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Den Geheimnissen unserer wilden Natur auf der Spur! Ob nun idyllische Bergwiesen, geheimnisvolle Moore oder ein vermeintlich schnöder Acker - in ihrem neuen Buch wollen Norman und Vanessa die alltäglichen, aber auch die verborgenen Lebensräume in den Köpfen der Leser*innen lebendig werden lassen. Sie reisen durch die verschiedenen Lebensräume, stellen das bunte Treiben der vielfältigen Lebewesen an diesen unterschiedlichen Orten vor und erklären, wie sie im Großen wie im Kleinen miteinander verbunden sind. Außerdem zeigen sie, wie wir Menschen lernen können, mit Achtsamkeit und Respekt diese Lebensräume wieder herzustellen, schätzen zu lernen und so manche wieder richtig zum Aufblühen zu bringen.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Fast zu wild, um wahr zu sein
Norman Glatzer, geboren 1993 in Berlin, ist Pilzsachverständiger. Nach Auslandsaufenthalten in Marokko und Indien war er in Berlin als Buchhändler und in der freien Theaterszene tätig.
Vanessa Braun, geboren 1993 im Schwarzwald, liebt das Reisen: Ihr Weg führte sie unter anderem schon nach Neuseeland, Italien, Australien, Indien, und Marokko. Außerdem arbeitete sie als Buchhändlerin und ist zertifizierte Yogalehrerin und Heilpraktikerin.
Gemeinsam reisen wir in diesem Buch durch die verschiedenen Biotope und erfahren, wie die Lebewesen an diesen Orten im Großen wie im Kleinen miteinander verbunden sind. Dabei treffen wir auf gerissene Orchideen, die so manchem Insekt mit fiesen Tricks den Kopf verdrehen und bittersüße Spitzmäuse, die ihre Opfer mit ihrem tödlichen Speichel erlegen. Aber auch das Geflecht der gegenseitigen Hilfe zwischen den unterschiedlichsten Arten begegnet uns immer wieder. Dieses Buch lehrt uns die Lebensräume unserer Natur besser zu verstehen und erweckt in uns Staunen, Achtsamkeit und Liebe für sie. Denn so erkennen wir, wie wir diese Orte des Lebens schützen und wieder zum Aufblühen bringen können.
Norman Glatzer und Vanessa Braun
Unsere versteckten Biotope und wie man sie schützen kann
Ullstein
Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Alle Rechte vorbehaltenLektorat: Barbara KrauseIllustrationen: © Vanessa BraunUmschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenUmschlagmotiv: © Vanessa BraunAutorenfotos: © PrivatE-Book powered by pepyrus
ISBN 978-3-8437-3177-5
Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.
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Titelei
Das Buch
Titelseite
Impressum
Einleitung
TEIL 1
Schluchtwald – Die Natur geht steil
Naturnaher Laubwald – Im Schatten der Jahrtausende
Auwald – Üppiger Überfluss
TEIL 2
Niedermoor – Der Anfang im Ende
Übergangsmoor – Zwischen den Welten
Hochmoor – Verwunschener Weltenretter
Bergwald – Ein Paradies in den Wolken
Auf dem Weg zum Gipfel – Leben über der Waldgrenze
TEIL 3
Salzwiese – Bitte nicht nachwürzen!
Dünen – Leben im Tod
Magerwiese – Magie gibt’s wirklich
Hecke – Grenzenlose Schönheit in der Grenze
Stadtnatur – Der Kampf gegen den Beton
Ruderalfläche – Alles wird gut (nach der Menschheit)
Ein Wort zum Schluss
Anhang
Anmerkungen
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Einleitung
Wäre unsere Natur ein Schmetterling, müsste man nicht lange überlegen, wie er heißt: der Vielfalter. Schönheit und Komplexität, Liebe und Hass, Blumenduft und Kothaufen – all das vereint der Vielfalter in sich. Doch leider bekommt der Vielfalter in letzter Zeit immer lahmere Flügel, und seine einst so lebendigen Farben bleichen aus. Warum nur? Die Natur, die sich in unserem Vielfalter widerspiegelt, hat ein Problem, die Biodiversitätskrise. Aber was ist das eigentlich, diese Biodiversitätskrise?
Die unterschiedlichsten Arten werden immer seltener, egal ob Pflanze, Pilz oder Tier. Um zu verstehen, warum, muss man begreifen, wie und wo diese Lebensformen existieren und wie sie miteinander interagieren. Dazu wollen wir in diesem Buch unterschiedlichste Lebensräume hier in Mitteleuropa kennenlernen. Von der Küste, an der uns ein kostenloses Gesichtspeeling in Form von Sand im Gesicht prickelt, bis hoch hinauf auf den Berg, wo die Gämsen wie verstrahlte Kängurus von Fels zu Fels hüpfen. Überall waltet das Leben mit atemberaubender Schönheit. Erst wenn wir beginnen zu verstehen, was die vielfältigen Lebensräume ausmacht, wissen wir auch, was wir tun können, um die Artenvielfalt zu schützen oder sogar zu fördern.
