Familiensoziologie - Johannes Huinink - E-Book

Familiensoziologie E-Book

Johannes Huinink

0,0

Beschreibung

Die Familie und ihr aktueller Wandel ist nicht nur Thema erhitzter Debatten, sondern ein zentraler Gegenstand der Soziologie. In dieser Einführung geben die Autoren einen Überblick über die Entwicklung der Familie insbesondere in den letzten Jahrzehnten. Sie stellen verschiedene Ansätze der Familiensoziologie vor, von der Sozialisations- bis zur Lebenslaufforschung, und veranschaulichen diese schließlich anhand einzelner Themen wie Familie und soziale Ungleichheit, Familie und Lebenslauf oder den Beziehungen zwischen den Generationen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 320

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Familiensoziologie
Eine Einführung
Konietzka, Dirk; Huinink, Johannes
Campus Verlag
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
9783593403540
Copyright © 2007. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
9
10
9
10
false

|9|Vorwort

Als wir begonnen haben, diesen Einführungsband in die Familiensoziologie zu konzipieren, hatten wir eine klar umrissene Vorstellung davon, wie er einmal aussehen sollte. Wir wollten eine verständliche, systematische Einführung schreiben, die auf einem übergreifenden theoretischen Fundament ruhen und gleichzeitig die Vielfalt des Forschungsgebiets abdecken sollte. Wie das so ist, erfährt ein anfänglicher Plan im Zuge seiner Verwirklichung im Detail viele Veränderungen. Wir mussten aus dem riesigen Angebot der familiensoziologischen Arbeiten auswählen und inhaltliche Schwerpunkte setzen. Zunächst nicht hinreichend bedachte Fragestellungen mussten neu aufgenommen, Gewichtungen in der thematischen Auswahl verlagert, alte, vielleicht lieb gewonnene Zöpfe abgeschnitten werden.

Wir denken aber, dass wir unsere ursprünglichen Zielstellungen zu einem großen Teil umsetzen konnten. Unsere Einführung bietet, so hoffen wir zumindest, für Leser, die sich über die Fragen der Familiensoziologie einen umfassenden Überblick verschaffen wollen, eine gewinnbringende Lektüre und Studiengrundlage. Sie gibt darüber hinaus für jeden inhaltlichen Schwerpunkt zahlreiche Hinweise, um sich tiefer in die Materie einzuarbeiten.

Wir haben bei unserer Arbeit viel Zuspruch und Hilfe erfahren. Danken wollen wir zuerst dem Herausgeber dieser Reihe, Johannes Berger, sowie dem Lektor des Verlags, Adalbert Hepp und unserem Kollegen Michael Feldhaus, die uns mit ihren Hinweisen, Anregungen und kritischen Kommentaren sehr unterstützt haben. Michaela Kreyenfeld sei unser Dank für die Beratung zu Datensätzen und die Bereitstellung von Statistiken für diesen Band ausgesprochen. Bei der redaktionellen Bearbeitung des Manuskripts haben uns vor allem Ilona Bartkowski und Melanie Hotovic mit viel Umsicht und Engagement |10|unterstützt. Wir danken ihnen dafür ebenso wie Mandy Boehnke, Stefanie Kley, Katharina Maul sowie den Lektoratsmitarbeitern des Campus Verlages für die Durchsicht von Teilen des Manuskripts. Das nun vorliegende Ergebnis haben wir gleichwohl ganz allein zu verantworten – und das tun wir sehr gerne in der Hoffnung, dass diese Einführung eine breite Akzeptanz finden möge.

11
23
11
23
false

|11|1. Einleitung: Fragestellungen und Forschungstraditionen der Familiensoziologie

Die Familie, so lautet ein etwas angestaubter, wenn nicht gar abgedroschen anmutender Ausspruch, ist die »Keimzelle« der Gesellschaft. Er hat aber einen wahren Kern; denn damit ist gemeint, dass Familien für den Nachwuchs in einer Gesellschaft sorgen – streng genommen entstehen Familien überhaupt erst dadurch, dass Kinder geboren werden. In Familien werden die Mitglieder der nachwachsenden Generation aufgezogen und erzogen. Familien bilden den sozialen Lebenszusammenhang, in dem sich Kinder zu erwachsenen Mitgliedern der Gesellschaft – in unseren modernen Gesellschaften heißt dies: zu autonomen und handlungsfähigen Individuen – entwickeln können.

In Abwandlung des Satzes von der Keimzelle können wir neutraler formulieren, dass sich die Familie als Ort der biologischen und sozialen Reproduktion einer Gesellschaft bestimmen lässt. Ob dieses immer und für alle denkbaren Gesellschaften so gewesen ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall bilden Familien einen grundlegenden Bestandteil unseres sozialen Lebens. Sie sind nicht nur Keimzellen, sondern auch Lebenswelt. Damit soll ausgedrückt werden, dass die soziale Gruppe der Familie bis heute eine zentrale Rolle im Leben der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder unserer Gesellschaft spielt. Abgesehen davon, dass fast alle Menschen in einer Familie aufwachsen, bleiben enge Beziehungen zu den Eltern und Großeltern in der Regel langfristig wichtige Bestandteile des sozialen Lebens der meisten Menschen. Überdies schaffen diese sich neue soziale Beziehungen, indem sie langfristige Paarbeziehungen eingehen, möglicherweise heiraten und selber Kinder aufziehen. Auch wenn viele eheliche oder nichteheliche Beziehungen durch Scheidung oder Trennung wieder |12|beendet werden, bleiben die Beziehungen zu den Kindern doch in den allermeisten Fällen ein Leben lang eng.

Familien bilden ein integrales Element der sozialen Struktur einer Gesellschaft und prägen und ordnen das Leben der Mitglieder der Gesellschaft in vielfältiger Weise. Die Familie ist daher ein zentrales Thema für die Soziologie, und es verwundert nicht, dass sich die Familiensoziologie schon sehr früh als eigenständiges Teilgebiet innerhalb dieser Fachdisziplin etabliert hat.

Gegenstand der Familiensoziologie sind die individuellen, wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Faktoren, welche beeinflussen, ob und wann im Leben Individuen eine Familie gründen, wie sie ihr Familienleben gestalten und welche Auswirkungen auf ihre Lebensumstände und ihren Lebenslauf insgesamt damit verbunden sind. Die Familiensoziologie untersucht die Bedingungen und Auswirkungen der Erziehung und Sozialisation der Kinder in der Familie und deren Wechselbeziehung zu kindlichen Erfahrungswelten in anderen Bereichen der Gesellschaft. Sie erforscht die sozialen Interaktionen zwischen Familienmitgliedern unter verschiedenen sozioökonomischen Bedingungen, deren Qualität und ihre Rolle für die Befindlichkeit der Beteiligten. Die Familiensoziologie trägt damit zu einer umfassenden Diagnose über den Zustand eines zentralen Lebensbereichs der Menschen bei und kann darauf aufbauend Vorschläge zur Gestaltung gesellschaftlicher Bedingungen machen, um den Bedürfnissen der Menschen in Bezug auf die Ausgestaltung ihrer Lebensformen sowie den Anforderungen des Familienlebens besser gerecht zu werden.

