Faust. Der Tragödie Erster und Zweiter Teil - Johann Wolfgang Goethe - E-Book

Faust. Der Tragödie Erster und Zweiter Teil E-Book

Johann Wolfgang Goethe

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Beschreibung

Goethes Faust I und II, Inbegriff der klassischen Theatertexte, gibt nun endlich auch als E-Book-Doppelausgabe. Goethe schrieb über 60 Jahre an seinem Faust und nannte "diese sehr ernsten Scherze" am Ende sein "Hauptgeschäft": Dabei entstand eines der großartigsten und gleichzeitig komplexesten Werke der Weltliteratur, gedeutet u. a. als Menschheitstragödie, als religiöses Mysterium, aber auch, besonders der Zweite Teil, als geradezu prophetische Warnung vor den Gefahren moderner Wirtschaftsprozesse. Text aus Reclams Universal-Bibliothek in neuer Rechtschreibung und mit Verszählung der gedruckten Ausgabe.

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Seitenzahl: 419

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Johann Wolfgang Goethe

Faust

Der Tragödie Erster und Zweiter Teil

Reclam

1986, 2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH,

Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2020

RECLAM ist eine eingetragene Marke

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961334-5

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014048-2

www.reclam.de

Inhalt

Faust

Der Tragödie Erster Teil

Zueignung

Vorspiel auf dem Theater

Prolog im Himmel

Der Tragödie Erster Teil

Glockenklang und Chorgesang

Vor dem Tor

Studierzimmer

Studierzimmer

Auerbachs Keller in Leipzig

Hexenküche

Straße

Abend

Spaziergang

Der Nachbarin Haus

Straße

Garten

Ein Gartenhäuschen

Wald und Höhle

Gretchens Stube

Marthens Garten

Am Brunnen

Zwinger

Nacht

Dom

Walpurgisnacht

Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit

Trüber Tag Feld

Nacht, offen Feld

Kerker

Zu dieser Ausgabe

Der Tragödie Zweiter Teil

Erster Akt

Anmutige Gegend

Kaiserliche Pfalz

Saal des Thrones

Weitläufiger Saal

Lustgarten

Finstere Galerie

Hell erleuchtete Säle

Rittersaal

Zweiter Akt

Hochgewölbtes, enges, gotisches Zimmer, ehemals Faustens, unverändert

Laboratorium

Klassische Walpurgisnacht

Pharsalische Felder

Peneios

Am obern Peneios

Felsbuchten

Telchinen von Rhodus

Dritter Akt

Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta

Innerer Burghof

Schattiger Hain

Vierter Akt

Hochgebirg

Auf dem Vorgebirg

Des Gegenkaisers Zelt

Fünfter Akt

Offene Gegend

Palast

Weiter Ziergarten

Tiefe Nacht

Mitternacht

Großer Vorhof des Palasts

Grablegung

Bergschluchten

Zu dieser Ausgabe

Johann Wolfgang Goethe

Faust

Der Tragödie Erster Teil

Reclam

Zueignung

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!

Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.

Versuch ich wohl euch diesmal fest zu halten?

Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?

5

Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,

Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;

Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert

Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,

10

Und manche liebe Schatten steigen auf;

Gleich einer alten halbverklungnen Sage,

Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;

Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage

Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,

15

Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden

Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,

Die Seelen, denen ich die ersten sang;

Zerstoben ist das freundliche Gedränge,

20

Verklungen ach! der erste Widerklang.

Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,

Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,

Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,

Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

25

Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen

Nach jenem stillen ernsten Geisterreich,

Es schwebet nun in unbestimmten Tönen

Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,

Ein Schauer fasst mich, Träne folgt den Tränen,

30

Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;

Was ich besitze seh ich wie im Weiten,

Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.

Vorspiel auf dem Theater

DIREKTOR. THEATERDICHTER. LUSTIGE PERSON.

DIREKTOR. Ihr beiden, die ihr mir so oft,

In Not und Trübsal, beigestanden,

35

Sagt was ihr wohl in deutschen Landen

Von unsrer Unternehmung hofft?

Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,

Besonders weil sie lebt und leben lässt.

Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,

40

Und jedermann erwartet sich ein Fest.

Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,

Gelassen da und möchten gern erstaunen.

Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;

Doch so verlegen bin ich nie gewesen;

45

Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,

Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Wie machen wir’s, dass alles frisch und neu

Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,

50

Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,

Und mit gewaltig wiederholten Wehen

Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,

Bei hellem Tage, schon vor Vieren,

Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht

55

Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,

Um ein Billet sich fast die Hälse bricht,

Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute

Der Dichter nur; mein Freund, o! tu es heute!

DICHTER. O sprich mir nicht von jener bunten Menge,

60

Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.

Verhülle mir das wogende Gedränge,

Das wider Willen uns zum Strudel zieht.

Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,

Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;

65

Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen

Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.

Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,

Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,

Missraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,

70

Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.

Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen

Erscheint es in vollendeter Gestalt.

Was glänzt ist für den Augenblick geboren;

Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.

LUSTIGE PERSON.

75

Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte;

Gesetzt dass ich von Nachwelt reden wollte,

Wer machte denn der Mitwelt Spaß?

Den will sie doch und soll ihn haben.

Die Gegenwart von einem braven Knaben

80

Ist, dächt ich, immer auch schon was.

Wer sich behaglich mitzuteilen weiß,

Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;

Er wünscht sich einen großen Kreis,

Um ihn gewisser zu erschüttern.

85

Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,

Lasst Phantasie, mit allen ihren Chören,

Vernunft, Verstand, Empfindung Leidenschaft,

Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.

DIREKTOR. Besonders aber lasst genug geschehn!

90

Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.

