Fallen Five - Dunkle Gewissheit - Erica Spindler - E-Book

Fallen Five - Dunkle Gewissheit E-Book

Erica Spindler

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seit Anbeginn der Zeit kämpfen die Lichthüter gegen die Mächte der Finsternis - doch steht ihnen der schwerste Kampf erst noch bevor!

New Orleans: Ein Millionär springt am Tag der Eröffnung vom Dach seines Luxushotels. Als Detective Micki Dare und ihr Kollege Zach Harris am Tatort eintreffen, haben sie gleich ein ungutes Gefühl: Hier handelt es sich um keinen gewöhnlichen Selbstmord. Dann erhält Micki ein mysteriöses Paket von ihrem längst verstorbenen Mentor - und aus Vorahnung wird Gewissheit: Wieder einmal bedroht eine dunkle Macht "The Big Easy".

Micki steht vor ihrem bislang persönlichsten Fall! FALLEN FIVE ist der dritte Roman der spannenden Lightkeeper-Serie von New-York-Times-Bestsellerautorin Erica Spindler.

Bislang sind folgende eBooks der Lightkeeper-Reihe bei beTHRILLED erschienen:

Before the Countdown: Vor dem Spiel (Prequel-Kurzgeschichte zur Serie)

The Final Seven - Das Spiel beginnt

The Triple Six - Tödliche Zeichen


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 390

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapite1 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Über die AutorinWeitere Titel der AutorinImpressum

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.

Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!

Dein beTHRILLED-Team

Melde dich hier für unseren Newsletter an:

Über dieses Buch

New Orleans. Ein Millionär springt am Tag der Eröffnung vom Dach seines Luxushotels. Als Detective Micki Dare und ihr Kollege Zach Harris am Tatort eintreffen, haben sie gleich ein ungutes Gefühl: Hier handelt es sich um keinen gewöhnlichen Selbstmord. Dann erhält Micki ein mysteriöses Paket von ihrem längst verstorbenen Mentor – und aus Vorahnung wird Gewissheit: Wieder einmal bedroht eine dunkle Macht »The Big Easy«.

Als Micki auch noch unheimliche Parallelen zu einem früheren ungelösten Mord entdeckt, gerät der Einsatz zu ihrem bislang persönlichsten Fall: Denn plötzlich steht ihr eigenes Leben auf dem Spiel. Um den Täter auszuschalten, müssen sich Lichthüter und Menschen verbrüdern und ihre Differenzen überwinden. Doch wird ihnen dies gelingen, bevor das Böse die Macht über die Menschheit an sich reißt?

ERICA SPINDLER

FALLEN

DUNKLE

FIVE

GEWISSHEIT

Aus dem Amerikanischen vonKerstin Fricke

Kapitel 1

New Orleans, LouisianaFreitag, 9. Februar16:00 Uhr

Der Verdächtige war ihr ausgesprochen unangenehm.

Er saß an dem kleinen, verkratzten Holztisch wie ein Sinnbild für Selbstsicherheit und Gelassenheit. Keith Gerard. Achtundzwanzig. Grafikdesigner, der bei der größten Werbeagentur in New Orleans arbeitete. Er war unfassbar attraktiv und durch und durch hip – von seinem trendigen Fade Haircut bis hin zu seinem perfekten Dreitagebart.

Zu selbstsicher. Zu gelassen. Sein direkter Blick wirkte seelenlos, als er sie von oben bis unten taxierte wie eine Laborprobe.

Der Mangel an Emotionen irritierte sie. Es war, als würde hinter dieser gut aussehenden Fassade rein gar nichts Menschliches existieren.

NOPD Detective Micki Dee Dare tat es ihm gleich, erwiderte den finsteren Blick und ließ das Schweigen unangenehm im Raum hängen. Sie störte es nicht. Ebenso wenig ihren Partner Zach Harris, der sich lässig an die Tür des Verhörraums lehnte.

Das war Teil des Spiels – Gerard sollte sich fragen, warum man ihn zum Verhör hinzugezogen hatte, was ihn ihrer Ansicht nach mit dem Tod seiner Freundin in Verbindung brachte und warum zum Teufel sie nicht endlich mit der Befragung anfingen.

Sie fing an zu schwitzen, da sie die Heizung vor Betreten des Raums absichtlich höher gedreht hatte.

Gerard rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, sah über die Schulter zu Zach hinüber und starrte dann wieder Micki an. Er stieß frustriert die Luft aus. »Wie kann ich Ihnen helfen, Detectives?«

»Sagen Sie es uns, Mr Gerard. Sie sind doch derjenige, der Ihre Freundin Sarah Stevens in einer Blutlache gefunden hat.«

»Das ist korrekt.« Er faltete die Hände vor sich. »Ich habe sie gefunden und Sie angerufen. Das ganze Erlebnis war ziemlich traumatisch.«

Er sagte das in aller Seelenruhe, ohne dass sich auch nur die kleinste Emotion in seiner Miene abzeichnete.

Micki blinzelte nicht einmal. »Das kann ich mir vorstellen.«

»Zweifeln Sie etwa daran?«

»Habe ich das gesagt?« Sie warf Zach einen Blick zu, als wollte sie sich das bestätigen lassen, und konzentrierte sich danach wieder ganz auf Gerard. »Ich habe es jedenfalls nicht so gemeint. All das Blut, jemand, der Ihnen angeblich am Herzen lag …«

»Sie lag mir am Herzen. Sehr sogar.«

Micki warf einen Blick auf ihre Notizen. »Wie kam es, dass Sie heute Morgen ›einfach mal bei ihr vorbeigeschaut‹ haben?«

»Wir haben gestern Abend telefoniert. Sie war ziemlich durcheinander, und ich …«

»Warum war sie durcheinander?«

»Sie hatte hin und wieder Depressionen.« Er zuckte mit den Achseln, als wollte er damit andeuten, dass er da nichts hatte machen können. »Daher war das durchaus nicht ungewöhnlich.«

»Was haben Sie üblicherweise gemacht, wenn es ihr nicht gut ging?«

»Ich habe mit ihr geredet, bis sie sich wieder beruhigt hatte.«

»Sie sind nicht auf die Idee gekommen, zu ihr zu fahren und sie zu trösten?«

»Das habe ich früher gemacht, als wir frisch zusammen waren. Später aber nicht mehr.«

»Weil es Sie gelangweilt hat.«

»Ja. Das können Sie mir doch nicht vorwerfen, oder? Es waren immer dieselben Ängste und die gleichen ermutigenden Worte. Immer dasselbe.«

»Aber Sie waren trotzdem mit ihr zusammen?«

Er konnte den Tadel in ihrer Stimme nicht überhören, aber es schien ihm nichts auszumachen. Geistesabwesend legte er die Hände auf den Tisch und trommelte mit den Fingern der rechten Hand auf die Tischplatte. »Die restliche Zeit habe ich ihre Gesellschaft sehr genossen.«

Micki kniff die Augen zusammen. »Sie sind ein richtiger Schatz, nicht wahr?«

»Tatsächlich bin ich das.« Er verharrte. »Ich habe heute noch einiges zu erledigen. Sind wir hier fertig?«

»Nein, sind wir nicht, Mr Gerard.« Sie schaute erneut auf ihre Notizen. »Warum haben Sie Sarah Stevens heute Morgen einen Besuch abgestattet?«

