hinsicht eine spinozistische Ethik sein könnte. Was ist eine Ethik jenseits von „gut und böse“, jenseits von vorgegebenen Geboten, jenseits von Schuld und Strafe bei Gesetzesübertretung?

Die nächste Spur fand ich mit der Frage: Ist die GfK eine Ethik? Auf der ersten Ebene erscheint sie als eine Kommunikationslehre, als ein Kommunikationstraining. Marshall Rosenberg und seine Schülerinnen und Schüler bezeichnen die GfK nie als eine Ethik. Aber ist sie das nicht? (Und eine weitere Frage, die ich klären will: Warum bezeichnen die GfK-Lehrer die GfK nie als Ethik?)

„Der Prozess der gewaltfreien Kommunikation unterstützt unsere Fähigkeit, selbst unter erschwerten Bedingungen menschlich zu bleiben. Er erinnert uns an das, was wir bereits wissen – wie menschliche Verbundenheit aussehen kann –, und hilft uns bei der konkreten Umsetzung dieses Wissens im Leben.“2

Ist das nicht Aufgabe einer Ethik, zu unterstützen, dass wir menschlich werden und auch unter erschwerten Bedingungen menschlich bleiben? Bezeichnet Rosenberg hier selber seine GfK indirekt als Ethik?

Wenn die zentrale Aussage der GfK das Menschenbild ist, dass wir Menschen uns immer Bedürfnisse erfüllen, dann folgt daraus die ethische Frage: Wie können wir erreichen, dass immer mehr die Bedürfnisse aller Beteiligten beachtet werden? Wie können wir zu Strategien kommen, so dass die Bedürfnisse aller Beteiligten gewürdigt werden? Wie können wir verhindern, dass manche Bedürfnisse Beteiligter unterdrückt, ignoriert oder sogar missachtet werden? Das sind ethische Fragen, die im Zentrum der GfK stehen! Wenn Bedürfnisse sogar universell sind, kultur-, geschlechter-, völker- und religionsübergreifend, dann ist die GfK sogar ein Entwurf einer universalen Ethik in einer pluralistischen Gesellschaft, ein Entwurf einer universalen Ethik in postmoderner Zeit! Genau das gleiche Ziel hatte aber auch Spinoza: Eine Ethik für alle Menschen, unabhängig von Religionsunterschieden! Eine Ethik aus der philosophischen Analyse des Menschen an sich!

Eine weitere Spur auf einer anderen Ebene als der inhaltlichen will ich noch anführen: Sowohl Spinozas Philosophie als auch die GfK haben das Potential, Menschen zu begeistern. Große Denker wie Goethe, Hegel, Nietzsche, Whitehead, Bergson, Deleuze, Borges usw. haben sich euphorisch über Spinoza geäußert.

Hegel: „Wenn man anfängt zu philosophieren, so muss man zuerst Spinozist sein.“3

Aber auch Nicht-philosophen fanden trotz des spröden Aufbaus der Ethik ungemeinen Trost und Freude durch die Lektüre. Deleuze: „Das Paradox Spinozas besteht ja auch darin, der philosophischste der Philosophen zu sein, der reinste gewissermaßen, aber gleichzeitig der, der sich am stärksten an Nicht-Philosophen wendet und das meiste und intensivste nicht-philosophische Verständnis hervorruft.“4

Auch heute schreiben verschiedenste Menschen über Spinoza und wollen andere mit ihrer Begeisterung für Spinoza teilhaben lassen:

Der berühmte Therapeut und Autor Irvin D. Yalom: Das Spinoza-Problem.

Der international bekannte Neurowissenschaftler Antonio R. Damasio: Der Spinoza-Effekt.

Der junge Romancier Goce Smilevski: Gespräch mit Spinoza.

Auch die GfK ist für viele Menschen zu einem Leitfaden der Lebensgestaltung geworden, der sie zu mehr Frieden und Freude führt.

Daneben gab und gibt es entschiedene Gegner, die Spinozas Philosophie anprangern. Auch Rosenberg erzählt in seinem Gespräch von Gabriele Seils von Anfeindungen und Unverständnis.

Euphorische Befürworter und ängstliche Gegner haben interessanterweise beide: Spinoza und die GfK. Welche Gründe gibt es für diese Ähnlichkeit?

Spinoza verbindet in der Ethik philosophische Theorie und praktische Lebensweisheit: „So gelingt es Spinoza, in einer rationalen Theorie der Lebensweisheit eine Artikulation menschlicher Heilsbedürfnisse zu finden, die auch eine realistische Perspektive ihrer Befriedung eröffnet.“5 Die Philosophie ist an der Universität zur reinen Wissenschaft geworden. Nach Spinoza haben nur noch Marx und Kierkegaard den Anspruch aufgenommen, Philosophie solle aufgrund ihrer Einsichten helfen, das Leben der Menschen zu verbessern. Jedoch wollen beide die Wissenschaftlichkeit der Philosophie überwinden: bei Marx muss der Wissenschaftler zum politischen Agitator werden. Und Kierkegaard hat sich enttäuscht von der Wissenschaftlichkeit des hegelschen Systems abgewendet. Spinoza ist also gewissermaßen der letzte große Philosoph, der Philosophie als Wissenschaft und Philosophie als Lebenshilfe verbindet: „Der Versuch Spinozas, von der Konstruktion einer philosophischen Grundbegrifflichkeit ausgehend, über die Theorie des psychophysischen und der Affekte in einem durchgehenden Argumentationsgang zu einer Konzeption von menschlicher Unfreiheit und Freiheit, Glück und Unglück zu kommen, ist bis heute in seiner Stringenz einmalig in der modernen Philosophie geblieben.“6 Auch wegen dieser einmaligen Syntheseleistung ist Spinozas Ethik ideal, um die GfK, eine moderne Kommunikations- und Lebenshilfe, philosophisch-wissenschaftlich zu reflektieren.

So will ich in mehreren Anläufen GfK und spinozistische Ethik begegnen lassen und schauen, welche Ähnlichkeiten, Einsichten und Bereicherungen die Kommunikation beider miteinander zutage bringt. In diesem Gespräch will ich als Theologe, philosophisch denkender Mensch und Seelsorger der dritte Gesprächspartner sein, der seine Urteilskraft, Erfahrungen, Fragen und Einsichten einbringt. Daraus ergibt sich für mich folgender Weg: Ich werde nicht erst einmal Spinozas Philosophie darstellen und dann die GfK und danach einen Vergleich anstellen. Das erscheint mir zu statisch, zu unfruchtbar. Ich möchte kleinere „Portionen“ direkt begegnen lassen, um in mehreren „Austauschrunden“ immer wieder neue Einsichten entstehen zu lassen.

