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Familienstiftungen – neue Perspektiven E-Book

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Beschreibung

Bei der schweizerischen Familienstiftung handelt es sich um eine jahrhundertealte Einrichtung. Doch heute ist sie hinsichtlich Neugründungen klinisch praktisch tot – aus zwei Gründen: Die Familienstiftung wurde in ihrer Zwecksetzung durch den Gesetzgeber und vor durch die Gerichtspraxis aus längst überholten Gründen stark eingegrenzt. Sie dürfen keine Ausschüttungen zu Unterhaltszwecken vornehmen. Ausserdem werden sie prohibitiv besteuert. Am 17. Januar 2024 versuchte das Seminar „Familienstiftungen – neue Perspektiven“ in rechtshistorischer, rechtstatsächlicher, dogmatischer und praktischer Hinsicht eine Lagebeurteilung. Dieser Band enthält die dabei gehaltenen Referate, die einen umfassenden Überblick über die relevanten Themen bieten. Wie der Titel anzeigt, geht es aber auch um neue Perspektiven. Die Hoffnung stützt sich vor allem auf eine Motion von Nationalrat Thierry Burkart „Die Schweizer Familienstiftung stärken. Verbot der Unterhaltsstiftung aufheben“. Geschaffen werden soll ein taugliches Instrument für die familiäre Vermögens- und Nachlassplanung.

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Seitenzahl: 303

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Familienstiftungen - neue Perspektiven Copyright © by Lukas von Orelli und Thomas Sprecher is licensed under a Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International, except where otherwise noted.

© 2024 – CC BY-NC-ND (Werk), CC BY-SA (Text)

Herausgeber: Thomas Sprecher, Lukas von Orelli – Europa Institut an der Universität ZürichVerlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch)Produktion, Satz & Vertrieb:buchundnetz.comISBN:978-3-03805-683-6 (Print – Softcover)978-3-03805-684-3 (PDF)978-3-03805-685-0 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-683Version: 1.03 – 20240611

Das Werk ist als gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar: https://eizpublishing.ch/publikationen/familienstiftungen-neue-perspektiven/.

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Vorwort

Bei der schweizerischen Familienstiftung handelt es sich nicht um eine Institution, die erst mit dem Zivilgesetzbuch geschaffen worden ist, sondern um eine jahrhundertalte Einrichtung. Dies zeigt, dass für sie ein natürliches Bedürfnis bestand. Es besteht immer noch, denn die Familienstiftung ist nicht obsolet geworden, als im 19. Jahrhundert der moderne Staat geschaffen worden ist, und auch nicht bei der Einführung von Sozialversicherungen seit Ende des 19. Jahrhunderts. Die Schweizer Familienstiftung ist ein weithin unterschätztes Kulturgut.

In den letzten Jahren ist die Familienstiftung aus zwei Gründen in den Vordergrund getreten. Zum einen müssen sich Familienstiftungen nunmehr im Handelsregister eintragen lassen, wodurch sie in der Öffentlichkeit sichtbarer wurden. Ausserdem spricht man vermehrt von ihnen vor dem Hintergrund des gescheiterten Versuchs, einen schweizerischen Trust einzuführen. Dabei geht es weniger um die Familienstiftung, wie sie ist, sondern wie sie nach Meinung vieler sein sollte.

Denn die Schweizer Familienstiftung erscheint klinisch praktisch tot. Es werden kaum mehr neue gegründet. Dies hat zwei Gründe. Die Familienstiftung wurde in ihrer Zwecksetzung durch den Gesetzgeber und durch die Gerichtspraxis aus längst überholten Gründen stark eingegrenzt. Sie dürfen keine Ausschüttungen zu Unterhaltszwecken vornehmen. Ausschüttungen dürfen vielmehr nur der Erziehung, Ausstattung und Unterstützung von Angehörigen oder ähnlichen Zwecken dienen (Art. 335 ZGB). Das Bundesgericht hat 1945, vor bald achtzig Jahren, in BGE 71 I 265 reine Unterhalts- oder Genussstiftungen, die voraussetzungslos der Bestreitung des allgemeinen Lebensunterhalts dienen, für unzulässig erklärt und später diese restriktive Praxis ohne vertiefte Analyse wiederholt bestätigt. Hinzu kommt zweitens, dass die Schweizer Familienstiftung auch prohibitiv besteuert wird. Diese Gründe veranlassen schweizerische Stifter, ins Ausland auszuweichen – hin zu angelsächsischen Trusts oder ausländischen, vor allem liechtensteinischen Familienstiftungen. Die heutige rechtliche Regelung und Praxis der Schweizer Familienstiftung dient in erster Linie den Volkswirtschaften anderer Staaten.

Das war die Lage, als in dem Seminar „Familienstiftungen – neue Perspektiven“ vom 17. Januar 2024 in rechtshistorischer, rechtstatsächlicher, dogmatischer und praktischer Hinsicht eine Lagebeurteilung versucht wurde. Dieser Band enthält die dabei gehaltenen Referate.

Wie der Seminartitel anzeigt, geht es aber auch um neue Perspektiven. Die Hoffnung stützt sich vor allem auf eine Motion von Nationalrat Thierry Burkart „Die Schweizer Familienstiftung stärken. Verbot der Unterhaltsstiftung aufheben“. Diese Motion sieht die Aufhebung des Verbots von Unterhaltsstiftungen vor. Geschaffen werden soll ein taugliches Instrument für die familiäre Vermögens- und Nachlassplanung, und gleichzeitig soll die Inländerdiskriminierung endlich aufgehoben werden. Mit der Motion soll einem Abfluss von Vermögen ins Ausland entgegengewirkt und eine Aufsicht durch Schweizer Behörden gewährleistet werden können. Dieser Motion ist Erfolg zu wünschen – und zu wünschen bleibt aber auch, dass im parlamentarischen Prozess keine Verschlimmbesserungen erfolgen wie bei der verunglückten jüngsten Mini-Stiftungsrechtsrevision.

Zürich, 10. Februar 2024 Thomas Sprecher und Lukas von Orelli

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Inhaltsübersicht

Aus der Geschichte der Familienstiftung

Prof. tit. Dr. Urs Fasel, Fürsprecher und Notar, urs fasel advokatur notariat, Bern

Die Familienstiftungslandschaft

Dr. Harold Grüninger, LL.M., Rechtsanwalt, Senior Counsel, Homburger AG, Zürich

Besteuerung der Schweizer Familienstiftung jetzt und in Zukunft

Prof. Dr. iur. Andrea Opel, Ordinaria für Steuerrecht, Universität Luzern lic. iur. Stefan Oesterhelt, LL.M., Rechtsanwalt, dipl. Steuerexperte, Partner bei Homburger AG, Zürich

Nichtigkeit und Eintragungsverweigerung: Hürden bei der Eintragung alter Familienstiftungen ins Handelsregister

MLaw Lukas Eichenberger, Bär & Karrer AG, Zürich Dr. iur. Daniel Leu, M.Jur., Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Erbrecht, Partner bei Bär & Karrer AG, Zürich

Was darf eine Familienstiftung (noch) tun?