»Sie ging nicht ans Telefon, und ich wollte mich vergewissern, dass es ihr gut geht.«

»Auf einmal waren Sie doch an ihrem Wohlergehen interessiert?«

»Sie haben einen völlig falschen Eindruck von mir, Detective Dare. Ich bin ein guter Mensch. Das können Sie mir glauben.«

Wie kam es dann, dass sie mit jeder Faser ihres Wesens vor ihm zurückscheute? »Ein guter Mensch«, wiederholte Micki. »Und zweifellos ein guter Fang? Sehen Sie sich doch nur an. Sie sind attraktiv, erfolgreich, charmant.«

»Vielen Dank.« Seinen Mund umspielte ein Lächeln. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich nicht so über mich denke. Erst recht in einer Zeit wie dieser.«

Natürlich tat er das. Es war ebenso offensichtlich wie seine teuren Schuhe. »Reden wir nicht länger um den heißen Brei herum, Mr Gerard. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie etwas mit Sarahs Tod zu tun haben.«

»Sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten, Detective. Nachdem sie monatelang gedroht hat, genau das zu tun, hat sie es in die Tat umgesetzt. Ich wüsste nicht, was das mit mir zu tun haben sollte.«

»Sie behaupten also, Sie hätten sie nicht dazu ermutigt?«

»Was für ein Monster müsste ich denn dann sein?«

»Sagen Sie es uns, Mr Gerard.«

»Dahinter steckt ihre verrückte Schwester, richtig? Was hat sie jetzt wieder gesagt?«

»Dass Sie Sarah nicht etwa beruhigt hätten, wie Sie behaupten, sondern sie aufgefordert haben, es endlich durchzuziehen und sich umzubringen.«

»Ich hätte sie ermutigt, sich umzubringen? Das ist doch lächerlich.«

»Ist dem so?« Micki hielt seinem Blick stand. »Ihre Schwester behauptet, Sarahs Depressionen hätten erst angefangen, nachdem Sie beide zusammengekommen waren.«

Er zuckte mit den Achseln. »Das ist ihre Meinung.«

»Es ist nicht nur eine Meinung. Sarah hat mit ihr darüber gesprochen. Sogar mehrmals.«

Gerard schürzte leicht die Lippen. »Das ist das Gerede einer Frau, die kurz vor dem Durchdrehen ist.«

Micki beugte sich vor. »Wenn jemand kurz vor dem Durchdrehen ist, kann er von einem Nahestehenden leicht dazu gebracht werden, sich etwas anzutun, finden Sie nicht auch?«

»Sprechen Sie da aus persönlicher Erfahrung?« Er lehnte sich so weit vor, dass sie seinen Atem im Gesicht spüren konnte. »Wissen Sie, wie sich das für mich anhört? Nach Schuldgefühlen. Lieber Sarahs Freund die Schuld an ihrem Selbstmord in die Schuhe zu schieben, statt sich an die eigene Nase zu fassen. Ich kannte Sarah seit sechs Monaten. Teresa kennt sie schon ihr ganzes Leben. Wer trägt Ihrer Meinung nach die größere Schuld an Sarahs Tod?«

»Hat eine Ihrer früheren Freundinnen auch Selbstmord begangen?«

»Das ist erbärmlich, Detective.« Er stand auf. »Ich denke, wir sind hier fertig.«

»Setzen Sie sich wieder, Mr Gerard. Wir sind noch lange nicht fertig.«

Er zog sich lächelnd den Mantel über. »Das sind nur wilde Behauptungen einer trauernden Angehörigen. Sie haben nichts gegen mich in der Hand. Falls Sie noch einmal mit mir sprechen wollen, wenden Sie sich bitte an meinen Anwalt.«

Er holte eine Visitenkarte aus der Brusttasche, warf sie auf den Tisch und wandte sich zur Tür.

Zach versperrte ihm den Weg und reichte ihm die Hand. »Danke, dass Sie heute hergekommen sind, Mr Gerard. Wir wissen Ihre Kooperation sehr zu schätzen und möchten Ihnen noch einmal unser Beileid aussprechen.«

Gerard zögerte kurz, schüttelte dann aber Zachs Hand. Zach hielt ihn etwas länger fest, als üblich war, und sah ihm dabei in die Augen, und Micki bemerkte, dass Gerard sich ein wenig wand.

Trotz allem schien er nicht die geringste Ahnung zu haben, dass er gerade »durchleuchtet« wurde – wie sie es bezeichnete, wenn Zach seine Fähigkeit einsetzte, anderen in den Kopf zu blicken und ihre Gedanken zu sehen und zu spüren.

Zach gehörte einer geheimen FBI-Einheit namens Sixers an. Diese bestand aus Individuen mit übernatürlichen Kräften, die man rekrutiert, ausgebildet und zur Unterstützung und Verbrechensbekämpfung auf lokale Polizeireviere aufgeteilt hatte. Selbst innerhalb der Polizei wussten nur sehr wenige Personen von diesem Programm; und sie war eine der »Glücklichen«, die eingeweiht worden waren, da man ihr den Rekruten des NOPD an die Seite gestellt hatte.

Das war ein ziemlich gerissener Trick, der sie zwar häufiger auf die Palme brachte, sich aber auch als äußerst nützlich erwiesen hatte. Vor allem in Situationen wie diesen.

»Der Fahrstuhl ist gleich den Flur entlang«, sagte Zach und ließ Gerards Hand los. »Steigen Sie im Erdgeschoss aus.«

Der Mann zog seine Hand ruckartig zurück, und auf seinen Wangen zeichneten sich zornige rote Flecken ab. »Ich fahre nicht zum ersten Mal mit dem Fahrstuhl.«

Micki trat neben Zach, und sie beobachteten, wie sich die Fahrstuhltüren hinter Gerard schlossen. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie ungern ich diesen Kerl laufen lasse.«

»Das musst du auch nicht, Partner.«

Er blickte grinsend auf sie herab, und seine umwerfenden blauen Augen strahlten. Sie sah ihn fragend an. »Hast du etwa meine Gedanken gelesen, Hollywood?«

»Du weißt doch, dass ich das nie tun würde, Mick.«

Sie hatte ihn einmal dabei erwischt, wie er es bei ihr versucht hatte, und ihn gewarnt, dass sie ihre Partnerschaft sofort beenden würde, falls er das ein zweites Mal probierte. Er hatte ihr versprochen, es nicht zu tun, und sein Wort bisher gehalten.