Die Leserin bzw. der Leser muss nichts von Spinozas Philosophie wissen, um dieses Buch lesen zu können. Ein Grundwissen in GfK ist zwar nicht absolut notwendig aber sicherlich hilfreich, weil ich nicht explizit die gewaltfreie Kommunikation erkläre, sondern vielmehr ihre ethischen und philosophischen Grundlagen herausarbeiten will. (Wer sich das schnell aneignen will empfehle ich neben meinem Buch „Exerzitien der Nächstenliebe“ insbesondere Andreas Basu, Liane Faust: „Gewaltfreie Kommunikation“, eines der kompaktesten und besten Einführungen in die GfK)

Ich pflege einen essayistischen Stil: Denn meine Grundthese ist ein „Versuch“, ein Denkversuch, der nur durch Querverbindungen und vernetztender Sichtweise dargestellt werden kann.

Im Schreiben kamen immer neue Aspekte dazu: Ich bezog weitere Blickwinkel, Fragestellungen und Verbindungen mit ein. Meine Gesprächspartner in meinen essayistischem Suchen und Nachdenken waren nicht mehr nur Spinoza und Rosenberg: Die Historiker Schaik und Michel, die Entwicklungspsychologen Clare Graves und Paul Bloom und die Philosophen Henri Bergson und Alfred North Whitehead, die PSI-Theorie von Julius Kuhl kamen dazu.

Im Schreiben kamen mir immer wieder neue Einsichten und Aha-Erlebnisse, die ich dann auch gleich einbaute. So sind diese Essays auch „Bericht“ von einem Nachdenkprozess, gleichermaßen hat das Schreiben dieser Essays das Nachdenken erst hervorgebracht.

Ich hoffe, ich habe genug Lust gemacht, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, weiterlesen…

Hinweis: Die Stellen der Ethik gebe ich im Text mit einem Kürzel an. Die römische Zahl bezeichnet das Buch. LS bedeutet Lehrsatz. Die arabische Ziffer gibt an, welcher Lehrsatz im jeweiligen Buch bzw. welche Anmerkung zum Lehrsatz X. (In Zitaten aus „Klassiker auslegen“ wird der Lehrsatz mit p (propositio) bezeichnet. 3p4 heißt dann: 3. Lehrsatz im 4. Buch.)

Ein Bild für Spinoza und Rosenberg

Das Titelbild dieses Buches zeigt auf der linken Seite einen jüdischen Friedhof. Auf der rechten Seite leuchten Obstbäume mit ihren Blüten im hellen Tageslicht. Ein Weg neben dem Friedhof läuft auf die Lichtung zu. (Ich habe in der Nähe von Beilstein an der Mosel im Wald diese Szenerie entdecken dürfen.)

Ich möchte dieses Bild Spinoza und Rosenberg widmen: Beide sind Juden. Beide sind verstorben und beerdigt. Aber nicht nur deswegen passt der jüdische Friedhof zu Spinoza und Rosenberg, besonders zu Spinoza:

Wir Christen haben zwar die Thora und die Propheten als Altes Testament in unsere Bibel aufgenommen. Aber wie bewusst sind wir Christen unserer jüdischen Wurzeln? Sind sie nicht tendenziell vergessen, verdrängt, vergraben? Anstatt das jüdische Volk zu würdigen, weil wir Christen ihnen viel verdanken, haben Christen in der Geschichte immer wieder Juden beschimpft, ausgegrenzt, verfolgt, zwangsweise getauft.

Baruch de Spinoza Spinozas Vorfahren erlebten die Verdrängung am eigenen Leibe: Ein halbes Jahrtausend war Spanien das größte jüdische Zentrum der Welt. Innerhalb eines Jahrhunderts (1391 - 1492) wurde diese kulturelle Hochburg durch Inquisition und Judenverfolgung vernichtet.

Mit den katholischen Monarchen Ferdinand und Isabell trat die Judenverfolgung in eine neue Phase. Durch die Heirat der beiden Monarchen wurde Kastilien und Aragonien 1479 vereinigt. Als die letzte muslimische Bastion, Granada, von Ferdinand und Isabella erobert wurde, unterzeichneten die katholischen Monarchen den Erlass, dass alle spanischen Juden nur die Wahl zwischen Ausweisung oder Bekehrung zum Katholizismus hätten. Wer als Jude in Spanien blieb, musste sich taufen lassen und konnte nur versteckt, im Geheimen seinen jüdischen Glauben weiter pflegen.

Spinozas Vorfahren flüchteten nach Niederlande, das Religionsfreiheit gewährte.

Spinoza selbst wurde 1656 aus der Synagogengemeinde ausgeschlossen! Seine radikales Bestreben, mit seiner Vernunft die Wahrheit zu suchen, erregte Anstoß: Denn seine Aufklärung führte ihn zur Kritik an der Bibel, der religiösen Tradition und Moral und der üblichen Gottesvorstellungen.

Ein Philosoph, der so radikal und konsequent denkt, muss vielleicht als Person in seinem Leben einsam sein; er muss anstößig, ein Ausgeschlossener sein. „Exil, Rückzug, Exkommunikation: Dreimal beginnt sein Leben als Philosoph unter dem Vorzeichen des Ausschlusses.“7 Mit Exil ist die Flucht seiner Familie von Portugal nach Niederlande gemeint. Dies stößt ihm zu. Den Rückzug aus der jüdischen Gemeinde und aus dem gesellschaftlichen Leben vollzieht er selber. Die Exkommunikation aus der jüdischen Gemeinde ist die Konsequenz, die ihm einerseits zustößt, er andererseits aber voll bejaht.

