Fatebug - Veit Beck - E-Book

Fatebug E-Book

Veit Beck

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Beschreibung

Was für die Ermittler zunächst nach einer gewöhnlichen, wenn auch äußerst grausamen, Mordserie aussah, entpuppt sich bald als Alptraum. Offenbar hat es ein Serientäter auf Hater abgesehen, die in den sozialen Netzwerken ihr Unwesen treiben. Und er begnügt sich nicht mit dem Töten, sondern veröffentlicht noch Videos seiner Taten in den Netzwerken. Schnell wird die Mordserie zum zentralen Thema in den Medien, dominiert Nachrichten und Talkshows. Netzwerkbetreiber und Politiker geraten unter Druck ihr Verhalten und die Gesetzesgrundlagen für die Netzwerke zu ändern. Und die Ermittler treten auf der Stelle. Zu geschickt nutzt der Täter die Netzwerke, instrumentalisiert Medien und Öffentlichkeit und begeht dabei Mord um Mord ohne Fehler zu machen. Doch dann findet Hauptkommissar Strecker eine Spur. Aber wird sie auch zum Täter führen? Und werden die Ermittler schnell genug sein? Denn je näher sie dem Verdächtigen kommen, umso größer wird ihre Gewissheit, dass der nächste Mord unmittelbar bevorsteht.

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Seitenzahl: 500

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Veit Beck

Fatebug

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1.

Inmitten des Grauens stand Strecker grinsend in der Ecke. Obwohl er einen derartigen Tatort trotz seiner vielen Dienstjahre noch nicht gesehen hatte, konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er konnte sich seinen jungen Kollegen, Max Lohr, lebhaft vorstellen, wie der sich vor der Tür die Seele aus dem Leib kotzte, mitleidig belächelt von den Beamten der Streife und der Spurensicherung. Vielleicht kam ja auch noch der Dienststellenleiter vorbei und konnte sich persönlich davon überzeugen, was er da für ein Weichei eingestellt hatte. Die Tat war grauenvoll genug, um großes Aufsehen zu erwecken. Da sollte sich der Verantwortliche schon ein Bild machen, bevor er von der Presse aufgerieben wird.

„Ich bin jetzt soweit fertig“, riss der Pathologe Dr. Marx Hauptkommissar Strecker aus seinen Gedanken. „Nein, ich kann ihnen noch nicht sagen, woran das Opfer letztlich gestorben ist. Sie haben die Leiche ja selbst schon gesehen. Da gibt es einfach zu viele Möglichkeiten. So einen Fall hatte ich noch nie. Und will ihn auch nicht mehr haben. Der Tod ist vor ca. 24 Stunden eingetreten. Mehr kann ich ihnen hoffentlich nach der Autopsie morgen sagen. Geben sie meinen Assistenten Bescheid, wenn sie die Leiche abtransportieren können. Ansonsten gehört sie jetzt erst einmal ihnen.“

Dann drehte Dr. Marx sich um und ging hinaus zu seinem Wagen.

„Einen schönen Abend noch“, knurrte Strecker hinter ihm her.

Er holte tief Luft und wollte sich gerade der Leiche zuwenden, als tatsächlich der Dienststellenleiter, Kriminalrat Brandt, zur Tür hereinkam. Er ging auf Strecker zu um ihn zu begrüßen, stoppte aber abrupt, als er die Leiche sah. Er schlug die Hände vor das Gesicht und stammelte ein „oh Gott“ oder Ähnliches. Kopfschüttelnd trat er noch näher an die Leiche heran und umrundete einmal den ganzen Tisch auf dem der Täter sein Opfer fixiert hatte.

„Das darf nie an die Presse. Wenn das rauskommt, haben wir für die ganze nächste Woche die Titelseiten aller Zeitungen sicher und Heerscharen von Reportern am Hals. An die damit verbundene Panik der Öffentlichkeit will ich gar nicht denken müssen. Also kein Wort zur Presse. Schweigen aus ermittlungstaktischen Gründen und auf eine baldige Pressekonferenz verweisen. Sorgen Sie dafür, dass das alle Anwesenden erfahren und sich tunlichst daran halten. Ich bekomme spätestens morgen Mittag einen Bericht. Lassen Sie sich von Frau Meier-Uhland einen Termin geben“.

Genauso wie er über den Anblick des Opfers die Begrüßung vergessen hatte, verschwand er grußlos in die Nacht.

Strecker atmete tief durch und trat einige Schritte näher an die Leiche heran. Mittlerweile hatten die Kollegen der Spurensicherung die Fundstelle mittels mehrerer auf Stativen befestigter Scheinwerfer gut ausgeleuchtet. Jetzt konnte er das ganze Grauen sehen. Er hatte Mühe den Brechreiz zu kontrollieren.

Um die Leiche würden sich die Pathologen kümmern. Gott sei Dank. Strecker konzentrierte sich auf den Raum.und den darin befindlichen Gegenständen. Womit auch immer der Mörder gearbeitet hatte, er hatte es nicht zurückgelassen. Einzig der Tisch, auf dem das Opfer mit vier Kabelbindern an Händen und Füßen fixiert war, war eindeutig als mit der Tat in Verbindung stehendes Objekt zu identifizieren. Es handelte sich um einen Metalltisch mit Rollen und Bügeln zum Schieben an den beiden schmalen Seiten. Theoretisch hätte die Tat auch an einem anderen Ort vollbracht und der Leichnam auf dem Tisch hereingerollt worden sein. Jedoch führte nur eine, aus vereinzelten Flecken bestehende, Blutspur von der Eingangstür zum Tisch beziehungsweise dem Blutsee von zirka zwei bis drei Metern Durchmesser, der den Tisch umgab. Zur zweiten Tür, die in den linken Nebenraum führte, gab es keine Spuren. Sie war verschlossen. An der hinteren Wand, außerhalb der Blutlache, stand ein Metallschrank, dessen Türen teilweise geöffnet waren. Er barg somit wahrscheinlich keine hilfreichen Geheimnisse mehr.

„Das war sicher einmal eine Art kleine Werkstatt“, murmelte Strecker vor sich hin. „Eine kleine Werkstatt in einem ziemlich verlassenen und heruntergekommenen Industrieareal. Hierhin kam niemand und wenn, dann mit wenig guten Absichten“.

„Draußen wartet noch der Zeuge, der die Leiche gefunden hat“, rief sein Kollege Lohr von der Tür aus in den Raum. „Wollen Sie noch mit ihm sprechen?“

„Nein, das können sie erledigen. Der wird sowieso nichts Wesentliches gesehen haben. Denken sie aber daran, ihn zu fragen, was ihn hierher getrieben hat und wann er davor das letzte Mal hier war“.

„Der hält mich wirklich für einen absoluten Anfänger“, dachte Max Lohr.

Wie zur Bestätigung gab ihm Strecker gleich noch weitere Empfehlungen für die nächsten Schritte. „Machen Sie ein Foto von dem Toten und gehen sie die Vermisstenanzeigen durch. Papiere, Kleidungstücke oder sonstige Dinge, die uns bei der Identifizierung helfen könnten, sind ja offensichtlich nicht vorhanden“, sagte er, unterstützt durch eine Kopfbewegung, die Lohr zu dem nackten Leichnam blicken ließ. „Und kein Wort und kein Bild an irgendjemanden außerhalb unseres Teams. Auch nicht an den Kriminalrat. Wenn sie etwas zu sagen haben, sagen sie es mir. Wir sehen uns morgen früh.“ Dann war er weg.

Lohr wagte sich nun zögerlich etwas näher an die Leiche heran. Sofort meldete sich die Übelkeit wieder, aber dieses Mal war nichts mehr vorhanden, was seinen Magen noch hätte verlassen können. So etwas hatte er sich nicht im Entferntesten vorstellen können. Es gab Aspekte an seinem Beruf, die er definitiv nicht brauchte. Er holte sein Mobiltelefon aus der Jackentasche und machte jeweils ein Foto vom Gesicht des Opfers, soweit dies erfassbar war und fotografierte anschließend noch den ganzen Körper. Zudem schätzte er die Größe und das Gewicht ab. Dann verließ auch er den Raum.

Draußen vor der Tür wartete immer noch der Zeuge. Die Befragung erbrachte die mageren, seitens Hauptkommissar Strecker bereits prognostizierten Erkenntnisse.

Der junge Mann gab an, einen Spaziergang gemacht und plötzlich Harndrang verspürt zu haben und vom Weg zur Halle gegangen zu sein, um sich an der Wand zu erleichtern. Dabei wäre ihm ein komischer Geruch aufgefallen, der aus der leicht geöffneten Tür herausgeströmt kam. Er hätte die Tür etwas weiter geöffnet, mit seinem Feuerzeug etwas Licht gemacht, den Körper entdeckt und sofort die Polizei angerufen. Nach einer knappen Viertelstunde wäre ein Streifenwagen gekommen, er hätte die Beamten auf die Tür hingewiesen und seitdem, wie von den Beamten gewünscht, hier gewartet.

„Mittlerweile seit mehr als vier Stunden“, wie er abschließend bemerkte.

„Da war ihm aber sicher nicht langweilig gewesen, denn es hatte ja bestimmt auch einiges zu spannen gegeben“, dachte sich Max Lohr, ließ sich sicherheitshalber nochmals Namen und Adresse des Zeugen geben, bedankte sich und entließ den Mann in die Nacht. Dann gab er dem letzten noch anwesenden Mitarbeiter der Spurensicherung das Signal, dass er den Tatort verschließen und versiegeln könnte. Mittlerweile war es kurz vor 2:00 Uhr. Zeit in´s Bett zu kommen, der morgige Tag würde lang und anstrengend werden.

