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Weihnachten ohne Baum? Der Vater ein bayerischer Sturschädel, die Kinder in der Hochphase der Pubertät und dann noch Weihnachten? Franzis Entschluss steht fest: Heuer wird sie sich einen ruhigen, entspannten Advent machen, komme, was wolle. Kein Plätzchenbackstress, kein Dekowahnsinn und kein Geschenkemarathon. Ihr Plan scheint aufzugehen, denn Ehemann Sebastian versucht sich zum ersten Mal in seinem Leben am Backblech und die Kinder bemerken nicht mal, dass es keinen Adventskranz gibt. Doch als ihre Schwester Betti plötzlich klimaneutral feiern will, während Vater Sepp mit seinem kreativen Sparzwang jeden in den Wahnsinn treibt, ist der Weihnachtsfrieden gefährdet. Franzi bleibt keine andere Wahl. Sie muss eingreifen … Ein wunderbar komischer Roman über die herausforderndste Zeit des Jahres – typisch Antonia Vitz!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Antonia Vitz
Feiertage
Mit Sepp durch die Weihnachtszeit
Deutsche Erstveröffentlichung 13.10.2023
Copyright © 2023 Antonia Vitz Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 978-3-949448-18-8
Antonia Vitz Reutinger Weg 2692449 Steinberg am See [email protected]://www.antoniavitz.de
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Korrektorat: Donata Schäfer http://www.texthueterin.deCovergestaltung: Stephanie Umlauf, http://www.steffiumlauf.comCovermotiv und Zeichnungen: Anna Vetter und Stephanie Umlauf
A N T O N I A V I T Z
ROMAN
Kapitel 1 – Die Liste
Kapitel 2 – Brotzeitbrett
Kapitel 3 – Vereinsfeiern
Kapitel 4 – Björnat
Kapitel 5 – Onlinebestellung
Kapitel 6 – Beim Bäcker
Kapitel 7 – Doppelte Menge
Kapitel 8 – Kundentoilette
Kapitel 9 – Flugmodus
Kapitel 10 – Weihnachtsmarkt
Kapitel 11 – Milchzucker
Kapitel 12 – Mirtz-Rücks
Kapitel 13 – Häufchen
Kapitel 14 – Lesebrille
Kapitel 15 – Bescherung
Kapitel 16 – Weihnachten
Kapitel 17 – Epilog
Die Autorin Antonia Vitz
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Für Oma.
„Jedes Jahr derselbe Zirkus!“, stöhne ich und starre auf Feichtis Hintern. Mein Chef – zumindest noch für die nächsten sechs Wochen – kniet vor mir auf dem Boden und versucht, das tropfende Abflussrohr unter der Spüle dicht zu bekommen. Alles, was er bisher erreicht hat, ist eine Pfütze, die von Minute zu Minute größer wird.
„Geh, Franzi!“, tönt es dumpf zurück, „der Advent ist doch eine wunderbare Zeit, wenn nicht sogar die schönste des Jahres! Die Straßen sind mit Lichterketten geschmückt, überall leuchtet und funkelt es und an jeder Ecke gibt es Glühwein, Waffeln und Bratwurstsemmeln.“ Ohne sich umzuwenden, greift er nach der Rohrzange hinter sich.
„Sollen wir nicht doch den Klempner kommen lassen?“, frage ich vorsichtig mit Blick auf die Uhr. Es ist kurz nach sieben, in einer knappen Stunde schließen die Läden und ich habe heute noch einen Großeinkauf zu erledigen: Zutaten für den alljährlichen Plätzchenbackwahn!
„Geh, Schmarrn! Ich werd wohl noch so ein bisschen undichte Wasserleitung reparieren können.“
Scheppernd legt er die Rohrzange auf den Boden und kommt mit rotem Kopf unter dem Spülbecken hervor. „Ich freu mich schon wie narrisch, wenn es endlich wieder los geht.“ Mit einem Stöhnen, das wohl seinen alten Knien geschuldet ist, steht er umständlich auf, streicht seine langen, grauen Haare zurück und zieht den Zopf neu in Form. Solange ich denken kann, hat er diese Frisur. Ganz anders mein Vater, sein bester Kumpel, bei dem nur noch wenige Stoppel auf dem unteren Hinterkopf sprießen.
„Schönste Zeit des Jahres“, wiederhole ich kopfschüttelnd und linse unter die Spüle. Das Tropfen hat tatsächlich aufgehört. „Für mich ist es die mit Abstand stressigste Zeit des Jahres. Was da alles erledigt und geschmückt werden muss! Und gleichzeitig soll man besinnlich und friedvoll sein. Ganz abgesehen von den tausend zusätzlichen Terminen, als hätte man mit Geschenke kaufen, Plätzchen backen, Christbaum besorgen und Wohnung weihnachtlich dekorieren nicht schon genug zu tun.“
„Man hat immer genauso viel Stress, wie man sich selber macht“, doziert Feichti mit ernster Miene, bückt sich und legt die Rohrzange in den Werkzeugkoffer.
Das kann auch nur einer sagen, der keine Ahnung von Familienalltag hat!
„Du machst es dir eben einfach. Stellst jedes Jahr denselben Plastikbaum ins Schaufenster und das war’s. Fertig ist die Weihnachtsvorbereitung.“ Ich schnappe mir Lappen und Eimer und beginne, das Wasser aufzuwischen.
Feichti beobachtet mich beinahe amüsiert. „Kann ja nicht jeder so perfekt sein wie du.“ Obwohl er mir in seiner typisch spitzbübischen Art zuzwinkert, versetzen mir die Worte einen kleinen Stich. Ich wringe den Lappen aus und hänge ihn zum Trocknen über den Eimer. Dann marschiere ich nach draußen, um den Zeitschriftenständer in den Laden zu rollen. Eine kalte Windböe pfeift mir entgegen, als ich die Tür öffne. Seit drei Jahren arbeite ich nun in Vinzenz’ Tabak- und Zeitschriftenladen, den Feichti – Vinzenz Feichtinger – bis dahin alleine geführt hat. Ich bereue es keine Sekunde, meinen Teilzeitjob bei der Versicherung aufgegeben zu haben, und genieße die Plaudereien mit den Kunden genauso sehr wie meine Diskussionen mit Feichti. Obwohl oder vielleicht gerade weil wir nicht immer einer Meinung sind.
Nachdem ich das Schild von Geöffnet auf Geschlossen umgedreht habe, setze ich mich auf einen der neuen Bistrostühle und drücke den Rücken durch, bis ich zufrieden ein leises Knacken auf Höhe der Brustwirbelsäule verspüre. Feichti hat den Laden letzten Sommer komplett renoviert und bei der Gelegenheit auch das Mobiliar erneuert. Wenn er sich ab Januar aus dem Geschäft zurückzieht, übernehme ich ein modernes, gut laufendes Geschäft in perfekter Lage.
„Als kinderloser Single hast du leicht reden. Jeder Verein macht eine Weihnachtsfeier, die Schule einen Basar, da weiß man fast nicht mehr, wo man zuerst hin soll.“
„Keiner zwingt dich, das mitzumachen.“ Schulterzuckend holt er sich ein Bier aus dem Kühlschrank und hält es fragend in meine Richtung.
„Danke, für mich nicht. Ich muss gleich noch einkaufen. Zutaten für fünf verschiedene Plätzchensorten.“
Während er einen ersten tiefen Schluck nimmt und die Flasche Kneitinger Pils mit einem wohligen Ahh! auf dem Tisch abstellt, stehe ich auf, schlüpfe in meine Jacke und ziehe den Reißverschluss zu.
