Fearful - Kitts Schicksal - Lauren Roberts - E-Book

Fearful - Kitts Schicksal E-Book

Lauren Roberts

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Beschreibung

Das neue Buch der Platz-1-SPIEGEL-Bestsellerautorin endlich auf Deutsch!

Mara hatte sich eigentlich geschworen, nie wieder einen Fuß in das Königreich Ilya zu setzen. Doch als Kitt Azer eine folgenschwere Entscheidung trifft, wird ihr Interesse geweckt. Mara macht sich auf den Weg, um Kitt und die Bewohner des Schlosses genauer in Augenschein zu nehmen. Doch was sie dabei entdeckt, wird nicht nur Kitts Schicksal in neue Bahnen lenken …
Die Romane aus dem Powerless-Universum:
Band 1: Powerless – Das Spiel
Band 2: Powerless – Die Flucht
Band 3: Powerless – Der Thron
Novelle: Powerful – Adenas Schicksal
Novelle: Fearful – Kitts Schicksal
Enthaltene Tropes: Broken Hero/Heroine, Forced Proximity, Slow Burn, Enemies to Lovers

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 302

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

Mara hatte sich eigentlich geschworen, nie wieder einen Fuß in das Königreich Ilya zu setzen. Doch als Kitt Azer eine folgenschwere Entscheidung trifft, wird ihr Interesse geweckt. Mara macht sich auf den Weg, um Kitt und die Bewohner des Schlosses genauer in Augenschein zu nehmen. Doch was sie dabei entdeckt, wird nicht nur Kitts Schicksal in neue Bahnen lenken …

Autorin

Lauren Roberts hat ihr ganzes Leben in Michigan, USA, verbracht. Wenn sie nicht gerade über fantastische Welten und liebenswerte Charaktere schreibt, findet man sie eingekuschelt im Bett und mit einem Fantasy-Roman in der Hand – oder auf TikTok, wo sie als @laurenrobertslibrary ihre Liebe zu Büchern mit ihren Hunderttausenden Follower*innen teilt. »Powerless – Das Spiel« ist Lauren Roberts’ Debüt und stellt den Auftakt einer mitreißenden Romantasy-Trilogie dar. Der Roman eroberte Platz 1 der »New York Times«- und SPIEGEL-Bestsellerliste und traf mitten ins Herz der Leser*innen.

Weitere Informationen unter:

www.laurenrobertslibrary.com

www.instagram.com/laurenrobertslibrary/

www.tiktok.com/@laurenrobertslibrary

Von Lauren Roberts bereits erschienen

Powerless – Das Spiel · Powerless – Die Flucht · Powerless – Der Thron · Powerful – Adenas Schicksal

Lauren Roberts

Fearful

Kitts Schicksal

Roman

Deutsch von Ulrike Gerstner

Die Originalausgabe erschien 2025 unter dem Titel »Fearful« bei Simon & Schuster UK Ltd, London.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright der Originalausgabe © 2025 by Lauren Roberts

POWERLESS is a trademark of Lauren’s Library LLC

Published by arrangement with Simon & Schuster UK Ltd

1st Floor, 222 Gray’s Inn Road, London, WC1X 8HB

A Paramount Company

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2025 by Penhaligon

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Redaktion: Catherine Beck

Umschlaggestaltung: bürosüd

nach einer Vorlage von Alex Forrest / Simon & Schuster unter Verwendung von Bildmaterial von Bob Lea

Karten: © Patrick Knowles

DK · Herstellung: fe

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 9783641335274

www.penhaligon-verlag.de

Für alle, die Angst haben, sich zu verlieren – ob in der Liebe oder in anderen Dingen: Du bist mutiger, als du ahnst.

Prolog

Mara

Die Toten kämpfen, als ob sie noch etwas hätten, wofür es sich zu leben lohnt.

Dieser zeternde Leichnam, den Tod im Schlepptau hat, ist besonders schwer. Allerdings ist das Ganze nicht so anstrengend wie für einen Menschen, der eine bleischwere Leiche wegschleifen muss. Tod ist nämlich mit allem ausgestattet, was sie braucht, um die Toten der Verdammnis anheimzugeben. Wenn sie um Stärke bittet, bekommt sie sie. Wenn Verführung erforderlich ist, legt sie Schönheit an wie eine Rüstung. Und wenn Tod ihrem erbarmungslosen Namen gerecht werden muss, dann geschieht auch das.

Man tut gut daran, sich das zu merken.

Nein, es ist die Last der Seele dieses Mannes, die ihre Schritte verlangsamt. Die Dunkelheit, die um sein starres Herz strudelt, überzieht auch seine kalte Haut mit vergangenen Sünden, die unter der Berührung des Todes schlüpfrig wie Öl sind. Mit so wenigen Fingern wie möglich (Tod macht sich ungern die Hände schmutzig) zieht sie den bettelnden Mann an seinem Fußgelenk durch den düsteren Sumpf. Im Land der Lebenden mag er tot sein, aber hier ist der Tod eine Gunst, die man sich verdient. So windet sich sein steifer Körper im Schlamm, während er um Gnade bettelt und sein Mund sich mit trübem Morast füllt.

Tod blickt nicht zurück. Sie weiß, wie die Pflicht auszusehen hat. Denn sie ist genauso verdammt wie die Seelen, die sie einsammelt.

Dichter Nebel kriecht über den verrottenden Untergrund, versperrt Tod den Weg und würgt den Mann, den sie hinter sich herschleppt. Tod watet durch den unheilvollen Dunst und hält unter einem morschen Baum inne, um tief einzuatmen. Der Gestank der verdorbenen Seele dieses Mannes wird nun gnädigerweise von dem Nebelmeer überdeckt, unter dem er ertrinkt. Tod nutzt den friedlichen Moment und blickt hinauf zu den kahlen Ästen, die an dem ewig grauen Himmel kratzen. Knorrige Stämme ragen wie Knochenfinger aus dem schlammigen Boden und zeigen auf das Leben jenseits dieses klischeehaft gestalteten Friedhofs.

