Falsche Vorbilder - Alicia Joe - E-Book
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Falsche Vorbilder E-Book

Alicia Joe

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Beschreibung

Influencer – das ist für eine ganze Generation inzwischen ein ernsthafter Berufswunsch, wenn nicht sogar ein Traumberuf. Es klingt auch zu verlockend: Ein bisschen posieren vor der Kamera, ein paar Likes und schon kommen die gut bezahlten Werbekooperationen wie von selbst. Sie filmen sich beim Schminken, reisen an paradiesische Orte, halten sich fit mit Sport und teilen ihre Tipps mit Fans. Doch dahinter steckt ein profitorientiertes Business, das große Begehrlichkeiten und Abhängigkeiten auf der Seite der Nutzer schafft. Kinder werden zu Marionetten der Konsumgesellschaft und auch die Erwachsenen lassen sich zunehmend beeinflussen und verunsichern, egal ob es ums Essen, ums Reisen oder ums Kinderkriegen geht. Influencer manipulieren unser Verhalten und werden, von der Jagd nach Klicks und Profit getrieben, zu einer echten Meinungsmacht – mit dramatischen Folgen für die Gesellschaft. Alicia Joe berichtet aus erster Hand: Sie ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen YouTuberinnen und kennt die Social-Media-Welt nur zu gut. Gemeinsam mit der Journalistin Sabine Winkler enttarnt sie die dunklen Seiten der Influencer und legt anhand vieler Beispiele offen, wie weit der schlechte Einfluss der Topstars wirklich reicht – von Beauty- und Travelbloggern bis hin zu selbst ernannten Mental-Health-Coaches. Ein wichtiges Buch für Eltern, Lehrer, Betreuer und alle, die selbst gerne Zeit auf Instagram, YouTube, TikTok und Co. verbringen.

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Seitenzahl: 345

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ALICIA JOE

MIT SABINE WINKLER

FALSCHE VORBILDER

ALICIA JOE

MIT SABINE WINKLER

FALSCHE VORBILDER

Wie Influencer uns und unsere Kinder manipulieren

Originalausgabe

3. Auflage 2022

© 2022 by Yes Publishing – Pascale Breitenstein & Oliver Kuhn GbR

Türkenstraße 89, 80799 München

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Redaktion: Matthias Teiting

Umschlaggestaltung: Ivan Kurylenko (hortasar covers)

Umschlagabbildung: Cornelia Lang

Layout und Satz: abavo GmbH, Buchloe

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-96905-196-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96905-198-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96905-197-9

Inhalt

Vorwort #follow – Mein Freund im Netz: das Phänomen Influencer

Wie wird man im Netz eigentlich berühmt?

Wie verdienen Influencer Geld?

Welche Arten von Influencern gibt es?

Wieso können Influencer uns beeinflussen?

Kapitel 1 #challenge – Die dunkle Seite von Social Media: Warum Hass, Mobbing, Gewalt und toxische Einflüsse in sozialen Medien auf fruchtbaren Boden treffen

Und alle machen mit – die Faszination von Challenges

TikTok-Tics? Wie Social-Media-Plattformen zu Selbstdiagnose-Tools wurden

Die Macht der Kommentare ist unendlich

Kapitel 2 #instabeauty – Warum Beauty-Influencer immer gleich aussehen

Kardashian kills the social media star

Brazilian Butt Lift: Mit einer OP zum Traum-Hintern für Instagram

Jung und schön auf Instagram

Eine dicke Lippe riskieren

Money makes the beauty world go round

Kapitel 3 #fitnessaddict – Warum Fitness-Blogger nicht nur an deiner Fitness interessiert sind

Fake it and you’ll make it

Von Kraftsport und Kaufkraft

Du bist, was du nicht isst

Bis zum Umfallen: Wenn das tägliche Workout nicht genug ist

Kapitel 4 #familygoals – Warum Familien-Blogger ihre eigenen Kinder gefährden

Wenn Intimes für Millionen einsehbar ist

Liebling, ich habe unsere Kinder zu Kinderarbeit gezwungen

Das gläserne Kind

Mama, meine Fotos sind im Darknet

Der Familien-Blogger als Vorbild für die eigene Familie

Kapitel 5 #miniinfluencer – Warum Kinder-Influencer mächtiger sind, als man denkt

Wie alt muss ein Influencer eigentlich sein?

Million-Dollar-Kids: Wie die großen Techkonzerne das Konsumpotenzial von Minderjährigen ausnutzen

Fast Food forever: Kinder-Influencer und ihre Liebe für Ungesundes

Mama, ich hab mich selbst zum Kinderstar gemacht

Sexualisierung von Minderjährigen

Kapitel 6 #wanderlust – Warum Travel-Blogger die Umwelt verschmutzen und dabei Steuern sparen

Hauptsache, »instagrammable«: Wenn der Urlaub zur Kulisse wird

Ein Traum für jeden Influencer: perfekte Fotobedingungen und Steuern sparen

Ein Bild, das ganze Landschaften zerstört

#vanlife: Der postmoderne Hippie-Öko-Lifestyle hat einen Haken

Nur noch kurz die Welt retten – aber wohl eher nicht als Travel-Blogger

Was könnte man besser machen? Ein kurzer Verhaltenskodex für Travel-Blogger und andere Reisende

Kapitel 7 #photooftheday – Warum Influencer die Menschheit uniformieren

Die perfekte Optik

Die perfekten Fotos

Das perfekte Leben

Ausnahmen bestätigen die Regel

Nachwort #inspiration – Falsche Vorbilder?

Danksagung

Glossar

Abbildungsverzeichnis

Endnoten

Vorwort

#follow – Mein Freund im Netz: das Phänomen Influencer

»Wenn ich groß bin, will ich einmal Influencer werden«, diesen Satz aus dem Mund einer Schülerin oder eines Schülers im Jahr 2022 zu hören, ist gar nicht so abwegig. Mittlerweile geben gut 50 Prozent der Menschen zwischen 16 und 29 Jahren an, selbst gern als Influencer arbeiten zu wollen.1 Längst sind Personen wie Bibi Claßen, Rezo, DagiBee oder die Zwillinge Lisa und Lena die Idole der Jugend, so wie es früher Popstars wie Britney Spears oder Justin Timberlake waren. Sie sind überall: nicht nur im tagesaktuellen Social-Media-Feed, sondern auch in Drogerie- oder Supermarktregalen, mit einer Vielzahl eigener Produkte und Marken, die gekauft werden, weil die meisten User sie aus dem Netz bereits kennen. Influencer zu sein, das ist – man kann es nicht anders sagen – ein echtes Businessmodell. Eines, das allerdings sehr viel weiter geht als ein Start-up-Pitch in der TV-Sendung Die Höhle der Löwen. Die Creator-Industrie ist inzwischen so etwas wie der Wirtschaftsmotor des 21. Jahrhunderts geworden. Mit ihren Inhalten wollen die Ikonen der Social-Media-Welt nicht nur Kohle machen, sondern auch Einstellungen verändern – so sehr, dass eben alles am Ende nach ihren Regeln läuft und ihre Mechanismen von jedem angenommen werden. Dass dabei einige Influencer selbst zum Opfer dieser Spielregeln werden, fällt den meisten zu spät auf. Dazu später mehr.