»Das muss ich auch gar nicht. Es war offensichtlich, was du von Mr Superlässig hältst. Dafür musste ich mich gar nicht erst anstrengen.«

»Konntest du bei ihm etwas entdecken?«

»Ich hab kein Geständnis, nur einen erschreckenden Mangel an Emotionen. Keine Trauer, kein Schock, weder Schuldgefühle noch Reue. Da war nichts außer einer gefühllosen … Neugier.«

»Neugier?«, wiederholte sie. »Wieso denn das?«

»Ich hab gesehen, wie er neben der Badewanne stand und sie einfach nur angesehen hat. Er war fasziniert von dem Blut und wie blass und kalt ihre Haut war.«

Micki bekam eine Gänsehaut an den Armen. »Hat er sie angefasst?«

»Er hat ihre Hand gestreichelt. Einmal. Ganz leicht. Dann hat er zum Handy gegriffen und die Polizei angerufen. Wie es sich gehört.«

»Du beschreibst die Gedanken und Reaktionen von jemandem mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Ich tippe auf Psychopath. Kein Mitgefühl und keine Reue. Keine Eigenverantwortung.«

Zach nickte. »Ich kann mir gut vorstellen, wie dieser Kerl Schmetterlingen die Flügel ausreißt. Oder Schlimmeres macht. Etwas viel Schlimmeres.«

»Die Frage ist: Hat er sie ermutigt, sich umzubringen? Wenn er das getan hat und wir es beweisen können, müssen wir damit zum Staatsanwalt gehen.«

Sie machten sich auf den Weg zu ihren Schreibtischen. Das achte Revier des NOPD befand sich in einem fast zweihundert Jahre alten Gebäude, das dringend renoviert werden musste. Wie bei den meisten historischen Gebäuden in New Orleans konnte man den heruntergekommenen Charme entweder hassen oder lieben, und Micki hatte sich für Letzteres entschieden.

»Warte, ich muss erst nach meinem Baby sehen«, sagte sie und schaute durchs Fenster auf die Bienville Street hinaus. Eine dicke Taube saß auf dem Sims und beäugte sie, als sie das große alte Fenster öffnete.

»Verschwinde«, schimpfte Micki, als die Taube ungerührt sitzen blieb. »Na los.« Sie klatschte in die Hände, und der Vogel flog endlich weg. Dann schaute sie nach unten. Da stand er, ihr mitternachtsblauer 1971 Nova 396 V. Vor drei Monaten hatte ein Verdächtiger damit eine Spritztour gemacht und ihn im Bayou St. John versenkt; und sie hatte den restaurierten Wagen gerade erst zurückbekommen.

Dummerweise schien er auch die Aufmerksamkeit eines widerlichen Typen mit Lederjacke und dunkler Sonnenbrille erregt zu haben.

»Bitte nicht«, murmelte sie, als er neben das Fenster auf der Fahrerseite trat. Micki beugte sich vor. »Hey, du!«, brüllte sie. »Das Arschloch mit der Sonnenbrille!«

Der Mann sah ruckartig nach oben.

»Ja, genau du!« Sie beugte sich noch weiter aus dem Fenster. »Weg von dem Wagen, oder ich komm runter und trete dir in den Arsch!«

Er machte so schnell einen Schritt nach hinten, dass er das Gleichgewicht verlor. Während sie mit ansah, wie er sich wieder fing und davoneilte, fiel ihr ein anderer Mann ins Auge, der schnell in die entgegengesetzte Richtung ging. Er war groß und breitschultrig, hatte lange Beine, einen geschmeidigen Gang und dichtes silbriges Haar.

Bei seinem Anblick setzte ihr Herz erst einen Schlag aus, um dann umso schneller zu schlagen. Hank. Der Mann war Hank.

Micki sah ihm hinterher und rief seinen Namen. Er hörte sie nicht, und sie lehnte sich noch weiter aus dem Fenster. Etwas Stuck bröckelte unter ihrem Gewicht ab, und sie fiel nach vorn.

»Hey, pass auf!« Zach nahm ihren Arm und zog sie wieder ins Gebäude. »Willst du dich umbringen, oder was ist hier los?«

Micki starrte ihn verwirrt an. Erst jetzt merkte sie, dass sie zitterte, und sie versuchte, sich zu beruhigen. Wie hatte sie nur auf die Idee kommen können, das wäre Hank gewesen? Ihr Freund und Mentor war doch schon seit sechs Jahren tot.

Zach musterte sie besorgt. »Ist alles in Ordnung?«, erkundigte er sich. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«

»Mir geht’s gut. Danke.«

Er starrte mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster. »Du hast Hanks Namen gerufen. Meintest du etwa den Hank?«

Micki schaute ebenfalls zum Fenster hinüber. Die Taube war wieder zurückgekehrt, und sie hatte das Gefühl, der Vogel würde sie auslachen.

Anscheinend verlor sie gerade den Verstand.

»Ja.« Sie schüttelte den Kopf. »Da war ein Mann auf der Straße … Er sah aus wie Hank, und ich hab ganz kurz vergessen, dass er … tot ist.«

»Mach dir deswegen keine Gedanken.« Zach grinste sie an. »Ich hab mir immer eingebildet, meine Mutter zu sehen, obwohl wir uns nie begegnet sind.«

Micki lachte auf. »Wirklich beruhigt bin ich jetzt nicht.«

»Angel hat mir erzählt, dass du manchmal nachts seinen Namen rufst.«

»Diese jungen Leute«, murmelte sie. »Sie sind wie Vampire und immer die halbe Nacht wach.«

»Wann wirst du mir endlich vertrauen, Mick?«

»Ich vertraue dir.«

Das war gelogen, und das wussten sie beide. Sie vertraute ihm ihr Leben an – aber sie erzählte ihm noch lange nicht alles. Über Dinge, die ihr wichtig waren, sprach sie nicht gern.

Sie gingen weiter. »Was willst du wegen Gerard unternehmen?«

»Mr Superlässig? Ich versuche, einen Beschluss für sein Handy und seine elektronischen Aufzeichnungen zu bekommen.«

Kapitel 2

Samstag, 10. Februar22:35 Uhr

Micki wurde schlagartig wach, und der uralte Fernsehsessel, in dem sie eingeschlafen war, schnappte nach oben. Sie war völlig desorientiert und brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, wo sie sich befand und dass das Klingeln ihres Handys sie geweckt hatte.

Sie griff nach dem Telefon und hielt es sich ans Ohr.

»Hier ist Dare.«

»Mick. Ich bin’s.«

»Zach?« Sie schüttelte den Kopf, um ihn freizubekommen. »Wie spät ist es?«

»Etwa halb elf. Hast du schon geschlafen?«

Micki strich sich das Haar aus dem Gesicht. Sie hatte davon geträumt, ihn auf der Straße gesehen zu haben. Aber in ihrem Traum war er es wirklich gewesen, doch so laut sie auch seinen Namen rief, er drehte sich einfach nicht um.

»Ja. Wenn man es so nennen kann.« Sie stand vom Fernsehsessel auf – Hanks Fernsehsessel –, und ihre Muskeln protestierten, als sie die Beine bewegte. »Was gibt’s?«

»Schalt den Fernseher ein. Einen lokalen Nachrichtensender. Egal welchen.«

Sie tastete nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. NBC, Kanal sechs. In der Innenstadt war offenbar irgendetwas passiert. Bei der feierlichen Eröffnung des 2 River Tower and Hotel. Überall standen Menschen herum, viele festlich gekleidet, einige weinten, andere standen mit offenem Mund da und starrten Löcher in die Luft. Sirenen. Blaulicht.

»Was zum Teufel …« Sie verkniff sich den Rest, da das Laufband am unteren Bildschirmrand ihr die Einzelheiten verriet.

Immobilienmogul Thomas King stürzt in den Tod.