Auch wir Menschen gehören zu diesem großen Netzwerk, das immer schneller immer magerer wird. Man könnte sagen, aus einem imposanten kunstvoll gestrickten Pullover wird so langsam wieder ein einziger dünner Faden. Nun ist es an uns, wieder stricken zu lernen und dem Pullover zu seiner einstigen Pracht zu verhelfen. Und wo wir schon mal die Stricknadeln in der Hand haben, können wir vielleicht sogar noch eine Hose dazu stricken. Biodiversität und Ökologie müssen darum von einem Nischenthema zur Allgemeinbildung werden. Der Vielfalter soll wieder schillern und fliegen lernen. Wir sind gefragt, zu lernen und zu handeln, denn es gibt kaum etwas Wichtigeres als das, was wir nun zu tun haben.
Ist der Mensch ein bösartiger Planetenkrebs, der kontinuierlich metastasiert? Oder ist da doch noch was zu retten? Kann unsere Spezies vielleicht sogar zur zweibeinigen Planetenglückseligkeit werden, die das Leben feiert und florieren lässt? Wir werden es herausfinden. Und herausfinden, das ist genau das richtige Stichwort. Denn nun gilt es erst einmal herauszugehen, um das zu finden, was da wächst und gedeiht, kreucht und fleucht. Schnell werden wir merken: Die Natur ist genial! Das verwobene Netzwerk der Artenvielfalt ist fast zu wild, um wahr zu sein. Selbst in unseren abenteuerlichsten Träumen können wir uns nicht ausmalen, was für absurde, ergreifende und schaurige Geschichten sich überall zutragen – gestern, morgen und jetzt gerade!
In Schluchten und Wäldern
»Alles Gute kommt von oben!«, sprach die Weinbergschnecke und starb. Sie lebte am Fuße einer tiefen Schlucht, und frisches Wasser tropfte regelmäßig auf sie herab. Doch wo Schluchten sind, da fliegen nicht nur Wassertropfen, sondern auch mal Steine durch die Luft. Große Steine.
Schluchten sind äußerst raue Lebensräume. Schon ihre Entstehung ist nichts für schwache Nerven. Alles beginnt mit einem Fluss. Wenn die Bedingungen passen, schleift sich dieser immer tiefer durchs Gestein nach unten und formt ein Tal. Dieser einschneidende Vorgang ist keine flotte Nummer. Nein, der Schnitt dauert Ewigkeiten und will einfach nicht aufhören. Ein bisschen so, als würde man mit einem Messer in der Hand zur Welt kommen und sich damit, kaum geboren, bei Tag und bei Nacht immer tiefer in einen Finger ritzen, bis ans Lebensende. Der Fluss, der sich da in sadistischster Manier ins Gestein einkerbt, leistet diesen Kraftakt nicht allein. In ihm befinden sich Sand und kleine Steine, die wiederum beim Schleifen und Schneiden helfen. So hinterlistig ist es, das Wasser. Durchtrennt gnadenlos majestätische Gesteinsschichten mithilfe von kleinen Popelsteinen. Wir Menschen nennen diesen Prozess, bei dem sich ein Fluss immer tiefer in ein Tal schneidet, Erosion. Ein Begriff, der fast so klingt, als wäre da Eros, der Gott der begehrlichen Liebe, im Spiel. Doch von Liebe kann bei diesem Akt der Gewalt wirklich keine Rede sein. Das Wort Erosion hat daher auch keine göttliche Herkunft, sondern eine lateinische. Es kommt vom Wort erosio, was so viel wie »das Zerfressenwerden« bedeutet.
Springen wir nun ein paar Jahrtausende vorwärts und schauen uns das prächtige Tal an, das entstanden ist. Das Wasser schneidet sich nach wie vor fröhlich durchs Gestein. Mittlerweile sind links und rechts vom Fluss jedoch hochaufragende Wände entstanden. Die Schlucht ist geboren! Und in ihr, da lebt’s. Es grünt und blüht und flattert und schwirrt. Zumindest aus menschlicher Sicht. Aus Sicht des Gesteins klafft da eine riesige, immer tiefer werdende Wunde, in der sich alles Mögliche an Leben angesiedelt hat. Von wegen Zeit heilt alle Wunden. Schon Jahrtausende sind vergangen, und die verfluchte Wunde wird einfach immer tiefer! Nun aber genug mit der gesteinszentrierten Sichtweise auf die Dinge. Schauen wir uns mal genauer an, wer da alles so lebt.
