Falling for Eve Brown - Talia Hibbert - E-Book

Falling for Eve Brown E-Book

Talia Hibbert

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Beschreibung

Der BookTok-Erfolg für alle, die beim Lesen von Ali Hazelwoods The Love Hypothesis dahingeschmolzen sind. In Eve Browns Leben läuft nichts nach Plan. Egal, wie sehr sie sich anstrengt, alles geht schief. Als sie versehentlich eine teure Hochzeit ruiniert (irgendjemand musste doch die armen Tauben befreien!), ziehen ihre Eltern einen Schlussstrich. Eve soll endlich erwachsen werden, einen Job finden und ihr Leben in den Griff bekommen.  Jacob Wayne hat alles unter Kontrolle. Immer. Als Eve mit ihren violetten Haaren wie ein Tornado in seinem Bed and Breakfast auftaucht, um sich bei ihm als Chefköchin zu bewerben, ist klar: nur über seine Leiche! Doch nachdem ihn Eve (unabsichtlich) mit ihrem Auto angefahren hat und sein Bed and Breakfast unterbesetzt ist, muss er ihr eine Chance geben. Die unberechenbare Eve bringt alles durcheinander und Jacob fast um den Verstand. Dabei erobert sie nicht nur seine Küche, sondern auch sein Herz. Das Finale der Bestseller-Serie aus England. Band 1: Kissing Chloe Brown Band 2: Chasing Dani Brown Der Roman kann auch unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden.

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Seitenzahl: 570

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Falling for Eve Brown

Die Autorin

TALIA HIBBERT ist eine britische Autorin, die in einem Schlafzimmer voller Bücher lebt. Sie schreibt Sexy Diverse Romances, weil sie findet, dass auch Minderheiten und Randgruppen ehrlich und positiv dargestellt werden sollten. Talia liebt Junkfood, Make-up und Sarkasmus.

Das Buch

Gegensätze ziehen sich anIn Eve Browns Leben läuft nichts nach Plan. Egal, wie sehr sie sich anstrengt, alles geht schief. Als sie versehentlich einen Auftrag als Hochzeitsplanerin vergeigt, ziehen ihre Eltern einen Schlussstrich. Eve soll endlich zu Hause ausziehen, einen Job finden und ihr Leben in den Griff bekommen.Jacob Wayne hat alles unter Kontrolle. Immer. Als Eve mit ihren violetten Haaren wie ein Tornado in seinem Bed and Breakfast auftaucht, um sich bei ihm als Chefköchin zu bewerben, ist klar: nur über seine Leiche! Doch nachdem ihn Eve (unabsichtlich) mit ihrem Auto angefahren hat und sein B&B unterbesetzt ist, muss er ihr eine Chance geben. Die unberechenbare Eve bringt alles durcheinander und Jacob fast um den Verstand. Dabei erobert sie nicht nur seine Küche, sondern auch sein Herz.

Talia Hibbert

Falling for Eve Brown

Aus dem Englischen von Sybille Uplegger

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin1. Auflage Juli 2022© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022© 2021 by Talia Hibbert© 2021 Avon, HarperCollinsPublishersDie amerikanische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel: Act Your Age, Eve BrownUmschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, MünchenMotiv (Paar): © illustration by Ashley CaswellE-Book powered by pepyrusISBN 978-3-95818-507-4

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Anmerkung der Autorin

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Thirty

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Anmerkung der Autorin

Anmerkung der Autorin

In dieser Geschichte geht es auch um die Vernachlässigung von Kindern und anti-autistischen Ableismus. Wer auf solche Themen sensibel reagiert, möge beim Lesen besondere Achtsamkeit walten lassen (und kann sich gewiss sein, dass am Ende das Gute triumphiert).

1. Kapitel

Eve Brown führte keinen Terminkalender. Sie führte ein Journal. Das war ein Unterschied.

Terminkalender waren beängstigend ordentlich und auf geradezu schreckliche Weise deskriptiv. Sie beinhalteten Daten, Pläne, Regelmäßigkeit und die drückende Last der Verantwortung. Journale hingegen waren wilde, ungezähmte Geschöpfe, die keinen Gesetzen folgten. Man konnte ein Journal wochenlang vernachlässigen und es dann an einem beliebigen Samstagabend unter dem Einfluss von Wein und Marshmallows wieder aufschlagen, ohne dabei Gewissensbisse empfinden zu müssen. Frau konnte hineinschreiben, was sie letzte Nacht geträumt hatte oder dass die Richtungslosigkeit ihres Lebens ihr Angst machte, oder sie konnte ihrer Empörung über die Autorin der spannenden Online-Fanfiction »Tasting Captain America« Luft machen, die seit dem grandiosen Tittenfick-Cliffhanger im Dezember 2017 kein Kapitel mehr veröffentlicht hatte. Nur so als Beispiele.

Kurz gesagt: Bei einem Journal konnte man nichts verkehrt machen. Das lag in der Natur der Sache. Eve besaß viele Journale. Und sie hatte sie ziemlich gern.

Was wäre also eine bessere Beschäftigung für einen wunderschönen, faulen Sonntagmorgen im August gewesen, als den kometenhaften Aufstieg und spektakulären Fall ihrer jüngsten beruflichen Unternehmung zu Papier zu bringen?

Sie streckte sich, kletterte aus ihrem großen Doppelbett und zog die Samtvorhänge vor den bodentiefen Fenstern zurück. Heller Sommersonnenschein flutete das Zimmer. Eve nahm ihr seidenes Kopftuch ab und warf es beiseite, streifte sich die Socken mit der Sheabutter-Pflegemaske von den Füßen, die sie über Nacht getragen hatte, und angelte sich ihr Journal vom Nachttisch. Die mit Goldschnitt verzierten Seiten umblätternd, machte sie es sich wieder im Bett bequem und begann zu schreiben.

Guten Morgen, Darling,

– mit »Darling« war natürlich das Journal gemeint.

Cecelias Hochzeit ist jetzt acht Tage her. Es tut mir leid, dass ich nicht schon früher geschrieben habe, aber da du ein unbelebter Gegenstand bist, spielt das streng genommen wohl keine Rolle.Mit Bedauern muss ich vermelden, dass nicht alles hundertprozentig nach Plan gelaufen ist. Es gab da ein kleines Malheur mit Cecelias Corsage, die nicht elfenbeinfarben, sondern eierschalenfarben war, aber das Problem konnte ich beheben, indem ich ihr einfach vorschlug, sich von Gigi eine Xanax zur Beruhigung geben zu lassen. Leider folgte dann wenig später das Theater mit den Tauben. Eigentlich hätten sie für die Hochzeitsfotos über Cecelia und Gareth in den Himmel steigen sollen, aber kurz vor der Trauung stellte ich fest, dass ihr Betreuer (damit meine ich den Betreuer der Tauben, nicht den von Cece und Gareth [das war ich]) die Tiere seit zwei Tagen (!!!) nicht mehr gefüttert hatte, damit sie den Gästen nicht auf den Kopf schissen.Ich finde, wenn man schon mit Tieren arbeiten will, muss man ihre Natur respektieren und sich unter Umständen eben auch mit dem einen oder anderen Kackespritzer abfinden. Jedenfalls darf man die armen Kreaturen auf gar keinen Fall hungern lassen, nur um besagte Kackespritzer zu vermeiden. Jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch würde das einsehen.Möglicherweise konnte ich mich nicht beherrschen und habe sie freigelassen. Die Tauben, meine ich. Zumal sie ja ganz eindeutig für die Freiheit geboren sind – daher auch die Flügel und so weiter. Leider hat der Besitzer von mir verlangt, ihm den Verlust zu erstatten, was in gewisser Weise wohl gerechtfertigt war. Wie sich he­rausstellte, sind Tauben ziemlich teure Vögel, deshalb musste ich um einen Vorschuss auf meine monatliche Zuwendung aus dem Treuhandfonds bitten. Hoffentlich kriegt meine Mutter nichts mit.Wie auch immer, Darling, um es kurz zu machen: Cecelia und ich haben uns leider zerstritten. Anscheinend hing ihr Herz doch sehr an der Idee mit den Tauben, und vielleicht hatte die Xanax ihre Zunge gelockert, denn sie hat gesagt, ich sei eine egoistische, neidische Kuh, woraufhin ich sie als undankbare Platzverschwendung in Menschengestalt bezeichnet und die Schleppe von ihrem Vera-Wang-Kleid abgerissen habe – natürlich aus Versehen, was denn sonst? Außerdem habe ich den Schaden rechtzeitig zur Zeremonie notdürftig wieder repariert, insofern weiß ich wirklich nicht, weshalb sie so einen Aufstand gemacht hat.Wie ich die unvergleichliche Cecelia kenne, wird sie garantiert ihre ganzen Flitterwochen auf Fidschi damit verbringen, in diversen Brautzilla-Foren über mich herzuziehen und so meinen beruflichen Traum zu zerstören. Aber da hat sie die Rechnung ohne mich gemacht, denn ich habe gar keinen beruflichen Traum, und außerdem habe ich meine Agentur Eve Antonia Weddings bereits vom Angesicht des Internets getilgt. Und da behauptet Chloe immer, ich wäre nicht effizient!

Ha.

Eve beendete ihren Eintrag und klappte das Journal mit einem zufriedenen Lächeln zu. Oder sagen wir lieber: Sie hätte gerne zufrieden gelächelt, allerdings war sie eher traurig und ein bisschen angewidert.

Eve kannte Cecelia seit der Schulzeit. Sie war in ihrer Gegenwart immer ein bisschen nervös, aber so erging es ihr mit den meisten Menschen. Da war ständig dieses Gefühl, am Rande eines Abgrunds zu balancieren. Manchmal war sie die flippige, unterhaltsame Freundin, die jeder gern um sich hatte, aber manchmal auch das anstrengende Nervenbündel, das sie, ohne nachzudenken, in die Schlucht stießen.