„Siehst du, das ist genau das, was du nicht verstehst! Es geht nicht nur darum, Plätzchen zu backen. Man muss eine Einkaufsliste schreiben, die Zutaten besorgen, nach dem Backen abspülen. Lauter Dinge, die bei dir nicht anfallen. Du gehst um die Ecke, kaufst dir eine Waffel, nippst am Glühwein, während im Hintergrund Jingle Bells aus den Lautsprechern tönt, und denkst, das ist die Vorweihnachtszeit.“
„Franzi!“ Er legt seine Hand auf meine Schulter und sieht mich eindringlich an. „Keiner zwingt dich, Weihnachten mit fünf Plätzchensorten zu feiern. Nur du entscheidest, wie du es gestaltest. Ob du einen Plastikbaum aufstellst oder die ganze Wohnung dekorierst.“
Täusche ich mich oder habe ich soeben ein Tropfgeräusch vernommen? Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend linse ich erst zur Spüle, dann zur Uhr. Viertel nach sieben.
„Weihnachten bringt nun mal gewisse Erwartungen mit sich. Das ist kein Termin, den man einfach absagt.“ Ich marschiere hinter die Theke und bücke mich, um die Wasserleitung zu inspizieren. Scheint dicht zu sein. Trotzdem stelle ich zur Sicherheit den Putzeimer darunter.
„Schau mal“, fährt er fort und macht es sich auf einem Stuhl bequem. „Du hast doch alles, was du dir wünschen kannst. Zwei Kinder, einen netten Mann, alle um dich herum sind gesund – warum genießt du die Vorweihnachtszeit nicht einfach? Ich stelle mir das ehrlich gesagt recht schön vor, wenn man das Fest mit seiner Familie verbringen kann. Tannenbaum, Glühwein, Plätzchen und dazwischen die leuchtenden Augen der Kinder.“
„Meine Kinder sind dreizehn und sechzehn, mitten in der Pubertät. Da leuchtet höchstens das Handydisplay“, gebe ich bockig zurück. „Papa wird von Jahr zu Jahr anstrengender und nörgelt an allem rum. Wenn meine Schwester nicht über die Feiertage zu Besuch kommen würde, müssten wir einen Diplomaten dazu holen.“ Ja, ich weiß, ich bin eine erwachsene Frau Mitte vierzig. Doch das bedeutet nicht automatisch, dass ich stets in mir ruhend und ausgeglichen bin.
Feichti streckt seine langen Beine unter dem Tisch aus und mustert mich, während ich mich mit Schal, Mütze und Handschuhen ausstaffiere.
„Und wenn du alles reduzierst?“, schlägt er schließlich vor. „Back nur eine Sorte Plätzchen. Sag die ein oder andere Vereinsfeier ab. Du bist die Frau im Haus, es liegt in deiner Hand. Mach dir mit Sebastian und den Kindern ein schönes, gemütliches Weihnachtsfest, ohne Stress und Hektik im Vorfeld.“
Es klingt so einfach. Und wunderschön. Mit einem Schulterzucken marschiere ich ins Büro, um meine Tasche zu holen. Ob es wirklich möglich ist? Es gibt tatsächlich einiges, was ich ändern könnte. Warum nicht einfach die große Weihnachtsdekokiste im Keller lassen und nur ein, zwei Leuchtsterne ans Fenster hängen? Und wenn wir mal ehrlich sind: Diese verdammten Plätzchen machen nicht nur Arbeit beim Backen, sondern verlangen auch ein enormes Maß an Disziplin, sobald sie auf dem Teller liegen. Sebastians Hosen werden sowieso immer enger und mir würde es auch nicht schaden, auf ein paar zusätzliche Kalorien zu verzichten. Was spricht dagegen, alles ein wenig zu reduzieren?
„Du hast völlig recht!“ Energisch ziehe ich mir die Mütze vom Kopf und schmeiße sie vor Feichti auf den Tisch. „Dieses Jahr wird alles anders! Heuer werde ich eine wunderschöne, stressfreie Vorweihnachtszeit haben und den Heiligabend entspannt und glücklich mit meiner Familie genießen.“
Um meinen Vorsatz zu bestätigen, hole ich mir eine Radlerhalbe aus dem Kühlschrank und stoße mit Feichti an. „Auf einen schönen Advent! Die Zutaten für Butterplätzchen habe ich bereits daheim, mehr Sorten backe ich nicht. Das Einkaufen kann ich mir also sparen!“
Nach Feierabend setze ich mich sofort an den Schreibtisch und beginne voller Euphorie, eine Liste zu schreiben.
Eine schöne, entspannte Adventszeit steht als Überschrift in Großbuchstaben darüber. Die ersten Ideen fließen regelrecht auf das Papier. Es fühlt sich großartig an, alles aufzuschreiben, was ich weglassen könnte. Unglaublich, was man sich selbst aufbürdet, ohne es zu hinterfragen. Einfach, weil es sich so gehört.
Plätzchen zum Beispiel. Menschen, die noch nie aktiv gebacken haben, können sich vermutlich gar nicht vorstellen, was für eine Heidenarbeit diese vermaledeiten Dinger machen. Am Ende hast du verklebte Finger, eine dreckige Küche, kaum noch Nerven und das alles für eine winzige Gebäckdose. Es bereitet mir beinahe körperliche Schmerzen, wenn ich dabei zusehen muss, wie eines nach dem anderen gedankenlos in den Mund geschoben wird. Doch damit ist es vorbei! Ich bin absolut entschlossen, mich dieses Jahr nicht mehr stressen zu lassen. Es liegt in meiner Hand, wie ich die Adventszeit gestalte.
Als ich bei Punkt neun meiner Liste, Feiertagsessen, angekommen bin, schaut mir Sebastian neugierig über die Schulter.
„Weihnachtliches Geheimnis?“, fragt er und küsst mich auf die Wange.
„Im Gegenteil! Es ist sogar etwas, das ich unbedingt mit dir besprechen möchte. Dieses Weihnachten wird nämlich etwas Besonderes. Wir werden die Adventszeit in vollen Zügen genießen und gemeinsam als Familie ein wunderschönes Fest feiern.“
Verwundert runzelt er die Stirn. „Tun wir das nicht jedes Jahr?“
„Soweit ich mich erinnern kann, liege ich am zweiten Feiertag völlig erschöpft auf der Couch und mache innerlich drei Kreuze, dass der Wahnsinn endlich ein Ende hat.“
Sein erneutes Stirnrunzeln zeigt mir, dass diese Information völlig neu für ihn ist.
„Die Geschenke für deine Eltern zum Beispiel“, ich tippe mit dem Finger auf den ersten Punkt der Liste. „Das kann man so viel einfacher gestalten.“
Mit verschränkten Armen beugt er sich über den Schreibtisch, um zu lesen, was ich notiert habe
Bisher:
Geschenk kaufen.
In Geschenkpapier einpacken.
Passenden Karton finden, adressieren, zur Post bringen.
Neu:
Geschenk online bestellen und verpackt direkt an die richtige Adresse schicken lassen.
„Dadurch habe ich mit einem einzigen Mausklick alles erledigt, ist das nicht toll? Oder hier!“, ereifere ich mich und deute auf Punkt zwei, Backen.
Bisher: Mehrere Sorten Plätzchen.
Neu: Eine Sorte.
„Solange es Kokosmakronen sind, habe ich nichts dagegen.“ Amüsiert tätschelt er meine Schultern und dreht sich Richtung Tür um.