Unbeeindruckt von der Schaurigkeit ihrer Geburtsstätte (im übertragenen Sinne, versteht sich), schlängelt sich Tod mit der sich aufbäumenden Seele im Schlepptau zwischen den aschgrauen Bäumen hindurch. Moos rutscht von jedem Ast, gleitet über die Schultern von Tod und legt sich wie ein glitschiger Schleier auf ihre Stirn. Die Rückkehr einer entlaufenen Braut.

Der Mors heißt die Seinen willkommen.

Während sie die tobende Seele durch die Ansammlung von skelettartigen Bäumen zerrt, lacht Tod, als sie einen Moosvorhang durchschreitet. Sie lieben es zu tratschen – also die Bäume. Oder besser gesagt die Seelen, die in sie gepflanzt wurden. Manche hören nur den Wind durch ihre Äste pfeifen, aber wer den Tod aus erster Hand kennt, wird ihn immer in der Stimme eines anderen erkennen.

Die Knochen knirschen unter den Füßen von Tod, als sie aus der ebenso morschen Baumgruppe hervortritt. Die Seele, deren Knöchel zwischen den zarten Fingern einer trügerisch verführerischen Frau zerquetscht wird, schreit auf, als ein abgetrennter Oberschenkelknochen seine schlammige Haut zerschneidet (die Knochen waren ein bisschen viel, das muss Tod schon zugeben). Das Blut sickert aus seinem Unterarm und besudelt den verrottenden Boden, der gierig das Leben aufsaugt, das er nur selten zu schmecken bekommt; er buckelt gegen diese Seele wie eine geblähte Lunge. Der Mann schreit auf, als der bröckelnde Erdboden unter ihm zu atmen beginnt, als wäre er die geifernde Kreatur, die er auch ist.

»Noch nicht«, schilt Tod sanft den unersättlichen Heißhunger der Erde. Das Rumpeln unter ihren Füßen ist leise, während die Seele zu ihren Fersen weiter wütet. Mit der freien Hand zieht sie ein langes, geschwärztes Schwert hervor und schubst mit der seelenbefleckten Spitze die Knochen beiseite, die ihr den Weg versperren (auch Tod macht ihre Stiefel nicht so gern schmutzig).

Beim Anblick dieser unheimlichen Klinge, von der jetzt ein tintenschwarzer Dunst trieft, schreit der Mann wieder. »Bitte! Bitte, lass mich gehen! Ich …!«

»Es gibt keinen Grund, zu schreien.« Die Stimme von Tod ist sanft – vielleicht klingt sie sogar so, dass man sie für aufrichtig halten könnte. Zum ersten Mal, seit sie die Seele den Lebenden gestohlen hat, wendet sie sich um und sieht den Mann an, den sie weggeschleppt hat. Er ist faszinierend austauschbar, denkt sie, während ihr dunkler Blick über sein stumpfes braunes Haar und die schlammigen Gesichtszüge wandert. Aber er trägt die Fratze der Angst zur Schau, und die ist – so langweilig sie auch sein mag – vertraut. »Denn niemand kann dich hören.«

Der Mann blinzelt erschrocken zu ihr hoch. »A-aber … du kannst mich doch hören …?«

Tod erlaubt sich einen Moment des Mitleids mit dieser Seele. »Du willst nicht, dass ich diejenige bin, die deine Gebete erhört.«

Damit dreht sie sich um und zerrt die gefangene Seele weiter in ihr Verderben. Die Spitze des dunklen Schwertes baumelt von ihrer Hand und schleift über den trockenen Boden, wo sie Funken sprüht.

Der Mann hinter ihr poltert noch immer, was sie veranlasst zu sagen: »Achte nicht auf die Knochen. Die habe ich nur als Dekoration hier ausgelegt.«

»W-was?«, würgt der Mann hervor.

»Die Menschen haben hohe Erwartungen an den Tod. Sosehr sie ihn auch fürchten, verbringen sie doch den Großteil der Zeit ihres Lebens damit, über das Ende nachzudenken und darüber, wie schrecklich es sein wird.« Tod leckt sich über die Lippen und spricht das aus, was sie oft tut – die Wahrheit. Tod hat keine Geduld für Etikette, deshalb sind die meisten Worte, die ihre Zunge formt, direkt und aufrichtig. »Und ich will die Erwartungen nicht enttäuschen.«

Gnädigerweise hört der Mann auf zu zappeln. »Also sind die Knochen … nicht echt?«

»Was für eine alberne Frage.« Das ist die liebenswerte Unverblümtheit des Todes. »Vor allem weil du die Antwort darauf schon kennst.« Die Bereitschaft, zu kooperieren, ist bei der Seele nur von kurzer Dauer.

Tod seufzt durch die Nase und lässt den Knöchel des Mannes fallen. Die aschgrauen Bäume ragen wieder in den Himmel, und die Seele linst zu ihren moosbewachsenen Ästen hinauf, von einer Stelle aus, die sich längst in die verrottende Erde eingeprägt hat. Tod zieht ein Taschentuch aus ihrem Umhang und wischt sich den Dreck einer sündigen Seele von den Händen. »Du darfst gehen.«

Der Mann setzt sich ruckartig auf. Schlamm rinnt ihm über das Kinn, genauso wie der Unglaube, der von seinen Lippen quillt. »Ich … ich darf?«

»Na ja, du kannst auch liegen bleiben, wenn du das möchtest.« Tod zuckt mit einer Schulter. Ausgerechnet das lässt den Mann unter ihr zurückschrecken. Eine so leichtfertige Geste, als hätte sie sich die Haut eines Menschen angezogen, die nicht richtig passt, wirkt bei einer so furchterregenden Kreatur beängstigend. »Du kannst machen, was du willst«, meint sie knapp.