Wird vieles vor den Augen abgesponnen,

So dass die Menge staunend gaffen kann,

Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,

Ihr seid ein vielgeliebter Mann.

95

Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,

Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;

Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!

100

Solch ein Ragout es muss Euch glücken;

Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.

Was hilft’s, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht,

Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.

DICHTER.

Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!

105

Wie wenig das dem echten Künstler zieme!

Der saubern Herren Pfuscherei

Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.

DIREKTOR. Ein solcher Vorwurf lässt mich ungekränkt;

Ein Mann, der recht zu wirken denkt,

110

Muss auf das beste Werkzeug halten.

Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,

Und seht nur hin für wen Ihr schreibt!

Wenn diesen Langeweile treibt,

Kommt jener satt vom übertischten Mahle,

115

Und, was das Allerschlimmste bleibt,

Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.

Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,

Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;

Die Damen geben sich und ihren Putz zum Besten

120

Und spielen ohne Gage mit.

Was träumet Ihr auf Eurer Dichter-Höhe?

Was macht ein volles Haus Euch froh?

Beseht die Gönner in der Nähe!

Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.

125

Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,

Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.

Was plagt ihr armen Toren viel,

Zu solchem Zweck, die holden Musen?

Ich sag Euch, gebt nur mehr, und immer immer mehr,

130

So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren,

Sucht nur die Menschen zu verwirren,

Sie zu befriedigen ist schwer – –

Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?

DICHTER. Geh hin und such dir einen andern Knecht!

135

Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,

Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,

Um deinetwillen freventlich verscherzen!

Wodurch bewegt er alle Herzen?

Wodurch besiegt er jedes Element?

140

Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,

Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?

Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,

Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,

Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge

145

Verdrießlich durcheinander klingt;

Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe

Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt?

Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,

Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?

150

Wer lässt den Sturm zu Leidenschaften wüten?

Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?

Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten

Auf der Geliebten Pfade hin?

Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter

155

Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?

Wer sichert den Olymp, vereinet Götter?

Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.

LUSTIGE PERSON.

So braucht sie denn die schönen Kräfte

Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,

160

Wie man ein Liebesabenteuer treibt.

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt

Und nach und nach wird man verflochten;

Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,

Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,

165

Und eh man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman.

Lasst uns auch so ein Schauspiel geben!

Greift nur hinein ins volle Menschenleben!

Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,

Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.

170

In bunten Bildern wenig Klarheit,

Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,

So wird der beste Trank gebraut,

Der alle Welt erquickt und auferbaut.

Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte

175

Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,

Dann sauget jedes zärtliche Gemüte

Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung,

Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,

Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.

180

Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,

Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;

Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;

Ein Werdender wird immer dankbar sein.

DICHTER. So gib mir auch die Zeiten wieder,

185

Da ich noch selbst im Werden war,

Da sich ein Quell gedrängter Lieder

Ununterbrochen neu gebar,

Da Nebel mir die Welt verhüllten,

Die Knospe Wunder noch versprach,

190

Da ich die tausend Blumen brach,

Die alle Täler reichlich füllten.

Ich hatte nichts und doch genug,

Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.

Gib ungebändigt jene Triebe,

195

Das tiefe schmerzenvolle Glück,

Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,

Gib meine Jugend mir zurück!

LUSTIGE PERSON.

Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,

Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,

200

Wenn mit Gewalt an deinen Hals

Sich allerliebste Mädchen hängen,

Wenn fern des schnellen Laufes Kranz

Vom schwer erreichten Ziele winket,

Wenn nach dem heft’gen Wirbeltanz

205

Die Nächte schmausend man vertrinket.

Doch ins bekannte Saitenspiel

Mit Mut und Anmut einzugreifen,

Nach einem selbgesteckten Ziel

Mit holdem Irren hinzuschweifen,

210

Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,

Und wir verehren euch darum nicht minder.

Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,

Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

DIREKTOR. Der Worte sind genug gewechselt,

215

Lasst mich auch endlich Taten sehn;

Indes ihr Komplimente drechselt,

Kann etwas Nützliches geschehn.

Was hilft es viel von Stimmung reden?

Dem Zaudernden erscheint sie nie.

220

Gebt ihr euch einmal für Poeten,

So kommandiert die Poesie.

Euch ist bekannt, was wir bedürfen,

Wir wollen stark Getränke schlürfen;

Nun braut mir unverzüglich dran!

225

Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,

Und keinen Tag soll man verpassen,

Das Mögliche soll der Entschluss

Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,

Er will es dann nicht fahren lassen,

230

Und wirket weiter, weil er muss.

Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen

Probiert ein jeder was er mag;

Drum schonet mir an diesem Tag

Prospekte nicht und nicht Maschinen.

235

Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,

Die Sterne dürfet Ihr verschwenden;

An Wasser, Feuer, Felsenwänden,

An Tier und Vögeln fehlt es nicht.

So schreitet in dem engen Bretterhaus

240

Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,

Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

Prolog im Himmel

DER HERR, DIE HIMMLISCHEN HEERSCHAREN, nachherMEPHISTOPHELES.

DIE DREI ERZENGELtreten vor.

RAPHAEL. Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang,

245

Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag;

Die unbegreiflich hohen Werke

250

Sind herrlich wie am ersten Tag.

GABRIEL. Und schnell und unbegreiflich schnelle

Dreht sich umher der Erde Pracht;

Es wechselt Paradieses-Helle

Mit tiefer schauervoller Nacht;

255

Es schäumt das Meer in breiten Flüssen

Am tiefen Grund der Felsen auf,

Und Fels und Meer wird fortgerissen

In ewig schnellem Sphärenlauf.

MICHAEL. Und Stürme brausen um die Wette,

260

Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,

Und bilden wütend eine Kette

Der tiefsten Wirkung rings umher.