„Butterplätzchen.“
Sebastian, der bereits im Begriff ist zu gehen, hält in der Bewegung inne und sieht mich ungläubig an. „Was?“
„Ich mache nächste Woche Butterplätzchen.“
„Und Kokosmakronen?“
In einer Geste der Hilflosigkeit hebe ich beide Hände und zucke mit den Schultern.
Sebastians Gesicht wandelt sich innerhalb kürzester Zeit von Schrecken über Ungläubigkeit hin zu Enttäuschung. Nach einem Moment der fassungslosen Stille kommt er zum Schreibtisch zurück und geht in die Hocke, so dass er zu mir aufsehen muss. „Weihnachten ohne Kokosmakronen ist für mich kein Weihnachten“, beklagt er sich mit großen Augen und nimmt meine Hände in seine.
„Dafür bekommst du eine tiefenentspannte Frau. Ist das nichts?“, frage ich und wappne mich innerlich für eine längere Diskussion.
Stattdessen setzt er einen filmreifen Hundeblick auf. „Kokosmakronen. Bitte!!!“, bettelt er und zieht eine ziemlich unmännliche Schnute, während er beide Augenbrauen nach oben kräuselt.
Verdammt!
„Sebastian, ...“, beginne ich, doch im selben Moment nimmt er mich in die Arme und überdeckt mein Gesicht mit Küssen. „Du bist die Beste! Ohne Kokosmakronen würde ich elendig leiden, das weißt du!“
Weiß ich das? Bisher wusste ich es nicht. Dennoch genieße ich für den Moment seine überschwängliche Zuneigung. Morgen ist Samstag, da schlafen wir erst mal aus, frühstücken schön und dann erklär ich ihm in aller Ruhe, dass er dieses Jahr die Kokosmakronen wohl selber backen muss. Er wird es bestimmt verstehen!
„Wer fährt?“ Mit der Sporttasche in der Hand kommt Xaver die Treppe herunter. Sebastian und ich haben bis kurz nach zehn geschlafen und sitzen gemütlich bei einem späten Frühstück. Ich habe mir gerade eine zweite Tasse Kaffee geholt und wollte auf das heikle Thema Weihnachtsgebäck zu sprechen kommen.
„Heute ist Auswärtsspiel, sagt bloß, ihr habt das vergessen?“
„Natürlich nicht, Schatz!“, widerspreche ich und öffne die FuPa-App auf dem Handy, in der alle Termine, Infos und Ergebnisse der U17-Fußballjugend eingetragen sind.
27.11. Hallenturnier Flatsching
Fahrer: Sanwald, Lautenschlager, Baumer.
Wortlos halte ich es meinem Mann unter die Nase und deute auf unseren Namen: Sanwald.
„O Mist, das hatte ich nicht mehr auf dem Schirm“, stöhnt er und sieht mich fragend an.
„Du Xavers Fußball, ich Rosalies Basketball“, wehre ich seine unausgesprochene Frage ab. „So ist es ausgemacht.“
Widerwillig erhebt er sich vom Stuhl, beißt im Stehen ein letztes Mal von seinem Brot ab und verschwindet ins Bad. Damit ist das Kokosmakronengespräch wohl oder übel auf unbestimmte Zeit verschoben. Ich mag es gar nicht, wenn Dinge ungeklärt bleiben, so etwas führt nur zu Missverständnissen und Ärger. Deshalb nehme ich mir vor, gleich heute Abend mit ihm zu reden. Es geht schließlich nicht nur um die Kokosmakronen, ich plane auch einige andere Änderungen.
Xaver verdreht ungeduldig die Augen. „Beeil dich, Papa! Wenn du jetzt ewig auf dem Klo hockst, kommen wir zu spät.“ Demonstrativ lässt er die Sporttasche auf den Boden fallen und plumpst mit verschränkten Armen und düsterem Gesicht auf den Stuhl.
„Sagt ausgerechnet der, der es schafft, den halben Tag im Bad zu verbringen.“ Feixend stupse ich meinen Sohn in die Seite, was lediglich erneutes Augenverdrehen hervorruft. Da keine weitere Konversation zu erwarten ist, trinke ich meinen Kaffee leer, räume das Geschirr weg und lege eine Flasche Wasser und drei Müsliriegel auf den Tisch.
„Für dich.“
„Brauch ich nicht.“
„Natürlich brauchst du etwas zu trinken. Nimm’s mit.“
Augenrollen, genervtes Aufstöhnen, theatralisches Tascheaufheben, betont gelangweiltes Reißverschlussöffnen. Dann passiert erst mal gar nichts. Xaver sitzt einfach nur da und starrt vor sich hin.
„Einpacken!“, befehle ich und bleibe so lange neben ihm stehen, bis alles verstaut und der Reißverschluss wieder verschlossen ist. Pubertät. Ein Drama für sich!
Als das Auto eine Viertelstunde später endlich aus der Einfahrt rollt, kurbelt Sebastian das Fahrerfenster runter. „Ist doch super, wenn wir Männer außer Haus sind! Dann hast du heute genügend Zeit und Ruhe zum Backen. Bis heut Abend!“ Er winkt kurz, fährt rückwärts auf die Straße und gibt Gas. Ich starre den kleinen Wölkchen hinterher, die mein Atem in der kalten Luft hinterlässt. Ich backe heute ganz bestimmt keine Kokosmakronen!, murmle ich und beschließe, dass auch die Butterplätzchen noch bis nächstes Wochenende warten müssen. In welchem Jahrhundert lebt mein Mann eigentlich? Während er sich mit den anderen Vätern einen schönen Tag macht, soll ich in der Küche schuften? So geht’s ja nun wirklich nicht! Entschlossen schnappe ich mir Jacke, Mütze und Schal, ziehe meine Winterstiefel an und stapfe los. Täglich ein paar Schritte an der frischen Luft – Punkt drei auf meiner Liste für eine schöne, entspannte Adventszeit.
Ich bin keine fünfhundert Meter von daheim entfernt, als mein Handy klingelt. Betti.
„Gut, dass du ran gehst“, begrüßt mich meine Schwester und redet ohne Luft zu holen weiter. „Wir haben hier ein Riesenproblem. Tom hat am siebenundzwanzigsten einen Termin im Institut, den er nicht absagen kann. Wir haben gestern den ganzen Tag hin- und herüberlegt, weil Heiligabend dieses Jahr auf einen Samstag fällt.“
„Und?“
„Das heißt, die Kinder haben bis einschließlich Freitag Schule. Freitag brauchen wir nicht fahren, da ist Stau ohne Ende.“
„München wird dicht sein“, gebe ich ihr recht und weiche einer Wasserpfütze aus. Betti wohnt in Österreich. Die dauerhaften Großbaustellen rund um die Landeshauptstadt sind vor allem zu Ferienbeginn ein Nadelöhr, da kann sich eine Strecke von dreihundertfünfzig Kilometern schon mal über fünf oder sechs Stunden hinziehen.
„Also müssten wir am Samstag in der Früh fahren und Montag wieder zurück“, führt sie weiter aus, während ich meinen Schal enger um den Hals ziehe. Es ist kälter, als ich dachte. „Die Kinder bestehen aber darauf, dass wir einen eigenen Weihnachtsbaum haben.“
„Verstehe.“ Um ehrlich zu sein, verstehe ich nur die Einzelelemente. Den Zusammenhang aber nicht.
„Puh, da bin ich aber froh. Ich hatte schon befürchtet, du wärst enttäuscht, wenn wir die Tradition brechen.“
Ich warte einen Moment, ob noch weitere Erläuterungen kommen. Tun sie nicht.
„Welche Tradition?“, frage ich schließlich hilflos.
