Feders kleine Kräuterkunde - Jürgen Feder - E-Book

Feders kleine Kräuterkunde E-Book

Jürgen Feder

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer Jürgen Feder kennt, weiß: Das Essen liegt auf der Straße. Denn eine Menge Kräuter und Gewächse, die der Extrembotaniker auf Feld, Wald, Wiesen und auch auf dem Grünstreifen an der Ampel findet, sind essbar und eine Bereicherung für jeden Speiseplan. Viele Heilpflanzen an der Straßenecke warten nur darauf, als Tee oder Aufguss ihre wohltuende Wirkung zu entfalten. Jürgen Feder begleitet Sie auf Ihrem Weg durch die Stadt und übers Land und zeigt Ihnen leckere Pflanzen, an denen Sie sonst achtlos vorbeigingen. «Jürgen Feder wirbt um Aufmerksamkeit für eine Vielfalt, die wir gerade zerstören. Seine Begeisterung ist ansteckend.» Berliner Zeitung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 271

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jürgen Feder

Feders kleine Kräuterkunde

Das Essen liegt auf der Straße

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Wer Jürgen Feder kennt, weiß: Das Essen liegt auf der Straße. Denn eine Menge Kräuter und Gewächse, die der Extrembotaniker auf Feld, Wald, Wiesen und auch auf dem Grünstreifen an der Ampel findet, sind essbar und eine Bereicherung für jeden Speiseplan. Viele Heilpflanzen an der Straßenecke warten nur darauf, als Tee oder Aufguss ihre wohltuende Wirkung zu entfalten. Jürgen Feder begleitet Sie auf Ihrem Weg durch die Stadt und übers Land und zeigt Ihnen leckere Pflanzen, an denen Sie sonst achtlos vorbeigingen.

 

Über Jürgen Feder

Jürgen Feder, 1960 in Flensburg geboren, ist Dipl.-Ing. für Landespflege, Flora und Vegetationskunde und zählt zu den bekanntesten Experten für Botanik in Europa. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner, bevor er sich dem Studium der Landespflege in Hannover widmete. Lange Zeit war er als selbständiger Landespfleger und Chef-Pflanzenkartierer tätig. Heute lebt er in Bremen.

Viele gute Köche sind gerade dadurch verdorben worden, dass sie zur Kunst übergingen.

Paul Gauguin

Haftungsausschluss

Alle Angaben in diesem Buch wurden sorgfältig recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen und mit größter Sorgfalt erstellt. Der Autor und der Verlag übernehmen dennoch keine Haftung im Hinblick auf Richtigkeit, Aktualität und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen. Auch übernehmen Autor und Verlag keinerlei Haftung für Schäden irgendeiner Art, die direkt oder indirekt aus der Verwendung der Angaben in diesem Buch entstehen. Der Text ersetzt keinesfalls eine fachliche Beratung durch einen Arzt, weder Autor noch Verlag geben Anweisungen oder medizinischen Rat. Konsultieren Sie bei gesundheitlichen Fragen oder Beschwerden immer einen Arzt!

Vorwort

Also diese Idee, jetzt eine Art Kochbuch zu schreiben, wäre mir selbst nun wirklich nicht in den Sinn gekommen. Denn schon eine Dose Ravioli, Minifrikadellen, ein Pott Fruchtjoghurt, eine Rolle DeBeukelaer-Kekse oder nur eine harte Kruste Kastenbrot lösen bei mir wahre Begeisterungsstürme aus – es kommt nämlich immer auf den Grad des Appetits und den Ort des Gerade-Seins an. Ich gestehe hier ganz ehrlich – ich greife im September auch sofort zu den ersten Dominosteinen und Lebkuchenherzen (gefüllt müssen sie sein!), mit Freuden auch bei noch 25 Grad im Schatten. Und wer wie ich frühmorgens öfter nur zwei Bananen und einen Mars-Riegel zu fassen kriegt, der hat dann am frühen Nachmittag so richtigen Heißhunger auf drei, vier Zentimeter hohe Megastullen mit dick Wurst drauf – auf richtige Kniften, Bemmen oder, wie man im Westfälischen verniedlichend sagt, auf Bütterken. Wieso eine Stunde lang kochen, wenn ich in fünfzehn Minuten satt werden kann? In der Zeit könnte ich ja ein paar seltene Pflanzen gefunden haben, oder diese – schlimmer noch, zwar satt – verpasst haben.

Klar habe ich einen Herd, aber schon einen eigenen Garten besaß ich noch nie. Dabei esse ich für mein Leben gern und viel, das sieht man mir zwar nicht an, ist aber so! Zugegeben, ich bin fast immer bekocht worden, dafür bin ich ein begnadeter Zuschnippler, je feiner und kleiner, desto besser! Ein tolles Essen wird bei mir immer frenetisch gefeiert – und selbstverständlich restlos verspeist! Das ist wertvoller als einer der Köche zu sein, die ein Essen auch mal verderben können. Bei uns zu Hause hieß es sowieso immer: «Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!»