»Aber … was soll ich denn tun?«, fragt der Mann zögernd.

»Finde einen Weg aus dem Mors heraus.« Tod macht einen Schritt zurück. »Oder eben auch nicht.«

Die Seele rappelt sich auf und schleudert dann seiner Entführerin einen Wust an Fragen entgegen. »Es gibt einen Weg hier raus? Wonach soll ich suchen? Kann ich wieder nach Hause gehen?«

Tod schuldet keinem Menschen eine Antwort. Stattdessen entlässt sie ihn mit einem Versprechen, an das sich die meisten eine Ewigkeit lang klammern. »Du bist hier ganz allein. Es sei denn, du findest einen Weg nach draußen.«

Dann dreht sie sich um und verbannt die Seele in die Einsamkeit.

Doch er wird nie wirklich allein sein. Nicht so wie sie.

Als Tod den Blick hebt, sieht sie sich einem Meer von verirrten Seelen gegenüber. Die Körper überziehen wie eine wogende Decke jeden Zoll des unwirtlichen Landes. Jedes Gesicht zeigt wilde Verzweiflung, jede Seele sucht nach ihrer Freiheit. Sie wandern einfach durch einander hindurch, ohne etwas anderes zu bemerken als die Einsamkeit, die in ihnen schwärt.

Und Tod schneidet durch sie alle – wie eine Sense, die durch die Schatten mäht.

Mit einem Blick zurück beobachtet sie, wie ihre neue Seele die rissige Erde nach einem Ausweg absucht. Seine Augen leuchten vor Hoffnung, während er den Schlamm durchwühlt, ohne zu bemerken, dass Dutzende neben ihm das Gleiche tun.

Tod wendet enttäuscht die Augen ab.

Irgendwann sind sie alle abgestumpft. Die Isolation zermürbt den Geist, doch diejenigen, die sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden können, suchen immer noch nach einem Ausweg. Die ewige Musik der klagenden Seelen ist ein Wiegenlied, zu dem Tod im Takt mitstapft (sie alle stimmen die Kadenz ihres Kummers oft unbewusst aufeinander ab). Tod schlängelt sich zwischen den wuselnden Körpern hindurch und mustert jede Seele, während sie gedankenverloren aufzählt, wie die Verstorbenen mit ihrem Schicksal umgehen.

Da ist natürlich das Weinen. (Das ist die offensichtliche Reaktion.) Dann gibt es die Seelen, die stumpf in den Himmel starren, weil sie schon so lange hier sind, dass sie keine Kraft mehr haben, etwas anderes zu tun. Und schließlich gibt es diejenigen, die jeden Winkel des Mors nach ihrer Freiheit abgesucht haben, nur um dabei ihren Verstand zu verlieren.

Eine ganz bestimmte Seele (Tod kennt jedes ihrer Opfer, und diese Frau durchstreift den Mors seit fast einem Jahrtausend) krallt sich an einen flüsternden Baum.

»Lass mich rein! Lass mich rein! Ich weiß, dass du da drin bist!«

Mit abgewendetem Blick schreitet Tod an der jaulenden Frau vorbei und sucht Zuflucht unter einem eigenen Baum.

Sein Säuseln ist vertraut, die Seele im Inneren eines Freundes.

So setzt sich Tod an die knorzigen Wurzeln des Baumes und lehnt den Kopf an den aschgrauen Stamm.

Sie schließt die Augen und tippt an die Lebensfäden, an denen jeder Mensch zappelt.

Tod selbst wählt nicht aus, wessen Schnüre gekappt werden, sondern nur, wen sie zuerst fängt, wenn er vom Hochseil gestürzt ist.

Das ist ihr Schicksal – andere dahin zu geleiten.

Wie ein kompliziertes Spinnennetz ziehen sich unzählige Lebensfäden durch den Geist von Tod. Sie zupft an denen, die auszufransen beginnen – eine Frau, die fast von einem durchgegangenen Pferd zertrampelt wird; ein kleiner Junge, der darüber nachdenkt, sich eine pralle Giftbeere in den Mund zu stecken; ein Mann, der in einer zwielichtigen Gasse von Feinden belauert wird. Aber Tod verschwendet ihre Zeit nicht mit etwaigen Gefahren oder welche Möglichkeit es gibt, zu sterben. Nein, sie sucht nach einem Leben, das bereits entgleitet; nach einer Seele, die auf ihrem Seil strauchelt.

Ein Mann taucht in den Gedanken von Tod auf. Sein goldenes Haar liegt verwuschelt über einem Paar wilder grüner Augen. Er streitet, ist aufgeregt, doch seine Worte sind gedämpft.

Aber das ist es nicht, was Tod aufschreckt (davon gibt es eigentlich nur wenig, wie man weiß). Es ist die Vertrautheit seiner Gesichtszüge, wie eine ferne Erinnerung, die sie verstummen lässt.

Ernste Gesichter umringen ihn und blitzen in Tods Gedanken auf, bevor sie spürt, dass der Lebensfaden dieses Mannes unwiderruflich zerschlissen ist.

Er hebt ein Fläschchen an die Lippen und trinkt einen Schluck.

Und damit zerreißt das Schicksal eine einst starke Schnur und schneidet das junge Leben auf grausame Weise ab.

Tod keucht. Etwas in ihrer leeren Brust brennt.

Dieses Sterben fühlt sich anders an. Persönlich. Intim.

Verwundert runzelt Tod die Stirn, als sie versucht, ihre Verbindung zu ihm zu vertiefen. Nur wenige Menschen haben es geschafft, sie zu faszinieren, und schon gar keiner, der so aussah wie er. Zumindest nicht in diesem Leben.

Dieser Mann hat freiwillig den Tod gekostet und seine Zukunft verwirkt. Und die Hüterin des Mors würde gern wissen, warum.

Sie erhebt sich. Schüttelt den Kopf. Und lächelt sogar leicht.