„Na, dass wir bei Mama und Papa gemeinsam Weihnachten feiern.“
Entsetzt halte ich mitten in der Bewegung inne und bleibe stehen. „Ihr wollt nicht kommen?“
Weihnachten ohne meine Schwester? Das ist wie alkoholfreier Wein – möglich, aber sinnlos. „Warum denn? Ihr seid doch schon öfter nur wegen zwei Nächten hergefahren?“
Am anderen Ende der Leitung herrscht einen Moment Stille. Zögerlich gehe ich weiter, während ich das Handy fest an mein Ohr presse. Als ob ich ihre Antwort dadurch beeinflussen könnte.
„Es ist wegen des Baumes.“
„Wegen dem Baum?“, frage ich und bin mir in diesem Moment blödsinnigerweise völlig bewusst, dass ich den in Bayern weit verbreiteten Dativ benutze.
„Die Kinder bestehen darauf, dass wir heuer einen eigenen Baum haben. Hier bei uns im Wohnzimmer. Was soll ich machen?“
Ich kann ihr Schulterzucken förmlich hören.
„Du willst mich allen Ernstes an Heiligabend mit Papa alleine lassen?“ Meine Stimme klingt, als wäre ich der Verzweiflung nahe. Bin ich auch irgendwie.
„Es ist doch ein Schmarrn, einen Baum aufzustellen und dann nicht da zu sein. Schon allein aus ökologischer Sicht. Wir wollen Weihnachten heuer so gut es geht klimaneutral feiern.“
„Klimaneutral?“, wiederhole ich entgeistert und versuche, das Wort, das mittlerweile so überstrapaziert ist, dass man es inhaltlich gar nicht mehr richtig wahrnimmt, sinnvoll einzuordnen. „Wie willst du das denn umsetzen? Weihnachten ist ein Schlachtfest des Konsums. Geschenkorgien, Essensorgien, maximaler Stromverbrauch. Fichten und Tannen werden gefällt, um für ein paar Tage mit Lichterketten geschmückt im Wohnzimmer besinnliche Stimmung zu verbreiten, während daneben Weihnachtsgänse, Alkohol und Plätzchen bis zur völligen Übersättigung vertilgt werden.“
„Das ist es ja gerade. Das muss aufhören.“
„Mit einem eigenen Weihnachtsbaum?“ Die Ironie tropft förmlich aus dem anderen Ende der Leitung, da bin ich mir sicher. Doch Betti lässt sich nicht im Geringsten davon beeindrucken.
„Wir wollen einen Baum im Topf kaufen, den wir später in den Garten pflanzen können. Das ist nachhaltig und wir lehren unsere Kinder dabei den bewussten Umgang mit der Natur.“
Im Umkehrschluss bringe ich also meinen Kindern bei, dass wir uns von der Natur nehmen dürfen, was wir wollen. Und sei es nur zu Dekorationszwecken.
„Dann habt ihr in zehn Jahren einen Wald, wo jetzt euer Garten ist“, gebe ich bissig zurück.
Auch dafür hat sie eine Lösung. „Man muss ja nicht unbedingt jedes Jahr einen Weihnachtsbaum haben. Wenn die Kinder größer sind, können wir durchaus darauf verzichten.“
„Weihnachten ohne Baum?“ Dieser Gedanke ist so abstrus, dass er schon fast wieder gut ist. Sofort taucht Punkt vier der Liste in meinem Kopf auf. Der einzige Punkt, der mit einem dicken Fragezeichen versehen ist: Baumschmuck vereinfachen? Den könnte ich in diesem Fall komplett streichen. Warum eigentlich nicht? Vor lauter Aufregung lege ich einen Zahn zu.
„Das ist die genialste Idee, die ich seit Langem gehört habe! Was da alles wegfällt: Baum kaufen, Baum auf Autodach schnallen, Baum aufstellen, den ganzen Schmuckkram aus dem Keller holen“, zähle ich auf und merke, wie sich meine Gedanken regelrecht überschlagen. „Das Gefitzel mit der Lichterkette und den Kugeln, die man nach ein paar Tagen sowieso wieder abhängen muss. Und denk nur mal an die Milliarden von Tannennadeln, die man noch Wochen später in jeder Ecke findet. Alles nicht mehr notwendig!“
In diesem Moment steht für mich fest, dass wir heuer keinen Baum haben werden! Warum auch? Ich kann guten Gewissens auf solchen Firlefanz verzichten und auch meine Kinder legen kaum noch Wert auf Traditionen. Hauptsache, das Datenvolumen stimmt und ich nerve nicht mit Aufräumen. Bleibt nur die Frage, wie ich meinen Ehemann von dieser Idee überzeuge. Am einfachsten wird das wohl durch Gruppenzwang gelingen.
„Das wär doch überhaupt die Lösung, Betti! Wir stellen alle keinen auf. Ihr nicht, wir nicht und Papa und Mama nicht. Das perfekte klimaneutrale Weihnachten.“
Leider hält sich ihre Begeisterung in Grenzen. „Ich weiß nicht so recht, Franzi. Solange meine Kinder noch in der Grundschule sind, gehört ein Baum irgendwie dazu. Als weihnachtliches Symbol für Freude und Familie. Das Licht in der dunklen Jahreszeit.“
„Bisher hattet ihr auch keinen.“
„Weil wir immer in Katzbrück waren. Aber Tom hat nun mal diesen Termin am siebenundzwanzigsten, und wenn wir nicht bei euch feiern, dann brauchen wir einen eigenen.“
Enttäuscht lasse ich die Schultern sinken. „Ohne euren Rückhalt wird es schwer, Sebastian für die Idee zu begeistern.“
„Ach komm, das schaffst du schon. Vielleicht kannst du Mama und Papa mit ins Boot holen?“ Sie lacht. „Dann hätte es sogar etwas Gutes, dass wir dieses Jahr nicht nach Katzbrück kommen. Ein Topfbaum mehr und zwei gefällte Bäume weniger.“
„Überlegt es euch bitte noch mal, es ist schließlich ein Familienfest.“ Ohne es bewusst wahrzunehmen, drehe ich mich um und mache mich auf den Rückweg. Wenn ich nicht bald ins Warme komme, frieren mir die Finger ab.
„Ich muss Schluss machen, die ersten Teilnehmer meiner Yogaklasse kommen gerade an“, flüstert Betti mit gesenkter Stimme.
Sie sitzt also in einer Turnhalle auf der Yogamatte, stimmt sich mit Räucherstäbchen und indischer Musik auf ihren Kurs ein und teilt mir ganz nebenbei mit, dass dieses Jahr alles anders werden wird. Das erste Weihnachten ohne meine Schwester. Ich weiß bereits jetzt, dass ich es nicht überleben werde.
Am Nachmittag halte ich es nicht mehr aus. Ständig kreisen meine Gedanken um diesen bescheuerten Weihnachtsbaum! Was sagen die Kinder dazu? Fällt es ihnen überhaupt auf, wenn wir keinen haben? Wie überzeuge ich Sebastian? Egal, wie ich es drehe und wende, ich komme immer wieder zum selben Ergebnis: Wenn ich es schaffe, Mama und Papa zu überzeugen, wird auch Sebastian einwilligen. Deshalb beschließe ich, auf einen Sprung bei meinen Eltern vorbeizuschauen. Sie wohnen nur ein paar hundert Meter weiter, es ist Kaffeezeit und mein Vater Rentner. Das heißt: Er ist daheim, ihm ist vermutlich langweilig und ich werde genügend Zeit haben, ihn einfühlsam an das Thema heranzuführen.
