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Gerade erst hat ein Hurrikan die Stadt verwüstet, da macht die Polizei von New Orleans eine grausige Entdeckung: In einem alten Kühlschrank liegen sechs rechte Frauenhände. Wer hat die kranke Tat begangen? Alles weist auf den Handyman hin: ein Serienkiller, der auch Captain Patti O’Shays Ehemann auf dem Gewissen hat. Ein dramatischer Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Patti muss dem Wahnsinnigen das Handwerk legen, ehe sie sein nächstes Opfer wird...
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Seitenzahl: 529
Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich
Die Handlung und Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen
Erica Spindler
Tote Stille
Roman
Aus dem Amerikanischen von Rainer Nolden
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Last Known Victim
Copyright © 2007 by Erica Spindler
erschienen bei: Mira Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Stefanie Kruschandl
Titelabbildung: pecher und soiron, Köln
Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A., Schweiz
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-381-6 ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-380-9
www.mira-taschenbuch.de
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
ERSTER TEIL
New Orleans, Louisiana
Sonntag, 28. August
16:00 Uhr
Die Götter hielten ihre schützende Hand über New Orleans. Jedenfalls sah es so aus. Wie sonst hätte diese traditionsreiche Stadt unterhalb des Meeresspiegels, dieses Juwel mitten im Sumpf, überleben können?
Überleben der Arten. Der Stärkeren. Des eigenen Ichs. Der instinktive Wille, um sein Leben zu kämpfen. Sich zur Wehr zu setzen.
Würde sie sich zur Wehr setzen?
Geh zur Tür. Öffne sie.
Dort war sie. Sie lag auf dem Bett. Schlafend.
Miststück. Billige, treulose Hure!
Sie hat es verdient. Sie hat dich verraten. Dein Herz gebrochen.
Sie bewegte sich. Seufzte. Ihre Augenlider flatterten.
Schnell. Geh zum Bett hinüber. Leg deine Hände um ihren Hals und drück zu.
Sie riss die Augen auf. Nackte Angst im tiefen Blau. Sie bäumte sich auf und krallte sich fest.
Fester! Fester! Ihre Schuld. Ganz allein ihre. Miststück! Verräterin!
Rote Flecken breiteten sich auf ihrer cremefarbenen Haut aus, verfärbten sich blau. Ihre Augen traten hervor wie bei einer Zeichentrickfigur.
Bloß kein Mitleid. Nicht lange überlegen. Sie hat es sich selbst zuzuschreiben. Sie verdient es nicht besser.
Ihre Hand fiel schlaff herab. Ein Zittern ging durch ihren Körper. Dann regte sie sich nicht mehr.
Fast geschafft. Atme tief durch. Beruhige dich. Bring zu Ende, was du tun musstest.
Ein Schrei durchdrang die Stille. Ein lautes Krachen, wie ein Gewehrschuss, erschütterte das Haus.
Das ist nur der Wind. Katrinas ungezügelte Wut. Mach, dass du wegkommst. Schnell! Jetzt kontrollier deine Ausrüstung. Schau nach, ob du alles hast, was du brauchst.
Reißfeste Müllbeutel. Gummihandschuhe und Stiefel. Einen wasserdichten Overall. Eine glänzende, neue Kettensäge. Eine sehr schöne Kettensäge.
Plastiktüte mit Reißverschluss.
Niemand kann dich hören. Keiner wird kommen. Alle sind gegangen.
Das hier ist eine menschenleere Stadt.
Mittwoch, 31. August
15:00 Uhr
Das hier ist eine verdammte Geisterstadt, dachte Captain Patti O’Shay. Oder eine Szene aus einem Katastrophenfilm. Das Leben nach der Apokalypse.
Es gab weder Wagen noch Omnibusse. Kein Mensch lief mehr durch die Straßen; niemand saß mehr auf den Stufen vor seinem Haus. Es herrschte unheilvolle Stille.
Langsam fuhr Patti mit ihrem Wagen stadteinwärts über die Tchoupitoulas Street, wich umgestürzten Strommasten, abgerissenen Äste und umgeknickten Baumstämmen aus. Während sie sich krampfhaft auf die Straße konzentrierte, versuchte sie, ihre Erschöpfung und Verzweiflung zu ignorieren.
Katrina hatte zugeschlagen, und alle düsteren Prophezeiungen waren Realität geworden: Die Deiche waren gebrochen, und das Becken, in dem New Orleans lag, war vollgelaufen. Randvoll.
Neunzig Prozent der Innenstadt inklusive des Polizeipräsidiums standen unter Wasser. Nur die höher gelegenen Gebiete waren unbeschadet davongekommen: das French Quarter, Teile des Garden Districts und die Außenbezirke. Und diese Straße hier, die parallel zum Mississippi verlief.