 

Nun also als drittes Werk ein Kräuterbuch – Küche und Feder: Zwei Welten treffen da aufeinander! Ein Experiment, eine Reise, eine große Herausforderung! Dabei weniger die Pflanzenarten an sich, sondern mehr, was die Gewächse so alles können, und sie können nicht selten unerwartet viel! Das Essen liegt tatsächlich oft auf der Straße, an Wegen, vor der Hauswand, um den Papierkorb herum – überall da, wo Menschen seit jeher wohnten und wo es die kurzen Wege waren und heute noch sind, um diese Nutz- und Heilpflanzen zu sammeln und zu verwerten. Unterwegs esse ich alles, worauf ich Lust habe – das ständige Denken an die Gesundheit (Fuchsbandwurm!) kann nämlich auch zur Krankheit werden. Ich stopfe mir das eine oder andere Grünzeug in den Mund, wobei ich die süßen Früchte eindeutig vorziehe. Schon als Kind machten meine Geschwister und ich Jagd auf Blau-, Brom- und Himbeeren. Saftige Kratzbeeren «retteten» mir in den Weiten der Dünen auf den Ostfriesischen Inseln fast das Leben, und Labsal in trocken-heißen Innenstädten im Hochsommer sind die tollen Armenischen Brombeeren.

Doch im Grunde bin ich vielmehr für den Augenschmaus – Pflanzen angucken, fotografieren, daran riechen. Dagegen abpflücken: nur gelegentlich. Wurzeln ausgraben: nie! Denn zuallererst bin ich doch Arten- und Biotopschützer, so groß ist die Not bei uns heutzutage nicht, als dass man alles verwerten müsste. Allerdings sind sehr viele unserer wertvollen Ess- und Heilpflanzen absolut häufig, viele nehmen im Bestand weiterhin zu. Viele gibt es aber auch immer seltener, wenn nicht bundesweit, so doch regional, in Norddeutschland eher als in Süddeutschland. Daher suchen Sie hier im Buch Arten wie Arznei-Thymian, Bärwurz, Großen Wiesenknopf, Guten Heinrich, Heil-Ziest oder Wiesen-Kümmel vergebens. Bei den berücksichtigten Arten Wiesen-Salbei, Wiesen-Baldrian und Weg-Warte bekomme selbst ich eher Bauchschmerzen, als dass sie mir durch Verwertung Gutes tun könnten! So sollte jeder selbst beurteilen, wie viel er wovon sammelt – ausgegrabene Pflanzen können sich ja nicht mehr fortpflanzen, auch kleine Bestände sollten daher verschont werden.

 

Das Heer der Koch- und Kräuterbücher ist inzwischen schier unübersehbar, wieso dann noch eins? Die allermeisten sind zudem so gut, da kann ich sowieso nicht mithalten. Daher ist es jetzt ein ganz anderes Kräuterbuch geworden, ein Buch, das unterhält und bildet – also ein Feder-Buch! Und dabei nicht vergessen: Geschmäcker sind ganz verschieden, nicht wenige Pflanzen spucke ich schnell wieder aus. Dagegen verschmähe ich nicht die beiden Franzosenkräuter, Giersch, Knoblauchsrauke, Lauch- und sonstige Rauken-Arten. Vorgestellt wird alles chronologisch, also danach, was es im Jahr zuerst zu sehen gibt. Ab März geht es draußen schon los mit den Wildkräutern. Einige Arten wie Kubaspinat, Löwenzahn, Vogelmiere oder Wilder Feldsalat erwischt man sogar noch eher. Je früher man die Augen aufhält, umso frischer kann man die Ernte einfahren. Saftiges Kraut spart stets Kaumuskeln und Speichel, ältere Pflanzenteile können schnell bitter oder extrem scharf schmecken, sie sind faserig und meist zu hart. Wertvoll sind Grund- und Stängelblätter, junge Sprosse, Knospen, Blüten, Früchte und Samen. Erlaubt ist, was gefällt, aber aus Naturschutzgebieten, in Nationalparks und im Bereich von Naturdenkmälern darf ganzjährig nichts entnommen werden, ebenso generell keine Arten der Bundesartenschutzverordnung. Es versteht sich von selbst, nur für den kleinen persönlichen Kreis zu sammeln und nicht gewerblich Tabula rasa zu veranstalten.

Ein weiterer wichtiger Grundsatz: In den Korb oder die Tüte kommt nur das, was man auch sicher kennt! So meide selbst ich den Verzehr von Bilsenkraut, Efeu, Eibe, Geflecktem Schierling, Hundspetersilie, Knollenblätterpilz oder Tollkirsche! Selbstverständlich können Sie viele Pflanzenarten fast überall in Deutschland finden und eintüten, dennoch möchte ich Sie wieder mit auf eine Reise quer durch Deutschland nehmen, auf wenig bis unbekanntes Terrain, denn Essen und Trinken ist zwar sehr wichtig, aber bekanntlich nicht alles! An den verschiedenen Stationen zwischen Flensburg und München habe ich mal mehr und mal weniger wilde Nutzpflanzen angetroffen, ab Hochsommer zunehmend auch Heilpflanzen. Wobei ich ja kein Arzt bin, die Erkenntnisse zu Heilwirkungen stammen ganz überwiegend aus der Literatur.

 

Ich wünsche allen Fruchtfreundinnen und Kräuterkameraden allerorten gute Funde und über das ganze Jahr hinweg den Genuss einer Vielzahl von Geschmacksrichtungen aus und in der Natur.

 

Euer/Ihr Jürgen Feder

Bremen

noch bei mir zu Hause

Schwerstarbeit für meine Autoscheibenwischer – heute regnet und regnet es, «gallern» nenne ich das immer. Wieso habe ich mir gerade diesen Tag zum Start meiner großen Kräutertour ausgesucht? Es ist der 15. April, und gestern, am 14. April, schien die Sonne noch gnadenlos vom strahlend blauen Himmel. Aber es soll besser werden, das hat der Wetterdienst versprochen, und ich will daran glauben. An irgendetwas muss der Mensch ja glauben.