Da flammt ein blitzendes Verheeren

Dem Pfade vor des Donnerschlags;

265

Doch deine Boten, Herr, verehren

Das sanfte Wandeln deines Tags.

ZU DREI. Der Anblick gibt den Engeln Stärke

Da keiner dich ergründen mag,

Und alle deine hohen Werke

270

Sind herrlich wie am ersten Tag.

MEPHISTOPHELES.

Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst

Und fragst wie alles sich bei uns befinde,

Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;

So siehst du mich auch unter dem Gesinde.

275

Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,

Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;

Mein Pathos brächte dich gewiss zum Lachen,

Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.

Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,

280

Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,

Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.

Ein wenig besser würd er leben,

Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

285

Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Er scheint mir, mit Verlaub von Euer Gnaden,

Wie eine der langbeinigen Zikaden,

Die immer fliegt und fliegend springt

290

Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;

Und läg er nur noch immer in dem Grase!

In jeden Quark begräbt er seine Nase.

DER HERR.

Hast du mir weiter nichts zu sagen?

Kommst du nur immer anzuklagen?

295

Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

MEPHISTOPHELES.

Nein Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.

Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,

Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.

DER HERR. Kennst du den Faust?

MEPHISTOPHELES.                        Den Doktor?

DER HERR.                                              Meinen Knecht!

MEPHISTOPHELES.

300

Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.

Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.

Ihn treibt die Gärung in die Ferne,

Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst;

Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,

305

Und von der Erde jede höchste Lust,

Und alle Näh und alle Ferne

Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

DER HERR. Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;

So werd ich ihn bald in die Klarheit führen.

310

Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,

Dass Blüt und Frucht die künft’gen Jahre zieren.

MEPHISTOPHELES.

Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren,

Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt

Ihn meine Straße sacht zu führen!

315

DER HERR. So lang er auf der Erde lebt,

So lange sei dir’s nicht verboten.

Es irrt der Mensch so lang er strebt.

MEPHISTOPHELES.

Da dank ich Euch; denn mit den Toten

Hab ich mich niemals gern befangen.

320

Am meisten lieb ich mir die vollen frischen Wangen.

Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;

Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

DER HERR. Nun gut, es sei dir überlassen!

Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,

325

Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,

Auf deinem Wege mit herab,

Und steh beschämt, wenn du bekennen musst:

Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange

Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.

MEPHISTOPHELES.

330

Schon gut! nur dauert es nicht lange.

Mir ist für meine Wette gar nicht bange.

Wenn ich zu meinem Zweck gelange,

Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.

Staub soll er fressen, und mit Lust,

335

Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

DER HERR. Du darfst auch da nur frei erscheinen;

Ich habe deinesgleichen nie gehasst.

Von allen Geistern die verneinen

Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

340

Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt, und muss, als Teufel, schaffen.

Doch ihr, die echten Göttersöhne,

345

Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfass’ euch mit der Liebe holden Schranken,

Und was in schwankender Erscheinung schwebt,

Befestiget mit dauernden Gedanken.

(Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.)

MEPHISTOPHELES(allein).

350

Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,

Und hüte mich mit ihm zu brechen.

Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,

So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

Der Tragödie Erster Teil

Nacht

In einem hochgewölbten, engen, gotischen Zimmer

FAUSTunruhig auf seinem Sessel am Pulte.

FAUST. Habe nun, ach! Philosophie,

355

Juristerei und Medizin,

Und leider auch Theologie!

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor!

Und bin so klug als wie zuvor;

360

Heiße Magister, heiße Doktor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr,

Herauf, herab und quer und krumm,

Meine Schüler an der Nase herum –

Und sehe, dass wir nichts wissen können!

365

Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –

370

Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,

Bilde mir nicht ein was Rechts zu wissen,

Bilde mir nicht ein ich könnte was lehren

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab ich weder Gut noch Geld,

375

Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab ich mich der Magie ergeben,

Ob mir, durch Geistes Kraft und Mund,

Nicht manch Geheimnis würde kund;

380

Dass ich nicht mehr, mit sauerm Schweiß,

Zu sagen brauche was ich nicht weiß;

Dass ich erkenne was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau alle Wirkenskraft und Samen,

385

Und tu nicht mehr in Worten kramen.

O sähst du, voller Mondenschein,

Zum letzten Mal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht

An diesem Pult herangewacht:

390

Dann, über Büchern und Papier,

Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!

Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn,

In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,

395

Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

Von allem Wissensqualm entladen

In deinem Tau gesund mich baden!

Weh! steck ich in dem Kerker noch?

Verfluchtes dumpfes Mauerloch!

400

Wo selbst das liebe Himmelslicht

Trüb durch gemalte Scheiben bricht!

Beschränkt von diesem Bücherhauf,

Den Würme nagen, Staub bedeckt,

Den, bis ans hohe Gewölb hinauf,

405

Ein angeraucht Papier umsteckt;

Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,

Mit Instrumenten vollgepfropft,

Urväter Hausrat drein gestopft –

Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!

410

Und fragst du noch, warum dein Herz

Sich bang in deinem Busen klemmt?

Warum ein unerklärter Schmerz

Dir alle Lebensregung hemmt?

Statt der lebendigen Natur,

415

Da Gott die Menschen schuf hinein,

Umgibt in Rauch und Moder nur

Dich Tiergeripp und Totenbein.

Flieh! Auf! Hinaus ins weite Land!

Und dies geheimnisvolle Buch,

420

Von Nostradamus’ eigner Hand,

Ist dir es nicht Geleit genug?

Erkennest dann der Sterne Lauf,

Und wenn Natur dich unterweist,

Dann geht die Seelenkraft dir auf,

425

Wie spricht ein Geist zum andern Geist.