»Ach du Scheiße«, murmelte sie. »Was ist passiert?«

»Während der Feier ist King in seine Wohnung im einundzwanzigsten Stock gegangen, um etwas zu holen, was er vergessen hatte. Das nächste Mal wurde er gesehen, als er auf der hinteren Terrasse aufschlug.«

Noch an diesem Vormittag war King im Frühstücksfernsehen aufgetreten und hatte von den Speisen im Thirty-Three, dem Restaurant in der obersten Etage des Turms, geschwärmt. Selbst die Pancakes wären die besten, die man je gegessen hatte, behauptete er. Sie können mir glauben, hatte er gesagt. Es sind die besten. Sie sind einfach großartig.

Bei dem Gedanken zog sich Mickis Magen zusammen, und sie konzentrierte sich lieber auf die Fakten. »Was ist denn der Stand der Dinge: Ist er gesprungen, oder hat da jemand nachgeholfen?«

»Bisher weiß niemand etwas Genaueres«, antwortete Zach. »Meiner Ansicht nach warten sie darauf, dass wir ihnen das sagen.«

Was bedeutete, dass Zach es ihnen sagen sollte. Er war der Superheld. Sie war nur sein waffenschwingender und oft mies gelaunter Sidekick.

»Wir werden bei dem Fall hinzugezogen«, fuhr er fort. »Der Anruf müsste jeden Augenblick kommen.«

Wie aufs Stichwort piepte ihr Handy, weil sie noch einen anderen Anruf bekam. »Da ist er auch schon«, sagte sie. »Moment mal, woher weißt du denn schon davon?«

»P.«

Parker. War ja wieder klar, dachte sie. Parker war Zachs Verbindungsmann beim FBI – und sein Onkel. Aber das war eine ganz andere komplizierte Geschichte.

»Ich bin in zwanzig Minuten da«, versprach sie und nahm den anderen Anruf an.

Kapitel 3

23:20 Uhr

Micki entdeckte Zach sofort. Er war groß, blond und eine verwirrende Mischung aus Chris Pratt und einem jungen Matthew McConaughey, sodass er im Chaos an einem Tatort völlig fehl am Platze wirkte und eher aussah wie ein Mann, der mit einem Surfbrett am Strand als mit Dienstmarke und -waffe anzutreffen war.

Er bemerkte sie, winkte ihr zu und deutete auf den Parkplatz, den er ihr zwischen zwei Zivilfahrzeugen reserviert hatte. Dann kam das Lächeln, mit dem er schon unzählige Herzen gebrochen hatte. Bei ihr wirkte es ebenfalls, aber sie hatte nicht vor, ihn das jemals wissen zu lassen.

Eine Menschenmenge, wie sie bei einer Mardi-Gras-Parade nicht ungewöhnlich gewesen wäre, hatte sich am Rand der Absperrungen versammelt. Und wie bei jeder Parade war die Atmosphäre gleichzeitig festlich und vorfreudig.

Micki quetschte den Nova in die Parklücke, die sich ihrer Meinung nach viel zu nah an der Absperrung befand, und runzelte die Stirn. Der Wagen hatte etwas Besseres verdient, aber das hatte sie davon, dass sie als Letzte zur Party eingeladen worden war – da bekam man nur noch die schlechtesten Plätze.

Als sie aus dem Wagen stieg, jubelte die Menge. Als wäre sie ein gottverdammter Promi auf dem roten Teppich. Typisch Big Easy – hier war jedes Ereignis gleich der Grund für eine Party.

Laissez les bon temps rouler, Baby.

»He!«, rief sie einem der Polizisten an der Absperrung zu. Er drehte sich zu ihr um, und sie deutete auf den Nova. »Das ist mein Baby. Wenn der Wagen auch nur einen winzigen Kratzer bekommt, drehe ich durch. Haben Sie das verstanden?«

Der Mann sah entsprechend besorgt aus, und Zach trat zu ihr, sodass sie zusammen zum Gebäude gehen konnten. »Der arme Kerl wusste gar nicht, wie ihm geschieht.«

Sie sah ihn fragend an. »Was?«

»Das war wieder mal typisch Mad Dog Dare. Sie nimmt keine Gefangenen.«

»Was immer nötig ist, Hollywood. Niemand fasst meinen Wagen an.«

Er widersprach ihr nicht. Micki hob den Kopf und nahm Thomas Kings 2 River Tower in Augenschein. Kings Neuinterpretation des ursprünglichen New Orleans Trade Mart vereinte modernes Design mit dem postmodernen Stil des Originals, und das auf spektakuläre Weise.

Dreiunddreißig Stockwerke reinster Luxus, ein sich drehendes Restaurant mit Bar in der obersten Etage, zwei Stockwerke darunter eine Aussichtsplattform und auf der Hauptebene ein weiteres Restaurant, ein Café und ein Nachtklub.

Zach beugte sich zu ihr herüber. »Ich hab gehört, die Apartments fangen bei anderthalb Millionen an.«

Sie hatten die innere Absperrung erreicht. Der Officer, der noch grün hinter den Ohren war, überprüfte ihre Ausweise und hielt ihnen das Klemmbrett hin, damit sie sich eintragen konnten.

»Wo ist das Opfer?«, fragte Micki und schrieb ihren Namen auf die Liste.

Der Officer schnitt eine Grimasse. »Wo ist er nicht?«

Mit einem Mal hatte sie das Bild von Wile E. Coyote vor dem inneren Auge, dessen Plan mal wieder gescheitert war, woraufhin er, wie im Cartoon nun mal üblich, als platte Flunder auf dem Boden endete.

Im wahren Leben war das allerdings überhaupt nicht witzig. Und es gab auch keinen schönen Anblick ab. Dummerweise gehörte das zu ihrem Job dazu. Sie wappnete sich dafür, dass es heute besonders eklig werden würde.

Der Officer warf einen Blick auf die Liste und beäugte Zach. »Sind Sie nicht Hollywood Harris?«

Jetzt geht das wieder los, dachte Micki. Der obligatorische »Fanboy«-Moment.

»Genau der bin ich«, bestätigte Zach und tat so, als hätte er nicht mitbekommen, wie Micki die Augen verdreht hatte. Er reichte dem jungen Officer die Hand und schaltete sein strahlendes Lächeln ein. »Freut mich …«

»Ray«, stellte sich der Officer vor und schüttelte Zach enthusiastisch die Hand. »Ich bin ein großer Fan von Ihnen, Detective. Ist mir wirklich eine Ehre. Die Art, wie Sie diesen Hausfriedensbruch beenden konnten, das grenzte förmlich an …«

»Ein Wunder?«, schlug Micki vor.

Aber ihr Sarkasmus prallte einfach an ihm ab. Der Officer strahlte und schüttelte Zach noch immer die Hand. »Ja, das ist es. Es grenzte an ein Wunder.«

»Danke für das Kompliment«, erwiderte Zach. »Aber ohne Dare hätte ich das nicht geschafft.«

Meinen getreuen, schädelzertrümmernden, meist mürrischen Sidekick. Sie hätte sich beinahe übergeben. Doch stattdessen wandte sie sich erneut an den Officer. »Was ist jetzt mit dem Opfer? Wo müssen wir lang?«

»Ach ja«, meinte der Officer und machte ein dummes Gesicht. »Schnappen Sie sich ein paar Überzieher und Handschuhe, und folgen Sie dem beleuchteten Weg hinters Haus.«

»Netter Junge«, meinte Zach. »Hat ein gutes Auge.«

Micki schnaubte und steckte sich die Handschuhe in die eine und die Überzieher in die andere Jackentasche. »So langsam steigt dir das echt zu Kopf.«

»Neidisch?«

»Überhaupt nicht, Partner. Ich bleib nur gern auf dem Boden der Tatsachen.«

Sie gingen auf die Rückseite des Gebäudes, die an den Fluss grenzte. Hier war es deutlich leiser. Auf dem Fluss fuhr ein Lastkahn vorbei. Die ganze Gegend war abgesperrt worden, und nur wenige Beamte waren noch anwesend – darunter der Polizeichef von New Orleans Howard sowie Major Nichols.