Eine Schlucht ist so wie ihre Geschichte: dunkel und feucht. Sonnenlicht ist hier ein selten gesehener Gast. Wasser hingegen ist nicht nur unten im schneidenden Fluss anzutreffen, sondern befeuchtet auch die Hänge selbst. Der Boden ist hier nicht der stabilste, er lässt sich eher als geröllig bezeichnen. Wenn es viel regnet, rutschen, rollen und fliegen die einen oder anderen Steine oder Felsen durch die Gegend. An so einem mitreißenden Ort fühlen sich Bäume am wohlsten, die sich besonders gut festhalten können. Dazu gehören insbesondere Berg-Ahorn, Berg-Ulme, Esche und Linde.
Die Linde ist wohl einer der bekanntesten dieser Bäume, denn Linden werden häufig als Straßenbäume gepflanzt. Doch hier im Schluchtwald ist ihre wahre Heimat. Eigentlich handelt es sich um zwei Lindenarten, nämlich Sommerlinde und Winterlinde. Da die beiden Arten sich aber ökologisch sehr ähneln und hin und wieder auch bastardisieren, also sich vermischen, sprechen wir hier einfach von Linden.
Sie sind der baumifizierte Zucker. Die Steine im Schluchtwald müssen echt aufpassen, dass sie keine Karies von diesen Bäumen bekommen. Aber zum Glück ist es ja feucht, und das Wasser putzt gut durch. An einer einzigen Linde können bis zu 60 000 Blüten ihren Honigduft verströmen. Gemeinsam produzieren sie bei guten Bedingungen mehrere Kilo Nektar am Tag. Wenn man dann noch bedenkt, dass eine Linde bis zu 1000 Jahre alt werden kann, kommen da ein paar Tonnen Nektar pro Baum zusammen. Darum verwundert es nicht, wenn Bienen im Schluchtwald vorbeischauen und vor lauter Ekstase komplett ausrasten. Und als wären Tonnen an Nektar nicht genug, haut die Linde noch mehr Zucker raus. In diesem Fall allerdings unfreiwillig. Denn die Lindenzierlaus saugt unglaublich gerne die leckeren Säfte aus den Lindenblättern. Lirum, larum Löffelstiel, wer viel frisst, der scheißt auch viel. Und darum scheiden auch die Lindenzierläuse Honigtau aus. Sage und schreibe 90 Prozent ihrer aufgenommenen Energie landen wieder unter der Linde. Diese süße und klebrige Honigtauschicht kennt man aus Städten, wenn sie Autos verziert, man mit den Schuhen auf dem Gehweg kleben bleibt oder wenn es bei strahlendem Sonnenschein auf einmal von oben tropft. Ja, das ist dann alles süße Läusekacke. Im Wald haben diese Ausscheidungen jedoch einen großen Nutzen. Sie regen nämlich Bodenbakterien an, die im totalen Zuckerschock ihre ganze überschüssige Energie rauslassen müssen und den Boden so fruchtbarer machen. Schön für all die vielen Kräuter, die im Schluchtwald unter der Linde wachsen.
An den Saugstellen auf den Lindenblättern siedeln sich nun wiederum Rußtaupilze an, welche die süßen Reste verwerten. Die Linde stimmt dies eher missmutig, denn die Pilze auf den Blättern sind nicht gerade förderlich für die Photosynthese. Apropos Pilze. Da gibt es einige, die die Linde besonders mögen. Zum einen versorgen eine ganze Handvoll freundlicher Symbiose-Pilze die Linde im Austausch für Zucker mit wichtigen Nährstoffen. Zum anderen gibt es aber auch noch die Pilze, die das Laub und das Holz der Linde verdauen. Und gerade unter diesen gibt es im Schluchtwald eine absolute Besonderheit.
Im späten Winter und Vorfrühling, noch bevor die ersten Frühblüher erblühen, ist so mancher Schluchtwald rot gepunktet. Keine Sorge, das sind nicht die Windpocken oder Masern, nein, jetzt fruktifiziert auf abgefallenen Lindenästen der Linden-Kelchbecherling.Dieser Pilz bildet zu dieser für Pilze wohl kaum berühmten Jahreszeit knallrote becherförmige Fruchtkörper aus. Die sind so was von rot, dass sie so unnatürlich wirken wie Kunstfingernägel an Wolfstatzen. In seltenen Fällen gibt es die leuchtenden Becher auch mal in Gelb. Die grellen Farben dienen vermutlich dazu, das Sonnenlicht besser zu absorbieren. Denn jedes bisschen Wärme zählt in dieser ungemütlichen Jahreszeit. Und wer sich keine Mütze häkeln kann, muss eben anderweitig kreativ sein. Dass man diese seltenen Pilze unter einer Dorflinde findet, ist übrigens äußerst unwahrscheinlich, denn sie benötigen den Lebensraum Schluchtwald, und zwar einen richtig kalkhaltigen.
