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Falling for Love. Vertraue auf dein Herz E-Book

Anna Savas

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Beschreibung

**Zwischen Vertrauen und Vernunft** Für Cat bricht eine Welt zusammen, als sie ihren Freund Kyle dabei erwischt, wie er bei ihren Eltern einbricht. Sie hat ihn geliebt, doch er hat sie nur benutzt und hintergangen. Eins ist sicher: Ihr Herz lässt sie sich nicht noch einmal stehlen. Doch als Cat auf den charmanten Gray trifft, geraten ihre Vorsätze ins Wanken. Trotz aller Gegenwehr schafft er es immer wieder, sie mit seiner lockeren Art um den Finger zu wickeln und ihr Herz zum Flattern zu bringen. Bis sie ausgerechnet bei ihm zu Hause auf Kyle trifft. Niemals hätte sie erwartet, dass ihr Vertrauen zu Gray so auf die Probe gestellt wird…   //»Falling for Love. Vertraue auf dein Herz« ist ein in sich abgeschlossener Roman.//   //Weitere bewegende Liebesgeschichten der Erfolgsautorin Anna Savas:  -- Forbidden Love Story. Weil ich dir begegnet bin  -- Heartbroken Kiss. Seit du gegangen bist -- Loving or Losing. Als du in mein Leben kamst//

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Anna Savas

Falling for Love. Vertraue auf dein Herz

**Zwischen Vertrauen und Vernunft**Für Cat bricht eine Welt zusammen, als sie ihren Freund Kyle dabei erwischt, wie er bei ihren Eltern einbricht. Sie hat ihn geliebt, doch er hat sie nur benutzt und hintergangen. Eins ist sicher: Ihr Herz lässt sie sich nicht noch einmal stehlen. Doch als Cat auf den charmanten Gray trifft, geraten ihre Vorsätze ins Wanken. Trotz aller Gegenwehr schafft er es immer wieder, sie mit seiner lockeren Art um den Finger zu wickeln und ihr Herz zum Flattern zu bringen. Bis sie ausgerechnet bei ihm zu Hause auf Kyle trifft. Niemals hätte sie erwartet, dass ihr Vertrauen zu Gray so auf die Probe gestellt wird …

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Vita

Danksagung

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© privat

Anna Savas wurde 1993 in Herne geboren und studierte Komparatistik und Geschichte in Bochum. Schon als junges Mädchen entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern und dem Verfassen eigener Geschichten, die immer länger wurden, bis schließlich ihr erster Roman entstand. Mit dem Schreiben bringt sie Ordnung in ihr Gedankenchaos, daher würde sie das Haus nie ohne ihr kleines Notizbuch verlassen.

Für alle, denen schon einmal das Herz gebrochen wurde.

Es gibt immer jemanden, der es wieder zusammensetzen kann.

Kapitel 1

Cat

Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus, als ich die Haustür öffnete. Es war nicht abgeschlossen und das war unmöglich. Ich wusste, dass ich die Tür verschlossen hatte, bevor ich am Morgen das Haus verlassen hatte und zur Arbeit gegangen war. Ich erinnerte mich deshalb so genau daran, weil ich an diesem Morgen wie eine Verrückte meinen Schlüssel gesucht und schließlich, als ich ihn nicht gefunden hatte, den Ersatzschlüssel genommen hatte.

Entschlossen schob ich das mulmige Gefühl beiseite. Meine Eltern waren im Urlaub, aber bestimmt war mein Bruder früher von der Schule nach Hause gekommen. Vielleicht ging es ihm auch nicht gut, so wie mir. Wir waren oft gleichzeitig krank. Und eine Grippe im Winter war ja nun wirklich nichts Ungewöhnliches. Oder er nutzte die Abwesenheit unserer Eltern, um die Schule zu schwänzen. Ganz unwahrscheinlich war auch das nicht.

Fröstelnd schloss ich die Haustür hinter mir und ging durch den Flur Richtung Küche. Mein Kopf tat höllisch weh und auch wenn ich mir einzureden versuchte, dass es mir morgen bestimmt besser gehen würde, wusste ich doch, dass ich so leicht nicht davonkommen würde. Meine Körpertemperatur war zu hoch. Was sich da ankündigte, war mehr als nur eine harmlose Erkältung. Da würden auch eine Kanne Tee und ein Serienmarathon nicht wirklich helfen. Schlafen. Ja, das war eine gute Idee. Lange, lange schlafen.

Der Flur öffnete sich zum Wohn- und Essbereich und ich war schon fast vorbeigelaufen, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm und abrupt stehenblieb. Langsam drehte ich mich um, mein Herz schlug mir bis zum Hals und mir war mit einem Mal speiübel. Panik jagte durch meinen Körper, als mir klar wurde, dass ich nicht allein war. Und dass es nicht mein Bruder war, der zu Hause auf mich wartete. Doch die Panik verwandelte sich schnell in Unglauben und absolute Verwirrung, als ich erkannte, wer da vor mir stand.

Kyle.

Ein Junge, mit dem ich seit einigen Wochen zusammen war und der im Wohnzimmer meiner Eltern in diesem Moment definitiv nichts zu suchen hatte.

Einen Augenblick lang konnte ich ihn nur perplex anstarren. Ich verstand nicht, was hier vor sich ging. Dann sah ich, dass er die kristallene Lieblingsvase meiner Mutter in der Hand hielt und mir war nicht mehr nur übel, sondern ich hatte das dringende Bedürfnis, mich zu übergeben.

Das durfte doch nicht wahr sein. Erst gestern Abend hatte ich seinetwegen stundenlang mit meiner besten Freundin Everly telefoniert. Weil Kyle der undurchsichtigste Mensch war, den ich je kennengelernt hatte. Und weil ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte.

***

»Weißt du, was ich nicht verstehe?« Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte an die Decke. Ich lag auf meinem Bett, eingekuschelt in eine Decke, und versuchte zu verstehen, was mit mir los war.

»Nein, aber du wirst es mir bestimmt gleich sagen«, erwiderte Everly amüsiert.

»Wie kann es sein, dass ich ihn so sehr mag, obwohl ich praktisch nichts über ihn weiß? Ich kenne nicht mal seine Familie und meine will er auch nicht kennenlernen. Er ist während der letzten Tage nur mit zu mir gekommen, weil meine Eltern im Urlaub sind. Obwohl ich darüber ehrlich gesagt ganz froh bin. Dad war alles andere als begeistert, als ich ihm und Mum von Kyle erzählt habe.«

Everly seufzte. »Glaubst du, dass dein Dad irgendwann wieder normal mit dir umgehen kann?«

»Ich glaube nicht, dass er das jemals konnte. Aber egal, damit komme ich klar. Womit ich wirklich nicht klarkomme, ist Kyles Verhalten. Er möchte nicht einmal dich und Liam kennenlernen, und ihr seid wirklich harmlos. Das ist doch nicht normal. Oder?« Ich hörte selbst, wie unsicher ich klang und das verunsicherte mich noch mehr. Ich war sonst nicht so. Nicht wegen eines Jungen. Aber dieses Mal war alles anders. Kyle war anders.

»Vielleicht ist er einfach schüchtern.«

Seufzend drehte ich mich auf den Bauch. »Nein. Er ist nicht schüchtern. Ich kann das nicht beschreiben. Er ist einfach … es fühlt sich an, als hätte ich … Mist, ich weiß echt nicht, wie ich das erklären soll.« Frustriert schlug ich auf mein Kissen ein, während gleichzeitig mein ganzer Körper anfing zu kribbeln. Das passierte jedes Mal, wenn ich an Kyle dachte und es verwirrte mich zutiefst.

»Brauchst du auch nicht. Ich verstehe dich auch so. Du hast dich in ihn verliebt.«

»Nein.« Mein Herz setzte einen Schlag aus, ich hielt den Atem an.

Everly schwieg.

Seufzend stieß ich den angehaltenen Atem wieder aus. »Okay, du hast recht. Aber das ist dämlich. So lange kennen wir uns noch nicht.«

»Man muss sich auch nicht immer schon eine Ewigkeit kennen, um sich zu verlieben. Manchmal reicht auch ein Augenblick.«

»Aber ich bin nicht so, okay? Ich verliebe mich nicht so schnell. Ich bin impulsiv, das gebe ich zu, aber das? Das bin nicht ich, Everly!«

»Vielleicht ja doch.«

»Aber ich kann mich doch nicht in jemanden verlieben, den ich praktisch nicht kenne! Wir haben uns heute getroffen und egal, wie oft ich ihn nach seiner Familie gefragt habe, er hat die ganze Zeit abgeblockt. Irgendwas stimmt da nicht. Dabei will ich ihn doch einfach nur besser kennenlernen. Weil …« Ich hielt kurz inne und gab es dann einfach zu: »Weil ich möchte, dass das mit uns was Ernstes wird.«

»Ich weiß.« Everly lachte kurz und wurde dann wieder ernst. »Wenn dich das so sehr beschäftigt, warum redest du dann nicht einfach mit ihm? Sag ihm, was los ist, und dann wird sich alles klären, ganz sicher.«

»Meinst du?«

»Fragst du das gerade wirklich? Du bist doch diejenige, die alles direkt anspricht! Cat, komm schon, ich kann nicht glauben, dass ich dich zu einem klärenden Gespräch überrede.«

Unwillkürlich musste ich lächeln. »Du hast recht, danke. Also, ich rede mit ihm. Morgen. Und dann wird sich alles klären.«

Ich konnte Everlys Lächeln hören, als sie antwortete: »Ganz bestimmt.«

***

»Hey, Cat.« Kyle riss mich aus meinen Gedanken, bevor ich meine Stimme wiederfand und ihn fragen konnte, was er hier zu suchen hatte. Und vor allem, wie zum Teufel er ins Haus gekommen war. Ein freches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er stellte die Vase zurück und schob die Hände in die Hosentaschen.