Es gab keine Elektrizität mehr in der Stadt. Kein fließendes Wasser. Grundnahrungsmittel wurden langsam, aber sicher knapp. Und auch an geregelte Polizeiarbeit war schon längst nicht mehr zu denken. Ein großer Teil der Einsatzfahrzeuge lag völlig zerstört inmitten der Fluten.
All jene Einwohner, die nicht rechtzeitig ihre Häuser verlassen hatten, saßen jetzt in der Falle. Auf Hausdächern und in Dachwohnungen. Auf Highways und Brücken. Ohne Nahrung, Wasser oder medizinische Versorgung waren sie der mörderischen Hitze hilflos ausgeliefert.
Doch das war nicht die einzige Gefahr. Denn inzwischen wurden die Straßen von Plünderern, Junkies und Ganoven beherrscht.
Um überhaupt noch arbeiten zu können, hatte das New Orleans Police Department Harrah’s Casino zur Einsatzzentrale umfunktioniert. Und das Royal Sonesta, eines der feinsten Hotels im French Quarter, diente vorübergehend als neues Polizeipräsidium.
Patti umklammerte das Lenkrad. Auch die gesamte Kommunikation war zusammengebrochen. Die Beamten des NOPD behalfen sich mit einer Handvoll Walkie-Talkies und einem provisorischen Funkkanal. Diesen Kanal mussten sie sich allerdings mit allen anderen Verwaltungsbehörden und der Bundespolizei teilen.
Leider verfügte das System über eine Konferenzschaltung, die seine Reichweite erheblich einschränkte. Fünf Meilen, dann war Schluss. Die Koordination von Einsätzen war auf diese Weise natürlich völlig unmöglich geworden.
Zu allem Überfluss redeten die Beamten oft gleichzeitig miteinander und sorgten so für das endlose Stimmengewirr, das auch in diesem Moment an Pattis Ohr drang – ein unaufhörlicher Strom von unzusammenhängenden Dienstgesprächen, Nachrichten und Alarmrufen.
Und dennoch: Irgendwie beruhigte Patti das Geräusch. Alles war besser als diese schreckliche Stille. Irgendwo da draußen gab es Überlebende, Menschen, die sich darum bemühten, die Normalität wiederherzustellen. Ein hörbarer Beweis, dass die Welt nicht untergegangen war.
Noch nicht. Denn Pattis Befürchtungen wurden mit jeder Sekunde größer.
Captain Sammy O’Shay, ihr Ehemann, wurde vermisst.
Seit dem Sonntag vor dem Sturm hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Er schien spurlos verschwunden zu sein.
Alle Polizisten waren angewiesen worden, während des Hurrikans im Dienst zu bleiben. Patti und Sammy hatten gemeinsam die Frühmesse in der St. Louis Cathedral besucht. Anschließend waren sie getrennt auf Streife gegangen.
Sie erinnerte sich an die Vorahnung eines entsetzlichen Verlustes, die sie beim Verlassen der Kirche plötzlich überfallen hatte. Eine unbestimmte Furcht. Die Empfindung war so überwältigend, dass es ihr fast den Atem verschlug.
Sammy schaute sie an. „Was ist los, Darling?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nichts.“
Aber so einfach war Sammy nicht zu täuschen. Liebevoll ergriff er ihre Hand.
Er war immer ihr Fels in der Brandung gewesen, ihr Schutz vor allen Stürmen des Lebens.
„Wird schon nicht so schlimm werden, Patti. Spätestens ab Mittwoch läuft alles wieder normal.“
Zum Abschied hatten sie sich umarmt. Und dann war die Hölle losgebrochen.
Heute ist Mittwoch, überlegte Patti. Und gar nichts läuft wieder normal. Ganz im Gegenteil.
Wo ist Sammy?
Trotz der schwülwarmen Luft, die durch die heruntergelassenen Scheiben des Streifenwagens drang, fröstelte Patti. Entschlossen schüttelte sie den Kopf, als könnte sie damit ihre Furcht und die Vorahnung verdrängen.
Sammy ging es gut. Er war nach Hause gegangen, um nach dem Rechten zu sehen, und dabei hatte ihm eine Flutwelle den Weg abgeschnitten. Oder er saß in der Falle, weil er versucht hatte, anderen Bewohnern bei der Flucht zu helfen. Typisch Sammy eben.
Schließlich war er ja Polizist und auch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Wenn er tatsächlich verletzt war und Hilfe brauchte, wusste er, wo er sie bekommen konnte. Nein – Sammy ging es gut. Sammy war am Leben.
Aber so viele wurden vermisst. So viele waren tot.
Das Walkie-Talkie knackte und rauschte. In der Innenstadt standen viele Gebäude noch immer in Flammen, und das Feuer drohte, völlig außer Kontrolle zu geraten. Hunderte von Flüchtlingen drängten sich in öffentlichen Einrichtungen. Einige Superreiche hatten sich private Sicherheitskräfte mit dem Hubschrauber einfliegen lassen. Kurz darauf waren angeblich die ersten Schüsse in der Nähe des Stadions gefallen.