Betrachten wir einen weiteren Baum, der gerne am Abgrund steht, nämlich die Berg-Ulme. Sie kann bis zu 400 Jahre alt und über 40 Meter hoch werden. Beachtlich, wenn man das ganze Geröll bedenkt. Noch beachtlicher, wenn man ihren Leidensdruck bedenkt. Die Berg-Ulme erfährt nämlich vorzeitigen Samenerguss – und das ganze 400 Jahre lang! Das heißt, sie bildet Jahr für Jahr ihre Samen schon aus, bevor sie überhaupt Laub trägt. An diesen Samen befinden sich kleine grüne Flügelchen, damit der Wind sie möglichst weit verbreiten kann. Diese Flügelchen haben einen Clou. Sie können nämlich Photosynthese betreiben. Somit macht die Berg-Ulme schon lecker Zucker aus Licht und Luft, bevor ihr Blätter wachsen. Ziemlich gerissen! Doch bevor die Ulme ihre Samen in alle Winde schießen kann, muss sie erst einmal geschlechtsreif werden. Und dafür lässt sie sich so richtig viel Zeit. Erst nach 30 bis 40 Jahren ist so eine Berg-Ulme überhaupt blühfähig. In dem Alterszeitraum, in dem wir Menschen so langsam aber sicher von der Quarterlife-Crisis in die Midlife-Crisis hineinrutschen, entdeckt die Ulme zum ersten Mal ihre Sexualität.
Apropos, mit ihren hübschen Blättern ist die Ulme nicht nur ein Objekt der Begierde für andere Ulmen, sondern auch eine Delikatesse für viele Insekten. Kaum sind die Blätter da, fressen auch schon die weiblichen Ulmenblattkäfer kleine Kuhlen in die Blattunterseiten, um dort ihre Eier hineinzulegen. Die Larven, die daraus schlüpfen, ernähren sich streng ulmitarisch. Was hält die Berg-Ulme eigentlich davon, dass sie so gern gegessen wird? Sie sprudelt nur so vor Abscheu und Missvergnügen! Darum verströmen die Ulmenblätter schon dann, wenn die weiblichen Käfer an ihren Eiablageplätzen knabbern, ein Duftgemisch, mit dem sie Erzwespen anlocken. Die Erzwespen wiederum bauen eine Eier-Matrjoschka, indem sie ihre eigenen Eier in diejenigen der Ulmenblattkäfer hineinlegen. Die geschlüpften Erzwespenlarven fressen dann im Ei die Larven der Ulmenblattkäfer, ehe diese überhaupt schlüpfen und losmampfen können. Wer Krieg mit Ulmen will, kriegt Krieg mit Ulmen! Zumindest wenn man ein Ulmenblattkäfer ist.
Doch viele weitere Insekten stehen ebenfalls auf Ulmenblätter, und nicht immer ist der Baum so gut gewappnet für seine Selbstverteidigung. Wenn im Sommer die Blätter richtig schön groß sind, schauen die Raupen des Ulmen-Harlekins vorbei. Genüsslich futtern sie sich am Ulmen-Salat-Buffet so richtig schön satt. Kommt dann der Herbst, verpuppen sich die schwarz-weiß-gelben Raupen unter der Erde. In der Puppe findet nun die Metamorphose statt: Aus der Raupe wird ein Schmetterling, der im kommenden Frühjahr durch den Schluchtwald schwirrt. Der frisch geschlüpfte Ulmen-Harlekin wird sich beim ersten Blick auf sein Spiegelbild in einer Pfütze gewiss mordsmäßig erschrecken: »Ach du liebes bisschen, ich seh ja aus wie Vogelscheiße!« Die Taktik, sich als trauriges Exkrementhäufchen eines Piepmatzes zu tarnen, wird als Vogelkotmimese bezeichnet. Na ja, lieber hässlich, als von einem Vogel gefressen werden, oder?
Denn Vögel gibt es einige im Schluchtwald. Wie viele andere Lebewesen profitieren sie sehr von den hier gegebenen Bedingungen. Klar, wo ein steiler Hang ist, sind keine Menschen. Darum ist auch noch nicht alles sauber verputzt und verfugt, und Raufaser sucht man ebenfalls vergeblich. Stattdessen kann sich die Natur so entwickeln, wie sie will, und schafft in diesem steilen Habitat besonders viel Totholz mit Bruthöhlen. Auch das Gestein am Hang kann mit so manchem Unterschlupf aufwarten. Hier kann sich Vogel aussuchen, ob er lieber ein Holzhaus oder ein Steinhaus möchte.