2.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie die Kamera übersehen würden. Es war auch faszinierend, wie klein, aber doch leistungsfähig diese Geräte heutzutage waren, aber wenn man den Raum gründlich abgesucht hätte, hätte man die Kamera entdecken müssen. Nun könnte er theoretisch einfach zum Tatort zurückkehren und das Gerät entfernen.

Aber das wäre natürlich ein ziemliches Risiko und zudem hatte er sich so viel Mühe gegeben, damit man den Übertragungsweg nicht zu ihm zurückverfolgen konnte. Sollte das alles unnötig gewesen sein? Und vielleicht käme ja noch die ein oder andere interessante Ergänzung hinzu, obwohl er mit dem bisherigen Ergebnis schon mehr als zufrieden war. Der Kriminalrat würde seine Worte von vorhin noch bedauern. Aber noch war es zu früh. Noch gab es einige wichtigere Dinge zu erledigen.

Er schloss das Bildschirmfenster mit der Übertragung vom Tatort und kontrollierte kurz die Qualität des aufgezeichneten Videos. Dann öffnete er die elektronische Akte seines nächsten Ziels.

3.

Als um 7:00 Uhr der Wecker klingelte, war Max Lohr schon halbwach. Obwohl er erst um kurz vor 3:00 Uhr in´s Bett gekommen war, hatte er kaum Schlaf finden können. Aber das war kein Wunder nach dem gestrigen Abend. Er sprang auf, füllte und startete die Kaffeemaschine und ging in das Bad. Nach einer gründlichen Rasur und einer schnellen Dusche zog er sich an und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Noch vor dem ersten Schluck warf er einen Blick auf sein Handy. Kaum hatte er den Flugmodus ausgestellt, zeigte es ihm an, dass er zwischenzeitlich drei verpasste Anrufe hatte.

Ein Blick auf die Anrufliste bestätigte seine Erwartung: Strecker. Das erste Mal um kurz nach 6:00 Uhr von seinem Mobiltelefon, dann erfolglose Versuche aus dem Büro um 6:30 Uhr und kurz vor 7:00 Uhr. Das würde wieder einen schönen Disput geben. Er konnte die Phrasen um die Begriffe „Dienstauffassung“, „immer im Dienst“ und „Verantwortungsbewusstsein“ quasi schon hören. Auf die Begrüßung freute er sich jetzt schon. Die ließ trotz seines schnellen Aufbruchs aber noch auf sich warten. Max Lohr wohnte zwar auf der eigentlich richtigen Seite der Stadt, jedoch lag das Präsidium auf der anderen, in der Gesinnung des Kölners, der falschen Rheinseite. Folglich musste er auf dem Weg zur Dienststelle über eine der Brücken, die zu den Hauptverkehrszeiten in beiden Richtungen zum Nadelöhr wurden.

„Guten Tag“, begrüßte ihn der Hauptkommissar als er deutlich nach 8:00 Uhr ihr gemeinsames Büro betrat. „Ich hatte mir schon Sorgen gemacht“, fuhr er fort, „dass ich sie leblos auf einem Tisch festgebunden wieder finden würde“.

Lohr erwiderte nichts, außer dem Gruß und überraschenderweise ließ auch Hauptkommissar Strecker es dabei bewenden.

„Geschmacklos, aber immerhin kurz“, dachte sich Kommissar Lohr und schaltete seinen Rechner ein. „Gibt es schon etwas Neues“, fragte er den Hauptkommissar.

„Das hatte ich mir von Ihnen erhofft“, erwiderte dieser. „Was ist denn bei der Suche nach den vermissten Personen herausgekommen?“

„Ich bin noch nicht ganz durch“, antwortete Lohr. Er hatte keine Lust auf einen Streit und ignorierte daher die Attacke seines sogenannten Kollegen einfach. Statt dessen öffnete er auf dem Computer das Programm mit den Daten der aktuellen Vermisstenanzeigen. „Viel Hoffnung brauchen wir uns nicht zu machen. Wenn er erst 24 Stunden tot war, wird er wahrscheinlich noch gar nicht als vermisst gemeldet sein“.

„Sie müssen berücksichtigen, dass es sicher einige Zeit gedauert hat, um das Opfer in den bemitleidenswerten Zustand zu versetzen. Und ich will dem Doktor nicht vorgreifen, aber das war mit Sicherheit kein schneller Tod. Sie sollten also den Zeitraum der letzten vier Wochen durchgehen. Rufen Sie aber vorher nochmals in der Pathologie an. Wenn die Pathologen schon obduzieren oder sogar fertig sind, bekommen sie vielleicht noch Informationen, die bei der Suche hilfreich sein könnten. Wenn nicht, erinnert sie die Nachfrage zumindest daran, dass wir ungeduldig auf ihre Ergebnisse warten. Bis 10:30 Uhr brauche ich auch den Bericht. Viel haben wir ja noch nicht, da sollten Sie das locker schaffen können. Um 12:00 Uhr muss ich zum Chef. Da sollten wir was zum Vorzeigen haben. Selbst wenn es nur ein Stück Papier ist.“

Trotzdem er einen Berg dringlicher Aufgaben vor sich hatte, öffnete Max Lohr zuerst seinen Browser und klapperte die gespeicherten Lesezeichen der Webseiten der lokalen und einigen überregionalen Zeitungen ab. Über den Leichenfund wurde, zumindest in der regionalen Presse, schon überall berichtet. Hinsichtlich der besonderen Umstände fand sich aber noch nirgends ein Hinweis. Die Vergatterung hatte gehalten. Zumindest bis jetzt.

Lohr griff zum Hörer und wählte die Nummer der Pathologie. Wie häufig musste er es lange klingeln lassen, ein gutes Zeichen, denn dann konnte man annehmen, dass die Pathologen anderweitig sehr beschäftigt waren.

Als der Anruf endlich entgegengenommen wurde, meldete sich Bernd Krause, einer der Assistenten von Dr. Marx. „Nein, wir können ihnen noch nichts sagen“, antwortete dieser auf Kommissar Lohr´s Frage.

„Wir haben gerade erst angefangen. In zwei Stunden wissen wir mehr. Sobald wir fertig sind, rufen wir sie oder Hauptkommissar Strecker an.“ Dann legte er auf.

Also noch keine Informationen, die bei der Identifizierung helfen könnten. Mit knurrendem Magen, denn zum Frühstück hatte es ja heute Morgen nicht gereicht, beschäftigte er sich mit dem Vermisstenregister, einer zentralen Datei, die beim Bundeskriminalamt geführt wurde und alle als vermisst gemeldeten Personen enthielt. Max Lohr kannte sich mit neuzeitlicher Technologie bestens aus, daher war es für ihn kein Problem, die Menge der Einträge auf männliche Personen im Alter zwischen 25 und 45, die in den letzten vier Wochen als vermisst gemeldet wurden, einzuschränken. Die Treffermenge enthielt trotzdem noch an die 100 Einträge.

Natürlich wusste er, dass in Deutschland jährlich über 100.000 Vermisstenanzeigen aufgenommen werden, aber die meisten Einträge waren üblicherweise nur von kurzer Dauer, da die gemeldeten Personen wieder auftauchten oder ihr Verbleib geklärt werden konnte. Ca. 5% der Einträge blieb in der Regel langfristig in der Kartei und wurden nur noch sporadisch geklärt. Trotzdem kamen für den Fall noch überraschend viele, zu viele Einträge in Frage. Doch zwei weitere Selektionskriterien, Größe und Gewicht dampften die Treffermenge auf gut 30 Personen ein.

Natürlich hätte er auch noch nach Haar- und Augenfarbe abgleichen können, jedoch verzichtete er bewusst auf eine weitere Abfrage nach diesen Kriterien. Zu gut war ihm noch der Vortrag eines seiner Ausbilder auf der Polizeiakademie in Erinnerung, der eindringlich vor der Nutzung dieser Kriterien gewarnt hatte. Überraschend viele Menschen hatten offenbar ihre eigenen Vorstellungen von Farbe, so dass diese Angaben in der Vermisstenkartei sich häufig als falsch erwiesen. Zur Eingrenzung einer ansonsten unüberschaubaren Treffermenge wäre ihre Anwendung vielleicht angebracht, aber nicht bei den im aktuellen Fall noch verbleibenden ca. 30 Vermissten.

Auf seinem Smartphone aktivierte der Kommissar seine Bildergalerie und holte das Foto mit dem Gesicht des Mordopfers auf das Display. Es dauerte nur wenige Minuten und er hatte die Liste mit den Kandidaten in drei Kategorien aufgeteilt „ausgeschlossen“, „unwahrscheinlich“ und „möglich“. Die Menge „Möglich“ enthielt acht Akten, die er sich nun genauer vornahm. Nochmals sah er sich die in der jeweiligen Akte enthaltenen Bilder an und verglich sie mit dem Photo auf seinem Handy. Auf Grund der Bilder und der Daten über Größe, Gewicht und nun auch Haar- und Augenfarbe sortierte er weitere fünf Kandidaten aus und ordnete diese im Ordner mit den unwahrscheinlichen Personen ein.