Prof. Dr. iur. Dominique Jakob, M.I.L., Ordinarius für Privatrecht und Leiter des Zentrums für Stiftungsrecht an der Universität Zürich, Independent Advisor, Zürich

Familienphilanthropie: Familienstiftungen mit gemischten Zwecken

Dr. iur. Lukas Brugger, Rechtsanwalt, Bär & Karrer AG, Zürich

Governance der Familienstiftung

Dr. iur. et phil. Thomas Sprecher, LL.M., Rechtsanwalt, Of Counsel, Niederer Kraft Frey AG, Zürich

Vom Sinn der Familienstiftung

Dr. iur. et lic. rer. pol. Lukas von Orelli, Advokat, Direktor der Velux Stiftung, Zürich

Kirschen aus der Nachbarn Gärten – Alternativen zur schweizerischen Familienstiftung

lic. iur. Michael Fischer, LL.M., Rechtsanwalt, dipl. Steuerexperte, TEP, Partner bei Fischer Ramp Buchmann AG, Zürich

Aus der Geschichte der Familienstiftung

Urs Fasel

Ich bedanke mich herzlich bei Frau Anja Münger, BLaw, Herrn Melchior Lanz, MLaw, Frau Anna Rüegsegger, Herrn Lukas Schneider, cand.iur. und – last but not least – Frau Sanela Imeroska für die Unterstützung und die Recherchen für diesen Beitrag.

Inhalt

Bisheriges weisses Blatt der Geschichte der FamilienstiftungenBisher keine geschriebene Geschichte der FamilienstiftungSchwerpunktsetzung im ÜberblickFrühe Wurzelverästelungen der FamilienstiftungenGrundidee und frühere WurzelverästelungenInsbesondere keine (direkten) Quellen des klassischen römischen und germanischen RechtsZusammenhang zwischen der Entwicklung des Grundstückrechts und des Erbrechts, insbesondere des Erbvertragsrechts im langobardischen RechtTotenbeigaben und deren spätere Umwandlung in StiftungenEntwicklung der Frage des „Seelteils“ im sog. „praktischen Christentum“Weitere Wurzelteile bei Ganerbschaften und ErbverbrüderungenNapoleon, die kantonalen Gesetzbücher und die Literatur am Vorabend von Eugen Hubers WirkenÄnderungen der Verhältnisse: keine Stiftung in code civil und Abschaffung der FideikommissseVerbliebene kantonale SouveränitätAuswirkungen auf die Westschweizer Gruppe der kantonalen KodifikationenRegelung in der sog. „Zürcher-Gruppe“Insbesondere zu Vorläufern in der Berner Gruppe sowie zur späteren Regelung innerhalb dieser GruppeFamilienstiftungen am Vorabend von Eugen Hubers WirkenEinleitungFrühe AusbildungsgrundlagenEugen Hubers Arbeiten an der FamilienstiftungÜbersichtEugen Hubers frühe Schriften, insbesondere „System und Geschichte“Eugen Hubers gutachterliche ÄusserungenFamilienstiftungs- und fideikommissfreundliche Entwürfe Eugen Hubers und Abkehr in der ExpertenkommissionErkenntnisseLiteraturverzeichnis

Bisheriges weisses Blatt der Geschichte der Familienstiftungen

Bisher keine geschriebene Geschichte der Familienstiftung

Womit ich anfangen soll? – darüber lässt sich streiten!

Die Rechtshistoriker Schweizer Provenienz haben bisher keine Geschichte der Familienstiftung geschrieben: Fest steht, dass sowohl über die Geschichte des Stiftungsrechts als auch über die Geschichte von Familienfideikommissen – sieht man einmal von einleitenden Bemerkungen in einer Arbeit zur Erbstiftung ab – bisher kaum[1] etwas geschrieben worden ist. Und selbst das Handwörterbuch für Rechtsgeschichte nimmt beim Stichwort Familienstiftung lediglich einen Verweis auf die Familienfideikommisse auf.[2]

Damit ist einleitend ein Zweifaches gesagt: Die Geschichte der Familienstiftung steckt bisher höchstens in den Kinderschuhen. Daher können vorliegend lediglich kleine Entwicklungsstränge, hier kleine Wurzelausläufer genannt, aufgezeigt werden, welche Entwicklungen zu den eigentlichen Familienstiftungen und Erscheinungen der Familienfideikommissen geführt haben. Dabei sind diese Entwicklungsstränge nicht monokausal zu verstehen, sondern es haben verschiedene Entwicklungsmomente zur heutigen Situation beigetragen. Diesen nachzugehen, auch wenn sie nur einen losen Zusammenhang zu Familienstiftungen haben, ist Aufgabe dieses Aufsatzes.

Schwerpunktsetzung im Überblick

Dabei werden drei Schwerpunkte gesetzt: Im ersten Kapitel wird den frühen Anfängen nachgegangen und aufgezeigt, dass ein frühes Regelungsbedürfnis für die Organisation einer damals noch nicht so genannten Familienstiftung bestand. Nach einer kurzen Einleitung wird danach insbesondere das 19. Jahrhundert mit seinen verschiedenen kantonalen Regelungen durchleuchtet. Dabei wird sich weisen, dass der Kanton Bern früh eine mittlere Lösung (zwischen Verbot und totaler Zulassung) präsentiert hat, und sich diese mittlere Lösung schliesslich auch eidgenössisch durchgesetzt hat. In einem dritten Teil werden sodann – nachdem die Rechtslage am Vorabend der Arbeiten von Eugen Huber skizziert werden – die einzelnen Arbeiten von Eugen Huber dargestellt, dem Gesetzesredaktor des ZGB, der allerdings einen langen Weg abgeschritten hat, bis er zur Regelung des ZGB gekommen ist, wobei ihm die grosse Expertenkommission seinen Entwurf leider (aus heutiger Sicht) verändert hat.

Frühe Wurzelverästelungen der Familienstiftungen

Grundidee und frühere Wurzelverästelungen

Die Idee, ein bestimmtes Vermögen und deren Zweckverwirklichung gemäss dem Stifterwillen nur zugunsten einer bestimmten Familie[3] zuzuwenden, hat verschiedene Grundlagen. Diese Grundlagen sind nachfolgend zu präsentieren, wobei vorab eine erstaunliche Begebenheit darzustellen ist: Es besteht dafür weder eine (direkte) römische noch eine germanische Quelle für die ersten Verwirklichungen dieser Idee.