In diesem einleitenden Kapitel geben wir einen ersten Überblick über das Forschungsgebiet der Familiensoziologie (1.1). In einer kurzen Rückschau stellen wir anschließend ihre Fragestellungen und Themen dar, und danach verweisen wir exemplarisch auf drei ihrer wichtigsten theoretischen Traditionen (1.2).

Im zweiten Kapitel klären wir die begrifflichen und konzeptuellen Grundlagen der Familiensoziologie und führen zur Orientierung für die weiteren Ausführungen allgemeine theoretische Modellannahmen ein. Im dritten Kapitel gehen wir auf die Forschung zur Geschichte der Familie ein und heben einige Entwicklungstrends hervor, die sich wie ein roter Faden durch den historischen Wandel der Familie ziehen. |13|Abschließend führen wir eine Systematik zu den Aufgaben und Leistungen von Familien vor, die sich als Ergebnis der Entwicklung der modernen Familie begreifen lässt. Der neuere, noch anhaltende Wandel der Familien- und Lebensformen in modernen Gesellschaften ist das Thema des vierten Kapitels. Dazu werden die wichtigsten demografischen Trends vorgestellt. Im fünften Kapitel beschäftigen wir uns mit familiensoziologischen Theorien, die das Verhältnis von Familie und Gesellschaft in den Zusammenhang des sozialen Wandels der Gesellschaft stellen – mit den Theorien der sozialen Differenzierung, der Individualisierung, des Wertewandels und des zweiten demografischen Übergangs. Wir werden ferner die familiensoziologische Auseinandersetzung mit dem Wandel der Familie als Institution und in ihrem Wechselverhältnis zu anderen Teilsystemen in modernen Wohlfahrtsstaaten genauer darlegen. Komplementär dazu stellen wir im sechsten Kapitel den Bereich der familiensoziologischen Theorie und empirischen Forschung vor, in dem die Familie aus der Perspektive des Individuums und seines Lebenslaufs untersucht wird. Im siebten Kapitel beleuchten wir den Zusammenhang von Familienentwicklung und sozialer Ungleichheit. Wir erläutern auch die Rolle, die Familie bei der Perpetuierung sozialer Ungleichheit über die Generationen hinweg spielt. Im achten Kapitel wenden wir uns den innerfamilialen Beziehungen und Interaktionsprozessen zu. Ein besonderes Augenmerk richten wir auf die Sozialisation und Erziehung, die Alltagsorganisation des Familienlebens und die intergenerationalen Beziehungen. Im neunten Kapitel schließlich geben wir einen Ausblick auf die familiensoziologische Forschung in der Zukunft.

13
16
13
16
false

1.1 Forschungsfelder der Familiensoziologie

Eine Bestimmung des Gegenstandes der Familiensoziologie schlechthin ist schwer vorzunehmen. In diesem Kapitel umreißen wir daher zunächst die Themen, mit denen sich Familiensoziologie beschäftigt, während wir auf die Diskussion über das, was unter Familie zu verstehen sei, im zweiten Kapitel ausführlicher eingehen.

|14|Allgemein kann man als Hauptgegenstand der familiensoziologischen Forschung die Herstellung, Pflege und Auflösung bzw. das Scheitern von Eltern-Kind-Beziehungen sowie deren Bedeutung für die gesellschaftlichen Strukturen, sozialen Institutionen und die Lebensläufe der Menschen benennen. Daneben ist auch die Beschäftigung mit den ehelichen und nichtehelichen partnerschaftlichen Lebensformen der Menschen Teil der Familiensoziologie.8 In der folgenden Auflistung von Themen unterscheiden wir danach, aus welcher Perspektive Familie und Lebensformen der Menschen in einer Gesellschaft betrachtet werden. Der bedeutende deutsche Familiensoziologie René König spricht von zwei »Grundbetrachtungsweisen der Familie« (König 1976: 27ff.). Man kann Familie erstens aus der makroanalytischen Vogelperspektive studieren. Zweitens kann man die Familien als soziale Gruppen ansehen, in sie hineinschauen und sich mit den Beziehungen der Familienmitglieder untereinander beschäftigen. Wir fügen drittens die Perspektive des Individuums hinzu, das in eine Familie hineingeboren wird, seine Beziehung zu den Eltern und Familienangehörigen gestaltet und im weiteren Verlauf seines Lebens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine eigene Paarbeziehung eingehen und eine Familie gründen wird.

Gesellschaftliche Makroperspektive

Lebens- und Familienformen (vgl. Kapitel 2 und 4): Die Erforschung der Strukturen von Lebensformen und Familien sowie ihres Wandels ist Gegenstand einer deskriptiven, familiendemografisch orientierten Familiensoziologie. Untersucht werden Zusammensetzung und Größe, Vielfalt und Verteilung von Lebens- und Familienformen in der Bevölkerung.

Familie als gesellschaftliche Institution (vgl. Kapitel 5): Das Pendant zur strukturbezogenen Betrachtung thematisiert die soziokulturelle Dimension von Familie und deren Wandel. Die Familie wird als gesellschaftliche Institution untersucht, die durch kulturelle |15|Leitbilder, zugewiesene »Aufgaben« und typische Muster der Rollendifferenzierung unter ihren Mitgliedern charakterisiert ist. Auch der öffentliche Diskurs über die Familie und Geburtenentwicklung fällt unter diese Kategorie.

Familie und gesellschaftliche Teilsysteme (vgl. Kapitel 3 und 5): Hier geht es um die Wechselbeziehung der Familie mit verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen (Markt, Staat und Öffentlichkeit, intermediäre Instanzen). Man hebt zum einen auf die Leistungen von Familien ab, mit denen sie zum Erhalt und zur Wohlfahrtsproduktion der Gesellschaft insgesamt beitragen. Zum anderen untersucht man die Zumutungen gesellschaftlicher Instanzen Familien gegenüber, aber auch die Leistungen anderer gesellschaftlicher Teilbereiche für Familien.

Sozialstruktur und Familie (vgl. Kapitel 7): Ein zentraler Bereich der strukturellen Analyse der Familienentwicklung beschäftigt sich mit der Wechselbeziehung zwischen Familie bzw. Familienformen und sozialer Ungleichheit sowie Merkmalen der sozialen Lage der Familienmitglieder in einer Gesellschaft.

Perspektive der familialen Beziehungsebene

Soziale Interaktion in der Familie (vgl. Kapitel 8): Die Familie wird als soziale Primärgruppe untersucht und als hoch interdependenter Handlungszusammenhang verstanden. Es geht um die »psychosoziale« Dimension des sozialen Miteinanders der Mitglieder einer Familie, ihre diesbezügliche soziale Rollenverteilung und Autoritätsverhältnisse.

Innerfamiliale Alltagsorganisation (vgl. Kapitel 8): Die arbeitsteilige Gestaltung des Alltags innerhalb einer Familie stellt die »instrumentelle« Dimension des Familienalltags und des gemeinsamen Haushaltens dar.