Im Esszimmer meiner Eltern ist es ungewöhnlich kühl. Fröstelnd ziehe ich die Schultern nach oben und greife nach der Tasse frisch gebrühtem Tee, die mir meine Mama reicht. Sofort strömt der aromatische Duft von Zimt, Ingwer und Orange in meine Nase.
„Fünfeinhalb Stunden hab ich gestern wieder gebacken!“ Mit einem Kopfnicken deutet sie Richtung Esstisch, auf dem eine Schale mit köstlichen Plätzchen steht. Papa sitzt bereits an seinem angestammten Platz auf der Eckbank und lässt eines davon im Mund verschwinden.
„Nougatstangen, Spitzbuben, Vanillekipferl, Butterplätzchen, Spritzgebäck, Lebkuchen und Linzer Plätzchen“, zählt sie auf, während wir uns setzen. „Nussecken mach ich dieses Jahr keine. Sieben Sorten müssen reichen.“
Morgen ist der erste Advent. Stichtag. Der Tag, an dem in jedem guten Haushalt eine Armee Weihnachtsplätzchen bereitstehen sollte. Selbstgebacken, versteht sich. Reichlich mit Schokolade oder Puderzucker überzogen und auf keinen Fall vegan, zuckerfrei oder anderweitig gesund. Wir sind schließlich in Katzbrück, einem kleinen Dorf in Bayern, wo Traditionen noch hochgehalten werden und Hand in Hand mit den kulinarischen Schmankerln aus Omas Rezeptbuch einhergehen.
Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, ob ich nicht doch mehr als nur Butterplätzchen machen soll, verwerfe den Gedanken aber so schnell, wie er gekommen ist. Mein Mann und meine Kinder können lesen, den Ofen bedienen und sind somit fähig, mit Hilfe eines Rezeptbuches selbst zu backen. Früher, als die Kinder noch klein waren, haben sie sich regelrecht darum geschlagen, mir helfen zu dürfen. Das Ergebnis waren Unmengen von Mehl und Teigresten auf dem Boden, die anschließend mit den Socken in der ganzen Wohnung verteilt wurden. Die sogenannte Hilfe war eher eine Mentalübung zur Nervenstärke für mich.
Ich greife nach einem perfekt gebogenen Vanillekipferl und beiße ein Stück davon ab. Es riecht nach Weihnachten und ist zart, knusprig und mürbe zugleich. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und genieße den charakteristischen Geschmack nach Butter, Vanille und Nüssen. Dann schiebe ich die zweite Hälfte in den Mund und lasse sie mir förmlich auf der Zunge zergehen. Das erste Plätzchen des Jahres – immer wieder etwas Besonderes.
„Bei mir beginnt die Backsaison erst nächstes Wochenende. Ich will die Vorweihnachtszeit heuer ruhiger angehen lassen. Besinnlich und stressfrei“, erkläre ich in einem Tonfall, als würde ich über das Wetter plaudern.
Meine Mama wirft mir einen erstaunten Blick zu. Papa, der eher am Verzehr als am Backen interessiert ist, stopft sich das nächste Plätzchen in den Mund. „Das würd’s bei uns nicht geben – Advent ohne Plätzchen“, kommentiert er kauend. „Das ganze Jahr freue ich mich schon darauf.“
Ich beobachte die kleinen Brösel, die beim Sprechen durch die Luft fliegen. Wenn ich ein baumloses Weihnachten durchsetzen möchte, benötige ich absolutes Fingerspitzengefühl.
„Manchmal muss man eben mit eingefahrenen Traditionen brechen. Freilich gehören Plätzchen dazu. Aber denk doch mal darüber nach, was die Arbeit machen. Was überhaupt an Arbeit anfällt in dieser Zeit.“
„Dafür schmeckt’s!“
„Da hast du recht! Von den Plätzchen hat man wenigstens was. Wohingegen das ganze andere Zeug –“, ich zeige erst auf den beleuchteten Weihnachtsstern am Fenster, dann weiter ziellos durch den Raum, „nur Aufwand bedeutet.“ Mein Blick bleibt an einem seltsamen Konstrukt hängen, das mittig auf dem Tisch steht: Ein altes Brotzeitbrett, auf dem lose mehrere Fichtenzweige verteilt sind.
„Ist das die gesunde Nachspeise? Ballaststoffe aus der Kraft des Baumes?“, witzle ich. Man kann ja nie wissen, vielleicht haben meine Eltern eine progressive-alternative Kochsendung im Fernsehen gesehen und steigen auf naturnahe Nahrung um?
„Das!“, ruft Mama, „ist ganz und gar alleine auf dem Mist deines Vaters gewachsen.“
Fragend schaue ich ihn an.
„Sieht man das nicht, was es sein soll? Ein bisschen Fantasie hätte ich dir schon zugetraut, Franzi.“
Ich zucke mit den Schultern. „Moderne Kunst?“
„Schmarrn!“ Stöhnend steht er auf und schlürft zum Buffet. Dort holt er eine Kerze aus dem Schub, stellt sie zwischen die Zweige auf das Brotzeitbrett und zündet sie an. Triumphierend deutet er darauf und setzt sich wieder auf seinen Platz.
„Aromaduft?“, frage ich etwas hilflos.
Mama schüttelt den Kopf. „Dein Vater, Sepp Brandl, Sparfuchs und Bastler, hat sich mal wieder selbst übertroffen. Vor dir steht die hausgemachte Sparversion unseres diesjährigen Adventskranzes.“
Fassungslos schaue ich abwechselnd zwischen ihr, dem Haufen Zweige und Papa hin und her. Letzterer macht nicht den Eindruck, als wäre ihm das traurige Konstrukt auf dem Esstisch peinlich.
„Unser alter war angeblich nicht mehr gut genug“, meint er mit einem Seitenblick zu seiner Frau.
„Nicht mehr gut genug? Der Unterkranz aus Stroh ist mir zwischen den Fingern zerbröselt, als ich ihn aus dem Regal geholt habe.“
„Den hätte man schon noch mal herrichten können.“
„Weshalb habt ihr keinen neuen gekauft?“, will ich wissen und merke an Papas entsetztem Gesichtsausdruck, wie naiv die Frage ist.
„Gekauft?“, wiederholt er, als wäre das die unsinnigste Idee aller Zeiten. „Hast du eine Ahnung, wie teuer die sind?“ Er streckt die Hände in einer dramatischen Geste mit nach oben gedrehten Handflächen seitlich von sich weg. Beinahe könnte man meinen, er wäre Italiener.
Ich habe absolut keine Ahnung von den aktuellen Adventskranzpreisen. Wir benutzen seit Jahren eine Baumwurzel, die ich sauber abgeschliffen und mit vier Kerzenhaltern versehen habe. Das Ding nimmt zwar unfassbar viel Platz im Kellerregal ein, sieht aber extrem stylisch aus, wenn man es mit kleinen Glitzerkugeln und Tannenzweigen schmückt. Da ich den Advent heuer ruhig angehen lasse, steht die Wurzel immer noch in der Waschküche zwischen Isomatten, Schnellkochtopf und Wäscheklammern. Sebastian wird sie schon irgendwann nach oben holen.
„Normalerweise binden wir den jedes Jahr selber. Aber deine Mutter wirft ja immer gleich alles weg.“
„Wir?“ Mama zieht herausfordernd eine Augenbraue nach oben. „Wir binden jedes Jahr einen Kranz?“
Ihr Mann ignoriert den Todesblick. „Ohne Strohkranz kann man keinen Adventskranz machen. Weder du, noch ich. Also war ich gezwungen zu improvisieren.“
Mama lehnt sich mit verschränkten Armen im Stuhl zurück und mustert ihren Mann mit einem süffisanten Grinsen. „Man könnte selbst einen Kranz binden.“ Sie betont das Wort könnte übertrieben laut. „Aber man könnte ihn auch kaufen. Genauso, wie man Plätzchen beim Bäcker kaufen könnte, statt tagelang in der Küche zu stehen und sie selbst zu backen.“
Meine Augen weiten sich überrascht. Was hat Mama da soeben gesagt? Auf die Idee bin ich ja noch gar nicht gekommen!