Tod hat geschworen, dass sie eher sterben würde, als noch einmal einen Fuß nach Ilya zu setzen.

1

Kitt

Die Seuche brennt in meiner Kehle.

So muss pure Macht schmecken.

Die Proteste der Heiler klingen gedämpft in meinen Ohren und vermischen sich mit den Rufen der umstehenden Gelehrten.

Ich beobachte, wie eine Welle des Unglaubens über ihre verschwommenen Gesichter schwappt.

Ich habe befohlen, dass sie mir diese perfekte Dosis bringen.

Jetzt sind sie es, die mich am Leben erhalten müssen.

Töricht, leichtsinnig, verrückt – es ist mir egal.

Ich habe große Pläne für Ilya.

Ich muss nur dem Tod entkommen.

2

Mara

Das Leben ist viel langweiliger als damals, als Tod noch eines geführt hatte.

Das stimmt sie ein wenig traurig. Sie hatte gehofft, von der Menschheit beeindruckt zu sein.

Mit einem missbilligenden Atemzug (er schmeckt nach Rauch und dem verrottenden Laub, das unter ihren Stiefeln bröckelt) folgt sie dem Geruch einer Seele, die den Tod unbedingt treffen will. Ihre Lunge braucht normalerweise keine Luft, aber manche Gewohnheiten – ein Körper, der reflexartig Atem holt und verzweifelt versucht, seine Wirtin mit Leben zu versorgen – lassen sich nur schwer ablegen. Seht ihr, Tod macht es sich zur Aufgabe, all die Dinge wertzuschätzen, bei denen es die Menschen versäumen, und das Atmen ist sicherlich ein undankbares Phänomen. Während die feuchte Luft das nutzlose Organ erfüllt, schlendert Tod mit dem selbstsicheren Auftreten einer Adligen über das Schlossgelände.

Die Umgebung ist trotz der Tristesse, die das Königreich inzwischen überzogen hat, so vertraut wie nie zuvor. Die Bäume sind knorrig und beugen sich unter der unbarmherzigen Hand der Zeit. Selbst der Himmel, der sich über ihr wölbt, scheint seine gewohnte Leuchtkraft verloren zu haben, während Tod mit den Fingern über die Kalksteine des Schlosses streicht.

Ja, viel öder, als sie es in Erinnerung hat.

Eine Kolonne Wachen stapft träge an ihr vorbei, ohne dass sie den wachsamen Blick des Todes bemerken. Es stört Tod nicht, dass sie von ihnen nicht wahrgenommen wird – oder von irgendjemand anderem, wenn wir ehrlich sind. Sie genießt es vielmehr, die Lebenden aus einer stillen Ecke heraus zu beobachten. Der Tod ist eine anspruchsvolle Rolle, wie man sich vorstellen kann, aber die trivialen Probleme der Menschen empfindet sie als erfreuliche Ablenkung.

Ein Mensch, der sich über eine Hautunreinheit aufregt. Einer, der widerwillig eine Schüssel Haferflocken isst, von der er glaubt, sie sei unter seiner Würde. Ein anderer streitet sich mit seinem Liebhaber über ein ganz offensichtliches Missverständnis.

Offenbar sind das die Dinge, für die es sich zu leben lohnt. Und Tod findet das äußerst unterhaltsam. Ihre Lieblingsbeschäftigung – neben dem Sammeln von Seelen, die sie dann in eine in den Wahnsinn treibende Einsamkeit entlässt – besteht in dem, was die meisten zu Unrecht als Spionieren bezeichnen würden. Nein, ihre scharfe Beobachtung ist ein Ausdruck von Neugierde. Es sind gezielte Nachforschungen, die ihr bei der Ausübung ihres Gewerbes helfen. Eine Leidenschaft für das Alltägliche (Menschen) und das Tragische (deren langweiliges Leben).

Wie man sieht, ist Tod viel mehr als nur ihr Namensgeber. Sie ist schließlich eine Lady (allein diese Tatsache sollte schon interessant genug sein).

Und darf ein Mädchen keine Hobbys haben?

Tod lässt sich Zeit, um die unzähligen Schlosskorridore zu durchstreifen. Sie hat es nicht eilig – im Gegensatz zu den Lebenden. Außerdem gibt es kaum etwas Neues zu entdecken. Die Zeit hat diesen Teil der Vergangenheit vollkommen intakt gelassen. Es ist ein bisschen schaurig, aber nicht auf die Art, wie es Tod normalerweise mag. Sie kann es nämlich nicht ausstehen, wenn man sie deutlich sichtbar an ihren größten Fehler erinnert. Tod kuschelt sich in die Falten ihres Umhangs und schlängelt sich zwischen den Pfützen aus Sonnenlicht hindurch, die den weichen Teppichboden tränken. Das Ziehen in ihrer Brust wird mit jedem Schritt stärker, und sie bahnt sich zielstrebig einen Weg zu der Seele am Ende dieser Schnur. Denn in all den Jahren, die Tod schon auf dem Buckel hat, hat sie noch nie einen Azer erlebt, der seine Macht so bereitwillig abgibt.

Könige sterben nicht gerade in Würde. Genau aus diesem Grund genießt Tod die Zeit so sehr, die sie mit Adligen verbringt. Selbst wenn diese Leute vom schlammigen Boden des Mors zu ihr aufblicken, bleiben sie unbeirrt gebieterisch. Es ist faszinierend, einem so mächtigen Menschen dabei zuzusehen, wie er allmählich erkennt, was aus ihm geworden ist – nichts weiter als eine verirrte Seele, gefangen im Netz des Schicksals.