Eine Studie2 der Consulting-Agentur Goldmedia schätzte, dass es im Jahr 2018 insgesamt rund 30.000 hauptberufliche Influencer im deutschsprachigen Raum gab. Mittlerweile dürfte die Zahl höher sein. Die Höhe ihrer Erlöse durch Werbung und Kooperationen wird für das Jahr 2020 auf rund 990 Millionen Euro geschätzt. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 waren es noch 560 Millionen Euro. Eine enorme Summe, die das Berufsziel Influencer umso attraktiver erscheinen lässt. Wenngleich insgesamt nur gut 4 Prozent aller Influencer angeben, von den Einnahmen durch ihre Accounts leben zu können.3 Doch was genau ist das eigentlich, ein Influencer? Höchste Zeit, sich diesem Begriff anzunähern.

Wie wird man im Netz eigentlich berühmt?

Das, was die meisten heutzutage unter Berühmtsein verstehen, hat sich im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten eindeutig gewandelt. Vor einigen Jahren kannte man die Stars noch hauptsächlich aus Filmen, dem Radio, oder sie waren auf einem von zwei TV-Sendern zu sehen. Ihre Zahl war dementsprechend klein, und sie waren meistens generationenübergreifend bekannt. Heute ist das anders. Nach dem Start des Privatfernsehens in Deutschland am 2. Januar 1984 etablierten sich immer mehr TV-Sender in der Medienlandschaft, in den späten Neunzigerjahren eroberte das Internet die deutschen Privathaushalte – infolgedessen wurden diverse Streamingdienste wie Netflix, Amazon-Prime-Video oder Disney Plus und vor allem die sozialen Medien populär. Das Internet war nicht mehr nur etwas für Nerds, sondern entwickelte sich zum Massenmedium für die breite Bevölkerung, dank dieser Entwicklung gibt es Celebritys mittlerweile wie Sand am Meer – und die meisten von ihnen sind eher Zielgruppen-spezifisch berühmt. Während Oma Schlagersänger Heino liebt, Papa Auto-Journalist Jeremy Clarkson verfolgt und der Sohn den Rapper Capital Bra feiert, schaut die Tochter Videos auf dem YouTube-Kanal BibisBeautyPalace. Es gibt deutsche Influencer, die über eine Million Abonnenten haben, aber von Menschen, die über 30 sind, nicht auf der Straße erkannt werden.

Über die Hälfte der Menschheit nutzt soziale Medien. In Deutschland beträgt die durchschnittliche Nutzungszeit 89 Minuten4 am Tag – das klingt nach viel, damit landen die Bundesbürger im weltweiten Vergleich aber eher im Mittelfeld auf Platz 45. Die größten Social-Media-Junkies der Welt leben der Statistik nach in Nigeria, dort nutzen die Menschen ungefähr 247 Minuten lang täglich Instagram, Facebook und Co. Am wenigsten hängen die Japaner in den sozialen Netzwerken ab: Mit gerade einmal 51 Minuten Nutzungsdauer am Tag belegen sie den letzten Platz. Allerdings sind Social-Media-Inhalte auch schnelle Happen: Einen Post anzuschauen dauert dort selten länger als ein paar Sekunden. 89 Minuten Instagram am Tag sind also sehr viel Zeit für uns Deutsche, um viele Posts zu sehen. Neben dem, was unsere Freunde machen, beobachten wir eben auch gern Menschen, die wir nicht unbedingt persönlich kennen. Lustige Videos, interessante Talks, Tipps für Rezepte oder das eigene Make-up fesseln uns an die Plattformen. Bei Accounts von Menschen, die wir schon mal in einem TV-Format gesehen haben, oder aber solchen, die man über Social Media auf Anhieb als besonders sympathisch oder hilfreich erachtet hat, lassen wir auch gern mal ein Abo oder ein Follow da. Manche von uns »verfolgen« bestimmte Influencer und ihre Postings jahrelang. Wir erleben ihre Höhen und Tiefen, und für jeden besonders authentischen Post mögen wir sie ein bisschen mehr.

Neben menschlichen Qualitäten wie dem Unterhaltungsaspekt, der Kreativität oder der Glaubwürdigkeit spielen aber auch technische Faktoren eine Rolle bei der Frage, wie erfolgreich ein Influencer in den sozialen Medien ist und wird. Denn eine weitere entscheidende Komponente, um sich auf Instagram, YouTube oder TikTok durchzusetzen, ist, dass man den Algorithmus versteht. Im Internet und auch in den Social Media werden Algorithmen verwendet, um Daten und Informationen auf Websites zu sammeln und auszuwerten – beispielsweise das Klick-, Such- oder Kaufverhalten der Besucher. Das kennen wir alle: Wenn wir wie wild online nach Koffern googeln, bekommen wir auf einmal jede Menge Anzeigen von Koffern und Reiseutensilien beim weiteren Surfen angezeigt. Doch Algorithmen können auch implementiert werden, um Personen bestimmte Inhalte besonders häufig anzuzeigen: Wenn jemand Hundewelpen mag, dann mag er vielleicht auch Kochvideos – weil viele andere, die ein ähnliches Nutzungsverhalten und dieselben Merkmale an den Tag legen, diese Kombination auch gut finden. Zugegeben, das ist eine recht einfache Erklärung für das, was in sozialen Medien »im Hintergrund« passiert, um jedem User die besten Posts und Videos vorzuschlagen. Aber selbst die Mitarbeiter von YouTube können teilweise nicht erklären, wie und warum genau der Algorithmus welche Inhalte vorschlägt, weil sich das Vorgehen auch permanent und je nach Nutzer ändert. Aber sofern man den Algorithmus als Influencer einigermaßen gut bedient und seine eigenen Inhalte gut darauf abstimmt, kann man im Netz eine gewisse Reichweite aufbauen.

Auf der Suche nach dem goldenen Algorithmus und ein wenig Internet-Berühmtheit geben Social-Media-User, welche die Influencer-Stars von morgen werden wollen, einiges auf. Bereits bei der Akzeptanz der Nutzungsbedingungen werden sie selbst zu Marionetten der Konsumwelt, die sie selbst mitprägen und gestalten wollen: Wer etwa den AGBs von Instagram zustimmt – das muss übrigens jeder, der die App nutzen will –, gibt automatisch die Lizenzen für seine dort geposteten Bilder an Instagram ab. »Wenn du Inhalte, die durch geistige Eigentumsrechte geschützt sind (wie Fotos oder Videos), (...) mit unserem Dienst teilst, postest oder hochlädst, räumst du uns hiermit eine nicht exklusive, übertragbare, unterlizenzierbare und weltweite Lizenz ein, deine Inhalte (...) zu hosten, zu verwenden, zu verbreiten, zu modifizieren, auszuführen, zu kopieren, öffentlich vorzuführen oder anzuzeigen, zu übersetzen und abgeleitete Werke davon zu erstellen, damit wir den Instagram-Dienst zur Verfügung stellen können«, steht in den Nutzungsbedingungen der beliebten Fotoplattform. Die User der App werden also selbst zum Teil des Produktes, welches sie partiell selbst mit Geld füttern, um sich für ihre Zwecke – nämlich gesehen zu werden – zu positionieren. Denn bei einigen sozialen Netzwerken wie etwa Instagram kann ein Beitrag von Influencern gezielt gepusht werden, wenn dafür bezahlt wird. Der Algorithmus bekommt den Befehl: Wenn dafür Geld bezahlt wird, dann sollen ihn mehr Nutzer sehen. Mehr Sichtbarkeit bedeutet auch mehr Einfluss in der breiten Masse.