Kyle sah gut aus und das wusste er. Mit den dunklen Haaren, den blitzenden graugrünen Augen, den Muskeln, die sich unter seinem Oberteil abzeichneten und dem Tattoo, das aus dem Kragen seines T-Shirts lugte, war er zwar optisch das totale Klischee eines Bad Boys, aber charakterlich war er bisher vollkommen anders gewesen. Er hatte nie viel über sich gesprochen und war meinen Fragen immer ausgewichen. Gleichzeitig war er mir gegenüber aber die ganze Zeit sehr aufmerksam gewesen, süß und charmant. Er hatte mir während der letzten Wochen das Gefühl gegeben, dass ich der wichtigste Mensch der Welt für ihn war. Das mochte vielleicht albern und naiv gewesen sein, aber genau so hatte ich mich gefühlt.

Doch ganz offensichtlich hatte ich mich geirrt.

Das Dröhnen in meinem Kopf verstärkte sich zu einem schmerzhaften Hämmern, es fiel mir schwer, noch einen klaren Gedanken zu fassen. Fragen rasten durch meinen Kopf, zu viele, bis ich schließlich eine ziemlich wichtige zu fassen bekam.

»Was machst du hier?« Ich trat einen Schritt auf ihn zu und tastete gleichzeitig nach dem Haarspray in meiner Handtasche. Das war zwar kein Pfefferspray, aber schön war es auch nicht, davon eine Ladung in die Augen zu bekommen.

Kyles Grinsen wurde breiter. »Ich wollte dich besuchen.«

»Und wie bist du reingekommen?«, presste ich hervor. Mein Herz raste, ich konnte und wollte nicht glauben, was hier gerade passierte.

»Die Tür stand offen«, erwiderte er und blinzelte mich unschuldig an.

Ich erstarrte. Klar. Verarschen konnte ich mich auch alleine. Er wollte mich nicht besuchen und die Tür war auf gar keinen Fall offen gewesen. Der Scheißkerl war hier eingebrochen. Wie auch immer er das angestellt hatte.

»Ich werde jetzt die Polizei rufen.« Mit zitternden Händen griff ich nach dem Telefon, das auf der Kommode stand, als er mich aufhielt.

»Das würde ich an deiner Stelle besser lassen.« Das Lächeln war aus seiner Stimme verschwunden, stattdessen war sie kalt und hart.

Langsam drehte ich mich zu ihm um. »Drohst du mir etwa?« Ungläubig sah ich ihn an. Spätestens jetzt hätte ich wirklich Angst bekommen sollen, aber ich war plötzlich so wütend, dass für andere Gefühle kein Platz war. Wütend auf ihn, weil er gerade bewies, dass er ein ziemliches Arschloch war und wütend auf mich, weil ich zu blind gewesen war, um es vorher zu sehen.

Kyle trat auf mich zu, doch ich dachte gar nicht daran zurückzuweichen. Mochte ja sein, dass er zwanzig Zentimeter größer war als ich, aber ich hatte drei Brüder und Mum hatte mich schon mit zehn in einen Kickboxverein gesteckt, damit ich meine Energie sinnvoll einsetzte. So einfach, wie er glaubte, würde ich es diesem Dreckskerl bestimmt nicht machen. Auch wenn es drei Jahre her war, dass ich das letzte Mal beim Training gewesen war.

»Natürlich nicht. Was denkst du nur von mir, Cat?« Er schüttelte den Kopf, einen tadelnden Ausdruck in den Augen.

Mir fiel einiges ein, was ich ihm in diesem Moment gerne an den Kopf geworfen hätte, doch Kyle ließ mir keine Zeit, um zu antworten.

»Was willst du der Polizei sagen? Dass ich eingebrochen bin? Ohne Einbruchsspuren dürfte das schwierig werden.« Kyle zog etwas aus seiner Hosentasche, das ich erst beim zweiten Hinsehen als meinen Hausschlüssel identifizieren konnte.

Oh Scheiße! So war er also hier reingekommen. Und ich hatte gedacht, ich hätte das blöde Teil einfach nur in den Untiefen meines chaotischen Zimmers verloren. Im Leben wäre mir nicht in den Sinn gekommen, dass Kyle ihn mir gestern geklaut hatte, als er hier gewesen war. Dieser Dreckskerl! Und ich hatte es noch süß gefunden, dass er mich gefragt hatte, wann ich am nächsten Tag arbeiten müsste, damit wir uns danach noch sehen könnten. Dabei hatte er anscheinend nur herausfinden wollen, wann niemand zuhause war. Zum ersten Mal wünschte ich mir ernsthaft, Adam hätte tatsächlich die Schule geschwänzt und wäre jetzt hier.

Wie absolut blöd war ich eigentlich? Wie hatte ich Kyle vertrauen können?

Mit einem Satz sprang ich nach vorne und riss ihm meinen Schlüssel aus der Hand. »Du Arschloch!«, zischte ich und schubste ihn mit aller Kraft zurück. Kyle riss überrumpelt die Augen auf und schien den Halt zu verlieren. Zu meinem Leidwesen fing er sich aber fast sofort wieder und trat einen Schritt zurück. Gut so. Ein grimmiges Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

»Ich kann immer noch die Polizei rufen.«

»Und dann? Dein Wort stünde gegen meins, Cat. Wenn ich ihnen dann noch sage, dass ich dich gerade abserviert habe und du mir was anhängen willst, weil du damit nicht klarkommst, dann glaubt dir niemand mehr.«

Sprachlos starrte ich ihn an. Mein Herz fühlte sich an, als würde es zerspringen, ich rang nach Atem. Tränen brannten in meinen Augen, doch ich drängte sie energisch zurück. Noch nie im Leben hatte ich mich so verraten gefühlt. »Warum tust du das? Ich dachte, wir …«

»Es gibt kein Wir, Cat. Kapierst du es nicht? Das mit uns war nur ein Spiel. Du warst mir nie wichtig. Ich wollte in dieses Haus und du warst mein Weg hinein. Du …«

Dieses Mal schubste ich ihn so heftig, dass er stürzte. Er schrie auf, als sein Kopf mit einem beunruhigenden Geräusch auf den Türrahmen traf. Als er sich wieder aufrappelte, sah ich Blut auf dem weißen Holz. Kurz meldete sich mein schlechtes Gewissen, aber ich schob es energisch zur Seite. Dafür war jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.

»Ist das dein Ernst?! Für dich war das alles nur ein beschissenes Spiel?! Du brichst hier ein und willst mich dann auch noch blöd dastehen lassen?!« Ich bebte vor Zorn, alle anderen Gefühle waren verschwunden. Meine Gedanken überschlugen sich und mir wurde schwindelig.

Ich sollte wirklich die Polizei rufen. Und was dann? Kyle hatte recht. Sein Wort stünde gegen meins. Ganz abgesehen davon bezweifelte ich, dass er überhaupt so lange hierbleiben würde, bis die Polizei hier wäre. Und so stark, um ihn festzuhalten, war ich dann doch nicht.

»Du kleines Miststück!«, presste Kyle hervor.

»Du hättest dir jemand anderen suchen sollen, den du verarschen kannst! Und jetzt verschwinde! Hau einfach ab und lass dich hier nie wieder blicken!«, fauchte ich.

Kyle schob sich an mir vorbei und grinste mich trotz der Schmerzen, die er haben musste, frech an. Der Kerl war wirklich unfassbar.

»Wir sehen uns, Kätzchen.«

Ich zuckte beim Klang des Spitznamens zusammen und hatte erneut das dringende Bedürfnis, mich zu übergeben. Dieses Mal allerdings aus einem anderen Grund. Wieso nur musste ich mir immer die vollkommen falschen Typen aussuchen?

Ich behielt Kyle im Auge, bis er das Haus verlassen hatte, warf die Tür mit einem lauten Knall hinter ihm zu und schloss ab. Den Schlüssel ließ ich stecken. Sicher war sicher. Auch wenn ich meinen Schlüssel zurückbekommen hatte, konnte ich nicht wissen, ob er sich nicht vielleicht einen hatte nachmachen lassen.

Ich wünschte, ich hätte heute Morgen gründlicher gesucht, anstatt den Ersatzschlüssel zu nehmen. Vielleicht wäre ich dann schon misstrauisch geworden. Obwohl ich wahrscheinlich eher geglaubt hätte, den Schlüssel verloren zu haben, als dass Kyle ihn mir geklaut hatte.