Insbesondere keine (direkten) Quellen des klassischen römischen und germanischen Rechts

Allgemein bekannt ist, dass weder die Stiftung[4] noch der Erbvertrag seine Wurzeln im klassischen römischen Recht haben. Vielmehr sind beides Schöpfungen einer späteren Zeit. Hingegen entwickelte das römische Recht die gewillkürte Erbfolge mittels Testaments, welches früh sich grosser Beliebtheit[5] erfreute.

Fraglich wäre, ob nicht die frühen Germanen schon Vorläuferformen von Familienstiftungen gekannt haben. Die Frage ist zu verneinen: Berühmt sind die Worte[6] des Tacitus[7], welche im Original und in der Übersetzung wie folgt lauten:

Tacitus, De origine et situ Germanorum liberTextstelle 20 (Ausschnitt aus dem 3. Abschnitt)

Heredes tamen successoresque sui cuique liberi, et nullum testamentum. si liberi non sunt, proximus gradus in possessione fratres patrui avunculi

Sinngemässe Übersetzung

Zu Erben und Rechtsnachfolgern hat jeder die eigenen Kinder, und Testamente gibt es nicht.

Sind keine Kinder vorhanden, so haben die Brüder und die Oheime väterlicher- wie müterlicherseits die nächsten Ansprüche auf den Besitz.

Damit kann als erstes Zwischenergebnis festgehalten werden: Die Grundlagen der Familienstiftung und damit die feinsten Wurzelverästelungen sind weder im römischen noch im germanischen Recht zu finden. Diese müssen also anderswoher stammen.

Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Grundstückrechts und des Erbrechts, insbesondere des Erbvertragsrechts im langobardischen Recht

Die frühe Geschichte der Familienstiftungen hängt eng zusammen mit dem Willen eines Erblassers, nochzu Lebzeiten eine Rechtsnachfolge zu ordnen und dem Erwerber sogleich ein (aktuelles) Recht an einem Grundstück zuzuwenden[8]: Die Frage des Grundeigentums wird verknüpft mit der Frage der späteren Verwendungsart. In den Kategorien des heutigen Rechtsverständnisses wird also Grundstückrecht mit erbrechtlichen Begünstigungen verknüpft und in gegenseitige Abhängigkeit gebracht, woraus sich nach und nach das Rechtsinstitut des Erbvertrages[9] entwickelt hat.

Schon früh war insbesondere im langobardischen Recht[10] die Eigentumsübertragung innerhalb von Familien[11] in Mode gekommen, indem ein Vater einer Tochter ein Grundstück übertragen hat, um selbst die Nutzniessung vorzubehalten. Bei sukzessiven Eigentumsübertragungen über mehrere Generationen, mit der Schaffung von verbindlichen Grundlagen einerseits im Verhältnis zum Grundstück, anderseits im Verhältnis innerhalb der Familie, kann ein erster Wurzelteil der Familienstiftungen erblickt werden.

Totenbeigaben und deren spätere Umwandlung in Stiftungen

Die Entwicklung der Totenbeigaben ist für die Entwicklung des Individualeigentums sowie insbesondere das Erbrecht wesentlich: Auf der „ältesten Stufe findet sich der primitive Mensch mit dem ihm unbegreiflichen Tode in der Weise ab, dass er ihn negiert. Er betrachtet den Toten als fortexistierend, und zwar zunächst rein körperlich. Das ist die Idee des ‚lebenden Leichnams‘. Daraus folgt die Überzeugung, dass der Tote wie ein Lebender zu behandeln ist.“[12]

Damit wurde ein Toter mit allem, was er zu Lebzeiten gebraucht hat, im Grabe ausgestattet: Dem Toten werden Waffen, Tiere, Leibross und Hunde, Kleidungsstücke, Vasen und Salbgefässe, Schmuck und Spiegel, Speisen, ursprünglich sogar Sklaven, Frauen und Konkubinen mitgegeben.[13] Zudem war der Leichnam auch periodisch zu ernähren.[14].

Die Idee der dauernden Pflege und periodischen Ernährung ist sodann der Ausgangspunkt für die Entwicklungslinie, die zum Seelteil führt[15]: In bestimmten Zwischenabständen werden dem Toten blutige Opfer, regelmässig Schafe und Rinder geopfert, bald sind es Trankspenden, wobei die Griechen diese Totenopfer am Grabe, die an bestimmten Terminen zu erfolgen hatten, „das, was sich nach Recht gebührt“ nannten, die Römer bezeichneten es als sacra.[16]

Nach und nach schwand der alte Glaube vom „lebenden Leichnam“[17], der im Grabe mit denselben Bedürfnissen wie auf Erden weiterlebt[18], und an seine Stelle tritt die Vorstellung vom Fortleben der „Seele“.[19] An die Stelle periodischer Ernährung der Toten treten periodische Erinnerungsfeiern[20], tritt die Pflege des Gedächtnisses (der memoria) des Toten.[21] Allerdings folgt auf dem Fuss auch gleich das (weitere) Problem, dass die Nachkommen zu versagen beginnen[22], und der Erblasser einen individuellen Wunsch nach Vollstreckung entwickelt. Es entsteht das Bedürfnis der Erblasser, Grundstücke, Geld und andere Vermögensobjekte durch Schenkung oder Testament an Tempelverwaltungen, an politische Gemeinden oder an Vereine verschiedenster Art „mit der Auflage (modus) zu machen, dass der Empfänger der Zuwendung den periodischen Totenkult für den Zuwendenden vollziehen solle.“[23] Mit solchen Zuwendungen (lebzeitig oder von Todes wegen), welche mit der Auflage des Totenkults verbunden werden, entsteht damit ein juristischer Mechanismus, eine Art „Stiftung ohne selbstständige juristische Persönlichkeit“ oder „unselbstständige Stiftung“.[24]

Entwicklung der Frage des „Seelteils“ im sog. „praktischen Christentum“

Die Frage des Seelteils fusst auf dem Gedanken, was den Armen an den Gütern dieser Welt zufallen soll: Was muss der Besitzende geben, um sich das Seelenheil zu sichern? Dabei gingen die Gedankengänge[25] vorab von Kirchenvätern aus[26]: Einer der Ersten, der über die Quote für die Seele gepredigt hat, war Basilius[27], ihm folgten die andern grossen Kappadozier, nämlich Gregor von Nazianz[28] und Gregor von Nyssa[29], schliesslich gefolgt von Johannes Chrysostomus.[30] Grundgedanke des Basilius war, dass deiner Seele „als der ersten gieb auch“ das, „was ein Erbe auf Grund höheren Alters, d.h. als Erstgeborener erhält“[31] und: „Spende ihr reichlichen Lebensunterhalt, um dann verteile den Kindern das übrige Vermögen“.[32] Daraus folgert Buck: „Die Seele soll demnach vor den Kindern aus dem Nachlass befriedigt werden, wie ein Erstgeborener“.[33] Die Bedeutung der Aussage liegt dabei darin[34], dass sich zum ersten Mal ein Anteil für die Seele findet, der Sache nach und dem Werte nach, ohne das Mass des Anteils der Seele bereits zu präzisieren.[35]