Aber das waren alles nur Gerüchte. Alles nur unbestätigte Vermutungen, da die Kommunikation zusammengebrochen war.
Doch Patti brauchte Sicherheit.
Wo ist Sammy?
Plötzlich wurde das Stimmengewirr von einem lang anhaltenden Kreischen unterbrochen. Das Geräusch ging ihr durch Mark und Bein. Wenn man den Notrufknopf des Radios gedrückt hielt, konnte man auf diese vorsintflutliche Weise die Frequenz für einen Hilferuf freischalten. Das durchdringende Geräusch signalisierte den anderen Benutzern, dass es sich um einen Notfall handelte. Mit viel Glück unterbrachen sie ihr jeweiliges Gespräch dann so lange, bis die entsprechende Meldung durch war.
„Polizist niedergeschossen. Wiederhole: Polizist niedergeschossen. Audubon Place.“
Mühsam unterdrückte Patti das Zittern ihrer Hände und griff nach dem Walkie-Talkie. „Hier Captain Patti O’Shay. Ich bin auf der Tchoupitoulas Street Richtung Jefferson Avenue. Wie komme ich am schnellsten zum Audubon Place? Bitte melden!“
Sofort ertönten von allen Seiten Ratschläge zu den passierbaren Straßen: Sowohl auf der Louisiana als auch auf der Jefferson Avenue war eine Fahrspur freigeräumt worden. Auf der St. Charles Avenue war es dann möglich, den Straßenbahngleisen zu folgen, die die Bagger erst kürzlich wieder freigeschaufelt hatten.
Audubon Place war einer der beeindruckendsten Orte von New Orleans, vielleicht sogar des ganzen Südens. An dem von hohen Zäunen und schmiedeeisernen Toren umgebenen Platz lagen achtundzwanzig Herrenhäuser. Hier residierten die wohlhabendsten und ältesten Familien von New Orleans – Industriebarone oder auch der Präsident der Tulane University.
Aufgrund ihrer leicht erhöhten Lage hatte die Gegend den Sturm nahezu unbeschadet überstanden. Ganz im Gegensatz zu jenen Gebieten, in denen die weniger begüterten Bewohner von New Orleans hausten.
Doch nun waren die Bewohner des Audubon Place in weniger gefährliche Gefilde geflohen, und die vornehmen Häuser standen verlassen da. Eine leichte Beute für Plünderer – und eine sehr ergiebige noch dazu.
Auf dem Weg dorthin überstürzten sich Pattis Gedanken. Vielleicht erwies sich die Durchsage als falsch – wie so viele in den vergangenen Tagen. Und wenn nicht – wer war der Officer? War er tot? Oder nur verletzt? Wie gravierend waren seine Verletzungen – und wie zum Teufel sollte sie einen Notfallwagen herbeirufen?
Endlich erreichte sie ihr Ziel. Ein anderer Streifenwagen war vor ihr eingetroffen. Und die Berichte über die Privatarmeen waren wohl doch keine Gerüchte gewesen.
Vier schwer bewaffnete Männer in Tarnanzügen standen auf dem Nachbargrundstück unter einer prachtvoll geschwungenen Toreinfahrt. Um sie herum befand sich eine Ansammlung von Geländewagen und ein Bulldozer.
Patti kletterte aus dem Wagen. Die Beifahrertür des anderen Streifenwagens wurde geöffnet. Detective Tony Sciame, einer der Männer aus ihrem Team, stieg aus. Während seiner fast dreißig Jahre im Polizeidienst hatte er praktisch alles schon erlebt.
Langsam kam er auf sie zu. Seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, schien er um zehn Jahre gealtert.
Sie erwähnte es mit keinem Wort, denn ihr war klar, dass sie auf ihn genauso wirkte.
„Wie ist die Lage?“, erkundigte sie sich.
„Keine Ahnung. Ich bin auch gerade erst eingetroffen. Sie wollen mich nicht näher heranlassen.“
„Wie bitte?“
„Sie sagen, dass sie das Viertel bewachen. Aus Angst um ihre Häuser haben die Anwohner einen privaten Sicherheitsdienst engagiert.“
Mit Geld konnte man sich zwar keine Liebe kaufen, aber alles andere war zu haben – zu einem bestimmten Preis.
Auf dem Weg zu den Wächtern fiel Pattis Blick auf einen dritten Streifenwagen. Er stand ein paar Häuser weiter hinter dem Tor. Unvermittelt wurde ihr Herz schwer wie Blei.
„Wer ist hier verantwortlich?“, fragte sie die Männer.
„Ich. Major Stephens. Blackwater, USA.“
„Captain Patti O’Shay, New Orleans Police Department.“ Sie zeigte ihre Dienstmarke. „Wir haben gehört, dass ein Polizist angeschossen wurde.“
Sorgfältig prüfte Major Stephens ihren Ausweis, ehe er sie hineinwinkte. „Folgen Sie mir.“
Er begleitete Patti zu dem dritten Streifenwagen auf der anderen Seite des Tors. Das Summen der Generatoren, die die Villen mit Strom versorgten, drang an ihr Ohr. So war es immer im Leben: Die Armen traf eine Katastrophe ungleich heftiger als die Reichen.