Mein Ziel ist die Blocklanddeponie, Bremens größte Recyclingstation und der höchste Berg in der Umgebung mit bald fünfzig Metern über NN (Normalnull). Da kann man alles abgeben – Bauschutt, Dachpappen, Elektronikgeräte, Gartenabfälle, Sperrholz. Schadstoffe sicher auch, aber ich gehe mal davon aus, dass alles fachgerecht behandelt wird. Oben auf dem «Gipfel» drehen sich seit ein paar Jahren mehrere Windräder, es sieht alles fast ein wenig niedlich aus. Gestern fuhr ich schon an den Zäunen der riesigen Anlage vorbei, und was da alles wuchs, unglaublich. Ganz vieles ganz toll essbar, sozusagen von der Endstation vieler Dinge doch noch ganz frisch auf den Tisch! Sofort dachte ich, da muss ich heute auf jeden Fall hin. Und ich wäre nicht ich, würde ich nicht gerade dort mit Kräutersammeln anfangen, wo es niemand vermutet. Denn eben hier, wo sich doch niemand um die Pflanzen und Kräuter schert, gedeiht alles in Hülle und Fülle.

Fast so wie auf Mallorca. Daher komme ich gerade zurück. Acht Tage habe ich dort botanisiert, auf Einladung meines Botanik-Lehrmeisters Hannes aus Celle. Der wollte es ganz genau wissen, und jetzt weiß er es (und ich auch): 610 Arten haben wir auf der Mittelmeerinsel gefunden, sage und schreibe 311 waren völlig neu für mich. Ich hatte Hannes’ Einladung angenommen, weil ich dachte, ich kann nicht nur in Niedersachsen durch die Auen und Wälder streifen, ich muss doch mal die Welt sehen. Als ob Malle bereits die Welt wäre – aber für viele Menschen ist es das wohl schon.

Immerhin haben der Hobby-Botaniker und ich jeden Abend wundervoll zusammen gegessen. Fisch und Fleisch und Eier und Speck mit vielen Kräutern. Kein Vergleich zu den ziemlich kräuterlosen Mahlzeiten, die unsere Mutter uns Kindern früher vorsetzte. Grün waren die Bohnen und Erbsen oder der Salat. Und Salat gab es mittags und dann oft noch ein weiteres Mal abends. Mein Vater hatte sich darüber beklagt, dass der Salat in der Kantine (wenn es überhaupt einen gab) so schlecht sei, und aus diesem Grund wurden wir mit Salat regelrecht vollgestopft. Endiviensalat mag mein Vater noch heute am liebsten, ich fand diese faden, durch Essig, Öl und Zwiebeln nur schlapp gewordenen Blätter irgendwann nervig. Ähnlich wie ich bis heute nicht verstehen kann, dass manche Menschen Salat und herrlich dunkelbraun gebratene Buletten, dampfendes Omelett oder auch knackige Bratwürste mit Pommes parallel essen können. Meine Freundin Steffi hat da kein Problem mit, ich dagegen esse das Warme immer zuerst, danach erst kommt der Salat, sozusagen als Dessert. Eigentlich handhabe ich das ja wie ein Feinschmecker (Gourmet passt nun wirklich nicht zu mir), also nicht «insieme» (zusammen), sondern «al piatti» («nach Gängen» und nicht etwa «auf Platte»). Außer es ist Kartoffelsalat, da passt das dann zusammen.

Soll ich jetzt einen Regenschirm aufspannen oder nicht?, frage ich mich, als ich an der Deponie geparkt habe. Drei Stück davon liegen im Auto herum, einer liederlicher als der andere! Aber so verweichlicht bin ich dann doch nicht, auch wenn ich langsam in die Jahre komme … Ich mag keine Regenschirme, ebenso keine Rucksäcke – die machen unfrei, ich kann mich nicht so gut spontan bewegen, hinknien, fotografieren, mich zwischen Gebüsche zwängen, über etwas springen, auch mal losrennen. Also, los geht’s, aber heute eindeutig «oben ohne».

Noch gar nicht richtig orientiert, fällt mir direkt am Straßenrand das Gewöhnliche Hirtentäschel (Capsella bursa-pastoris) ins Auge, schon jetzt mit seinen vielen kleinen weißen Blüten. Es ist eine bis 80 Zentimeter hoch wachsende häufige Würz- und Heilpflanze, alles an ihr lässt sich verwenden, wenn man denn will. Blätter, Blüten, Wurzeln, Fruchtschoten und Samen. Im unteren Bereich sieht sie durch die Rosettenblätter vielleicht ein bisschen fransig aus, aber oben herum ist alles prima. Ich probiere die jungen Triebe: Sie schmecken mild. Ein bisschen wie Rucola und Kresse zusammen. Lecker. Richtig gut. Ich kann mir vorstellen, dass man diesen Geschmack eine Woche lang in Salaten ertragen kann, was man von einigen anderen Kräutern nicht behaupten kann – die schmecken zu intensiv und oft auch sehr bitter.