Besonders deutlich wird die Nähe zu Stiftungen zu Gunsten Bedürftiger in einer Ausführung von Gregor von Nyssa: „Nicht alles ist für Euch, sondern ein Teil auch für die Armen, die Lieblinge Gottes. Denn alles gehört Gott, dem gemeinsamen Vater. Wir aber sind Brüder einer Familie. Für Brüder aber ist es am besten und das Gerechtere, sich zu gleichen Teilen in die Erbschaft zu teilen.“[36] Damit kommt der Gedanke auf, dass der Seelteil wie ein Bruder oder eine Schwester den gleichen Anteil[37] bekommen soll. Chrysostomus schliesslich kam zum Ergebnis, dass die Hälfte oder wenigstens ein Drittel des Vermögens gespendet werden müsse.[38] Die Forderung, dass „wenigstens ein Drittel“ gespendet werden müsse, hat Jahrhunderte in vielen Ländern weiter gewirkt.[39] Die Kirchenväter haben damit zwei Positionen miteinander verknüpft, welche zunächst einmal gar nichts miteinander zu tun hatten: Nämlich die Vorstellungen vom Tode und vom Jenseits einerseits, und von der gerechten Güterverteilung anderseits.[40]

Als Zwischenfazit kann gezogen werden: Eine fortlaufende Kette führt von der uralten periodischen Ernährung der Toten im Grabe über den vergeistigten Totenkult der hellenistischen Zeit zum spiritualisierten Totenkult des Christentums[41] durch die Seelenmessen, welche durch rechtliche Massnahmen, nämlich eine Stiftung, gesichert werden sollen.[42]

Als Schöpfer der „Sohnesquote für Christus“, wie der Seelquote überhaupt[43], wurde sodann[44] Augustinus bezeichnet.[45] Er hat den Vorschlag[46] der Sohnesquote etwa in den Jahren 404 bis 426 ausgearbeitet.[47] Dabei vertritt er[48] eine gemässigte Linie und lehnt die Einsetzung der Kirche als Alleinerbin bei Vorhandensein von Nachkommen ab, weil nach seiner Auffassung ein Drittel bei zwei Nachkommen vollends für das Seelenheil genüge.[49]

Weitere Wurzelteile bei Ganerbschaften und Erbverbrüderungen

Bei der Ausbildung des Rechtsinstituts des Erbvertrages kamen zwei weitere verwandtschaftliche Zuwendungen innerhalb eines geschlossenen Kreises vor, nämlich einerseits die Ganerbschaften und anderseits die Erbverbrüderungen.

Zunächst zu den Ganerbschaften: Darunter wird die dauernde Vereinigung mehrerer Personen oder Familien verstanden, deren Zweck es war, eine bestimmte Vermögensmasse, meist eine Burg mit Pertinenzen, gemeinschaftlich zu benutzen und zu vertreten.[50] Dies war auch der Fall, wenn eine Burg erobert oder selber erbaut worden war.[51] Die Folge war die Gemeinschaft des Rechts, so dass die Genossen Gemeiner genannt wurden.[52] Die Veräusserung eines Anteils eines Gemeiners war dabei bechränkt auf den Fall der echten Not,[53] wobei er den Genossen den Kauf vorher anzubieten hatte.[54] Damit war die Ganerbschaft auf die Dauer errichtet.

Der hohe Adel hatte im Mittelalter noch ein anderes Instrument, um die Vererblichkeit voll wirksam werden zu lassen, namentlich bei Kinderlosigkeit: Erbverbrüderung nennt man jenes Geschäft, „durch welches mehrere Häuser oder verschiedene Linien desselben Hauses sich gegenseitig ihre Güter zuwenden auf den Fall, dass der eine Theil erlöschen sollte.“[55] Sodann: „So wurde früh Sitte unter den deutschen Fürsten und Herrn, ihre Familie in der fortgehenden Bewegung derselben gleichsam als eine juristische Person anzusehen, so dass die einzelnen Mitglieder, welche gerade am Leben waren, nicht nur für sich, sondern auch für die kommenden Geschlechter rechtliche Verhältnisse begründen konnten.“[56] Bei diesem Institut ging es damit darum, heute bereits Rechtswirkungen zu erlangen, welche auch auf die Nachkommen der Kontrahenten wirken sollen und die derzeit lebenden Personen lediglich ein „untergeordnetes Recht auf die lebenslängliche Nutzung der tradierten Güter erwarben.“[57]

Es ist augenfällig, wie nahe diese Rechtsinstitute an die Idee der Familienstiftung heranreichen, so dass weitere Einzelheiten in der rechtlichen Ausgestaltung durchaus hätten gewonnen werden können. Allein: Diese (rechtshistorische) Spur wurde nicht verfolgt. In den folgenden Jahrzehnten, kam es vielmehr zum abrupten Bruch durch Napoleon.[58]

Napoleon, die kantonalen Gesetzbücher und die Literatur am Vorabend von Eugen Hubers Wirken

Änderungen der Verhältnisse: keine Stiftung in code civil und Abschaffung der Fideikommissse

Die aufgezeigten mittelalterlichen Rechtsinstitute wurden nicht mehr verfolgt, sondern es kam zu einem eigentlichen Rechtsbruch mit dem Paukenschlag der Einführung des code civil in Frankreich[59]:

Das Institut der juristischen Person kannte der code civil nicht und regelte daher auch die Frage der Stiftungserrichtung nicht in seinem erbrechtlichen Teil. Noch heute ist das französische Stiftungsrecht nicht im code civil enthalten.[60] Vielmehr besteht ein Spezialgesetz, nämlich die „Loi N 87-571 du 23 juillet 1987 sur le développement du mécénat“, mit seitherigen Änderungen.[61]

Bedeutsam war ferner, dass die französische Revolution den Familienfideikommissen sehr kritisch gegenüberstand, was insbesondere auf der Benachteiligung der jüngeren Nachkommen[62] des Inhabers gründete.[63] Die Familienfideikommisse wurden daher in Frankreich im Jahr 1804 mit dem code civil abgeschafft.[64]

Verbliebene kantonale Souveränität

Zwar brachte Napoleon der Schweiz die Helvetik, doch eine Zivilrechtseinheit brachte diese nicht: Das Zivilrecht verblieb noch jahrzehntelang in kantonaler Souveränität, bis Walther Munzinger[65] die Schaffung eines einheitlichen Obligationenrechts empfahl und die Kantone dafür begeistern konnte und später die verfassungsrechtliche Grundlage im Jahr 1898 für das „übrige Zivilrecht“ geschaffen wurde. Daher stellt sich die Frage, wie sich die kantonale Situation in Bezug auf die Familienstiftungen im 19. Jahrhundert präsentierte.