Aber nicht nur Geld spielt eine Rolle beim Algorithmus. Bei einigen Apps, wie etwa denen des chinesischen Konzerns ByteDance, zu dem auch die Anwendung TikTok gehört, übernehmen auch die politische Agenda sowie moralische Aspekte eine führende Rolle. Ein Beispiel dafür ist die Rolle der App bei den politischen Protesten in Hongkong im Sommer 2020. Die Hafenstadt hat, seitdem sie 1997 nach 156 Jahren britischer Kolonialzeit wieder an die Volksrepublik China übergeben wurde, eine Sonderrolle inne. Als sogenannte Sonderverwaltungszone auf chinesischem Staatsgebiet soll die Millionenmetropole weitestgehend autonom bleiben – ausgeschlossen von dieser Regelung sind die Außen- und Verteidigungspolitik. Ein Schlupfloch, mit dem die chinesische Zentralregierung immer wieder versucht, an Einfluss in der wirtschaftlich wichtigen Region zu gewinnen. So trat am 30. Juni 2020 ein neues Sicherheitsgesetz in Kraft.5 Chinesische Sicherheitskräfte bekamen damit das Recht auf direkte Befugnisse in Hongkong. Die internationale App von ByteDance, also TikTok, stellte ihren Dienst daraufhin in Hongkong ein. Zuvor war sie einer der wichtigsten Kommunikationskanäle der Bürgerrechtsproteste in der Region gegen das neue Gesetz gewesen. ByteDances chinesische Version von TikTok, die nahezu funktionsgleiche App Douyin, die durch die Behörden in Peking zensiert wird, konnte in Hongkong jedoch weiterhin verwendet werden. Das zeigt, wie groß die Macht und Gatekeeper-Funktion von Social Media und Influencern inzwischen eingeschätzt wird. Ein Leak, den das Onlinemagazin The Intercept6 im Frühjahr 2020 offenlegte, zeigte zudem, dass die Moderatorenteams von TikTok, die Inhalte bewerten und einordnen und damit die künstliche Intelligenz des Algorithmus noch weiter füttern, darauf geschult wurden, Inhalte von Menschen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, weniger sichtbar zu machen – und so ihre Reichweite einzuschränken, sollten sie auf gut Deutsch nicht schlank, attraktiv und jung sein. Gleiches galt für Personen, die offensichtlich aus sozial benachteiligten und ärmeren Schichten stammen. TikTok-User, die sich in Livestreams politisch und vor allem China gegenüber kritisch äußern, sollten gesperrt oder gebannt werden. Mit diesen Maßnahmen wollte TikTok möglichst viele neue Mitglieder anlocken. User, die sich für die Plattform interessieren, sollten ein möglichst »glattes« Bild von der App bekommen: hübsche, attraktive sowie erfolgreiche Menschen, die keine schwierigen beziehungsweise polarisierenden Meinungen vertreten.

Das passt zu den Gründen, wegen denen Jugendliche in Deutschland Social Media nutzen, wie eine Umfrage der Vodafone Stiftung zeigt: Es geht vor allem um Unterhaltung; Informationen über politische Entscheidungsprozesse hingegen oder der Einsatz für Themen, die einem persönlich als wichtig erscheinen, werden am wenigsten oft genannt.7 Die Guidelines von TikTok sollen nach Angaben des Unternehmens jedoch nur bis Ende 2019 gültig gewesen sein, aktuell seien sie es nicht mehr. Allerdings hat ein Team des Australian Strategic Political Institutes8 aufgedeckt, dass die App Hashtags zum Thema LGBTQ+-Themen, also alles, was gleichgeschlechtliche und queere Liebe betrifft, in russischer und arabischer Sprache zensiert – und zwar weltweit. Damit werden durch die App bestimmte Weltbilder in bestimmten Kultur- sowie Sprachräumen gezielt gesteuert und verstärkt. Wer also glaubt, Algorithmen und Social Media seien überwiegend unterhaltendes Beiwerk in unserer virtuellen Welt, täuscht sich gewaltig. Sie bedeuten ganz im Gegenteil auch politische Macht und Einfluss.

Wie verdienen Influencer Geld?

Zu sagen, wie viel ein Influencer pauschal verdient, ist etwa so unmöglich wie bei einem Unternehmer, Künstler oder Musiker. Die Gehälter reichen von Hungerlöhnen, die nie zum Überleben reichen, bis hin zu Jahresgewinnen in Millionenhöhe. Je nachdem, wie bekannt man ist, welche Ströme an Nebeneinkommen zur Verfügung stehen, wie viele treue Follower man um sich schart und wie man diese monetarisiert, kann es besser oder weniger gut laufen. Da wäre zum einen die bloße Bereitstellung von Inhalten, die von den jeweiligen Plattformen bezahlt werden. Auf YouTube verdient man, sobald man in das YouTube-Creator-Programm aufgenommen wurde. Mit einem hochgeladenen Video sind das pro Klick schon ein paar Bruchteile von einem Cent. Dieses Geld bezahlt YouTube an die »Creator«, weil vor und nach den Videos beziehungsweise währenddessen wie im Fernsehen Werbeanzeigen geschaltet werden. Bei Videos mit Millionen Aufrufen läppern sich diese Centbeträge zu Eurozahlen im vier- bis fünfstelligen Bereich. YouTube ist die einzige Social-Media-Plattform, die es bislang geschafft hat, Inhalte auf diesem Weg effizient und lukrativ für die Influencer zu gestalten. Auf TikTok verdient man allein durch Inhalte kaum etwas, bei Instagram und Facebook gar nichts. Wer also regelmäßig einigermaßen erfolgreiche YouTube-Videos hochlädt, kann auch allein von seinen geposteten Inhalten leben. Der Nachteil ist, dass man sich hierbei extrem abhängig von einer einzigen Plattform macht, die im Ausland sitzt und weder Gewerkschaften noch gesicherte Arbeitsverträge anbietet. Daher vereinbaren viele YouTuber zusätzlich Werbekooperationen. Ein Beauty-YouTuber kann zum Beispiel von einem Konzern dafür bezahlt werden, in einem Video die aktuelle Lippenstift-Kollektion vorzustellen. Ein Reisevlogger kann von einer Hotelkette bezahlt werden, um diese Unterkunft im Video als Empfehlung an seine Follower weiterzugeben.