[Bild vergrößern]

Gewöhnlicher Hirtentäschel

[Bild vergrößern]

Die Indianer in Nordamerika pulverisierten das Hirtentäschel, in dieser Form sollte es gegen Kopfschmerzen helfen, in Bolivien trinken werdende Mütter einen Tee aus getrockneten Blättern, damit die Geburt besser verläuft, in Spanien wird es gegen Blasenentzündungen eingesetzt. Im Ersten Weltkrieg hatte man für das Kraut noch eine weitere Verwendung: Man benutzte es bei verwundeten Soldaten zur Blutstillung. Schon der altgriechische Arzt Hippokrates empfahl Hirtentäschel, und zwar verordnete er es, um Gebärmutterblutungen zu stillen. Die Blätter kann man – ganz ohne medizinischen Hintergedanken – wie Spinat dämpfen, die geriebenen Samen sind ein perfekter Pfefferersatz. Mit diesem Gewächs ist also eine Menge los.

[Bild vergrößern]

Behaartes Schaumkraut

[Bild vergrößern]

Nur ein Schritt weiter in meinen langsam ziemlich nassen Schuhen (der Regen hat immerhin inzwischen aufgehört, manchmal lohnt es sich zu glauben, aber das wilde Grün trieft noch) treffe ich auf eine alte Bekannte, die fünf bis 40 Zentimeter hohe Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana). Sie schafft es nur zu zwei Blütezeiten im Jahr und stellt im Grunde nichts dar, der Name ist hier schon Programm. Sie ist die graue, ähm, weiße Maus unter den Pflanzen, denn sie gedeiht häufig in Laboren, da sehr pflegeleicht. Zudem kann man viele Mutanten von ihr züchten, und eine einzige Pflanze produziert bis zu 10000 Samen, die zum Entschlüsseln von pflanzlichen Genen erforscht werden. Aber die Acker-Schmalwand ist auch essbar, und zwar wiederum komplett. Sie schmeckt nach Kohl, im Abgang ein wenig nach Senf. Rettich kann man ebenfalls herausfuttern, dabei hilft die Kraft der Imagination. Wer ihr Image ein bisschen aufpolieren will, kann die Acker-Schmalwand in Soßen, zu Gemüse oder in Salate geben. Sie haben dann zwar noch lange kein Gourmetgericht, aber normalsterbliche Feinschmecker werden sofort eine interessante Note entdecken. Hauptsammelzeit für die Acker-Schmalwand – letztlich für alle Kräuter – sind April und Mai.

Acker-Schmalwand

[Bild vergrößern]

«Hey, was machen Sie denn da? Wollen Sie Müll abladen?»

Ein kräftiger Hüne im blauen Overall und weißem Schutzhelm auf dem Kopf schreitet auf den Zaun zu. Er wirkt etwas bedrohlich mit seiner Leibesfülle, aber der Maschendraht ist zwischen uns, er ist auch sehr hoch, ich kann mir nicht vorstellen, dass der Mann darüber klettern kann. Eher ich. Außerdem betreibe ich keine Betriebsspionage, falls das der Gedanke sein sollte, der ihn dazu veranlasst hat, sich in Bewegung zu setzen, meine Kamera im Visier.

Der erste Teil der Frage ist mir nicht unbekannt – der Mann will wissen, was ich hier tue –, und so gebe ich meine übliche Antwort: «Ich schaue mir nichts weiter als Pflanzen an und fotografiere sie, speziell die Wildkräuter.»

«Hier? Wildkräuter? Habe ich richtig gehört? Meinen Sie etwa dieses Unkraut auf dem Boden? Und das an diesem Ort? An einer Mülldeponie?» Damit ist sein Repertoire an Fragen aber auch schon aufgebraucht.

«Warum denn nicht?», gebe ich zurück. «Wer hier alte Fernseher oder tote Fichten loswerden will, kann auf der Rückfahrt doch ein paar wahre Kräuter fürs Mittag- oder Abendessen einsammeln. Nicht einmal Parkplatzprobleme hat man.»

Der Blaumannträger ist noch immer verwirrt. Kräuter scheinen nicht seine Leibspeise zu sein, der immense Bauchumfang lässt nicht unbedingt auf eine vitale und frische Küche schließen.

«Was will man denn mit Kräutern?», fragt er etwas ratlos, aber zum ersten Mal folgt auch eine klare Feststellung: «Ich mag Currywurst und einen ordentlichen Braten, da kommt mir nix Grünes dran.» Kopfschüttelnd zieht er von dannen, um seinem Kollegen, der abwartend im Hintergrund gestanden hat, von mir, dem Alien und grünen Marsmännchen, zu berichten. Ich fange an zu grübeln, denke, dass ich noch viel Aufklärungsarbeit leisten muss, um meine Wildpflanzenmission an den Mann zu bringen. Speziell an einen Recycling-Mann. Hätte er denn nicht sagen können: «O, Sie sammeln hier Kräuter, Sie leben aber gesund, das sieht man Ihnen ja sogar an, das wollte ich auch schon immer!»