Weil der Immobilienmarkt im Schluchtwald noch völlig im Lot ist, trifft man an der Steilwand mit etwas Glück auch mal auf die größte Eulenart der Welt, den Uhu. »Oho, ein Uhu!«, sagen jetzt all die anderen Tiere vom Hang und verstecken sich in ihren Nischen. Die bis zu 3 Kilo schweren Jagdvögel haben nicht nur Kampfgewicht, sondern auch todbringende Schnäbel. Im Gegensatz zu den Larven vom Ulmenblattkäfer, die nur Ulmenblätter fressen, steht beim Uhu Fleisch auf dem Speiseplan. Fleisch von so ziemlich allem, das entweder kleiner ist als der Uhu oder sogar gleich groß. Je nach Tageskarte im Restaurant der Natur gibt es beim Uhu auch mal einen saftigen Igel. Dieser wird auf den Rücken gelegt und von unten genüsslich leergefuttert, bis nur noch die Stacheln übrig bleiben. Wenn ein paar davon mitvertilgt werden, ist das kein Drama. »Stacheln reinigen den Magen!«, pflegte schon die Uhu-Oma zu sagen. Man könnte meinen, so ein kulinarisches Unterfangen wird mit dem Tode des Uhus enden. Aber nein, die Stacheln werden nach einer Weile, komprimiert zu einer Art Wurst, einfach wieder hochgewürgt. Das wurstartige Teil mit Igelstacheln wird als Gewölle bezeichnet. Manchmal wurden in Uhu-Gewöllen sogar schon ganze Tierschädel gefunden. Wer sich damit rühmt, einen Saumagen zu haben, sieht neben einem Uhu mit Uhu-Magen auf jeden Fall sehr, sehr klein aus.
Die Tatsache, dass im Schluchtwald regelmäßig Steine und Felsen hinunterpurzeln, sorgt mitunter für eine bedrohliche Atmosphäre in diesem Lebensraum. (An dieser Stelle gedenken wir noch einmal kurz unserer Weinbergschnecke …) Eine Vogelart profitiert jedoch genau davon: die Wasseramsel. Sie liebt die in den Fluss gerollten Felsen und verbringt einen Großteil des Tages auf ihnen. Von da schaut sie ins Wasser und hält Ausschau nach dort lebenden Kleintieren. Kommt was Leckeres vorbeigeschwommen, stürzt sie sich auf ihre Beute. Sie ist der einzige hier vorkommende Singvogel, der schwimmen und tauchen kann. Die Wasseramsel kann sogar, wenn ihr mal wieder der Sabber im Schnabel vor Appetit zusammenläuft, unter Wasser gegen den Strom laufen. Damit solche heroischen Stunts nicht beschämend enden, hat dieser possierliche Vogel den Evolutionsjoker gezogen. Wasseramseln haben schwere Knochen. Während schwere Knochen bei Menschen ein Mythos sind, gibt es sie bei Wasseramseln tatsächlich. Die meisten Vögel haben bekanntlich hohle Knochen. Die der Wasseramseln sind hingegen mit Mark gefüllt. So wird die Futtersuche im reißenden Strom etwas weniger mitreißend.
Ob nun Uhu oder Wasseramsel: Der vom Menschen unberührte Schluchtwald, mit all seinem Totholz und den großen und kleinen Höhlen im Gestein, ist ein wahres Paradies für Vögel. Darum geht einiges ab in seinem Flugraum, bei Tag und bei Nacht. Und als wäre das nicht genug, kommen dann auch noch jede Menge Fledertiere in die Hood. Die Fledertiere, die auch als Fledermäuse bezeichnet werden, sind die einzigen Säugetiere, die fliegen können. Dank ihrer im Flug aktiven Echo-Ortung mit Ultraschall stellen sie sicher, dass es in der Nacht nicht zu Unfällen mit den Uhus kommt. Besser so, denn hier ist niemand versichert. Dass es in der westlichen Welt noch Lebewesen ohne Vollkasko gibt, hätte wohl niemand gedacht. Hier im Schluchtwald existieren sie noch. Hoffen wir mal, dass dieses Buch nicht von einer gewitzten Versicherungsvertreterin gelesen wird. Sonst ist es damit auch bald vorbei …
Die Bechsteinfledermaus ist der Schrecken der Insekten des Schluchtwaldes. Dieses Fledertier jagt nicht nur klassisch beim Umherfliegen, sondern beherrscht auch den Rüttelflug. Dieser ermöglicht es ihr, unablässig an einer Stelle zu fliegen, sich im Flug also nicht vorwärtszubewegen. Das gibt ihr ganz neue Möglichkeiten bei der Jagd. In der Luft stehend kann sie mit ihren großen Ohren sogar die Krabbelgeräusche von Insekten weit unter sich wahrnehmen. Bechsteinfledermäuse jagen nämlich nicht nur in der Luft, sondern sammeln auch flugunfähige Insekten direkt von Pflanzen oder dem Waldboden ab. Das breite Nahrungsspektrum ist sehr wichtig, denn die Weibchen müssen jede Nacht mehr als zwei Drittel ihres Körpergewichts in Form von Nahrung aufnehmen. Das heißt, es wird so richtig viel gefressen: Faltersalat, Hundertfüßerspaghetti, Kohlschnakenroulade und vieles mehr. Eine große Auswahl an Insekten ist essenziell. Für eine bunte Palette an Krabbelkost braucht es wiederum eine diverse Vegetation. Und Pflanzen, davon gibt es im Schluchtwald so einige.