Und für die Superreichen war Katrina offenbar kaum mehr als eine kleine Unannehmlichkeit.
Das Opfer lag ein paar Meter vor dem Wagen – mit dem Gesicht nach unten im Schlamm.
„Keine Dienstmarke“, erklärte Major Stephens. „Die Waffe ist auch verschwunden.“
Während sie sich der Leiche näherten, wurde der Verwesungsgeruch intensiver. Trotz der Hitze hatte Patti eiskalte Hände.
„Es sieht so aus, als hätte man ihm mit einem schweren Gegenstand auf den Hinterkopf geschlagen“, fuhr der Major fort. „Dann wurde auf ihn geschossen. Zwei Mal. In den Rücken.“
Sie standen vor dem zusammengesunkenen Körper. Patti schaute auf den Toten hinunter. Ihr war schwindlig, und das Blut raste durch ihre Adern.
„Ist wahrscheinlich schon vor dem Sturm passiert. Die Verwesung ist schon ziemlich weit fortgeschritten“, sagte Tony nach kurzem Zögern.
Patti öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, brachte aber keinen Ton heraus.
Sie kannte diesen Officer. Kannte ihn sehr gut. Lange hatten sie ihre Probleme, Hoffnungen und Träume geteilt. Fast dreißig Jahre waren sie miteinander verheiratet gewesen.
Das konnte nicht wahr sein.
Aber es war die Wahrheit.
Ihr Ehemann war tot.
Donnerstag, 20. Oktober
11:00 Uhr
Patti starrte auf den Computerbildschirm. Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen. Dieser Artikel war inzwischen zwei Monate alt.
„Grauenvoller Mord an NOPD-Captain
New Orleans, 31. August. Der Schock sitzt tief. Vor wenigen Stunden mussten Beamte des NOPD eine grauenvolle Entdeckung machen. Als sie ein Hilferuf vom Audubon Place erreichte, entdeckten sie dort die Leiche eines Kollegen: Captain Sammy O’Shay war seit 30 Jahren unermüdlich für die Bürger von New Orleans im Einsatz. Nun fand seine Karriere ein ebenso schreckliches wie abruptes Ende. Der Täter wird unter den Plünderern vermutet, die in dem Prominentenviertel auf Beutezug waren. Die Ermittlungen wurden unverzüglich aufgenommen.“
Unverzüglich. Patti unterdrückte ein bitteres Lachen. Das war ja wohl ein schlechter Scherz. Die Ermittlungen waren keineswegs unverzüglich aufgenommen worden. Sie waren gar nicht aufgenommen worden. Seit genau acht Wochen war absolut nichts passiert.
Die Stadt und all ihre Behörden befanden sich im Ausnahmezustand. Es ging ums nackte Überleben. Wie sollte man eine Untersuchung ohne Beweise, technische Ausrüstung oder Personal durchführen? New Orleans war ein einziges Chaos. Ein Mord gehörte inzwischen zu den kleineren Problemen. Weite Teile der Stadt verfügten ja noch nicht einmal über eine intakte Trinkwasserversorgung.
Patti grub die Fingernägel in die Handflächen. Sie wollte Antworten. Gewissheit. Bisher wusste sie ja noch nicht einmal wirklich, ob Sammy vor oder nach dem Sturm erschossen worden war.
Nach Ansicht ihres Chefs hatte Sammy die tödliche Kugel getroffen, als er die Plünderer auf frischer Tat ertappte. Das klang durchaus einleuchtend, wenn man Tatort und Tatzeit berücksichtigte. Aber wenn dem so war, warum hatte sich Sammy dann den ganzen Tag lang nicht gemeldet? Vor dem Zusammenbruch des Funkverkehrs hätte er dazu jede Möglichkeit gehabt.
Aber Sammy hatte geschwiegen.
Warum?
Dafür konnte es jede Menge logische Gründe geben. Und noch viel mehr unlogische. Es war zum Verzweifeln.
Während sie sich den pochenden Schmerz aus den Schläfen zu massieren versuchte, rekapitulierte Patti, was sie über Sammys Tod wusste.
Sein Hinterkopf wies eine Verletzung auf, ausgeführt mit einem stumpfen Gegenstand. Dies ließ darauf schließen, dass der Mörder ihn überrascht und von hinten angegriffen hatte. Anschließend war Sammy entwaffnet und ihm mit der eigenen Pistole zwei Mal in den Rücken geschossen worden.
Sein Streifenwagen war nicht verschlossen gewesen. Der Schlüssel steckte im Zündschloss, und das Innere des Fahrzeugs war sauber gewesen. Sammys Dienstmarke und Pistole waren verschwunden, als man ihn gefunden hatte. Da jedermann den Fundort betreten konnte, waren sämtliche verwertbaren Hinweise auf den oder die Täter längst zerstört.