Diese Erfahrung formuliert Spinoza nüchtern: „Der freie Mensch, der unter Ungebildeten lebt, sucht soviel als möglich ihre Wohltaten abzulehnen. Beweis. Jeder beurteilt nach seiner Sinnesweise, was gut ist (siehe Anm 39 III). Der Ungebildete also, der jemanden eine Wohltat erwiesen hat, wird sie nach seiner Sinnesweise schätzen, und wenn er sieht, daß sie von dem, dem sie erwiesen worden, geringer geschätzt wird, wird er Unlust empfinden (nach LS 42 III). Der freie Mensch trachtet aber, sich die übrigen Menschen durch Freundschaft zu verbinden (nach LS 37 dieses Teils) und den Menschen nicht nach ihrem Affekt Gleiches zu vergelten, sondern er strebt danach, sich und die übrigen durch das freie Urteil der Vernunft zu leiten und nur das zu tun, was er selbst als das Wichtigste erkennt. Daher sucht der freie Mensch, um den Ungebildeten nicht verhaßt zu werden, und um nicht ihrem Verlangen, sondern der Vernunft allein zu gehorchen, ihre Wohltaten soviel als möglich abzulehnen. W. z. b. w. Anmerkung. Ich sage, soviel als möglich. Denn obgleich die Menschen ungebildet sind, sind es doch Menschen, welche menschliche Hilfe, die vorzüglichste von allen, in der Not leisten können. Daher ist es oft nötig, Wohltaten von ihnen anzunehmen, und folglich ihnen dagegen nach ihrer Sinnesweise zu willfahren. Dazu kommt, daß die Ablehnung von Wohltaten der Vorsicht bedarf, damit wir sie nicht zu verachten oder aus Geiz die Wiedererstattung zu scheuen scheinen, und so, während wir ihrem Hasse entgehen wollen, eben dadurch in einen Streit mit ihnen hineinrennen. Deshalb muß man bei dem Ablehnen von Wohltaten Rücksicht auf das Nützliche und Schickliche nehmen.“ 70 LS IV

Schon diese Passage zeigt etwas ganz Erstaunliches: Obwohl Spinozas Familie und er selbst den Ausschluss, die Verdrängung erlebten, obwohl er zur Vorsicht rät, erstrahlt seine Philosophie im hellen Licht der nüchternen Vernunft.

Nichts in der Ethik zeigt einen verbitterten Menschen. Der ausgeschlossene Spinoza folgte nicht dem völlig negativen Menschenbild eines Thomas Hobbes: „Denn wenn z. B. zwei Individuen ganz gleicher Natur miteinander verbunden werden, so bilden sie ein Individuum, das doppelt so mächtig ist als ein einzelnes. Es ist daher dem Menschen nichts nützlicher als der Mensch;“ Anm 18 IV

Oder auch:. „Der von der Vernunft geleitete Mensch ist im Staate, wo er nach gemeinsamem Beschlüsse lebt, freier als in der Einsamkeit, wo er sich allein gehorcht.“ 73 LS IV. Spinoza weiß, dass Menschen erst einmal inadäquate Ideen haben und in ihren traurigen Affekten gefangen sind. Trotzdem:

Spinoza kann ohne Verbitterung schreiben, weil er mit der Klarheit der eigenen Vernunft Gott als das Ganze dachte, erkannte, schaute: Alles ist Ausdruck Gottes! Gott ist Substanz, die Natur. Jedes einzelne Ding, Lebewesen, Mensch ist ein Modus der einen Substanz. Auch die Unwissenheit der vielen Menschen ist, recht besehen mit der klaren Vernunft, ein Ausdruck Gottes! So erscheint Spinoza alles Sein quasi in einem göttlichen Licht. Der Linsenschleifer Spinoza sah durch seine Linse „Vernunft“ in allem Gott quasi als alles durchflutendes Licht. Im Roman „Gespräch mit Spinoza“ erklärt Spinoza Clara Maria: „Stellen wir uns mal vor, dass die Substanz Licht ist, aber kein Licht, das von einem bestimmten Körper wie der Sonne, einem Stern oder einer Kerze herrührt; stellen wir uns vor, dass dieses Licht, das uns zur Verdeutlichung der Substanz dienen soll, aus sich selbst heraus entstanden, alldurchdringend, unendlich und ewig ist. Die Attribute stellen wir uns vor als eine unendliche Zahl von Prismen, und zwar von Prismen, die aus der Licht-Substanz selbst entstanden sind. Diese Prismen-Attribute sind – anders als die Prismen, die wir kennen – unendlich und ewig. Das heißt, die einzige Gemeinsamkeit, die die Prismen-Attribute mit den Prismen unserer Welt haben, ist die Fähigkeit, das Licht zu brechen. Die Licht-Substanz manifestiert ihre Essenz, indem sie durch die Prismen-Attribute dringt und sich in ihnen bricht. So manifestiert sich die Substanz also selbst, die Attribute manifestieren und die Essenz wird manifestiert. Mittels ebendieser Brechung des Lichts durch die Attribute werden seine Modifikationen geschaffen, und zwar zunächst drei ewige und unendliche Modi. Sie können wir uns wie erste Lichtstrahlen vorstellen, aber keine Lichtstrahlen, wie wir sie kennen – kurz andauernd und begrenzt sondern unendliche und ewige Lichtstrahlen. Aus ihnen entsteht dann das Farbenspiel des gebrochenen Lichts, entstehen die begrenzten und vergänglichen Modi. So ist das also, das Licht dringt durch die Prismen, dann bilden sich die ersten Lichtstrahlen, und schließlich kommt es zur Bildung der unterschiedlichsten Farben.“8

Auf Spinoza angewendet sehe ich in dem Bild: Die linke Seite, der Friedhof, zeigt den Ausschluss und die Verdrängung. Die rechte Seite lässt das helle Licht von Spinozas Philosophie und noch mehr die „Helligkeit Gottes“ erscheinen.

Auch nach Spinozas Tod wird sich diese Aufteilung fortsetzen. Lange Zeit wurde Spinoza von vielen als atheistisch und amoralisch abgelehnt und beschimpft.

Daneben gibt es die Begeisterung, die lichte Seite seiner Wirkungsgeschichte. Warum gerade Spinoza so sehr Menschen faszinieren kann, hat insbesondere Deleuze in seinem letzten großen Werk „Was ist Philosophie?“ mit einem Loblied auf Spinoza verdeutlicht: „Was nicht gedacht werden kann und doch gedacht werden muß, wurde ein einziges Mal gedacht, wie Christus ein einziges Mal Fleisch geworden ist, um für dieses Mal die Möglichkeit des Unmöglichen aufzuzeigen. Daher ist Spinoza auch der Christus der Philosophen, und die größten Philosophen sind allenfalls Apostel, die diesem Mysterium näher oder ferner stehen. Spinoza, das unendliche Philosoph-Werden. Er hat die „beste“, das heißt reinste Immanenzebene gezeigt, errichtet, gedacht, diejenige, die sich nicht dem Transzendenten preisgibt und nichts vom Transzendenten zurückgibt, diejenige, die am wenigsten Illusionen, schlechte Gefühle und irrige Wahrnehmungen erregt ...“9