»Bei allem Respekt, Eure Majestät, Ihr wisst doch, dass das immer noch Wahnsinn ist?«

Dieser höfliche Argwohn schwebt aus dem schummrigen Raum, in den Tod gerufen wird. Die Seele dort drinnen verlangt nach ihr, denn unter der Last einer unwiderruflichen Entscheidung ist sie dabei, zu zerfasern. Tods Verbindung zu diesem Menschen reicht tief, als wären ihre Blutbahnen miteinander verflochten und als summten ihre Herzen dieselbe Melodie. Obwohl das Organ in Tods regloser Brust längst erkaltet ist, erkennt es sich in dem anderen Herzen wieder – das Herz, das nur wenige Schritte entfernt mit geborgter Zeit pumpt.

Diese Seele ist töricht genug, um zu hoffen.

Und vor einer Ewigkeit hat Tod das auch.

»Das ist mir bewusst«, antwortet eine andere männliche Stimme, diesmal viel sanfter. Er klingt nicht wie ein Mann, der sterben will. »Aber es muss getan werden. Kann ich auf dich zählen?«

Tod hält im Flur inne und wartet auf ihren Auftritt und darauf, ihre Neugierde zu stillen. Es besteht kaum ein Anlass, eine sterbende Seele im Beisein einer anderen zu erschrecken. Schließlich ist sie kein Monster. Ihre Verbindung zu diesem Mann erlaubt den körperlichen Kontakt, die Fähigkeit, ihn zu beobachten. Aber Tod ist es nicht gewohnt, von den noch Lebenden gesehen zu werden. Diese Seltsamkeit wird für beide Seiten eine Premiere sein.

»Ja, Eure Majestät.« Das ist die erste Stimme. Tod stellt fest, dass der Sprecher sich anhört, als sei es für ihn üblich, jeden Satz in etwas Komödiantisches zu verwandeln, als könne er sich selbst kaum ernst nehmen. »Ihr könnt Euch auf mich verlassen. Ich hoffe nur, dass ich das hier, äh, überlebe, um davon zu erzählen.«

Diese Bemerkung kombiniert mit der ungebrochenen Neugier veranlasst Tod, ein Band ihrer Macht zu diesem Mann hin auszusenden. Seine Seele trägt kein Zeichen, dass er für den Mors bestimmt ist. Tatsächlich kann sie seinen Lebensfaden deutlich sehen – er ist lang und glücklicher als die meisten.

Tod seufzt. Zum unzähligsten Mal in den letzten Jahrzehnten wundert sie sich über die Selbstherrlichkeit der Menschen. Jede Seele glaubt, sie sei es wert, vom Tod verfolgt zu werden. Aber wisst ihr, sie ist eine viel beschäftigte Frau. Eine, die ihre Zeit nicht mit der Paranoia eines Mannes verschwendet, der sich vor ihrer drohenden Ankunft fürchtet. Wenn du die Aufmerksamkeit des Todes erregen willst, dann stirb.

»Hoffen wir, dass Blair sich von ihrer besten Seite zeigt.« Es ist wieder diese ruhige Stimme. »Ich bin hier, wenn du etwas brauchst.«

Stoff raschelt, bevor ein Schatten über den Teppich gleitet. Ein Mann, gekleidet in blendendes Weiß, bleibt im Türrahmen stehen. Sein maskiertes Gesicht wendet sich erneut dem König zu. »Nicht dass meine Meinung wichtig wäre, aber ich finde es wirklich großartig, was Ihr für das Königreich tut. Und Calum ist ein guter Mann – ich hoffe, ich kann euch beiden helfen, wo ich nur kann.«

Wie aufrichtig, findet Tod. Doch warum hätte sie auch etwas anderes annehmen sollen.

Tod begrüßt – nein, eigentlich erwartet sie – Worte, die Gewicht haben. Solche, die Tränen in die Augen treiben und selbst das hartgesottenste Herz erweichen können. Das ist eines der wenigen Dinge, die Menschen wirklich beherrschen – Gefühle.

»Danke, Lenny«, erwidert der König leise.

Tod denkt, er klingt zögerlich. Sie denkt an viele Dinge, an die meisten davon gleichzeitig, aber das zeigt sich nie in ihren gelassenen Zügen. Sie präsentiert sich mit einer stoischen Art von routinierter Professionalität.

Für ihr Alter ist Tod ziemlich aufmerksam.

Dieser Lenny schlendert mit einem verblassenden Lächeln in den Flur. Allerdings sieht er reichlich beunruhigt aus – ein Ausdruck, der normalerweise eher fremd in seinem sommersprossigen Gesicht ist. Tod beobachtet ihn genau und behält die roten Locken im Auge, die bei jedem seiner staksigen Schritte auf und ab hüpfen. Als er plötzlich den Kopf in ihre Richtung dreht, erschrickt sie halb zu Tode (wie die Lebenden es gern sagen, obwohl das eine maßlose Übertreibung ist, die ohne ihr Einverständnis verwendet wird).

Unsicher runzelt Lenny die Stirn. Dann trifft sein warmer Blick auf den eiskalten Todesblick.

Sie wird an der Wand festgenagelt wie ein zur Schau gestellter Kadaver. Nachdem sie jahrzehntelang im Schatten gelebt (natürlich sprichwörtlich gemeint) hat, ungesehen und unbelastet von ihrer Identität, sieht man sie plötzlich. Der Junge, der nach Wäschestärke riecht – ein Punkt, den Tod nicht unerwähnt lassen will –, ist der Erste, der ihre Anwesenheit wahrnimmt.

Sie ist sich nicht sicher, was sie davon halten soll.

Sie späht jenseits des physischen Reichs und prüft seine Seele. Das ist so, als würde man einen Vorhang zurückziehen, um die nächste Schicht des eigenen Wesens dahinter freizulegen. Und diese Seele ist hell – sie glüht in einem gelben Schimmer. Tod hat das vorausgesehen.

Lenny wendet den Blick ab und schüttelt den Kopf. »Scheiße«, murmelt er. »Ich bin wirklich paranoid.«

Mit dieser Kapitulationserklärung marschiert er wieder den Flur hinunter.