Bei Cecelia allerdings hatte sie ihren Absturz ganz allein zu verantworten. Als sie daran dachte, fühlte sich ihr Magen an wie eine Grube voller sich windender Schlangen.

Gott, sie hatte eine richtige Scheißlaune. Vielleicht wäre es besser, sich wieder schlafen zu legen oder sich einen ihrer Liebesromane vorzunehmen oder –

Nein. Schluss mit Trübsalblasen. Scheißlaune hin oder her, sie hatte Pflichten. Jemand musste ihrer Schwester Chloe schreiben, um sich zu erkundigen, ob ihre Fibromyalgie ihr den Tag zu versauen drohte – und gegebenenfalls mit frisch gebackenen Leckereien bei ihr vorbeifahren. Jemand musste Gigis tropische Fische füttern, auch wenn Gigi das neuerdings nur noch selten vergaß und die Fische ganz schön fett geworden waren. Jemand musste …

Hmm. Eve war sicher, dass sie noch andere nützliche Dinge tat, aber ihr fielen keine ein.

Sie schüttelte ihre depressive Stimmung ab, wählte den Song des Tages aus – »Don’t Rain on My Parade«, zur Aufheiterung –, stellte ihn auf Repeat und steckte sich einen ihrer AirPods ins Ohr. Mit dem adäquaten Soundtrack ausgestattet, kroch sie endgültig aus dem Bett, zog sich an und machte sich auf den Weg nach unten in die riesige, von Marmor und Chrom dominierte Familienküche.

Dort traf sie auf ihre düster dreinblickenden Eltern.

»Auweia«, murmelte Eve und blieb im Türrahmen stehen.

Mum ging grüblerisch vor dem Toaster auf und ab. Ihr hellblaues Kostüm brachte ihre bernsteinfarbene Haut ebenso schön zur Geltung wie den wilden Zorn, der in ihren haselnussbraunen Augen loderte. Dad stand ernst und stoisch neben dem Schweizer Kaffeevollautomaten. Das Sonnenlicht, das durch die Terrassentüren hereinfiel, spiegelte sich auf seiner Glatze.

»Guten Morgen, Evie-Bean«, sagte er, und der Hauch eines Lächelns erschien auf seinen Zügen. »Nettes Oberteil.«

Eve schaute nach unten und betrachtete ihr T-Shirt, das eine sehr schöne orangene Farbe hatte und auf dessen Brust in türkisfarbenen Buchstaben die Worte »SORRY, ABER LANGWEILIG!« prangten. »Danke, Dad.«

»Ich habe keine Ahnung, wo du solche –«

Mum verdrehte die Augen, hob die Hände und fauchte: »Um Himmels willen, Martin!«

»Oh. Ach. Ja.« Dad räusperte sich und setzte noch einmal neu an. »Eve«, sagte er streng. »Deine Mutter und ich müssen mit dir reden.«

Na, großartig. Ihre Eltern waren also auch mies drauf. Da Eve sich nach Kräften bemühte, fröhlich zu sein, war das nicht gerade ideal. Seufzend betrat sie die Küche. Ihre Schritte passten sich automatisch dem Rhythmus von Barbras kühnem Stakkato-Gesang an. Auf der anderen Seite des Raumes an der marmornen Frühstückstheke standen Gigi und Shivani. Shivani aß etwas, das nach einem Spinatomelette aussah. Gigi stibitzte ihr hin und wieder einen Happen vom Teller und nippte grazil an ihrem Bloody-Mary-Smoothie, den sie jeden Morgen trank.

Eve war wild entschlossen, sich nicht von der Verdrießlichkeit ihrer Eltern anstecken zu lassen. »Hallo, Großmutter, hallo, Groß-Shivani«, trällerte sie und holte sich eine Flasche Perrier aus dem Kühlschrank. Dann erst wandte sie ihre Aufmerksamkeit Mum und Dad zu. »Ich dachte, ihr wärt heute Morgen beim Pärchen-Spinning.«

»Aber nein, meine süße kleine Zitrone«, warf Gigi ein. »Wie sollen sie denn zum Spinning gehen, wenn sie doch erwachsene Kinder haben, denen es in der heimischen Küche aufzulauern gilt?«

»Ich regle Konflikte mit meinem sechsundzwanzigjährigen Nachwuchs auch immer auf diese Art«, murmelte Shivani. Als Mum ihr daraufhin einen bösen Blick zuwarf, schenkte Shivani ihr ein heiteres Lächeln und warf sich den langen, teilweise ergrauten Pferdeschwanz nach hinten.

Gigi grinste zustimmend.

Es war also amtlich: Eve war in einen Hinterhalt geraten. Sie biss sich auf die Lippe. »Habe ich was falsch gemacht? O nein – habe ich etwa wieder vergessen, die Wasserhähne zuzudrehen?« Es war zwar schon acht Jahre her, seit sie versehentlich ihr Badezimmer geflutet hatte, woraufhin ein kleiner Teil des Fußbodens eingestürzt war, aber sie hatte immer noch Angst, dass sich ein solcher Vorfall wiederholen könnte.

Mum lachte bitter. »Die Wasserhähne!«, wiederholte sie mit – ehrlich gesagt – übertriebener Theatralik. »Ach, Eve, ich wünschte, es ginge um etwas so Simples wie Wasserhähne.«

»Beruhige dich, Joy«, spöttelte Gigi. »Von deinen negativen Schwingungen bekomme ich noch Migräne.«

»Mutter«, sagte Dad warnend.

»Ja, mein Schatz?«, fragte Gigi arglos.

»Um Himmels willen«, rief Mum zornig. »Eve, wir setzen diese Unterhaltung im Studierzimmer fort.«

Das »Studierzimmer« war Mums Büro, ein sehr ordentlicher und sauberer Raum im Erdgeschoss des Hauses. Hier herrschte eine Atmosphäre von Konzentration und Erfolg, die Eve als zutiefst bedrückend empfand. Unbehaglich wand sie sich unter den Blicken ihrer Eltern.

»Wo«, sagte Mum, die wie immer sofort zur Sache kam, »ist deine Website geblieben?«

Eve blinzelte verdutzt. Sie hatte schon viele Websites gehabt. Ihre älteste Schwester Chloe arbeitete als Webdesignerin, und Eve war eine ihrer treuesten Kundinnen. »Ja, also …« Ehe sie sich eine Antwort zurechtlegen konnte – eine schöne, präzise Antwort, die alle notwendigen Informationen enthielt –, sprach Mum bereits weiter. Das war das Problem mit Mum – eigentlich mit fast allen von Eves Verwandten. Sie waren immer so schnell, so erbarmungslos auf Zack. Sie überrollten einen förmlich mit ihrem scharfen Intellekt, und Eve fühlte sich umhergeworfen wie das Samenschirmchen einer Pusteblume in einem Hurrikan.

»Ich habe meiner guten Bekannten Harriet Hains«, sagte Mum, »deine Firma empfohlen, weil ihre Tochter sich vor Kurzem verlobt hat und weil ich so stolz auf deinen Erfolg bei Cecelias Hochzeit vergangene Woche war.«

Einen Moment lang sonnte sich Eve im Glanz dieses Wortes. Stolz. Mum war stolz auf sie gewesen. Für einen Tag hatte Eve etwas geleistet, das vor den Augen ihrer begabten, genialen Mutter so viel Gnade fand, dass diese es als Erfolg bezeichnete. Eine wohlige Wärme breitete sich zaghaft in ihrer Brust aus – bis ihr einfiel, dass es mit dem Erfolg schon wieder vorbei war. Denn hinter den Kulissen hatte sie wie immer versagt. Warum bemühte sie sich überhaupt noch? Warum strengte sie sich an?

Tust du ja gar nicht. Nicht mehr.

»Aber Harriet hat mir mitgeteilt, dass die URL zu einer Fehlermeldung führte. Daraufhin habe ich selber nachgeforscht, und siehe da: Im Internet ist keine Spur von deiner Hochzeitsplanungs-Agentur zu finden.« Sie hielt einen Moment lang inne und zog verwirrt die Brauen zusammen. »Bis auf einen ziemlich wirren Post in einem Forum, in dem behauptet wird, du hättest einen Schwarm weißer Tauben gestohlen, aber das ist ja offensichtlich vollkommen aus der Luft gegriffen.«

»Offensichtlich«, echote Eve. »Ich habe die Kosten für die Tauben zurückerstattet. So eine verlogene Kuh.«

Mum strafte sie mit einem eisigen Blick. »Ich muss doch sehr bitten, Eve Antonia Brown.«

»Konzentrieren wir uns doch auf das Wesentliche, Liebes, ja?«, klinkte Dad sich in das Gespräch ein. »Eve. Was ist aus deiner Agentur geworden?«

Ah. Ja. Nun. Das war der Haken an der Sache. »Also, es ist so. Dad, Mum … Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Hochzeitsplanerin doch nicht das Richtige für mich ist. Deshalb habe ich meine Firma aufgelöst, die Website gelöscht, die URL gekündigt und alle damit verbundenen Social-Media-Accounts stillgelegt.« Eve wusste aus Erfahrung, dass es am besten war, es so kurz und schmerzlos wie möglich zu machen.