Mit einem tiefen Seufzen ließ ich mich gegen die Wand sinken. Tränen schossen mir in die Augen und dieses Mal konnte ich sie nicht zurückhalten.

Toll. Auf das Gespräch mit meinen Eltern freute ich mich jetzt schon. Dabei war es doch gerade erst wieder besser gelaufen. Kurz war ich versucht die Sache einfach für mich zu behalten, aber es konnte wirklich sein, dass Kyle sich einen Schlüssel hatte nachmachen lassen – auch wenn es unwahrscheinlich war – und dann musste das Schloss ausgewechselt werden und das konnte ich meinen Eltern schlecht verschweigen. Ich wusste ganz genau, was Dad sagen würde. Obwohl er hunderte Kilometer entfernt war, konnte ich den Vortrag förmlich hören, den er mir ohne Zweifel halten würde.

Erschrocken riss ich die Augen auf, als mir ein Gedanke durch den Kopf schoss. Was, wenn Kyle doch etwas geklaut hatte? Woher sollte ich wissen, wie lange er hier gewesen war? Er hätte oben in meinem Zimmer gewesen sein können oder bei meinen Eltern im Schlafzimmer. Bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen um und ich sprang auf. Hastig lief ich nach oben. Doch das Schlafzimmer meiner Eltern wirkte unberührt und Mum schloss ihren Schmuck immer im Safe ein, wenn sie im Urlaub war. Ich sah kurz hinter den Vorhang, doch der Safe war fest verschlossen und ohne Schlüssel auch nicht zu öffnen.

Auch in meinem Zimmer schien auf den ersten Blick nichts zu fehlen. Aber ich war sehr unordentlich und mein Zimmer war so chaotisch, dass ich erstmal gründlich aufräumen musste, um mir wirklich sicher sein zu können. So ein Mist!

Wie hatte ich nur so blöd sein können? Ich wollte nicht weinen, weil ich so wütend war, aber jetzt liefen immer mehr Tränen über mein Gesicht.

Schluchzend rollte ich mich auf meinem Bett zusammen. Mein Herz tat weh, alles tat weh. Ich hatte Kyle vertraut und was hatte ich davon? Gar nichts. Ich war gnadenlos verraten worden.

Es dauerte lange, bis ich mich wieder beruhigt hatte, und als ich schließlich so weit war, schmerzte mein Kopf noch mehr als vorher. Jetzt wollte ich wirklich einfach nur noch schlafen. Aber vorher musste ich noch eine Sache erledigen.

Also tat ich, was ich schon hätte tun sollen, bevor ich Kyle rausgeworfen hatte, und griff mit einem tiefen Seufzen nach dem Telefon.

Kapitel 2

Vier Monate später

Cat

Irgendwann würde mein Bruder mich noch in den Wahnsinn treiben! Das hatten sie alle drei schon mehr als einmal getan, aber Adam musste dem Ganzen heute mal wieder die Krone aufsetzen.

Ungeduldig klopfte ich an die Badezimmertür. »Adam, wenn ich dich mitnehmen soll, beeil dich gefälligst! Ich habe nicht vor deinetwegen zu spät zur Arbeit zu kommen.«

Adam öffnete die Tür, streckte den Kopf heraus und schenkte mir sein übliches charmantes Grinsen. »Ach komm schon, Cat. Jetzt sei nicht so, so spät ist es noch gar nicht.«

Leider hatte Adam das Pech, dass ich seine Schwester war und sein Charme bei mir absolut nicht zog. Demonstrativ hielt ich ihm mein Handgelenk samt Armbanduhr direkt vor die Nase und Adam fluchte. Vielleicht sollte er die Zeit doch mal besser im Blick behalten.

»Also ich finde, es ist ziemlich spät und entweder bewegst du deinen Arsch jetzt zu meinem Auto oder du fährst mit dem Bus, und dann würdest du definitiv zu spät kommen!«, konterte ich, wirbelte auf dem Absatz herum und lief nach unten.

Adams lautstarken Protest ignorierte ich.

Ich hatte recht. Adam war ziemlich spät dran und das, obwohl seine ersten beiden Stunden ausgefallen waren. Nur deshalb hatte ich mich überhaupt bereit erklärt ihn zur Schule zu bringen. Ich würde freiwillig niemals eher aufstehen als nötig und im Gegensatz zu ihm musste ich erst um halb zehn auf der Arbeit sein.

Drei Minuten später riss Adam mit einem gehetzten Ausdruck auf dem Gesicht die Beifahrertür meines Autos auf und ließ sich stöhnend auf den Sitz fallen.

»Ich verstehe echt nicht, warum ich immer so spät dran bin. Ist ja nicht so, als würde ich verschlafen«, murmelte er mehr zu sich selbst als zu mir.

»Vielleicht weil du mehr Zeit im Bad verbringst als ich.«

Adam warf mir einen giftigen Blick zu, ließ sich aber zu keiner weiteren Antwort herab.

Leise kichernd steuerte ich das Auto aus der Einfahrt.

Uns beide trennten nur fünfzehn Monate, aber er war trotzdem der Jüngste von uns und das wurmte ihn ganz gewaltig. Drei ältere Geschwister zu haben stellte ich mir fast genauso anstrengend vor wie das einzige Mädchen zu sein.

»Wie geht’s Cassie?«, wechselte ich das Thema und fädelte das Auto in den Verkehr. Um diese Zeit war nicht mehr viel los, sodass wir mit etwas Glück beide noch pünktlich sein würden.

»Keine Ahnung. Wir haben Schluss gemacht.« Er zuckte mit den Achseln, tat, als würde es ihm nichts ausmachen, doch seine Stimme klang plötzlich abwehrend und ich kannte meinen Bruder. Die tiefe Falte, die sich zwischen seinen Augenbrauen abzeichnete, zeigte, dass er verletzt war.

»Was? Aber wieso? Es ist doch gut gelaufen zwischen euch.« Ich warf ihm einen kurzen besorgten Blick zu, bevor ich wieder nach vorne sah, weil ich mich auf die Straße konzentrieren musste. Das war nicht gut. Was seine Beziehungen anging, kam Adam leider mehr nach mir als nach Noah und Colin. Wir zwei hatten einfach immer Pech.

Adam sah mich finster an. »Das Übliche. Ich bin ihr zu nett. Was stimmt nur nicht mit euch Mädchen?«

Das war eine ziemlich gute Frage. Noch dazu eine, die ich nicht richtig beantworten konnte. Nach meinem letzten Fehlschlag hatte ich festgestellt, dass ich selbst wohl doch mehr auf Bad Boys stand, als ich gedacht hatte. Und dass das selten ein gutes Ende nahm. Nette Typen wurden eindeutig unterschätzt.

»Adam, du siehst gut aus, du bist lustig und sehr lieb. Irgendwann werden die Mädchen dir scharenweise hinterherlaufen, versprochen!«, versuchte ich ihn aufzumuntern.

»Irgendwann ist eine sehr unpräzise Zeitangabe, Cat. Das kann noch ewig dauern.«

»Ich weiß, tut mir leid. Ich fürchte, ich bin da keine große Hilfe. Aber es ist doch besser, wenn einem das Herz gebrochen wird, weil man zu nett ist und nicht, weil man einfach nur blöd ist, oder?« Über die Mittelkonsole hinweg griff ich nach seiner Hand und drückte sie.

»Da bist du ja die Expertin in unserer Familie«, erwiderte er, grinste jetzt aber wieder und ich nahm seinen Seitenhieb mit einem Lächeln hin, auch wenn es mir kurz einen heftigen Stich versetzte. An Kyle zu denken tat immer noch weh. Auch wenn ich über ihn hinweg war, hatte ich seinen Verrat nicht so leicht überwunden.

***

Jane und Nicolas, die Besitzer der Buchhandlung und Everlys Eltern, waren schon da, als ich Jane’s World of Books durch den Hintereingang betrat. Seit ich mich im letzten Sommer gegen ein Studium entschieden hatte, arbeitete ich in der Buchhandlung. Schon an meinem ersten Tag hatte ich mich in den Laden verliebt und tat es jeden Tag noch ein bisschen mehr, seit die Buchhandlung im Januar in neue Räume umgezogen war. Alles war neu aufgebaut worden. Wir hatten uns ein frisches Konzept überlegt, die Bücher anders sortiert und strukturiert, und ich hatte genauso viel dazu beigetragen wie alle anderen, denen etwas an der Buchhandlung lag. Ich hatte den Räumen einen Teil von mir gegeben, vor allem der Kinderbuchabteilung im Untergeschoss. Das war mein Lieblingsort, dem ich meinen ganz persönlichen Stempel aufgedrückt hatte, und ich freute mich jeden Tag, wenn ich die metallene Wendeltreppe hinunterlief und tief den Geruch nach Büchern in mich einsog.

»Guten Morgen, Cat«, begrüßte Nicolas mich, als ich ins Büro trat, um meine Tasche abzulegen. Er schenkte mir ein warmes Lächeln. Ich hatte ihn und seine Frau von Anfang an gemocht.