„Ah geh, Plätzchen kaufen! Wer macht denn so was?“, will Papa wissen.
„Zum Beispiel der, dessen Frau beschließt, nächstes Jahr keinen Finger mehr zu rühren.“
„Gelispatzerl!“ Alarmiert beugt er sich zu ihr hinüber, legt den Arm um sie und zieht sie zu sich heran. „Warum sollte eine Frau so was tun?“
„Ich mein ja nur. Theoretisch.“
„Ja, freilich. Theoretisch.“ Papa lacht einen Tick zu laut, als dass es echt klingen würde. Verunsichert schiebt er sich ein mit Schokolade überzogenes Spritzgebäck in den Mund.
„Für das, was du in den letzten zehn Minuten gefuttert hast, hättest du beim Bäcker mindestens vier Euro hinlegen müssen. Du kannst froh sein, dass du meine Arbeitszeit nicht bezahlen musst.“
Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Plätzchen kaufen. Arbeitszeit bezahlen. Meine Mutter liefert einen Hammer nach dem anderen!
„Wir sind eben ein eingespieltes Team.“ Lächelnd greift er nach ihrer Hand. „Du in der Küche und ich mache den Rest.“
„Den Rest?“ Mama beugt sich herausfordernd nach vorne. „Du putzt also das Bad, wischst den Boden, kaufst ein, wäschst und räumst mir hinterher?“
„Ich mäh den Rasen!“
„Ja dann.“
Verlegen kratzt sich mein Vater am Hals, während seine Augen über den Tisch wandern und verzweifelt nach einem neuen Gesprächsthema suchen. Er hat wohl eingesehen, dass er aus dieser Diskussion nicht als Sieger hervorgehen wird. Schließlich deutet er auf die Kerze, die zwischen den Zweigen vor sich hin brennt. „Das taugt doch als Kranz. Mal was anderes. Schaut richtig modern aus, findet ihr nicht?“
Diplomatisch zucke ich mit den Schultern. „Die Feuerwehr wird nicht so begeistert sein. Du solltest die Kerze von unten durch das Brett festschrauben.“
„Bist du wahnsinnig? Das gute Brotzeitbrett! So weit kommt’s noch! Das nehmen wir nach Weihnachten wieder her.“ Er schnappt sich eine Nougatstange, meine absolute Lieblingssorte, schiebt sie am Stück in den Mund und deutet hinter mich. „Übrigens hab iff dir da Hauffuhe hingeftellt.“
Kalte Füße habe ich tatsächlich. Ist aber auch kein Wunder, hier drin hat es keine neunzehn Grad. „Funktioniert eure neue Heizungsanlage nicht?“, frage ich besorgt und trinke einen Schluck Tee.
Mama stößt einen tiefen Seufzer aus. „Sie funktioniert einwandfrei.“
„Aber?“ Mit der Tasse in der Hand stehe ich auf, gehe zum Heizkörper und fühle die Temperatur. Eiskalt. Obwohl das Thermostat bis zum Anschlag aufgedreht ist. Fragend schaue ich zu meinen Eltern.
„Der Monteur war vorgestern noch mal hier und hat deinem Vater gezeigt, wie man die Anlage im Keller per Knopfdruck steuern kann. Seitdem hat er die volle Kontrolle über Zeitschaltuhr, Temperaturbegrenzung und natürlich Nachtabsenkung.“ Sie atmet resigniert aus. „Selbst, wenn ich hier oben voll aufdrehe, wird es nicht warm.“
„Weil ich nicht wusste, dass Franzi heute vorbeikommt“, verteidigt sich Papa.
„Ach, jetzt bin ich also schuld, wenn man sich hier drin eine Erkältung holt?“
„Sonst wären wir nämlich ins Wohnzimmer gegangen, hätten den Fernseher angemacht und den Schwedenofen eingeheizt. Was soll ich denn immer das ganze Haus heizen? Braucht’s doch gar nicht. Reine Energieverschwendung.“
Papas Sparzwang nimmt langsam absurde Ausmaße an. Ich frage mich wirklich, wie meine Mama das aushält.
„Die Heizung im Keller runter zu regeln, ist doch ein Schmarrn“, versuche ich ihm den Sinn seiner Anlage darzulegen, „dafür gibt es das Thermostat am Heizkörper.“ Ich gehe einen Schritt Richtung Tisch, um mich wieder zu setzen, als ich über die Pantoffeln stolpere, die mein Vater bereitgelegt hat. Mit einem erschrockenen Ahh! falle ich nach vorne, verliere die Kontrolle und versuche, mich im letzten Moment am Esstisch abzufangen. Leider greife ich ins Leere und knalle mit meinem kompletten Körpergewicht dagegen. Dabei schütte ich mir einen großen Schwall Tee über die Oberschenkel und lande schließlich unsanft auf dem Boden. In der rechten Hand die unversehrte Tasse, an den Beinen eine unangenehm feuchtwarme Jeans.
Mein Vater rumpelt von seinem Platz auf und werkelt hektisch herum. „Ich hab doch gesagt, dass ich dir da Hausschuhe hingestellt hab! Mach halt deine Augen auf, das ganze Wachs, die schönen Plätzchen, so eine Sauerei!“, höre ich ihn schimpfen.
Mama ignoriert ihren Mann und nimmt mir die Tasse aus der Hand. „Hast du dich verletzt? Tut dir was weh, Franzi?“
Ich rapple mich auf. Bis auf einen blauen Fleck wird wohl nicht viel passiert sein. „Passt schon“, murmle ich und wische über meine Hose. Da der meiste Tee genau zwischen meinen Oberschenkeln gelandet ist, könnte man meinen, ich hätte es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette geschafft. Dann erst bemerke ich, dass Papa mit zusammengekniffenen Lippen ein Plätzchen nach dem anderen in die Hand nimmt, es besorgt mustert und anschließend auf dem Tisch verteilt. Jedes einzelne davon ist mit rotem Wachs überzogen. Die Kerze, die gerade eben noch gebrannt hat, liegt erloschen daneben.
„Die kannst du wegschmeißen.“ Mama marschiert mit entschlossener Miene in die Küche. „Und glaub ja nicht, dass ich dieses Jahr noch mal mit dem Backen anfange, Sepp!“
Bedröppelt schauen Papa und ich uns an, während wir Schranktüren auf- und zugehen hören. Kurz darauf kommt sie mit einer Kehrschaufel zurück, schiebt wortlos die Plätzchen darauf und verschwindet wieder in der Küche. Als Sepp den Mülleimer klappern hört, verzieht er sein Gesicht zu einer schmerzverzerrten Maske.
„Geh, Geli! Die schönen Plätzchen!“ Er stellt die Kerze auf und wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Ganz so, als ob ich die alleinige Verantwortung tragen würde für das alles.