Erziehung und Sozialisation (vgl. Kapitel 8): Die Eltern-Kind-Beziehungen in der Phase, in der die Kinder von der Pflege und dem Unterhalt durch die Eltern abhängig sind, werden unter dem Gesichtspunkt von Erziehung und Sozialisation von der Entwicklungsperspektive des Kindes her thematisiert.

|16|Intergenerationen- und Verwandtschaftsbeziehungen (vgl. Kapitel 8): Auch die lebenslangen Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern sind Gegenstand familiensoziologischer Forschung. Dabei ist zu beachten, dass Familie nicht an den Haushaltsgrenzen endet.

Individualperspektive

Etablierung, Veränderung und Auflösung (familialer) Lebensformen im Lebenslauf (vgl. Kapitel 6): Hier werden die Aufnahme und Gestaltung von Paarbeziehungen und das Heiratsverhalten (Aufnahme und Timing einer Paarbeziehung, Leben in getrennten Haushalten, in nichtehelicher Lebensgemeinschaft, in Ehe und möglichen »Zwischenformen«), die Familiengründung, -erweiterung und »Neuorganisation« von Familien (Auftreten und Timing von Geburten, Adoptionen und Aufnahme von Pflegekindern, Neuformierung von Familien und Stiefelternfamilien), die Auflösung von Familienhaushalten (Auszug der Kinder aus dem Elternhaus), die Trennung und Scheidung sowie das Zerbrechen von Familien untersucht.

Auswirkungen von Familien(verlauf) und Familienalltag auf den Lebenslauf von Familienmitgliedern (vgl. Kapitel 8): Ein eigenes Forschungsfeld bildet die Auswirkung des Familienverlaufs auf den Lebenslauf der Familienmitglieder. Dazu gehören die Bedeutung von Paarbeziehungen und familialen Lebensformen für die Lebensgestaltung der Erwachsenen und die Bedeutung von familialen Lebensformen und ihrer Veränderung (z. B. die Trennung und Scheidung der Eltern) für die Kinder und ihre zukünftigen Lebenschancen.

Viele der genannten Forschungsthemen beschäftigen die Familiensoziologie seit ihren Anfängen, wobei zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt wurden. Diese Schwerpunktsetzungen waren auch davon abhängig, welche theoretischen Modelle die soziologische Familienforschung jeweils beherrscht haben.

8

Es beginnt sich eine Beziehungssoziologie als eigenes Forschungsgebiet aus der Familiensoziologie auszudifferenzieren (Lenz 1998, Nave-Herz 2004).

17
23
17
23
false

|17|1.2 Forschungstraditionen der Familiensoziologie

Während die sich im späten 18. und im 19. Jahrhundert entwickelnde Demografie um die systematische und möglichst exakte statistische Erfassung der Bevölkerungsvorgänge und um die Aufdeckung zugrundeliegender Regel- oder gar Gesetzmäßigkeiten bemüht ist und während die Rechts- und Staatswissenschaften die Familie als staatstragende und zu regulierende Institution erkennen, sehen viele den Ausgangspunkt einer eigenständigen soziologischen Beschäftigung in Arbeiten, die vor einem drohenden Verfall der Familie im Zuge der frühen Industrialisierung warnen. Gemeint sind die unabhängig voneinander im Jahr 1855 erschienenen Arbeiten des Deutschen Wilhelm H. Riehl (»Die Familie«) und des Franzosen P. G. Frédéric Le Play (»Ouvriers européens«).9 Ob diese Autoren, die – wie René König anmerkt – ein einseitiges und ideologisch-konservatives Verständnis von Familie propagieren, allerdings den Beginn einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Familiensoziologie markieren, kann infrage gestellt werden (König 1976: 6f.). Im Gegensatz zu diesen Beiträgen findet man bei Karl Marx und Friedrich Engels etwa im »Kommunistischen Manifest« (1948) eine kritische Analyse des Wandels der Familie und der klassenbedingt unterschiedlichen Lebensrealität ihrer Mitglieder im Zuge des sich entwickelnden Kapitalismus.

König meint, dass der französische Soziologe Emile Durkheim ein »erstes brauchbares Programm« der Familiensoziologie vorgelegt habe, welches 1888 als Vorlesung unter dem Titel »Introduction à la sociologie de la famille« veröffentlicht wurde.

|18|Durkheims Programm der Familiensoziologie

Durkheim proklamiert eine Familiensoziologie, die das »vollständige System dieser Beziehungen, welche das Leben der Familie ausmacht«, beschreiben und erklären soll (Durkheim 1981: 56). Er nennt als Elemente dieses Systems die Blutsverwandten, die Eheleute, die Kinder und den Staat und formuliert Aussagen darüber, in welcher Art von sozialen Beziehungen sie involviert sind. Durkheim macht auch Vorschläge zur methodischen Vorgehensweise und verweist auf die Analyse des Rechts und der Sitten bzw. Bräuche sowie der Nutzung der Bevölkerungsstatistik – nicht ohne vor der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes zu warnen. Obwohl Durkheim – auch unter kritischem Verweis auf Le Play – in seiner Vorlesung vor einer Verabsolutierung bestimmter Familienformen warnt, sieht König in Durkheims These von der Kontraktion der Familie zur Gattenfamilie (»famille conjugale«) noch einen »Restbestand ideologischer Verzerrung« gegeben (vgl. Durkheim 1921). Diese sei nur für die gesellschaftlichen Oberklassen zutreffend gewesen, während die Kernfamilie in den Unterschichten immer schon dominant gewesen sei (König 1976: 7).

Wir wollen in dieser Einleitung weder eine Geschichte der Familiensoziologie erzählen noch die deutsche Familiensoziologie eingehender würdigen und verweisen dazu auf einschlägige Literatur (vgl. Schwägler 1975, Klein 2006, Schmidt 2002). Stattdessen werden wir für die im Kapitel 1.1 bei der Gegenstandsbeschreibung eingenommenen Perspektiven der Makro-, Beziehungs- und Individualebene exemplarisch je eine Theorie- oder Forschungstradition vorstellen, deren Spuren bis in die heutige Familiensoziologie verfolgt werden können.10

Hinter dem Kontraktionsgesetz von Emile Durkheim steht ein Gedanke, der eine bedeutende und bis heute wirksame Forschungs und Theorietradition begründet. Die aus dem größeren verwandtschaftlichen Kontext desintegrierte Gattenfamilie sei Ergebnis eines gesellschaftlichen Differenzierungsprozesses, im Zuge dessen andere Institutionen (Staat, Markt) vormalige Funktionen der Familie übernehmen, die Familie aber als Basisinstitution der Gesellschaft erhalten bleibt. Die Desintegrationsthese und die differenzierungstheoretische Analyse der Familie und ihres Wandels führt schon Herbert |19|Spencer in seinen »Principles of Sociology« (1876) ein. Sehr viel später verfolgt auch Talcott Parsons, der Begründer des Strukturfunktionalismus in den USA, diese Idee mit dem Konzept der isolierten Kernfamilie (Parsons 1943: 27). Die strukturell und ökonomisch eigenständige Kleinfamilie spezialisiere sich auf die primäre Sozialisation und die Befriedigung emotionaler und psychischer Bedürfnisse (Parsons 1965: 37). Aus systemtheoretischer Sicht ist die Herausbildung der modernen privatisierten (bürgerlichen) Familie also das Ergebnis eines funktionalen Spezialisierungsprozesses mit Konzentration auf einen ihr eigenen Funktions- und Handlungskomplex (vgl. Kapitel 5). Die differenzierungstheoretische Sicht auf die Familie hat große Teile der deutschen Familiensoziologie der Nachkriegszeit beeinflusst und hinterlässt bis heute ihre Spuren (vgl. Meyer 1992; Kaufmann 1995; Nave-Herz 2004).