Schliesslich soll kurz dargestellt werden, wie sich die Literatur zur Frage der Familienstiftungen am Vorabend von Eugen Hubers Wirken präsentierte. Was wurde genau in der sog. Pandektenwissenschaft[66] vertreten? Welche Anknüpfungspunkte präsentierte diese?

Auswirkungen auf die Westschweizer Gruppe der kantonalen Kodifikationen

Die Regelung des code civil hatte erhebliche Auswirkungen auf die sog. kantonale Gruppe mit Frankreich als Vorbild[67]: Mit Ausnahme von Wallis und Freiburg im Uechtland behandelten die Westschweizer Kantone die juristische Person nicht und damit auch nicht die Stiftung. Sie standen auch der fideikommissarischen Substitution ablehnend gegenüber, wie namentlich das Beispiel Neuenburg zeigt.[68] Immerhin anerkannten die Kantone Waadt und Freiburg die fideikommissarische Substitution für den ersten Grad.

Regelung in der sog. „Zürcher-Gruppe“

Die kantonalen Kodifikationen[69] der sog. Zürcher Gruppe enthielten die „verbandsfreundlichste“ und auch ausführlichste Regelung[70]: Der Kanton Zürich unterschied zwischen der Stiftungserrichtung, die schon zu Lebzeiten des Stifters in Wirksamkeit tritt (§ 51) und den Stiftungen, die erst nach dem Tod des Stifters entstehen (§ 52[71]). Bei der Errichtung der Letzteren verlangte der Gesetzgeber die Form eines öffentlichen Testaments, die Anweisung eines Stiftungsfonds und die Berücksichtigung der Pflichtteile der Erben.[72]

Einen besonderen Abschnitt widmete der Kanton Zürich den Familienstiftungen, und zwar im Zusammenhang mit der Nacherbeneinsetzung (§ 2078 Abs. 2): Einem Erben konnte die Verpflichtung auferlegt werden, dass er entweder bei Lebzeiten unter einer bestimmten Voraussetzung die Erbschaft auf einen Nacherben übertrage, oder nach seinem Tode dem Nacherben hinterlasse.[73] Sodann schreibt das Zürcher Gesetz wörtlich: „Dagegen ist die Bestellung eines zweiten fideikommisarischen Nacherben hinter den ersten unzulässig. Vorbehalten bleibt die besondere Folge in Familienstiftungen.“

Johann Caspar Bluntschli schrieb in seinen Erläuterungen dazu[74], dass die Frage möglichst zu vermeiden war, „ob die Familienstiftungen im Sinne der sogenannten Familienfideikommisse (Stammgutsstiftungen) eine weitere Berücksichtigung in einem besonderen Kapitel des Erbrechts verdienen.“ Sodann: „Die Stammgutsstiftungen (Familienstiftungen im engern Sinn) nämlich haben das Eigenthümliche, dass ein bestimmtes Gut, gewöhnlich eine Liegenschaft, dem gewohnten Verkehr durch die Willensverordnung des Stifters entzogen und einer bestimmten singulären Erbfolge innerhalb der Familie dieser auf die Dauer gesichert wird; z.B. es wird jeder erstgeborne männliche Nachkomme zur Folge in das Stammgut berufen, oder es wird dasselbe dem jeweiligen ältesten Familienglied überlassen. Hier folgen sich ganze Reihen von Stiftungserben. Die frühere Zeit war diesem Institute günstig, die Gegenwart ist es nicht. Daher schien eine genauere Formulierung des Institutes weder nöthig noch zweckmässig.“

Die Zürcher liessen damit viele Positionen offen, waren aber im Rahmen der Gesetzgebung nicht im Sinne eines Verbotes gegen das Institut eingestellt.

Insbesondere zu Vorläufern in der Berner Gruppe sowie zur späteren Regelung innerhalb dieser Gruppe

Interessant sind von der sog. Berner Gruppe[75] allen voran Bern und Luzern, weil sie schon eine lange Tradition mit Rechtsgebilden im Umfeld von Familienstiftungen hatten: Nachdem bereits im 15. Jahrhundert testamentarisch fideikommissarische Nacherbeneinsetzungen errichtet worden waren, erfreuten sich die Fideikommisse im 16. und 17. Jahrhundert grosser Beliebtheit und führten in Bern im 17. Jahrhundert zur speziellen Regelung von sog. Familien- und Geschlechtskisten[76]: Sie dienten der Erhaltung von Herrschaften und sonstigen Liegenschaften, und die berechtigten Familienmitglieder hatten nur Nutzungsrechte daran.

Es ist augenfällig, wie nahe die Berner Familien- und Geschlechtskisten an die Institute der Erbverbrüderungen und vor allem der Ganerbschaften herankommen: Hier wie dort ist die Güterausübung auf Langfristigkeit getrimmt, hier wie dort haben die aktuellen Repräsentanten nur Nutzungsrechte, nicht hingegen Eigentumsrechte, was allerdings nach und nach geändert wurde: Mit der Zeit wurden die Familien- und Geschlechtskisten verdrängt vom Fideikommiss, dessen Vorteil darin besteht, den Berechtigten als Eigentümer einzusetzen.[77]

Erhalten geblieben ist aus dem Kanton Bern die „Ordnung und Reglement betreffend die sogenannten Geschlechtskisten“ vom 21. November 1740.[78] Darin wird geregelt, dass „Sint- und andere allhiesiger Geschlechteren, aus Liebe gegen den Ihrigen verleitet, under sich Gelter zusammen legen, und under dem Namen Kistenguths verwalten lassen; alles in dem guten absehen, Sint und Anderen Persohnen aus Ihrem Geschlecht in ohnglücklich und nothdürfftigem Fahl, aus diesen beygeschossenen Kistengelteren Christmiltreiche handtreichung und beysteur zum Trost und Understützung der Ihrigen mit Theilen zu können aus genugsamen Gründen gwüsse Ziehl und Mass angeordnet werden möchten“.