Über genau solche Placements (Deutsch sinngemäß: Werbeplatzierungen) – also das Vorstellen und Verlinken von Produkten – finanzieren sich auch die meisten Instagram- und TikTok-Stars. Sie sind, aufgrund der mangelnden Monetarisierung ihrer Posts auf der originären Plattform, besonders auf die Zusammenarbeit mit Konzernen angewiesen. Die YouTuberin Pocket Hazel führte im September 2021 ein Selbstexperiment9 durch. Einen Monat lang nahm sie jede Kooperation an, die ihr angeboten wurde, und setzte diese in ihren Inhalten auf den sozialen Netzwerken um. Zugegeben, mit damals etwa 430.000 Abonnenten und eigenem Management gehörte sie bereits zu den größeren deutschsprachigen Creators auf der Plattform und war wahrscheinlich gut im Geschäft. In jenem Monat postete sie fast täglich Instagram-Storys mit Werbeinhalten und produzierte drei YouTube-Werbevideos. Allein durch diese beiden Aktivitäten verdiente sie 53.200 Euro, welche sie allerdings noch vollumfänglich in Deutschland versteuern musste.

Zusätzlich ist anzumerken, dass solche ertragreichen Monate langfristig unrealistisch sind. Influencer, die ihre Follower jeden Tag mit einer anderen Werbung »nerven«, verlieren über kurz oder lang ihre Authentizität. Weniger ist also mehr, um dauerhaft erfolgreich im Business zu bleiben. Influencer, die länger im Geschäft sind und einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben, entwickeln wie bereits erwähnt häufig zusätzlich eigene Fan-Artikel und Produkte, um ein sicheres Einkommen zu erzielen. Dieser sogenannte Merch kann eine Modekollektion mit den Lieblingsdesigns des Influencers sein, eine eigene Eistee-Marke, Duschschaum oder Gaming-Zubehör. Manche Influencer verkaufen auch Dienstleistungen wie Fotobearbeitungskurse oder Mindset-Coachings. Grenzen gibt es hier, wie im ganz »normalen«, klassischen Unternehmertum der freien Wirtschaft, quasi keine.

Welche Arten von Influencern gibt es?

Influencer konzentrieren sich zum Start ihrer Karriere meist auf eine Social-Media-App. YouTuber produzieren auf ihrer Plattform gern längere Videos im Querformat. Twitch-Streamer gehen live und lassen ihre Zuschauer in Echtzeit dabei zusehen, wie sie zocken, kochen oder andere Dinge in ihrer Freizeit unternehmen. TikToker spezialisieren sich auf Kurzvideos im Hochformat. Diese werden mittlerweile auch gern von Instagrammern produziert und heißen dort Reels. Instagrammer posten aber zusätzlich vornehmlich noch Fotos und informieren ihre Follower in sogenannten Storys, die nach 24 Stunden wieder verschwinden, mit kurzen Videos über ihren Tag. Auf all diesen Plattformen sammeln die Influencer ihre Fans und Anhänger, die man je nach App als Abonnenten oder Follower bezeichnet.

Zu jeder erdenklichen Nische finden sich heute ein oder mehrere passende Influencer. Ob die Tierschutz- oder Anglerszene, die Minimalismus- oder Shopping-Fanatiker, die Heimwerk- oder Reiseenthusiasten, sie alle haben ihre eigenen Idole im Netz, bei denen sie Inspiration, Unterhaltung oder einfach nur ein Zugehörigkeitsgefühl erhalten. Wer als Influencer allerdings große Bekanntheit im Mainstream erlangen möchte, sollte sich auf Bereiche fokussieren, mit denen die Mehrheit der Menschen etwas anfangen kann. Allzeit beliebte Inhalte sind Reisen, Fashion, Beauty, Gaming, Fitness, Comedy, Kinder oder Familie. Eben jene Themen, für die besonders viele Menschen, egal welcher Couleur, Interesse haben.

Der Einfluss, den ein Influencer auf seine Zielgruppe und unsere Gesellschaft im Allgemeinen hat, hängt dabei neben der Größe seiner Anhängerschaft auch von anderen Aspekten ab. Ist der Influencer besonders persuasiv in seiner Art der Kommunikation, prägt er eine ganze Stilrichtung oder Bewegung und gilt er vielleicht auch als Vorbild für andere Influencer? Kim Kardashian ist beispielsweise nicht allein wegen ihres massiven Followings von über 320 Millionen Usern auf Instagram so einflussreich. Sie prägte auch eine gewisse Art zu posen, einen Schönheitsstandard und ein Körperideal, dem viele andere Influencer heute nacheifern. Man muss als Follower Kim Kardashian nicht einmal kennen, um von ihr indirekt beeinflusst zu werden. Es reicht, zwei oder drei kleineren Influencern zu folgen, die ein berufliches Vorbild in ihr sehen. Ein klassischer Schneeballeffekt. Dies ist einer der Gründe, warum dieses Buch die größten und einflussreichsten Influencer ihrer jeweiligen Art als Beispiele anführen wird. Es handelt sich dabei nicht um einfaches Namedropping. Der tiefere Sinn soll darin bestehen, gesellschaftliche Trends von ihrer Wurzel aus zu ergründen. In den Onlinemedien werden des Öfteren besonders absurde Fälle von Mikro- oder Mini-Influencern thematisiert, die nicht wirklich viele Follower haben und deren »Einfluss« erst durch die Medien künstlich aufgebauscht wird. Langfristig sind solche Schlagzeilen jedoch nicht zielführend. Fälle, in denen Mini-Influencer sich einen Fauxpas erlauben, erwecken immer wieder besonders großes Interesse, eben weil sie eine kuriose Ausnahmeerscheinung im großen Kosmos der sozialen Medien darstellen. Subtilere, aber enorm einflussreiche Trends, die vor allem auf große Influencer zurückgehen, werden hingegen nur selten in den Medien thematisiert und analysiert. Vermutlich, weil es sich hierbei einfach nicht um die besten Schlagzeilen handelt. Artikel wie »Fast 45.000 Euro die Woche: Influencerin verkauft ihre Fürze im Glas«10 performen einfach besser als eine komplexe, kritische Auseinandersetzung über den Einfluss von Schönheits-OP-Werbung bei Beauty-Bloggern auf eine ganze Generation junger Teenager. Oder eine Analyse der Bedeutung von Familien-Vloggern für einen gesellschaftlich unbedarften Umgang mit sensiblen Daten der eigenen Kinder. Was jedoch im virtuellen Mainstream ankommt, wirkt sich wirklich auf die breite Masse im echten Leben, dem Real Life, aus.

Wieso können Influencer uns beeinflussen?

Influencer ist eine aus dem Englischen eingedeutschte Berufsbezeichnung, welche man am besten mit »Beeinflusser« übersetzen könnte. Um die Frage zu beantworten, warum Influencer in unserer heutigen Generation – wie ihr Name schon sagt – einen so großen Einfluss haben, muss man sich in die Psychologie begeben. Das Zauberwort lautet: parasoziale Beziehungen. Dieser häufig in der Medienpsychologie verwendete Begriff beschreibt eine Form der einseitigen sozialen Interaktion, bei der eine Person viel über die andere weiß und sich ihr wie einem Freund oder Bekannten verbunden fühlt, die andere Partei jedoch nichts über diese Person weiß und häufig nicht mal Kenntnis über deren Existenz hat.