Mit seinen braunen Haaren, die dringend mal wieder einen Haarschnitt benötigten, den sanften, ebenfalls braunen Augen und dem karierten Flanellhemd war Nicolas schon optisch das komplette Gegenteil von meinem Dad. Aber auch charakterlich unterschied er sich sehr von ihm. Nicholas war immer freundlich, sehr ruhig und hielt sich meistens im Hintergrund. Manchmal fragte ich mich, ob ich ihn deshalb so gerne mochte und mich so wohl hier fühlte.

»Guten Morgen. Gibt’s schon Pläne für heute?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, bisher steht noch nichts an. Aber ich bin sicher, dass du wieder einiges zu tun bekommst.«

Unwillkürlich musste ich lächeln und mein Herz machte einen fröhlichen Satz. Letzten Herbst hatten wir Vorlesestunden für Kinder eingeführt, die zu meiner Freude mit Begeisterung angenommen worden waren.

Die Idee dahinter war einfach: Eltern, die mit ihren Kindern in Buchhandlungen gingen, hatten selten Zeit, um in Ruhe nach ihrem eigenen Lesestoff zu stöbern. Deshalb schnappte ich mir die Kleinen, verzog mich mit ihnen nach unten in die Kinderbuchabteilung und wir suchten gemeinsam ein Buch aus, das ich ihnen vorlesen würde, bevor wir es uns in großen Sitzsäcken bequem machten. Die Eltern hatten so genug Zeit, um sich umzuschauen und den Kindern wurde die Welt der Bücher nähergebracht. Dass wir durch diese Vorlesestunden mehr verkauften, weil oft noch das Buch, das ich vorlas, in der Einkaufstasche landete, war ein sehr angenehmer Nebeneffekt.

»Alles klar. Dann schau ich mal, wie ich Jane vorne helfen kann.«

Beschwingt verließ ich das Büro und betrat das Herz der Buchhandlung. Mit einem zufriedenen Seufzen blieb ich stehen und sah mich um. Das tat ich jeden Tag, wenn ich morgens den Hauptraum der Buchhandlung betrat. Dann war noch niemand hier, außer Jane und mir. Es war die letzte ruhige Viertelstunde, bevor die ersten Kunden kamen.

Mein Blick fiel auf die Bücher, die ordentlich in den Regalen standen und auf Tischen präsentiert wurden. Der ganze Raum strahlte Gemütlichkeit aus. Das lag vor allem an den warmen, freundlichen Farben. Die Wände waren in einem hellen Cremeton gestrichen, die einen wunderbaren Kontrast zu den Regalen aus dunklem Holz abgaben.

In der Kochbuchecke stand ein runder Tisch, um den herum schokoladenbraune Sessel gruppiert waren, die zum Sitzen einluden.

Jane hatte sich ganz bewusst für eine gemütliche, heimelige Atmosphäre entschieden und das zahlte sich aus. Viele Leute kamen nicht nur hierher, um ihre Bücher zu kaufen, sondern blieben auch länger, um direkt reinzulesen.

Ich atmete tief den unverwechselbaren Geruch der Bücher ein, der sich mit dem Duft der Blumensträuße vermischte, die wir in der gesamten Buchhandlung verteilten. Im Moment lag der satte, schwere Duft von Pfingstrosen in der Luft.

Mein Blick fiel auf Jane, die an der Kasse stand und alles vorbereitete, damit wir die Buchhandlung gleich öffnen konnten. Sie hatte mich noch nicht bemerkt. Lächelnd betrachtete ich sie. Sie wirkte geschäftig, stand immer unter Strom und versprühte trotzdem gute Laune. Mit ihren kinnlangen blonden Haaren und den Sommersprossen, die auf ihren Wangen tanzten, wirkte sie jünger, als sie tatsächlich war. Wie immer umspielte ein leichtes Lächeln ihre Lippen.

Jane war eine Frau, die mich von Anfang an schwer beeindruckt hatte. Sie hatte es nicht immer leicht gehabt, vor allem das letzte Jahr war schwierig für sie und ihre Familie gewesen. Sie hatte kurz davorgestanden, die Buchhandlung zu verlieren und nur einem glücklichen Zufall und dem darauf folgenden Umzug hatten wir alle es zu verdanken, dass es Jane’s World of Books immer noch gab. Und obwohl es nicht immer einfach gewesen war, hatte sie nie ihre gute Laune und ihren Optimismus verloren.

»Guten Morgen, Jane«, rief ich, bevor ich zu ihr trat. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass sie oft so versunken in ihre Arbeit war, dass sie sich furchtbar erschreckte, wenn man sich ihr ohne Ankündigung näherte.

Sie hob den Kopf und strahlte mich an. »Hallo Cat, ich hab gar nicht gehört, dass du schon gekommen bist.«

»Soll ich schon mal aufmachen?«, fragte ich und als Jane zustimmend nickte, ging ich zum Eingang.

Ich schloss die Tür auf und ließ sie weit offen stehen. Lächelnd trat ich einen Schritt nach draußen und legte den Kopf in den Nacken. Mit geschlossenen Augen ließ ich mir die warme Sonne ins Gesicht scheinen. Es war Anfang Juni und in den letzten Tagen war es oft schon am Morgen angenehm warm gewesen. Im Radio hatten sie gesagt, dass die Temperaturen noch steigen würden. Erneut atmete ich tief ein.

Ja, es roch definitiv nach Sommer.

***

Um drei Uhr saß ich mit zwei Jungen und drei Mädchen unten in der Kinderbuchabteilung auf den Sitzsäcken und las ihnen vor. Keiner von ihnen war älter als acht und einige waren schon so oft hier bei mir gewesen, dass es jedes Mal erst ein heilloses Durcheinander gab, bevor wir unsere Leserunde anfangen konnten. Dann erzählten sie mir vom Kindergarten oder der Schule, von ihren Freunden und Geschwistern und von ihren Spielsachen, die oft von den blöden großen Brüdern kaputt gemacht wurden. Die Tränen, die dabei vergossen wurden, konnte ich sehr gut nachvollziehen.

Heute hatte ich mich für Ronja Räubertochter von Astrid Lindgren entschieden, weil die Kinder sich nicht einigen konnten, was sie hören wollten. Bevor das Ganze in einen riesigen Streit ausartete, hatte ich die Entscheidung getroffen.

Anders als sonst war ich aber nicht ganz bei der Sache.

Mrs Bennett, die Immobilienmaklerin, die Jane und Nicolas damals diese Räume für die Buchhandlung vermittelt hatte, stand einige Meter von unserer Gruppe entfernt und telefonierte. Ihr Sohn Josh saß direkt neben mir. Immer wieder warf sie besorgte Blicke in unsere Richtung. Ich kannte die beiden jetzt schon ein halbes Jahr, sie waren oft hier, vor allem während der Vorlesestunden. Sonst wirkte Mrs Bennett immer ganz entspannt, wenn sie Josh beim Zuhören beobachtete. Heute war irgendwas anders. Und ich fragte mich unwillkürlich, was es war. Ich sollte wirklich nicht so neugierig sein.

Plötzlich wurde ihre Stimme lauter und ich konnte hören, was sie sagte, egal wie viel Mühe ich mir gab nicht zu lauschen.

»Das kannst du nicht machen! Du weißt, dass ich heute Abend einen wichtigen Termin habe! Wer soll auf Josh aufpassen, wenn du ständig abspringst?«, rief sie aufgebracht. Ihre Stimme brach beim letzten Wort.

Ich hob den Kopf, Josh drehte sich mit einem sorgenvollen Ausdruck auf dem Gesicht zu seiner Mutter um. Er wollte aufspringen und zu ihr rennen, doch ich griff vorsichtig nach seinem Handgelenk und hielt ihn zurück. Er zitterte, das konnte ich spüren. Seine grauen Augen füllten sich mit Tränen.

Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Erst als Mrs Bennett aufgelegt und ihr Handy wieder in ihrer Handtasche verstaut hatte, ließ ich Josh los. Einen Augenblick später war er bei seiner Mutter und schlang beide Arme um ihre Taille. Sie schloss für einen Moment die Augen, tiefe Verzweiflung stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Doch als sie die Augen wieder öffnete, lächelte sie ihren Sohn an, wenn auch sehr gezwungen. »Was hältst du davon, wenn du heute Abend mitkommst? Es wird auch nicht lange dauern.«

Josh verzog das Gesicht. »Mummy, du hast versprochen, dass ich heute den Film sehen darf. Ich will nicht schon wieder mitkommen. Das ist immer total langweilig.«

Mrs Bennett seufzte und strich ihm durch die dunklen Locken. »Ich weiß, Schatz, aber dein Bruder hat keine Zeit, um auf dich aufzupassen.«

Ohne nachzudenken sprang ich auf, übergab die Verantwortung kurzerhand der siebenjährigen Betty und ging zu Mrs Bennett hinüber.

»Entschuldigen Sie, ich wollte nicht zuhören, aber …« Ich machte eine vielsagende Handbewegung. »Wenn Sie wollen, kann ich heute Abend auf Josh aufpassen. Ich hab schon oft auf kleine Chaoten wie ihn aufgepasst und ich hätte Zeit.«

Überrascht sah sie mich an, Hoffnung blitzte in ihren Augen auf, die jedoch schnell wieder erlosch.