Tod starrt sehnsüchtig auf seinen Rückzug. Dann auf die Wand, die sie von der flackernden blauen Seele im Arbeitszimmer trennt.

Ihr Fuß klopft in einem gleichmäßigen Rhythmus auf den Boden. Gelegentlich tut sie so, als sei das der Takt ihres Herzens. Das spendet ihr einen gewissen Trost, auch wenn sie nicht hinterfragt, warum.

Nach reiflicher Überlegung folgt Tod dem anhaltenden Geruch von gestärkter Wäsche durch das Schloss. Sie rechtfertigt diese Ablenkung damit, dass kein lebendes Wesen zuvor ihre Anwesenheit wahrgenommen hat. Das Geheimnis dieses Wäschestärken-Mannes ist die kostbare Zeit des Todes wert. Außerdem wird der König sowieso noch im Sterben liegen, wenn sie zurückkommt.

Tod ist ziemlich unverblümt. Sensibilität ist kein Teil ihrer Jobbeschreibung.

Der Wachmann lockt sie hinaus zum Trainingsbereich, wo seine weiße Kleidung im Sonnenlicht nur noch mehr blendet. Er geht mit bedächtigen Schritten auf eine junge Frau zu, die den spärlichen Schatten eines großen Baumes für sich beansprucht. Sie liegt auf dem weichen Gras, und purpurfarbene Haare kleben in ihrer glänzenden Stirn.

Es sieht aus, als hätte sie Sport getrieben. Was für ein unattraktiver Zeitvertreib im Leben.

Die Frau runzelt die Stirn, als das Geräusch von raschelndem Stoff lauter wird. Dann zieht sie eine Grimasse, als auch noch jemand spricht.

»Wow, du schwitzt wirklich. Vielleicht bist du ja doch ein Mensch.«

Tod findet diese Vorstellung faszinierend. Vielleicht kann sie etwas verheißungsvollen Klatsch aufschnappen, den sie den Bäumen zu Hause erzählen kann.

Die Augen der jungen Frau springen auf. Dann mustert sie ihn eingehend. »Die ganze Wäschestärke muss dir zu Kopf gestiegen sein. Ich glaube, du weißt nicht, mit wem du sprichst.«

(Tod fühlt sich auf seltsame Weise bestärkt, dass sie einen so übertriebenen Geruch bemerkt hat. In solchen Momenten ist sie dankbar, dass sie aufhören kann zu atmen.) Das ist alles, was die Frau sich herablässt zu sagen, bevor sie sich wieder in das Grasbett fallen lässt und die Augen schließt. Sie scheint sich in der friedvollen Stille zu sonnen und verschränkt die Finger zufrieden über ihrem Bauch.

»Hallo, äh, ich bin immer noch hier.«

Tod beobachtet, wie die Frau sich in eine sitzende Position stemmt und dabei stöhnt. »Habe ich nicht gerade zu verstehen gegeben, dass du jetzt besser weggehst?« Ihre Stimme ist beeindruckend überheblich.

»Glaub mir«, Lenny hebt die Hände in gespielter Kapitulation, »das würde ich gern. Aber leider kann ich das nicht.«

»Hier.« Das bezaubernde Haar mildert die scharfen Züge dieser Frau kaum ab. Ihr Lächeln ist spöttisch. »Erlaube mir, dir zu helfen.«

Die Stiefel des Wachmanns verlieren plötzlich den Bodenkontakt, und er quiekt regelrecht. »Der König! Ich bin im Auftrag des Königs hier!«

Das ist also die Blair, die die Männer um ihr Leben fürchten lässt. Sie ist mächtig – so viel ist klar. Aber wie jede andere Elite hat sie nichts getan, um sich diese Stärke zu verdienen. Sie ist geborgt. Gestohlen. Tod nimmt im Gras Platz und macht sich bereit für die Show. Doch zu ihrem Missfallen dauert sie nicht lange. Die Tele – Tod genießt diese albernen kleinen Titel – steht auf, bevor sie den Wachmann auf die Beine stellt. Jetzt, da er wieder festen Boden unter den Füßen hat, fährt sich Lenny mit behandschuhten Fingern durch das Gesicht und kämpft darum, seine Fassung wiederzuerlangen.

Blair kann die Verachtung in ihrer Miene nicht verbergen. »Du warst gerade mal einen Fußbreit über der Erde.« Ein langsames Blinzeln. »Wenn überhaupt.«

»Ja, und mich überkam direkt Mitleid mit denen, die größer sind als ich«, meint Lenny.

Tod und Blair starren ihn einfach nur unbeeindruckt an.

Hinter der Maske zwinkert er mit den braunen Augen, mit denen er unbewusst Tods Blick gekreuzt hatte. Dann fügt er knapp hinzu: »Das war ein Scherz.«

»Klar. Und soll ich dir jetzt erklären, warum ich nicht gelacht habe?«

»Lass mich raten.« Die Stimme des Wachmanns ist trügerisch fröhlich. »Du weißt nicht, wie das geht?«

Der Blick von Tod springt zwischen den beiden hin und her.

»Doch, aber Lachen ist normalerweise eine Reaktion auf etwas, das lustig ist«, erwidert Blair mit einem geübten Schmollmund.

Lenny seufzt ergeben. »Also gut, bringen wir es einfach hinter uns.« Er klatscht die behandschuhten Hände zusammen, als wolle er sich gegen die Worte wappnen, die seine Lippen verlassen werden. »Paedyn ist zurück.«

Blair schluckt hastig. Richtig gut beobachtet, Tod! »Und? Warum sollte es mich interessieren, dass die Verräterin geschnappt wurde?«

»Weil der König Pläne für sie hat. Pläne, die sie am Leben erhalten, um Ilya zu dienen.«

»Noch mal«, stößt die temperamentvolle Tele hervor, »was geht mich das an?«

Impulsiv zieht der Wachmann die Maske von seinem Gesicht, um ein weiteres Dutzend Sommersprossen zu enthüllen. Seine Nase ist gerade. Ein kräftiges Kinn. Die Augen blicken ernst. Tod erkennt, dass er Blair die Emotionen zeigen muss, die in seinen Zügen eingegraben sind. Er möchte unbedingt eine aufrichtige Verbindung zwischen ihnen aufbauen.