„Hättest einen g’scheiten Kranz gekauft, wie jeder andere auch, dann wär das nicht passiert.“ Mit einer fahrigen Geste deute ich über die seltsame Zusammenstellung auf dem Tisch. „Das hast du jetzt von deiner Sparerei.“
Papa verdreht die Augen und stöhnt theatralisch auf. „Wärst du nicht wie eine Wilde gegen den Tisch gerumpelt, dann wär überhaupt nichts passiert! So eine Kerze fällt schließlich nicht von allein um.“
„Hättest du deine Hausschuhe nicht mitten im Weg liegen lassen, dann wär ich auch nicht darüber gestolpert.“
„Die Schuhe habe ich für dich hingestellt, damit du keine kalten Füße bekommst.“
„Wenn du die Heizung aufdrehen würdest, hätte ich warme Füße!“
„Heizung!“ Er macht eine abfällige Handbewegung in meine Richtung und deutet dann durch das Fenster nach draußen. „Bei der Hitze! Vielleicht wenn Schnee liegen würde.“
„Advent, die Zeit der Ruhe und Besinnung“, kommentiert Mama unsere Streiterei und reicht mir ein rot-weiß-kariertes Geschirrtuch. Schweigend rubble ich an meiner Hose. Ich kenne meinen Vater gut genug, um zu wissen, dass der Frust über die weggeworfenen Plätzchen irgendwie raus muss.
„Früher hatten wir noch den ganzen Winter Schnee. Von Dezember bis März – durchgehend! Heute muss man schon froh sein, wenn im Februar drei Flocken vom Himmel fallen.“
Oje, die guten alten Zeiten.
„Die Jeans bekomme ich so jedenfalls nicht trocken“, versuche ich das Thema zu wechseln und lege resigniert das Tuch auf den Tisch.
„Mit einer Lederhose wäre das kein Problem, da perlt das ab. Ich hatte als Kind eine, die musste ich Sommer wie Winter tragen. Jeden Tag.“
Mama verdreht die Augen und verlässt den Raum, was Papa nicht daran hindert, weiter in Kindheitserinnerungen zu schwelgen.
„Da gab es keine Jeans oder überfüllte Kleiderschränke. War auch gar nicht nötig, mir hat die eine Hose völlig gereicht. Über Jahre hinweg! Die war am Ende so steif, dass ich sie neben das Bett stellen konnte. Wenn ich aufgestanden bin, musste ich nur reinhüpfen.“
Falls es stimmt, was er sagt, hätte ich diese Hose nicht mal mit der Kneifzange angefasst.
„Geh, Sepp“, beginnt Mama, während sie zur Tür reinkommt, „du hast noch nicht mal das Preisschild von deiner neuen Jogginghose entfernt. Wann haben wir die gekauft? Im Oktober?“ Mit einem Ruck reißt sie das Etikett herunter und reicht mir die Hose.
Wenn ich sein Gesicht richtig deute, ist das gerade der nächste Schock für Papa.
„Die wollte ich eigentlich noch ein wenig schonen.“
Seine Frau fixiert ihn einen Moment, bevor sie sich warnend zu ihm vorbeugt. „Willst du es wie deine Eltern machen, die uns einen Schrank voll nagelneuer Kleidung hinterlassen haben? Zwar zwanzig Jahre alt und mit Mottengeruch, aber geschont bis zum Schluss.“
„Ich hab doch noch meine Graue. Die ist pfenniggut.“
„Josef Brandl! Du glaubst doch nicht wirklich, dass du in der Vorweihnachtszeit mit deiner ausgeleierten, ausgewaschenen, alten Hose rumrennen kannst? Die kommt weg!“
„Die ist noch pfenniggut!“
„Der Arsch hängt runter bis zu den Kniekehlen und vorne ist sie dermaßen ausgebeult, dass man meinen könnte, du hättest hochgradige O-Haxen.“
„Zum Arbeiten taugt sie noch.“
„Zum Arbeiten ziehst du eine alte Jeans an. Oder eine Arbeitshose. Du hast im Keller ein ganzes Regal voller Sachen, die ich nicht wegwerfen darf, weil du sie angeblich noch zum Arbeiten hernehmen kannst.“
Papa stößt einen tiefen Seufzer aus und schaut wehmütig auf den leeren Plätzchenteller.
„Die hätte man noch essen können. Dass du die wegen dem bisschen Wachs gleich wegwirfst.“ Themawechsel – wie immer, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt.
„Wenn du dir unbedingt den Magen verderben willst, bitte! Tu dir keinen Zwang an. Sie liegen im Mülleimer ganz oben.“ Mama zuckt mit den Schultern, als wäre es das Normalste der Welt, in Wachs getränktes Gebäck aus dem Müll zu essen.
Fünf Minuten später stecke ich in einer viel zu kurzen Sporthose und trage braune Filzpantoffel. Papa hat meine Jeans im Keller zum Trocknen über die neue Heizung gelegt. Er dippt mit dem Zeigefinger die paar letzten Brösel auf, die auf dem Tisch liegen, und schwört Stein und Bein, dass er den Temperaturregler wieder auf zweiundzwanzig Grad hochgestellt hat. Dennoch dauert es einige Zeit, bis sich der Heizkörper langsam erwärmt. Mama holt deshalb zwei dicke Wolldecken aus dem Schrank, reicht mir eine davon und wickelt die andere um sich selbst. Papa bekommt keine. Demonstrativ zieht er seinen Pullover aus und sitzt uns seitdem im T-Shirt gegenüber, weil er ansonsten angeblich schwitzen muss bei dieser Hitze.
„Wie kannst du nur so ruhig bleiben?“, flüstere ich Mama zu, während uns Sepp einen Vortrag darüber hält, dass wir nur deshalb verfroren sind, weil wir zu wenig Sport machen.
„Ich habe mir vorgenommen, ihn und alles andere so zu nehmen, wie es kommt. Das ist mein Weg zu einem friedvollen, entspannten Advent.“
„Und du denkst, das funktioniert? Glaubst du nicht, dass du auch aktiv etwas dafür tun musst?“, frage ich zweifelnd und denke an meine Liste.
„Nächste Woche gehe ich mit Gisela Frühstücken, übernächste habe ich Thai-Massage“, beginnt Mama aufzuzählen und tippt bei jedem Punkt auf einen anderen Finger ihrer linken Hand. „Woche drei habe ich einen Gesichtspflegetermin, in der Woche vor Heiligabend mache ich mit Gabi, Rita und Helga einen Wellnesstag im Lindenhof und nach den Feiertagen noch mal Thai-Massage. Zur Sicherheit.“
Ah.
So geht’s natürlich auch!
„Lindenhof!“, ruft Papa entsetzt, der von den Plänen seiner Frau wohl bisher noch nichts wusste. „Der verlangt um diese Jahreszeit doch doppelt so viel wie normal. Grad jetzt, wo alles so teuer ist, musst du zum Wellnessen!“
„Und wenn schon?“, entgegnet Mama spitz. „Bin ich dir das nicht wert?“
„Was heißt wert? Ich muss halt schauen, dass ich das Geld wieder reinspare, das du zum Fenster rauswirfst.“
„Dann bist du ja beschäftigt.“ Mit Blick zu mir meint sie: „Siehst du, so hat jeder was davon: Ich meinen Wellnesstag und er seine Aufgabe zu sparen.“
Das wäre die Gelegenheit, um die Sache mit dem Weihnachtsbaumverzicht anzusprechen. So ein Baum kostet schließlich mindestens fünfzig Euro. Doch ich zögere einen Moment zu lange und Papa macht schon das nächste Dramafass auf.
„Und wer soll bitteschön kochen, wenn du weg bist?“
„Kauf dir was beim Metzger oder kauf dir nichts und steck das Geld in die Spardose. Ganz wie du willst.“
Papa schweigt. Und ich beschließe, den Vorschlag mit dem Baum ein andermal anzubringen. Die Stimmung scheint mir nicht optimal, um meine Idee durchzusetzen.