»Nein, das kann ich nicht annehmen«, erwiderte sie, doch ihr Protest klang ziemlich schwach.

»Doch das können Sie. Mir würde das nichts ausmachen.« Entschlossen sah ich sie an und zwinkerte Josh dann zu. Er verstand sofort und schaute flehentlich zu seiner Mutter hoch.

»Bitte, Mum! Cat schaut auch bestimmt den Film mit mir, oder?«

»Oh ja, das würde ich.« Ich nickte bekräftigend und Mrs Bennett gab nach. Es wirkte, als wäre ihr eine schwere Last von den Schultern genommen worden.

»Das wäre wirklich kein Problem für dich?«

»Nein gar nicht. Sagen Sie mir einfach, wann ich bei Ihnen sein soll und ich bin da, Mrs Bennett.«

»Danke Cat! Du rettest uns beiden gerade den Abend. Eine Sache wäre da aber noch.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen. »Mein Name ist Caroline.«

***

»Ich will aber warten, bis Mum wiederkommt«, quengelte Josh und schob die Unterlippe vor. Sein Pech war, dass ich Erfahrung mit Bitten und Betteln und Dackelblicken hatte.

»Es ist halb neun, ich wette, da musst du sonst immer schon im Bett liegen, oder?«

Heftiges Kopfschütteln, aber das Funkeln in seinen Augen verriet die Lüge. Außerdem wusste ich von Caroline, dass er immer um acht ins Bett musste. Auch wenn wir heute eine Ausnahme machen durften, weil Josh unbedingt diesen Film sehen wollte und es mein erster Abend war. Allerdings hatte Josh davon keine Ahnung und ich würde ihm dieses kleine Geheimnis mit Sicherheit nicht verraten.

Ich ging vor ihm in die Hocke, um ihm in die Augen zu sehen. »Josh? Magst du mich?«

Dieses Mal nickte er zögerlich, als wüsste er, dass das noch nicht alles war.

»Willst du, dass ich nochmal auf dich aufpasse, wenn deine Mum arbeiten muss?«

Energischeres Kopfnicken folgte auf diese Frage und ich musste lächeln.

»Okay, das geht aber nur, wenn wir beide machen, was deine Mum gesagt hat, in Ordnung? Für mich gelten da dieselben Regeln wie für dich.«

»Na gut, aber dafür liest du mir noch was vor!«

Mein Lächeln wurde breiter. »Du verhandelst gut, Kumpel! Deal, ich lese dir noch was vor und du gehst ins Bett, ohne zu murren.«

Ein begeistertes Grinsen erstrahlte auf Joshs kleinem Gesicht, seine grauen Augen leuchteten. Eine Erinnerung blitzte in meinem Kopf auf, aber ich schob den Gedanken an ein ähnliches Augenpaar schnell wieder beiseite. Es war Monate her, dass ich an ihn gedacht hatte und ich würde jetzt mit Sicherheit nicht wieder damit anfangen.

Josh stürmte los, wollte schon in seinem Zimmer verschwinden, doch ich hielt ihn auf. »Stopp, stopp, zuerst musst du noch Zähne putzen!«

Er bremste abrupt ab und warf mir mit schiefgelegtem Kopf einen kurzen Blick zu, als überlegte er, ob er noch etwas rausschlagen konnte, doch dann verschwand er ohne weiteren Protest im Badezimmer.

Ich seufzte erleichtert auf. Der erste Abend war immer der schwierigste. In diesen Stunden zeigte sich, ob ich mit einem Kind klarkommen würde oder nicht. Nicht immer war das so gut gelaufen wie mit Josh. Letztes Jahr hatte ich auf fünfjährige Zwillingsmädchen aufgepasst, die mich dermaßen fertiggemacht hatten, dass ich heute noch mit einem Schaudern an die beiden zurückdachte.

Ein paar Minuten später kam Josh im Pyjama aus dem Bad geflitzt und huschte in sein Zimmer. Ich folgte ihm und sah mich neugierig um. Es war ein typisches Jungenzimmer mit blauen Wänden, blauer Bettwäsche und unendlich vielen Spielsachen, die überall auf dem Boden verteilt waren. An der Zimmerdecke klebten diese Plastiksterne, die im Dunklen leuchten.

Josh kuschelte sich unter seine Bettdecke und ich setzte mich neben ihn auf sein Bett, nachdem ich das Deckenlicht ausgeschaltet hatte und nur noch die Nachttischlampe warmes Licht aufs Bett warf. Er hielt schon ein Buch in der Hand und ich erkannte den ersten Band von Harry Potter.

»Das ganze Buch schaffen wir heute aber nicht«, sagte ich schmunzelnd, aber Josh zuckte nur mit den Schultern.

»Wir können es ja nächstes Mal weiterlesen«, sagte er mit einer Selbstverständlichkeit, dass mir ganz warm ums Herz wurde. Der Kleine war wirklich niedlich.

»Liest du das Buch mit deiner Mum zusammen?«

Er nickte. »Ich versuche auch schon alleine zu lesen, aber das ist nicht so einfach.« Seine Wangen verfärbten sich rosa.

»Das ist ja auch kein einfaches Buch. Und außerdem ziemlich dick«, erwiderte ich ernst und wuschelte ihm durch die Haare, als er wieder lächelte. »Aber ich bin sehr stolz auf dich, dass du es alleine versuchst.«

Sein Lächeln wurde breiter und in seinen Augen blitzte Stolz auf. Ich nahm ihm das Buch aus der Hand und begann vorzulesen. Am Anfang lehnte er sich gegen mich, um mitzulesen, doch es dauerte nicht lange, bis ich merkte, wie er einschlief. Er versuchte krampfhaft wach zu bleiben, aber es gelang ihm nicht und nach zehn Minuten schlief er tief und fest.

Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, stand ich auf, verließ sein Zimmer und schloss leise die Tür hinter mir. Dann ging ich zurück ins Wohnzimmer und beschloss noch eine Serie bei Netflix anzuschauen, solange ich auf Caroline wartete. Sie hatte mir nicht genau sagen können, wann sie wiederkommen würde. Das Ehepaar, mit dem sie sich traf, war offenbar ziemlich schwierig, sodass sie nicht abschätzen konnte, wie viel Zeit der Termin in Anspruch nehmen würde.

Ich ließ mich gerade aufs Sofa fallen, als ich hörte, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. In Erwartung, dass Caroline nach Hause kam, stand ich auf.

»Mum? Bist du schon da?«, rief eine Stimme, die so unerwartet vertraut klang, dass ich erstarrte. Mein Herz schlug mir plötzlich bis zum Hals. Nein! Das konnte nicht sein!

Ein Junge erschien in der Wohnzimmertür und ich hätte fast einen entsetzten Schrei ausgestoßen, als ich ihn erkannte.

Kyle.

»Was zum Teufel machst du hier?«, stieß ich bestürzt hervor. Meine Stimme klang viel zu schrill, ich zitterte am ganzen Körper. Das durfte wirklich nicht wahr sein.

Kyle trat einen Schritt nach vorn, direkt ins Licht der Stehlampe, die neben dem Sofa stand, und Erleichterung durchflutete mich. Mir wurden die Knie weich, als ich erkannte, dass ich mich geirrt hatte. Es war nicht Kyle, der da vor mir stand. Doch der Typ, der mich jetzt fragend musterte, sah ihm unheimlich ähnlich.

Er hatte die gleichen dunklen Haare, auch wenn seine sich etwas mehr lockten. Sie waren gleich groß und hatten einen ähnlichen Körperbau, auch wenn der Fremde breitere Schultern hatte und etwas muskulöser war als Kyle. Auch ihre Gesichtszüge waren sich sehr ähnlich, mit den scharf geschnittenen Wangenknochen und der ausgeprägten Kieferpartie. Doch sein Mund wirkte weicher und seine Augen waren von einem ungewöhnlich durchdringenden Grau.

»Ich wohne hier. Und was machst du hier?«, erwiderte er und nur daran, dass er jetzt fest die Zähne aufeinanderbiss, merkte ich, wie angespannt er plötzlich war. Als würde er sich Sorgen machen.

»Ich passe auf Josh auf«, erklärte ich hastig und er entspannte sich sofort, auch wenn etwas in seinen Augen aufflackerte. Ich glaubte Wut in ihnen zu erkennen, die jedoch zu schnell wieder verschwand, als dass ich mir sicher sein konnte.

Er trat einen Schritt auf mich zu und streckte mir seine Hand entgegen. Ein charmantes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, so strahlend, dass ich ihn für einen Moment nur überrumpelt anstarren konnte.

»Ich bin Gray. Josh ist mein kleiner Bruder.«

Himmel, diese Stimme. Nicht zu tief, irgendwie rau und gleichzeitig weich. Ich schluckte schwer.

»Ich bin Cat«, erwiderte ich und ergriff seine Hand, fest entschlossen mir nicht anmerken zu lassen, dass er mich für einen Moment vollkommen aus dem Konzept gebracht hatte. Meine Hand verschwand fast vollständig in seiner. Sie war warm und ein Schauder durchfuhr mich, als wir uns berührten. Ein unerwartetes Kribbeln jagte meinen Arm hinauf und ließ mein Herz einen Schlag aussetzen. Ich ließ ihn so hastig wieder los, als hätte ich mich verbrannt. Das konnte ich wirklich nicht gebrauchen.