Diese unerwiderte Art der Beziehung gab es schon lange vor den ersten Smartphones in anderen Medien. Die frühesten Formen fanden zwischen Buchlesern und den Protagonisten oder Autoren der jeweiligen Werke statt. Wer einen Roman oder Thriller liest, fühlt sich mit den Charakteren verbunden, fiebert mit, spürt Zuneigung gegenüber dem Helden oder verabscheut den Antagonisten. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerieten parasoziale Beziehungen aber erst mit der Einführung von Radio und Fernsehen. Der Begriff »Para-Social Interaction« wurde 1956 in einem Aufsatz11 des Soziologen Richard Wohl und des Anthropologen Donald Horton geprägt. Dieser Essay gilt heute als eine der meistzitierten Publikationen der Medienwirkungsforschung.12 Besonders Hosts von Late-Night-Shows waren in den Fünfziger- und Sechzigerjahren beliebte Subjekte parasozialer Beziehungen, da sie durch ihre kontinuierliche Wiederkehr im Abendprogramm und die direkte Ansprache der Zuschauer quasi als Lebensbegleiter verstanden wurden.13 Es gibt Anekdoten, dass Menschen zu Beginn der Einführung des Fernsehempfangsgeräts die TV-Hosts nach einer Begrüßung zurückgrüßten und an den entsprechenden Stellen vor dem Fernseher applaudierten.

Selbst wenn wir heute wissen, dass die Seriencharaktere auf Netflix und Co. nicht unsere wirklichen Freunde sind, kennen einige von uns doch das Gefühl von Traurigkeit und des Verlassenwerdens, wenn unsere Lieblingsserie abgesetzt wird. Überdies erfahren viele erfolgreiche Musiker oder Schauspieler in ihrer Karriere, was es bedeutet, die Zielscheibe von einseitigen Beziehungen zu sein, die über Freundschaften hinaus bis hin zu einer Art fanatischer Liebe gehen. Für großen Wirbel sorgte 1996 beispielsweise die Trennung der Boyband Take That. Weinende und deprimierte Teenager, die teilweise vermutlich nie persönlichen Kontakt zu ihren Stars hatten, lagen sich verzweifelt in den Armen. Die Jugendzeitschrift Bravo richtete in Deutschland sogar eine Notfall-Hotline für suizidgefährdete Fans ein.14 Warum dieses Phänomen der einseitigen Beziehungen auch heute noch so stark ist und stellenweise erschreckende Züge annimmt, erklärt Sozialpsychologe Prof. Dr. Erb in seinem Podcast.15 Der Mensch glaube tatsächlich, dass er die Personen aus den Medien in einer gewissen Art und Weise kenne, was vor allem daran liege, dass die Menschheit seit Tausenden von Jahren nur Beziehungen im Gehirn hergestellt habe, die auch in der Realität stattgefunden hätten. Da die Medien in Relation zu dieser langen Zeit extrem neu seien, müssten wir eine gewisse Kraftanstrengung aufbringen, um der Illusion, Menschen aus Film- und Fernsehen zu kennen, nicht zu unterliegen. »Wir müssen uns also bewusst machen, dass diese Personen tatsächlich so [wie wir sie wahrnehmen] real gar nicht existieren.«

Bei einem Nachrichtensprecher ist die Distanzierung für viele von uns wohl noch recht einfach. Das Ganze scheint aber schwieriger zu werden, wenn wir das Gefühl haben, besonders viel von der jeweiligen Person zu wissen. In Zeiten von Internet und vor allem Social Media erreichen parasoziale Beziehungen ein neues Level. YouTube-Stars, Twitch-Streamer und diverse Influencer haben heute einen ähnlichen Bekanntheitsgrad wie die Popstars der Neunzigerjahre. Mit dem Unterschied, dass sie ihre Follower viel stärker an ihrem Leben teilhaben lassen können, da sie jederzeit ein Smartphone und die entsprechende Technik dabeihaben, um ihre Erlebnisse sofort mit der ganzen Welt zu teilen. Vom Toilettengang über das Mittagessen bis hin zur Familienfeier: Auch intimere Momente in den eigenen vier Wänden lassen sich heutzutage viel häufiger und vor allem authentischer teilen. In Zeiten einer globalen Pandemie mit Ausgangssperre und Quarantäne können diese parasozialen Beziehungen ein wahrer Lebensretter sein. Dr. Nicole Liebers, die ihren Interessen- und Forschungsschwerpunkt in genau diesem Zweig der Medienkommunikation hat, beschreibt in der ZDF-Sendung 37 Grad, dass eine solche intime Bindung, selbst wenn sie eingebildet ist, dazu führen kann, dass Menschen sich sozial eingebunden fühlen. Auch hebe die vermeintliche soziale Interaktion beim Schauen einer Lieblingsserie die Laune und verbessere das psychische Wohlbefinden. Dies sei ein wertvolles Mittel bei Einsamkeit durch Social Distancing, wie es etwa 2020 und 2021 bei der Mehrheit der Bevölkerung zwangsweise der Fall war.16

Natürlich birgt ein solches psychologisches Phänomen aber auch Tücken und Gefahren. Wer glaubt, seinen parasozialen Freund in den Medien gut zu kennen und ihm die Treue halten zu müssen, kann vor einen echten Konflikt gestellt werden, wenn der vermeintliche Freund etwas tut, das nicht den eigenen Werte- und Moralvorstellungen entspricht. Dies verdeutlichte zuletzt der Betrugsskandal um Musiker und Do-it-yourself-Influencer Fynn Kliemann. Kliemann hatte jahrelang als der nette, leicht verpeilte Heimwerker-Typ von nebenan Bastel-, Bau- und Spaß- Videos auf seinem Hof, dem selbst ernannten »Kliemannsland«, produziert. Er war dafür bekannt anzupacken, immer wieder Organisationen mit Spenden zu unterstützen und erworbenes Geld direkt ins nächste Herzensprojekt zu stecken. Während der Coronapandemie erregte er weiterhin positive Aufmerksamkeit, da er während der Krise zum vermeintlich größten Maskenproduzenten in Europa und dafür mit dem Sonderpreis des Next Economy Awards ausgezeichnet wurde.17 Im April 2020 kritisierte er sogar einen anderen Maskenhersteller für seine hohen Preise: »Klar kann man die Produktion in Deutschland als Argument anführen, aber wir produzieren auch in Europa zu fairen Löhnen.« Außerdem sagte er: »… zu diesem Preis trägt sich die Produktion gerade so, und das ist okay, wir wollen damit nichts verdienen.«18 Später sollte sich herausstellen, dass Kliemann selbst nicht in Europa, sondern in Vietnam und Bangladesch produzieren ließ, eine ordentliche Marge mit jeder Maske einfuhr, defekte Masken medienwirksam spendete und hinter den Kulissen eher wie ein durchtriebener Geschäftsmann und nicht wie ein selbstloser Heimwerker aus Leidenschaft agierte. Aufgedeckt wurde dies im Mai 2022 in einer Folge des ZDF Magazin Royale,19 das seine investigativen Recherchen auf Lieferscheine und interne Chats stützte. Der Aufschrei in den sozialen Medien war entsprechend groß. Langjährige Follower sprachen in über 16.000 Kommentaren auf seinem Instagram-Account davon, ihr »Vertrauen in ihn« verloren zu haben oder »persönlich enttäuscht« worden zu sein. Gefühle, die man so auch gegenüber einem Freund äußern würde, der sich konträr zu den eigenen Werten und der eigenen Moral verhält.