Die Akten der drei Favoriten druckte er aus und legte eine Kopie auf den Schreibtisch von Hauptkommissar Strecker. Damit hat der beim Kriminalrat zumindest schon mal etwas von seinem Papier zum Vorzeigen. Mehr konnte er hier am Schreibtisch aktuell nicht tun und bevor er wegen weiterer Recherchen auf die Personen im Umfeld der Verschwundenen zuging, war es ratsam, auf die Erkenntnisse der Pathologen zu warten.

Also wandte er sich dem Bericht zu. Da sie noch nicht viel wussten, war auch nicht viel zu dokumentieren, folglich war er schnell fertig. Aber nicht schnell genug, um in die Kantine zu verschwinden, bevor Strecker wieder in das Büro kam. Dass dieser noch missmutig auf einem Rest von einem Brötchen herumkaute und offensichtlich zwischenzeitlich in die Kantine abgetaucht war, verbesserte die Laune von Lohr kaum. Was die schlechte Laune anging, waren sie sich endlich einmal ebenbürtig.

„Haben sie schon etwas herausbekommen“, fragte Strecker mit noch vollem Mund. Missmutig wies Max Lohr auf die Akten auf Streckers Schreibtisch hin.

„Die Pathologen sind noch dran. Daher ist das alles, was wir bisher haben. Wenn die Pathologen uns keine weiteren Erkenntnisse liefern, werden wir uns im Umfeld der Vermissten umsehen und uns dort weitere Informationen und Materialien holen müssen“.

„Dann ist ihr Nachmittag ja bereits gut verplant“, erwiderte Hauptkommissar Strecker. Er hatte sich gerade die Akten vorgenommen, als sein Telefon klingelte. Die Pathologie rief an, um den Kommissaren mitzuteilen, dass die Obduktion abgeschlossen war. Wenn sie nicht auf den Bericht warten wollten, sollten sie sofort herüberkommen.

Natürlich wollten sie nicht warten. Kommissar Lohr hatte zwar nur den Teil des Gespräches verfolgen können den der Hauptkommissar gesprochen hatte, aber den gesamten Inhalt konnte er sich leicht zusammenreimen. Noch vor Strecker sprang er von seinem Stuhl auf und machte sich, verfolgt von seinem Kollegen auf den Weg in die Garage.

4.

Das Institut für Rechtsmedizin war ungefähr fünf Kilometer vom Kommissariat entfernt. Da es auf der anderen Rheinseite lag, würden sie einige Zeit unterwegs sein.

„Mit dem Termin beim Chef wird es dann schon eng“, dachte sich Strecker, als er zu seinem Kollegen in den Wagen stieg, aber ironischerweise konnte der warten, die Leiche nicht. Da es mittlerweile spät am Vormittag war, kamen sie gut voran. Während der Fahrt informierte Strecker Frau Meier-Uhland über den dringenden Termin in der Rechtsmedizin und bat sie, ihren Chef über die sich abzeichnende Verspätung zu informieren.

Lohr parkte den Wagen auf dem institutseigenen Parkplatz, auf dem für die Polizei immer einige Plätze reserviert waren. So schnell es Streckers Konstitution zuließ, marschierten sie in Richtung der Obduktionsräume in deren Nähe Dr. Marx sein Büro hatte. Die Tür war angelehnt, so dass sie mit einem kurzen eher angedeuteten Klopfen eintraten und sich dem Handzeichen von Dr. Marx gehorchend, auf die zwei Stühle vor seinem Schreibtisch niederließen. Dr. Marx war noch am Telefonieren. Da er Verständnis für die Ungeduld der Ermittler hatte, vertröstete er seinen Gesprächspartner auf einen baldigen Rückruf und wandte sich seinen Besuchern zu.

„Einen schönen guten Morgen die Herren“, eröffnete der Pathologe das Gespräch. „Ich will sie nicht lange auf die Folter spannen. Der nun tote Mann war ca. 40 Jahre alt, 186 cm groß und wog 97 Kilogramm. Augen blau, Haare braun. Die körperliche Konstitution vor dem Ableben war offensichtlich gut, abgesehen von dem leichten Übergewicht. Er hatte weder Organschädigungen noch größere Verletzungen. Alte Verletzungen meine ich natürlich, bevor er durch wen auch immer aufgeschlitzt wurde. Am Oberkörper und den Oberarmen fanden wir leichte Hämatome, vermutlich wurde das Opfer dort fest gepackt, zum Beispiel, um es auf den OP-Tisch zu bewegen. Natürlich hatte er auch Einschnitte und Quetschungen an den Hand- und Fußgelenken als Folge der Fesselung an die Tischbeine. Die Fesselung erfolgte durch handelsübliche Kabelbinder. Die Tiefe der Einschnitte deutet darauf hin, dass er heftig, trotz der daraus sicher resultierenden Schmerzen, an den Fesseln gezerrt hatte. Ob dies während der, nennen wir es Operation geschah oder erst bei anschließenden Befreiungsversuchen, lässt sich nicht definitiv sagen. Wir haben geringe Spuren eines Betäubungsmittels in seinem Blut gefunden. Die Beschaffenheit und Konzentration lässt allerdings vermuten, dass er damit betäubt wurde, um ihn zu entführen oder einfacher fixieren zu können. Die eigentliche Tat dürfte er bei vollem Bewusstsein, sofern er nicht vor Schmerzen bewusstlos geworden ist, miterlebt haben. Für die Fixierung des Dickdarms wurden übrigens Metallklammern verwendet, die wahrscheinlich mit einem Tacker angebracht wurden. Gestorben ist er letztendlich an Blutverlust. Glücklicherweise muss man schon fast sagen, hat der Täter einige Blutgefäße erwischt, die das Opfer ca. zwei bis drei Stunden nach ihrer Durchtrennung verbluten ließen. Eintritt des Todes vor ungefähr 36 Stunden. Die Tat fand also vorgestern Abend bzw. am späten Nachmittag statt. Details dann in meinem Bericht. Noch Fragen meine Herren? Ach so, nein, wir haben keine Spuren gefunden, die auf ein Sexualvergehen hinweisen könnten, zumindest eines im Rahmen des normalen Vorstellungsvermögens. Weder am noch im Opfer ließ sich Spuren von genetischem Material oder Verletzungen finden, die in diese Richtung weisen könnten.“

„Haben sie so etwas schon mal gesehen“, fragte Kommissar Lohr mit unsicherer Stimme.

„Nein“, antwortete der Pathologe. „Obwohl ich mal gelesen habe, dass die Karthager bei Hinrichtungen ihre Delinquenten aufschlitzten und den Darm aufwickelten. Auch in England zur Zeit Heinrich VIII wurden Todeskandidaten häufig bei lebendigem Leibe ausgeweidet und ihr aus dem Körper entfernter, aber noch mit ihm verbundener, Darm sogar noch angezündet. Aber dass jemand das Ende eines abgetrennten Dickdarmes am Mund eines Opfers fixiert, habe ich noch nie gehört. Und mir bis gestern auch nicht vorstellen können“.

„Gab es noch Spuren oder Hinweise, die uns bei der Identifizierung helfen könnten? Tattoos, Narben oder etwas ähnliches“, fragte Kommissar Lohr den Gerichtsmediziner.

„Nichts dergleichen“, antwortete dieser. „Abgesehen von Spuren, die voraussichtlich von einem alten Schienbeinbruch stammen. Aber der muss vor langer Zeit passiert sein. Mehr als 20 Jahre zurück schätze ich. Auch das Gebiss zeigte keine besonderen Auffälligkeiten. Ein extrahierter Backenzahn links oben, aber ansonsten vollständig. Keine Lücken, Prothesen oder Kronen. Wenn sie wollen, können sie noch einen Blick auf die Leiche werfen. Wenden sie sich an meinen Assistenten. Sie finden ihn drüben im Obduktionssaal. Ich müsste mich nun mit dem nächsten Fall beschäftigen. Den Bericht bekommen sie im Laufe des Nachmittags“.

Das war ein deutlicher Hinweis, dass der Termin beendet war, dachte sich Max Lohr. Er bedankte sich, im Gegensatz zu Hauptkommissar Strecker, der sich wortlos erhob und den Raum verließ. Überhaupt hatte er während des ganzen Termins kein Wort gesagt.

Auf dem Rückweg ließen sie sich vom Assistenten die nun obduzierte Leiche zeigen. Kommissar Lohr machte mit seinem Handy noch einige weitere Bilder, insbesondere vom nun gereinigten Gesicht des Opfers. Vielleicht wären sie bei den anstehenden Besuchen bei den potentiellen Angehörigen hilfreich. Er lieferte den Hauptkommissar beim Präsidium ab und fuhr dann gleich weiter.

5.

Hauptkommissar Strecker durchquerte währenddessen zögerlich das Foyer des Präsidiums. Der Termin beim Kriminalrat stand an. Und der würde jede Menge Fragen, Vorwürfe und vor allem Vorschläge haben, wie man den Fall erfolgreich angehen könnte. Der einzige Lichtblick an dem Termin war die Notwendigkeit, vor dem Zutritt zum Dienstzimmer des Chefs sein Sekretariat zu durchqueren und somit die Gelegenheit zu haben Frau Meier-Uhland zu begegnen. Und wenn der Chef nicht gleich verfügbar war, bestand sogar noch die Gelegenheit für eine kurze Unterhaltung, samt Blickkontakt.