Niklas Luhmann über die Familie

In einer bemerkenswerten Arbeit, die Niklas Luhmann ausschließlich der Familie widmet, betont dieser die spezifische Qualität der Kommunikationsbeziehungen in derselben, indem er davon spricht, dass »alles, was eine Person betrifft, in der Familie für Kommunikation zugänglich« ist (Luhmann 1988: 79). Er weist der Familie die Funktion der »Inklusion der Vollperson« zu, die keinem anderen Sozialsystem zukomme. So abstrakt diese Idee ist, so konkret bestimmt sie doch das Besondere der modernen Familie. Die Familie ist im Idealfall der soziale Ort, in dem Menschen sich mit allen ihren persönlichen Aspekten aufeinander einlassen und darüber kommunizieren, sich also gegenseitig als Gesamtperson wahrnehmen und behandeln. Das ist wahrlich eine Radikalisierung der These von der Ausdifferenzierung eines Sozialsystems Familie.

Familiensoziologische Traditionen, die auf die familieninternen Beziehungen und Interaktionen sowie den Gruppencharakter der Familie fokussieren, lassen sich ebenfalls weit zurückverfolgen. Grundlegende Arbeiten dazu, wenn auch nur zu einem kleinen Teil und exemplarisch explizit auf Ehe und Familie bezogen, hat Georg Simmel mit seinen Darstellungen zu sozialer Interaktion und Wechselwirkung geleistet (Simmel 1992: 104ff., 125f.). Umfassend und systematisch ist diese Perspektive aber in der Familiensoziologie der Chicago-Schule ausgearbeitet worden. Sie ist vor allem mit dem Soziologen |20|Ernest W. Burgess verbunden, der auch eine wichtige Rolle in den stadtsoziologischen Forschungen der Chicago-Schule spielte.

Ernest W. Burgess über die Familie

In seinem berühmten Artikel »The Family as a Unity of Interacting Personalities« bestimmt Burgess die moderne Familie weniger als Institution, sondern rückt ihren Charakter als sozialer Interaktionszusammenhang in den Vordergrund (Burgess 1926). Indem die Familienmitglieder miteinander interagieren, Konflikte austragen, Kompromisse schließen und sich so aufeinander einstellen, entwickelt sich ein eigenes, selbst hergestelltes Verständnis der ehelichen Beziehung und Familie, das weniger von außen durch institutionelle Rollenvorgaben als durch die beteiligten Partner und ihre Interessen und Orientierungen selbst bestimmt ist. Das Verhältnis der Mitglieder der modernen Familie (Ehe) wird durch den Begriff der »companionship« charakterisiert, was bedeutet, dass die Einheit der Familie nicht auf Autorität und Tradition beruht, sondern das Ergebnis solidarischer Interaktion, gemeinsamer Interessen und gemeinsamen Erlebens auf der Basis gegenseitiger Zuneigung der Familienmitglieder ist (Burgess/Locke 1945: 333ff.).

Die Forschung zur ehelichen Paarbeziehung steht im Vordergrund und es werden die Bedingungsfaktoren untersucht, die einer Ehe zum Erfolg verhelfen oder zu ihrem Scheitern beitragen. Aus der Tradition des interpretativen Theorieparadigmas der Soziologie wird die Paarbeziehung in ähnlicher Weise von Peter L. Berger und Hansfried Kellner (1965) als herausragendes gesellschaftliches Arrangement menschlicher Beziehungen beschrieben, in dem der Einzelne sein Leben als sinnvoll erfährt und sich vor einer übermächtigen, anonymen, in ihrem Ablauf unverständlichen Welt Sicherheit verschafft. Die Partner erschaffen sich das gemeinsame Leben in seiner je konkreten Gestalt als ihre exklusive Sinn-Welt (vgl. u. Kapitel 6). Diese Sicht auf die innere Dynamik von Paarbeziehungen und Familie ist heute innerhalb der deutschen Familiensoziologie – ganz zu Unrecht – eher unterbelichtet.

Der Einzug des ökonomischen und rationalen Denkens in die Familienforschung kann exemplarisch bei dem deutschen Ökonom Lujo Brentano (1909), einem Zeitgenossen von Durkheim, festgemacht werden. Er nimmt mit seinen Überlegungen zentrale Aspekte einer ökonomisch fundierten Handlungstheorie zur Erklärung der Geburtenentwicklung vorweg, die heute in der Familiensoziologie |21|eine bedeutsame Rolle spielt (vgl. Kapitel 6). Dieser Ansatz unterstellt, dass auch die Familienplanung einem rationalen Handlungskalkül unterliegt.

Lujo Brentano über den Geburtenrückgang

Beeindruckt vom ersten starken Geburtenrückgang zu Beginn des letzten Jahrhunderts postuliert Brentano, dass es »zwei höchst konkrete Bedürfnisse« sind, die zur Zunahme der Bevölkerung führen, »das Geschlechtsbedürfnis und die Kinderliebe« (Brentano 1909: 579). Er unterstellt eine Trennung zwischen den Intentionen der Befriedigung des Sexualtriebes und der Fortpflanzung. Aufgrund verfügbarer (Verhütungs-)Mittel sind die Menschen in der Lage, willentlich die Zeugung von Kindern zu vermeiden, ohne auf Sexualität verzichten zu müssen. Steigender Wohlstand und höhere Bildung führen nach Brentano zu einer Begünstigung des ökonomischen Denkens in der Lebensplanung. Dazu gehört eine vorsorgliche Planung der Zukunft zur Absicherung bzw. Verbesserung der individuellen Lebensverhältnisse. Mit zunehmendem Wohlstand wächst auch, so Brentano, die Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse der Menschen und er meint: »Das aber, was die Abnahme des Zeugungswillens hervorgerufen hat, sind die Zunahme der Konkurrenz der Genüsse und eine Verfeinerung im Gefüge der Kinderliebe« (Brentano 1909: 602). Brentano erkennt, dass sich die Beziehung zu den Kindern innerhalb der Familien im Vergleich zu früheren Jahrzehnten deutlich verändert hat. Das meint er, wenn er von der sich verfeinernden Kinderliebe spricht. Das Anspruchsniveau in Bezug auf den eigenen Lebensstandard, aber auch in Bezug auf die Erziehung der Kinder, erhöht sich. Brentano führt auch einen Wandel der geschlechtsspezifischen Rollenmuster an, im Verlauf dessen sich die gesellschaftliche Stellung der Frau verändert habe, was ebenfalls eine Verringerung der Heiratshäufigkeiten mit sich gebracht habe.