Daraus ist ersichtlich, dass durchaus auch der Genuss von Gütern gestattet war, bei Unglück und Notdürftigkeit, vor allem für Personen aus demselben Geschlecht. Garantiert wurde für alle „befindlichen Geschlechtskisten“ der „Status quo und wie dieselben sich dermahlen befinden, Verbleiben“.[79] Damit die Geschlechts-Kisten aber dem Publikum nicht nachteilig werden, auferlegte der Rat diesen „einiche Schranken …, dass sie nicht allzu hoch an Vermögen steigen“, und setzt dieses auf zwei Mal Hundert Tausend Bern Pfund fest.[80]

Im Rahmen der Berner Gruppe kannte keiner der Kantone die Zulassung einer Stiftungserrichtung durch Verfügung von Todes wegen, hingegen enthielten sie alle eine Regelung über die fideikommissarische Nacherbeneinsetzung und erwähnten vereinzelt sogar die Familienstiftungen.[81]

Interessant ist auch hier das Beispiel Bern: Die Anhänger der Fideikommissse trafen bei den gesetzgebenden Arbeiten auf vehemente Gegner dieses Instituts, was zu heftigen Diskussionen Anlass gab, sich am Schluss aber eine Kompromisslösung durchsetzte, welche die fideikommissarische Nacherbeneinsetzung auf zwei Grade beschränkte.[82] Zudem verwies das Privatrechtliche Gesetzbuch des Kantons Bern in dessen § 583 auf besondere Verordnungen in Bezug auf die Errichtung von Familienkisten und Familienstiftungen, welche schon seit dem 21.11.1740, mit Veränderungen vom 06. Mai 1837 weiter bestanden.[83]

In Ausführung des neuen Zivilgesetzbuches für den Kanton Bern von 1837 (dessen Satz 583) bestimmte ein Spezialgesetz über die Familienkisten und Familienstiftungen vom 06. Mai 1837[84], dass die bisherigen Familienkisten für alle Zweige eines Geschlechts, das gleichen Namen und gleiches Wappen führt, zusammengenommen die Summe von zweimalhunderttausend Bernpfunden nicht übersteigt, und dass ihnen die Erwerbung und der Besitz von liegenden Gütern, Lehen, Zehnten, Bodenzinsen untersagt sein soll. Bei Verfügungen „zu toter Hand“ wurde die Bestätigung des Grossen Rates ausdrücklich vorbehalten.[85] Sodann bestimmte Art. 5: „Betreffend alle übrigen Familienstiftungen, welche als Verfügungen zu toter Hand anzusehen sind, namentlich auch die so geheissenen Majorate, so soll der gegenwärtige Nutzniesser im Besitz gelassen werden bis zu seinem Absterben. Nach dessen Tag sollen dieselben ebenfalls als gemeinschaftliches Vermögen sämtlicher berechtigter Familienglieder angesehen und nach den Bestimmungen über die Familienkisten behandelt werden.“[86]

Nach Roth[87] war der wesentliche Inhalt die Bestimmung, dass die Familienkisten nun geteilt werden konnten, weshalb das (neue) Gesetz mehrmals von Miteigentümern sprach. Zudem bestimmte das Gesetz, dass die Fideikommisse, also im Kanton Bern die Majorate[88], nach dem Tod des gegenwärtigen „nutzniessenden Besitzers“ wie Familienkisten behandelt werden sollten[89], was rechtlich nichts anderes als die heutige Stiftung, also eine juristische Person war.[90]

Auch im Kanton Solothurn wurde im frühen 19. Jahrhundert von gesetzgeberischer Seite eingegriffen: Mit Beschluss vom 25. Januar 1804 wurde „um Vorsorge zu betreiben“ beschlossen, dass in Zukunft untersagt sein soll, „Fideicommis-Güter zu verpfänden, oder zu entäussern, ohne dass zuvor von der Regierung die Bewilligung wird ertheilt worden sein.“[91] Auch der Kanton Solothurn anerkannte in seiner Kodifikation in § 564 die fideikommissarische Substitution und unterstellte die bisher bestehenden Fideikommisse nach § 461 den Vorschriften.[92]

Der Kanton Luzern konnte auf eine lange Regelung der Fideikommisse zurückblicken, welche schon Ende des 15. Jahrhunderts erwähnt wurden[93]: Bereits im Luzerner Stadtrechtsbuch von 1721[94] erlaubte jedermann „zu besserer Erhaltung und Aufnahm der Familien seines Stammens und Namens ein so genannt Fidei-Commissum auf liegenden, oder Stipendium auf fahrenden Gütteren aufzurichten“ zugunsten eines oder mehreren Nachkommen in gerader oder Seitenlinie und ihrer Nachkommenschaft im Mannesstamm.[95]

Der Kanton Aargau liess für eine einzige Erbeinsetzung eine fideikommissarische Substitution zu, nicht aber der Kanton Luzern, der gestützt auf die Anträge von Kasimir Pfyffer ein Verbot der fideikommissarischen Nacherbeneinsetzung beschloss.[96] In Luzern durfte das Kapital 20’000 Gulden nicht übersteigen, war aber unangreifbar und durfte weder verkauft noch verpfändet noch vom Fiskus oder von Gläubigern in Anspruch genommen werden. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf von Pfyffer sah vor, dass eine fideicommissarische Nacherbeneinsetzung nicht stattfindet und die wirklich bestehenden Fideicommisse in der Hand des zweiten Nachfolgers des gegenwärtigen Inhabers unbeschränktes Eigentum werden sollten, doch war dieser Teil der umstrittenste der gesamten Kodifikation.[97] Ein Kompromiss behielt schliesslich das Recht der Gesetzgebungskommission vor[98], einen neuen Erlass vorzulegen, was nie eintraf.[99]

Familienstiftungen am Vorabend von Eugen Hubers Wirken

Einleitung

In der neueren Literatur zu Eugen Huber ist bekannt, dass er vor allem die Werke von Arndts (in seiner Studienzeit) und von Vangerow benutzt hat, welche sich dem Pandektenrecht zugewandt haben.