Umsonst, dass trocknes Sinnen hier

Die heil’gen Zeichen dir erklärt.

Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;

Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

(Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.)

430

Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!

Ich fühle junges heil’ges Lebensglück

Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.

War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,

435

Die mir das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen,

Und mit geheimnisvollem Trieb,

Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?

Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!

440

Ich schau in diesen reinen Zügen

Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.

Jetzt erst erkenn ich was der Weise spricht:

»Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;

Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!

445

Auf, bade, Schüler, unverdrossen

Die ird’sche Brust im Morgenrot!«

(Er beschaut das Zeichen.)

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen

450

Und sich die goldnen Eimer reichen!

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all’ das All durchklingen!

Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!

455

Wo fass ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt –

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?

(Er schlägt unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.)

460

Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl ich meine Kräfte höher,

Schon glüh ich wie von neuem Wein,

Ich fühle Mut mich in die Welt zu wagen,

465

Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen,

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,

Es wölkt sich über mir –

Der Mond verbirgt sein Licht –

470

Die Lampe schwindet!

Es dampft! – Es zucken rote Strahlen

Mir um das Haupt – Es weht

Ein Schauer vom Gewölb herab

Und fasst mich an!

475

Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.

Enthülle dich!

Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!

Zu neuen Gefühlen

All meine Sinnen sich erwühlen!

480

Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du musst! du musst! und kostet’ es mein Leben!

(Er fasst das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, DER GEISTerscheint in der Flamme.)

GEIST. Wer ruft mir?

FAUST(abgewendet).     Schreckliches Gesicht!

GEIST. Du hast mich mächtig angezogen,

An meiner Sphäre lang gesogen,

Und nun –

485

FAUST.             Weh! ich ertrag dich nicht!

GEIST. Du flehst eratmend mich zu schauen,

Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;

Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,

Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen

490

Fasst Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?

Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf,

Und trug und hegte, die mit Freudebeben

Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?

Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,

495

Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Bist Du es? der, von meinem Hauch umwittert,

In allen Lebenstiefen zittert,

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!

FAUST. Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?

500

Ich bin’s, bin Faust, bin deinesgleichen!

GEIST. In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

505

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit,

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

510

FAUST. Der du die weite Welt umschweifst,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!

GEIST. Du gleichst dem Geist den du begreifst,

Nicht mir! (Verschwindet.)

FAUST(zusammenstürzend).

Nicht dir?

515

Wem denn?

Ich Ebenbild der Gottheit!

Und nicht einmal dir!

(Es klopft.)

O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –

Es wird mein schönstes Glück zunichte!

520

Dass diese Fülle der Gesichte

Der trockne Schleicher stören muss!

WAGNERim Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. FAUSTwendet sich unwillig.

WAGNER. Verzeiht! ich hör Euch deklamieren;

Ihr last gewiss ein griechisch Trauerspiel?

In dieser Kunst möcht ich was profitieren,

525

Denn heutzutage wirkt das viel.

Ich hab es öfters rühmen hören,

Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.

FAUST. Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;

Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.

530

WAGNER. Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,

Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,

Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,

Wie soll man sie durch Überredung leiten?

FAUST. Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,

535

Wenn es nicht aus der Seele dringt,

Und mit urkräftigem Behagen

Die Herzen aller Hörer zwingt.

Sitzt ihr nur immer! Leimt zusammen,

Braut ein Ragout von andrer Schmaus,

540

Und blast die kümmerlichen Flammen

Aus eurem Aschenhäufchen raus!

Bewundrung von Kindern und Affen,

Wenn euch darnach der Gaumen steht;

Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,

545

Wenn es euch nicht von Herzen geht.

WAGNER.

Allein der Vortrag macht des Redners Glück;

Ich fühl es wohl noch bin ich weit zurück.

FAUST. Such’ Er den redlichen Gewinn!

Sei Er kein schellenlauter Tor!

550

Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor;

Und wenn’s euch ernst ist was zu sagen,

Ist’s nötig Worten nachzujagen?

Ja, eure Reden, die so blinkend sind,

555

In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,

Sind unerquicklich wie der Nebelwind,

Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

WAGNER. Ach Gott! die Kunst ist lang!

Und kurz ist unser Leben.

560

Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,

Doch oft um Kopf und Busen bang.

Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,

Durch die man zu den Quellen steigt!

Und eh man nur den halben Weg erreicht,

565

Muss wohl ein armer Teufel sterben.

FAUST. Das Pergament ist das der heil’ge Bronnen,

Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?

Erquickung hast du nicht gewonnen,

Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

570

WAGNER. Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen

Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen,

Zu schauen wie vor uns ein weiser Mann gedacht,

Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

FAUST. O ja, bis an die Sterne weit!

575

Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit

Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln;

Was ihr den Geist der Zeiten heißt,

Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

In dem die Zeiten sich bespiegeln.

580

Da ist’s denn wahrlich oft ein Jammer!

Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.

Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer,

Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion,

Mit trefflichen pragmatischen Maximen,

585

Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

WAGNER.

Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!

Möcht jeglicher doch was davon erkennen.

FAUST. Ja was man so erkennen heißt!

Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?

590

Die wenigen, die was davon erkannt,

Die töricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,

Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,

Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.

Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,

595

Wir müssen’s diesmal unterbrechen.

WAGNER. Ich hätte gern nur immer fortgewacht,

Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.

Doch morgen, als am ersten Ostertage,

Erlaubt mir ein’ und andre Frage.

600

Mit Eifer hab ich mich der Studien beflissen;

Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen. (Ab.)

FAUST(allein).

Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,

Der immerfort an schalem Zeuge klebt,

Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,

605

Und froh ist wenn er Regenwürmer findet!

Darf eine solche Menschenstimme hier,

Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?

Doch ach! für diesmal dank ich dir,

Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.