Eine Pause trat ein, dann sagte Mum gepresst: »Du hast also hingeschmissen. Schon wieder.«

Eve schluckte. Auf einmal war ihr ganz flau zumute. »Na ja, nicht direkt. Eigentlich bin ich da ja ohnehin nur so reingestolpert. Cecelias ursprüngliche Hochzeitsplanerin war unfähig, und deshalb …«

»Sie war eine ganz normale Frau, die mit den Allüren eines verzogenen Balgs wie Cecelia Bradley-Coutts einfach nicht klarkam«, warf Dad stirnrunzelnd ein. »Aber du kamst mit ihr klar. Und die Arbeit schien dir doch auch Spaß zu machen. Wir dachten, du hättest endlich deine wahre Berufung gefunden, Eve.«

Ein Tropfen kalter Schweiß rann langsam Eves Rückgrat hinab. Ihre wahre Berufung? Eve war nicht die Art von Frau, die eine Berufung hatte. »Es ist besser so«, sagte sie. Es hatte beiläufig klingen sollen, aber ihre Stimme quietschte ein wenig. »Es lief alles zu gut, um wahr zu sein, und mir war klar, dass ich einen solchen Erfolg niemals wiederholen könnte. Ich wollte mich nicht enttäuschen.«

Dad sah sie niedergeschlagen an. »Aber Eve. Du enttäuschst uns.«

Sie zuckte zusammen.

»Du kannst nicht immer alles hinschmeißen, nur weil die Gefahr besteht, dass du scheitern könntest«, fuhr er sanft fort. »Scheitern ist ein notwendiger Teil des persönlichen Wachstums.«

Das glaubst auch nur du, hätte sie am liebsten entgegnet. Eves Eltern waren nie mit irgendwas gescheitert. Eves Eltern wussten, wer sie waren und was sie konnten, genau wie ihre Schwestern. Aber Eve? Das Einzige, was sie wirklich gut konnte, war witzig sein, und die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass es besser war, bei ihren Leisten zu bleiben und sich keine allzu hohen Ziele zu stecken.

Früher hatte sie es noch versucht. Aber es hatte jedes Mal so furchtbar wehgetan, wenn sie auf die Nase gefallen war.

»Genug ist genug, Eve«, sagte Mum in das Schweigen hinein. »Du bist sechsundzwanzig Jahre alt, eine intelligente und fähige junge Frau, und trotzdem vergeudest du Zeit und Chancen wie … wie ein verzogenes Gör. Wie Cecelia.«

Eve schnappte entrüstet nach Luft. »Ich bin nicht verzogen!« Sie überlegte einen Moment lang. »Na ja, vielleicht ein bisschen. Aber ich finde, ich bin noch charmant dabei, oder nicht?«

Niemand lachte, nicht einmal Dad. Im Gegenteil, er sah ziemlich verärgert aus. »Wie viele Berufe willst du noch ausprobieren, während du bei deinen Eltern wohnst und von dem Geld lebst, das wir dir geben? Deine Schwestern sind ausgezogen und arbeiten hart für ihren Lebensunterhalt, obwohl sie das nicht müssten. Aber du – du hast die Gesangsausbildung abgebrochen. Du hast dein Jurastudium geschmissen. Du wolltest mal Lehrerin werden. Dann hast du es mit Grafikdesign versucht, mit Cupcakes und dann mit diesen Miniatur-Violinen, die du gebastelt hast …«

»Ich will nicht über die Violinen reden«, brummte Eve. Das Basteln hatte ihr gefallen, aber sie wusste, dass es nicht klug war, einen Beruf aus etwas zu machen, was man gerne tat. Das waren immer die Misserfolge, die am meisten schmerzten.

»Du willst nie über irgendetwas reden!«, explodierte Dad. »Du suchst dir einen Beruf, und sobald es ernst wird, wirfst du hin. Deine Mutter und ich haben den Treuhandfonds nicht eingerichtet, damit ihr euer Leben vertrödelt. Wir haben ihn eingerichtet, weil Gigi und ich früher kein Geld hatten. Und weil im Leben Situationen eintreten können, aus denen man nur wieder rauskommt, wenn man über ein finanzielles Sicherheitsnetz verfügt. Aber was du da machst, Eve, ist Missbrauch deiner Privilegien. Ich bin wirklich sehr enttäuscht von dir.«

Die Worte brannten und weckten eine heiße Scham in ihr. Ihr Herz begann, wie verrückt zu hämmern, und ihr Puls pochte so laut in ihren Ohren, dass sie nicht einmal mehr den tröstenden Beat von Barbras Song hören konnte. Sie versuchte, das alles zu verarbeiten, die richtigen Worte zu finden, um sich zu verteidigen – doch das Gespräch war ihr längst entglitten. Es war wie ein fahrender Zug, und sie war nicht schnell genug, um noch aufzuspringen.

»Wir haben uns entschieden«, sagte Mum, »die Zahlungen deines Fonds vorerst auszusetzen. Deine Ersparnisse müssen reichen, bis du einen Job gefunden hast.«

Ersparnisse? Wer zur Hölle besaß schon Ersparnisse?

Dann übernahm wieder Dad die Gesprächsführung. »Du kannst noch drei Monate hier wohnen bleiben. Das müsste ausreichen, um dir eine eigene Wohnung zu suchen.«

»Moment mal – was? Ihr schmeißt mich raus?«

Mum fuhr fort, als hätte Eve nichts gesagt. »Wir haben die Sache eingehend diskutiert. Dein Vater und ich möchten, dass du mindestens ein Jahr lang einer festen Tätigkeit nachgehst, erst dann werden wir die Zahlungen wieder freigeben. Wir sind uns darüber im Klaren, dass es schwierig werden könnte, einen gut bezahlten Job zu finden, wenn man einen so … einzigartigen Lebenslauf hat wie du, deshalb haben wir in unseren Unternehmen eigens ein paar Stellen für dich geschaffen.«

Eve zuckte auf ihrem Stuhl zurück. In ihrem Kopf drehte sich alles, so schwer fiel es ihr, mit dem Gespräch Schritt zu halten. »Aber – ich habe mein Jurastudium doch abgebrochen.« Es hatte nur ein paar Seminare im Kreis ultraehrgeiziger Superhirne gebraucht, bis Eve erkannt hatte, dass sie nicht annähernd schlau genug war, um Konzepte wie das der ungeschriebenen Verfassung zu verstehen.

Mum presste den Mund zu einem dünnen Strich zusammen. »In dem Fall wäre da immer noch die Bilanzbuchhaltungsfirma deines Vaters.«

Eves Entsetzen wuchs. »Buchhaltung? Ich kann kaum richtig zählen!«

Mums Augen wurden schmal. »Sei nicht so flapsig, Eve.«

»Du hast recht. Ich will nicht zählen. Und ich will nicht, dass meine Eltern mir einen Job besorgen, weil sie denken, ich wäre zu unfähig, um selbst einen zu finden. Das bin ich nämlich nicht.« Auch wenn es ihr manchmal so vorkam.

»Nein«, pflichtete Mum ihr bei. »Dir mangelt es nur an dem nötigen Durchhaltevermögen, um an einer Sache dranzubleiben. Um hart zu arbeiten, auch nachdem die Aufregung und der Glanz des Neuen verflogen sind. Dir mangelt es an Reife. Wann wirst du dich endlich deinem Alter entsprechend benehmen, Eve? Das ist einfach nur noch beschämend.«

Und das war des Pudels Kern. Eve rang nach Luft und blinzelte die Tränen weg, die in ihren Augenwinkeln brannten. Sie weinte eher vor Schreck als vor Schmerz, so wie wenn sie sich den Ellbogen gestoßen hatte. Dabei hätte sie das Ganze eigentlich nicht erschrecken sollen, oder? Natürlich sahen ihre Eltern sie so. Natürlich hielten sie sie für ein unreifes Kind, das nichts auf die Reihe bekam. Sie hatte ihnen nie Anlass gegeben, etwas anderes von ihr zu denken.

»Ich – ich muss hier weg«, sagte sie und erhob sich hastig. Ihre Stimme war tränenerstickt. Peinlich. Sie war so verdammt peinlich. Sie heulte wie ein kleines Kind, nur weil ihre Mutter die Wahrheit gesagt hatte. Und sie rannte wieder mal vor allem davon, weil sie nicht stark genug war, dem Druck standzuhalten.

»Eve, Liebling.« Jetzt klang Mum sanfter. Mitfühlend. Es tut mir leid, würde sie als Nächstes sagen. Ich habe es nicht so gemeint. Und alle würden darin übereinkommen, dass es für heute mit den Gardinenpredigten reichte. Dass man dem armen, sensiblen Nesthäkchen der Familie noch eine Gnadenfrist gewähren musste, weil doch bekannt war, dass sie mit Konflikten nicht umgehen konnte.

Sie wollte mehr sein als das. Sie wollte es so sehr.

Sie wusste nur nicht, wie.

»Keine Sorge«, sagte sie scharf. »Ich habe gehört, was ihr mir gesagt habt, und ich nehme es sehr ernst. Ihr müsst mich nicht länger bemuttern. Ich regle das alleine. Ich werde mich bemühen, euch diesmal nicht zu enttäuschen oder … oder zu beschämen.« Aber jetzt muss ich gehen, bevor ich mich komplett lächerlich mache, indem ich in Tränen ausbreche. Sie wandte sich von ihren bestürzten Eltern ab und floh.

2. Kapitel

Eve hatte sieben Anläufe benötigt, um ihre Führerscheinprüfung zu bestehen. Sie hatte Schwierigkeiten mit der räumlichen Wahrnehmung, und es hatte vier Jahre mit wöchentlichen Fahrstunden gedauert, dieses Handicap zu überwinden. Das war eins der wenigen Dinge, die Eve tatsächlich bis zum bitteren Ende durchgezogen hatte, denn ein Führerschein bedeutete Freiheit.

Zum Beispiel die Freiheit, schnell und ziellos über verlassene Landstraßen zu brausen, während die Playlist, die mit Stormzys »Big for Your Boots« begann, bei voller Lautstärke aus den Lautsprechern dröhnte. Ihre Laune hatte sich im Vergleich zum Morgen eklatant verschlechtert, da reichte Barbra nicht mehr aus.