Daher soll als Einstieg in die Eugen Huber-Materialien gleichsam ein „zeitgenössische Darstellung“ geboten werden, was damals vertreten worden ist in der Literatur. Ich beginne dabei mit Eugen Hubers Studienbücher:

Frühe Ausbildungsgrundlagen

In seiner Ausbildungszeit kam Eugen Huber sogleich in den ersten Vorlesungen mit der Stiftung in Berühung, weil sein erster Lehrer Exner die Stiftung als Teil seines Unterrichts (zum Pandektenrecht) präsentierte.[100] Er wurde mithin früh sensibilisiert für Stiftungsfragen sowie für Fragen der familienfideikommisssarischen Substitution.[101] Dies wurde ferner vertieft durch die von Eugen Huber während seines Studiums vorzüglich benutzten Lehrbücher und Schriften, welche wie folgt kurz skizziert werden können:

a) Arndts’ Lehrbuch der Pandekten[102] behandelt den Themenkreis im Abschnitt zur „Substitution bei Vermächtnissen“ (§ 548). Er führt aus, dass eine Substitution bei Vermächtnissen möglich ist, indem „dasselbe Vermächtnis einem Andern gegeben wird für den Fall, dass der zunächst Bedachte es nicht erwerbe oder so, dass mehrere nacheinander denselben Gegenstand haben sollen, indem derjenige, dem er zuerst gegeben ist, denselben zu gewisser Zeit, z.B. nach seinem Tode, einem Andern herausgegeben werden soll, und ebenso etwa dieser wieder einem Dritten u.s.w.“[103] Dies verstehe man unter einer fideicommissarischen Substitution, welche eine succesive sei. Sodann:

„Eine Art derselben sind die Familienfideicommisse, fideicommissa familiae relicta, d.i. solche, wodurch dem Beschwerten auferlegt wird, das Vermächtnis Angehörigen einer bestimmten Familie, es sei der des Erblassers oder einer andern, zu hinterlassen. Hat der Erblasser nicht anders bestimmt, so kann der zunächst Beschwerte und so auch wieder jeder folgende Vermächtnisträger nach seiner Wahl einem oder mehreren Angehörigen der Familie das Vermächtnis zuwenden. […] und durch Einwilligung aller Familienglieder kann daher das Fideicommiss ganz aufgehoben werden.“[104]

Im Rahmen der Stiftung erörtert Arndts sodann, dass wenn Güter zu einem frommen oder gemeinnützigen Zwecke bestimmt werden, daraus eine eigene juristische Person entstehen kann, die als Subjekt eben jenes Vermögens gilt.[105] Er erwähnt zwar, dass auch durch letztwillige Verfügung „sofort eine solche juristische Person geschaffen“ werden kann[106], hingegen sucht man den Begriff der Familienstiftung bei ihm vergebens.

b) Karl Adolph von Vangerow legte seine erste Auflage der Pandekten bereits im Jahr 1839 auf, als „Leitfaden für Pandekten-Vorlesungen“.[107] Bei ihm sucht man in den ersten Auflagen vergeblich nach dem Stichwort der Stiftung.

c) Es ist spätestens aus den Gutachten, welche Eugen Huber verfasst hat[108], bekannt, dass er viel und prominent Bernhard Windscheids Lehrbuch des Pandektenrechts verwendet hat. Dieses kam in der ersten Auflage 1862 (Band I) bzw. 1865 und 1866 (Bände II und III) heraus und erlebte viele Auflagen. Nach ihm kann durch letztwillige Verfügung eine Erben- oder Vermächtniseinsetzung erfolgen, ein Vermögen mit der Bestimmung der Verwendung zu einem gewissen „frommen oder gemeinnützigen Zweck ausgesetzt, und dadurch eine juristische Person geschaffen werden“.[109] Auch im Rahmen der Fideikommisse bleibt Windscheid in den ersten Auflagen sehr kurz: Das Legat sei das Vermächtnis des Zivilrechts, hingegen verdanke „das Fideikommiss seine Entstehung dem ausserordentlichen Eingreifen der kaiserlichen Machtvollkommenheit seit August[us]. Der dem fideicommissum ursprünglich zu Grunde liegende Gedanke ist, dass es nicht sowohl ein Recht gewähre, als eine sittliche Pflicht auferlege. Aber die Erfüllung dieser Pflicht wurde erzwungen, zuerst in einzelnen Fällen, später regelmässig […]; je mehr es aber als Rechtsinstitut erstarkte, in desto grösserem Umfang sind diese Rechtsregeln auf dasselbe erstreckt worden.“ Erst Justinian habe den Unterschied beseitigt und für alle Vermächtnisse nur ein Recht bestimmt und im Widerspruche das Mildere der Fideikommisse gelten soll.[110]

d) Schliesslich soll noch das Pandektenlehrbuch[111] von Friedrich Ludwig Keller in die Darstellung miteinbezogen werden, auch deshalb, weil Eugen Huber dieses als sein wichtigstes Lehrbuch bezeichnet[112] hat. Keller nennt als Titel „Stiftungen oder unsichtbare juristische Personen“ und schreibt dazu im Wesentlichen: „Diese kommen erst seit der Herrschaft des Christenthums in grosser Ausdehnung und Mannigfaltigkeit vor, und wurden mit vieler Begünstigung behandelt. Einen gemeinsamen Namen gibt es für sie in den Rechtsquellen nicht; erst die Neueren nennen sie pia corpora, […] In der neueren Zeit hat sich nun die Grundansicht betreffs der Stiftungen nicht verändert, die Stiftungen selbst sind nur viel mannigfaltiger geworden, und haben sich anstatt bloss auf Milderung der Armuth, seit dem Mittelalter auch auf Befriedigung geistiger Bedürfnisse der verschiedenster Art gerichtet. (Unterrichtsanstalten, Kunstanstalten, Bibliotheken, Museen und andere Sammlungen und dergleichen.)“[113] Allein: Familienstiftungen nennt Keller nicht.

Hingegen ist seine Darstellung des Entwicklungsganges der Familienfideikommisse von hohem didaktischen Wert, so dass sie wörtlich zitiert sei: „Durch das Institut der Fideicommisse wurde es möglich, nicht bloss den unmittelbar Bedachten hinsichtlich des ihm Vergabten in bestimmter Weise zu verpflichten, namentlich ihm die Herausgabe der Sache bei seinen Lebzeiten oder bei seinem Tode an eine bestimmte andere Person aufzulegen, sondern auch einem oder mehreren, oder allen späteren Empfängern eine ähnliche Verpflichtung aufzulegen, und so das Schicksal der fraglichen Sache hinsichtlich des jedzeitigen Inhabers bleibend zu bestimmen, das heisst, eine eigenthümliche und bleibende Successionsordnung für diese Sache zu begründen, und so die Succession, das heisst das Subjektive der Sache, dem Objektiven unterzuordnen, während sonst das umgekehrte Verhältnis das Princip des Römischen Erbrechts war.

Jeder successive Inhaber erhielt jetzt die Sache mit der Verpflichtung, dafür zu sorgen, oder es doch durch keine freie Handlung zu verhindern, dass die Sache seiner Zeit auf den durch den ursprünglichen letzten Willen zum Voraus bestellten Nachfolger komme; und so konnte denn allerdings jener Wille des Testators ein fortlaufendes rechtliches Band knüpfen und dadurch eine bleibende Wirksamkeit und Anerkennung erlangen.