Wie unfassbar menschlich.

Blair weicht wachsam einen Schritt zurück. Tod ist irritiert und verspürt den Drang, das Gleiche zu tun.

Sie weiß es zu schätzen, wenn man seine Emotionen offenbart, wenn man ganz direkt den Wunsch nach Verbundenheit ausdrückt. Aber Tod hat sich das Recht auf Gefühllosigkeit verdient. Sie hat keinen Bedarf an unerwünschten Emotionen und den damit einhergehenden Folgen. Deshalb ist sie angespannt, wenn sie solchen Gefühlsausbrüchen so nahe ist. »Du weißt, was Paedyn versuchen wird, dir anzutun«, murmelt Lenny.

»Ja.« Braune Augen verdrehen sich hinter ein paar purpurnen Haarsträhnen. »Die Betonung liegt dabei auf ›versuchen‹.«

Tod ist durch und durch gefesselt. Das Jenseits ist selten so dramatisch.

»Paedyn wird nicht aufhören.« Der Blick des Wachmanns ist eindringlich. »Vor allem wenn ihr euch die gleiche Burg teilt. Und der König muss für deine Sicherheit sorgen.«

»Diese Slumbewohnerin ist eine Verräterin«, faucht Blair. Es ist ein ganzes Leben her, dass Tod diese Beleidigung gehört hat. »Warum sollte sie in Saus und Braus in der Burg leben, und das mit …?«

»Das wirst du noch früh genug herausfinden«, unterbricht Lenny und schluckt schwer. »Alles, was du jetzt wissen musst, ist, dass ich … ich werde dein persönlicher Bewacher sein. Ich beschütze dich vor Paedyn.« Einen Moment lang herrscht erdrückendes Schweigen zwischen den beiden.

Dann ertönt ein erschreckend lautes Gackern von Blair. »Also das …« Sie schnaubt. »… das war ein Witz.«

Der Wachmann stößt ein schwaches, unbehagliches Lachen aus. »Oh, du wirst das gar nicht lustig finden, wenn du merkst, dass ich das ernst meine.«

Tod überlegt, ob sie angesichts dieser fesselnden Unterhaltung ein Lächeln zeigen soll. Das tut sie natürlich nicht. Das spart sie sich für besondere Anlässe auf.

Blair macht einen langsamen Schritt nach vorne, ihre Stimme ist eisig. »Du? Mich beschützen? Vor Paedyn Gray?«

»Whoa.« Lenny hebt wieder die Hände. »Lass uns den Boten nicht mit deinen Gedanken durch die Luft schleudern, okay? Ich tue nur, was man mir sagt.«

Die Tele sieht in diesem Moment ziemlich furchterregend aus. Erschreckender noch, als die meisten den Tod empfinden. Aber das stört die Mutter des Mors nicht – sie wird gern unterschätzt. Einen derart angsterfüllten Blick von einem Mann zu ernten, ist umso lohnender.

Nein, Tod ist kein Monster. Ihr ist nur langweilig.

»Und wer genau hat dir das befohlen?«, schnauzt Blair.

»Wie ich schon sagte, es war …«

Der Arm der Tele ist plötzlich ausgestreckt, und sie hebt Lenny erneut vom Boden hoch. »War es der Sergeant?«

Er windet sich in ihrem Mentalgriff und wird blass. »Sergeant?« Seine Stimme bricht. »Dein Vater ist ein General, kein …«

»Jemand hat den König davon überzeugt, dass ich Schutz vor einer Gewöhnlichen brauche«, ereifert sich Blair. »Das ist ihr Werk. Das ist ihr Versuch, mich in Verlegenheit zu bringen.«

Tods Kopf rotiert zwischen ihnen hin und her.

»Was? Hör mal«, keucht der Wachmann, »ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Der König will nicht, dass sie gegen dich kämpft – das ist alles. Und er glaubt, dass ich die wirksamste Lösung bin, die man zwischen euch beiden setzen kann. Denn Pae wird mir nichts antun, um an die Mörderin ihrer besten Freundin ranzukommen.«

Eine indirekte Erwähnung von Tod. Dadurch fühlt sie sich auf seltsame Weise in das Gespräch einbezogen.

Blairs wutentbrannter Blick wird abwesend. Sie sieht aus wie jemand, die eine Erinnerung durchlebt, sich an einen Wendepunkt in der Geschichte zurückversetzt. Tod legt den Kopf schief, wie so oft, wenn es jemandem gelingt, sie zu faszinieren. Denn sie kennt das Gesicht des Bedauerns so hautnah wie kaum jemand anders.

Die Macht der Tele (immer noch drollig, diese Anmaßungen) gerät ins Wanken, und so führt sie Lenny zurück auf den Boden, nach dem er sich so sehr sehnt. In ihrem hohen Alter überrascht Tod wenig – Erstaunen ist letztlich stets eine Folge mangelnder Erfahrung. Doch als der Wachmann auf Blair zuschreitet, hat selbst Tod diesen plötzlichen Anflug von Kühnheit nicht voraussehen können.

Er bleibt nur wenige Handbreit vor seinem königlichen Auftrag stehen, ihre Körper sind sich ganz nah.

Blair reckt das Kinn und versengt ihn mit einem ätzenden Blick.

Lenny tut sein Bestes, um ihre Gefühle zu spiegeln.

Tod ist sich sicher, dass ihr die Bäume das niemals glauben werden.