Während sie an einem Abzweig nach dem anderen vorbeifuhr, die sie zurück zur Hauptstraße geführt hätten – zurück in die Stadt, zurück zu ihren Schwestern –, wägte Eve ab, ob sie Chloe oder Dani um Hilfe bitten sollte. Aber was genau sollte sie ihnen erzählen? Hilfe, Mum und Dad waren so grausam, von mir zu verlangen, dass ich mir einen Job suche, diesen Job über einen längeren Zeitraum ausübe und anfange, Verantwortung für mein Leben zu übernehmen wie ein erwachsener Mensch? Ha. Chloe nahm nie ein Blatt vor den Mund, und Dani war ein absolutes Arbeitstier. Darüber hinaus waren beide beängstigend vernünftig und hatten die schockierende Angewohnheit, Eve immer die Wahrheit zu sagen – ohne eine beruhigende Tasse Tee oder ein schönes Stückchen Schokolade dazu. Sie würden einfach so lange mit den Augen rollen, bis sie den Schwanz einzog und ihnen recht gab, und im Grunde hätte sie es auch nicht besser verdient.

Eve hatte ihren Eltern gesagt, sie würde sich selbst um einen Job kümmern, und dieses Versprechen gedachte sie, einzuhalten. Jedenfalls sobald die Panik abgeklungen war, die die morgendliche Konfrontation in ihr ausgelöst hatte.

Sie drehte die Musik lauter und fuhr, bis irgendwann die Sonne hinter grauen Wolken verschwand. Nebel, der Regen verhieß, drang durch die heruntergelassenen Scheiben ins Auto und legte sich auf ihre Haut. Es waren mehr als zwei Stunden vergangen, und sie hatte es nicht mal gemerkt. Gerade als sie die ersten Anzeichen von Hunger verspürte, erhaschte sie einen Blick auf ein Schild mit der Aufschrift SKYBRIAR: 15 MEILEN.

»Skybriar«, murmelte sie über das Wummern von Cleopatricks »Hometown« hinweg. Es war ein Name wie aus einem Märchen. Und Märchen hatten immer ein Happy End.

Sie nahm den Abzweig.

Skybriar sah wirklich märchenhaft aus. Die Hauptstraße schlängelte sich einen riesigen Hügel hinab, so wie man es sonst nur in Büchern oder Reiseführern über Wales sah. Rechts und links der Straße erstreckten sich geheimnisvoll anmutende Wälder, in denen vermutlich Feen und Einhörner und andere Fabelwesen lebten. Die Luft, die durchs Fenster hereinwehte, schmeckte frisch, erdig und rein, und als sie die Ortschaft erreichte, kam sie an putzigen alten Steinhäusern und Menschen in Gummistiefeln vorbei, die gut erzogene kleine Hunde Gassi führten. Inmitten des Grüns entdeckte sie ein leuchtend blaues, mit einer weißen Spitzenbordüre umrahmtes Schild, auf dem stand:

PFEFFERKUCHEN-FESTIVAL PEMBERTON: SAMSTAG, 31. AUGUST.

Wie entzückend – und potenziell lecker. Oh, aber es war noch nicht der Einunddreißigste. Pech gehabt.

Sie bog aufs Geratewohl um die nächste Kurve und stieß auf Gold: Ein Stück voraus, bewacht von einer ehrwürdigen alten Eiche und von einem moosbewachsenen Steinmäuerchen eingefriedet, erhob sich ein imposantes viktorianisches Haus aus Backstein, vor dem ein bordeauxrotes Schild stand.

CASTELL COTTAGE. AUSGEZEICHNETE ZIMMER, EXQUISITE KÜCHE.

Schon ging es ihr ein bisschen besser. (Obwohl – eigentlich war das eine dreiste Lüge. Aber es würde ihr besser gehen, sobald sie etwas gegessen und über alles in Ruhe nachgedacht hatte. Und sobald sie aufhörte, sich wie eine Dramaqueen zu benehmen. Da war Eve sich relativ sicher.)

Sie manövrierte ihren Wagen in die nächstbeste Parklücke – na ja, eigentlich war es nur ein freies Fleckchen am Straßenrand, aber das musste reichen. Sie schaltete die Stereoanlage aus, fummelte sich einen AirPod ins Ohr, wählte auf ihrem Handy einen Song aus – »Shut Up and Groove« von Masego, passend zu ihrer bemüht guten Laune – und tippte auf Play. Sie betrachtete sich im Rückspiegel, betupfte ihre geröteten Augen und begutachtete kritisch ihren ungeschminkten Mund. Fade, fade, fade. Ihre hüftlangen lavendelfarbenen Zöpfe waren von der Nacht noch zu einem Dutt gedreht. Sie befreite sie von ihrem Gummi, sodass sie ihr offen über die Schultern fielen, dann kramte sie im Handschuhfach, bis sie ein orangefarbenes Lipgloss von Chanel gefunden hatte.

»Na bitte.« Sie schenkte ihrem Spiegelbild ein Lächeln. »Schon viel besser.« Farbe half immer. Zufrieden stieg sie aus und nahm im sanften Nieselregen Kurs auf den hübschen Landgasthof – oder was auch immer es war. Erst als sie die Eingangstür erreicht hatte, über der ein weiteres dunkelrotes Schild hing, fiel ihr etwas auf, was sie beim ersten Mal übersehen hatte.

CASTELL COTTAGEBED AND BREAKFAST

Ein Blick auf ihre Uhr verriet, dass die Frühstückszeit längst vorbei war.

»Gabriels flammender Hodensack, das kann doch nicht dein Ernst sein«, sagte sie zu ihrem verzerrten Gesicht, das sich in der Buntglasscheibe der Tür spiegelte. »Hat das Trauma der Ereignisse von heute Morgen deine letzten noch verbliebenen Gehirnzellen abgetötet, Eve?«

Ihr Spiegelbild gab keine Antwort.

Sie stieß ein halb verärgertes, halb hungriges Knurren aus und wollte schon kehrtmachen, als ein neben der Tür befestigtes laminiertes Blatt Papier ihre Aufmerksamkeit erregte.

BEWERBUNGSGESPRÄCHE FÜR DIE STELLE ALS KÜCHENCHEF/IN: ERSTE TÜR RECHTS.

Na. Das war doch mal interessant. So interessant, dass Eves Schwester und Hobbyhexe Dani es als ein Zeichen interpretiert hätte … ein Zeichen!

Aber Eve war nicht Dani, deshalb interpretierte sie es schlicht und ergreifend als Zufall.

»Oder als eine Chance«, murmelte sie gedehnt.

Denn kochen konnte Eve. Sie tat es jeden Tag, um zu überleben, und sie war ziemlich gut darin. Sie hatte sogar mal kurz davon geträumt, ein Sternerestaurant zu eröffnen, bevor sie eine Folge von Hell’s Kitchen gesehen und eine Gordon-Ramsay-Phobie entwickelt hatte. Und natürlich hatte sie noch nie in einer gewerblichen Küche gekocht – es sei denn, man bezeichnete ihren unüberlegten und eher kurzen Ausflug in die Welt der 3-D-Torten in Genitalienform als »Kochen«. Streng genommen war das ja Backen, aber machte das wirklich einen Unterschied? Irgendwie war das doch dasselbe.

Je länger sie nachdachte, desto günstiger erschien ihr die Gelegenheit. Die Tätigkeit als Hochzeitsplanerin war zu schön gewesen – sie hätte sich leicht in sie verlieben können, und dann hätte das Scheitern umso mehr wehgetan. Aber wenn sie in irgendeinem kleinen Bed and Breakfast in der Küche jobbte, bestand diese Gefahr garantiert nicht.

Dein Vater und ich möchten, dass du für mindestens ein Jahr einer festen Tätigkeit nachgehst, erst dann werden wir die Zahlungen aus deinem Fonds wieder freigeben.

Ihre Eltern trauten ihr nicht zu, dass sie sich auf eigene Faust Arbeit suchte, und ganz offensichtlich zweifelten sie auch an ihrer Fähigkeit, diese Arbeit für längere Zeit zu behalten. Sie waren der Ansicht, dass sie bei jeder noch so kleinen Angelegenheit Betreuung brauchte, und wenn sie ganz ehrlich war, konnte Eve das auch verstehen. Aber das bedeutete keineswegs, dass die elterlichen Zweifel ihr nicht wehgetan hätten. Ganz im Gegenteil, sie schmerzten wie zu enge Lederstiefel. Wenn es ihr also gleich am ersten Tag gelang, einen Job zu ergattern, sodass sie nach ihrem trotzigen Abgang heute Morgen nicht mit eingekniffenem Schwanz nach Hause zurückkehren musste? Das wäre doch ideal.

Ein Jahr hatte sie Zeit, um sich zu beweisen. Das konnte doch nicht so schwer sein?

Sie zog die Tür auf.

Entgegen der landläufigen Meinung führte Jacob Wayne unangenehme Situationen nicht mit Absicht herbei. So war es beispielsweise auch keineswegs seine Intention gewesen, den jüngsten Bewerber einem langen, eisigen Schweigen auszusetzen, das den armen Kerl ganz bleich und fahrig machte. Aber Simon Fairweather war ein amtlich geprüftes Sackgesicht, und die Antworten, die er auf Jacobs wohlüberlegte Fragen gab, konnte man in der Pfeife rauchen. Er spürte, wie er mit jeder nichtssagenden Phrase kühler und abweisender wurde. Perfekte Wachstumsbedingungen für ein peinliches Schweigen.

Simon starrte Jacob an. Jacob starrte in stetig anschwellendem Zorn zurück. Simon begann, auf seinem Stuhl hin- und herzurutschen, während Jacob darüber sinnierte, wie sehr ihm dieser Mann auf den Geist ging, und nichts tat, um sich ein verächtliches Schürzen der Lippen zu verkneifen. Dann begann Simon zu schwitzen, was Jacob als zutiefst verstörend empfand – zum einen wegen der Fremd-DNA, die unkontrolliert Simons Schläfen hinab­rann, zum anderen, weil Jacob erkannte, was für ein monumentaler Schisser dieser Mann war.