„Captain? Alles in Ordnung?“
Blinzelnd schaute Patti vom Computerbildschirm auf. Detective Spencer Malone stand an der Tür ihres provisorischen Büros. Er war nicht nur einer ihrer Detectives, sondern auch ihr Neffe und Patensohn.
„Mir geht’s gut. Was ist denn?“
Er ging nicht auf ihre Frage ein. „Du hast dir die Schläfen gerieben.“
„Wirklich?“ Irritiert ließ sie die Hände in den Schoß sinken. Seit Sammys Tod waren fast zwei Monate vergangen, und sie hatte allmählich genug vom Mitgefühl der anderen. Es war schmerzhaft genug auch ohne die ständigen Bekundungen von Kollegen und Freunden. Manchmal behandelten sie sie, als könnte sie jeden Moment zusammenbrechen.
Captain Patti O’Shay war Teil einer NOPD-Familiendynastie: Schon Pattis Großvater war ein Cop gewesen, ebenso wie ihr Vater und ihr Schwager. Heute gehörten außerdem noch drei Neffen und eine Nichte dazu. So viel Familie am Arbeitsplatz bedeutete allerdings auch, dass man ständig unter Beobachtung stand.
„Ein bisschen Kopfweh. Nichts Ernstes.“
„Bist du sicher? Vor deinem Herzanfall …“
„… war ich immer müde und habe mir die Schläfen gerieben?“
„Ja.“
Im Frühjahr vor Katrina hatte sie eine leichte Herzattacke gehabt. Aber das hier war etwas vollkommen anderes. „Wie gesagt, mir geht’s gut. Wolltest du was Bestimmtes?“
„Auf einem der Kühlschrank-Friedhöfe gibt es offenbar ein Problem“, sagte Spencer.
Die Einwohner von New Orleans, die wegen Katrina aus der Stadt gebracht worden waren, hatten ihre gefüllten Kühlschränke und Gefriertruhen zurücklassen müssen. Wochenlang waren die Geräte ohne Strom gewesen. Als ihre Besitzer nach und nach zurückkehrten, banden die meisten von ihnen die übel riechenden Geräte mit Seilen fest zusammen und stellten sie an den Straßenrand. Von dort aus wurden sie auf einen der zahlreichen Sammelplätze in der Stadt transportiert, wo sie von einer Abteilung der Umweltschutzbehörde geleert wurden. Diese Sammelstellen wurden „Kühlschrank-Friedhöfe“ genannt.
„Ein Problem?“, wiederholte sie.
„Ein ziemlich großes. Die Leute von der Umweltschutzbehörde haben in einem der Geräte eine interessante Entdeckung gemacht: ein halbes Dutzend menschliche Hände.“
Patti fuhr mit Spencer zum Fundort. Der Einsatzleiter der Umweltbehörde, ein Mann namens Jim Douglas, begrüßte sie schon, ehe sie ausgestiegen waren.
„So was Ekelhaftes habe ich noch nie erlebt“, gestand er. „Zuerst habe ich gedacht, Paul will mich auf den Arm nehmen. Wenn man den ganzen Tag mit so was beschäftigt ist …“, mit einer ausladenden Handbewegung deutete er über den Platz, „… macht man schon mal gern ein paar Witze, wenn Sie verstehen.“
„Vollkommen“, murmelte Spencer. „Und jetzt verstehe ich auch endlich, warum manche Leute sagen, dass ihnen ihr Job stinkt.“
„Das können Sie laut sagen. Keine Sorge, Sie gewöhnen sich an den Geruch.“
Patti machte sich nicht die Mühe, ihm zu erklären, dass eine der ersten und wichtigsten Lektionen bei der Polizei darin bestand, sich Erkältungssalbe unter die Nase zu reiben, ehe man einen Tatort wie diesen aufsuchte.
Hier stank es allerdings erbärmlicher als alles, was sie jemals erlebt hatte – und das wollte etwas heißen. Ihre Augen tränten jetzt schon, dabei hatten sie das Areal noch nicht einmal richtig betreten.
Der Mann begleitete sie zu einem Container. „Ich habe Overalls und Gesichtsmasken für Sie. Sie werden Sie brauchen.“
Er winkte sie hinein und reichte ihnen weiße Schutzanzüge mit Kapuzen, Überziehschuhe und Atemschutzmasken.
Nachdem sie die Kleidung angelegt hatten, eilten sie zu der Stelle, wo der bewusste Kühlschrank stand. Patti erschien die Szenerie vollkommen irreal: endlos lange Reihen von entsorgten Kühlschränken und Tiefkühlgeräten, wohin das Auge blickte. Lebensmittelgräber auf einem riesigen, im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stinkenden Friedhof.