Dann fiel mir wieder ein, dass ich nur deshalb auf Josh aufpasste, weil sein Bruder offenbar was Besseres zu tun gehabt hatte. Carolines Verzweiflung, als sie am Nachmittag in der Buchhandlung telefoniert hatte, stand mir noch lebhaft vor Augen.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Gray kühl. Irritiert erwiderte er meinen Blick und schien gar nicht zu verstehen, warum ich mich plötzlich so abweisend verhielt. Gut, woher auch. Aber das bedeutete nicht, dass ich ihm nicht ein bisschen auf die Sprünge helfen konnte.

»Du bist also der große Bruder, der Josh mal wieder hängengelassen hat.«

Kapitel 3

Gray

Einen Moment lang konnte ich Cat nur verwirrt anstarren, bis ich begriff, was sie da gesagt hatte. Oh Scheiße! Dieser verdammte kleine Mistkerl hatte es wieder einmal verbockt!

Wut durchflutete mich und ich presste die Zähne aufeinander, damit ich nichts sagte, was ich bereuen würde.

Das konnte echt nicht wahr sein! Einmal. Nur einmal hätte er diese Woche auf Josh aufpassen sollen, weil ich an diesem Abend im Pub arbeiten musste und Mum einen Termin hatte. Nur ein einziges Mal und trotzdem hatte er es nicht hinbekommen.

Ich schloss die Augen und musste mehrmals tief durchatmen, um nicht zu platzen. Das würde Cats ersten Eindruck von mir wohl nicht unbedingt besser machen. Obwohl sie schon entschieden zu haben schien, was sie von mir denken wollte. Wortlos erwiderte Cat meinen Blick, als ich sie wieder ansah, so etwas wie Verachtung lag in ihren Augen und das passte mir gar nicht.

»Nein, das bin ich nicht. Josh und ich haben noch einen Bruder. Eigentlich hätte Kyle heute auf ihn aufpassen sollen«, platzte es aus mir heraus. Etwas zu hastig. Aber irgendwas in der Art, wie Cat mich ansah und wie sie die Arme vor der Brust verschränkt hatte, brachte mich dazu, nicht zu wollen, dass ich der Grund für diese Haltung war.

Auf eine ungewöhnliche Weise war sie sehr hübsch. Sie war etwa zwei Köpfe kleiner als ich und obwohl sie sehr zierlich war, machte sie nicht den Eindruck, als würde es Spaß machen, sich mit ihr anzulegen. Ihr Kinn war etwas zu spitz, genau wie ihre Nase. Kurze hellblonde Haare fielen ihr in die Stirn, ihre großen Augen leuchteten in dem hellsten Blau, das ich je gesehen hatte, und die vollen Lippen würden auch den anständigsten Kerl auf unanständige Gedanken bringen.

Aber das war nicht der Grund dafür, dass ich nicht wollte, dass sie so schlecht von mir dachte. Mir blieb allerdings keine Zeit herauszufinden, woran es sonst lag, denn Cat wurde kreidebleich.

»Kyle?«, hauchte sie so entgeistert, dass in mir eine böse Ahnung aufstieg.

Nein, bitte nicht auch noch das.

Allerdings würde das erklären, warum sie mich so entsetzt angesehen hatte, als ich nach Hause gekommen war. Weil sie meinen Bruder kannte. Und mich für ihn gehalten hatte.

Verdammt!

»Wie …«

Sie brach ab, als hinter mir die Haustür aufging. Schon an den Schritten erkannte ich, dass mein Bruder nach Hause gekommen war.

»Oh Scheiße!« Cats heisere Stimme ließ mich zusammenzucken und bestätigte meine Ahnung. Sie kannte Kyle wirklich. Großartig.

***

»Cat? Was machst du denn hier?«, fragte Kyle überrumpelt, blickte von mir zu Cat und wieder zurück zu mir. Seine Augen zuckten, als versuchte er zu verstehen, was hier vor sich ging. Zum ersten Mal seit Monaten sah ich überhaupt eine Gefühlsregung in seinem Gesicht. Und das lag ausgerechnet an Cat.

»Wie hast du mich gefunden?«, fragte er, als Cat nicht antwortete. Seine Stimme zitterte kaum merklich. Überrascht hob ich die Augenbrauen. So hatte ich meinen kleinen Bruder noch nie gesehen.

»Ich hab dich nicht gefunden. Und erst recht nicht gesucht«, fauchte Cat. Ihre Augen glühten vor Zorn, sie bebte und schien jeden Augenblick zu platzen.

Wow. Was war denn da los?

»Cat hat heute Abend auf Josh aufgepasst«, erklärte ich und das Weil du dich mal wieder gedrückt hast, lag unausgesprochen zwischen uns.

Kyle zuckte gleichgültig mit den Schultern. Er hatte sich wieder gefangen und seine ausdruckslose Maske aufgelegt, die er schon so lange trug, dass ich gar nicht mehr wusste, wie er wirklich war.

»Aber ich hab das Gefühl, ihr beiden kennt euch bereits«, fuhr ich fort und deutete von einem zum anderen. Fragend zog ich die Augenbrauen hoch.

Cat erwachte aus ihrer Starre, plötzlich war jede Wut aus ihren Augen verschwunden. Sie waren so kalt wie Eis. Okay, mit diesem Mädchen war wirklich nicht zu spaßen.

»Ich bin dann mal weg. Josh scheint ja jetzt in guten Händen zu sein«, sagte sie und sah mich an. »Oder auch nicht«, fügte sie, an meinen Bruder gewandt, verächtlich hinzu, schnappte sich ihre Handtasche, die auf dem Sofa lag, und schob sich an uns vorbei.

»War schön dich wiederzusehen, Kätzchen«, sagte Kyle mit einem arroganten Grinsen auf den Lippen. Cats Worte ignorierte er.

Cat drehte sich noch einmal zu ihm um, ein zuckersüßes Lächeln lag jetzt auf ihren Lippen. »Fick dich, Kyle!«, sagte sie, dann wirbelte sie herum und rauschte aus der Wohnung.

»Was zum Teufel war das denn?!«, fragte ich perplex.

Kyle rührte sich nicht und als er mich anschaute, war sein Blick kalt. »Geht dich nichts an«, schnappte er und verschwand in seinem Zimmer.

Mit einem tiefen Seufzen folgte ich ihm in den Flur, hielt vor seiner Tür kurz inne und überlegte, ob ich versuchen sollte mit ihm über die ganze Sache zu reden. Doch dann ging ich weiter zu Joshs Zimmer. Es hatte keinen Zweck, mit Kyle zu reden. Er würde weder zuhören noch ein Wort sagen. Ich hasste es, dass es so war zwischen uns.

Unsere Beziehung war nie einfach gewesen, aber während der vergangenen zwei Jahre war sie immer schwieriger geworden.

Vorsichtig öffnete ich die Tür zu Joshs Zimmer. Zum Glück war er vorhin nicht wach geworden. Die Szene hätte er wirklich nicht mitbekommen dürfen.

Die Sterne an der Decke leuchteten nur schwach, doch das Nachtlicht neben der Tür spendete genug Licht, um erkennen zu können, dass Josh sich zu einer kleinen Kugel zusammengerollt hatte und tief und fest schlief. Die Decke hatte sich um seine Beine gewickelt und er hatte seinen liebsten Kuscheltierlöwen fest an seine Brust gedrückt. Früher hatte der kleine Löwe mir gehört, doch seit ein paar Jahren war er Joshs Lieblingskuscheltier.

Ruhe überkam mich, während ich meinen kleinen Bruder beim Schlafen beobachtete. Die meisten Nächte schlief Josh schlecht und oft hatte er Albträume. Dass er jetzt so friedlich wirkte, war ein seltener Anblick.

Ich blieb noch einige Augenblicke in der Tür zu seinem Zimmer stehen, dann schloss ich sie leise wieder hinter mir, ging zurück ins Wohnzimmer und ließ mich erschöpft auf das Sofa fallen. Ich warf einen Blick auf mein Handy, doch ich hatte weder einen Anruf noch eine Nachricht von Mum bekommen. Sie hatte mir nichts davon gesagt, dass Cat an Kyles Stelle auf Josh aufpassen würde und ich wusste ganz genau, warum.

Wieder spürte ich, wie Wut in mir hochkochte, nicht auf Mum, sondern auf Kyle, der es nicht an einem Abend in der Woche hinbekam, auf unseren jüngeren Bruder aufzupassen. So schwierig war das doch nicht.

Die ganze Situation war nicht einfach. Weder für ihn noch für sonst jemanden von uns. Aber sein Verhalten war absolut zum Kotzen und er ließ mich nicht nah genug an sich heran, um irgendwie Einfluss darauf zu nehmen. Ganz egal, wie sehr ich es versuchte. Er hörte mir ja nicht mal zu, wenn ich versuchte mit ihm zu sprechen.

