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Jan-Werner Müller lotet in seinem Essay das Verhältnis von Populismus, Demagogie und Lüge aus. Er zeigt, dass man es sich mit Gleichsetzung von Populismus und Demagogie zu einfach macht. Aber, so Müllers These: Die eine große Lüge, nämlich die, dass es ein homogenes Volk mit einem authentischen Willen gebe, ziehe kleinere Lügen nach sich - Lügen, die den Alleinvertretungsanspruch des Volkes aufrechterhalten sollen.
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Seitenzahl: 23
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Lauter Lügen
Inhalt
Jan-Werner Müller | Fake Volk? Über Wahrheit und Lüge im populistischen Sinne
Anhang
Der Autor
Impressum
Jan-Werner MüllerFake Volk?Über Wahrheit und Lüge im populistischen Sinne
Immer wieder heißt es, Populisten seien große Vereinfacher. Mancher liberale Kommentator geht nach dem »annus horribilis« mit Brexit und Trump sogar noch weiter: Es sei geradezu eine Art Charaktereigenschaft der Populisten, dass sie falsche Versprechungen machten oder schlicht lügen würden. Auf den ersten Blick scheint da etwas dran zu sein: Wer erinnert sich nicht an die Behauptungen der britischen »Leave«-Kampagne, mit dem Brexit könnte man wöchentlich 350 Millionen Pfund einsparen – eine Zahl, welche am Morgen nach dem Referendum mal eben so zurückgenommen wurde? Zwar kann sich kein Mensch unmöglich an alle falschen Behauptungen von Donald Trump erinnern (der Toronto Star veröffentlichte kurz vor der US-Wahl eine Analyse, in der dem Unternehmer 560 Falschaussagen nachgewiesen wurden). Aber fast jeder kann sich zumindest an einen Fall erinnern, in dem Trump eine nachweisbare Tatsache schamlos abstritt.
Nur: In welchem Sinne sind Brexit-Befürworter und Trump eigentlich Populisten? Muss jeder Populist lügen? Und wenn ja, warum? Ist das ganze Bild – hier bei uns Liberalen die Wahrheit, den Populisten bleiben nur Fake News und »gefühlte Wahrheiten« – nicht auch arg vereinfachend? Und öffnet diese Fokussierung auf Wahrheit und Falschaussage in der Politik, wo die Rollen vermeintlich so klar verteilt sind, nicht auch eine Hintertür für Klischees – oder, deutlicher gesagt, elitäre Vorurteile – aus der Massenpsychologie des 19. und 20. Jahrhunderts? Laut dieser Theorien kann man sicher sein, dass die irrationalen Massen immer nur darauf warten, vom großen Demagogen verführt zu werden; den ressentimentgeladenen Modernisierungsverlierern braucht man dann mit Argumenten gar nicht erst zu kommen; sie sind ja allein empfänglich für das, was der amerikanische liberale Historiker Richard Hofstadter als einen »paranoiden Politikstil« bezeichnete.
In diesem Essay soll gezeigt werden, dass man es sich mit Gleichsetzung von Populismus und Demagogie zu einfach macht. Populisten müssen nicht notwendigerweise falsche politische Versprechen machen. Aber das heißt nicht, dass kein Zusammenhang zwischen Populismus und Lüge besteht. Nur ist die eigentliche Verdrehung bei den Populisten – und es ist eine bewusste, nicht nur ein bedauerlicher Irrtum – die Behauptung, dass es ein homogenes Volk mit einem einzigen authentischen Willen gäbe, welcher den Populisten als politischer Auftrag diene (und den nur die populistischen Führungsfiguren richtig verstehen könnten). Diese – höflicher gesagt – Fiktion zwingt die Populisten dann oft zu vielen kleineren Lügen, um ihren Alleinvertretungsanspruch des Volkes aufrechtzuerhalten. Es wäre aber ein Fehler, wenn liberale Demokraten nun auf diese Lügen einfach mit der Behauptung eines Wahrheitsmonopols ihrerseits antworten würden. Stattdessen sollten sie daran erinnern, dass die Demokratie überhaupt keine Veranstaltung für Absolutheitsansprüche ist (weswegen beispielsweise der Jurist und Demokratietheoretiker Hans Kelsen – der große Gegenspieler Carl Schmitts