Nun gut. Jeder nach seiner Fasson, so hatte es schon Friedrich II., König von Preußen, in seiner Glücksformel auf den Punkt gebracht. Keineswegs ist es meine Absicht, den Currywurst-Liebhaber zum Grünschnabel zu bekehren, hier soll überhaupt niemand bekehrt werden – außerdem habe ich rein gar nichts gegen eine ordentliche Portion Bratwürste. Mein bereits erwähnter Botanik-Freund Hannes hat sogar seinen Kater so getauft, Bratwurst! Sie ahnen sofort, wie der aussieht … Aber ein bisschen Freude an den wunderbaren pflanzlichen Geschmacksrichtungen zu haben, wäre doch nicht ganz verkehrt …

Da wäre zum Beispiel der bis zu 20 Zentimeter hoch wachsende Gewöhnliche Feldsalat (Valerianella locusta). Auf dem Markt muss man für 100 Gramm bis zu zwei Euro zahlen, und hier wächst er in Massen. Ein Dickmacher ist er auf keinen Fall, pro der gerade genannten Zwei-Euro-Menge kommt man auf nur 21 Kalorien (eine Currywust an der guten alten Imbissstube hat rund satte 950 Kalorien, nur mal so als Vergleich). Den Feldsalat mümmelten schon die Steinzeitmenschen, das habe ich mal in der Apotheken-Umschau gelesen, tief beeindruckt hat es mich. Als Kulturpflanze baut man ihn erst seit rund hundert Jahren an, da bekam man spitz, dass seine Blätter sehr viel Vitamin C und andere Mineralien enthalten, die unser Immunsystem zu Hochleistungen anspornen. Die bezaubernden hell violetten bis türkisfarbenen Blüten sind jung auch gut essbar, aber am besten schmecken einfach die Blätter vor der Blüte. Sie kann man zu einem wunderbaren Salat mit Radieschen und Himbeeressig verwenden, mit Walnüssen und eingelegten Birnen oder gebratenem Speck. Granatapfel, Orangen und auch Parmesan mag der Feldsalat – Ihnen fallen bestimmt noch viele andere Kombinationen ein.

[Bild vergrößern]

Gewöhnlicher Feldsalat

[Bild vergrößern]

Nun wird es scharf, richtig bitter (mir auch mal zu bitter), mit der Scharfen Gänsedistel (Sonchus asper). Bitterstoffe sind aber ganz prima, leider hat man sie uns aus vielen Gemüsesorten weggezüchtet, völlig zu Unrecht, denn sie regen die Verdauung an, insbesondere die Fettverdauung, überhaupt den Stoffwechsel insgesamt. Aus Sicherheitsgründen ein kurzer Blick zu den beiden Recycling-Männern, die Hände haben sie in die Hüften gestemmt. Sie verfolgen, ob ich wirklich nur Grünzeug ablichte und nicht etwa sie. Aber die Gänsedistel mit ihren von Mai bis November gelben Blüten hat sich trotz Regens in Positur geworfen, sie will jetzt im Mittelpunkt stehen, und das will ich ihr auch gönnen. Immerhin ist sie schon über einen halben Meter hoch, ganze 50 Zentimeter hat sie noch in petto. Aber ich habe nicht nur vor, sie zu fotografieren, ich will auch von ihr kosten. Die Blätter munden nach Kohl, aber ohne diesen manchmal penetranten Kohlgeschmack. Mit anderen Worten: Man kann daraus einen aromatischen Salat zubereiten. Da fällt mir ein Tipp ein, der im Prinzip für alle hier vorgestellten Blätter gilt: Nie von einer Art allein einen Salat zubereiten, dann ergeht es Ihnen so wie mir mit dem Endiviensalat meines Vaters – man wird dem Grün schnell überdrüssig. Am besten alles bunt mischen, ein paar Blätter davon, einige Blüten hiervon, dazu vielleicht sogar noch ein paar Beeren. Was zusammen gut schmeckt, das sollten nur Sie selbst herausfinden, Geschmäcker sind nämlich verschieden. Die Stängel der Scharfen Gänsedistel kann man übrigens ebenso verwenden, dazu sollte man sie klein schneiden und gut waschen, damit der in ihnen enthaltene Milchsaft ausgeschwemmt wird. Nach dieser Behandlung sind sie geeignet für Smoothies und Gemüsemischungen, etwa mit dem Thermomix.

Scharfer Gänsedistel

[Bild vergrößern]

Apropos Thermomix … Ich bin ja altmodisch, und was für Höllenmaschinen es heutzutage gibt, da staune ich nur. Steffi hat sich vor zwei Jahren so ein Teil zugelegt, für sündhaft viel Geld. Anfangs lief das Ungetüm wenn nicht jeden, so doch jeden zweiten Tag – es musste sich ja lohnen. Ich als alter Gärtner fühlte mich sofort in inniger Nachbarschaft mit einem Asthäcksler, ein richtig fettes Ding! Es ging zwar nicht länger als fünf Sekunden, aber so was Lautes! Nur gut, dass es nicht dabei qualmte oder stank! Ich bereitete mich innerlich auf harte Zeiten vor. Aber gemach, Zeiten ändern sich. Nach nicht mal drei Wochen lief das Gerät schon erheblich seltener, das Säubern erforderte nämlich das Zigfache an Zeit im Vergleich zur kurzen Zerhackerei (das Wort «Matscherei» wäre für mich hier angebrachter). Und Sie glauben es nicht, jetzt läuft der teure Thermomix nur noch einmal im Vierteljahr, allerhöchstens – wie oft hätten wir für das Geld schön essen gehen können. Das ficht aber diese Gänsedistel nicht an, sie lässt es sich sogar nicht nehmen, wunderbar zu heilen: Der Milchsaft der Stängel soll früher innerlich bei Kurzatmigkeit, Leberschwäche, Fieber und Sodbrennen genutzt worden sein und äußerlich bei Ausschlägen, Hämorrhoiden und Entzündungen der Haut.