Die heutige Familiensoziologie baut auf diesen Theorietraditionen auf und führt sie in unterschiedlicher Weise fort. Es gibt jedoch Prinzipien der Familienforschung, die von allen akzeptiert sein dürften, auch wenn sie in der Forschungspraxis noch nicht vollständig umgesetzt sind:

(1) Wir wissen, dass die makrostrukturelle Analyse der Familie ohne Bezug auf die Verhaltensmuster und Motivstrukturen der beteiligten Akteure nicht zu vollständigen Erklärungen führen kann. Umgekehrt ist das Studium des Aufbaus und der Pflege von familialen Beziehungen nicht ohne Bezug auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen einerseits und Ressourcen sowie subjektive Dispositionen individueller Akteure andererseits sinnvoll (vgl. Kapitel 2.3).

|22|(2) Die Familie wird als der Lebensbereich untersucht, in dem Menschen in höchst persönlicher – man könnte sagen »dialogischer«– Weise miteinander interagieren und sich als authentische Kommunikationspartner begegnen können. Familienbeziehungen verschränken in spezifischer Weise die individuellen Erfahrungswelten von Eltern- und Kindergeneration miteinander. Einerseits werden Erfahrungen von einer Generation zur nächsten transportiert, andererseits werden im Dialog zwischen den Generationen neue Erfahrungswelten geschaffen.

(3) In der Familienforschung ist eine diachrone Betrachtung auf allen Ebenen der Analyse unverzichtbar. Auf der Makroebene verweist diese auf den sozialen Wandel der strukturellen und institutionellen Einbettung der Familie in die Gesellschaft. Auf der familialen Beziehungsebene verweist sie auf den jeweils besonderen Familienverlauf. Auf der Individualebene richtet sie das Augenmerk auf die Einbettung des familialen Handelns in den individuellen Lebenslauf, der aus verschiedenen Tätigkeits- und Handlungsfeldern besteht, die miteinander in Einklang zu bringen sind.

Die Familie steht also im Zentrum gesellschaftlicher Entwicklung. In ihr gewinnen Individuen die ersten grundlegenden Erfahrungen mit der Gesellschaft, dort entwickeln sie sich zu handlungsfähigen Akteuren mit eigenen Vorstellungen und Orientierungen. Familien stellen somit einen wichtigen sozialen Rahmen für die Herstellung von Kontinuität und Wandel in einer Gesellschaft dar.

Orientierungsfragen

Aus welchen Betrachtungsperspektiven kann man sich der Familie als soziologischem Forschungsgegenstand nähern?

Mit welchen Fragestellungen beschäftigt sich die Familiensoziologie?

Was sind Kernthesen familiensoziologischer Theorien, die aus den unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven heraus operieren?

|23|Weiterführende Literatur

Schmidt, Uwe (2002), Deutsche Familiensoziologie. Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Opladen.

In diesem Band werden die Forschungsthemen der deutschen Familiensoziologie in der Nachkriegszeit vorgestellt. Uwe Schmidt gibt nicht nur einen detaillierten Überblick über die theoretischen Diskussionen und die Ergebnisse der empirischen Forschung seit 1945, sondern setzt sich auch kritisch mit der Entwicklung und dem Stand der deutschen Familiensoziologie auseinander.

Schwägler, Georg (1975), Soziologie der Familie: Ursprung und Entwicklung. 2. Auflage. Tübingen.

Dieser ältere Band beschäftigt sich mit den Anfängen und den frühen Phasen der Familiensoziologie vor dem Zweiten Weltkrieg.

9

Natürlich wird die Familie als zentraler soziologischer Forschungsgegenstand bei allen wichtigen Soziologen von Beginn an thematisiert. Aber, so der deutsche Soziologe Georg Schwägler in seinem Band über die Geschichte der Familiensoziologie, die Familiensoziologie verstand sich »in ihren Anfängen als ›Oppositionswissenschaft‹, die die Auflösung von Gesellschaft und Familie befürchtet und durch gesellschaftspolitische Programme den familiären und gesellschaftlichen Wandel stabilisieren oder frühere Familienformen wiederherstellen will« (Schwägler 1975: 2).

10

Damit bleiben hier viele wichtige Themen und Forschungstraditionen unerwähnt. Dazu gehören vor allem auch die kritischen Traditionen der Familiensoziologie, an erster Stelle die »Studien über Autorität und Familie« (Horkheimer 1936).

24
54
24
54
false

|24|2. Begriffliche und theoretische Grundlagen einer Familiensoziologie

In diesem Kapitel gehen wir auf die begrifflichen und theoretischen Grundlagen der Familiensoziologie ein. Zunächst befassen wir uns mit der Definition von Familie und der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen (2.1). Anschließend beschäftigen wir uns mit den Grundbegriffen der Analyse von Familie und Lebensformen aus der Perspektive des Lebenslaufs; mit anderen Worten, wir verorten die Familie im zeitlichen Ablauf des Lebens eines Individuums und im Spannungsfeld zwischen individuellem Handeln und sozialen Strukturen (2.2). Schließlich unterbreiten wir eine theoretische Grundlage dafür, wie man mit dem hier angesprochenen Mikro-Makro-Problem in der Analyse von Familie und Lebensformen umgehen kann (2.3).

24
40
24
40
false

2.1 Von der Familie zu den Lebensformen

Die Familie hat viele Erscheinungsformen, nicht nur in Gegenwartsgesellschaften, sondern auch im sozialhistorischen Vergleich (vgl. Kapitel 3). Für die Analyse des historischen genauso wie des gegenwärtigen Wandels der Familie ist es notwendig, zwischen kulturellen Leitbildern und empirischer Realität von Familie zu unterscheiden. Die kulturellen Vorstellungen und normativen Erwartungen in Bezug auf Elternschaft, Ehe oder Rollenteilung in der Familie decken sich nicht zwingend mit der empirischen Struktur und Vielfalt von Familien- und Lebensformen. Sie mögen den Blick auf letztere sogar verstellen. Eine empirische Analyse der Familienformen bedarf geeigneter Daten und verlangt ein begriffliches Instrumentarium, das hinreichend allgemein und zugleich analytisch differenziert ist, um die |25|verschiedenen Erscheinungsformen der Familie und anderer Formen des privaten Zusammenlebens in ihrer jeweiligen Typik erfassen zu können.

25
29
25
29
false

2.1.1 Definitionen: Familie und Verwandtschaft

Aus soziologischer Perspektive sind zwei Aspekte von Familie bedeutsam, die mit der Mikro- und der Makroebene der Gesellschaft korrespondieren. Aus der Mikroperspektive stellt jede einzelne Familie eine besondere Form einer sozialen Gruppe dar; aus der Makroperspektive ist die Familie als eine Institution der Gesellschaft charakterisierbar. Soziologische Definitionen des Familienbegriffs weisen oft den Bezug auf beide Aspekte auf. So sind Familien nach der Familiensoziologin Rosemarie Nave-Herz (2004: 30) gekennzeichnet durch

ihre »biologisch-soziale Doppelnatur« (König 2002 [1945]: 57), d. h. die Übernahme zumindest der Reproduktions- und Sozialisationsfunktion neben anderen kulturell variablen gesellschaftlichen Funktionen,

die Generationendifferenzierung (Urgroßeltern/Großeltern/Eltern/ Kinder),

ein spezifisches Kooperations- und Solidaritätsverhältnis zwischen ihren Mitgliedern, das diesen spezifische Rollen zuweist.