Die Einzigartigkeit Spinozas besteht also darin, dass kein Philosoph so radikal und konsequent eine Philosophie der Immanenz formuliert hat. Theologen denken dabei zuerst an das Verhältnis von Gott und Welt: Gott ist der Welt nicht transzendent sondern immanent. Über diesen Aspekt der Immanenz handelt das erste Kapitel in der Ethik. Aber es ist nicht der einzige Aspekt bei Spinoza. Ebenso ist der Mensch auch nicht transzendent gegenüber der Natur, gegenüber anderen Lebewesen oder gegenüber seinem Körper. (Das wäre nach Spinoza eine Illusion.) Auch kann das Sollen nicht das Können übersteigen: nie wird der Mensch in der Ethik zu einer Moral aufgefordert, ohne zu fragen, ob er überhaupt das Vermögen dazu hat. (Das würde schlechte Gefühle hervorbringen.) Gerade das letzte wirkte für viele Menschen befreiend und beglückend. Es ist auch der Immanenzaspekt, der uns zu Marshall Rosenberg führt:

Marshall Rosenberg Schon in seiner Kindheit und Jugend war Rosenberg mit zerstörender Gewalt und Ausgrenzung konfrontiert. Im Interview mit Gabriela Seils berichtet Marshall Rosenberg, wie er dazu kam, sich mit Gewalt zu beschäftigen: „Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit dieser Frage beschäftigt. Es fing in meiner Kindheit an, als meine Familie 1943 nach Detroit, Michigan umzog, gerade rechtzeitig, um die Rassenkrawalle mitzuerleben, die in unserer Nachbarschaft ausbrachen. Wir haben tagelang unser Haus nicht verlassen, während um uns herum der Rassenkrieg tobte.

Und das war ein prägendes Erlebnis für mich als achtjähriger Junge. Ich habe gelernt, dass Menschen sich aufgrund ihrer Hautfarbe gegenseitig verletzen und umbringen. Und als ich zur Schule ging, bekam ich zu spüren, dass mein jüdischer Nachname Aggressionen bei anderen auslöste. Also bin ich mit der Frage aufgewachsen: Was bringt Menschen dazu, andere zu verletzen? Was gibt es ihnen, jemanden leiden zu sehen?“

Wenn ich den jüdischen Friedhof sehe und symbolisch auf Rosenberg beziehe, steht er z. B. für die zerstörerische Aggression bei den Rassenkrawallen und für die Ablehnung und Vorurteile von weißen Amerikaner in Detroit sowohl gegenüber Schwarzen als auch gegenüber Juden. Er erlebte bei seinen Mitmenschen auch die lichte, liebenswürdige Seite, für die symbolisch die blühenden Obstbäume im Tageslicht stehen sollen:

„Gleichzeitig hatte ich das Glück, in meiner Familie das genaue Gegenteil zu erleben. Als meine Großmutter sterbenskrank war - sie war am ganzen Körper gelähmt -, kam jeden Abend mein Onkel zu uns und hat meiner Mutter geholfen, sich um meine Großmutter zu kümmern. Und ich konnte sehen, wie er dabei gestrahlt hat; ihn schien das mit tiefer Freude zu erfüllen. Und ich dachte: Warum ist das so, warum gibt es Menschen wie meinen Onkel und warum gibt es Menschen, die fähig sind, andere zu töten?“

Rosenbergs Antwort für die Gründe, warum Menschen so unterschiedlich wirken können, schlägt wiederum eine Brücke zu Spinoza: „Die Antwort auf die Frage nach der Ursache von Gewalt liegt in der Art und Weise, wie wir gelernt haben zu denken, zu kommunizieren und mit Macht umzugehen.“ Es beginnt für Rosenberg bei einem zerstörerischen gewaltsamen Denken, genauso wie für Spinoza die Unfreiheit der Menschen in ihrem verwirrten inadäquaten Denken begründet ist.

Das gewaltsame und inadäquate Denken führt zu gewaltsamer Sprache und zu unterdrückerischen Machtstrukturen, die wiederum gewaltsames und inadäquates Denken bewirken. Der Kreis schließt sich. Rosenberg hat seine Lebensaufgabe gefunden: Er will beitragen, diesen Kreis zu durchbrechen

„Ich konnte mich schließlich immer weniger mit meiner Rolle als Therapeut identifizieren und habe letztendlich meine Praxis aufgegeben und nach Formen gesucht, um Denk- und Machtstrukturen zu verändern, und nach einer Methode, die uns dabei helfen kann, uns selbst umzuerziehen. Und daraus ist irgendwann die Gewaltfreie Kommunikation entstanden.“10

Und so wurde für viele die gewaltfreie Kommunikation ein Weg zu mehr „Licht“, Frieden, glückliches Miteinander. Das gleiche Ziel, das Spinoza mit seiner „Ethik“ auch anstrebte…

Auch wenn Spinoza aus der jüdischen Gemeinde exkommuniziert wurde und Rosenberg sich nicht explizit zum jüdischen Glauben bekannte, lebten sie aus der Ur-Hoffnung und Ur-Erfahrung des Volkes Israel: Befreiung aus der Knechtschaft (Ägyptens), die Hoffnung auf ein gelobtes Land und den Mut, sich auf dem Weg dahin zu machen. Wir Christen glauben mit Kreuz und Auferstehung Jesu auch, dass durch die Kraft Gottes die Teufelskreise von Gewalt und Zerstörung durchbrochen werden können.

Das ist meines Erachtens der gemeinsame Glaube, der Juden, Christen, Spinoza und Rosenberg verbindet…

Positives Menschenbild Die Hoffnung, dass der Teufelskreis immer wieder durchbrochen werden kann, beginnt mit dem Glauben an ein positives Menschenbild. Das zeigt auch Genesis 1: Als Gott den Menschen geschaffen hatte, sah er, dass es sehr gut war. Rosenberg drückt sein positives Menschenbild mit zwei Grundsätzen aus:

Jeder Mensch erfüllt sich mit seinem Reden und Handeln und Entscheiden Bedürfnisse. Und in den Bedürfnissen unterscheiden wir uns Menschen eigentlich nicht: Jeder/Jede von uns wünscht sich Nahrung, Sicherheit, Akzeptanz, Vertrauen, Freude, Zusammenarbeit, Gleichwertigkeit, Hilfe, Freundschaft, Balance von Geben und Nehmen, Arbeit und Freizeit, Zuhören und Reden, Sinnhaftigkeit usw.