Irgendwann stieß Jacobs bester Freund (okay, sein einziger Freund) einen Seufzer aus und machte dem Schrecken ein Ende. »Danke, Simon«, sagte er. »Das wäre dann so weit alles. Wir melden uns.«

»Richtig«, sagte Jacob ruhig, denn es war richtig. Schweigend sah er zu, wie Simon sich von seinem Stuhl erhob, ehe er nickend und unverständliches Zeug stammelnd den Raum verließ.

»Jämmerlich«, brummte Jacob. Als die Tür zum Speiseraum zufiel, notierte er langsam und sorgfältig zwei Worte auf seinem Schreibblock. ALLES. SCHEISSE.

Nicht sehr erwachsen, zugegeben, aber immer noch besser, als wenn er den gottverdammten Tisch umgeworfen hätte.

Neben ihm räusperte sich Montrose. »Okay. Keine Ahnung, warum ich die Frage überhaupt stelle, aber … was hältst du von Simon?«

Jacob stöhnte. »Willst du das wirklich wissen?«

»Vermutlich nicht.« Montrose verdrehte die Augen und trommelte mit seinem Kugelschreiber auf seinen eigenen Notizblock. Jacob fiel auf, dass er jede Menge kluge, vernünftige Kommentare zu den heutigen Bewerbern aufgeschrieben hatte, fein säuberlich durch Spiegelstriche gegliedert. Früher war auch Jacob einmal zu Klugheit und Spiegelstrichen imstande gewesen. Letzte Woche noch, um genau zu sein. Doch dann hatte das Schicksal ihn gezwungen, sich sieben Tage lang dieser Parade der Inkompetenz auszusetzen. Dabei war sein Gehirn geschmolzen und ihm zu den Ohren herausgelaufen.

»Tja«, fuhr Mont fort. »Ich sage dir jetzt einfach mal, was ich aufgeschrieben habe: Simon verfügt über jede Menge Erfahrung, scheint aber nicht der Hellste zu sein. Ein bisschen eingebildet, aber das bedeutet, dass er mit der Zeit vielleicht genug Selbstvertrauen entwickelt, um mit dir und deinem Ding umzugehen.«

Jacob kniff die Augen zusammen. Er drehte sich sehr langsam zu seinem Freund um und funkelte ihn an. »Und was wäre das für ein Ding, Montrose?«

»Das Ding, mein zickiger Freund«, entgegnete Montrose heiter, »ist, dass du der reinste Albtraum bist, sobald du in Stress gerätst.«

»Ich bin immer ein Albtraum. Das hier ist mein ganz normales Albtraumverhalten. Stress«, knurrte Jacob, »ist etwas für unvorbereitete, disziplinlose und inkonsequente Menschen.«

»Ja, das habe ich mir auch sagen lassen. Von dir. Jedes Mal, wenn du Stress hast.«

Jacob fragte sich, ob heute der Tag gekommen war, an dem er seinen besten Freund umbringen würde. Nach einem kurzen Moment kam er zu dem Schluss, dass dies durchaus im Bereich des Möglichen lag. Das Hotel- und Gastgewerbe hatte Männer schon zu weit schlimmeren Dingen getrieben. Duschvorhänge aus Plastik und braune Teppiche, um nur einige davon zu nennen.

Um das Risiko eines Mordes zu minimieren, schob Jacob sich sein filigranes Brillengestell die Nase hinauf, stand auf und begann, im geräumigen Speisesaal des B&B hin und her zu gehen, wobei er jedes Mal den in der Mitte stehenden antiken Tisch umrundete. »Wie du meinst. Aber was Simon angeht, liegst du falsch – er passt nicht zu Castell Cottage.«

»In deinen Augen passt niemand zu Castell Cottage«, gab Mont trocken zurück. »Deshalb bin ich ja hier. Die Stimme der Vernunft und so weiter. Du weißt schon.«

»Eigentlich bist du hier, weil du ein angesehener Geschäftsmann bist und man für anständige Vorstellungsgespräche eine zweite Perspektive braucht und …«

»Was stimmt denn nicht mit Simon?«, fiel Montrose ihm ins Wort.

»Er ist ein Creep.«

Mont, der die Angewohnheit hatte, sich immer leicht zur Seite zu beugen – vermutlich hatte das mit seiner beträchtlichen Körpergröße und der natürlichen Wirkung der Schwerkraft zu tun –, setzte sich ausnahmsweise kerzengerade hin. »Wer hat das gesagt? Die Zwillinge?«

Diese Vermutung entbehrte nicht jeder Grundlage, zumal Monts Schwestern die einzigen Frauen im Ort waren, die überhaupt mit Jacob redeten – abgesehen von seiner Tante Lucy. »Niemand. Du musst diesen Typen doch nur mal ein bisschen beobachten. Frauen tun alles, um nicht mit ihm allein sein zu müssen.«

»Mein Gott«, murmelte Mont und riss das oberste Blatt von seinem Block ab. »Also gut. Ich weiß, die ersten beiden Kandidaten heute konntest du nicht leiden, und alle vorherigen hast du auch abgelehnt.« Er machte eine bedeutungsschwangere Pause. Falls er darauf spekulierte, Jacob ein schlechtes Gewissen zu machen, konnte er lange warten. »Bleibt nur noch Claire Penny.«

»Nein«, sagte Jacob gepresst. »Die will ich nicht.« Er blieb abrupt stehen, weil ihm aufgefallen war, dass eins der Bilder an der auberginenfarben gestrichenen Wand – eine von einem ortsansässigen Künstler gemalte Landschaft – schief hing. Mit finsterer Miene trat er darauf zu und rückte den Rahmen wieder gerade. Dieses verdammte Türenknallen den ganzen Tag, dadurch geriet alles in Schieflage. »Ich kann keinen Koch ertragen, der mit den Türen knallt«, brummte er düster. »Das schafft keine angenehme Atmosphäre. Schwachköpfe.«

»Ist das bei Claire denn ein Problem?«

»Was? Oh.« Jacob schüttelte den Kopf und setzte seine Wanderung fort. »Soweit ich es erkennen konnte, weiß Claire, wie man eine Tür leise schließt. Aber sie lächelt zu viel. Niemand lächelt so viel wie sie. Ich wette, sie nimmt Drogen.«

Mont warf Jacob einen bitterbösen Blick zu. Das war sein ganz besonderes Talent. »Das kannst du doch nicht ernst meinen.«

»Ich meine immer alles ernst, was ich sage.«

»Sie ist vierundsechzig Jahre alt.«

Jacob verdrehte die Augen. »Du glaubst, die Leute hören auf, sich leichtsinnig zu benehmen, wenn sie die sechzig überschritten haben? O nein. Wie auch immer. Weißt du noch, dass sie früher bei Betty’s gearbeitet hat, ehe ich hergezogen bin? Ich habe mal ein Stück von ihrem Apfelkuchen bestellt, und da war ein Haar drin.«

»Und deshalb willst du sie nicht haben?«

Jacob sah seinen Freund düster an. »Warum sprichst du mit mir, als wäre das albern? Ich will keinen haarigen Kuchen, Montrose. Willst du haarigen Kuchen? Wenn du scharf auf haarigen Kuchen bist, kann ich dir gerne einen haarigen Kuchen backen.«

»Was du in der Küche verbrichst, würde ich nicht mal essen, wenn du mich dafür bezahlst. Genau deswegen sitzen wir ja hier.« Mont rieb sich mit der Hand das Gesicht und schloss für einen Moment die Augen. »Komm schon, Mann. Das ist Ewigkeiten her. Denkst du nicht, dass sie in den letzten fünf Jahren gelernt hat, wie man ein Haarnetz richtig aufsetzt? Ruf sie zurück, lass sie für uns Probe kochen. Gib ihr eine Chance.«

»Nein.« Jacob wusste, dass er sich wie der letzte Idiot benahm. Er wusste auch, dass Mont, der ihn besser verstand als jeder andere, diese Ansicht teilte. Aber manchmal war es einfacher, seine Gedankengänge für sich zu behalten, weil andere Leute Mühe hatten, ihnen zu folgen, oder ihn für übertrieben direkt hielten.

Dabei war Direktheit nie übertrieben.

Was den Fall Claire Penny betraf: Sie war fröhlich, sie war nett … und dann war da noch die Sache mit dem Haar im Kuchen. Jacob legte Wert auf eine tadellose Küchenhygiene, und er arbeitete nicht gerne mit netten Menschen zusammen – allzu leicht verletzte man unwissentlich deren Gefühle. Außerdem wollte er keine Kompromisse eingehen. Das Beste war für ihn gerade gut genug, denn er hatte Pläne. Große, ausgeklügelte Pläne, die nun aufgrund von Murphys Gesetz zu scheitern drohten. Pläne, die darauf abzielten, auf dem bevorstehenden Pfefferkuchen-Festival in Pemberton haufenweise neue, vom Lake District begeisterte Touristen mit der ausgezeichneten Küche von Castell Cottage zu beeindrucken und auf diese Weise für sein noch relativ neues Bed and Breakfast zu werben. Es war Zeitverschwendung, sich mit Bewerbern abzugeben, die die zur Verwirklichung selbiger Pläne erforderlichen Kriterien nicht erfüllten. Und Zeitverschwendung konnte er sich nicht leisten.

»Was zum Geier schlägst du dann vor?«, wollte Mont von ihm wissen. »Das Festival ist in vier Wochen und – Scheiße, findet nächste Woche nicht ein Orga-Treffen statt? Wenn du bis dahin nicht mit einem Koch aufwartest, kannst du das Ganze vergessen.«

»Ich weiß«, stieß Jacob durch zusammengepresste Zähne hervor. Er dachte praktisch an nichts anderes mehr. Wie typisch. Da war es ihm einmal gelungen, sich einen Vorteil zu verschaffen, und dann musste seine Köchin alles ruinieren, indem sie nach Schottland zog.