Manche Kühlschränke verkündeten Botschaften, die die wütenden, resignierten oder enttäuschten Opfer des Hurrikans auf die Geräte geschrieben hatten: mit „Bis dann, Sir Stinker“, „Verwese in Frieden!“ oder „Vielen Dank, Katrina“.
An vielen der Haushaltsgeräte klebten noch Kalender, Kinderzeichnungen und Fotos. Jedes war ein Schnappschuss von einem aus den Fugen geratenen Leben. Ein Dokument aus einer Zeit, die für immer vorbei war.
„Diese Geräte enthalten gesundheitsschädliche Abfälle“, erklärte Douglas, während sie an einer Reihe von unbrauchbar gewordenen Kühlschränken entlanggingen. „Deshalb ist die Umweltschutzbehörde hier. Erst räumen wir den Inhalt aus. So haben wir die Hände entdeckt. Dann säubern wir das Gerät mit einem Hochdruckreiniger, entsorgen die Kühlflüssigkeit aus den Aggregaten und das Öl aus den Kompressoren.“
„Wie viele Kühlgeräte liegen hier denn?“, fragte Spencer. Dem Klang seiner Stimme nach zu urteilen empfand er die Szenerie offenbar ebenso bizarr wie Patti. Allerdings gab es in New Orleans seit dem 29. August kaum noch etwas, das nicht bizarr wirkte.
„Etwa zehntausend“, antwortete Douglas. „Und wir haben gerade erst angefangen. Insgesamt rechnen wir mit einer Viertel Million.“
Spencer pfiff durch die Zähne. „Das sind ja eine Menge Stinkbomben.“
Der Mann musste grinsen. „Das können Sie laut sagen. Die gute Nachricht ist: Sie werden recycelt. Wenn wir sie geleert haben, werden sie zusammengepresst und in einer Fabrik geschreddert. Danach wird das Material getrennt. Das ist schon eine tolle Sache – wenn man das überhaupt so sehen kann. So, da wären wir.“
Weder Patti noch Spencer hätten das Gerät übersehen können. Der leitende Officer hatte die Umgebung weiträumig abgesperrt. Zwei Männer, ebenfalls in Schutzanzügen, standen auf der anderen Seite des Absperrbands.
Dann sahen sie die Hände. Oder das, was von ihnen übrig geblieben war. Sie waren fast vollständig skelettiert. Man hatte sie auf einer Plastikplane ausgebreitet, die auf der Erde ausgebreitet war. Neben jeder lag ein Plastikbeutel mit Reißverschluss. Patti überlegte, ob sie aus diesen Überresten brauchbare DNS gewinnen könnten. Der Inhalt der Beutel erinnerte sie an Gumbo, das klassische Eintopfgericht der Südstaaten.
DNS-Suppe. Sehr appetitlich.
Patti konzentrierte sich auf den Kühlschrank. Es war ein einfaches Modell mit einem Dreisternegefrierfach, eine schlichte Ausführung ohne Eiswürfelspender.
Der größere der beiden Männer trat einen Schritt vor. „Officer Conelly, Captain. Ich habe den Anruf entgegengenommen.“
„Haben Sie das Gebiet abgesperrt?“
„Ja. Ich habe den Fund bestätigt und gemeldet.“
„Gut. Rufen Sie im Revier an und fragen Sie, ob sie uns ein Team von der Spurensicherung schicken können.“ Sie wandte sich an den anderen Mann. „Paul, ich bin Captain O’Shay, und das ist Detective Malone. Sie haben die Hände gefunden?“
Er nickte. „Wahrscheinlich hätte ich Jim sofort holen sollen, aber ich hab erst gar nicht geschnallt, was das war. Als es mir dann schließlich klar wurde, war ich wie vom Donner gerührt, das können Sie mir glauben.“
„Das wäre jedem so gegangen, Paul. Erzählen Sie uns doch bitte genau, was passiert ist.“
„Also, wir gehen immer nach derselben Methode vor: Erst leeren wir die Geräte. Werfen alles in die Abfallcontainer. Entweder mit der Hand oder mit Greifzangen. Und danach kommt der Hochdruckreiniger. Meistens finden wir nur Matsch in den Kühlschränken. Die Dinger haben ja seit Wochen keinen Strom mehr gehabt. Es ist schon ziemlich ekelhaft.“
Das glaubte Patti ihm aufs Wort. „Wo haben Sie die Hände entdeckt?“
„Die waren in dem Kühlschrank da.“ Er zeigte mit dem Finger auf das Gerät. „Mir wäre gar nichts aufgefallen, wenn nicht einer der Säcke gerissen wäre. Da hatte wohl der liebe Gott seine Finger im Spiel.“
Und ganz bestimmt auch der Teufel, dachte Patti.
„Aber Sie haben Mr. Douglas nicht sofort geholt?“
„Ich war wie vom Donner gerührt, das können Sie mir glauben. Erst habe ich gar nicht kapiert, was ich da gesehen habe. Dachte, einer meiner Kumpels hätte sich einen schlechten Scherz erlaubt.“
Seine Stimme zitterte ein wenig. Ob vor Aufregung oder Entsetzen, da war Patti sich nicht ganz sicher.