Rosenberg ist überzeugt, dass es Menschen von ihrer eigentlichen Natur aus Freude bereitet, zum Wohlergehen anderer beizutragen, wenn sie das freiwillig tun können.

Nochmals anders formuliert:

Es ist leichter, Kontakt zwischen Menschen herzustellen, wenn wir davon ausgehen, dass Menschen alles, was sie tun, aus der Absicht heraus machen, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.

Kooperation und Kontakt mit anderen Menschen fallen leichter, wenn wir davon ausgehen, dass alle Menschen gerne zum Wohlergehen anderer beitragen - wenn sie dies freiwillig tun können.

11

Ich kann die zwei Grundsätze auch negativ formulieren. Dies zeigt deutlicher die Abgrenzung zum Wolfsdenken, das Rosenberg überwinden will:

negativ formuliert: Es ist sehr viel schwerer, Kontakt herzustellen, wenn wir davon ausgehen, dass Menschen wirklich aus Bosheit, ohne guten Grund etwas tun und dass Menschen feste unveränderliche böse Eigenschaften haben.

negativ formuliert: Ich kann andere drängen, zwingen, manipulieren, dass sie etwas für mich tun. Aber dafür zahle ich immer einen Preis. Denn sie tun es nicht freiwillig. Das verhindert, dass sie es wirklich gerne tun.

Konkret will dies Rosenberg mit den vier Schritten der GfK und dem empathischen Zuhören umsetzen:

Indem ich meine Giraffenohre öffne, empathisch zuhöre und Gefühle und Bedürfnisse vermute, handle ich nach dem ersten Prinzip.

Indem ich mein Anliegen in vier Schritten formuliere, gebe ich dem anderen die Möglichkeit, freiwillig an dem Wohlergehen von mir beizutragen – ich handle nach dem zweiten Prinzip.

Ich will hier ein GfK-Gespräch aus dem Arbeitsleben anführen, das zeigt, wie konkret man das Menschenbild der GfK mit den vier Schritten und dem empathischen Zuhören umsetzen kann:

Chef: „Ich habe verstanden, dass Sie mir die Vertriebszahlen bis heute Mittag zusenden und jetzt kann ich keine E-Mail von Ihnen in meinem Postfach sehen. Ich bin enttäuscht, weil mir wichtig ist, mich auf Absprachen verlassen zu können. Sind Sie bereit zu sagen, was Sie davon abgehalten hat sicherzustellen, dass ich die Zahlen bekomme?“ (Aufrichtigkeit in 4 Schritten)

Müller: „Äh, entschuldigen Sie, soll nicht mehr vorkommen.“

Chef: „Sie bedauern, dass das so gelaufen ist?“ (Empathie)

Müller: „Ja, klar. Es ist halt nun mal so viel zu tun.“

Chef: „Ich kann nachvollziehen, dass Sie viel Arbeit haben, allerdings dürfte trotzdem immer noch Zeit sein, mir Bescheid zu geben, wenn Sie einen Termin nicht einhalten können. Ich möchte vermute, irgendetwas hat Sie davon abgehalten? (A)

Sie etwas zögerlich: „Hhm, ja, ich kann Ihnen doch nicht sagen, dass ich's nicht schaffe. Wie stehe ich denn dann da?“

Chef: „Wie stehen Sie denn jetzt da?“ (A)

Müller nach einer Pause: „Ist mir sehr peinlich.“

Chef „Und genau davor wollten Sie sich schützen?“ (E)

Frau Müller nickt.

Chef: „Hatten Sie Angst davor, wie ich reagieren könnte, wenn Sie mir sagen, dass Sie es nicht schaffen?“ (E)

Müller: „Mein früherer Chef hat mich dann immer unter Druck gesetzt und dann hab ich nur noch mehr Fehler gemacht und bin erst recht nicht fertig geworden.“

Er nickt: „Sie wollten die Aufgabe zu Ende zu führen, weil das Ihrer Vorstellung von Verantwortung entspricht?“ (E)

Müller: „Ja.“

Chef: „Frau Müller, mir ist auch wichtig, dass delegierte Aufgaben vollverantwortlich zu Ende geführt werden. Gleichzeitig möchte ich eine Chance haben, meine eigenen Vereinbarungen mit anderen einzuhalten. Haben Sie eine Idee, wie wir das künftig sicherstellen können?“ (A)

Müller: „Ich weiß nicht. Ich dachte ja, ich schaffe es, aber es hat nicht geklappt.“

Chef: „Heißt das, Sie wollen gerne die Verantwortung für delegierte Aufgaben übernehmen, fragen sich aber, wie Sie effizienter arbeiten können?“ (E)

Müller: „Ja, schon.“

Chef: „Nun, wie wär's, wenn wir es nächsten Monat noch mal versuchen. Einer von den alten Hasen, die das früher gemacht haben, Herr Kohlhaus, kennt sich sehr gut mit Tabellenkalkulation aus. Der kann Ihnen helfen, die Daten zu filtern. Wie ist das für Sie?“ (A)

Müller: „Super, vielen Dank! Am liebsten möchte ich gleich anfangen.“

Chef: „Können Sie, ich rufe Herrn Kohlhaus gleich mal an. Frau Müller, ich lege darauf Wert, dass Sie mich unverzüglich informieren, falls trotzdem Gründe eintreten, die Sie von der Einhaltung unserer Vereinbarung abhalten. Sind Sie damit einverstanden?“ (A)

Müller: „Ja, Sie wollen, dass ich anrufe, wenn noch was zu retten ist und nicht erst, wenn Sie schon unter Druck stehen.“12

Dieses positive Menschbild von Rosenberg können wir auch in gewisser Weise in Spinozas Ethik finden:

Nach Spinoza tun Menschen alles letztlich zur Erhaltung ihres Seins. „Keine Tugend kann früher als diese – nämlich das Streben nach Selbsterhaltung gedacht werden.“ 22 LS IV Das Sein erhalten und Vermögen steigern heißt für mich zusammenfassend sagen, dass wir Menschen bei allem Reden und Tun und Entscheiden uns Bedürfnisse erfüllen. Auch wenn die Menschen in ihrer Begrenztheit oft schlechte Strategien wählen, erfüllen sie sich immer Bedürfnisse: „Jeder begehrt oder verabscheut nach den Gesetzen seiner Natur notwendig dasjenige, was er als gut oder schlecht beurteilt.“ LS 19