610

Du rissest mich von der Verzweiflung los,

Die mir die Sinne schon zerstören wollte.

Ach! die Erscheinung war so riesengroß,

Dass ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.

Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon

615

Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,

Sein selbst genoss in Himmelsglanz und Klarheit,

Und abgestreift den Erdensohn;

Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft

Schon durch die Adern der Natur zu fließen

620

Und schaffend, Götterleben zu genießen

Sich ahnungsvoll vermaß, wie muss ich’s büßen!

Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.

Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen.

Hab ich die Kraft dich anzuziehn besessen;

625

So hatt ich dich zu halten keine Kraft.

In jenem sel’gen Augenblicke

Ich fühlte mich so klein, so groß;

Du stießest grausam mich zurücke,

Ins ungewisse Menschenlos.

630

Wer lehret mich? was soll ich meiden?

Soll ich gehorchen jenem Drang?

Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,

Sie hemmen unsres Lebens Gang.

Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,

635

Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;

Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,

Dann heißt das Bessre Trug und Wahn.

Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle

Erstarren in dem irdischen Gewühle.

640

Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem Flug,

Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,

So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,

Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.

Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

645

Dort wirket sie geheime Schmerzen,

Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;

Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,

Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,

Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;

650

Du bebst vor allem was nicht trifft,

Und was du nie verlierst das musst du stets beweinen.

Den Göttern gleich ich nicht! Zu tief ist es gefühlt;

Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt;

Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

655

Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.

Ist es nicht Staub was diese hohe Wand,

Aus hundert Fächern, mir verenget;

Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,

In dieser Mottenwelt mich dränget?

660

Hier soll ich finden was mir fehlt?

Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,

Dass überall die Menschen sich gequält,

Dass hie und da ein Glücklicher gewesen? –

Was grinsest du mir hohler Schädel her?

665

Als dass dein Hirn, wie meines, einst verwirret,

Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,

Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.

Ihr Instrumente freilich, spottet mein,

Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.

670

Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;

Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.

Geheimnisvoll am lichten Tag

Lässt sich Natur des Schleiers nicht berauben,

Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,

675

Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.

Du alt Geräte das ich nicht gebraucht,

Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.

Du alte Rolle, du wirst angeraucht,

So lang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.

680

Weit besser hätt ich doch mein Weniges verprasst,

Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen!

Was du ererbt von deinen Vätern hast

Erwirb es um es zu besitzen.

Was man nicht nützt ist eine schwere Last;

685

Nur was der Augenblick erschafft das kann er nützen.

Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?

Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?

Warum wird mir auf einmal lieblich helle,

Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz umweht?

690

Ich grüße dich, du einzige Phiole!

Die ich mit Andacht nun herunterhole,

In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.

Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,

Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,

695

Erweise deinem Meister deine Gunst!

Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,

Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,

Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.

Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,

700

Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag,

Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,

An mich heran! Ich fühle mich bereit

Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,

705

Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.

Dies hohe Leben, diese Götterwonne!

Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?

Ja, kehre nur der holden Erdensonne

Entschlossen deinen Rücken zu!

710

Vermesse dich die Pforten aufzureißen,

Vor denen jeder gern vorüberschleicht.

Hier ist es Zeit durch Taten zu beweisen,

Dass Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht,

Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,

715

In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,

Nach jenem Durchgang hinzustreben,

Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;

Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen

Und, wär es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fließen.

720

Nun komm herab, kristallne reine Schale!

Hervor aus deinem alten Futterale,

An die ich viele Jahre nicht gedacht.

Du glänztest bei der Väter Freudenfeste,

Erheitertest die ernsten Gäste,

725

Wenn einer dich dem andern zugebracht.

Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,

Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,

Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,

Erinnert mich an manche Jugend-Nacht;

730

Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,

Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen;

Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.

Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.

Den ich bereitet, den ich wähle,

735

Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele,

Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!

(Er setzt die Schale an den Mund.)

Glockenklang und Chorgesang

CHOR DER ENGEL. Christ ist erstanden!

Freude dem Sterblichen,

Den die verderblichen,

740

Schleichenden, erblichen

Mängel umwanden.

FAUST. Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,

Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?

Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon

745

Des Osterfestes erste Feierstunde?

Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang

Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,

Gewissheit einem neuen Bunde?

CHOR DER WEIBER. Mit Spezereien

750

Hatten wir ihn gepflegt,

Wir seine Treuen

Hatten ihn hingelegt;

Tücher und Binden

Reinlich umwanden wir,

755

Ach! und wir finden

Christ nicht mehr hier.

CHOR DER ENGEL. Christ ist erstanden!

Selig der Liebende,

Der die betrübende,

760

Heilsam’ und übende

Prüfung bestanden.

FAUST. Was sucht ihr, mächtig und gelind,

Ihr Himmelstöne, mich am Staube?

Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.

765

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.

Zu jenen Sphären wag ich nicht zu streben,

Woher die holde Nachricht tönt;

Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,

770

Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.

Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuss

Auf mich herab, in ernster Sabbatstille;

Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,

Und ein Gebet war brünstiger Genuss;

775

Ein unbegreiflich holdes Sehnen

Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,

Und unter tausend heißen Tränen,

Fühlt ich mir eine Welt entstehn.

Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,

780

Der Frühlingsfeier freies Glück;

Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,

Vom letzten, ernsten Schritt zurück.

O tönet fort ihr süßen Himmelslieder!

Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!

785

CHOR DER JÜNGER. Hat der Begrabene

Schon sich nach oben,

Lebend Erhabene,

Herrlich erhoben;

Ist er in Werdelust

790

Schaffender Freude nah;

Ach! an der Erde Brust,

Sind wir zum Leide da.

Ließ er die Seinen

Schmachtend uns hier zurück;

795

Ach! wir beweinen

Meister dein Glück!