Micki ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Terrassenförmig angelegte Veranden, die anmutig und einladend wirkten. Vereinzelte Lampen im Garten sowie Ketten aus winzigen weißen Lämpchen, die wie Sterne funkelten, erschufen hier regelrecht ein Stück Himmel auf Erden.

Die Tatortbeleuchtung war noch nicht aufgestellt worden, daher war sich Micki nicht sicher, doch sie vermutete, dass es sich bei der unförmigen dunklen Gestalt auf der untersten Terrasse um die Überreste des unglücklichen Mr King handelte.

So viel zum Himmel auf Erden.

Micki warf Zach einen Seitenblick zu. Er stand ganz still, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und versuchte, die Augenblicke von Kings Sturz zu absorbieren, wie sie wusste. Oder vielmehr die psychische Energie, die sie umgab, denn mit dieser Energie waren möglicherweise auch Antworten verknüpft.

Das war eine weitere seiner Gaben. Im Vergleich dazu sah ihre gute, altmodische Polizeiarbeit völlig langweilig aus.

Sie berührte Zach am Arm; er unterbrach seine Konzentration nicht, um sie anzusehen, aber sie hatte auch nicht damit gerechnet. »Lass deine Magie spielen, Partner. Ich halt dir Major Nichols und den Chief vom Hals.«

Dann ging sie auf ihre beiden Vorgesetzten zu und merkte gerade noch, dass Zach in die entgegengesetzte Richtung davonwanderte.

Die beiden Männer kamen ihr auf halbem Weg entgegen. Der Chief ergriff als Erster das Wort.

»Ein Glück, dass Sie und Harris hier sind. Wir stehen hier vor einer Riesensauerei.«

Er schien erst jetzt zu merken, was er da gesagt hatte – vor allem hinsichtlich dessen, was auf der untersten Terrasse auf sie wartete –, denn er schnitt eine Grimasse und deutete auf Zach. »Gehe ich recht in der Annahme, er …« Er hielt inne und suchte nach den richtigen Worten, gab sich dann jedoch mit »macht sein Ding?« zufrieden.

Sein Ding. Ein passender Euphemismus für etwas, das der Chief nicht mal im Entferntesten beschreiben konnte, wovon er jedoch glaubte, es zu verstehen. Daher war »sein Ding« schon recht zutreffend.

Doch es umfasste bei Weitem nicht alles.

Denn weder der Chief noch das FBI wussten, dass Zach viel mehr war als nur ein Sixer. Er war zum Teil Lichthüter und stammte von einer uralten Rasse ab, die auf die Erde geschickt worden war, um gegen die Mächte der Dunkelheit zu kämpfen.

Sie hatte einige Zeit gebraucht, um das zu verinnerlichen. Aber jetzt glaubte sie nicht nur daran, sondern hatte unfassbarerweise sogar zugestimmt, sich ihnen anzuschließen.

Dabei hatte sie herausgefunden, dass in ihr auch ein winziges bisschen von einem Lichthüter schlummerte, was sie zuerst kaum hatte glauben können. Leider nicht genug, um ihr irgendwelche coolen Superheldenfähigkeiten zu verleihen.

»Ja, Sir«, antwortete sie. »Bringen Sie mich auf den neuesten Stand. Was wissen wir bisher?«

»Zu diesem Zeitpunkt sieht es nach Selbstmord aus«, schaltete sich Major Nichols ein.

Micki stellte sich den dauergebräunten, aufschneiderischen Halbpromi vor, den sie aus den Medien kannte, und schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.«

Howard fuhr sich mit einer Hand durchs schütter werdende Haar; eine Geste, die man bei dem sonst immer so beherrschten Oberhaupt der Polizei nur selten sah. »Er hat sich vor dem Zwischenfall im Ballsaal aufgehalten und unter die Gäste gemischt.«

»Wie war seine Stimmung?«, erkundigte sie sich.

»Heiter. Fröhlich. Ich habe mich auch kurz mit ihm unterhalten.« Der Chief deutete auf das Gebäude. »Wie hätte es auch anders sein sollen?«

Ganz genau. »Was ist passiert?«

»Seine Frau sagte, er hätte etwas von oben holen wollen. Sie bot an, es für ihn zu erledigen, aber er bestand darauf, es selbst zu tun.«

»Was wollte er denn holen?«

»Das weiß sie nicht, und er hat es ihr nicht gesagt.«

Micki runzelte die Stirn und sah von einem Mann zum anderen. »Während der Party, einem wichtigen Ereignis, sagt der Gastgeber seiner Frau, dass er etwas vergessen hat und es holen muss, und sie fragt nicht weiter nach?«

»Vielleicht hat sie sich amüsiert und wollte es gar nicht so genau wissen? Möglicherweise hat er sich auch immer so verhalten?« Howard zuckte mit den Achseln. »Wer weiß?«

»Was ist mit einem Abschiedsbrief?«

Chief Howard schüttelte den Kopf. »Die Officers, die zuerst am Tatort waren, haben keinen gesehen.«

Sie sah ihn überrascht an. »Sie haben den Tatort nicht selbst untersucht?«

»Nein. Ich hielt es für klüger, die Leute im Ballsaal zu beruhigen.«

»Und wir sind uns ganz sicher, dass er allein war?«

»Wir sind uns wegen gar nichts sicher. Als die Officers eintrafen, war die Wohnungstür verriegelt, aber die Tür hat ein automatisches Schlosssystem.«

»Was ist mit seiner Frau?«

»Sie war die ganze Zeit unten. Sie ist einer …«, er räusperte sich, »… der Zeugen.«

»Der Zeugen?«

»Sie hat den Sturz gesehen. Meine Frau … Sie …« Er stockte und schien kurz nicht weitersprechen zu können. »Sie war ebenfalls dort.«

Micki blickte am Gebäude nach oben. Der Ballsaal hatte garantiert eine Fensterfront, durch die man einen umwerfenden Ausblick genießen konnte. »Wollen Sie mir damit sagen, dass Ihre Frau und Mrs King tatsächlich gesehen haben, wie …«

»Ja, ebenso wie zwei Dutzend andere Personen.«

Das erklärte die Hilflosigkeit und die uncharakteristische Gefühlsäußerung. »Danke, dass Sie uns diesen Fall anvertrauen, Chief. Wir werden Sie nicht enttäuschen.«

Er nickte und setzte eine undurchdringliche Miene auf. Dann sah er Major Nichols an. »Ich möchte, dass Sie hier die Oberaufsicht haben. Geben Sie Harris, was immer er verlangt. Die Presse wird früher oder später etwas von uns hören wollen. Erstatten Sie mir stündlich Bericht. Verstanden?«

»Ja, Sir«, antworteten Nichols und Micki gleichzeitig.