Der Zorn auf dem Gesicht des Wachmanns wirkt fremd, als wüsste er kaum, wie er die Emotion ausdrücken soll. »Ob du es glaubst oder nicht«, lacht er humorlos, »es gibt nichts, was ich weniger gern täte, als Zeit mit dir zu verbringen. Aber der König befiehlt dir, in deinem Zimmer zu bleiben, bis er etwas anderes sagt, und wegen meiner Nähe zu Paedyn habe ich das Pech, dich vor ihr zu bewachen.«

Ungläubig verengt Blair die Augen noch weiter. »Du warst ihr zugeteilter Imperialer.«

Tod archiviert das Wort für den zukünftigen Gebrauch. Sie hatte nicht mitbekommen, dass Wachmänner heute einen hochtrabenden Titel brauchen. Ilya liebt es so sehr, Wichtigkeiten zu erfinden.

Lenny nickt und bestätigt damit die Aussage der Tele.

Ruhig – was fast besorgniserregender ist – fragt Blair: »Und was ist deine Macht?«

»Das ist deine erste Frage?« Der Imperiale (was für ein amüsantes Wort, denkt Tod) schüttelt den Kopf. »Nicht etwa – ich weiß nicht – wie ich heiße, oder …«

»Es ist mir scheißegal, wie du heißt, Ingwerkeks«, stichelt Blair. »Was ist deine Macht?«

Lenny seufzt. »Ich bin ein Hyper.«

»Ein Hyper …«, echot sie ungläubig, gefolgt von einem spöttischen Schnauben. »Na, nur gut, dass ich keinen echten Schutz vor einer Gewöhnlichen brauche, sonst wäre ich jetzt schon tot.«

Tod fühlt sich inzwischen ein bisschen außen vor. Sie kennt sich mit den Fähigkeiten der Elite kaum aus, obwohl ihr die Macht vergleichsweise vertraut ist. Nein, es ist die damit einhergehende Großspurigkeit, die Tod fremd ist. Eine solche Kraft ist nicht dazu bestimmt, von Menschen benutzt zu werden.

»Sehr witzig.« Lennys Tonfall lässt anderes vermuten. »Jetzt lass uns auf dein Zimmer gehen, bevor …«

»Woher soll ich wissen, dass du dir das nicht alles bloß ausdenkst?«, schnauzt Blair.

Der Imperiale, den sie so liebevoll »Ingwerkeks« nannte, gestikuliert aufgebracht vor sich hin. »Sehe ich aus, als würde mir das Spaß machen?«

Blair stutzt, aber ihr abfälliger Tonfall bleibt nahezu unverändert. »Dann sollte ich dich vielleicht einfach von deinem Elend erlösen, hm?«

Tod schiebt sich näher, als die Tele eine Hand hebt und bereit ist, ihre (wobei die Besitzanzeige hier nur locker zu verstehen ist) Macht auf den Imperialen herabregnen zu lassen. Aber Lenny neigt den Kopf, nur ganz leicht. Er scheint von etwas fasziniert zu sein. Tods eigene Neugier spiegelt sich in seinem Blick wider. »Nein …«, sagt der vermeintliche Hyper langsam. »Du willst mich nicht töten.«

Hmm.

Da würde Tod widersprechen. Der versierten Inkarnation des Untergangs scheint es, als ob die Tele die Absicht hat, sich seiner zu entledigen. Aber Menschen sind verwirrende Geschöpfe. Vielleicht hat Tod die Situation falsch eingeschätzt (was zu bezweifeln ist, doch sie lässt sich gern eines Besseren belehren). Blair öffnet den Mund und erwartet, dass Worte herauskommen.

Doch ihr auserkorener Ingwerkeks zuckt nur mit den Schultern. »Vielleicht bist du wirklich ein Mensch.«

Tod denkt still und nüchtern darüber nach – wie bei den meisten Dingen, die sie tut. (Obwohl sie genauso gut neben einem schlendernden Liebespaar herhüpfen, eine Träne für die eingesammelten Seelen vergießen oder über die Pointe eines zufällig aufgeschnappten Witzes lachen könnte. Aber Tod sieht keinen Sinn darin, ihre Gefühle öffentlich zu demonstrieren, denn es gibt niemanden, der sie mit ihr teilt. Es ist besser, nichts zu fühlen, als alles allein zu fühlen.) Ist es die Fähigkeit, ein anderes Leben wertzuschätzen, das einen Menschen ausmacht? Wert zu erkennen, Schönheit zu sehen, einen Grund zu haben, am Leben festzuhalten? Tod kann sich nicht mehr erinnern.

Der Beweis für Blairs Menschlichkeit ist für ein Wesen, das so mächtig ist wie der Tod, nur einen flüchtigen Blick entfernt. Neugierig öffnet sie den Seelenvorhang und blickt dahinter auf eine ganz andere Ebene. Lennys Seele leuchtet golden, während Blairs mit einem düsteren Grün strudelt.

Tod blinzelt.

Es könnte sogar sein, dass sie aufgekeucht hat, aber das kann unmöglich jemand beweisen.

Langsam erhebt sich Tod. Sie umrundet das grimmig dreinblickende Paar in einem engen Kreis. Hört kein einziges Wort mehr, das sie sagen.

Es gibt nichts anderes als diesen Moment, in dem zwei – in jeder Hinsicht gegensätzliche – Seelen nacheinander greifen.

Tod tritt noch näher an das Phänomen heran. Bestünde bei ihr das Bedürfnis nach Sauerstoff, würde ihr Atem deren Haut kitzeln, so nah stand sie. Mit schmalen Augen betrachtet sie die sich ausstreckenden Seelenstränge der beiden. Wie schüchterne Gezeiten wogen sie vor und zurück, Smaragd trifft auf Gold in einem seit Langem vorherbestimmten Moment.

Ihre Seelen sind nicht ganz so verwoben wie die vom Schicksal gebundenen Liebenden, aber auch nicht völlig losgelöst wie die, die dazu bestimmt sind, Fremde zu bleiben.

Sie sind etwas völlig anderes. Ein Band, das sie selbst gewählt haben.