Während er durch die Flure des Präsidiums ging, schweiften seine Gedanken ab und er dachte über sein Leben nach. Nun war er Ende 50, allein lebend, ohne feste Beziehung und mit einem sehr überschaubaren Freundeskreis. Ein Privatleben fand seit Jahren praktisch nicht mehr statt, jedenfalls wenn man soziale Beziehungen mit anderen Menschen als Maßstab anlegte. In früheren Jahren hatte er durchaus einige, manche würden sogar behaupten viele, Beziehungen zum anderen Geschlecht gehabt. Doch die endeten immer schnell. Ob sein Beruf, - das Klischee des beim Sex klingelnden Telefons hatte er mehrfach erfüllt -, Ursache oder nur eine willkommene Ausrede für seine Beziehungsprobleme waren, mochte er selbst nicht entscheiden. Seine Partnerinnen gewannen jedenfalls meist sehr früh den Eindruck, dass er nur mit seinem Beruf verheiratetet war. Rückblickend war er froh, dass er sich nie zwischen dem Beruf und der sich vernachlässigt gefühlten Partnerin entscheiden musste. Keine hatte ihm eine Entscheidung abverlangt, sie waren alle mehr oder weniger einfach von selbst gegangen. Nun hatte er seit Jahren keine richtige Beziehung mehr gehabt. Ein paar One-night-stands mit anschlussbedürftigen Damen, die er in zweifelhaften Etablissements aufgabelte. Jedes Mal war zumindest eine der am Geschlechtsakt beteiligten Personen ziemlich betrunken gewesen. Ein paar Besuche bei professionellen Dienstleisterinnen. Das war´s. Der Beruf bedeutete ihm alles. Damals. Kein Einsatz war ihm zu viel. Und es schien sich zu lohnen. Die meisten seiner Fälle konnte er in erstaunlich kurzer Zeit lösen, die Beförderungen ließen nicht lange auf sich warten. Angestachelt vom Ehrgeiz legte er an seine Kollegen die gleichen Maßstäbe an. Ein Privatleben war für die Mitarbeiter seiner Teams nicht mehr möglich. Er kontaktierte sie gedankenlos, zu jedem Zeitpunkt zu dem er meinte bei der Arbeit Unterstützung brauchen zu können. Und er arbeitete pausenlos, so dass es für seine Mitarbeiter eher die Regel als Ausnahme war, auch mitten in der Nacht oder am Wochenende angerufen zu werden. Und mit dem Anruf war es nicht getan, am Ende des Telefonats stand für die Kollegen häufig ein Auftrag, der natürlich sofort zu erledigen war. Erst sprachen ihn die Kollegen darauf an, dann beschwerten sie sich und schließlich ließen sie sich versetzen. Dafür Verständnis aufzubringen fiel ihm schwer, genauso wie sich mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten. Das isolierte ihn im Kommissariat zusehends, selbst langjährige Kollegen gingen auf Distanz. Sein Freundeskreis hatte ihn in Folge seiner Arbeitswut schon vergessen, wie auch er ihn schon vergessen hatte.

Bald war dann auch mit den Beförderungen Schluss. Seinen Vorgesetzten waren die Probleme mit den Kollegen nicht verborgen geblieben, auch mit neuen Kollegen gab es immer wieder schnell Schwierigkeiten. Niemand wurde so richtig warm mit ihm, keiner blieb länger. Folglich entwickelte er sich mehr und mehr zu einem Einzelgänger. Sein Hang zu Alleingängen und die daraus resultierende sparsame Kommunikation führten zu permanenten Konflikten. Wie ein Strudel seine Opfer nach unten zog, versank Strecker in einem stetig zunehmenden Wirbel von Frustration und Isolation.

Auch gerade hatte er wieder dazu beigetragen. Denn erst kurz bevor er die Tür des Sekretariats von Kriminalrat Brandt erreichte, fiel ihm auf, dass er auf seinem gedankenverlorenen Gang durch das Präsidium alle Grüße von Kollegen ignoriert und somit auch nicht beantwortet hatte. Er klopfte an, freute sich auf Frau Meier-Uhland und trat auf ihr „Herein“ ein.

Aber das Vergnügen war kurz. Kaum hatte er das Büro betreten und die Sekretärin begrüßt, griff sie schon zum Hörer und informierte den Kriminalrat über Streckers Eintreffen. Mit einer eleganten Kopfdrehung in Richtung der Verbindungstür beschied sie Strecker direkt in das Büro von Kriminalrat Brandt einzutreten.

„Strecker! Kommen Sie herein und nehmen sie Platz“, begrüßte ihn der Kriminalrat der ihm, die rechte Hand zu Begrüßung vorgestreckt, entgegenkam. Nach dem Händeschütteln führte er den Hauptkommissar zu einer kleinen Sitzecke und signalisierte ihm, das er auf dem Sofa Platz nehmen sollte. Er selbst setzte sich auf den Sessel, der auf der anderen Seite des kleinen Couchtisches stand.

„Kann ich Ihnen einen Kaffee bringen lassen?“, fragte der Kriminalrat. Normalerweise hätte Strecker abgelehnt, aber da Frau Meier-Uhland den Kaffee bringen und servieren würde, wollte er sich die Chance auf einen zusätzlichen Blick nicht entgehen lassen.

„Gerne“, erwiderte er daher.

„Wie steht es mit dem Fall? Gibt es schon Fortschritte?“

Strecker berichtete kurz von den Ereignissen des Vormittags, den drei vielversprechenden Spuren um die Identität des Opfers feststellen zu können und wollte gerade auf den Besuch in der Pathologie zu sprechen kommen, als die Sekretärin mit dem Kaffee hereinkam. Selbst Zucker und Milch ließ er sich anreichen, obwohl er den Kaffee eigentlich klischeegerecht schwarz trank. Nachdem sie wieder unter sich waren, fasste er die Aussagen des Pathologen kurz zusammen. Brandt hörte aufmerksam und schweigend zu, selbst als Strecker anschaulich vortrug, was der Mörder mit seinem Opfer angestellt hatte, zeigte er keine Reaktion.

Strecker hingegen irritierte das Verhalten des Kriminalrats. Keine Fragen, keine Vorhaltungen, keine Tipps? „Er weiß das schon alles“ dachte sich Strecker. Dieser Termin hat einen anderen Grund. „Will er mich von dem Fall abziehen?“.

„Danke“, sagte der Kriminalrat, nachdem Strecker seinen Bericht beendet hatte. „Dann haben wir ja noch nicht viel. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, mir ist bewusst, dass der Fall noch frisch ist und wir wahrscheinlich einige Zeit brauchen werden, bis wir eine Fährte haben. Aber die Geduld, die ich habe, wird die Öffentlichkeit nicht haben. Im Moment ist der Druck noch nicht groß, aber wenn durchsickert, was da wirklich passiert ist, wird die Presse uns die Hölle heiß machen. Und wenn wir dann noch nichts in der Hand haben, sollten wir wenigstens alles versucht haben. Daher habe ich beschlossen, mich an das Landeskriminalamt zu wenden und um die Unterstützung durch einen Fallanalytiker zu bitten. Wir haben es hier doch offenbar mit einem Täter zu tun, der alles was wir je gesehen haben, in den Schatten stellt. Und mit solchen Fällen oder besser gesagt, solchen Psychopathen, haben die Kollegen deutlich mehr Erfahrung. Sie und Lohr bleiben natürlich an dem Fall dran, aber Kommissar Sehlmann wird sie dabei unterstützen. Er wird sie heute Nachmittag noch kontaktieren. Ich erwarte, dass sie im Sinne der Sache zielgerichtet und reibungslos zusammenarbeiten und sich wechselseitig unterstützen. Alle.“

Nun war die Katze aus dem Sack.

„So ein Arschloch“, dachte Strecker. „Anstatt Vertrauen in die eigenen Leute zu haben, ruft er gleich um Hilfe. Und von wegen im Sinne der Sache. Er will nur seinen eigenen Arsch aus der Schusslinie halten, falls es Druck gibt. Aber gut, es hätte auch noch schlimmer kommen können. Immerhin bin ich noch an dem Fall dran. Und mit dem Würstchen aus Düsseldorf werde ich schon fertig werden. Also: Kooperation vortäuschen“.

„Das ist eine gute Idee“, antwortete Strecker, „die Erfahrungen des Profilers werden uns sicher helfen. Wenn nichts mehr anliegt, würde ich nun gerne wieder an die Arbeit gehen.“

Der Kriminalrat schwieg und erhob sich. „Danke für ihr Verständnis“, sagte er, während er, Strecker im Schlepptau, in Richtung Tür ging.

„Kein Problem“, erwiderte dieser und verschwand mit einem freundlichen Lächeln in Richtung von Frau Meier-Uhland.

„Scheiße, das gibt Ärger“ dachte sich Kriminalrat Brandt. Ihm wäre es lieber gewesen, Strecker wäre an die Decke gegangen. Nun würde er sich eine längere Zeit mit Konflikten zwischen den Ermittlern herumschlagen müssen.

Die Tür war zu. Das hatte jeder im Präsidium gehört. Strecker war wieder in seinem Büro.

6.

Max Lohr parkte den Dienstwagen auf dem Gelände der Autowerkstatt in Nippes. Hier hatte, bis zu seinem Verschwinden, Peter Kuchinski als KFZ-Schlosser gearbeitet. Vermisst gemeldet hatte ihn sein Bruder Alois, dem die Werkstatt gehörte. Soweit den Akten zu entnehmen war, wohnten die beiden Brüder im direkt an die Werkstatt angrenzenden Mehrfamilienhaus. Da es mitten am Tage war, schien es dem Kommissar am wahrscheinlichsten, dass er den Bruder in der Werkstatt antreffen würde. Links neben dem großen Tor, das die Einfahrt in die Werkstatt verschloss, entdeckte Lohr eine Glastür hinter der er das Büro vermutete. Als er diese öffnete ertönte eine Klingel, die die an einem Schreibtisch in der hinteren linken Ecke des Raumes sitzende Person von ihrem Computerbildschirm aufblicken ließ. Der Kommissar grüßte, ging hinüber zu dem Schreibtisch, stellte sich vor, zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn dem Mann vor die Nase.