Spinoza plädiert trotz seiner schlimmen eigenen Erfahrungen für Kooperation in Freiwilligkeit und gemäß dem Vermögen der Beteiligten: „Nichts Besseres, wiederhole ich, können sich die Menschen zur Erhaltung ihres Seins wünschen, als daß alle in allem so übereinstimmen, daß die Geister und Körper aller gleichsam einen Geist und einen Körper bilden und alle zugleich, soviel sie vermögen, ihr Sein zu erhalten streben und alle zugleich den gemeinschaftlichen Nutzen aller für sich suchen. Hieraus folgt, daß die Menschen, welche von der Vernunft geleitet werden, d. h. die Menschen, welche nach der Leitung der Vernunft ihren Nutzen suchen, nichts für sich begehren, was sie nicht auch für die übrigen Menschen wünschten, und daß sie also gerecht, treu und ehrenhaft sind.“ Anm 18 IV. Die Begründung, warum Kooperation sinnvoll ist, gibt Spinoza nochmal deutlich am Schluss des Zitates: Menschen möchten sich alle Bedürfnisse erfüllen. Und wer erkannt hat, dass diese Bedürfnisse für alle gleich sind, der versteht sofort den tiefen Sinn der Goldenen Regel: Was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen. Oder wie es Spinoza formulierte: „d. h. die Menschen, welche nach der Leitung der Vernunft ihren Nutzen suchen, nichts für sich begehren, was sie nicht auch für die übrigen Menschen wünschten, und daß sie also gerecht, treu und ehrenhaft sind.“

Aber Spinoza ist soweit ernüchtert von seinen Erfahrungen mit den Menschen, dass er weiß, dass sie nur durch den Einsatz ihrer Vernunft sich zur Tugend hin entwickeln. Deswegen schreibt er für die Menschen die Ethik als Anleitung, um mit der Vernunft zu einem guten Leben zu gelangen. Er weiß aus vielen Streitigkeiten und Ablehnungen, dass die Zeit für diesen Weg und diese Philosophie noch nicht reif ist, dass seine Lehre für viele ein Ärgernis, ein Skandal ist. Deswegen verteilt er seine Ethik nur an vertraute Freunde. Erst nach seinem Tod wird die Ethik von diesen Freunden veröffentlicht.

Jenseits von gut und böse – Spinozas ethische Differenz

Jenseits von gut und böse ist für Spinoza gut und schlecht. Spinoza lehnt die ethische Differenz „gut versus böse“ ab und ersetzt sie durch die ethische Differenz „gut versus schlecht“. Was bedeutet das?

Erst einmal: Jede Ethik braucht eine ethische Differenz! Denn jede Ethik beschreibt in irgendeiner Hinsicht etwas, was gut ist bzw. sein soll, und etwas, was nicht gut ist bzw. nicht sein soll. Ohne irgendeine solche ethische Differenz ist eine Lehre keine Ethik!

Aber wer gibt vor, was gut ist? Für wen ist was gut? Was bedeutet gut? Und wie wird das Gegenteil, das Ungute bestimmt? Wie erreiche ich das, was gut ist? Und was passiert bzw. was soll passieren, wenn ein Mensch nicht das Gute wählt und macht? In der Beantwortung dieser Frage unterscheiden sich die verschiedenen ethischen Konzepte!

In Spinozas Ethik treten wir schnell ein, wenn wir Spinozas Antworten auf diese Fragen anhand eines berühmten Beispiels anschauen: Nämlich seine Interpretation der Paradieserzählung!

Adam und zwei Ethiktypen An Willem van Blyenbergh schreibt Spinoza: „Das Verbot an Adam bestand also allein darin, dass Gott dem Adam offenbarte, dass das Essen von dem Baum den Tod verursache, gerade so wie er auch uns durch den natürlichen Verstand offenbart, dass das Gift für uns tödlich ist.“13 (Wenn wir diese Deutung untersuchen, ist es völlig nebensächlich, ob Spinoza Gen 2 „richtig“ deutet.)

Spinoza stellt zwei Ethiktypen gegenüber.

Der erste Typ: Die Gebotsethik, die Ethik des Alten Testaments (in der Deutung Spinozas). Gott ist Gesetzgeber und Richter. Er erlässt Gesetze und Gebote. Wer sie übertritt, bekommt eine Strafe. Wer sie befolgt, wird belohnt. Gott gab Adam ein Gebot. Adam hielt sich nicht daran. Deswegen bestrafte Gott Adam mit der Paradiesvertreibung.

Der zweite Typ: Spinozas Ethik. Gott will Adam aufzeigen, dass das Essen des Apfels für Adam so schlecht ist wie das Essen von Gift. Es bringt Nachteile für Adam, evtl. den Tod! (Adam versteht Gottes Empfehlung jedoch als Gebot! Also nach dem ersten Typ.) Allgemein formuliert Spinoza seine ethische Differenz im 39. Lehrsatz im 4.Teil: „Was da bewirkt, dass das Verhältnis von Bewegung und Ruhe, welches die Teile des menschlichen Körpers zueinander einnehmen, erhalten bleibt, ist gut; und umgekehrt ist derjenige schlecht, was bewirkt, dass die Teile des menschlichen Körpers ein anderes Verhältnis der Bewegung und Ruhe zueinander bekommen.“

Deleuze kommentiert diesen Lehrsatz folgendermaßen: „Gut wird jede Gegenstand genannt, dessen Verhältnis sich mit dem meinigen zusammensetzt (Übereinstimmung) – schlecht wird jeder Gegenstand genannt, dessen Verhältnis das meine auf die Gefahr hin, sich mit anderen zusammenzusetzen, zersetzt (Nichtübereinstimmung).

Ohne Zweifel wird die Lage im Detail zusehends komplizierter. Einerseits haben wir viele konstituierende Verhältnisse, die so geartet sind, dass ein gleicher Gegenstand in einem Verhältnis mit uns übereinstimmen, in einem anderen nicht mit uns übereinstimmen kann. Andererseits erfreut sich jedes unserer Verhältnisse selbst eines gewissen Spielraums; insofern es sich – von der Kindheit bis zum Alter und zum Tod – beträchtlich verändert. [...] Für alle jene Fälle und ihre Komplexität gilt das Modell der Vergiftung. Es gilt nicht nur für das Böse, das wir erleiden, sondern auch für das Böse, das wir tun. Wir sind nicht nur vergiftet, sondern auch Vergifter; wir handeln wie Toxine und Gifte.