Im Rahmen dieser grundlegenden Merkmale besteht eine große historische und kulturelle Vielfalt der Definition und Abgrenzung von Familie und Familienbeziehungen. Um diese besser zu durchdringen, ist es sinnvoll, zwischen der Familie als einer in einem Haushalt zusammenlebenden sozialen Gruppe, der Haushaltsfamilie, und der Familie als einer durch enge Verwandtschaftsbeziehungen definierten sozialen Gruppe zu unterscheiden (Familie im weiteren Sinn).

Historisch lassen sich mindestens fünf Formen von Haushaltsfamilien unterscheiden (Mitterauer 1990: 92f.):

die Zwei-Generationen-Familie oder Kernfamilie (»simple family household«, »nuclear family«);

|26|die Mehrgenerationen-Familie oder Abstammungsfamilie als Familienhaushalt, in dem mehr als zwei Generationen zusammenleben;

die erweiterte Familie (»extended family household«), in deren Haushalt neben der Kernfamilie weitere Verwandte leben;

die polynukleare oder multifokale Familie (»joint family«, »multiple family household«) als Haushalt, in dem mehrere Kernfamilien zusammenleben;

das »Ganze Haus« als Haushalt, in dem neben einer Kernfamilie nicht verwandte Personen (Mägde, Knechte und Gesinde) leben.

Da sich Familienbeziehungen aber vielfach über Haushaltsgrenzen hinweg erstrecken, muss man sie auch unabhängig davon betrachten, ob die Familienmitglieder einen Haushalt bilden und zusammenwohnen. Die Familie im weiteren Sinn soll daher alle in direkter Abstammungslinie miteinander verwandten Personen umfassen.11 Familie ist in dieser Hinsicht durch die Folge von Generationen bestimmt, die biologisch, sozial und/oder rechtlich miteinander verbunden sind. Eine zunehmend relevante Form der Familie im weiteren Sinn ist die so genannte multilokale Mehrgenerationenfamilie (Bertram 2002: 524ff., Lauterbach 2004: 223f.): Die verschiedenen Generationen wohnen nicht in einem gemeinsamen Haushalt, haben aber enge Interaktionsbeziehungen miteinander und praktizieren ein relativ eng aufeinander abgestimmtes Familienleben über räumliche Distanzen hinweg.

Die räumliche Dimension wurde von der Familienforschung, die bislang stark auf den Familienhaushalt fokussiert war, sehr vernachlässigt. Dieses wird aber in Zukunft kaum noch möglich sein, wie Bertram (2002: 525f.) argumentiert. Die steigende Lebenserwartung führt dazu, dass Eltern- und Kindergenerationen, wie auch Großeltern- und Enkelgenerationen, eine längere gemeinsame Lebenszeit genießen können. Die Mobilität der Familienmitglieder bedingt, dass sie davon nur einen kleinen Anteil in einem gemeinsamen Haushalt leben, impliziert aber nicht, dass sie ihre engen Beziehungen aufgeben müssen. Im Gegenteil, Beziehungen zwischen den Generationen gewinnen eher an Bedeutung, weshalb der Haushalt immer weniger ein »geeigneter Indikator für die Intimität von Familienbeziehungen|27|« ist. Bertram sieht also eine Abkehr vom Modell der isolierten Kleinfamilie, wie es Parsons vertreten hat (vgl. Kapitel 1.2). Die multilokale Mehrgenerationenfamilie ergänzt damit die fünf oben genannten Formen von Haushaltsfamilien um einen weiteren zunehmend relevanten Familientyp.

Als Verwandte werden Personen bezeichnet, mit denen man durch »Blutsbande« oder Verschwägerung verbunden ist. Die beiden zentralen Verwandtschaft stiftenden Prinzipien sind also Abstammung (Deszendenz) und Heirat (Affinität). Auch die Definition von Verwandtschaft und die Regeln, nach denen Verwandtschaftsbeziehungen gestiftet werden, sind kulturell variabel. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Unterscheidungen im Bereich der Deszendenzregeln und Verwandtschaftsterminologien kurz vor.

In modernen westlichen Gesellschaften werden Abstammung und Verwandtschaft sowohl über die männlichen als auch weiblichen Vorfahren hergestellt. Das ist der Fall der kognatischen Deszendenz (auch: nicht-unilineare Deszendenz; vgl. Kasten S. 28).12 Da in diesen Gesellschaften die männlichen und weiblichen Vorfahren gleich bedeutsam sind, spricht man spezieller auch von bilinearer Deszendenz. Wenn dagegen von den Nachkommen entschieden wird, ob die Verwandtschaft über die männliche oder weibliche Linie bestimmt sein soll, liegt eine ambilineare Deszendenzregel vor. Von der kognatischen Deszendenz ist die unilineare Deszendenz zu unterscheiden. Verwandtschaft wird in solchen Gesellschaften nur über männliche Vorfahren (patrilinear oder agnatisch) oder nur über weibliche Vorfahren (matrilinear oder uterin) begründet. Außerdem gibt es Kulturen mit Misch- und Zwischenformen der Deszendenzregeln (parallele, duale Deszendenz), welche Elemente patrilinearer und matrilinearer Verwandtschaftsregeln miteinander kombinieren. All diese Systeme von Deszendenzregeln sollen hier nicht genauer behandelt werden, zumal die entsprechenden Termini in der Ethnologie durchaus unterschiedlich und kontrovers verwendet werden.

Mit den Abstammungsregeln variieren auch Verwandtschaftsterminologien zwischen den Kulturen. Die so genannte Eskimoterminologie unterscheidet zwischen den Mitgliedern der Kernfamilie |28|(also Vater, Mutter, Bruder und Schwester) auf der einen Seite und den Verwandten Onkel, Tanten und Cousins auf der anderen Seite. Sie nimmt aber keine Differenzierung zwischen patrilinearen und matrilinearen Verwandten vor. Diese in modernen westlichen Gesellschaften vorherrschende Terminologie gab es auch schon in der Antike. Im Unterschied dazu kennt die – nur für wenige Kulturen charakteristische – Irokesenterminologie keine kategoriale Differenzierung zwischen den Mitgliedern der Kernfamilie und weiteren Verwandten. Sie belegt z. B. den Vater und dessen Bruder sowie die Mutter und deren Schwester jeweils mit den gleichen Verwandtschaftstermini.

Unterschiedlich sind auch die postmaritalen Residenztypen. Nach einer Heirat kann das Ehepaar einen eigenen Haushalt gründen (Neolokalität) oder in einen schon bestehenden Haushalt ziehen (vgl. Kasten).