Das Verhältnis, worin die Menschen am ehesten ihre Wirksamkeit und ihr Andenken zu verewigen suchen, ist die Familie, worin ja ihr Blut, wenigstens ihr Name auf die Nachwelt übergeht. So zeigt sich die beschriebene Anwendung der Fideicommisse vorzüglich in der Gestalt von Familien-Fideicommissen, welches Institut sodann auf Germanischen Boden erst seine rechte und volle Ausbildung erhielt, bei den Römern dagegen, wo es überhaupt erst in der Zeit unserer classischen Juristen in einigem Umfang geübt zu werden anfing, fortwährend auf einer niedrigen Stufe stehen blieb, und den vollen Trieb der nationalen Rechtsbildung nie für sich gewinnen konnte.

Das ist darin ersichtlich, dass die Beschränkung des Fideicommissars hinsichtlich der künftigen Transmission stets innerhalb der Schranken einer persönlichen Verpflichtung (Obligation) stehen blieb, und sich niemals zur Dinglichkeit durchzubilden vermochte. Die Veräusserungen, welche zuwider der Anordnung des Stifters geschahen, waren nicht ungültig, und so blieb die ganze angeordnete Successionsordnung auf diejenige Garantie beschränkt, welche persönliche Verpflichtungen zu gewähren vermögen, und blieb daher allen den Gefahren ausgesetzt, welche die Persönlichkeit überhaupt und besonders in ihrer ökonomischen Beziehung (Insolvenz und dergleichen) treffen können, und welche bei einem auf viele Generationen oder gar auf alle Zukunft berechneten Institute jede rechte Consolidation unmöglich machen“.[114]

Damit war der Boden geebnet, auf dem Eugen Huber sein Wirken entfalten konnte.

Eugen Hubers Arbeiten an der Familienstiftung

Übersicht

Entgegen dem ersten Anschein begannen die Arbeiten Hubers an der Familienstiftung nicht erst mit der Formulierung der Entwürfe zum ZGB, sondern er befasste sich mehrfach und immer wieder mit der Familienstiftung. Der nachfolgende Beitrag soll dabei auch seine frühen Stellungnahmen und seine Äusserungen auch in praktischen Fragen, heute durch die Herausgabe seiner Gutachten, miteinbeziehen.

Dabei wird der vorliegende Abschnitt viergeteilt: Zuerst erfolgt die Darstellung der frühen Äusserungen in wissenschaftlichen Arbeiten. In einem zweiten Schritt erfolgen sodann seine Äusserungen im Rahmen von erteilten Gutachten. In einem dritten Schritt erfolgen seine konkreten Vorbereitungsarbeiten für den Erlass des ZGB, wobei vor allem die Voten in der Expertenkommission hier zu präsentieren sind.

Sodann sind viertens seine Äusserungen insbesondere im Rahmen der Erläuterungen des ZGB zu erwähnen, hingegen müssen seine Vorlesungen nach Erlass des ZGB vorderhand noch als Desiderat der Wissenschaft angesprochen werden, weil die entsprechenden Transkriptionsarbeiten erst angelaufen sind.

Eugen Hubers frühe Schriften, insbesondere „System und Geschichte“

Eugen Huber hat sich früh mit dem Schweizerischen Erbrecht befasst. Bereits als Dreiundzwanzigjähriger legte er seine Dissertation mit dem Titel „Die Schweizerischen Erbrechte in ihrer Entwicklung seit der Ablösung des alten Bundes vom deutschen Reich“, gedruckt in Zürich 1872 vor. Er hat sich darin allerdings nicht mit den Familienstiftungen auseinandergesetzt.

Hingegen hat er eine erste Zivilrechtsvorlesung ab dem Jahr 1880 in Basel gehalten.[115] Er behandelte darin insbesondere die Stiftungen als juristische Person, deren Substrat eine Vermögensgesamtheit ist.[116] Huber betont dabei, dass für neue Zuwendungen (an bereits bestehende Stiftungen) eine Staatsgenehmigung nicht mehr verlangt wird.[117] Zwar werden Bedachte einer Erbschaft erörtert,[118] doch auf die Möglichkeit des Erwerbs einer Stiftung geht Huber nicht ein, abgesehen vom Sonderfall des Kantons Solothurn, wonach es beim Erwerb eines Vermächtnisses einer juristischen Person um eine Bewilligung des Regierungsrates bedurfte.[119]

Ausführlich äussert sich Eugen Huber in seinem Grundlagenwerk zum Schweizer Privatrecht in „System und Geschichte“.[120] Um die Grundlagen der Huberschen Gedankengänge nachvollziehbar werden zu lassen, seien diese im Einzelnen ungekürzt wiedergegeben. Einleitend stellt er fest, dass man vor allem beim niederen Adel eine Vergünstigung aufgenommen habe zur Begründung von Stammgütern und damit als Familienfideikommisse und Familienstiftungen. Sodann wörtlich:

„Der Name Familienfideikommiss kam erst im 17. Jahrhundert auf, wie in Deutschland, so auch in der Schweiz aus abendländischem Ursprung, der nicht sicher aufgedeckt ist. Das Institut erscheint anfänglich als ein Vorrecht des Adels, bald aber stellt man diesfalls gemeiniglich keine besonderen Beschränkungen mehr auf und gab stillschweigend dem Bürger dieselbe Freiheit. Ihren Gegenstand bildeten Grundstücke, Renten, und was sonst eine dauernde, über Generationen hinreichende Nutzung zulässt, und wenn der Verfügende das den Erben gesicherte Gut dafür verwenden wollte, so war die Zustimmung derselben nötig. Bewirkt wurde dadurch, dass einer der Erben das ausgesonderte Fideikomissgut als Präcipuum erhielt, während er daneben auch Allodialerbe blieb. Er wurde Eigentümer daran, war aber beschränkt in der Verfügung über das Gut, indem er zugleich Kaution für dessen Erhaltung stellen musste und dasselbe nicht veräussern oder belasten durfte. Andere Dispositionen waren entweder ungültig, oder nur für die Dauer des Rechtes des Disponierenden rechtskräftig. Die Art der Succession wurde durch die Stiftungsurkunde bestimmt, war aber meist Primogenitur oder Majorat, seltener Seniorat. Fürsorge für die übergangenen Erben konnte vorgesehen sein, spielte aber in den Kreisen unseres Gebietes nicht die bedeutende Rolle, wie die Apanagen und Secundo- und Tertiogenituren des hohen Adels. Erlosch die Familie des Stifters, so erhielt der Letzte seines Stammes freie Verfügungsgewalt.“[121]

Er geht sodann auch auf die Familienstiftungen ein und führt aus:

„Unterschieden von diesen Familienfideikommissen sind die Familienstiftungen, obgleich sie in der Praxis, sobald der Stiftungszweck