„Ich suche Alois Kuchinski“, sagte Lohr zu dem Mann.

„Sie haben ihn gefunden. Ich nehme an, sie kommen wegen meines Bruders. Ist er der Mann den sie gestern Abend tot aufgefunden haben?“, fragte Kuchinski.

„Nein, das wissen wir nicht. Die Beschreibung ihres Bruders weist zwar Ähnlichkeiten mit dem gestern gefundenen Mann hin, aber das gilt für eine Vielzahl von Vermissten. Um das Opfer zu identifizieren, brauchen wir zusätzliche Informationen. Und ich hoffe, dass Sie mir dabei im Hinblick auf ihren Bruder helfen können“.

„Was ich weiß, habe ich ihren Kollegen bereits auf dem Revier berichtet. Mein Bruder ist am Dienstag der vorletzten Woche nicht zur Arbeit erschienen. Zuerst hatte ich gedacht, er hat verpennt. Montags ist er häufiger zum Kartenspielen in seine Stammkneipe gegangen und es kam oft vor, dass dabei kräftig getrunken wurde. Als er nach 10:00 Uhr immer noch nicht in der Werkstatt war, bin ich rüber zu seiner Wohnung, um nachzusehen. Er war nicht da, sein Bett war gemacht, Geschirr vom Frühstück stand nicht auf dem Tisch. Daraufhin habe ich versucht, ihn auf seinem Handy zu erreichen, landete aber nur auf der Mailbox. Im Laufe des Tages habe ich noch häufiger versucht, ihn anzurufen, allerdings ohne Erfolg. Nachdem ich die Werkstatt abgeschlossen hatte, bin ich nochmals rüber in seine Wohnung, fand diese aber so vor, wie ich sie am Vormittag verlassen hatte. Als er dann am Tag danach wieder nicht zur Arbeit erschien und die Wohnung mittags immer noch verlassen war, bin ich dann auf das Revier gefahren, um mich zu erkundigen, ob man dort etwas wusste. Dort habe ich dann die Vermisstenanzeige aufgegeben.“

„Und ich gehe davon aus, dass sie zwischenzeitlich nichts von ihrem Bruder gehört haben“, fragte Lohr sicherheitshalber nach.

„Nein, natürlich nicht, dann hätte ich mich sicher gemeldet.“

„Hatte ihr Bruder irgendwelche äußeren Merkmale wie Tattoos oder Narben, die sie damals nicht erwähnt haben? Oder hatte er von früher Verletzungen wie Brüche oder ähnliches?“

„Nein, nichts dergleichen“, antwortete Kuchinski.

„Ihre hübsche Kollegin bei der Aufnahme der Anzeige hat mich schon alles abgefragt. Ich glaube nicht, dass ich Ihnen noch was Neues erzählen könnte“.

„Gut“, antwortete Max Lohr, „aber sie können uns trotzdem vielleicht noch weiterhelfen. Könnten sie mir irgendwelche Gegenstände geben, an denen wir DNA-Spuren ihres Bruders finden könnten? So etwas wie eine Haarbürste oder einen Kamm oder auch seine Zahnbürste. Gegenstände, die nur er benutzt hat. Zur Not helfen auch Kleidungsstücke, die er getragen und noch nicht gewaschen hat.“

„In seiner Wohnung werden wir sicher etwas finden“, sagte Alois Kuchinski. „Kommen sie am besten gleich mit. Wir gehen kurz rüber. Gertrud passt Du bitte mal auf den Laden auf“ rief er in Richtung einer Tür hinter seinem Schreibtisch. „Ich bin mal für eine Viertelstunde weg“. Damit stand er auf und signalisierte Max Lohr mit einer Handbewegung ihm zu folgen. „Ich muss erst in meiner Wohnung den Schlüssel holen“.

Fünf Minuten später standen sie in der Wohnung von Peter Kuchinski. Selbst für eine Junggesellenwohnung war die Wohnung unaufgeräumt. Kleidungsstücke lagen an vielen Stellen auf dem Boden, in der Küche stapelte sich nicht abgewaschenes Geschirr, das den üblen Geruch in der lange nicht gelüfteten Wohnung offenbar dominierte. Wie der Bruder auf die Idee kommen konnte, anhand des Bettes zu glauben, dass Peter Kuchinski in der Nacht, nachdem er ihn zuletzt gesehen hatte, nicht darin geschlafen hatte, konnte Lohr beim Anblick des Bettes nicht verstehen. Aber er verzichte darauf nachzubohren. Zumindest jetzt. Wenn der Tote nicht der Bruder war, war das aktuell unerheblich. Wenn doch, würde es eh weitere Gespräche mit Alois Kuchinski geben. Im Bad zog der Kommissar eine Plastiktüte und Einweghandschuhe aus seiner Jackentasche. Er warf einen fragenden Blick auf den Bruder und als dieser zustimmend nickte, packte er die in einem Becher stehende Zahnbürste und den auf der Ablage unter dem Spiegel liegenden Kamm in die Tüte. „Gott sei Dank Einzelstücke“, dachte er sich. Insofern war die Chance, dass die Gegenstände von Peter Kuchinski benutzt worden waren, entsprechend hoch. Sicherheitshalber griff er noch in die Wäschetruhe, holte einige Kleidungsstücke heraus und fingerte, mit sichtlichem Unbehagen, aus dem nun auf dem Badezimmerboden liegenden Haufen eine Unterhose und einen Socken heraus.

„Kennen Sie den Zahnarzt ihres Bruders?“, fragte der Kommissar.

„Ja. Das ist Dr. Lindner. Seine Praxis ist hier auf der Straße. Gut 200 Meter weiter auf der linken Seite. Aber oft war mein Bruder da sicher nicht“.

Max Lohr notierte sich den Namen und warf noch einen letzten Blick in die Wohnung. „Bitte lassen sie alles so wie es gerade ist“, bat er Alois Kuchinski. „Schließen Sie ab und lassen sie niemanden in die Wohnung. Sobald wir ausschließen können, dass der Tote ihr Bruder ist, geben wir Ihnen Bescheid. Bis dahin sollte alles so bleiben wie es ist.“

Lohr bedankte und verabschiedete sich. Dann machte er sich auf den Weg zum Zahnarzt. In der Praxis wies er sich gegenüber der Dame am Empfang aus und bat um einen sofortigen Termin bei Dr. Lindner. Die Dame bat ihn noch kurz im Wartezimmer Platz zu nehmen. Sobald Dr. Lindner die aktuelle Behandlung beendet hätte, würde er auf ihn zukommen. Max Lohr nutze die Wartezeit, um sich einige Notizen zu machen, wurde aber schon nach wenigen Minuten von einem kräftigen Mann mit einem eindrucksvollen Vollbart unterbrochen.

„Dr. Lindner. Guten Tag“, stellte er sich vor. „Bitte folgen Sie mir in mein Büro“.

Kommissar Lohr schritt hinter dem Zahnarzt her. Sie gingen durch den Flur der Praxis, vorbei an mehreren Behandlungszimmern, in denen jeweils mehr oder weniger zuversichtliche Patienten in den Behandlungsstühlen saßen, bis sie in einen kleinen Raum kamen, in dem nur einige Einbauschränke, ein Schreibtisch, ein Bürostuhl hinter , sowie zwei Besucherstühle vor dem Schreibtisch, standen. Dr. Lindner nahm auf dem Bürostuhl Platz und bot dem Kommissar einen der Stühle vor dem Schreibtisch an.

„Wie kann ich Ihnen helfen Herr Kommissar?“

„Ich bräuchte alles, was sie von Peter Kuchinski haben. Alles, was dabei helfen könnte, ihn als den Mann zu identifizieren, den wir gestern Abend tot aufgefunden haben. Sie sind natürlich berechtigt, ich habe noch keinen Gerichtsbeschluss, mir die Herausgabe der Unterlagen zu verweigern, hoffe aber auf ihren Kooperationswillen. Wie sie sich sicher vorstellen können, sind sowohl wir von der Polizei, aber auch die Familien der in Frage kommenden Vermissten, daran interessiert, die Identität des Toten möglichst schnell festzustellen. Wir können das natürlich auch über DNA-Tests machen, ich war gerade beim Bruder von Herrn Kuchinski, aber das dauert erfahrungsgemäß länger.“

„Und ist teurer“, ergänzte der Zahnarzt. „Natürlich werde ich Ihnen helfen, meine Assistentin wird Ihnen die Aufnahmen und Aufzeichnungen, die ich zum Gebiss von Herrn Kuchinski habe, heraussuchen. Hoffentlich ist er es nicht. Kann ich sonst noch was für Sie tun?“.

„Nein, das wäre vorerst alles“, antwortete Kommissar Lohr.

Dr. Lindner erhob sich und begleitete seinen Besucher zum Empfangstresen. „Bitte suchen Sie die Unterlagen von Herrn Peter Kuchinski heraus, machen Sie Kopien und geben Sie diese dem Kommissar mit. Aber nur die von Peter Kuchinski, nicht die von Alois“. Dann verabschiedete er sich und verschwand in einem der Behandlungsräume.