CHOR DER ENGEL. Christ ist erstanden,

Aus der Verwesung Schoß.

Reißet von Banden

800

Freudig euch los!

Tätig ihn Preisenden,

Liebe Beweisenden,

Brüderlich Speisenden,

Predigend Reisenden,

805

Wonne Verheißenden

Euch ist der Meister nah,

Euch ist er da!

Vor dem Tor

SPAZIERGÄNGERaller Art ziehen hinaus.

EINIGE HANDWERKSBURSCHE. Warum denn dort hinaus?

ANDRE. Wir gehn hinaus aufs Jägerhaus.

810

DIE ERSTEN. Wir aber wollen nach der Mühle wandern.

EIN HANDWERKSBURSCH.

Ich rat euch nach dem Wasserhof zu gehn.

ZWEITER. Der Weg dahin ist gar nicht schön.

DIE ZWEITEN. Was tust denn du?

EIN DRITTER.                               Ich gehe mit den andern.

VIERTER.

Nach Burgdorf kommt herauf, gewiss dort findet ihr

815

Die schönsten Mädchen und das beste Bier,

Und Händel von der ersten Sorte.

FÜNFTER. Du überlustiger Gesell,

Juckt dich zum dritten Mal das Fell?

Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.

DIENSTMÄDCHEN.

820

Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.

ANDRE. Wir finden ihn gewiss bei jenen Pappeln stehen.

ERSTE. Das ist für mich kein großes Glück;

Er wird an deiner Seite gehen,

Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.

825

Was gehn mich deine Freuden an!

ANDRE. Heut ist er sicher nicht allein,

Der Krauskopf, sagt er, würde bei ihm sein.

SCHÜLER. Blitz, wie die wackern Dirnen schreiten!

Herr Bruder komm! wir müssen sie begleiten.

830

Ein starkes Bier, ein beizender Toback,

Und eine Magd im Putz das ist nun mein Geschmack.

BÜRGERMÄDCHEN. Da sieh mir nur die schönen Knaben!

Es ist wahrhaftig eine Schmach;

Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,

835

Und laufen diesen Mägden nach!

ZWEITER SCHÜLER(zum ersten).

Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwei,

Sie sind gar niedlich angezogen,

’s ist meine Nachbarin dabei;

Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.

840

Sie gehen ihren stillen Schritt

Und nehmen uns doch auch am Ende mit.

ERSTER. Herr Bruder nein! Ich bin nicht gern geniert.

Geschwind! dass wir das Wildbret nicht verlieren.

Die Hand, die samstags ihren Besen führt,

845

Wird sonntags dich am besten karessieren.

BÜRGER. Nein, er gefällt mir nicht der neue Burgemeister!

Nun, da er’s ist, wird er nur täglich dreister.

Und für die Stadt was tut denn er?

Wird es nicht alle Tage schlimmer?

850

Gehorchen soll man mehr als immer,

Und zahlen mehr als je vorher.

BETTLER(singt). Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,

So wohlgeputzt und backenrot,

Belieb’ es euch mich anzuschauen,

855

Und seht und mildert meine Not!

Lasst hier mich nicht vergebens leiern!

Nur der ist froh, der geben mag.

Ein Tag den alle Menschen feiern,

Er sei für mich ein Erntetag.

ANDRER BÜRGER.

860

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,

Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,

Wenn hinten, weit, in der Türkei,

Die Völker aufeinander schlagen.

Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus

865

Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;

Dann kehrt man abends froh nach Haus,

Und segnet Fried und Friedenszeiten.

DRITTER BÜRGER.

Herr Nachbar, ja! so lass ich’s auch geschehn,

Sie mögen sich die Köpfe spalten,

870

Mag alles durcheinander gehn;

Doch nur zu Hause bleib’s beim Alten.

ALTE(zu den Bürgermädchen).

Ei! wie geputzt! das schöne junge Blut!

Wer soll sich nicht in euch vergaffen? –

Nur nicht so stolz! Es ist schon gut!

875

Und was ihr wünscht das wüsst ich wohl zu schaffen.

BÜRGERMÄDCHEN. Agathe fort! ich nehme mich in Acht

Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;

Sie ließ mich zwar, in Sankt Andreas’ Nacht,

Den künft’gen Liebsten leiblich sehen.

880

DIE ANDRE. Mir zeigte sie ihn im Kristall,

Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen;

Ich seh mich um, ich such ihn überall,

Allein mir will er nicht begegnen.

SOLDATEN.       Burgen mit hohen

885

Mauern und Zinnen,

Mädchen mit stolzen

Höhnenden Sinnen

Möcht ich gewinnen!

Kühn ist das Mühen,

890

Herrlich der Lohn!

Und die Trompete

Lassen wir werben,

Wie zu der Freude,

So zum Verderben.

895

Das ist ein Stürmen!

Das ist ein Leben!

Mädchen und Burgen

Müssen sich geben.

Kühn ist das Mühen,

900

Herrlich der Lohn!

Und die Soldaten

Ziehen davon.

FAUSTundWAGNER.

FAUST. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;

905

Im Tale grünet Hoffnungs-Glück;

Der alte Winter, in seiner Schwäche,

Zog sich in raue Berge zurück.

Von dorther sendet er, fliehend, nur

Ohnmächtige Schauer körnigen Eises

910

In Streifen über die grünende Flur;

Aber die Sonne duldet kein Weißes,

Überall regt sich Bildung und Streben,

Alles will sie mit Farben beleben;

Doch an Blumen fehlt’s im Revier,

915

Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen

Nach der Stadt zurück zu sehen.

Aus dem hohlen finstern Tor

Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

920

Jeder sonnt sich heute so gern.