Aber wie kommt es überhaupt so weit, dass man einer fremden Person, die regelmäßig von ihren guten Taten in den Social Media postet, ein moralisch einwandfreies Leben und auch privat die allerbesten Attribute und Charakterzüge zuschreibt? Prof. Dr. Erb20 erklärt dies wie folgt: Mit allen Informationen, die ein Influencer oder Star über sich preisgebe, werde ein Grundstock für Sympathie gelegt, wenn der jeweilige Follower diese als positiv empfinde. Dennoch blieben viele Leerstellen. Ein Beispiel: Auch wenn ein Influencer 20 je 15-sekündige Instagram-Storys an einem Tag postet – das ergibt insgesamt fünf Minuten Videomaterial –, bleiben mehr als 99,6 Prozent seines Tages ungefilmt. Laut Erb fülle ein Follower, der sowieso schon Sympathie für seinen Star empfinde, diese Leerstellen lediglich mit positiven Assoziationen, die mit seinen eigenen Charaktereigenschaften und Werten in Zusammenhang stünden. Wer selbst beispielsweise eine liberale Weltanschauung hat, projiziert diese automatisch auch auf seine Lieblingsinfluencer, findet diesen Aspekt vielleicht sogar durch seine Weltanschauungsbrille in einem der nächsten Posts bestätigt, was die Bindung erneut verstärkt. Das Gegenteil sei übrigens bei Politikern der Fall. Da diese ihre politische Meinung, ihre Werte und Einstellung regelmäßig kommunizierten, bestünde gar nicht die Gefahr, dass Menschen sie diesbezüglich missinterpretierten und überidealisierten.

Wer hingegen Influencer überidealisiert, kann, wie im Fall Kliemann, herb enttäuscht werden. Allerdings entsteht noch eine weitere, sehr perfide Gefahr, wenn Influencer durch parasoziale Beziehungen für den Follower zu einem »echten Freund« werden. Sie erhalten einen Vertrauensvorschuss, den sie geschickt für die eigene Agenda (aus)nutzen können und im schlimmsten Fall dafür, die eigene Zuschauerschaft aktiv zu manipulieren. Besonders, wenn aufseiten des Influencers monetäre Interessen im Vordergrund stehen, ist es im Rahmen der einseitigen Freundschaft viel einfacher, Werbung und Produkte an die eigenen Follower zu verkaufen. Das ist den meisten schon einmal passiert: Selbst wenn ein Restaurant von außen nicht so gut aussieht, sobald die eigene Freundin vom Essen dort schwärmt, ist man geneigt, dieses Restaurant ebenfalls zu besuchen. Auch eine leicht überteuerte Anti-Pickel-Creme wird eher gekauft, wenn ein Freund damit gute Erfahrungen gemacht hat. Diese Mechanismen funktionieren genauso eben auch bei einseitigen Freundschaften.

Influencer, Algorithmen und Follower: Die sozialen Medien bringen, neben jeder Menge neuer Phänomene, auch neue Vokabeln mit sich. Am Ende dieses Buches findet sich daher ein Glossar mit diversen Begriffserklärungen zur besseren Orientierung im Social-Media-Dschungel. Hauptsächlich soll dieses Buch aber aufzeigen, inwiefern Influencer uns schon seit Jahren in diversen Bereichen manipulieren. Teilweise unbewusst und unverschuldet, teilweise aktiv und kalkuliert. Im Prinzip sind Influencer die modernen Gatekeeper unserer Zeit, die dafür sorgen, wie wir die Welt wahrnehmen und gestalten wollen. Auch die Plattformen tragen mit ihrem jeweiligen Aufbau, ihren Algorithmen und Vorschlägen zur Beeinflussung unserer Gesellschaft bei. Ob der Trend, sich die Lippen aufspritzen zu lassen, der Trend, Urlaubsfotos für das Posting auf Instagram zu optimieren, oder der Trend, sich in jungen Jahren für Markenklamotten zu verschulden: Sie alle entspringen zu großen Teilen der lange unkritisch betrachteten Welt der sozialen Medien und Influencer.

Kapitel 1

#challenge – Die dunkle Seite von Social Media: Warum Hass, Mobbing, Gewalt und toxische Einflüsse in sozialen Medien auf fruchtbaren Boden treffen

Das eigene Kind zu verlieren, ist wohl das schrecklichste Szenario, welches Eltern sich vorstellen können. Besonders tragisch sind diese Schicksalsschläge, wenn es sich um vermeidbare Unfälle handelt. In den vergangenen Jahren gelangen derartige Unglücke immer häufiger im Zusammenhang mit sozialen Medien in die Schlagzeilen. Tragische Fälle, in denen Kinder eine sogenannte Challenge (Herausforderung) nachahmen und sich dabei verletzen oder sogar zu Tode kommen. Oft wird in Zeitungsartikeln anschließend geschrieben, dass eine gewisse Medienkompetenz bei Eltern und Kindern extrem wichtig sei, das erste Mittel der Wahl, um solchen Unglücken vorzubeugen. Doch auch den jeweiligen Plattformen wird immer häufiger vorgeworfen, sich der Verantwortung zu entziehen. So auch im Fall der »Blackout Challenge«, die über die Video-App TikTok verbreitet wurde. Bei dieser Challenge ging es darum, sich selbst bis zur Ohnmacht zu würgen, dabei zu filmen und den Clip nach dem Erwachen online zu stellen. Ein hohes Risiko für ein paar Sekunden Internetberühmtheit. Ein besonders tragischer Fall, der womöglich im Zusammenhang mit der »Blackout Challenge« steht, ist der des zwölfjährigen Archie Battersbees aus Southend-on-Sea in Großbritannien. Seit April 2022 lag der Junge in einem Londoner Krankenhaus im Koma. Er hatte sich bei einem häuslichen Unfall schwere Hirnverletzungen zugezogen. Seine Mutter hatte ihn regungslos zu Hause aufgefunden – neben ihm lag eine Stoffbinde. Ein Indiz, aus dem die Eltern und Behörden ableiten, dass auch Archie sich einer Internet-Mutprobe stellen wollte. Nach einem wochenlangen Rechtsstreit mit den englischen Behörden bis hin zum Obersten Gerichtshof in Großbritannien wurden die lebenserhaltenden Maßnahmen am 6. August 2022 abgestellt und Archie starb.21 Es ist nicht der einzige Vorfall dieser Art. Im Jahr 2021 kamen zwei Kinder aus den USA dabei ums Leben. Ein neunjähriges Mädchen aus Wisconsin und eine Achtjährige aus Texas hatten sich mit einer Hundeleine und einem Seil bei dem Versuch stranguliert, für einen kurzen Moment ohnmächtig zu werden. Auch in anderen Ländern wie Italien oder Australien soll es bei diesem Internettrend zu Todesfällen gekommen sein. Ob die tragischen Unfälle tatsächlich mit einer Teilnahme an der »Blackout Challenge« im Zusammenhang stehen, lässt sich im Nachhinein nur schwer rekonstruieren. Nun gehen die Eltern mit einer Klage vor einem Gericht in Los Angeles gegen die Social-Media-Plattform vor. TikTok wird vorgeworfen, die Challenge »absichtlich und wiederholt« verbreitet zu haben, statt dafür zu sorgen, dass diese gefährlichen Videos nicht weitergeleitet und geteilt werden, geschweige denn eine Plattform bekommen.22