Auch die Assistentin verschwand durch eine Tür hinter dem Tresen. Max Lohr hörte, wie dort eine Tür geöffnet wurde, dann das Rascheln von Papier und schließlich setzte sich offensichtlich ein Kopierer in Betrieb. Kurze Zeit später erschien die Assistentin wieder und drückte dem Kommissar eine Akte in die Hand und wünschte ihm einen guten Tag.

Max Lohr machte sich auf den Weg nach Mülheim, dem Wohnort des nächsten Kandidaten.

7.

Hauptkommissar Strecker hatte sich nur wenig beruhigt. Obwohl er wusste, dass es am geschicktesten war nun Ruhe zu bewahren. Aber zuerst einmal abwarten, beobachten und überlegen wie man mit der Situation am besten umgehen sollte, das ließ sein Temperament nicht zu. Nicht mal einen Tag hatte der Kriminalrat abgewartet und ihnen Zeit gegeben, eine Spur zu finden. Nicht mal einen Tag, nicht mal das Gespräch hatte er abgewartet, nein er hatte gleich Tatsachen geschaffen. Das er mit einem Wischen seines Armes den ganzen Schreibtisch abräumte, hatte sein Kollege Lohr sicher nicht im Sinn, als sie zwei Tage vorher wegen seines von Akten, laut Ansicht von Lohr auch von Essensresten, überbordenden Schreibtisches in Streit geraten waren. Nun war der Schreibtisch frei, den Computerbildschirm hatte er glücklicherweise nicht erwischt, aber die Tastatur und die Maus lagen samt Akten und Schreibgeräten auf dem Boden. Etwas beruhigt, ließ er sich in seinen Bürostuhl fallen und betrachte gefällig sein Werk.

„Das der sich vorgestern wegen der paar Pizzaschachteln, Hamburgerverpackungen und Brötchentüten so aufregen musste“, dachte er sich im Stillen. „Klar, wenn ich nur zu Hause rumhängen würde, bräuchte ich auch nicht so oft im Büro essen“. Strecker blieb eine ganze Weile so auf seinem Stuhl hocken. In Anbetracht der Aussicht, dass er das alles wieder würde aufräumen müssen, wurde seine Laune schnell wieder schlechter. Aber irgendwann raffte er sich auf. Zuerst fischte er Maus und die Tastatur aus dem Haufen, dann begann er die Akten zusammenzuraffen und stapelte sie auf dem Schreibtisch. Zuletzt wanderten die Essensverpackungen in den Papierkorb. „Scheiße, nun war die Akte von dem aktuellen Fall irgendwo in dem Riesenstapel verschwunden“ erkannte Strecker.

Gerade hatte er sich an die Durchsuchung eines ersten Stapels gemacht, als es an der Tür klopfte. Bevor Strecker etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür und ein Mann, ca. Ende 20, groß, schlank, kurze braune Haare und ein gleichfarbiger Dreitagesbart, trat ein.

„Guten Tag, mein Name ist Klaus Sehlmann. Sie müssen Hauptkommissar Strecker sein.“ Mit einem „erfreut Sie kennenzulernen“ kam er, die rechte Hand vorgestreckt, auf den Hauptkommissar zu.

Dieser erhob sich schwerfällig und missmutig, schaffte es aber, dem Eindringling auch seine Rechte entgegenzustrecken. Strecker erinnerte sich an seine Strategie und zwang ein Lächeln auf sein Gesicht.

„Schön, dass Sie da sind“. Hatte er das wirklich gesagt? Als er dem Gast auch noch einen Stuhl anbot, kam fast so etwas wie Stolz in ihm auf.

Der Fallanalytiker nahm das Angebot an und setzte sich auf den Stuhl vor Streckers Schreibtisch. Als Strecker selbst wieder auf seinem Bürostuhl Platz genommen hatte, mussten die beiden Kriminalisten feststellen, dass sie sich wegen der sich auf Streckers Schreibtisch türmenden Papierstapel nicht mehr sehen konnten. Erst als der Analytiker mit seinem Stuhl einen guten halben Meter zur Seite rückte, hatten sie wieder Blickkontakt. Das brach das Eis. Beide lächelten sich an.

„Kaffee?“, hörte sich der Hauptkommissar selbst fragen.

„Gerne“, erwiderte Klaus Sehlmann.

„Dann folgen sie mir in die Kaffeeküche“, sagte Strecker und führte den Analytiker über den Flur in die Kaffeeküche. Dort holte Strecker zwei Kaffeetassen aus einem Hängeschrank, stellte sie auf den Unterschrank und griff zur Kaffeemaschine.

„Milch und Zucker?“, fragte er, während er die Tassen mit Kaffee füllte.

„Danke. Nein. Schwarz“, erwiderte Klaus Sehlmann.

Auch diese Übereinstimmung half, die Sympathie zwischen den beiden zu entwickeln. Zurück im Büro nahmen sie wieder auf ihren Stühlen Platz.

„Was können Sie mir über den Fall sagen?“, fragte der Profiler.

Strecker berichtete kurz über den Abend am Tatort und den Stand der Ermittlungen. Bevor der Analytiker nach den drei Kandidaten, die als Opfer in Frage kamen, fragen konnte, schlug Strecker ihm vor, dass er kurz bei Frau Meier-Uhland vorbeischauen sollte, um sich als temporärer Mitarbeiter des Kommissariats berechtigten zu lassen. Dann könnte er einen der Computer nutzen und sich anhand der Fallakte näher informieren.

„Dann sollte auch der Obduktionsbericht in der elektronischen Akte sein. Die sollte sie besonders interessieren“, sagte Strecker. Der Hauptkommissar beschrieb seinem Gast noch, wie er zum Sekretariat des Kriminalrats kam. Während der Analytiker schon unterwegs war, rief Strecker noch bei Frau Meier-Uhland an und kündigte sowohl Besuch und Anliegen von Klaus Sehlmann an. Dann machte er sich daran, die Akten auf seinem Schreibtisch zu sortieren.

8.

Für Max Lohr schien es eine Art Glückstag zu werden. Schon wieder fand er einen Parkplatz direkt vor seinem Ziel, der Kneipe „Harry´s Schenke“ auf der Herler Straße. Es war gegen 14:00 Uhr als er den Schankraum betrat. Dieser befand sich auf Kellerniveau, war also fensterlos und nur über eine Treppe zu erreichen. Schräg gegenüber der Tür befand sich ein langer Tresen aus dunklem Holz, mit einigen davor stehenden Hockern. Nach rechts öffnete sich ein Gastraum mit einigen Tischen für vier bis acht Personen, insgesamt, so schätzte der Kommissar, fanden in der Kneipe ungefähr 50 Menschen Platz. Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, warum sich so viele Menschen in diesem fensterlosen Raum zusammenfinden sollten. Im Moment waren nur drei Hocker mit Männern fortgeschrittenen Alters besetzt, hinter dem Tresen stand eine Frau die deutlich jünger als Moritz Donner schien, die zwanzig aber auch schon lange überschritten hatte. Da sie stark geschminkt war, konnte Max Lohr das so schnell unmöglich genauer einschätzen.

Der Gruß des Kommissars wurde vom Klackern der Würfel übertönt, so das die mit dem Rücken zur Tür sitzenden Männer sein Eintreten gar nicht bemerkten. Erst als die Wirtin seinen Gruß erwiderte, drehten die Männer ihre Köpfe in seine Richtung, um sich gleich darauf aber wieder offensichtlich desinteressiert zur Theke zu wenden.

Lohr wandte sich an die Dame hinter der Theke, die wie sich bei der gegenseitigen Vorstellung herausstellte, nicht nur die Freundin des Vermissten war, sondern auch die Person, die am vergangenen Mittwoch die Vermisstenmeldung aufgegeben hatte.

„Ziemlich hübsch“, dachte sich Max Lohr, nachdem er ihr einige Meter näher gekommen war. Sie war deutlich jünger als das Opfer, Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig, groß, schlank, kurzgeschnittene braune Haare und lebhafte blaue Augen.

„Sie haben Moritz Donner am vergangenen Mittwoch als vermisst gemeldet. Wann haben sie ihn denn das letzte Mal gesehen?“.

„Wie ich ihren Kollegen auf der Wache schon erzählt habe, ist er am Montagabend nicht nach Hause gekommen. Nachmittags ist er aus dem Haus gegangen. So gegen 15:00 Uhr. Zum Fußballspielen. Wie jeden Montag denn da bleibt das Lokal geschlossen. Als er am nächsten Morgen noch nicht zurück war, wir mussten ja öffnen, hab ich mir Sorgen gemacht. Unternommen habe ich aber noch nichts. Ich musste ja seine Schicht übernehmen. Natürlich habe ich seine Kumpels gefragt, ob sie was wüssten. Ich habe auch zwei bis drei Leute angerufen. Aber nichts. Als er auch Dienstagabend nicht nach Hause kam, bin ich dann Mittwoch früh gleich auf die Wache gegangen“.

Auf die Frage nach zwischenzeitlichen Lebenszeichen vom Vermissten gab, Anne Beu, so der Name der Wirtin, eine verneinende Antwort. Doch die Frage nach Tattoos, Narben oder Verletzungen erhöhten die Wahrscheinlichkeit das Max Donner das aufgefundene Opfer war.

„Moritz hat von früher Jugend an hier in Mülheim bei der Germania Fußball gespielt. Wenn ich mich recht erinnere, hatte er erzählt, dass er sich im Alter von 15 oder 16 Jahren im Training einmal das Bein gebrochen hatte“.