Sie feiern die Auferstehung des Herrn,

Denn sie sind selber auferstanden,

Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

Aus Handwerks- und Gewerbes-Banden,

925

Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

Aus der Straßen quetschender Enge,

Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge

930

Durch die Gärten und Felder zerschlägt,

Wie der Fluss, in Breit und Länge,

So manchen lustigen Nachen bewegt,

Und, bis zum Sinken überladen,

Entfernt sich dieser letzte Kahn.

935

Selbst von des Berges fernen Pfaden

Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet Groß und Klein:

940

Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

WAGNER. Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren

Ist ehrenvoll und ist Gewinn;

Doch würd ich nicht allein mich her verlieren,

Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.

945

Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben,

Ist mir ein gar verhasster Klang;

Sie toben wie vom bösen Geist getrieben

Und nennen’s Freude, nennen’s Gesang.

BAUERNunter der Linde.

Tanz und Gesang.

Der Schäfer putzte sich zum Tanz,

950

Mit bunter Jacke, Band und Kranz,

Schmuck war er angezogen.

Schon um die Linde war es voll.

Und alles tanzte schon wie toll.

Juchhe! Juchhe!

955

Juchheisa! Heisa! He!

So ging der Fiedelbogen.

Er drückte hastig sich heran,

Da stieß er an ein Mädchen an

Mit seinem Ellenbogen;

960

Die frische Dirne kehrt sich um

Und sagte: nun das find ich dumm!

Juchhe! Juchhe!

Juchheisa! Heisa! He!

Seid nicht so ungezogen.

965

Doch hurtig in dem Kreise ging’s,

Sie tanzten rechts, sie tanzten links

Und alle Röcke flogen.

Sie wurden rot, sie wurden warm

Und ruhten atmend Arm in Arm,

970

Juchhe! Juchhe!

Juchheisa! Heisa! He!

Und Hüft an Ellenbogen.

Und tu mir doch nicht so vertraut!

Wie mancher hat nicht seine Braut

975

Belogen und betrogen!

Er schmeichelte sie doch beiseit

Und von der Linde scholl es weit:

Juchhe! Juchhe!

Juchheisa! Heisa! He!

980

Geschrei und Fiedelbogen.

ALTER BAUER. Herr Doktor, das ist schön von Euch,

Dass Ihr uns heute nicht verschmäht,

Und unter dieses Volksgedräng,

Als ein so Hochgelahrter, geht.

985

So nehmet auch den schönsten Krug,

Den wir mit frischem Trunk gefüllt,

Ich bring ihn zu und wünsche laut,

Dass er nicht nur den Durst Euch stillt;

Die Zahl der Tropfen, die er hegt,

990

Sei Euren Tagen zugelegt.

FAUST. Ich nehme den Erquickungs-Trank,

Erwidr’ euch allen Heil und Dank.

DAS VOLKsammelt sich im Kreis umher.

ALTER BAUER. Fürwahr es ist sehr wohl getan,

Dass Ihr am frohen Tag erscheint;

995

Habt Ihr es vormals doch mit uns

An bösen Tagen gut gemeint!

Gar mancher steht lebendig hier,

Den Euer Vater noch zuletzt

Der heißen Fieberwut entriss,

1000

Als er der Seuche Ziel gesetzt.

Auch damals Ihr, ein junger Mann,

Ihr gingt in jedes Krankenhaus,

Gar manche Leiche trug man fort,

Ihr aber kamt gesund heraus.

1005

Bestandet manche harte Proben;

Dem Helfer half der Helfer droben.

ALLE. Gesundheit dem bewährten Mann,

Dass er noch lange helfen kann!

FAUST. Vor jenem droben steht gebückt,

1010

Der helfen lehrt und Hülfe schickt.

(Er geht mit Wagnern weiter.)

WAGNER. Welch ein Gefühl musst du, o großer Mann!

Bei der Verehrung dieser Menge haben!

O! glücklich! wer von seinen Gaben

Solch einen Vorteil ziehen kann.

1015

Der Vater zeigt dich seinem Knaben,

Ein jeder fragt und drängt und eilt,

Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.

Du gehst, in Reihen stehen sie,

Die Mützen fliegen in die Höh:

1020

Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,

Als käm das Venerabile.

FAUST. Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,

Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.

Hier saß ich oft gedankenvoll allein

1025

Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.

An Hoffnung reich, im Glauben fest,

Mit Tränen, Seufzen, Händeringen

Dacht ich das Ende jener Pest

Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.

1030

Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.

O könntest du in meinem Innern lesen,

Wie wenig Vater und Sohn

Solch eines Ruhmes wert gewesen!

Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,

1035

Der über die Natur und ihre heil’gen Kreise,

In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,

Mit grillenhafter Mühe sann.

Der, in Gesellschaft von Adepten,

Sich in die schwarze Küche schloss,

1040

Und, nach unendlichen Rezepten,

Das Widrige zusammengoss.

Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier,

Im lauen Bad, der Lilie vermählt

Und beide dann, mit offnem Flammenfeuer,

1045

Aus einem Brautgemach ins andere gequält.

Erschien darauf mit bunten Farben

Die junge Königin im Glas,

Hier war die Arzenei, die Patienten starben,

Und niemand fragte: wer genas?

1050

So haben wir, mit höllischen Latwergen,

In diesen Tälern, diesen Bergen,

Weit schlimmer als die Pest getobt.

Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,

Sie welkten hin, ich muss erleben

1055

Dass man die frechen Mörder lobt.

WAGNER.

Wie könnt Ihr Euch darum betrüben!

Tut nicht ein braver Mann genug,

Die Kunst, die man ihm übertrug,

Gewissenhaft und pünktlich auszuüben.