Tatsächlich gibt es nicht nur eine Vielfalt an Baumarten im Schluchtwald, sondern auch an Kräutern und Sträuchern. Insbesondere im Frühling lohnt sich ein Ausflug, denn dann blühen unzählige kleine Gewächse. Schon im Februar beginnt hier der Lenz mit weißen Blütenteppichen. Im Schluchtwald kann es wilde Vorkommen vom Schneeglöckchen geben. Ihre Blüten sind im Februar jedoch nicht der einzige weiße Teppich. Manchmal liegt hier um diese Zeit noch Schnee. Doch kein Problem fürs Schneeglöckchen. Die Blattspitzen des Frühblühers sind besonders fest, damit sie sich auch durch gefrorenen Boden und Schneeschichten einfach durchschieben können. Einmal am Tageslicht angekommen, fängt die Pflanze an zu blühen. Damit Insekten die weißen Blüten auf weißem Schnee überhaupt sehen können, reflektieren sie das UV-Licht der Sonne besonders stark. Frost macht den Blüten nichts aus, sie blühen einfach weiter. Etwas wärmere Tage sind dennoch willkommen, denn die bestäubenden Bienen werden erst ab 10 °C aktiv. Später, wenn die Schneeglöckchen schon verblüht sind, wird es richtig warm.
Im April beginnt der Gefleckte Aronstab zu blühen. Damit er bestäubt werden kann, muss er einiges leisten. Denn seine Bestäuberin ist die Abortfliege. Und die hat es eigentlich so gar nicht mit Blümchen. Was sie viel lieber mag, ist schöner warmer frischer Kot. Die Weibchen der Abortfliege legen ihre Eier gerne in der Nähe von Exkrementen – für die Nestwärme der Extraklasse. Den geschlüpften Larven steht dann die wichtigste Mahlzeit des Tages bevor: die Kotzeit. Darum lebt die Abortfliege eigentlich auch sehr gerne in der Nähe des Menschen und besiedelt Toiletten und andere Abflüsse. Wie soll ich da nur mithalten können?, dachte sich einst der eingeschüchterte Aronstab. Ein Motivationstraining bei einem illegal im Wald entsorgten Pömpel veränderte dann sein Leben. »Fake it, till you make it!«, sprach der Pömpel. Und der Aronstab tat es. Seine Blüte ist ein von einem Hochblatt umschlossener violett-brauner Kolben. Die Basis dieses Kolbens kann sich auf bis zu 40 °C erhitzen. Die Wärme macht es in dem Hochblatt nicht nur gemütlich, sondern sorgt auch dafür, dass die nach Kot duftenden Pheromone besonders effektiv abgegeben werden können.
Das ganze Theater findet am Abend statt. Ein gut gelungenes Schauspiel vom Aronstab, denn die Abortfliegen kommen tatsächlich in Scharen zu seiner Vorstellung, weil sie hier einen geeigneten Eiablageplatz vermuten.[1] Die kolbenförmige Blüte ist jedoch nicht so leicht zu erreichen, da sie ja vom Hochblatt umgeben ist. Das sieht ein bisschen so aus, als wäre die Blüte von einer Vase ummantelt. Nur nach oben hin ist dieses Hochblatt offen, ähnlich wie bei der Vase. Nun fliegen die kleinen Kotnascher also von oben in die »Vase« hinein, um zur Blüte zu gelangen, von der sie denken, sie sei ein Abfluss oder etwas ähnlich Appetitliches. Drinnen angekommen, hagelt es dann Enttäuschungen: Da ist gar kein Abfluss, sondern eine Blüte. Außerdem ist die Innenseite des Hochblattes verdammt ölig. So rutschen die Abortfliegen dann in einen Kessel im unteren Teil der Blüte. In den geht es zwar rein, aber nicht wieder raus. Doch der Aronstab ist glücklicherweise keine fleischfressende Pflanze, sondern nach wie vor nur eine nach Kot stinkende. Im Kessel werden die Abortfliegen zunächst von den Pollen, die sie bereits tragen, befreit. Dazu produziert die weibliche Blüte einen Empfängnistropfen, an dem die Pollen kleben bleiben. Danach werden die frisch gereinigten Fliegen wieder mit neuem Pollen bepudert. Am Morgen ist der Prozess abgeschlossen. Der Kessel öffnet sich plötzlich, und die Innenwände vom Hochblatt sind auch gar nicht mehr ölig. Freiheit! Die Abortfliegen können nun endlich wieder zum nächsten Fladen fliegen. Oder sie lassen sich wenige Meter weiter vom nächsten Aronstab erneut verführen.