„Nein, ob links oder rechts weiß ich nicht. Damals habe ich ihn noch nicht gekannt. Ich habe zu der Zeit noch im Osten gelebt. Er hatte das, wie gesagt mal erwähnt, aber auch das ist schon lange her.“

„Hatte der Tote denn solche Verletzungen? Ist es Moritz?“, fragte die Wirtin.

„Wie gesagt, wissen wir noch nicht wer der Tote ist. Wir überprüfen mehrere Vermisste. Moritz Donner ist einer davon. Einer von vielen. Und alles was wir über die Vermissten erfahren können, kann uns bei der Identifizierung helfen.“

Da Frau Beu ihm ansonsten keine weiteren Informationen geben konnte, bat er sie noch um Kleidung und Utensilien die Max Donner vor seinem Verschwinden benutzt hatte und den Namen seines Zahnarztes.

„Seinen Zahnarzt, den kenne ich gar nicht. Seit ich mit ihm zusammen bin, war er nie beim Zahnarzt. Wir haben uns erst vor 3 Jahren kennen gelernt.“

„Wissen Sie bei welcher Krankenkasse er versichert war?“, fragte Lohr.

„Nein, aber ich kann oben in der Wohnung in seinem Papierkram nachsehen.“

„Ja bitte, das würde uns helfen“, antwortete der Kommissar. Die Wirtin fragte die drei Gäste noch, ob sie noch etwas zu trinken möchten, da sie für einige Minuten weg musste. Den zwei Gästen, die ihre Frage bejaht hatten, zapfte sie noch jeweils ein Kölsch und verschwand danach durch eine Tür hinter der Theke. Wenige Minuten später kam sie zurück und übergab dem Kommissar die Plastiktüten, die er ihr zuvor gegeben hatte. In der einen Tüte befanden sich ein Kamm und eine Zahnbürste, die andere war leer.

„Ich habe mittlerweile alles gewaschen. Auch die Klamotten von Moritz“, sagte die Wirtin. „Aber hier dieses Blatt habe ich in seinen Papieren gefunden“, fuhr sie fort und überreichte Lohr ein Schreiben von der Deutschen Krankenversicherung, DKV. „Sie können es mitnehmen.“

Der Kommissar nahm das Blatt und die Plastiktüten an sich, bedankte sich, ging zur Tür und verschwand begleitet von erneutem Klackern der Würfel im Treppenhaus.

Nun musste er noch nach Dellbrück, in die Möhlstrasse, wo Günter Bender sein Malergeschäft hatte und wo er mit seiner Frau Katharina wohnte, die ihn vor 3 Wochen als vermisst gemeldet hatte.

9.

Der Fallanalytiker war vorübergehend in das Büro eines sich derzeit im Urlaub befindlichen Kollegen auf dem Flur gezogen, in dem auch das Büro der Kollegen Strecker und Lohr lag. Das Präsidium hatte zwar auch spezielle Räume für Ermittler, die nur für eine temporäre Unterstützung vor Ort waren, jedoch gab es keinen dieser Räume in der Nähe des Büros der beiden mit dem Fall befassten Kölner Ermittler. Er hatte seinen Laptop neben dem Computerbildschirm auf dem Schreibtisch platziert und studierte darauf die Fallakte. Bilder vom Tatort, der Obduktionsbericht und die spärlichen Informationen die Kommissar Lohr am Vormittag erfasst hatte, studierte er wieder und wieder. Glaubte er einen Ansatzpunkt zu haben, recherchierte er diesbezüglich jeweils in diversen Systemen und Datenbanken nach Sachverhalten und Hinweisen. Der Berg an Informationen wuchs, was diese für den aktuellen Fall wert waren, musste sich aber erst noch erweisen. Das elektronische Gedächtnis des Landeskriminalamtes sowie weiterer verbundenen Behörden im In- und Ausland war voll von Informationen über Kapitalverbrechen. Und natürlich war es einer der ersten Ermittlungsansätze nach Taten zu suchen, die mit dem aktuellen Fall möglichst viele Parallelen aufwiesen. Die Recherchen führten den Profiler auch zu vielen, mehr oder weniger ähnlichen bestialischen Mordfällen, aber letztlich hatte er auch nach nunmehr zwei Stunden keinen Fall gefunden, von dem er das Gefühl hatte, dass er mit dem aktuellen Fall zusammenhing. Der Mörder, war bisher noch nicht in Erscheinung getreten. Jedenfalls nicht mit dieser Handschrift. Aber immerhin konnte er eine Frau vorerst als Täterin ausschließen. Die Blutergüsse an den Oberarmen des Opfers hatten ergeben, dass das über 90 Kilogramm schwere Opfer in bewusstlosem Zustand von einer Person auf den Metalltisch gehoben wurde.

Er musste versuchen, sich anhand der wenigen vorhandenen Erkenntnisse ein Bild von dem Mann zu machen. Der Täter wusste, was er tat. Geht man davon aus, dass es sich bei dem Opfer um einen der Verschwundenen handelte, deren Umfeld Kommissar Lohr gerade prüfte, hat der Täter das Opfer mindestens zwei bis drei Tage in seiner Gewalt gehabt, bevor er den Mord verübte. Das bedeutete, er musste dafür ein Quartier gehabt haben, denn im Umfeld des Tatorts, das man am heutigen Morgen abgesucht hatte, hatten die Beamten nichts entdeckt. Also musste es irgendwo anders eine Art Gefängnis geben. Selbst wenn das normale Wohnumfeld das Gefängnis war, musste der Täter sicher Vorbereitungen getroffen haben, denn niemand kann einen unfreiwilligen Gast für längere Zeit unterbringen, ohne sich vorab um die Versorgung des Gefangenen zu kümmern. Das galt natürlich auch für den Fall, dass das Gefängnis an einem anderen Ort war. Zudem musste der Täter sich darum gekümmert haben, dass das Opfer nicht fliehen oder auf sich aufmerksam machen konnte. Er musste das Opfer also dauerhaft außer Gefecht setzen, durch Drogen oder Fesseln zum Beispiel, es irgendwo unterbringen, wo es nicht fliehen konnte und es niemand hören konnte. Der Täter musste sich also um sein Opfer kümmern können, er brauchte also Zeit. Er ging, so vermutete der Profiler, in dem Zeitraum nicht ständig zur Arbeit. Das half noch nicht wesentlich die Tätergruppe einzugrenzen, aber es war schon mal ein Anfang. Der Täter hatte zudem genügend Geld, um die Unterbringung und den Transport zu finanzieren. Der Transport war nur durch ein Auto möglich, entweder geliehen oder eher sein eigenes. Das Auto war vermutlich etwas größer, denn er hatte nicht nur das Opfer, sondern auch den Metalltisch in die Werkstatt transportieren müssen. Ob beides gleichzeitig oder ob er den Tisch bereits vorher an den Tatort gebracht hatte, war offen. Wahrscheinlich war der Tisch schon vorher dorthin transportiert worden. Sonst hätte er schon einen Transporter gebraucht. Und es war kein zusätzliches Risiko, den Tisch schon vorher dort abzustellen. Er hatte sich den Tatort vorher sowieso schon anschauen müssen. Sie würden überprüfen müssen, wo solche Tische verkauft wurden. Das war zwar nicht sehr erfolgversprechend, aber neben den Kabelbindern der einzige Gegenstand, von dem sie wussten, dass er dem Täter gehört hatte. Und die Kabelbinder gab es in jedem Baumarkt. Nicht viel bisher. Aber da war ja noch das Motiv. Das war einfach. Für eine derartige Tat gab es eigentlich nur zwei Gründe. Sex schied aus, blieb nur Hass. Zeit für ein erstes Gespräch mit den Ermittlern.

Klaus Sehlmann klappte seinen Laptop zu, stand auf, nahm seinen Rechner in die Hand und machte sich auf den Weg in das Büro der beiden Kollegen.

Auch Max Lohr war mittlerweile zurück. Der Besuch in Dellbrück war ähnlich verlaufen wie die beiden vorherigen. Vom Vermissten nichts Neues, keine neuen Hinweise zu Tattoos, Narben, Verletzungen oder sonstige Neuigkeiten. Und als Beute Kamm, Zahnbürste und ein Paar Socken. Auch den Besuch beim Zahnarzt hatte er schon erfolgreich hinter sich gebracht. Die Materialien und die Zahnarztunterlagen von Kuchinski und Bender waren schon auf dem Weg in die Pathologie. Um die Adresse des Zahnarztes von Donner würde sich Frau Riedel, eine der Assistentinnen des Dezernats, kümmern, der er das Schreiben mit Moritz Donners Versicherungsdaten schon übergeben hatte. Frau Riedel würde auch versuchen, den Zahnarzt zu kontaktieren und die Unterlagen beschaffen. Sie würde den Zahnarzt bitten, diese zu ihren Händen an das Präsidium zu mailen oder einer von Frau Riedel geschickten Streifenwagenbesatzung zu übergeben. Die Unterlagen würden dann gleich per Transportfahrt oder Mail in die Pathologie gelangen, ohne dass der Kommissar sich selbst bemühen musste.