Übersicht zu Abstammungs- und Verwandtschaftsregeln

Abstammungsregeln

Kognatische Deszendenz: Abstammung wird über männliche und weibliche Vorfahren abgeleitet

bilinear: männliche und weibliche Vorfahren sind von gleicher Bedeutung

ambilinear: Abstammung über männliche oder weibliche Vorfahren

Unilineare Deszendenz:

patrilinear: Abstammung nur über männliche Vorfahren

matrilinear: Abstammung nur über weibliche Vorfahren

Verwandtschaftsterminologien

Eskimoterminologie: Unterscheidung zwischen Kernfamilie und anderen Verwandten

Irokesenterminologie: keine Unterscheidung zwischen Kernfamilie und anderen Verwandten

Postmaritale Residenztypen

Neolokalität: Neuer eigener Wohnsatz des Ehepaares

Patrilokalität: Wohnsitz bei Verwandten des Ehemanns

Matrilokalität: Wohnsitz bei Verwandten der Ehefrau

Ambilokalität: Wohnsitz bei Verwandten des Ehemanns oder der Ehefrau

Bilokalität: Wohnsitz bei Verwandten des Ehemannes und der Ehefrau

Quellen: Goody 1989: 329, Hill/Kopp 2006: 17ff.

|29|Abschließend sei betont, dass Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen ebenso wie die Rollen der Familienmitglieder (einschließlich der Benennungen für Vater und Mutter) in historischer und kultureller Perspektive ein hohes Maß an Variabilität aufweisen. Zwar differieren Abstammungsregeln und Verwandtschaftsterminologien kaum zwischen modernen Gegenwartsgesellschaften, doch ist in ihrem Fall die Erfassung der Vielfalt von Familienformen keineswegs eine triviale Aufgabe. Sie erfordert vielmehr ein differenziertes familiensoziologisches Instrumentarium und dafür ist der Begriff der Lebensform hilfreich.

11

Man spricht hier nicht von »Verwandtschaftsfamilie«. Dieser Begriff ist für das weitere Verwandtschaftsnetzwerk reserviert, zu dem die Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen gehören (Gestrich u.a. 2003:165ff.).

12

Kognatische Deszendenzregeln sind keine Erfindung der Neuzeit, vermutlich hat es sie bereits in der menschlichen Frühgeschichte gegeben (vgl. Kapitel 3).

29
35
29
35
false

2.1.2 Definition des Lebensformenbegriffs – Beziehungsform, Haushaltsform, Lebensform

Der Begriff der Lebensform wird in der Literatur nicht einheitlich verwendet und nicht immer klar definiert. Eine relativ allgemeine Definition stammt vom Statistischen Bundesamt: Unter Lebensformen versteht man hier »relativ stabile Beziehungsmuster der Bevölkerung im privaten Bereich«, die »allgemein mit Formen des Alleinlebens oder Zusammenlebens (mit oder ohne Kinder) beschrieben werden können« (Niemeyer/Voit 1995: 437). Für die Bestimmung der empirischen Vielfalt von Lebensformen, unter denen die Familienformen nur eine Untergruppe bilden, ist die Auswahl der Definitionskriterien für Lebensformen ausschlaggebend. Es kommt eben auf das Instrumentarium an, mit dem man die unterschiedlichen Formen des Allein- und Zusammenlebens der Bevölkerung charakterisieren und ordnen möchte. Im Folgenden unternehmen wir den Versuch einer systematischen Entwicklung von Dimensionen des Konzepts der Lebensformen.

Die wichtigsten Merkmale zur systematischen Differenzierung von Lebensformen sind: Haushaltsform, Generationenzahl, Familienstand, Lebensgemeinschaft, Kinder(-zahl), Lebensphase (Alter), Art der Familienbildung (durch Geburt, Adoption, Pflegschaft) und die Erwerbsbeteilung der Haushaltsmitglieder (Zapf u.a. 1987). Es sind weitere Kriterien angeführt worden, wie das Geschlecht (gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften) und die Staatsangehörigkeit |30|der Partner (binationale Ehen) oder Kriterien zur Identifizierung von Fortsetzungs- bzw. Stieffamilien.13 Schließlich wurde der Aspekt der räumlichen Mobilität eingeführt, um die doppelte Haushaltsführung bei (Wochenend-)Pendlern oder bei Partnern, die beruflich bedingt für einige Zeit getrennt leben, berücksichtigen zu können (vgl. Schneider u.a. 2002: 26f.).

All diese Kriterien folgen unterschiedlichen Logiken. Sie enthalten Merkmale des Individuums, der Beziehungsform, des Lebenspartners, dritter Personen und des Haushalts. Durch die Vielzahl der Kriterien ist eine vollständige Klassifikation von Lebensformen in der empirischen Forschung kaum möglich. Die Art und Anzahl der herangezogenen Klassifikationskriterien entscheidet aber darüber, welche Lebens- und Familienformen in der empirischen Analyse sichtbar werden und wie groß deren Vielfalt und Variation sind. Welche Kriterien relevant sind, kann nur begründet werden, wenn die Kategorie der Lebensformen hinreichend theoretisch ausgearbeitet und abgeleitet wird.

Zur Systematisierung der Kriterien von Lebensformen schlagen wir vor, zwischen der Beziehungsform, der Lebensgemeinschaft (Haushalt) und der Lebensform zu unterscheiden. Paarbeziehung und Elternschaft repräsentieren die beiden grundlegenden Beziehungsformen von Personen, Lebensgemeinschaften bzw. Haushalte repräsentieren die sozialen Einheiten, in denen Personen leben, und Lebensformen stehen schließlich für die übergreifenden sozialen Lebenszusammenhänge einer Person, für die auch bestimmte individuelle Merkmale bestimmend sind.

Die Paarbeziehung ist als Beziehungsform durch eine exklusive dyadische Beziehung zwischen zwei Personen definiert. Eine weitergehende Definition bestimmt eine Paarbeziehung als enge, persönliche und intime, auf Dauer angelegte, exklusive Beziehung zwischen |31|zwei erwachsenen Personen unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts (Huinink 1995: 119). Typischerweise zeichnet sich eine Paarbeziehung durch Liebe, persönliches Vertrauen und sexuelle Interaktion aus.

Als Elternschaftsbeziehung wird die soziale Beziehung zwischen einer erwachsenen Person (einem Elternteil) und »ihrem« Kind bezeichnet, die in der Regel auf biologischer Abstammung beruht, aber nicht dadurch begründet sein muss (Adoption; Pflegekindschaft). Ihre Bestimmung ist rechtlich (Kindschaftsverhältnis) oder durch Konvention geregelt und beinhaltet im Zuge damit eine besondere soziale, wirtschaftliche und emotionale Qualität (Solidaritätsgebot; § 1618 a BGB). Analog zur Paarbeziehung lassen sich Elternschaftsbeziehungen als dauerhafte persönliche Beziehungen im Rahmen einer Mutter-Kind- bzw. Vater-Kind-Dyade definieren.