Das Geräusch des Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde, riss mich aus meinen trübsinnigen Gedanken und ich schnellte hoch. Ich kleisterte ein Lächeln auf meine Lippen, damit Mum nicht merkte, wie besorgt ich war. Sie hatte genug um die Ohren. Noch mehr konnte sie nicht gebrauchen.

Ich würde die Sache mit Kyle irgendwie wieder in Ordnung bringen, auch wenn ich nicht wusste, wie. Aber ich hatte ein Versprechen gegeben und würde nicht zulassen, dass er sich selbst zerstörte.

»Hey«, begrüßte Mum mich mit einem Lächeln. Mein eigenes verrutschte, als ich sie ansah. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen, sie war blass und wirkte, als würde sie jeden Augenblick im Stehen einschlafen.

»Ist es gut gelaufen?«, fragte ich, als sie sich mit einem tiefen Seufzen neben mich aufs Sofa fallen ließ.

Mit geschlossenen Augen schüttelte sie den Kopf. »Natürlich nicht. Ich weiß wirklich nicht, wie Harry das alles geschafft hat.« Ihre Stimme klang erstickt, doch sie drängte die Tränen zurück. Das tat sie immer. Sie wollte nicht, dass wir sie weinen sahen, und das hasste ich fast noch mehr als die Tatsache, dass es für sie im Moment so viele Gründe zum Weinen gab. Ich war zwanzig, lange kein Kind mehr, ich konnte damit umgehen, dass es ihr nicht gut ging.

»Keine Ahnung«, erwiderte ich leise. Ich wusste es wirklich nicht.

Unsere Familie besaß eine kleine Immobilienfirma. Dad hatte sich um viele Gebäude gekümmert, die in unserer Stadt verkauft oder vermietet werden sollten. Er war ein Genie gewesen. Er hatte den Leuten alles verkaufen können, hatte aber niemals jemanden über den Tisch gezogen. Das hätte gegen seine Prinzipien verstoßen. Er war mit jedem ausgekommen, sogar mit dem grantigsten Vermieter. Die Firma war sein Ein und Alles gewesen. Dann war er krank geworden, doch sogar aus dem Krankenhaus heraus hatte er Mum dabei geholfen, alles zu regeln.

Bis Dad gestorben war. Seit einem halben Jahr musste Mum jetzt alles alleine machen, kümmerte sich um Gebäude, Vermieter und die letzten beiden Mitarbeiter. Sie war kurz davor zusammenzubrechen.

Ich hatte mich noch nicht getraut ihr vorzuschlagen die Firma zu verkaufen. Sie hing an Bennett’s Immobilien. Nicht weil ihr der Job Spaß machte. Sondern weil es der letzte Ort war, an dem Dad noch spürbar war. Er hatte mehr Zeit im Büro verbracht als zuhause. Und nachdem Mum fast die ganze Wohnung hatte renovieren lassen – abgesehen von meinem und Kyles Zimmer – weil sie es nicht ertragen hatte, dass Dad nicht mehr lebte, war unsere Wohnung auch nicht mehr das Zuhause von früher.

Nach Dads Tod war Mum nicht zusammengebrochen, wie alle erwartet hatten. Sie war stark geblieben und hatte sich voller Elan in ihre neue Aufgabe gestürzt. Doch ich war alt genug, um zu sehen, dass sie auf diese Art nur versuchte den Verlust zu verdrängen. So langsam schien das aber nicht mehr zu funktionieren.

»Wie läuft’s denn bei dir in der Uni?«, wechselte Mum das Thema. Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit und ich musste mir ein Stöhnen verkneifen.

Mein Studium. Das war so eine Sache, die ich im Moment lieber verdrängte. Das Semester war ohnehin gelaufen, ich hatte nichts vernünftig hinbekommen. Gar nichts war so gelaufen, wie ich geplant hatte, und jetzt freute ich mich nur noch, dass in einer Woche Semesterferien waren und ich endlich eine Pause machen konnte.

Nur noch ein Jahr fehlte mir bis zum Bachelor. Zwei Semester. Trotzdem war ich drauf und dran alles hinzuschmeißen.

Dabei liebte ich mein Studium. Englische Literatur und Geschichte waren zwei Dinge, die mich schon immer fasziniert hatten. Doch wenn es in den nächsten Jahren so weiterginge wie während der vergangenen Monate, bekäme ich keinen Job als Lektor bei einem großen Publikumsverlag. Und das stresste mich gerade mehr, als ich bereit war zuzugeben.

»Es läuft«, log ich und sprach schnell weiter, damit sie es nicht merkte: »Die Klausurenphase ist fast vorbei und dann steht für diesen Sommer nicht mehr viel an.«

»Weißt du, wie es bei Kyle läuft?«

Ich erstarrte und schwieg in der Hoffnung, dass mir eine wahnsinnig gute Lüge einfallen würde, damit Mum sich nicht noch mehr Sorgen machte. Aber mein Kopf war wie leer gefegt und am Ende sagte ich doch die Wahrheit. »Keine Ahnung. Ich hab ihn an der Uni noch nie gesehen«, erwiderte ich leise.

Kyle studierte im zweiten Semester Sport. Ein zweites Fach fehlte ihm bisher, doch das schien ihn genauso wenig zu interessieren wie der Besuch irgendeiner Veranstaltung seines ersten Fachs. Ich wusste, dass er sich nur eingeschrieben hatte, weil es Dads Wunsch gewesen war, doch ich bezweifelte, dass mein Bruder sich jemals an der Uni hatte blicken lassen. Wahrscheinlich war er nicht mal zu den Einführungsveranstaltungen gegangen.

»Das überrascht mich nicht«, sagte Mum seufzend. »Ich würde so gerne mit ihm über alles reden, aber er blockt immer ab.« Ihre Stimme zitterte ebenso wie ihre Hände. Es brach mir jedes Mal das Herz, sie so zu sehen.

»Tut mir echt leid, Mum.«

Mum drückte kurz meine Hand. »Du kannst doch nichts dafür.«

Nein, das nicht. Aber ich wusste, dass ich mir mehr Mühe geben musste, an Kyle heranzukommen. Nur dass das viel schwieriger war, als ich gedacht hatte.

Drückende Stille breitete sich zwischen uns aus und schließlich wechselte ich nicht besonders subtil das Thema, nur um uns beide wieder auf andere Gedanken zu bringen.

»Wenn das Semester vorbei ist, hab ich auch wieder mehr Zeit, auf Josh aufzupassen.«

Mum griff erneut nach meiner Hand und drückte sie fest. »Danke«, sagte sie leise. »Aber du hast noch deinen Job. Und du solltest deine freie Zeit auch mal genießen. Du kannst mir nicht bei allem helfen, Gray.«

»Mum, vergiss es. Das ist kein Problem. Ich bekomme das schon hin. Dann brauchen wir auch keinen Babysitter mehr«, erwiderte ich.

Mum öffnete die Augen und setzte sich auf. »Du hast Cat kennengelernt, oder?«

Ich nickte und dieses Mal war ihr Lächeln echt.

»Sie ist toll, oder?«

»Wir hatten nicht viel Zeit, uns zu unterhalten«, sagte ich, verschwieg ihr allerdings, dass Kyle der Grund dafür gewesen war. »Aber sie hat einen ziemlich netten Eindruck gemacht.« Die drei Minuten, als sie mich nicht böse angeschaut hatte.

Mums Lächeln wurde breiter. »Josh vergöttert sie. Sie arbeitet in der Buchhandlung, in die wir oft gehen. Die, die ich kurz vor Weihnachten vermittelt habe. Weißt du noch? Ich hab euch davon erzählt.«

Kurz vor Dads Tod. Natürlich erinnerte ich mich, es war ihr erster großer Erfolg gewesen. Wir waren alle froh, dass Dad das noch mitbekommen hatte.

»Aaaah, Cat ist das Vorlesemädchen.« Josh hatte schon oft von ihr erzählt, ich hatte ihren Namen nur nicht mit diesem Mädchen in Verbindung gebracht.

»Sie macht das echt toll. Du solltest mal mit Josh vorbeigehen und ihr zusehen.« Vielsagend zog Mum die Augenbrauen hoch und ich verdrehte unwillkürlich die Augen. Natürlich wusste ich, was sie damit bezweckte. Sie wollte mich verkuppeln. Mal wieder. Such dir eine Freundin, werde glücklich, leb dein eigenes Leben. Das durfte ich mir seit einer halben Ewigkeit anhören. Es war lieb gemeint, hatte aber schon die letzten Male nicht besonders gut funktioniert. Außerdem hatte ich gerade wirklich andere Sorgen als Dates und eine Freundin.

Kapitel 4

Cat

»Erinnerst du dich noch an Kyle?«, fragte ich, noch bevor Everly und ich richtig in ihrem Zimmer angekommen waren. Nach dem gestrigen Abend und der sehr schlaflosen Nacht musste ich einfach mit meiner besten Freundin reden. Sonst wäre ich noch durchgedreht. Den ganzen Tag hatte ich wie auf heißen Kohlen gesessen, aber Everly hatte heute noch Schule gehabt und ich war am Nachmittag in der Buchhandlung gewesen. Auch sonst war ich nicht der geduldigste Mensch, aber heute wäre ich fast geplatzt.