Die Pflanze, die in unmittelbarer Nähe zur Gänsedistel wächst, kennen Sie auf jeden Fall: den bis 40 Zentimeter aufstrebenden Gewöhnlichen Löwenzahn (Taraxacum officinale agg.). Seine Blätter schmecken herb bis würzig, seine Blütenknospen leicht süßlich. Wenn die Pflanze mehr oder weniger ausgedient hat, ist sie jedoch bitter und gummihart. Alle Teile lassen sich zu Salaten, Suppen, Soßen, auf Brot, zu Eier-, Käse und Kartoffelspeisen verwenden. Diese Art hat doppelt so viel Kalium, Magnesium und Phosphor, fünfmal so viel Eiweiß und sogar achtmal so viel Vitamin C wie ein Kopfsalat. Auch wenn der Löwenzahn als Maikäferschreck gilt, lassen Sie sich nicht von dieser gelben Kuhwiesenblume abhalten! Löwenzahn wirkt blutbildend, harntreibend und aktiviert allgemein den Stoffwechsel. Als Tee sagt er Kopfschmerzen den Kampf an, ebenso hilft er gegen Bronchitis und chronische Gelenkschmerzen. Und wer unter Frühjahrsmüdigkeit leidet, darf auf Löwenzahnsalat und -tee sowieso nicht verzichten. Nach der Signaturenlehre glaubte man, dass der Löwenzahn wegen seiner leuchtend gelben Blüten die Gelbsucht heilen würde. Die Signaturenlehre war schon in der Antike bekannt und fand dann wieder im Mittelalter durch den Arzt und Mystiker Paracelsus größere Verbreitung. Danach glaubte man an Analogien zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und Gestirnen hinsichtlich von Form, Farbe, Gerüchen etc. Bei roten Pflanzen nahm man an, dass sie gut fürs Blut seien, Bohnen aufgrund ihrer Form für die Nieren, Walnüsse fürs Gehirn. Manches war gar nicht so verkehrt gedacht, denn die Walnuss (und die kommt noch!) enthält zum Beispiel tatsächlich viele Fettsäuren, die sich positiv aufs Gehirn auswirken.

Gewöhnlicher Löwenzahn

[Bild vergrößern]

Die Blattränder des Löwenzahns, es gibt in Deutschland allein weit über tausend verschiedene Löwenzahn-Arten, erinnern an Zähne von Löwen. Die Blätter enthalten wie die der Scharfen Gänsedistel viele Bitterstoffe, darunter das selten vorkommende Eudesmanolid Tetrahydroiridentin B oder Germacranolid Ainsliosid. Bitterstoffe allgemein produzieren vermehrt Speichel und Magensäure, was wiederum, wie gesagt, die Verdauung auf Vordermann bringt, sodass Fette und Eiweiße leichter abgebaut werden. Und man fühlt sich eher satt – was für Abnehmwillige vielleicht ein guter Hinweis ist. Da fällt mir auf: Esse ich etwa zu viele Bitterstoffe? Bei meinen Exkursionen probiere ich immer alles, was ich zeige (ich rede ja nicht nur über Natur, ich lebe sie auch). Da kommt dann schon eine ganze Menge zusammen. Das gibt mir jetzt zu denken, aber nur kurz …

Dieser Grünstreifen vor der Blocklanddeponie ist artenreicher als jede gut sortierte Supermarkt-Gemüseabteilung, oder haben Sie bei Edeka, Lidl & Co. schon mal Kubaspinat (Claytonia perfoliata) kaufen können? Er firmiert auch unter dem Namen Gewöhnliches Tellerkraut und prosperiert seit etwa vierzig Jahren. Der Name Kubaspinat ist schon Programm, denn die hübschen zarten und runden Blätter wirken so schön frech, als würden sie einem die Zunge ausstrecken. Hatte da Fidel Castro höchstpersönlich seine Finger im Spiel? Die Pflanze wächst tatsächlich auf Kuba, sie emigrierte auf die Insel von Nordamerika aus, und weil der Eroberungsdrang dieser Vitamin-C-Bombe noch nicht ausgereizt war, machte sie sich auf nach Europa. Die saftigen Blätter (schmecken wie Feldsalat), aber auch die Stängel und die weißen Blüten ergeben frisch einen feinen Salat, gekocht kann man die Blätter als Spinatgemüse oder als Pesto zubereiten. Wegen des hohen Vitamin-C-Gehalts beugt der Kubaspinat Erkältungskrankheiten vor, in alten Heilbüchern wird er bei Rheuma und Nierenproblemen empfohlen (als Breiwickel). Man kann mit den hübschen Tellerblättern natürlich auch einfach nur den Teller dekorieren. Aber Achtung: Diese wärmeliebende, bis 30 Zentimeter hohe, einjährige Art wächst am liebsten auf Sand, in Lehmgebieten oder im Gebirge suchen Sie sie daher vergeblich!

Kubaspinat

[Bild vergrößern]

Neben dem Kubaspinat entdecke ich noch eine Gänsedistel: die häufige, bis 120 Zentimeter hoch werdende Kohl-Gänsedistel (Sonchus oleraceus), sie ist überhaupt nicht stachelig, beherzt kann man in sie hineingreifen, und sie blüht ebenfalls gelb. Die Pflanze verfügt über reichlich Bitterstoffe, ist jedoch etwas milder als die pieksige Schwester. Lecker schmecken die Blätter mit Nudeln, wenn man ordentlich Sahne zugibt. Man kann auch noch etwas Butter reinhauen und eine Prise Muskat. Veganer können die hohlen Stängel garen, entsprechend zurechtgeschnitten sehen sie aus wie Makkaroni. Plinius der Ältere empfahl den alten Römern die Kohl-Gänsedistel wegen ihrer «großen medizinischen Tugenden», der verdünnte Milchsaft soll gegen Kurzatmigkeit und Sodbrennen geholfen haben, die gekochten Blätter wurden jungen Müttern serviert, man hoffte dadurch die Milchbildung zu fördern.