Ob diese Klage Erfolg haben wird, bleibt fraglich. Laut den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist TikTok in Deutschland erst für Nutzer ab 13 Jahren erlaubt. In den USA gibt es diese Altersgrenze ebenfalls, User, die jünger als 13 Jahre sind und ihr korrektes Alter angeben, werden bei TikTok for Younger Users (TikTok für jüngere Benutzer) einsortiert.23 Laut Plattform handelt es sich hierbei um eine abgespeckte Version der eigentlichen Anwendung mit zusätzlichen Sicherheits- und Datenschutzmaßnahmen, die speziell für ein Publikum unter 13 Jahren entwickelt wurden.24 Das Problem: Ob die Kinder ihr korrektes Alter angeben, ist oft unklar. In Ländern wie Deutschland25 gibt es die sicherere Funktion für jüngere User sowieso nicht. Hier müssen Eltern auf andere Sicherheits-Features der App vertrauen, etwa dass Profile von unter 16-jährigen Usern standardmäßig auf privat gestellt sind. Obwohl es laut Nutzungsbedingungen nicht erlaubt ist, geben einige Kinder bei der Anmeldung daher ein falsches Alter an, um die App in vollem Umfang nutzen zu können. Die Vorlage eines Ausweisdokumentes ist nicht nötig. Oftmals ist auch unklar, inwiefern die Eltern über die Internetaktivitäten ihrer Kinder Bescheid wissen. Kinder können heutzutage besser mit Smartphones umgehen als ihre Eltern – und der Gruppendruck sowie der Wunsch dazuzugehören sind in dieser Altersstufe besonders ausgeprägt.

Und alle machen mit – die Faszination von Challenges

Zugegeben, auf den ersten Blick wirken Plattformen wie TikTok unfassbar harmlos und sogar spaßig. Die im September 2016 herausgebrachte App des chinesischen Unternehmens ByteDance ist mittlerweile die am häufigsten heruntergeladene Social-Media-Anwendung der Welt und hat weltweit rund 1,6 Milliarden aktive Nutzer. Man kann auf TikTok kurze Videos drehen, bei denen man zu einem Lied oder einem Audiomitschnitt tanzt, lippensynchron singt oder einfach kocht, bastelt oder etwas anderes Witziges unternimmt. Als Zuschauer werden einem diese Videos den eigenen Interessen entsprechend vorgeschlagen – die App lernt diese innerhalb kürzester Zeit aus dem Verhalten der Nutzer. Man kann, wie bei vielen anderen Plattformen, liken, also Posts mit einem Herz versehen, kommentieren oder die Inhalte an Freunde weiterleiten. So bleibt es unvermeidbar, dass sich durch Videos, die besonders gut beim Nutzer ankommen, Trends entwickeln. Kommt ein bestimmter Tanz zu einem speziellen Lied gut an, machen ihn Hunderte von Influencern und Privatpersonen nach, um mit ihrer Version des Tanzes und ihrem eigenen Kurzvideo vielleicht auch ein bisschen Aufmerksamkeit und Anerkennung auf der App zu bekommen. Trends, die eine besondere Herausforderung an den User stellen, werden als Challenges bezeichnet und mit einem Hashtag versehen.

Die bislang wohl bekannteste Social-Media-Challenge war die »ALS Ice Bucket Challenge«. Sie veranschaulicht das Prinzip einer Challenge in den sozialen Medien recht gut: Die Aktion schuf im Sommer 2014 erfolgreich viel Aufmerksamkeit für die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Eine gesunde Person sollte sich einen Eimer voll Eiswasser über den Kopf schütten und so für einige Sekunden ein Gefühl der Lähmung im Körper spüren, wie sie ein ALS-Erkrankter sein Leben lang erfährt. Ein Clip von der Aktion wurde dann geteilt, mit der Aufforderung, dass im Video nun nominierte Personen die Challenge ebenfalls nachmachen sollten. Viele Prominente beteiligten sich an der Aktion. Bis Ende 2014 waren weltweit 200 Millionen US-Dollar gesammelt.

Aber: Nicht jede Herausforderung, die durch die sozialen Medien wandert, hat altruistische Motive. Einige Nachmach-Aktionen dienen einfach nur der Unterhaltung oder sind sogar absolut schwachsinnig. Durch schnelllebige Apps wie TikTok entstehen neue Challenges quasi im Minutentakt. Besonders schnell verbreiten sich meist jene, die von Stars und großen Influencern gestartet werden. So auch im März 2020 zu Beginn der Covid-19-Pandemie, als die Sängerin und TikTokerin Ava Louise mit der »Coronavirus-Challenge«26 viral ging. Das entsprechende Kurzvideo zeigt sie dabei, wie sie einen Flugzeug-Toilettensitz mit der Zunge ableckt. In einem Interview27 mit dem US-amerikanischen Psychologen sowie Fernsehmoderator Dr. Phil begründet sie ihr Video damit, dass sie wirklich genervt davon gewesen sei, dass Corona mehr Aufmerksamkeit bekomme als sie. Auch wenn sie selbst später betonte, dass es sich um einen gründlich desinfizierten Sitz in einem Privatflugzeug gehandelt habe, fand die Challenge sofort viele Nachahmer. Ein Mann aus Missouri beispielsweise leckte im Rahmen der Challenge Produkte aus einem Supermarktregal ab und filmte sich dabei. Währenddessen stellte er zur Kamera gerichtet die Frage »Wer hat Angst vor’m Coronavirus?«. Kurze Zeit später wurde er verhaftet.28 Während es mittlerweile einen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt und eine Infektion dadurch seltener schwere Symptome auslöst, war die Situation zu der Zeit, als die »Coronavirus-Challenge« auf TikTok viral ging, sehr viel bedrohlicher: Niemand wusste genau, wie das Virus wirkte, welche Symptome es genau auslösen konnte, und die Zahl derer, die aufgrund eines schweren Verlaufs ins Krankenhaus kamen und künstlich beatmet werden mussten, wuchs rapide. Bis Ende 2020 starben in den USA knapp 396.000 Menschen an dem Virus, die Zahl der bestätigten Infektionen lag bei circa 21,5 Millionen, die Dunkelziffer war aufgrund des US-Gesundheitssystems, zu dem nicht alle Bürger des Landes gleichermaßen Zugang haben, hoch.29 Die Challenge fand aber nicht nur in den USA etliche Nachahmer, sondern es nahmen weltweit Menschen an ihr teil. Bis Ende des Jahres 2020 waren weltweit mehr als 1,9 Millionen Menschen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion gestorben.30 Auch wenn an einer öffentlichen Toilette zu lecken im ersten Moment skurril, eklig und vielleicht sogar irgendwie witzig erscheinen mag, haben die Möchtegern-Influencer für Klicks auch in diesem Fall ihre Gesundheit und die anderer aufs Spiel gesetzt.