»Ganz abgesehen davon bist du für die nächsten fünf Tage ausgebucht, und ich kann nicht …«

»Ich weiß, dass du nicht weiter für mich kochen kannst. Ich weiß.« Jacob ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken, nahm die Brille ab und kniff sich in die Nasenwurzel.

»Wenn du nicht über deinen Schatten springst und jemanden einstellst, bist du gefickt.«

»Deine Negativität hilft mir nicht weiter.« Jacob Wayne war niemals gefickt. Na ja, zumindest nicht so. Auf andere, deutlich angenehmere Weise schon. Nicht so oft, wie ihm lieb gewesen wäre, aber – na ja … ach, scheiß drauf. Das war jetzt nicht das Thema. »Scheitern ist keine Option.« Nicht, nachdem er jahrelang in den besten Hotels gearbeitet hatte, um alles zu lernen, was er brauchte, um sich selbstständig zu machen. Nicht nachdem er seine gesamten Ersparnisse in das Bed and Breakfast gesteckt hatte. Das durfte einfach nicht passieren.

Ein scharfes Klopfen an der Tür machte dem bedrückenden Gespräch ein Ende. Jacob runzelte die Stirn, richtete sich in seinem Stuhl auf und rief: »Wer ist da?«

Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, was extrem irritierend war, da er »Wer ist da?« gesagt hatte und nicht »Immer frisch hereinspaziert«. Sie erwarteten keine weiteren Bewerber für heute. Skybriar war in den letzten Jahren zwar gewachsen, aber immer noch ein kleiner Ort, und arbeitsuchende Köche wuchsen hier nicht gerade auf den Bäumen.

Es konnte ein Gast sein, der nach ihm suchte, also setzte Jacob eine neutrale Miene auf (Mont hatte ihm vorgeschlagen, es mit Freundlichkeit zu versuchen, aber Jacob sah keinen Sinn darin, Menschen gegenüber freundlich zu sein, die nicht seine Freunde waren) und wartete.

Nach einem kurzen Zögern tauchte ein unbekanntes Gesicht im Türspalt auf. Jacob nahm an, dass zu dem Gesicht auch ein Körper gehörte, doch alles, was er in diesem Moment sehen konnte, waren ein Kopf, ein Stückchen Hals und jede Menge lilafarbener Zöpfe.

»Hallo«, sagte der schwebende Kopf. »Ich bin wegen des Vorstellungsgesprächs hier.«

Selbstsicher und direkt zum Punkt: gut. Wildfremde Person ohne Termin: schlecht. Vornehmer Akzent, wie Jacob ihn normalerweise nur von seinen Gästen hörte: möglicherweise ein Problem. Dieses seltsame Schweben in der Tür wie ein übernatürliches Wesen: noch kein abschließendes Urteil möglich.

Da diese Frau für ihn arbeiten wollte, fing Jacob an, sichtbare Einzelheiten zu katalogisieren. Groß, dunkle Augen wie eine Disney-Prinzessin, lila Zöpfe, rundliche Wangen, glatte braune Haut. Sie war jung, was auf Unzuverlässigkeit hindeutete. Das orangefarbene Lipgloss biss sich mit ihren Haaren, aber da Köche in der Regel keinen Kontakt mit den Gästen pflegten, war das nicht so schlimm. Sie lächelte, was Jacob sehr misstrauisch machte, doch im nächsten Moment versetzte Mont ihm unter dem Tisch einen Tritt, und er gab sich einen Ruck. Vielleicht hatte ihr dümmlicher Gesichtsausdruck ja auch sein Gutes: Jemand, der hier arbeitete, musste zugänglich wirken, und Jacob erfüllte diese Voraussetzung ganz sicher nicht.

»Hi«, sagte Mont. »Möchten Sie vielleicht hereinkommen?«

»Ja, danke.« Kopf und Hals vervollständigten sich zu einem ganzen Menschen. Sie betrat den Speisesaal, schloss die Tür hinter sich, und Jacob sah sich mit ihrem T-Shirt konfrontiert. Es war grellorange wie ihr Lipgloss und trug die türkisfarbene Aufschrift »SORRY, ABER LANGWEILIG!«.

Pseudowitzige Kleidung. Schnoddrige pseudowitzige Kleidung. Gleichgültigkeit suggerierende schnoddrige pseudowitzige Kleidung. Schlecht, schlecht, schlecht. Er konnte den Blick gar nicht von ihrem T-Shirt losreißen. Es war wie ein Autounfall. Schlimmer noch: Draußen hatte es offenbar zu regnen begonnen, denn der Stoff des T-Shirts war nass. Alles an der Frau war nass, und ihre weichen nackten Arme glänzten irritierend. War sie bei Regenwetter etwa ohne Jacke rausgegangen? Unmöglich. Noch unmöglicher war, dass er unter ihrem T-Shirt die Umrisse ihres BHs erkennen konnte. Niemand sollte sich auf diese Art und Weise nassregnen lassen. Da konnte man sich ja den Tod holen.

Im nächsten Moment versetzte Mont ihm einen zweiten Tritt, und Jacob erkannte, dass es wahrscheinlich so aussah, als würde er einer Bewerberin schamlos auf die Brüste glotzen. Du liebe Zeit. Er richtete den Blick auf seinen Notizblock, räusperte sich und malte drei Os und ein X aufs Papier. Drei Pluspunkte, ein Minuspunkt. Er hatte ihr einen zusätzlichen Pluspunkt gegeben, um das Tittenglotzen wiedergutzumachen.

»Mein Name ist Eve Brown«, stellte sie sich vor und trat näher, um sich zu setzen. Selbstbewusstsein. Gut. Er malte einen Kringel um eins der Os.

»Ich bin Eric Montrose«, sagte Mont. »Ich führe das Rose and Crown drüben in Friar’s Hill. Und mein merkwürdig schweigsamer Freund neben mir ist der Inhaber von Castell Cottage, Jacob Wayne.«

Merkwürdig schweigsam? Ja, das beschrieb Jacob ganz gut. Er ließ die Dinge auf sich wirken. Er dachte sich seinen Teil. Eve Brown war ihr Name, hatte sie gesagt. Das wirkte viel zu unscheinbar im Vergleich zu ihrem Lipgloss, dem T-Shirt und der hochdramatischen Art, wie sich all die vielen langen, dünnen Zöpfchen über ihre Schultern ergossen. Durch den Feuchtigkeitsfilm sah ihre Haut weniger wie Haut aus, sondern wie Edelmetall oder Seide oder was auch immer. Die Kurve ihres Halses erinnerte ihn an die Brust einer Holztaube. Ohne die Federn, natürlich, aber irgendwie weich und samtig. Er war immer noch dabei, eins der Os auf seinem Block zu umkringeln. Mist.

Jacob legte den Stift hin und räusperte sich. »Tut mir leid. Autismus. Ich neige gelegentlich dazu, mich extrem stark auf eine Sache zu fokussieren.«

Sie nickte, sagte aber nichts. Keine fesselnden Anekdoten über den fünfjährigen Sohn des Nachbarn der Cousine des Ehemannes ihrer Schwester, der auch autistisch war. Sehr gut. Noch ein O.

Jacob malte es neben die anderen, dann kam er zur Sache. »Wir haben nicht mit Ihnen gerechnet.«

»Nein.« Sie lächelte. Schon wieder. Jacob hatte keine Ahnung, weshalb. Vielleicht wollte sie liebenswert erscheinen? Definitiv verdächtig. »Ich bin eher durch Zufall hier vorbeigekommen«, fuhr sie fort. »Und dann habe ich den Zettel am Eingang gesehen.«

Jacob versteifte sich. Planlos, unorganisiert, bloß durch Zufall vorbeigekommen. Schlecht, schlecht, schlecht. X, X, X.

»Fahren Sie öfter ziellos durch den Lake District, um nach freien Stellen Ausschau zu halten?«

»Wir sind im Lake District?« Sie blinzelte, dann lächelte sie schon wieder. »Du liebe Zeit, da bin ich ja ganz schön weit gefahren.«

Jacob hatte es sich anders überlegt. Ihr Hals sah nicht aus wie die Brust einer Holztaube. Er sah genauso aus wie der Rest von ihr: wenig vertrauenerweckend und extrem anstrengend. Möglicherweise nahm sie Drogen. Er reagierte allergisch auf Leute, die Drogen nahmen. Während seiner Kindheit war er zu vielen solchen Leuten begegnet, und sie machten ihn automatisch argwöhnisch. »Sie wissen nicht mal, wo Sie sind?«

Unter dem Tisch gab Montrose ihm abermals einen Tritt. Dazu warf er ihm einen strengen Blick zu, der, so wusste Jacob aus Erfahrung, ein Code war für »Mensch, achte auf deinen Tonfall«. Eve hingegen kniff ihre großen, unschuldigen Rehaugen zu schmalen Schlitzen zusammen – nur ganz kurz. Gleich darauf schaute sie wieder normal, sodass er sich fragte, ob er sich den Moment nur eingebildet hatte.

»Leider nicht«, sagte sie freundlich. »Jedenfalls wusste ich es bis jetzt nicht. Gott sei Dank waren Sie so elegant, mich aufzuklären.«

Jacob sah sie verdutzt an.

»Äh … meinten Sie vielleicht galant?«, fragte Mont.