Ein weiteres typisches Gewächs des Schluchtwaldes ist die Mondviole. Sie fühlt sich hier so wohl, weil es schön feucht und dunkel ist. Ähnlich wie der Aronstab ist auch die Mondviole eher nachtaktiv. Während die Aronstäbe die nächtliche Schlucht in Kloakeduft hüllen, wird die zur selben Zeit blühende Mondviole zum Duftstein im großen Fake-Klo. Mit ihren Blüten, die herrlich nach Flieder duften, lockt sie eine Vielzahl an Nachtfaltern an. Sehr zum Wohlwollen unserer Bechsteinfledermaus übrigens, die hier ja des Nachts mit ihrem grenzenlosen Kohldampf auf Insekten ihr Unwesen treibt. Auch tagsüber ist bei der blühenden Mondviole einiges los. Die ausgewachsenen Aurorafalter kommen jetzt sowohl zur Bestäubung der Blüten als auch, um ihre Eier an der Mondviole abzulegen. Weibliche Aurorafalter sind wahre Pheromonschleudern und hinterlassen mehr Abgase als die Wahl eines neuen Papstes. Es kostet die Männchen nämlich einiges an Energie, Ejakulat zu produzieren und ein geeignetes Weibchen zu finden. Freundlicherweise geben die Weibchen aber deutliche chemische Signale ab. Sind sie paarungswillig, werden sie circa 60 Sekunden lang von einem Männchen umworben. Sind sie jedoch paarungsunwillig, versuchen es die Männchen nur 3 Sekunden lang. Auch nach der Paarung werden fleißig weitere chemische Nachrichten verbreitet. Denn die Eier, welche die Weibchen unter anderem an der Mondviole ablegen, enthalten Pheromone, die den anderen Weibchen sagen sollen: »Legt an dieser Pflanze bloß nicht eure Eier ab, das ist meine!« Nichts da mit »sharing is caring«. Denn so eine frisch geschlüpfte Raupe kommt unter Umständen mit ziemlich mieser Laune auf die Welt. Findet sie noch andere Aurorafalter-Eier auf ihrer Futterpflanze, frisst sie diese auf, dass bloß keine anderen blöden Aurorafalter-Raupen schlüpfen. In der Hölle schmoren soll sie, diese gierige Konkurrenz!
Die Aurorafalter-Raupen sind nicht die einzigen Brutalos im Schluchtwald. Auch bei einigen Schnecken gelten hier nur die Gesetze der Straße. Denn die vielen Steine mit ihren feuchten Zwischenräumen bieten den perfekten Lebensraum für Raubschnecken. Allen voran sind da die Kleine Daudebardie und die Rötliche Daudebardie zu nennen. Im Gegensatz zum Großteil der schleimigen Verwandtschaft, die sich streng vegan ernährt, sind die beiden Daudebardien die Freaks auf jeder Familienfeier, die immer eine Extrawurst brauchen. Denn sie leben, man höre und staune, karnivor. Anders als viele andere Landschnecken verbringen sie die meiste Zeit des Tages unterirdisch und fressen dort Regenwürmer. Während die normalen veganen Schnecken Raspelzähne haben, sind die Zähne der Raubschnecken eher dolchartig geformt, damit sie ihre Opfer so richtig schön festhalten und zerreißen können.
Ein sehr sensibles Thema ist für die beiden Daudebardien ihr Körper. Sie sind nämlich Halbnacktschnecken. Das heißt, sie tragen zwar ein Schneckenhaus mit sich herum, in das sie aber nur als Jungtier gepasst haben. Denn dummerweise ist das Haus dann nicht mitgewachsen, und so schleppen die ausgewachsenen Schnecken winzige Häuser durch die Gegend, mit denen sie überhaupt nichts anfangen können. Manche Daudebardien tragen ihr Häuschen mit Stolz als stylisches Accessoire, während sie mal wieder einen Regenwurm zerfetzen. Andere hingegen sind echt genervt und denken, ihr Körper sei mit diesem unnötigen Haus einfach nur sinnlos von der Evolution verunstaltet worden.
Wo Gestein und Feuchtigkeit aufeinandertreffen, ist auch der Feuersalamander nicht weit. Die schwarz-gelben Amphibien sind alles andere als unauffällig, und doch bekommt man sie so gut wie nie zu sehen. Das liegt vor allen Dingen daran, dass sie nachtaktiv sind. Zu Uhrzeiten, zu denen wir Menschen im Schluchtwald nur noch schwarz vor Augen hätten und ein tödliches Unglück nahezu gewiss wäre, können die kleinen Salamander mit ihren ausgesprochen lichtempfindlichen Augen wunderbar sehen. Ausgestattet mit exzellenten optischen Sinnesorganen, machen sie sich des Nachts auf die Jagd nach allerlei Insekten und anderem kleinen Getier. Insbesondere im Orbit von Pilzfruchtkörpern halten sich die Feuersalamander gerne mal auf. Ein kulinarisches Interesse an diesen haben die flinken Amphibien aber keineswegs, vielmehr gelüstet es ihnen nach Nacktschnecken, die wiederum gerne mal von Pilzen naschen. Den Pilzen wiederum wird dieser Schutz durch das Abernten der gierigen Schnecken vermutlich gefallen. Salamander bedienen sich gerne am großen Nahrungsangebot im Lebensraum – doch wer frisst die Salamander? Niemand. Die Nahrungskette ist an dieser Stelle defekt und lässt sich auch von keinem Juwelier reparieren.