„Also hab ich die eine da erst einmal auf den Boden gelegt, um sie mir genauer anzusehen. Na ja, sie hat wirklich nicht wie ein Plastikding ausgesehen. Dann habe ich die nächste gefunden.“ Er warf Douglas einen Blick zu. „Und habe Jim geholt.“
„Und gemeinsam haben Sie dann vier weitere rausgeholt?“ Wieder nickte er. „Nachdem uns klar war, um was es sich da handelte, waren wir sehr vorsichtig.“
„Sehr gut.“ Sie schaute zu Douglas hinüber. „Wissen wir, woher der Kühlschrank stammt?“
„Irgendwo aus der Innenstadt von New Orleans.“
„Sie können nicht sagen, aus welcher Straße …?“
„Nur den Bezirk.“
Das war zwar keine befriedigende Antwort, aber sie war nicht überrascht. Die Säuberungsaktionen waren gigantisch. Die Trümmer, die der Sturm zurückgelassen hatte, entsprachen ungefähr der Schuttmenge, die sich sonst innerhalb von dreißig Jahren in New Orleans ansammelte. Rund neunzig Millionen Kubikmeter. Damit konnte man den Superdome zweiundzwanzig Mal bis zum Rand zu füllen.
Sie wandte sich wieder an Paul. „Ist Ihnen sonst irgendetwas Ungewöhnliches an dem Gerät aufgefallen?“
Er überlegte einen Moment. „Nichts. Tut mir leid.“
„Falls Ihnen noch was einfällt, sagen Sie uns Bescheid.“ Sie reichte Jim Douglas die Hand. „Wir schauen uns hier mal ein wenig um. Wenn die Spurensicherung kommt, schicken Sie sie bitte hierher?“
Das werde er tun, versicherte er, und während er mit Paul davonging, wandte sie sich an Spencer. Er kauerte vor den Händen.
„Es sind alles rechte Hände“, stellte er fest. „Also sechs Opfer.“
Sie runzelte die Stirn. „Warum rechte Hände?“
„Warum überhaupt Hände?“, konterte er.
„Offensichtlich sind es Trophäen.“
„Dann schlägt Katrina zu, und dieser perverse Dreckskerl verliert seine Sammlung.“ Er streifte Latexhandschuhe über und legte seine eigene Hand neben die skelettierten Überreste. „Frauenhände. Für einen Mann sind sie zu klein.“
Sie zog ebenfalls Handschuhe an und hockte sich neben ihn. Beim Vergleichen stellte sie fest, dass die Hände etwa so groß waren wie ihre eigenen. „Sie könnten aber auch zu einem männlichen Jugendlichen gehören. Einem Teenager vielleicht.“
„Vielleicht.“ Spencer legte den Kopf schräg. „Schau dir das hier an. Diese vier sind sehr sauber abgetrennt.“
„Und diese beiden einfach abgehackt“, murmelte Patti.
„Mit der Zeit hat er es besser hingekriegt.“
„Übung macht den Meister.“
„Ein ziemlich abgefahrener Gedanke.“
„Ich habe noch einen.“ Patti erhob sich. „Sie waren alle gefroren. Der Verwesungsprozess hat bei allen gleichzeitig eingesetzt – als der Strom ausfiel.“
„Also können wir nicht feststellen, wann die Verstümmelung stattgefunden hat“, setzte Spencer ihre Überlegungen fort. „Hätte kurz vor Katrina sein können …“
„Oder vor Jahren.“
„Genau.“
„Und wir wissen nicht, wie viele Leute sich an diesem Kühlschrank zu schaffen gemacht haben. Oder wie lange er im Freien gestanden hat und dem Wetter ausgesetzt war.“
Spencer runzelte die Stirn. „Es grenzt also an ein Wunder, wenn wir Spuren finden.“ Damit meinte er Indizien wie Haare oder Fasern.
„Oder brauchbare Fingerabdrücke“, nickte Patti. „Wir wissen ja nicht mal, woher der Kühlschrank stammt. Wir hängen also vollkommen in der Luft.“
„Wie frustrierend“, stöhnte Spencer.
„Da hast du recht“, entgegnete Patti. „Selbst wenn wir tatsächlich verwertbare DNS entdecken, wüssten wir nicht, womit wir sie vergleichen sollen.“
„Das wird immer düsterer und unbefriedigender“, murmelte Spencer. „Da macht die Arbeit ja richtig Spaß.“ Das sollte witzig sein.
Die Spurensicherung, bestehend aus einem einzigen Mann, traf ein. Patti erkannte ihn an seiner Ausrüstung. Offenbar musste er alles im Alleingang machen – Fotografieren, Fingerabdrücke nehmen, Hinweise sammeln.