Weitaus offensichtlicher und weniger abstrakt erscheinen da die Risiken der »Tide Pod Challenge«, die zum Jahresbeginn 2018 von sich reden machte. Namensgebend sind die bunten, mit Flüssigwaschmittel gefüllten Gel-Caps, die normalerweise in die Trommel der Waschmaschine gegeben werden, um damit eben Wäsche zu waschen. Die wohl bekannteste Waschmittelmarke im US-amerikanischen Raum, Tide, wird vom Unternehmen Procter & Gamble verkauft. In Deutschland ist die Marke vergleichbar mit Ariel, die ebenfalls vom Hersteller Procter & Gamble stammt. Sie genießt also einen gewissen Bekanntheitsgrad und Kultstatus. Die bunt aussehenden Flüssigwaschmittel-Pods sind seit dem Jahr 2012 im Handel erhältlich und seitdem auch Gegenstand zahlreicher Memes. So berichtete etwa das Onlinemagazin Mashable,31 dass bereits zur Markteinführung des damals neuartigen Waschmittels Tweets auftauchten mit Kommentaren wie »Warum sehen Tide-Pods zum Anbeißen gut aus?«. Im Jahr 2015 verfasste der The-Onion-Autor Dylan DelMonico zudem einen satirischen Artikel mit dem Titel »So wahr mir Gott helfe, ich werde eines dieser bunten Reinigungs-Pods essen«.32 In dem satirisch angehauchten Text konzentrierte sich DelMonico vor allem auf die tatsächlichen Gefahren, nämlich dass Kleinkinder eher aus Versehen die Waschmittel-Kapseln für Süßigkeiten halten und sich fatalerweise vergiften könnten. Auf Basis dieses Artikels bahnten sich jedoch immer mehr Memes ihren Weg ins World Wide Web, welche die Überschrift von DelMonicos Artikel spielerisch verarbeiteten. Die »Tide-Pod-Challenge« griff nun diese einst satirischen Kommentare von Usern, die ganz genau wussten, dass die Inhaltsstoffe der Pods gesundheitsschädlich sind, auf: Teilnehmer der Challenge steckten sich eines der Pods in den Mund, bissen auf der Kapsel so lange herum, bis die wasserlösliche Gelhaut sich auflöste oder platzte und die bunte Flüssigkeit seitlich aus dem Mund herausströmte. Dabei filmten sie sich und stellten die Videos online. Genau dieser optische Effekt kam besonders gut bei den Usern an. Dass sie sich dabei womöglich vergiften, gar sterben könnten, scheint in diesem Moment eher zweitrangig zu sein – oder macht womöglich sogar den Reiz der Challenge aus. Die Waschmittelkapseln enthalten hochgiftige Chemikalien, die den Mund verätzen können. Neben anionischen und nichtionischen Tensiden enthalten sie Phosphonate, Enzyme sowie die Stoffe Tetrahydrolinalool und Isoeugenol, die schwere allergische Reaktionen hervorrufen können. Nicht umsonst ist auf dem deutschen Pendant, den Ariel-Pods, gut sichtbar das Gefahrensymbol für Verätzungen abgebildet: eine viereckige Raute mit rotem Rahmen und einem Piktogramm in der Mitte, welches links eine Oberfläche und rechts eine Hand zeigt, auf die ein Reagenzglas ausgekippt wird und von der Dampfschwaden aufsteigen. Zudem die Hinweise: »Verursacht Hautreizungen. Verursacht schwere Augenschäden. Schädlich für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung. Darf nicht in die Hände von Kindern gelangen. BEI VERSCHLUCKEN: Mund ausspülen. KEIN Erbrechen herbeiführen. BEI BERÜHRUNG MIT DER HAUT: mit viel Wasser waschen. BEI KONTAKT MIT DEN AUGEN: einige Minuten lang behutsam mit Wasser spülen. Sofort GIFTINFORMATIONSZENTRUM/Arzt anrufen.«33 Ähnliche Warnhinweise sind auch auf den US-Produkten vermerkt.

Dennoch wagten viele Teenager weltweit die »Tide Pod Challenge«, weil der Spaß und das Zugehörigkeitsgefühl einfach zu verlockend waren. Laut einem Bericht der Washington Post34 vom 17. Januar 2018 hatte die US-amerikanische Giftnotzentrale bereits zu diesem Zeitpunkt 37 Fälle gemeldet, in denen Teenager mit starken Vergiftungserscheinungen nach dem Verschlucken einer Waschmittelkapsel in einem Krankenhaus behandelt werden mussten. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr 2017 waren es 53 solcher Fälle.35 Auch in diesem Fall waren sich viele der Social-Media-User anscheinend nicht über die konkreten Folgen ihres Handelns im Klaren. Tide-Hersteller Procter & Gamble startete daraufhin eine umfassende Aufklärungskampagne, die vor dem Verschlucken der Pods und der Teilnahme an der Tide Pod Challenge warnte. Dafür produzierten sie unter anderem ein Werbevideo mit dem American-Football-Spieler Rob Gronowski,36 in dem er seine Fans dazu aufruft, mit den Pods nur Wäsche zu waschen. Dem Profisportler folgen auf TikTok immerhin 2,4 Millionen Menschen. Plattformen wie YouTube und Facebook, auf denen die Tide-Pod-Challenge-Clips ebenfalls häufig geteilt wurden, begannen damit, Inhalte dieser Art konsequent zu sperren, um weitere Nachahmungsfälle zu verhindern. Bis heute enthalten die meisten Werbespots für diese Art von Waschmittel weltweit eine deutliche Warnung, dass sie sicher verschlossen außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahrt werden sollen.

In der noch jungen Geschichte der sozialen Medien gibt es bereits derart viele gefährliche Challenges, dass es nahezu unmöglich ist, sie alle aufzuzählen. Neben der bereits eingangs zu diesem Kapitel erwähnten Blackout Challenge sorgte allerdings die sogenannte Bird Box Challenge für ein großes mediales Echo. Das mag auch daran liegen, dass der popkulturelle Ursprung dieser sehr gefährlichen Internetherausforderung beim Streamingdienst Netflix lag. Im Dezember 2018 veröffentlichte der Streamingdienst den Thriller Bird Box – Schließe deine Augen mit Schauspielerin Sandra Bullock in der Hauptrolle. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman des Autors Josh Malerman, der vier Jahre zuvor erschienen war, und hat in Deutschland laut FSK eine Altersempfehlung ab 16 Jahren.37 Kurz nach dem Start des Films etablierte sich auf TikTok und YouTube der Hashtag #BirdBoxChallenge. Die Teilnehmer dieser Challenge versuchten, in Anlehnung an den Inhalt des Films, mit verbundenen Augen Alltagssituationen zu bewältigen. Solange es dabei nur um das Fangen eines Balls geht oder darum, ein Glas Wasser blind zu trinken, mag das vielleicht lustig sein. Doch viele User begaben sich, auf der Suche nach einem möglichst spektakulären Videoinhalt mit Wow-Effekt, in ernsthafte Gefahr – was wiederum auch den Inhalt des Films aufgreift, in dem Sandra Bullock in einer Schlüsselszene mit verbundenen Augen in einem Boot einen Fluss mit gefährlichen Stromschnellen überquert. Eine 17-jährige Teenagerin aus Utah verursachte nun bei ihrer Teilnahme an der Challenge einen gefährlichen Unfall, als sie mit verbundenen Augen ins Auto stieg und in den Gegenverkehr geriet.38