»Du meinst den Mistkerl, der deinen Schlüssel geklaut hat und bei dir zuhause eingebrochen ist! Hat er es verdient, dass wir seinen Namen noch aussprechen?« Everlys Wangen wurden rot vor Wut, sie war noch immer genauso aufgebracht wegen der ganzen Sache wie ich.

»Na ja, er ist schließlich nicht Voldemort.«

»Böse ist böse.« Everlys hellbraune Haare fielen glatt über ihren schmalen Rücken, die tiefbraunen Augen blitzten zornig und die ehrliche Empörung in ihrer Stimme ließ mich grinsen. Ich fühlte mich sofort besser, obwohl ich innerlich immer noch total aufgewühlt war.

Everly und ich kannten uns noch nicht so lange, nicht einmal ein ganzes Jahr. Trotzdem war sie von Anfang an genau die beste Freundin für mich gewesen, die ich mir mein ganzes Leben lang gewünscht hatte. Und das, obwohl wir so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht. Sie war still, zurückhaltend und schüchtern – auch wenn sie in den letzten Monaten merklich aufgeblüht war – und ich war offen, immer ehrlich und sehr … redselig. Wenn man es nett ausdrücken wollte. Meine Brüder nannten mich eine unverbesserliche Quasselstrippe.

»Da hast du wohl leider recht«, entgegnete ich und ließ mich mit einem Seufzen auf ihr Bett fallen. Wie immer huschte mein Blick zuerst durch ihr Zimmer. Ich liebte diesen Raum.

Er war dunkelblau gestrichen, zumindest die freien Flächen, die nicht von hohen Bücherregalen verdeckt wurden. Über ihr Bett hatte Everly einen zunehmenden Mond gemalt und unzählige verschieden große Sterne, die dem Raum etwas Magisches verliehen. Vor allem, wenn sie die Lichterketten anschaltete, die in ihrem Zimmer hingen. Doch Everlys ganzer Stolz – und da konnte ich ihr nur beipflichten – waren die Origamischwalben, die sie an die hellblaue Decke ihres Zimmers gehängt hatte. Es wirkte, als würden sie dort oben fliegen.

»Also, was ist mit Kyle? Ist er wieder aufgetaucht? Sag bitte nein. Du warst seinetwegen fix und fertig.«

Unwillig verzog ich das Gesicht. Das war leider wahr. Ich konnte mich nicht erinnern wegen eines Typen jemals so sehr geheult zu haben.

»Gestern habe ich auf seinen kleinen Bruder aufgepasst«, ließ ich die Bombe platzen und war in der nächsten Sekunde wieder genauso aufgekratzt wie zuvor. Meine Haut begann zu kribbeln, als ich an unsere Begegnung dachte. Ich hatte deswegen die halbe Nacht nicht geschlafen. Ihn wiederzusehen hatte mich ziemlich unvorbereitet getroffen. Die ganze Zeit hatte ich mich unruhig von einer Seite auf die andere gedreht und darüber nachgegrübelt, warum das Schicksal – oder welche andere höhere Macht auch immer für diesen Scheiß verantwortlich war – mir das antun musste.

Everly runzelte irritiert die Stirn, man konnte förmlich sehen, wie sie nachrechnete. Kyle war neunzehn, nur ein Jahr älter als ich und damit eigentlich zu alt, um einen kleinen Bruder zu haben, der einen Babysitter brauchte.

»Josh ist sein kleiner Bruder, der Sohn von …«

»… Mrs Bennett, der Immobilienmaklerin meiner Eltern«, beendete Everly meinen Satz und riss die schokobraunen Augen weit auf. »Kyle ist ihr Sohn?«

Ja, es fiel mir auch immer noch schwer, das zu glauben. Mrs Bennett war mir bisher viel zu jung erschienen, um einen Sohn in unserem Alter zu haben. Sie konnte höchstens Anfang vierzig sein.

»Offenbar hat sie früh angefangen. Da gibt’s nämlich noch einen dritten Jungen«, erwiderte ich ohne nachzudenken und biss mir auf die Unterlippe, als ich an Gray dachte. Everlys Augenbrauen schossen in die Höhe, ein freches Grinsen erstrahlte auf ihrem Gesicht.

»Ach ja? Wie alt ist der denn?«, fragte sie.

»Älter. Keine Ahnung, zwanzig vielleicht.«

»Und er ist …?« Auffordernd zog sie die Augenbrauen hoch.

»Wie soll er schon sein?« Ich zuckte mit den Schultern.

Everly stöhnte auf. »Cat, jetzt erzähl schon und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!«, beschwerte sie sich und stupste mich an.

»Da gibt’s nicht viel zu erzählen, echt nicht! Wir haben uns ungefähr fünf Minuten lang unterhalten. Davon habe ich ihn drei Minuten für einen Mistkerl gehalten, der sich nicht um seinen kleinen Bruder kümmert, und danach ist Kyle aufgetaucht. Und dass der ein Mistkerl ist, wissen wir ja schon!«

»Das stimmt, aber du weichst aus und das machst du sonst nie. Also wie ist Gray?«

»Er ist …« Ich brach ab, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Er sah verdammt gut aus. Mehr konnte ich über ihn nicht sagen. Ich hatte gerade mal drei Sätze mit ihm gewechselt, wie sollte ich da wissen, wie er war?

»Ja?« Sie machte eine auffordernde Handbewegung.

»Ist doch egal. Er kann unmöglich besser sein als sein Bruder. Und jetzt sag nicht, dass ich Vorurteile habe. Bei Kyles Bruder können Vorurteile mich nur retten.«

Everly legte den Kopf schief und musterte mich nachdenklich. »Ich hab da so ein Gefühl.«

Wieder stöhnte ich auf. Na klasse. Wenn Everly so ein Gefühl hatte, konnte das alles und nichts bedeuten und das war gerade nicht hilfreich. Glücklicherweise war Liam nicht da. Auch wenn er Everlys Freund und mein bester Freund war, wären seine lustig gemeinten Kommentare jetzt noch weniger hilfreich gewesen als Everlys kryptische Bemerkungen.

Entschlossen jetzt nicht weiter über Gray nachzudenken, lenkte ich unser Gespräch zurück zu meinem eigentlichen Problem: Kyle.

»Weißt du, was das Schlimmste an der ganzen Sache ist? Kyle hat mir damals gesagt, sein Nachname ist Jones. Er hat mich von vorne bis hinten verarscht.« Nicht, dass ich das nicht schon gewusst hatte. Aber zu wissen, dass wirklich jedes einzelne seiner Worte gelogen war, tat weh. Auch noch Monate später.

Everly griff nach meiner Hand und drückte sie. »Tut mir wirklich leid, Cat«, sagte sie mit einem mitfühlenden Lächeln.

»Danke.« Ich schüttelte mich, als könnte ich so alles vergessen. Aber so leicht war das leider nicht. »Das ist doch alles scheiße!«

»Da kann ich dir leider nicht widersprechen.«

»Ich frage mich immer noch, wie ich so blöd sein konnte! Ich meine, wir waren fast zwei Monate zusammen, da hätte mir doch irgendwas auffallen müssen.«

»Dir ist doch auch was aufgefallen. Du wolltest mit Kyle darüber reden, warum er nicht wollte, dass du seine Familie kennenlernst, erinnerst du dich?«

»Ja, aber das war nur einen Tag, bevor er eingebrochen ist. Mir hätte früher was auffallen müssen!« Ich hasste die Verbitterung, die in meiner Stimme mitschwang.

»Cat.« Everly seufzte. »Du hast nichts falsch gemacht, okay? Du warst verliebt, mehr nicht.«

»Ich hätte mich aber nicht in ihn verlieben dürfen!« Hätte ich wirklich nicht und manchmal fragte ich mich, warum ich es überhaupt getan hatte. Aber dann erinnerte ich mich wieder daran, dass jede seiner Berührungen einen Schauer durch meinen Körper gejagt hatte, dass sein Lächeln und sein Blick warm und voller Zuneigung gewesen waren. Er hatte nie viel geredet, aber er hatte mir immer aufmerksam zugehört, hatte mich zum Lachen gebracht und dazu, alles um mich herum zu vergessen, außer ihn. Für zwei Monate hatte er mein Leben vollkommen durcheinandergewirbelt, nur um mich am Ende tiefer zu verletzen, als ich es je für möglich gehalten hätte.

»Okay, stopp! Cat, es reicht! Du hast wirklich nichts falsch gemacht«, wiederholte sie nachdrücklich. »Du kannst nichts dafür, dass du dich in ihn verliebt hast. Gefühle lassen sich nun mal nicht kontrollieren.«

»Ich weiß, aber …«

»Kein Aber! Es ist passiert und das war wirklich scheiße und es tut mir so leid, dass er dir wehgetan hat, aber das war nicht deine Schuld!« Everly funkelte mich an und ich nickte. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, hatte Everly recht.

»Ich wünschte nur, ich hätte nicht mit ihm geschlafen. Dann würde ich mich vielleicht nicht ganz so benutzt und schäbig fühlen.« Mein Magen verkrampfte sich, als ich daran dachte, welche Stellen meines Körpers Kyle berührt hatte.

Everly schwieg einen Moment.