Howard entfernte sich von ihnen, und Micki wandte sich an ihren Vorgesetzten. »Keiner betritt Kings Wohnung, bevor Harris und ich uns darin umgesehen haben.«

»Geht klar.«

Sie ging auf die unterste Terrasse zu, die jetzt von Sechhundertwattstrahlern erhellt wurde, blieb aber noch einmal stehen und sah sich um. »Wir müssen auch mit dem Hauspersonal und der Security sprechen. Sorgen Sie bitte dafür, dass vorher keiner das Gebäude verlässt. Sie hatten vermutlich ebenfalls Zutritt zu Kings Wohnung.«

Er nickte, und sie fuhr fort: »Wissen Sie, ob die Kings Kinder haben?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Nichols. »Ich werde es rausfinden, und falls Kinder oder andere Familienangehörige heute Abend im Gebäude waren, sorge ich dafür, dass Harris und Sie mit ihnen sprechen können.«

»Danke.« Micki ging weiter, verharrte dann erneut und schaute über die Schulter. »Ach ja, und ich möchte die Aufnahmen der Überwachungskameras aus den Fahrstühlen und aus dem einundzwanzigsten Stock sehen.«

Nachdem er das bestätigt hatte, zog sie los, um sich das anzusehen, was von Thomas King noch übrig war.

Kapitel 4

23:55 Uhr

Zach stand gleich außerhalb des Lichtkreises, den die Tatortscheinwerfer erzeugten. Er drehte sich zum Turm um, hob den Kopf und schloss die Augen. Er wappnete sich und öffnete seine Sinne für die Energie. Winzig kleine Stromstöße stachen auf seine Arme, seine Beine und seinen Torso ein. Er zuckte und wand sich, als der Schmerz immer heftiger wurde und mit der Gewalt eines Gewittersturms über ihn hereinbrach.

Zach versuchte, seine Atmung und seinen Herzschlag zu kontrollieren und tief und gleichmäßig Luft zu holen. Er durfte nicht einknicken. Der Ansturm ließ nach, ebbte ab, und intensiven Momenten folgten vakuumähnliche Ruhephasen, die sich anfühlten, als könnten sie ihm das Fleisch von den Knochen schälen.

Nun kam es darauf an, das Chaos zu entschlüsseln und in seine Einzelteile aufzubrechen – Farben, Lichtblitze, Stimmen und Musik wirbelten wie in einem verrückten Karussell um ihn herum. Schneller und immer schneller drehte sich alles und erschuf ein strahlendes Wabern. Dann ein Gesicht. Das einer Frau. Wunderschön, mit geheimnisvollen bernsteinfarbenen Augen. Sie schien jemanden zu rufen. Nicht King, begriff Zach, sondern ihn. Sie rief ihn.

Auf einmal … nichts. Es kam so plötzlich, dass Zach die Augen aufriss und seine Beine nachgaben. Er fiel auf die Knie.

»Zach!«

Mick. Sie kam auf ihn zugerannt.

Er hob eine Hand, um sie aufzuhalten, und konzentrierte sich auf seine Atmung. Tief ein- und wieder ausatmen. Wieder und immer wieder. Die Welt, die in Schieflage um ihn herumwirbelte, wurde langsamer und hielt schließlich an. Er erschauderte, und der letzte Rest der Energie zog sich wie eine Welle vom Ufer zurück und verschwand.

Erst jetzt sah er Mick an, bemerkte ihre besorgte Miene und zwang sich zu einem Lächeln. »Wow, das hat Spaß gemacht.«

»Geht’s dir gut?«

Er stand vorsichtig auf und warf ihr einen kleinlauten Blick zu. »Ich stehe noch, oder nicht?«

»Konntest du was rausfinden?«

»Das lässt sich nicht so genau sagen. Aber ich glaube, ich hab alles.« Er merkte, dass seine Hände zitterten, und ballte die Fäuste. »Und nichts.«

Sie runzelte leicht die Stirn, wie sie es so oft tat. Es war eher ein Zusammenziehen der Augenbrauen. Sie war stets die ernste Technikerin, die alles analysierte. »Und das bedeutet?«

»Hier ist einfach zu viel. Ich konnte nichts rausfiltern, aber …«

Ihre Miene verfinsterte sich weiter. »Aber was?«

»Da war das Gesicht einer Frau. Im letzten Augenblick. Dann blieb alles stehen … schlagartig.«

»In dem Augenblick, in dem er am Boden aufschlug?«

»Das ergibt Sinn … So hat es sich angefühlt, aber ich bin mir nicht sicher.«

»Hast du sie erkannt?«

Er sah die Frau vor seinem inneren Auge. Sie war eine sinnliche Schönheit. Diese unglaublichen Augen. Hohe Wangenknochen. Sie kam ihm irgendwie vertraut vor, aber … auch nicht. Wer war sie? Und was wollte sie von ihm?

»Zach? Und? Hast du sie erkannt?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Aber …« Er drehte sich um und sah Mick in die Augen. »Sie kam mir bekannt vor, aber ich weiß beim besten Willen nicht, woher.«

»Vielleicht aus den Medien?«

»Das könnte sein. Aber es kam mir eher vor, als … als würde sie mich erkennen.«

»Was? Wie geht denn das?«

»Ich hatte den Eindruck, sie wollte, dass ich ihr folge. Als hätte sie meine Anwesenheit bemerkt.« Zach richtete den Blick auf das, was vom Immobilienmogul noch übrig war, auch wenn man nicht mehr viel erkennen konnte. Selbst seine Kleidung war beim Aufprall völlig zerfetzt worden.

»Sieht das immer so aus?«, fragte er und hatte auf einmal einen metallischen Geschmack im Mund.

»Wenn jemand springt?« Er nickte, und sie schüttelte den Kopf. »Es ist jedes Mal anders. Ich hab schon Leichen gesehen, die nach dem Aufprall kaum lädiert waren. Das hier ist besonders übel. Aber einundzwanzig Stockwerke bedeuten auch einen langen Weg nach unten.«

Etwas in den Überresten erregte Zachs Aufmerksamkeit. Er ging hinüber, um es sich genauer anzusehen. Es war Kings goldene Rolex, die noch völlig intakt war und deren mit Diamanten besetzte Fassung im Licht glänzte.

Mick folgte ihm und sah über seine Schulter. »Das ist ja unfassbar«, murmelte sie.

Zach legte den Kopf schief und betrachtete das Ziffernblatt. »Wie spät ist es jetzt?«

»Dreiundzwanzig Uhr sechsundfünfzig.«

»Die Uhr läuft noch.«

Mick gab ein ersticktes Geräusch von sich. »Das spricht für eine verdammt gute Qualität. Eine Rolex misst die Zeit, selbst wenn Ihre abgelaufen ist. Willst du sie dir genauer ansehen?«

Er überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Ich glaube, ich habe alles, was hier unten zu finden ist. Lass uns in Kings Wohnung gehen.«

Die Kriminaltechniker standen am Rand der Terrasse und warteten darauf, dass Zach und Mick hier fertig waren. Sie hatten die komplette Schutzkleidung angelegt. Zach musste sie gar nicht erst berühren, um zu wissen, was in ihren Köpfen vorging: Dies war nicht ihr Glückstag. Er warf ihnen einen mitfühlenden Blick zu.