1060

Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,

So wirst du gern von ihm empfangen;

Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,

So kann dein Sohn zu höh’rem Ziel gelangen.

FAUST. O glücklich! wer noch hoffen kann

1065

Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen.

Was man nicht weiß das eben brauchte man,

Und was man weiß kann man nicht brauchen.

Doch lass uns dieser Stunde schönes Gut

Durch solchen Trübsinn nicht verkümmern!

1070

Betrachte wie in Abendsonne-Glut

Die grünumgebnen Hütten schimmern.

Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,

Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.

O dass kein Flügel mich vom Boden hebt,

1075

Ihr nach und immer nach zu streben!

Ich säh im ewigen Abendstrahl

Die stille Welt zu meinen Füßen,

Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal,

Den Silberbach in goldne Ströme fließen.

1080

Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf

Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;

Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten

Vor den erstaunten Augen auf.

Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;

1085

Allein der neue Trieb erwacht,

Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken,

Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,

Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.

Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.

1090

Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht

Kein körperlicher Flügel sich gesellen.

Doch ist es jedem eingeboren,

Dass sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,

Wenn über uns, im blauen Raum verloren,

1095

Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;

Wenn über schroffen Fichtenhöhen

Der Adler ausgebreitet schwebt,

Und über Flächen, über Seen,

Der Kranich nach der Heimat strebt.

WAGNER.

1100

Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,

Doch solchen Trieb hab ich noch nie empfunden.

Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,

Des Vogels Fittich werd ich nie beneiden.

Wie anders tragen uns die Geistesfreuden,

1105

Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!

Da werden Winternächte hold und schön,

Ein selig Leben wärmet alle Glieder,

Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen,

So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.

1110

FAUST. Du bist dir nur des einen Triebs bewusst;

O lerne nie den andern kennen!

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,

Die eine will sich von der andern trennen;

Die eine hält, in derber Liebeslust,

1115

Sich an die Welt, mit klammernden Organen;

Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust

Zu den Gefilden hoher Ahnen.

O gibt es Geister in der Luft,

Die zwischen Erd und Himmel herrschend weben,

1120

So steiget nieder aus dem goldnen Duft

Und führt mich weg, zu neuem buntem Leben!

Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!

Und trüg er mich in fremde Länder,

Mir sollt’ er um die köstlichsten Gewänder,

1125

Nicht feil um einen Königsmantel sein.

WAGNER. Berufe nicht die wohlbekannte Schar,

Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet,

Dem Menschen tausendfältige Gefahr,

Von allen Enden her, bereitet.

1130

Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn

Auf dich herbei, mit pfeilgespitzten Zungen;

Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,

Und nähren sich von deinen Lungen;

Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,

1135

Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,

So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,

Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.

Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,

Gehorchen gern, weil sie uns gern betriegen,

1140

Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,

Und lispeln englisch, wenn sie lügen.

Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt,

Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!

Am Abend schätzt man erst das Haus. –

1145

Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?

Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?

FAUST. Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?

WAGNER.

Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.

FAUST. Betracht ihn recht! Für was hältst du das Tier?

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WAGNER. Für einen Pudel, der auf seine Weise

Sich auf der Spur des Herren plagt.

FAUST. Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise

Er um uns her und immer näher jagt?

Und irr ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel

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Auf seinen Pfaden hinterdrein.

WAGNER. Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;

Es mag bei Euch wohl Augentäuschung sein.

FAUST. Mir scheint es, dass er magisch leise Schlingen

Zu künft’gem Band um unsre Füße zieht.

WAGNER.

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Ich seh ihn ungewiss und furchtsam uns umspringen,

Weil er, statt seines Herrn, zwei Unbekannte sieht.

FAUST. Der Kreis wird eng, schon ist er nah!

WAGNER. Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.

Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch.

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Er wedelt. Alles Hunde-Brauch.

FAUST. Geselle dich zu uns! Komm hier!

WAGNER. Es ist ein pudelnärrisch Tier.

Du stehest still, er wartet auf;

Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;

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Verliere was, er wird es bringen,

Nach deinem Stock ins Wasser springen.

FAUST. Du hast wohl Recht; ich finde nicht die Spur

Von einem Geist, und alles ist Dressur.

WAGNER. Dem Hunde, wenn er gut gezogen,

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Wird selbst ein weiser Mann gewogen.

Ja deine Gunst verdient er ganz und gar,

Er der Studenten trefflicher Skolar.

(Sie gehen in das Stadttor.)

Studierzimmer

FAUSTmit demPUDELhereintretend.

FAUST.        Verlassen hab ich Feld und Auen,

Die eine tiefe Nacht bedeckt,

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Mit ahnungsvollem heil’gem Grauen

In uns die bessre Seele weckt.

Entschlafen sind nun wilde Triebe,

Mit jedem ungestümen Tun;

Es reget sich die Menschenliebe,

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Die Liebe Gottes regt sich nun.

Sei ruhig Pudel! renne nicht hin und wider!

An der Schwelle was schnoberst du hier?

Lege dich hinter den Ofen nieder,

Mein bestes Kissen geb ich dir.

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Wie du draußen auf dem bergigen Wege

Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast,

So nimm nun auch von mir die Pflege,

Als ein willkommner stiller Gast.

Ach wenn in unsrer engen Zelle

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Die Lampe freundlich wieder brennt,

Dann wird’s in unserm Busen helle,

Im Herzen, das sich selber kennt.

Vernunft fängt wieder an zu sprechen,

Und Hoffnung wieder an zu blühn;

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Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,

Ach! nach des Lebens Quelle hin.

Knurre nicht Pudel! Zu den heiligen Tönen,

Die jetzt meine ganze Seel umfassen,