Das bunte Äußere des Feuersalamanders wird auch als Warntracht bezeichnet. Er trägt die Warntracht allerdings nicht aus nostalgischen Gründen und besucht damit regelmäßig Trachtenumzüge zu den Klängen traditioneller Blasmusik. Nein, seine Warntracht ist ein nett gemeinter Hinweis an so ziemlich alle anderen Lebewesen: Wenn du mich angreifst, verpass ich dir eine dermaßen giftige Abreibung, dass du leiden wirst wie nie zuvor. Das könnte für Tiere, die darauf nicht hören wollen, gravierende Folgen haben: Maulsperre, Genickstarre oder eben auch mal der Tod. Erstaunlicherweise nehmen die meisten potenziellen Fressfeinde diese Warntracht auch sehr ernst. Wer auf der Arbeit oder Ähnlichem nicht so gerne angesprochen wird, kann sich ja mal in ein Ganzkörper-Latexkostüm in Salamander-Optik werfen und berichten, ob es auch bei Menschen funktioniert.
Fortpflanzungswillige Feuersalamander-Weibchen sind übrigens äußerst unabhängig von den Männchen. Bei den meisten anderen Lebewesen sieht es ja zumeist so aus: Man möchte vielleicht Kinder, aber die Auswahl auf dem Singlemarkt ist einfach eine Katastrophe. Nun hat man die Wahl: entweder keine Kinder – oder Kinder mit einem »Kompromiss«. Denn Feuersalamander-Weibchen reicht es völlig aus, wenn sie ihren Traummann nur ein einziges Mal auf ein Stelldichein treffen. Sowie sie seinen Samen haben, haben sie auch schon gewonnen. Denn sie können diesen jahrelang im Körper aufbewahren und jedes Jahr ein paar Spermien zu Nachwuchs verwursten. Männer sind danach nicht mehr relevant für die Reproduktion, sondern nur noch optional. Die Salamander-Mädels legen übrigens keine Eier, was äußerst ungewöhnlich für Amphibien ist. Sie tragen zwar Eier in sich, doch in dem Moment, in dem sie diese ans Tageslicht befördern, platzen die Eier auf, und es kommen direkt Larven als Lebendgeburten zur Welt. Das Leben des Nachwuchses ist dann aber erst mal nicht so chillig wie das der Erwachsenen, denn die Larven verfügen über noch kein Gift und stehen daher auf dem Speiseplan vieler Tiere. Unter anderem werden sie von unserer schon bekannten Wasseramsel gefressen, aber auch von der Wasserspitzmaus. Und die hat es faustdick hinter ihren Mini-Öhrchen.
Die Wasserspitzmaus lebt recht nahe am Gewässer, denn sie ist aufs Schwimmen und Tauchen spezialisiert. Jeden Tag frisst sie in etwa das Äquivalent zu ihrem eigenen Körpergewicht. Wasserspitzmäuse geben recht viel Wärme an die Umgebung ab und verbrennen Unmengen an Energie, weshalb sie auch reichlich jagen und futtern müssen. Der hohe Energieverbrauch findet ausgerechnet bei der Jagd statt, denn damit die Kälte beim Tauchen nicht an die Haut heranreicht und die Maus unterkühlt, bilden sich in den Deckhaaren des Fells Luftbläschen. Die sorgen dann aber wieder für Auftrieb beim Tauchgang, weswegen extra viel gepaddelt werden muss. Ganz schön fordernd, so ein Wasserspitzmausleben. Irgendwie klingt das nicht gerade nach einem Gewinn in der Evolutionslotterie. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, denn die Wasserspitzmaus zählt zu den wenigen giftigen Säugetieren, die es gibt. Das possierliche Mäuschen produziert nämlich einen giftigen Speichel, der für kleine Tiere lähmend oder sogar tödlich sein kann. Dieser Speichel wird durch Kanäle über die Schneidezähne abgegeben. Dadurch ist die Maus in der Lage, auch mal einen Frosch oder Fisch zu erbeuten und zu verspeisen. Für Menschen wäre ein Biss übrigens nicht gefährlich, maximal Hautausschlag könnte die Folge sein. Damit ist zumindest sichergestellt, dass Wasserspitzmäuse vorerst nicht die Weltherrschaft an sich reißen.