[Bild vergrößern]

Kohl-Gänsedistel

[Bild vergrößern]

Untermalt vom Rauschen vorbeidonnernder Lkws (die Brummi-Fahrer sind eindeutig auch in der Currywurst-Fraktion, sie schauen weder nach links noch nach rechts) und dem Gesang des Zilpzalps (der tatsächlich nichts anderes kann als sein unermüdliches Zilp-Zalp! Zilp-Zalp! – schon verwunderlich, dass er noch nicht vollkommen kirre davon ist, die ganze Zeit seinen eigenen Namen zu rufen) wechsele ich die Straßenseite.

Dort sticht mir die Schlehe (Prunus spinosa) ins Auge, ein bis zu vier Meter hoch wachsendes, stark bedorntes Gehölz, das häufig auf kalkreicheren Lehm- und Gesteinsböden zu finden ist und gerade hemmungslos weiß blüht. Das harte Holz kann man nicht essen, aber man kann Spazierstöcke daraus fertigen, und einen solchen braucht man auch, um halbwegs aufrecht nach Hause zu kommen, sollte man einmal auswärts zu viel Schlehenschnaps getrunken haben. Aus den blau-schwarzen, kugeligen Früchten wird das alkoholische Getränk destilliert, man kann sie aber ebenso ab September zu verdauungsförderndem Mus verarbeiten. Hildegard von Bingen, hochmittelalterliche Äbtissin und Heilkundlerin, schrieb in ihrem medizinischen Werk Physica: «Und die Frucht des Schlehdorns, nämlich die Schlehen, süße mit Honig und iss sie oft auf diese Weise, dann wird die Gicht in dir weichen. Aber wer im Magen schwach ist, der brate Schlehen … oder er koche sie in Wasser und esse sie oft, dies führt den Unmut und den Schleim vom Magen ab. Und wenn er ihre Kerne mit isst, wird es ihm nicht schaden.» Aus den Blüten und Blättern kann man einen Tee zubereiten, der den Stoffwechsel in Gang setzt, das Immunsystem stabilisiert und sogar Fieber senkt, denn er wirkt schweißtreibend. Kräuterpfarrer Sebastian Kneipp war weniger poetisch als Hildegard, er sagte kurz und knapp zum Schlehentee: «Schlehenblüten sind das harmloseste Abführmittel, das es gibt.» Goldwert finde ich dieses Wissen: Zahnfleischentzündungen klingen ab, wenn man auf getrockneten Früchten herumkaut.

[Bild vergrößern]

Schlehe

[Bild vergrößern]

Ein Blick hinauf zum Himmel: Es hellt sich auf. Wunderbar. Ich hätte auch keine Lust gehabt, jetzt schon nach Hause zu fahren, nur weil ich pitschnass werden könnte. Außerdem habe ich noch Butterbrote in meinem Auto (heute Morgen frisch geschmiert, nicht etwa von gestern übrig geblieben), die würde ich gern noch mit etwas Kräftigem belegen, Bär-Lauch zum Beispiel. Bär-Lauch, das weiß ich von vielen Spaziergängen (allein oder seltener auch mal zu zweit), wächst ausufernd in Knoops Park, der im Nordbremer Stadtteil Lesum liegt. Die Lesum ist zudem ein naturnaher, träge dahinfließender Fluss der Wesermarsch, der am Park vorbeimäandert. Darum ist es auch ein Naturschutzgebiet mit wogenden Schilfgürteln – sozusagen unsere Peene in Bremen!

Am Nordrand des Parks steht eine Bronzestatue von einem feinen Herrn im gediegenen Dreiteiler, der in der einen Hand einen Bowler trägt und in der anderen – na? – einen Spazierstock. Das ist Ludwig Knoop, seines Zeichens sogar Baron. Der war aber – um beim Bild der Schlehe zu bleiben – kein Bremer Schnapsfabrikant, sondern einer der erfolgreichsten Textilunternehmer des 19. Jahrhunderts, weshalb auch der Park nach ihm benannt wurde. Er spendete diesen an die Bremer Bevölkerung! So ehrenwert und schnieke wie der Herr Baron sehe ich heute nicht gerade aus, meine schwarze wetterfeste Wolfskin-Outdoor-Jacke und meine abgewetzten Jeans der Marke Seekuh sind alles andere als aus edlem Tuch, aber der Herr Knoop zwängte sich ja auch bestimmt nicht zwischen Dornengebüsch und krabbelte händeringend kräutersuchend auf dem Boden herum. Jetzt will ich in diesem bekannten und beliebten Park anständig Jause machen und kehre der so artenreichen Blocklanddeponie den Rücken.