»Nein«, gab sie ruhig zurück. »Ich bin mir relativ sicher, dass ich elegant meinte. Soll ich Ihnen jetzt was über meine Berufserfahrung erzählen?«

Die Antwort hätte Nein lauten sollen. Diese Frau war kopflos und unzuverlässig und hatte in seinem Meisterwerk der Gastfreundlichkeit und Exzellenz nichts verloren. Andererseits schien sie unter Druck die Nerven zu behalten und wirkte sehr selbstbewusst. Außerdem mochte er die Entschlossenheit, mit der sie den größten Schwachsinn von sich gab. Das war eine sehr wichtige Eigenschaft. Er malte ein weiteres O auf sein Blatt. Jetzt waren Plus- und Minuspunkte wieder ausgeglichen, obwohl die Tatsache, dass es überhaupt Minuspunkte gab, eigentlich ein automatisches Ausschlusskriterium hätte darstellen müssen.

Jacob öffnete den Mund, um ihr genau dies mitzuteilen, aber Mont, der Verräter, kam ihm zuvor.

»Sicher. Legen Sie los.«

»Haben Sie Ihren Lebenslauf mitgebracht?«, fragte Jacob. Er würde nicht zulassen, dass das Gespräch vom rechten Weg abkam.

»Nein«, antwortete sie ihm mit einem weiteren freundlichen Lächeln. Sie war wirklich wie eine Disney-Prinzessin, nur dass sie ganz grässliche Kleidung trug und alles, was ihr über die Lippen kam, ihn schaudern ließ. Ihm war ein bisschen schwindlig, und das wiederum machte ihn wütend.

Wer war diese Frau überhaupt, die mit ihrem vornehmen Akzent in seinem B&B auftauchte und ihn zwang, viel zu viele Xe und Os in seinen Block zu malen? Er mochte sie nicht, entschied Jacob unvermittelt. Er mochte sie überhaupt nicht.

»Ich habe … eine Zeit lang an einer Patisserie-Schule in Paris gelernt«, sagte sie, was an nichtssagendem Unsinn wirklich nicht mehr zu überbieten war. »Ich bin eine ausgezeichnete Bäckerin. Da es sich hier ja um eine praktische Arbeit handelt, hatte ich eigentlich gehofft, einfach mit Ihnen in die Küche gehen und Ihnen zeigen zu können, was ich draufhabe.«

Jacob war entsetzt. »Nein. Auf keinen Fall. Zum einen wären damit noch nicht Ihre Kenntnisse der relevanten Gesundheits- und Hygienerichtlinien abgedeckt.«

»Ach, darüber weiß ich Bescheid«, meinte sie unbekümmert. »Ich musste es lernen, weil ich 2018 meine Freundin Alaris bei ihrer Achtsamkeits-Saft-Experience unterstützt habe. Die Entwicklung von Saftrezepten«, sagte sie in verschwörerischem Ton, »ist eine stark unterschätzte Form der Meditation.«

»Wirklich?«, fragte Mont.

»Mont«, sagte Jacob. »Warum reagierst du überhaupt auf diesen Blödsinn?«

Eve ignorierte ihn, oder vielleicht hatte sie ihn auch nicht gehört. Ihm war aufgefallen, dass sie einen dieser Stöpsel im Ohr hatte, er blitzte zwischen ihren Zöpfen hervor. Als wäre das T-Shirt nicht schon unverschämt genug.

»Ja«, sagte sie, an Mont gewandt, und nickte freundlich. »Das funktioniert wirklich. Meine Großmutter ist ein großer Fan davon.«

»Hmm. Wissen Sie, was? Ich suche nach Möglichkeiten, wie ich aus meinem Pub eine Event-Location machen könnte. Vielleicht würde so was gut ankommen. Wir könnten Kurse anbieten oder …«

»Darüber können wir uns sehr gerne unterhalten«, sagte Eve. »Ich kann Ihnen auch Alaris’ Nummer geben. Sie ist eine echte Pionierin auf dem Gebiet.«

Jacob fragte sich, ob er, als er zwanzig Minuten zuvor aufgestanden war, um hin und her zu gehen, gestolpert war, sich den Kopf angeschlagen hatte und nun im Koma lag. »Hören Sie«, sagte er scharf, im Versuch, das Gespräch zurück ins Land der Vernunft und Logik zu lenken. »Ohne Lebenslauf macht ein Bewerbungsgespräch keinen Sinn. Sie haben keine Referenzen, keinen schriftlichen Ausbildungsnachweis und keinerlei Dokumente von Ihren vorherigen Arbeitsstellen …«

»Ich habe am St. Albert’s College studiert«, teilte sie ihm mit. Ihr Ton war ein wenig kühler geworden. »Von zweitausend…«

»Das ist unnötig«, fiel er ihr ins Wort. »Was ich sagen wollte, ist: Die Bewerbungsfrist läuft noch, wenn es Ihnen also mit der Stelle ernst ist, werden Sie mir bestimmt Ihren Lebenslauf mailen, sobald Sie einen Computer zur Verfügung haben.« Wenn es Ihnen ernst ist. Ha. Dieser Frau war ganz offensichtlich in ihrem Leben noch nie etwas ernst gewesen.

Was sie zu genau der Sorte Mensch machte, die Jacob verabscheute.

Sie schürzte die Lippen, als hätte er etwas Unmögliches von ihr verlangt wie etwa die Beschaffung einer magischen Schriftrolle aus den Anden bis zum Nachmittag des darauffolgenden Tages. »Aber«, sagte sie, »ich habe keinen Lebenslauf. Und momentan auch keinen Computer. Eigentlich hatte ich gehofft, ich komme hier rein und haue Sie mit meinen phänomenalen Kochkünsten, meinem Aussehen und meinem Charme vom Hocker, Sie geben mir die Stelle, und schwups – habe ich ein festes Gehalt, eine Bleibe und alles, was so dazugehört.«

Jacob riss die Augen auf.

Montrose lachte.

Jacob begriff, dass sie einen Scherz gemacht hatte. »Ha, ha. Zum Totlachen.« Dann fiel ihm ein, dass Witze manchmal ein Körnchen Wahrheit enthielten, und er fragte sich, ob sie wirklich keinen Computer besaß, weil sie kein Dach über dem Kopf hatte, und ob sie womöglich ziellos durch die Gegend fuhr und nach Jobs Ausschau hielt, weil sie ganz dringend einen brauchte.

Aber sie sprach wie die Queen, und ihre Schuhe, so war ihm aufgefallen, waren weiße Doc Martens mit roten Herzchen, wahrscheinlich eine sündhaft teure Limited Edition. Wenn er obdachlos gewesen wäre, hätte er seine teuren Schuhe zu Geld gemacht. Obwohl, nein, das hätte er nicht getan – nicht, wenn sie warm und wasserdicht und stabil waren und er kein anderes Paar besaß, denn das wäre auf lange Sicht unvernünftig gewesen.

»Sind Sie obdachlos?«, fragte er.

Sie blinzelte mehrmals.

»Jacob«, rügte Mont, dann wandte er sich an Eve. »Sie müssen darauf nicht antworten. Hören Sie, Eve, ich will Klartext mit Ihnen reden.«

»O Gott«, stöhnte Jacob. Wenn Mont »Klartext redete«, bedeutete das normalerweise ein verwerfliches Ausmaß unnützer Ehrlichkeit. Die Leute beschwerten sich immer, dass Jacob zu direkt war, aber er wusste wenigstens, wann es höflicher war, zu lügen. Meistens jedenfalls.

»Unser guter Jacob steckt knietief in der Scheiße«, sagte Mont fröhlich.

Großartig. Absolut brillant. Jacobs Sekundant hatte sich zur Meuterei entschlossen.

3. Kapitel

Eve hatte noch nie das Vergnügen gehabt, in einem B&B abzusteigen. Tatsächlich übernachtete sie fast nie in Hotels – warum auch, wenn das Haus ihres Großvaters in Saint Catherine ihr immer offen stand? Dementsprechend waren auch ihre Vorstellungen von einem B&B-Inhaber aus nebulösen Ideen und möglicherweise ein paar Büchern zusammengestoppelt, die sie als Kind gelesen hatte. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte Jacob Wayne ein älteres Ehepaar mit einem warmherzigen Zwinkern in den Augen sein müssen, das vor Güte und Freundlichkeit nur so strotzte und froh war, Eve einzustellen, damit diese ihre Reise zur Selbstverwirklichung mit einer Tätigkeit beginnen konnte, die sie nie wirklich lieb gewinnen würde.

Stattdessen war Jacob Wayne ein alleinstehender Mann, nicht wesentlich älter als sie selbst, und das Zwinkern in seinen Augen war eher ein kaltes, verächtliches Funkeln. Aber vielleicht lag das auch nur am Licht, das von seinem silbernen Brillengestell zurückgeworfen wurde. Selbiges Brillengestell saß auf einer ausdrucksstarken, aristokratischen Nase, die ihm mal jemand brechen sollte, denn all seine Gesichtszüge waren ausdrucksstark und aristokratisch – wahrscheinlich war er deshalb so arrogant geworden. Der Mann war auf geradezu empörende Weise gut aussehend, und wie Gigi oft betonte: Ein gut aussehender Mann ist eine schwere Bürde für alle außer ihn selbst.

Jacob hatte hohe Wangenknochen und ein markantes Kinn, einen Mund, der zu keinem Lächeln fähig schien, blasse Haut und Augen von der Farbe eines verregneten Himmels. In dem Moment, als Eve den Raum betreten hatte, hatten sich diese Augen förmlich an ihren Brüsten festgesaugt. Alles an ihm, angefangen bei seinem präzise gescheitelten blonden Haar bis hin zu dem blauen Oberhemd mit seinen akkurat hochgekrempelten Ärmeln, suggerierte stramme Effizienz. Selbst seine Art, in stakkatohaft hervorgestoßenen Sätzen zu reden, als gelte es, einen Punkt nach dem anderen abzuarbeiten, bewies, dass ihm das oberflächliche Geplapper, mit dem der Rest der Welt seine Zeit verplemperte, ein Ärgernis war.