Blyenbergh erwähnt selbst drei Beispiele. Beim Attentat zersetze ich das charakteristische Verhältnis eines anderen Körpers. Beim Raub zersetze ich das Verhältnis, das den Mensch mit seinem Besitz vereint. Auch beim Ehebruch ist das, was zersetzt wird, das Verhältnis mit dem Ehegatten, jenes charakteristische Verhältnis eines Paares.“14 Wir können nun gut eine andere Passage Spinozas verstehen: „Wir nennen das gut oder böse, was zur Erhaltung unseres Seins nützt oder schadet (nach Def. 1 und 2 dieses Teils), d. h. (nach Lehrsatz 7, T. 3) was unser Tätigkeitsvermögen vermehrt oder vermindert, erweitert oder einschränkt. Sofern wir daher wahrnehmen (nach der Def. der Lust und Unlust, siehe die Anm. zu Lehrsatz 11, T. 3), daß ein Ding uns mit Lust oder Unlust affiziert, nennen wir es gut oder böse; und folglich ist die Erkenntnis des Guten und Bösen nichts anderes als die Idee der Lust oder Unlust, welche notwendig aus dem eigentlichen Affekt der Lust oder Unlust erfolgt (nach 22 Lehrsatz, T. 3).“ Beweis 8 LS IV

Mit dieser Erläuterung von Deleuze und Passagen aus der Ethik können wir nun die ethischen Fragen beantworten und Spinozas Ethik etwas genauer skizzieren:

Wer gibt vor, was gut ist? Mein Körper zeigt mir, was gut für mich ist. Mit meinem Verstand muss ich herausfinden, was gut für mich ist. Für wen ist was gut? Die Definition von gut ist nach Spinoza logisch gesehen für alle gleich. Gut wird immer auf einen Körper bezogen: Etwas ist gut für mich. Gut ist eine Bewertung, die relativ ist, die immer in Bezug auf einen Körper getroffen wird.

Was bedeutet gut? Eine Begegnung, ein Kontakt mit einem anderen Menschen ist für mich gut, wenn ich erhalten bleibe oder sogar gefördert werde.

Und wie wird das Gegenteil, das Ungute bestimmt? Eine Begegnung, ein Kontakt mit einem anderen Menschen ist für mich schlecht, wenn ich nicht erhalten bleibe, wenn ich verletzt, geschwächt oder sogar zerstört werde.

Wie erreiche ich das, was gut ist? Durch adäquate Erkenntnis, die ich dann in Handlung umsetze.

Und was passiert bzw. was soll passieren, wenn ein Mensch nicht das Gute wählt und macht? Tugendhaft handeln bewirkt direkt für Spinoza Freude. Wir werden nicht extern belohnt, wenn wir tugendhaft handeln. Sondern Nächstenliebe, Güte, Dankbarkeit, Großzügigkeit usw. erfüllt mich in sich mit Freude. Ich muss dafür nicht extra belohnt werden. (Mathe lernen kann in sich schön sein. Dann brauche ich nicht die gute Note als externen Ansporn!)

Umgekehrt gilt: Wenn ich schlecht handle, dann vergifte ich Körper, dann zersetze ich irgendwie etwas; einen anderen Menschen, mich selbst und/oder eine Beziehung usw. Hass bewirkt zersetzende Worte und Handlungen gegenüber dem anderen. Hass bewirkt aber auch in mir traurige, passive Affekte, die mich niederdrücken! Usw.

Wir können nun diese Antworten einer Gebotsethik gegenüberstellen, die Spinoza ja überwinden will:

Wer gibt vor, was gut ist? Gott und seine Gebote.

Für wen ist was gut? Das Gute ist an sich gut, unabhängig davon, welche Konsequenzen es bei einzelnen bewirkt.

Was bedeutet gut? Gut gibt Gott durch seine Gebote vor.

Und wie wird das Gegenteil, das Ungute bestimmt? Böse ist die Übertretung der Gebote Gottes.

Wie erreiche ich das, was gut ist? Durch Gehorsam und Unterdrückung meiner bösen Tendenzen.

Und was passiert bzw. was soll passieren, wenn ein Mensch nicht das Gute wählt und macht? Dann muss der Mensch bestraft werden. Die Strafe zwingt ihn dazu, sich mehr an die Gebote zu halten.

(Selbstverständlich gibt es nicht nur diese zwei Ethiktypen. Wenn wir die fünf Fragen der Pflichtethik Kants, der Tugendethik Aristoteles´, der Diskursethik, der utilitaristischen Ethik usw. stellen würden, ergäben sich andere Antworten und ein größeres Panorama an ethischen Konzepten.)

Spinoza lehnt Gebote nicht kategorisch ab. Sie sind aber nur inadäquate Hilfen für Menschen mit beschränkten Wissen. Sie können aber auch zu Unterdrückung führen. (Führen wir gleich genauer aus.)

Können wir nun eine ähnliche ethische Differenz auch in der GfK finden?

Erst einmal lassen einige Aussagen Rosenbergs uns vermuten, die GfK hätte gar keine ethische Differenz. Immer wieder gern zitieren Rosenberg und seine Schüler den Satz von Rumi: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort, dort treffen wir uns.“15 Zu Straftätern sagte Rosenberg z. B.: „Nein, ich sage nicht, dass es richtig war, ich sage nicht, dass es falsch war, ich sage, dass du es nicht getan hättest, wenn es nicht deine Bedürfnisse erfüllt hätte. Bei allem, was wir Menschen tun, geht es um die Erfüllung unserer Bedürfnisse.“16 Wenn wir jedoch wichtige Schlüsselunterscheidung der GfK zusammen nehmen, erkennen wir schon eine ethische Differenz in der GfK:

Bedürfnis und Strategie

Lebensförderlich und lebenshinderlich (etwas tun, das uns mit dem Leben verbindet vs. Etwas tun, das uns vom Leben trennt)

Bedauern vs. Schuldgefühl und Scham

Moralisches Urteil vs. Bewertung aufgrund von Bedürfnissen

Nehmen wir ein Beispiel von Blyenbergh, um diese Unterscheidungen zu erläutern: Raub, Diebstahl. Wenn jemand etwas klaut, erfüllt er sich ein Bedürfnis oder mehrere Bedürfnisse. Das können ganz unterschiedliche Bedürfnisse sein: Zum Beispiel kann ein Junge etwas klauen, um durch diese Mutprobe Aufnahme in eine Gang zu erreichen. Er möchte dazugehören. Er hat das Bedürfnis nach Anerkennung, nach Gemeinschaft, vielleicht auch das Bedürfnis nach Abenteuer. Diese Bedürfnisse sind allgemein. Er hat erst einmal grundsätzlich viele Möglichkeiten, sich die Bedürfnisse nach Anerkennung, Gemeinschaft und Abenteuer zu erfüllen. Würde er versuchen, den Anschluss bei den Pfadfinder zu bekommen, würde er ganz andere Strategien wählen als Stehlen. Er würde vielleicht intensiv beim Zeltlageraufbau mithelfen. Aber in der Situation, als er stahl, erkannte er wohl schwer oder gar nicht, welche alternativen Strategien er sonst noch wählen hätte können. Daraus folgt: Sich Bedürfnisse zu erfüllen ist an sich immer „richtig“. Es ist unser Wesen: Wir Menschen erfüllen uns nach dem Menschenbild der GfK immer Bedürfnisse.