Unterwegs auf der A27 muss ich geradezu zwanghaft auf einem Rastplatz anhalten, «Fahrwiesen» heißt der. Der Name passt gut, denn schon seit Jahren fahre ich hier auf das leuchtend dottergelb blühende, bis 100 Zentimeter hoch wachsende Gewöhnliche Barbarakraut (Barbarea vulgaris) ab. Meine erste und einzige Ehefrau heißt Barbara, ich musste deshalb diesen Stopp einlegen. Das Barbarakraut ist auch als Winterkresse bekannt. Obwohl es allmählich zunimmt, ist es noch immer deutlich seltener als Löwenzähne. Durch die Senföle schmeckt das Kraut bitter bis kresseartig. Blätter, Blüten und junge Sprosse sind ideale Beigaben zu Broccoli oder eine Alternative für die übliche Salatzusammensetzung (damit es nicht zu streng wird, lieber nur Kleinstmengen verwenden), und Eintöpfen kann man damit eine neue Note geben. Fischgerichte soll man damit sogar auf ein Gourmet-Niveau anheben können, aber das vermag ich nicht zu beurteilen, denn ich bevorzuge Fisch im Wasser, wenn er schwimmt. In Form gepresste Fischstäbchen landeten, wenig fangfrisch, gerade noch auf meinem Teller, aber das auch nur, wenn meine Kinder sich diese panierten Dinger wünschten. Das Barbarakraut, um auf dieses zurückzukommen, ist sehr vitaminreich, und da die Blattrosetten schon ab November zu finden und zu verwerten sind, wurde es einst gegessen, um gesundheitsmäßig gut über den Winter zu kommen. Als Heilpflanze setzte man es zum Entschlacken, zum Entwässern sowie bei Appetitlosigkeit ein. Falls Sie es trocknen wollen, um es später mal zu verwenden, vergessen Sie es. Getrocknet hat es null Wirkung. Es ist schon erstaunlich, was Pflanzen alles in welcher Darbietungsform können, ebenso erstaunlich ist, dass man fast nichts mehr von diesem alten Wissen parat hat.

[Bild vergrößern]

Gewöhnliches Barbarakraut

[Bild vergrößern]

Auch das blühende Dänische Löffelkraut (Cochlearia danica) ist an den «Fahrwiesen» zu finden. Ebenfalls ein scharfes Gewächs, das fünf bis 30 Zentimeter hoch wird, jedoch ist es keine Spur bitter. Eigentlich ein Stranddünenbewohner, nun hat es sich aber an Autobahnen ein neues Zuhause eingerichtet; dank des winterlichen Streusalzes kann es dort gut überleben. Im Grunde hat bei diesem Kraut eine moderne Wikingerinvasion auf ganz vielen Autobahnen stattgefunden, erstmals 1987 auf der A1 bei Vechta in West-Niedersachsen. Das von Ende März bis Juni schneeweiß blühende Löffelkraut wurde nämlich einst von den kriegerischen Raubeinen gesammelt, um es einzusalzen und fässerweise auf Kaperfahrt mitzunehmen. Wie das Barbarakraut protzt es mit Vitamin C, hat aber, im Gegensatz zur Namenspatronin meiner Verflossenen, eine noch kürzere Verweildauer. Die Wikinger und später viele Seefahrer schützten sich mit dem Löffelkraut auf hoher See gegen die Vitaminmangelkrankheit Skorbut. Sonst hätten sie auch ihre Löffel abgegeben … Bei ihm können Sie wieder alles verputzen, bis in den Mai hinein: Blätter, junge Sprosse, Blüten und auch die Samen.

Dänisches Löffelkraut

[Bild vergrößern]

Fieser Nieselregen setzt auf einmal wieder ein, und ich flüchte ins Auto. Das nordische Wetter hat so seine Tücken, doch bis zum Park des edlen Stifters und Bremer Großkaufmanns Knoop habe ich noch eine Fahrzeit von ungefähr fünfzehn Minuten zu bewältigen, da kann sich ja der Himmel noch dreimal umentschieden haben. Ich denke daran, wie viele Kräuter nicht nur eine schmackhafte Zutat sind (und dass es nicht nur Spaß macht, sie anzusehen, an ihnen zu reiben und zu riechen), sondern dass so viele von ihnen zudem ausnehmend gut für unsere Gesundheit sind. Es gibt einen tollen Satz, wieder einmal vom ollen Griechen Hippokrates, der wie die Faust aufs Auge passt: «Lebensmittel seien Arzneien und Arznei sei Lebensmittel.»

Und noch etwas fällt mir ein: Es gibt Kräuter und es gibt Gewürze – worin besteht eigentlich der Unterschied? Spontan kann ich es mir nur an dem klarmachen, was ich selbst kenne: Dill, Petersilie, Bär-Lauch (meine Butterbrote sind griffbereit!), Schnittlauch und Minze sind Kräuter. Muskat, Chili, Pfeffer und Sternanis kenne ich als Gewürze. Aber weil ich eine klare Definition will – es muss ja einen Grund geben, warum diese beiden Begriffe die Küchenwelt beherrschen –, begebe ich mich, nachdem ich an der Straße «Auf dem Hohen Ufer» einen Parkplatz gefunden habe, auf Suche im Internet. Schnell lande ich bei den von der Bundesregierung herausgegebenen «Leitsätzen für Gewürze und andere würzende Zutaten» – und da werde ich fündig: «Gewürze sind Blüten, Früchte, Knospen, Samen, Rinden, Wurzeln, Wurzelstöcke, Zwiebeln oder Teile davon, meist in getrockneter Form. Kräuter sind frische oder getrocknete Blätter, Blüten, Sprosse oder Teile davon.» Mir war das gar nicht so klar, Ihnen vielleicht ja auch nicht …