Die Besprechung, in der die Ermittler sich ein gemeinsames Bild über den derzeitigen Stand der Erkenntnisse verschafften, war zwar kurz, jedoch war es draußen bereits dunkel, als sie endete. Max Lohr hatte zwischenzeitlich auch bei Frau Riedel angerufen und erfahren, dass die Zahnunterlagen von Moritz Donner auf dem Weg in Pathologie waren. Der Zahnarzt hatte sich kooperativ gezeigt und die Papiere der Streifenwagenbesatzung übergeben. Sollte es sich bei dem Verstorbenen um einen der drei Kandidaten handeln, würden sie es innerhalb der nächsten Stunden erfahren. Da es sowohl für einen Besuch in der Pathologie, als auch für eine Besichtigung des Tatortes zu spät war, einigte man sich darauf, dass Max Lohr den Analytiker am nächsten Vormittag zu beiden Orten begleiten sollte. Und dann, Feierabend für heute. Klaus Sehlmann war das sehr recht, er hatte noch etwas vor.

10.

Viel Presse hatte das Ereignis nicht bekommen. Über die Kurzmeldungen in der regionalen Presse hinaus blieb der Leichenfund unerwähnt. Er überlegte kurz, ob er versuchen wollte, dem Mord etwas mehr Medienpräsenz zu verschaffen, kam aber zu der Einsicht, dass es dramaturgisch und taktisch besser wäre, das Thema noch „klein zu halten“. Das würde den nächsten Schritt leider machen. Danach hätte er auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit als genug. Aber lange warten sollte er nicht mehr, je mehr die Polizei über das erste Opfer erfuhr, desto größer wurde die Gefahr für die Durchführung seiner nächsten Tat. Zwar hatte er die Kandidaten mit Bedacht ausgewählt, aber selbst Kommissar Zufall durfte nicht unterschätzt werden. Es wäre zu früh, wenn ihm die Jäger jetzt schon zu nahe kämen, er stand erst am Anfang. Er öffnete eine Datei auf seinem Laptop und scrollt durch die Zeilen. Es sollte wieder in der Nähe passieren überlegte er sich. Der optimale Ort für den nächsten Schlag. Die regionale Aufmerksamkeit wäre ihm auf jedem Fall sicher und schon ein weiterer Mord würde ihm dann die bundesweite Präsenz sichern. Er klickte auf einen Link in einer weiter rechts stehenden Spalte. Die elektronische Akte des nächsten Opfers flutete den Bildschirm. Er war gut vorbereitet.

11.

Mit einem so frühen Feierabend hatte er gar nicht gerechnet. Deshalb hatte er mehr Zeit als genug. Das Hotel war nur wenige Minuten zu Fuß vom Präsidium entfernt, in einem erst kürzlich aus einer Industriebrache in ein neu erschlossenes Gewerbe- und Wohngebiet umgewandeltes Terrain. Der Vorteil der Nähe wurde allerdings durch die Ödnis der näheren Umgebung erkauft. Zwar waren es auch nur wenige Minuten zu Fuß zur nächsten Haltestelle, aber dieser Weg führte eben durch besagte Ödnis. Wenig Motivation an einem trüben Novembertag noch vor die Tür zu gehen. Es sei denn es gibt einen guten Grund. Erst 18:30 Uhr, noch viel Zeit bis zu dem verabredeten Termin. Klaus Sehlmann beschloss sich noch etwas hinzulegen, nur eine Stunde, dann blieb immer noch genug Zeit für eine Dusche, Anziehen und eine entspannte Fahrt zum Treffpunkt. Sicherheitshalber stellte er sich den Wecker auf seinem Smartphone auf 19:30 Uhr und legte sich auf das Bett.

12.

Strecker blieb als einziger im Präsidium zurück. Wo sollte er auch hin? In seine kleine Wohnung auf der anderen Seite des Rheins? In einer eigentlich guten Gegend, in die er aber irgendwie nicht passte. Nicht mehr. Die Wohnungen in der Nachbarschaft waren in den vergangenen Jahren mehr und mehr von jungen Leuten bezogen worden. Studenten, die sich zu Wohngemeinschaften zusammenrotteten und junge Frauen und Männer, die es zum Arbeiten nach Köln zog. Die Mieten stiegen, die alten Mieter stiegen aus. Oder starben aus. Manche schafften es noch in ein Altenheim, viele siedelten jedoch direkt nach Melaten oder auf einen anderen Friedhof um. Da die neuen Mieter irgendwie nicht aus seiner Welt kamen, fanden soziale Kontakte so gut wie gar nicht statt. Eigentlich nur, wenn es mal wieder an der Zeit war, in den frühen Morgenstunden bei den Nachbarn Sturm zu klingeln, um sich über den Lärm einer weiteren nicht enden wollenden Party zu beschweren. Aber selbst diese Kontakte wurden in letzter Zeit seltener. Er war zermürbt, weder seine Marke noch die Aufforderungen und Ermahnungen seiner herbeigerufenen Kollegen von der Streife hatten zu einer nachhaltigen Lärmreduzierung geführt. Schließlich hatte er resigniert und hatte mehr und mehr bei diesen Gelegenheiten die sowieso nicht mehr vorhandene Nachtruhe abgebrochen und war in das Präsidium gefahren. Da sich auch die Kneipen rund um seine Wohnung vermehrt von Orten, in denen man in Ruhe sein Bier trinken konnte, in lärmende Sexualkontaktanbahnungsstätten verwandelt hatten, war das Präsidium auch an den Abenden zu seinem bevorzugten Aufenthaltsort geworden. In der hinteren Ecke des Büros gab es eine alte Couch, daneben eine unmodern gewordene, aber noch funktionsfähige Stehlampe. Kaffee und Wasser gab es in den Küchen auf den Fluren, der Wodka lagerte in seiner Schreibtischschublade, gleich hinter den Büchern, die er zum Zeitvertreib in Unmengen konsumierte. Da lag er nun, wie die meisten Abende, auf der Couch, beim Schein der Stehlampe, ein Buch auf dem Bauch in dem gläsernen Präsidium und nährte das Gerücht, er würde ununterbrochen arbeiten.

13.

Nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt klingelte der Wecker. Gut, dass er ihn gestellt hatte, sonst hätte er wohl verschlafen. Klaus Sehlmann sprang aus dem Bett. Und unter die Dusche. 15 Minuten später stand er, durch den kurzen Schlaf und die Dusche erfrischt, mit frischen Sachen bekleidet, wohlgefällig vor dem Spiegel. Er schnappte sich den Mantel von der Garderobe, verließ Zimmer und Hotel und eilte durch den Nieselregen zur nächsten S-Bahnhaltestelle. Knappe 20 Minuten später betrat er die Eingangshalle des Hyatt Hotels. Da er etwas zu früh dran war, nahm er noch in einer Sitzgruppe in der Halle Platz. Er wählte einen Sessel, der ihm gute Sicht auf den Eingang und den Empfangstresen bot. Versteckt hinter einem Magazin beobachtete er das Treiben im Hotel.

Pünktlich um 20:30 Uhr kam sie durch die Eingangstür. Hatte sie ihn am Nachmittag schon sprachlos gemacht, raubte sie ihm jetzt den Atem. War es das etwas stärkere Make-Up, die fehlende Brille, die aufwändigere Frisur oder doch die endlos scheinenden schlanken Beine, die zwischen den Stilettos und dem Rand ihres kurzen Mantels sichtbar waren. Er sprang auf und eilte ihr entgegen.

„Frau Meier-Uhland, sie sehen fantastisch aus“. Nicht mal eine Begrüßung hatte er zustande bekommen, so hin und weg war er.

„Barbara bitte“, antwortete sie. „Kommen Sie, gehen wir noch kurz an die Bar. Ich habe uns einen Tisch für neun Uhr reserviert!“

„Gerne. Ich heiße übrigens Klaus“, war die mehr dahin gestammelte, denn flüssig gesprochene Antwort. Als er ihr an der Garderobe den Mantel abnahm, bekam er den nächsten Schlag. Das Kleid ließ viel Raum für ein ausladendes großes Dekolletee, aber keinen Platz für die Träger eines BH´s. Als sie ihm für die Hilfe dankte und ihm ein Lächeln schenkte, merkte er,dass er wie ein verliebter Pennäler errötete. So hatte er sich schon am Nachmittag gefühlt, als Barbara, nein zu dem Zeitpunkt noch Frau Meier-Uhland, ihn gefragt hatte, ob er sich denn in Köln auskennen würde. Als er verneinte, bot sie ihm an, ihm bei einem Abendessen einiges über die Stadt zu erzählen und ihm anschließend noch ein bis zwei nette Lokale zu zeigen. Als er begeistert zugestimmt hatte, machte sie den Vorschlag mit einem Essen im „Glashaus“, dem Restaurant im Hyatt-Hotel, zu beginnen und bot auch gleich an, einen Tisch für sie zu bestellen. Er stimmte abermals begeistert zu.

„Ich schicke Ihnen eine E-Mail mit den Details“ hatte sie ihm zum Abschied gesagt. Und nun saß er neben dieser Frau an der Bar. Egal was der Fall bringen würde. Der Einsatz in Köln hatte sich schon jetzt gelohnt.

„Wie wird man denn Fallanalytiker?“, fragte Frau Meier-Uhland, nachdem sie sich Drinks, sie einen Highball, er einen Ricard, bestellt hatten.

Er erzählte seine Geschichte, beginnend bei den Interessen in der Jugend, dem Studium, den ersten Schritten in der „gewöhnlichen“ Polizeilaufbahn, dem USA-Aufenthalt und den ersten, nunmehr bereits 18 Monaten seiner Arbeit beim Landeskriminalamt. Bevor er das Gespräch auf sie lenken konnte, kam ein Kellner aus dem Restaurant herüber, sprach Frau Meier-Uhland mit ihrem Namen an und bat sie, ihm zu folgen, da der Tisch für sie bereit war.