Während der Beziehungsbegriff auf das Verhältnis von Personen zueinander abzielt, sind Lebensgemeinschaften als soziale Einheiten »sui generis« zu betrachten. Die Mitglieder einer Lebensgemeinschaft wohnen und wirtschaften zusammen, sie bilden einen privaten Haushalt. Zwei Personen, die eine Paarbeziehung, aber keine Lebensgemeinschaft (Paargemeinschaft) unterhalten, haben dagegen eine bilokale Paarbeziehung oder eine »living apart together« (LAT)-Beziehung. Unabhängig davon, ob eine Paarbeziehung ehelich oder nichtehelich ist, bilden zwei Personen, die in verschiedenen Haushalten leben, keine Lebensgemeinschaft. Eine (Haushalts-)Familie ist wiederum eine Lebens- bzw. Paargemeinschaft, welche aus mindestens einer Mutter-Kind- oder Vater-Kind-Dyade besteht. Dyadische Beziehungen können also Subsysteme im Rahmen einer Lebensgemeinschaft, müssen aber nicht an einen gemeinsamen Haushaltskontext gebunden sein.

Beziehungsformen und Lebensgemeinschaften sind logisch voneinander unabhängig – aus der Beziehungsform zwischen zwei Personen allein lässt sich nicht auf die Haushaltsform oder die Art der Lebensgemeinschaft der beteiligten Personen schließen. Lebensgemeinschaften sind hingegen per Definition durch einen gemeinsamen Haushalt bestimmt, doch müssen Zusammenwohnen und Haushalt nicht deckungsgleich sein – wie das Beispiel der Wohngemeinschaft zeigt, in welcher Individuen zusammen wohnen, ohne durch eine Paarbeziehung miteinander verbunden zu sein. Die Mitglieder einer |32|Wohngemeinschaft bilden nur dann einen privaten Haushalt, wenn sie auch gemeinsam wirtschaften. Wenn sie nicht gemeinsam wirtschaften, bilden sie wie Alleinlebende eigenständige Ein-Personen-Haushalte.

Lebensformen kennzeichnen einen sozialen Beziehungszusammenhang von Personen. Sie repräsentieren Muster der Organisation des alltäglichen Zusammenlebens. Durch sie wird spezifiziert, in welchen sozialen Beziehungen und in welchem Typ von Lebensgemeinschaft beziehungsweise Haushalt jemand lebt. Die Beziehungszusammenhänge einer Person können durch zahlreiche Merkmale näher bestimmt und auf diese Weise deren Lebensform in komplexer Weise beschrieben werden. Wie wir bereits erwähnt haben, gibt es zwar keinen Konsens darüber, welche Merkmale für eine Lebensform konstitutiv sind. Man kann jedoch versuchen, eine genauere Antwort auf die Frage zu finden, welche Faktoren für die Muster der Organisation des alltäglichen Zusammenlebens im Leben von Personen von ausschlaggebender Bedeutung sind bzw. diese entscheidend verändern.

Lebensformenkonstituierende Merkmale sind in diesem Sinne Veränderungen in der Beziehungsform, in der Personenkonstellation des Haushalts sowie von Merkmalen bzw. Eigenschaften der in die Lebensform eingebundenen Personen. Außer der Tatsache, dass eine Paarbeziehung eingegangen wird, Lebenspartner zusammenziehen oder ein Kind geboren wird, müssen Veränderungen des Institutionalisierungsgrades (z. B. des Familienstandes) einer Paarbeziehung beachtet werden. So hat die Gründung einer Lebensgemeinschaft einen unmittelbaren Einfluss auf die Organisation des alltäglichen Zusammenlebens und in diesem Sinn einen beziehungsverändernden Charakter. In ähnlicher Weise hat der Übergang von einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zur Ehe eine Veränderung der Beziehungsform zur Folge, indem durch die Heirat die Rechte und Pflichten der Partner gegeneinander formal stärker fixiert werden.

Die Ehe wird von Rosemarie Nave-Herz (2004: 24) wie folgt charakterisiert: »Mit Ehe bezeichnet man (1.) eine durch Sitte und/oder Gesetz anerkannte, auf Dauer angelegte Form gegengeschlechtlicher sexueller Partnerschaft. Weiterhin ist (2.) ein wesentliches Strukturmoment aller Ehen, auch der heutigen, dass sie über das Paarverhältnis auf Familie hinausweist«. Das BGB §1310 legt die standesamtliche |33|Form fest. Diese Form der Ziviltrauung gibt es bei uns seit 1875. Die Ehe gilt seit 1563 als Sakrament der katholischen Kirche (Konzil von Trient).

Neben der Gründung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und Eheschließung stellen auch Modelle einer eingetragenen Partnerschaft sowie sonstige Partnerschaftsverträge Schritte und Varianten zunehmender Institutionalisierung dar. Die Familiengründung bzw. die Geburt von Kindern erzeugt mit dem Beginn von Elternschafts und Geschwisterbeziehungen neue Beziehungsdyaden innerhalb einer Lebensgemeinschaft, sie verändert in der Regel aber auch das Beziehungsgefüge einer Paarbeziehung, unter anderem durch neue rechtliche Pflichten, die das Verhältnis beider Erwachsener als Eltern der Kinder zueinander regeln und damit mehr oder weniger stark verändern. Hierzu zählen Fragen des Sorgerechts und rechtliche Bestimmungen über Unterhaltszahlungen. Durch die Geburt von Kindern wird also das Verhältnis der Erwachsenen zueinander als Eltern formal »neu« reguliert.

Es ist unstrittig, dass als individuelles, allerdings beziehungsrelevantes Merkmal der Familienstand der Individuen einbezogen werden soll – insbesondere, dass berücksichtigt wird, ob Partner geschieden oder verwitwet sind und somit möglicherweise Beziehungen aus einer früheren Ehe und insbesondere Kinder mit in eine neue Paarbeziehung und Familie einbringen.

Es ist dagegen strittig, ob ökonomische Aspekte der Paarbeziehung (insbesondere die Erwerbsbeteiligung von Mann und Frau) Unterschiede zwischen Lebensformen definieren. Man kann allerdings argumentieren, dass die Art der Arbeitsteilung und insbesondere deren Veränderung das Verhältnis der Partner zueinander – in Bezug auf ihre relative Ressourcenausstattung, Machtverteilung und Verhandlungs- und Exitoptionen innerhalb einer Paarbeziehung – prägt. Mit einem Rückzug eines Partners vom Arbeitsmarkt nach der Geburt eines Kindes geht in diesem Sinne eine einschneidende Veränderung in der Organisation des Zusammenlebens und der Beziehungsstruktur einher. Für eine Einbeziehung der ökonomischen Dimension in eine Klassifikation der Lebensformen spricht auch eine sozialhistorische Perspektive. Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen, der Frauenrolle und der Erwerbstätigkeit insbesondere |34|von verheirateten Frauen haben für den Wandel von Familie und Lebensformen in den letzten Jahrzehnten eine herausragende Bedeutung gespielt. In diesem Zusammenhang ist die Art des Ernährermodells der Familie zu einem der wichtigsten Differenzierungskriterien heutiger Familienformen geworden (Esping-Andersen 1999: 50ff.).