Doch das allergrößte Ärgernis schien für ihn Eve selbst zu sein.

Aber das war sein eigenes Pech. Eve war ein absolutes Goldstück, das wusste jeder – und trotzdem hielt Jacob sich für etwas Besseres. Was gewisse Aspekte anging, mochte er damit recht haben … Aber sie gab nicht viel auf Leute, die ohne die entsprechenden Beweise Urteile über andere fällten. Sie gab gar nichts auf solche Leute.

Ganz ehrlich? Im Grunde wollte sie sowieso nicht hier arbeiten. Das Einzige, was sie nach kaum zehnminütiger Bekanntschaft mit dem dauerverächtlichen Jacob Wayne tun wollte, war, ihm eine Bratpfanne über den Kopf zu hauen.

Aber zuzusehen, wie ihm die Röte in die wohlgeformten Wangen stieg, war auch ganz unterhaltsam, und da genau das passierte, nachdem Mont »Unser guter Jacob sitzt knietief in der Scheiße« gesagt hatte, beschloss Eve, vorerst nicht empört abzurauschen, sondern noch ein Weilchen zuzuhören.

»Jacobs Köchin hat letzte Woche im Lotto gewonnen«, klärte Mont sie auf. »Fünfzigtausend Pfund. Also hat sie ihren Job gekündigt und ist zurück nach Schottland gezogen, um ihren Freund zu heiraten – davor führten sie eine Fernbeziehung – und ihr eigenes Restaurant zu eröffnen.«

Eve zog ungläubig eine Augenbraue hoch. »Na, das ist doch schön für sie. Allerdings bezweifle ich, dass sie mit fünfzigtausend weit kommt.«

»Genau das habe ich auch gesagt«, platzte Jacob heraus. »Was bringt eine Anzahlung auf ein Haus ohne festes Einkommen, um die Hypothek zu bedienen?« Kaum dass ihm diese Worte entschlüpft waren, runzelte er die Stirn und presste die Lippen aufeinander. Es schien ihm sehr zu missfallen, dass er mit Eve einer Meinung war.

Natürlich hatte Eve nicht gewusst, dass die fünfzigtausend Pfund für einen Hauskauf bestimmt waren. Sie hatte daran gedacht, dass fünfzigtausend nicht einmal die Hälfte des Budgets für Cecelias Hochzeitsfeier gewesen waren. Sie beschloss, dieses kleine Detail für sich zu behalten.

Du vergeudest Zeit und Chancen wie … wie ein verzogenes Gör.

Eve spitzte die Lippen und wandte sich von Jacob und seiner frostklaren Ausstrahlung ab, um sich stattdessen Mont zu widmen, der sie in jeder Hinsicht weniger verwirrte. Zwar war er mit seinem stets lächelnden Mund, der dunklen Haut und den warmen Augen genauso attraktiv wie Jacob, aber er strahlte weder dessen eiserne Selbstkontrolle noch seine gnadenlose Überheblichkeit aus und war insofern wesentlich angenehmer anzuschauen. »Bitte«, sagte sie höflich, »fahren Sie fort.«

Monts Lächeln wurde noch ein wenig breiter. Jacob verengte währenddessen die Augen zu Schlitzen. Nicht, dass Eve darauf geachtet hätte.

»Der springende Punkt ist«, nahm Montrose den Faden wieder auf, »die Köchin ist weg, und Jacob kann nicht mal ein Ei braten.«

»Doch«, knurrte Jacob. »Kann ich wohl.«

»Korrektur: Jacob wurde kurz nach der Geburt von einer Hexe mit einem Fluch belegt. Egal, wie genau er sich an ein Rezept hält, am Ende schmeckt es immer grauenhaft.«

Jacob öffnete den Mund, um Einwände zu erheben, aber dann schloss er ihn wieder, als fiele ihm bei genauem Nachdenken kein Gegenargument ein. Auf einmal war Eve froh, geblieben zu sein. Obwohl sie nicht die Absicht hatte, den Job bei Jacob anzunehmen, war es ganz unterhaltsam, mehr über seine Probleme zu erfahren.

»Außerdem«, sagte Mont, »ist Ende des Monats das Pfefferkuchen-Festival in Pemberton.« Er musste Eves Gesichtsausdruck gesehen haben, denn er setzte hinzu: »Dort gibt es eine alteingesessene Pfefferkuchen-Bäckerei mit einer treuen Fangemeinde. Verdammt gut, sollten Sie unbedingt mal kosten. Wie auch immer, es gibt dort einmal im Jahr ein Food-Festival, und Castell Cottage wird auf diesem Festival einen Stand betreiben. Das Motto lautet ›Frühstück zum Dinner‹.«

Eve war nicht klar gewesen, dass »Frühstück zum Dinner« ein real existierendes kulinarisches Konzept und nicht nur Bestandteil ihres eigenen chaotischen Lebensstils war, doch sie beschloss, sich von diesem neu erworbenen Wissen nicht aus der Bahn werfen zu lassen. »Und Ihr B&B …«

»Für mein B&B«, warf Jacob ein. Gott, was für eine Zicke.

»Dieses B&B«, fuhr Eve geschmeidig fort – sie war ziemlich stolz auf sich, »wurde für so ein wichtiges Event ausgewählt, obwohl Sie keinen Koch haben?«

Jacobs Kiefer spannte sich an, und seine kalten Augen blitzten feindselig, was recht drollig anzusehen war. Es kam nur selten vor, dass Eves angeborene Fähigkeit, anderen Menschen auf die Nerven zu gehen, ihr solch eine Genugtuung verschaffte.

»Als ich die Zusage erhalten habe, hatten wir noch eine Köchin«, stellte er klar. »Eine ganz hervorragende sogar.«

»Darüber hinaus«, ergänzte Mont, »gibt es alle möglichen Essensstände mit unterschiedlichen Themen und Betreibern. ›Pemberton Pfefferkuchen‹ fungiert als eine Art Mäzen für kleine lokale Firmen, so wie in alten Zeiten die Könige für … Lautenspieler … oder so ähnlich.« Er zuckte mit seinen breiten Schultern. »Die Leute kommen von überallher, das Festival ist also eine einmalige Chance, neue Kunden zu gewinnen. Die Presse wird auch da sein. Jacob ist es wichtig, einen guten Eindruck zu machen. Sehr wichtig. Aber wie Sie ganz richtig erkannt haben, bräuchte er dafür idealerweise einen Koch.«

Eve fand, dass der letzte Satz die Mutter aller Untertreibungen war.

»Um es kurz zu machen: Wir können es uns derzeit nicht leisten, wählerisch zu sein. Deshalb schlage ich Folgendes vor: Gehen wir doch alle zusammen in die Küche und …«

Jacobs Kopf fuhr herum. »Was soll das werden?«

Irgendwie gelang es Montrose, Jacobs schneidenden Ton zu ignorieren. Noch dazu mit einem Lächeln. »Sie geben uns eine Probe Ihres Könnens, und wenn Sie gut sind, Eve, dann …«

»Mont. Nein.«

»Wenn Sie gut sind«, fuhr Mont unbeirrt fort, »dann zieht Jacob vielleicht endlich den Stock aus seinem Arsch und nimmt Sie ernst.«

»Auf gar keinen Fall«, fauchte dieser.

Am Ende ihrer Geduld angelangt, setzte Eve ihr liebreizendstes Lächeln auf. »Sie wollen sich den Stock nicht aus dem Arsch ziehen? Haben Sie denn keine Angst vor potenziellen Verletzungen?«

In seinem Kiefer zuckte ein Muskel. »Ich – Sie – das ist nicht …« Er brach ab und holte scharf Luft. Innerhalb eines Wimpernschlags verwandelte sich seine verdatterte Empörung in kalte Verächtlichkeit. Sein Blick bohrte sich förmlich in sie hinein.

Aus unerfindlichen Gründen stockte ihr dabei der Atem – als wäre sein Blick in Wahrheit gar nicht unhöflich und abweisend, sondern ganz anders gemeint. Was natürlich nicht der Fall war.

»Es tut mir leid, Ms Brown«, sagte Jacob mit stahlharter Stimme, »aber mein Freund irrt sich. Für mich ist nach diesem Gespräch klar, dass wir nicht zueinander passen.«

»Ich stimme Ihnen von ganzem Herzen zu«, erwiderte Eve ruhig und nahm mit großer Befriedigung zur Kenntnis, dass Jacob ein Gesicht machte, als hätte er eine Wespe verschluckt. Sie erhob sich und wandte sich nochmals an Mont. »Es war mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Vielleicht schaue ich heute Abend mal in Ihrem Pub vorbei. Wo ist der noch gleich, sagten Sie?«

Mont hatte Jacob böse Seitenblicke zugeworfen, was ziemlich erheiternd war, doch nun richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Eve und schenkte ihr ein zuvorkommendes Lächeln, auf das sie auch verdammt noch mal ein Anrecht hatte. »Friar’s Hill, meine Liebe. Kommen Sie gerne und fragen Sie nach mir. Keine Sorge«, fügte er nach einem weiteren Seitenblick auf seinen Freund hinzu. »Jacob wird nicht da sein.«

Eve strahlte. »Ich kann es gar nicht erwarten, mich ausführlicher mit Ihnen über Säfte zu unterhalten …«

Jacob rang angewidert die Hände. »Flirtest du etwa mit ihr?«, wollte er von seinem Freund wissen.

»Natürlich«, sagte Eve freundlich. »Ich bin schließlich zum Anbeißen.« Nach diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und schwebte aus dem Raum. Im Türrahmen warf sie Mont noch einen Schulterblick zu. Rufen Sie mich an, formte sie lautlos mit den Lippen und zwinkerte demonstrativ.

»Wir haben doch noch nicht mal Ihre Kontaktdaten, verdammt!«, rief Jacob ihr nach.