»Er gehört ganz Ihnen«, sagte Mick, als sie zu den Technikern traten. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas finden, das andeutet, es könnte kein Selbstmord gewesen sein.«

»Sollen wir auf etwas Bestimmtes achten, Detective?«

Der Krimimaltechniker klang irritiert. Mick blieb stehen und drehte sich noch einmal zu dem Mann um. »Abgesehen von ein oder zwei Kugeln wüsste ich auf Anhieb auch nicht, was das sein könnte. Sein Handy müsste hier irgendwo liegen. Die Armbanduhr ist da vorn rechts neben einem seiner Schuhe. Viel Spaß, Leute.«

»Sehr witzig, Detective.« Er schien jedoch nicht verärgert zu sein. »Sie haben meinen Bericht morgen früh vorliegen.«

Mick und Zach gingen auf den Eingang des Gebäudes zu.

»Wie hat sie ausgesehen?«, erkundigte sich Mick auf einmal.

»Wer?«

»Die Frau, die du gesehen hast.«

»Dunkles Haar, geheimnisvolle Ausstrahlung. Wunderschön.«

»Ein reicher Mann, eine schöne Frau. Das passt. Denkst du, sie hat ihn dazu getrieben?«

»Das ist zwar möglich, aber ich bezweifle es.«

»Warum?«

»Keine Ahnung. Ich hatte eher den Eindruck, sie wäre nur eine Zuschauerin gewesen.«

Kapitel 5

Sonntag, 11. Februar0:25 Uhr

Zach stand in der Wohnungstür. King hatte im wahrsten Sinne des Wortes wie ein König gelebt. Sie standen vor einer gewaltigen, luxuriös und modern eingerichteten Wohnung. Durch die deckenhohen Fenster an der gegenüberliegenden Wand hatte man einen umwerfenden Blick auf den Mississippi. Hinter den Fenstern befand sich der Balkon. Die Balkontüren standen offen, und die dünnen weißen Vorhänge wurden von der kalten, feuchten Brise aufgebauscht.

Mick hatte einige Details über den Verlauf des Abends erfahren, sie ihm aber auf seine Bitte hin vorerst nicht mitgeteilt. Er wollte verhindern, dass sein Eindruck des Tatorts durch sogenannte Fakten beeinflusst wurde.

Die einzigen Gedanken, die ihn momentan interessierten, waren Kings.

Zach machte einen Schritt in die Wohnung. Sofort spürte er das vertraute Kribbeln an den Handgelenken und in den Armbeugen. Er atmete tief ein, entspannte sich und ließ es einfach geschehen. Jede Bewegung eines Menschen hinterließ eine Spur aus psychischer Energie, die fast niemand wahrnehmen konnte.

Doch er war dazu in der Lage. Er hatte das schon sein ganzes Leben lang vermocht, aber erst nach der Rekrutierung der Sixers hatte er gelernt, diese Empfindlichkeit zu nutzen, um Verbrechen aufzuklären.

Je intensiver die mit dem Ereignis verbundene Emotion, desto stärker die Energie – und desto leichter war sie zu lesen. Er hatte jedoch gelernt, dass jeder Tatort anders war; selbst Morde und Einbrüche waren nicht immer gleich. Denn wenn Menschen daran beteiligt waren, kamen auch Gefühle ins Spiel, und Menschen reagierten in einer Situation nun einmal nicht völlig gleich.

Auch nicht jene, die nicht vollkommen menschlich waren – so wie er.

Manchmal war es die Energie des Opfers, die am deutlichsten auffiel, dann wieder die des Täters, und gelegentlich – wie bei der blutüberströmten Terrasse zwanzig Stockwerke weiter unten – machte sich die Energie aller Beteiligten bemerkbar – die der Partygäste, der lärmenden Gaffer auf der Straße und sogar die der Medienvertreter und am Einsatz beteiligten Polizisten.

Zach machte noch einen Schritt und blieb mit gerunzelter Stirn stehen. Seltsamerweise empfing er hier rein gar nichts.

Mick war bereits vorausgegangen; er war sich bewusst, dass sie sich im Apartment umsah und ihre beeindruckende Beobachtungsgabe sowie ihren scharfen Verstand nutzte, um sich zusammenzureimen, was hier an diesem Abend geschehen war.

Sie suchte handfeste Beweise, er die immateriellen. Zusammen waren sie ein unschlagbares Team. Derart unschlagbar, dass sie unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zogen, wie an diesem Abend die des jungen Ray. Da ihre Aufklärungsquote bei fast hundert Prozent lag und sie einige sehr bekannte Fälle bearbeitet hatten, hatte so gut wie jeder schon von ihnen gehört.

Bei diesem Fall lief es möglicherweise nicht ganz so gut für sie.

Zach machte noch zwei Schritte und ließ den Blick langsam durch den Raum schweifen. Er bemerkte die Bar. Darauf eine offene Karaffe. Eine bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem teuer aussehenden Glas.

Er spürte eine Art Ziehen. Als würden ihn Finger sanft in diese Richtung leiten. Interessant, dachte er und ließ es geschehen.

Als er vor der Bar stand, bewegte er die behandschuhte Hand über den Drink. Thomas King. Zielgerichtet. Entspannt und selbstsicher. Zach beugte sich vor, sah in das Glas, betrachtete die Flüssigkeit darin. Atmete ein.

King schenkte sich etwas zu trinken ein und ließ das Glas dann unangetastet stehen. Warum?

Zach drehte sich langsam im Kreis und versuchte, die unterschiedlichen Energieschichten zu isolieren, um ihnen folgen zu können.

Erneut ein Ziehen am Ärmel. Kaum spürbar. Er wurde gerufen, so wie es auch bei der Frau mit den geheimnisvollen Augen geschehen war.

Es zog ihn ins Schlafzimmer. Ein gewaltiges Bett. Luxuriöse Bettwäsche. Aufgeschlagen und wartend. Zach sah sich um. Ein gerahmtes Foto auf einem Nachttisch. Ein Hochzeitsfoto. King war der Bräutigam. Die Frau an seiner Seite war nicht die, deren Energie Zach kurz gespürt hatte. Sie war blond und wunderschön. Jung. Zu jung für den über sechzigjährigen Immobilienmogul.

Zach zog die Nachttischschublade auf. Ein Döschen mit einem verschreibungspflichtigen Medikament. Er drehte es vorsichtig um, damit er das Etikett lesen konnte. Viagra.

Das war nicht wirklich eine Überraschung.

Die Waffe schon. Eine Beretta Px4, klein, aber effizient. Zach hob sie nicht hoch, sondern hielt nur die Hand darüber.

Keine Schwingungen. Sie war an diesem Abend nicht abgefeuert worden.

Er ging weiter und stolperte beinahe über ein Paar Schuhe. Unfassbar hohe Absätze. Glitzernd und nudefarben. Sie lagen auf halbem Weg zwischen dem Bett und dem Sekretär.

Eine seltsame Position. Zach hockte sich daneben. Er streckte vorsichtig eine Hand aus und hielt sie erst über den einen, dann über den anderen Schuh. Seine Handfläche kribbelte und fing an zu brennen.

Laute Stimmen. Ein Mann und eine Frau. Das Brennen ließ nach; das Kribbeln wurde schwächer und verschwand.