Die entscheidende Frage ist: Führen die gewählten Strategien auch zu adäquaten Bedürfniserfüllungen? Diese Frage führt uns zur ethischen Differenz der GfK!

Meine Wahl einer Strategie, z. B. Raub, erfüllt mir wohl zeitweise einige meiner Bedürfnisse. Aber sie verhindert auch die Erfüllung anderer Bedürfnisse, die in mir da sind: z. B. das Bedürfnis nach gegenseitigem Respekt oder nach Unbeschwertheit usw.

Außerdem wichtige Bedürfnisse des Beraubten werden durch den Raub nicht erfüllt. Z. B. das Bedürfnis nach Sicherheit, nach Achtung des Eigentums, nach Respekt, nach Unversehrtheit usw. Die entscheidende Frage kann ich also präzisieren und erweitern: Führen die gewählten Strategien auch zu adäquaten Bedürfniserfüllungen aller Beteiligten?

Genau das ist ja das ethische Ziel der GfK: Indem ich meine Bedürfnisse transparent äußere und empathisch die Bedürfnisse der anderen aufnehme, schaffe ich durch Kommunikation eine Würdigung aller wichtigen Bedürfnisse aller Beteiligten, so dass aus einer solchen Kommunikation heraus der Boden geschaffen wird, um gemeinsam passende Strategien zu finden.

Wenn ich etwas tue, das die Bedürfnisse der Beteiligten bzw. Betroffenen erfüllt, dann handle ich lebensförderlich, dann bin ich mit dem Leben verbunden.

Wenn ich etwas tue, das nicht die Bedürfnisse der Beteiligten bzw. Betroffenen erfüllt, dann handle ich lebenshinderlich, dann bin ich vom Leben getrennt.

Denn Leben heißt für die GfK: auf Bedürfnisse hören und sich diese passend erfüllen!

Jenseits von richtig und falsch, jenseits von gut und böse steht für die GfK diese ethische Differenz: Lebensförderlich oder lebenshinderlich.

Diese ethische Differenz ist verblüffend ähnlich zu Spinozas ethischen Differenz von richtig und falsch!

Nicht nur positiv inhaltlich ähneln sich beide. Auch die Beschreibung ihrer jeweiligen Gegnerposition, die sie überwinden wollen, zeigt verblüffende Parallelen: Die GfK möchte die Wolfssprache, das Wolfsdenken und die Dominanzstruktur überwinden. Genauso wie Spinoza seine Leserinnen und Leser vom Joch der Gebotsethik befreien will.

Wolfssprache, Wolfsdenken und Dominanzstruktur

Der Autoaufkleber: „Mean People Suck!“ („Fiese Leute sind zum Kotzen!“) impliziert, dass diese fiesen Leute in ihrem Wesen fies sind! Dahinter steht die Denkform: Ich kann Menschen einteilen in gut oder böse, klug oder dumm, einfühlsam oder unsensibel, vollkommen und unvollkommen. Gegen diese Denkform wehren sich Spinoza und Rosenberg gleichermaßen.

Wer in dieser Denkform denkt, kommt zwangsläufig zu dem Schluss: Diese fiesen Leute muss man meiden, überwachen, bestrafen. Gegen ihr Wesen muss man sie mit Druck umformen oder ausklammern! Wenn dieser Mensch in seinem Wesen böse ist, nützt es nicht, auf Einsicht zu hoffen, nützt kein Mitgefühl oder der Versuch, Verbindung aufzubauen, um dadurch Veränderung zu erreichen. Das ist der Kern des „Wolfsdenkens“! Dazu gehört untrennbar die Wolfssprache. Denn in dieser Sprache formulieren wir diese Denkform!

Die Wolfssprache ist ein statische Sprache: Der ist faul, der ist gut, der ist böse, der ist … Diese statische Wolfsprache beinhaltet die grundsätzliche Verwechslung zwischen, was ein Mensch tut oder getan hat oder öfters getan hat UND was ein Mensch im Wesen ist. (Entlarvend sind folgende Phänomene: Unter gewissen extremen Bedingungen tun viele Menschen Dinge, die sie nicht für möglich gehalten hätten. Z. B. Überlebende eines Flugzeugabsturzes essen aus Verzweiflung Menschenfleisch. Oder ebenso entlarvend ist die existentielle „Was, wäre wenn… Frage“: Wie würde ich mich verhalten, wenn ich ein einer Drogenmafiafamilie aufwachsen würde?)

Die Wolfssprache arbeitet gerne mit folgenden Mitteln:

Bewerten, Etikettieren und Kategorisierung.

Vorurteile, vorgefasste Meinungen, Pauschalurteile

Das Schwarz-Weiß-Denken: entweder - oder, etwas ist richtig oder falsch, jemand hat Recht oder nicht.

Ratschläge: „Bei dir ist das und das falsch. Mache dies und jenes, und dann ist wieder alles in Ordnung.“

Schuldzuweisungen, Vorwürfe

Vergleiche, Verurteilungen

Drohen

Ganz bestimmte Handlungen mit Lob und ganz bestimmte andere Handlungen mit Strafe belegen

Das führt uns zur Dominanzstruktur. In dieser Denkform ist es ideal, wenn die Guten dominant sind und leiten, befehlen, Gebote vorgeben und bei Bedarf bestrafen. Hierarchische Machtstrukturen entstehen. Einige wenige haben das Sagen über die große Mehrheit. Kontrolle und Ordnung werden oft unter Anwendung von Zwang oder irgendeiner Form von Gewalt aufrechterhalten. Wer die Spitze erreicht hat, wird versuchen, die anderen zu kontrollieren, vor allem durch Strafen und Belohnungen.

Und wenn alle Menschen fies sind? Wie Thomas Hobbes annahm? Dann braucht es erst recht eine starke Obrigkeit, die durch Zwang