Patti überlegte, wo sie ihn wohl aufgetrieben hatten. Es gab kaum noch bewohnbare Häuser, und selbst die Leute, die noch Arbeit hatten, wussten nicht, wo sie leben sollten. Hunderte NOPD-Officer wohnten derzeit auf einem Vergnügungsdampfer, der am Ufer des Mississippi mitten in der Stadt lag.
„Grundgütiger“, sagte der Beamte, während er seine Utensilien abstellte. „Was haben wir denn hier?“
Spencer zeigte mit dem Finger darauf. „Die Kollektion eines Sammlers.“
Der Mann schnitt eine Grimasse und schüttelte den Kopf. „Das wird ja immer makaberer. Das Verrückteste, das ich bisher gesehen habe, war der Hai, der über den Veterans Boulevard geschwommen ist. So was vergisst du dein ganzes Leben nicht mehr. Aber das hier …“
Er machte seine Kamera fertig. „Ich bin bei meiner Mom in St. Tammany untergeschlüpft. Auf ihrem Grundstück sind vierzig Bäume umgestürzt, aber keiner ist ihr aufs Haus gefallen. Können Sie sich das vorstellen?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er mit seiner Arbeit. Patti lächelte schief. Es gab kaum jemanden, der nicht etwas Ähnliches erlebt hatte. Nach Katrina konnte jeder jedem seine persönliche Sturmgeschichte erzählen.
Sie wandte sich an den anderen Officer. „Conelly, helfen Sie ihm. Sehen Sie zu, dass nichts übersehen wird. Melden Sie sich bei mir, wenn Sie fertig sind.“
Zusammen mit Spencer ging sie zum Wagen zurück. Sie sprachen erst wieder, als sie ihre Schutzanzüge ausgezogen hatten und in Spencers altem Camaro saßen.
„Wir suchen zunächst nach einem Opfer“, begann Patti. „Schau im Computer nach, ob es einen Bericht über jemanden gibt, dem eine Hand fehlt. Tony soll dir dabei …“
Sie wollte gerade sagen „zur Hand gehen“. Er hatte erraten, warum sie sich unterbrochen hatte, und musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
Sie lächelte grimmig. „Detective Sciame soll dir helfen. Halt mich auf dem Laufenden.“
Er nickte, und sie verfielen wieder in Schweigen. Während Spencer den Wagen lenkte, schaute Patti hinaus in die zerstörte Landschaft und geriet ins Grübeln. Nicht genug damit, dass die Stadt praktisch wieder neu aufgebaut werden musste. Jetzt mussten sie auch noch einen Serienmörder fangen.
ZWEITER TEIL
Zwei Jahre später
Freitag, 20. April
12:00 Uhr
Der City Park war über fünf Quadratkilometer groß, eine lang gestreckte Parklandschaft im Herzen von New Orleans. Er galt als eine der ältesten städtischen Grünanlagen Amerikas. Vor Katrina hatte es hier drei Golfplätze, ein Tenniszentrum und mehrere Seen mit Gondeln und Paddelbooten gegeben, daneben ein Märchenland, einen Vergnügungspark und das New Orleans Museum of Art. Es würde noch eine Weile dauern, bis der Park wieder in seiner ursprünglichen Pracht erblühte.
An diesem Freitag war er der Schauplatz einer grausigen Entdeckung. Man hatte menschliche Überreste gefunden.
Spencer parkte seinen Camaro, Jahrgang 1977, vor dem Bayou Oaks Golfzentrum. Der Einsatzleiter hatte von „skelettierten Fundstücken“ gesprochen. Es waren sicherlich nicht die ersten in seiner Karriere. Das subtropische Klima Louisianas mit ausgiebigen Regenfällen, langen heißen Sommern und saurem Boden beschleunigte den Verwesungsprozess. In dieser Umgebung dauerte es oft kaum mehr als zwei Wochen, bis von einer Leiche nur noch die Knochen und ein paar Faserreste übrig waren.
Mit röhrendem Motor rollte Detective Tony Sciame auf den kiesbedeckten Platz. Spencer schlenderte zu seinem Kollegen hinüber. Sein Ford Taurus hatte auch schon bessere Tage gesehen. Die Tür flog auf, und Tony hievte sich aus dem Gefährt.
Der Duft von Pommes frites umwehte ihn. Der Anruf hatte ihn offenbar beim Mittagessen gestört.
„Hallo, Pasta“, begrüßte Spencer ihn. „Weiß Betty eigentlich, dass du diesen Müll in dich hineinstopfst?“
Betty und Tony waren seit vierunddreißig Jahren verheiratet. Sie achtete sehr genau auf die Ernährung ihres Mannes, im absoluten Gegensatz zu ihm. Im Lauf der Jahre hatte sich zwischen den beiden daher regelrecht ein kulinarischer Machtkampf entwickelt.
„Klar weiß sie das, Grünschnabel. Meine Betty ist schließlich eine sehr kluge Frau.“
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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