Vermutlich King und seine Frau. Sie hatten sich wegen etwas gestritten. Weswegen?

Er nahm sich vor, Mrs King zu fragen, ob es ihre Schuhe waren, und drehte sich zur Aufsatzkommode um. Darauf ein kleines Tablett mit etwas Wechselgeld, einigen Visitenkarten und Manschettenknöpfen. Auf dem Sekretär lag eine Uhr. Goldfassung, Lederarmband. Elegant und offensichtlich teuer. Er suchte nach dem Markennamen. Cartier.

Vorsichtig griff er danach und legte die Finger darum. Bilder wie ein sich drehendes Kaleidoskop stürmten auf ihn ein. King im Ballsaal. Er flüsterte seiner schönen jungen Frau etwas ins Ohr.

King, der sich die Uhr abnahm und auf den Sekretär legte. Nach einer anderen griff. Der Rolex, dachte Zach. Natürlich.

Auf einmal pfiff King eine Melodie. Die Musik schien näher zu kommen und sich dann zu entfernen, und Zach konnte sie nicht wirklich zuordnen. Was war das? Er kniff die Augen zu. Das Lied kam ihm bekannt vor, aber es wollte ihm nicht einfallen, welches es war.

Zach legte die Uhr wieder hin und öffnete die oberste Schublade des Sekretärs. Eine schwarze Ledermappe. Ein Dutzend laufende Uhren. Eine leere Stelle.

Er runzelte die Stirn. King hatte die Feier verlassen, um seine Uhr auszutauschen? Das war zwar merkwürdig, aber anscheinend hatte es sich genau so abgespielt.

»Ich weiß, warum er in die Wohnung gegangen ist«, rief Zach Mick zu. »Er wollte die Rolex holen.« Sie reagierte nicht, daher trat er in die Schlafzimmertür. Er konnte Mick durch die sich aufbauschenden Vorhänge sehen. Sie stand auf dem Balkon, nur wenige Zentimeter vom Geländer entfernt, das sie jedoch nicht berührte.

Im Licht aus dem Wohnzimmer hinter ihr waren ihr anmutig geschwungener Hals und ihr energisches Kinn gut zu erkennen. Kontraste, dachte er. Außen hart, innen ganz weich. Beides herrlich, aber von Grund auf verschieden.

Da konnte ein Mann gar nicht anders, als zu versuchen, die harte Schale zu knacken, um an den weichen Kern zu gelangen.

Ein anderer Mann, dachte er. Nicht ich. Sie durften nur Freunde und Kollegen sein, kein Paar.

Was nicht hieß, dass es nicht passieren konnte, nur dass sie es nicht tun sollten.

Er verließ das Schlafzimmer und ging zur Balkontür. »Er ist nach oben gekommen, um seine Armbanduhr auszutauschen«, sagte er.

Sie sah ihn über die Schulter an und runzelte die Stirn. »Er wollte seine Uhr austauschen? Das ist schon merkwürdig, findest du nicht? Wieso verlässt man eine wichtige Veranstaltung, nur weil man die falsche Uhr umhat?«

Er zuckte mit den Achseln. »Hier oben ist nicht viel zu holen; die Spur ist sehr schwach. Was hast du da in der Hand?«

»Das hier?« Sie hielt es ins Licht. Es war eine Feder. Eine schwarze. »Sie lag auf dem Geländer. Ich wusste nicht, dass Vögel so hoch fliegen.«

Mick ließ die Feder los und sah ihr einen Moment hinterher, als sie vom Wind davongetragen wurde, bevor sie sich zu Zach umdrehte. »Hast du sonst noch was entdecken können?«

»Du hast die Waffe auch gesehen?« Sie nickte. »Sie wurde heute nicht abgefeuert.«

Erneutes Nicken. »Sie ist geladen. Ich hab nachgesehen. Sonst noch was?«

»Zwei Sachen. Die Schuhe. Die auf dem Fußboden. Daran haftete eine starke Energie. Ich hab einen Streit zwischen einem Mann und einer Frau auffangen können.«

»King und seine Frau?«

»Das vermute ich jedenfalls. Übrigens hat King eine Melodie gepfiffen. Ich konnte das Lied jedoch nicht erkennen – dazu war es zu kurz. Aber er klang gut gelaunt.«

»So hat der Chief Kings Stimmung auch beschrieben. Wieso hat er sich dann umgebracht?«

Zach trat durch die Tür, als ein plötzlicher Windstoß den Vorhang erfasste und ihn in sein Gesicht wehte. Er wollte ihn wegschieben und erstarrte, da ihm ein heftiges Prickeln den Arm hinauflief.

»Ich will dich hier nicht sehen …«

Kings Stimme war so deutlich zu hören, dass Zach instinktiv über die Schulter sah. Der Vorhang bauschte sich erneut auf, berührte diesmal Zachs Hals, klammerte sich dort wie der Tentakel eines Tintenfischs fest, streichelte ihn wie eine Geliebte.

»Verschwinde! Lass mich …«

King wich zurück und kam dem Geländer immer näher. Zach bekam eine Gänsehaut auf dem Rücken. Verzweiflung. Das Gefühl zu ersticken.

»… in Ruhe …«

Zach zerrte sich den Vorhang vom Hals und starrte Mick erschrocken an. »King war nicht allein. Hier war noch jemand anderes. Ich hab ihn gehört. Er hat der anderen Person gesagt, dass sie verschwinden soll.«

»War es ein Mann oder eine Frau?«

Er schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht.«

Zach ging zu den anderen Vorhängen und strich mit den Händen darüber. Nichts. Da er Micks Blick bemerkte, trat er auf den Balkon und vor das Geländer.

»Hier«, sagte er. »Hier ist er runtergestürzt.«

»Was spürst du?«

»Nur … King. Sonst nichts.«

Die Rolex war der Schlüssel. Natürlich. Darum war King nach oben gekommen. Er hatte sie getragen, als er mit der anderen Person gesprochen hatte und dann vom Balkon gestürzt war.

Möglicherweise hatte die Uhr die Augenblicke absorbiert, die zu Kings Sturz geführt hatten.

»Ich brauche diese Rolex.«

»Aber du hast doch vorhin gesagt …«

»Da hab ich mich geirrt. Und ich brauche sie, bevor jemand anderes sie berührt.«

Kapitel 6

1:10 Uhr

Sie kamen zu spät. Als Micki bei den Kriminaltechnikern eintraf, war die Rolex bereits in eine Tüte gepackt, etikettiert und als Beweismittel aufs Revier gebracht worden.

Zach stöhnte frustriert auf. »Ich hab Mist gebaut.«

»Du bist eben auch nur ein Mensch«, erwiderte Micki und sah zu, wie die Etagennummern nacheinander aufleuchteten, als sie wieder nach oben fuhren. »Wir machen alle mal Fehler.«

»Ich bin ein halber Mensch«, widersprach er ihr. »Man sollte doch davon ausgehen, dass meine Lichthüterseite es besser könnte.«

Sie schnaubte. »Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, waren die Lichthüter auch ohne die Hilfe von uns Menschen dazu in der Lage, ziemlichen Mist zu bauen. Außerdem kannst du vielleicht trotzdem noch was von der Uhr auffangen.«

»Das ist möglich, aber unwahrscheinlich.«