„Mama macht es richtig!“, verkünde ich am nächsten Morgen beim Frühstück. „Sie tut sich selbst etwas Gutes.“
Fragend sieht mich Sebastian an. Er hat den Turniersieg seines Sohnes mit einigen Bierchen bei seinem Kumpel Chris ausklingen lassen. So umständlich, wie er gestern Abend seine Jeans ausgezogen hat, war es wohl eines zu viel. Ich lag schon schlafend im Bett, als er laut polternd versucht hat, leise zu sein. Danach war ich mindestens eine halbe Stunde wach, bis ich endlich wieder einschlafen konnte. Als ich heute Morgen um neun Uhr aufgestanden bin, habe ich genauso leise versucht, ihn ausschlafen zu lassen. Er ist davon wach geworden und so sitzen wir nun gemeinsam am Tisch und genießen ein schönes Erster-Advent-Familienfrühstück.
„Wellness, Massage, so was eben.“
„Kannst du doch auch machen“, stellt er richtigerweise fest, beißt von seiner Semmel ab und schaut kopfschüttelnd auf das Teelicht, das ich angezündet habe. „Ich weiß ja nicht so recht, aber ein richtiger Adventskranz ist schon was anderes als ein Teelicht. Warum stellen wir denn unsere Wurzel nicht wieder auf, wie jedes Jahr?“
„Mir ist überhaupt nicht nach Massage, es geht nur um die prinzipielle Idee. Statt lediglich Dinge wegzulassen, die nerven, könnte ich auch Dinge hinzunehmen, die mir guttun. Einmal täglich an die frische Luft ist ganz nett und sicherlich auch gesund, aber es ist nicht das, was ich wirklich will.“
„Ich weiß ziemlich genau, was ich will“, entgegnet Sebastian. Mit diesem Satz hat er meine volle Aufmerksamkeit. Er ist kein Mann, der freiwillig über Wünsche oder Sehnsüchte spricht, deshalb bin ich gespannt, was jetzt kommt. Mehr Freiraum? Eine glückliche Frau? Zeit mit der Familie?
„Einen Adventskranz und Kokosmakronen.“
Doch so einfach. Na, das kann er ja relativ leicht umsetzen, wenn er möchte.
„Die Wurzel ist im Keller und das Rezept für die Kokosmakronen im orangenen Rezeptheft.“
Das Grinsen in Sebastians Gesicht gefriert zu einem albernen Standbild. Auch Rosalie und Xaver, die bisher nichts außer Schweigen zum Familienfrühstück beigetragen haben, heben ihre Köpfe.
„Papa kann doch nicht backen.“ Rosalies Blick wandert verdutzt zwischen ihm und mir hin und her.
„Natürlich kann er backen. Er hat es nur noch nie getan.“ Lächelnd streichle ich über Sebastians Hand. „Es ist auch gar nicht so schwer. Du musst lediglich die Zutaten besorgen, den Teig kneten, gleichmäßig dünn ausrollen, mit Plätzchenformen ausstechen oder durch einen Spritzbeutel drücken. Wenn sie aus dem Backofen kommen, brauchst du sie nur noch mit ein bisschen Marmelade oder geschmolzener Schokolade bestreichen, zusammenkleben und jedes Einzelne schön sauber in eine Dose schichten. Ist doch überhaupt nichts dabei, stimmt’s Schatz?“
Schatz starrt mich ungläubig an.
„Jeder sollte etwas machen, was er sich wünscht und ihm guttut. Euer Vater wünscht sich Kokosmakronen, also soll er sich welche backen. Ich wünsche mir Weihnachten ohne Baumstress, also kaufe ich keinen.“
Zack! Das hat gesessen. Schlagartig ist Sebastians Backproblem vergessen und ich habe die volle Aufmerksamkeit.
„Ihr seid doch nun wirklich aus dem Alter raus, wo man noch an das Christkind glaubt“, fahre ich augenrollend fort. Dann beuge ich mich nach vorne und sehe einen nach dem anderen beschwörend an. „Lasst uns auf das Brimborium, das uns die Gesellschaft auferlegt, verzichten und einfach wunderschöne Feiertage als Familie verbringen. Wir brauchen diesen ganzen äußeren Kram doch gar nicht, um glücklich zu sein, oder?“
Schweigen.
„Das ist alles nur Kommerz. Genauso wie der Valentinstag.“ Wieder greife ich nach der Hand meines Mannes und drücke sie liebevoll. „Du sagst doch auch immer, dass der Tag nur dazu erfunden wurde, um uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Unsere Liebe braucht keine vom Kalender vorgeschriebenen Blumensträuße. Das sind deine Worte. Oder? Schatz?“ Erwartungsvoll blicke ich ihn an.
Er schluckt. „Aber Weihnachten ist doch etwas anderes. Da geht es um die Geburt Jesu. Das hat historische Wurzeln.“
Ich wusste gar nicht, dass mein Mann gläubig ist.
„Ich glaube nicht, dass Maria und Josef im Stall einen mit Glaskugeln behängten Baum stehen hatten.“
„Aber sie haben Geschenke bekommen“, mischt sich Rosalie ein, der unsere Diskussion langsam zu bunt wird. „Ich habe dir vorhin ein paar Links geschickt von den Sachen, die ich mir wünsche.“ Mit einem zackigen Ich bin fertig steht sie auf, drückt mir ein Küsschen auf die Wange und marschiert Richtung Zimmer.
„Teller!“, brülle ich ihr hinterher und frage mich, wann der Zeitpunkt war, als die Kinder ihre gute Erziehung komplett verloren haben. Rosalie kommt zurück, stellt den Teller in die Küche und marschiert erneut zur Treppe.
„Spülmaschine!“, rufe ich.
Irgendwann bastle ich mir eine Konsole, wie sie Stefan Raab in TV Total auf einem Schreibtisch hatte. Dann muss ich nur noch auf den jeweiligen Knopf drücken und eine Stimme schreit:
Essen!
Beeilt euch!
Xaver!
Rosalie!
Schuhe ausziehen!
Tür zu!
Und eben: Teller! und Spülmaschine!
„Du willst wirklich keinen Baum?“, fragt Sebastian ungläubig, als sich auch Xaver Richtung Zimmer verkrümelt hat, ohne seinen Teller abzuräumen.
„Ich will keine Arbeit mit einem Baum.“
„Und die Kinder?“
„Die Kinder? Sag mal, warst du eben nicht dabei?“ Kopfschüttelnd deute ich auf die zwei leeren Plätze am Tisch. „Denen scheint es doch völlig egal zu sein, ob wir einen Baum haben oder nicht. Hauptsache, die Geschenke bleiben.“
Sebastian zögert eine Weile, bevor er etwas sagt, das mich in allem bestätigt, was ich mir für die Adventszeit vorgenommen habe.
„Aber das kannst du doch nicht machen!“
Mit großen Augen sieht er mich an. Ganz so, als wolle er mich hypnotisieren.
„Doch, Sebastian“, antworte ich mit ruhiger Stimme. „Ich kann das machen.“
„Aber – “
„Ich gehe genauso arbeiten wie du. Und ich habe mich bisher jedes Jahr um alles gekümmert. Dieses Jahr kümmerst eben du dich.“
„Um alles?“
Ich zucke mit den Schultern. „Jeder macht einfach so viel, wie er möchte. Ich kann gerne die Geschenke besorgen. Von Deko, Adventskranz und Baum lasse ich aber die Finger.“
„Und Kokosmakronen?“
„Von denen auch.“
Ich gebe ihm ein Küsschen auf die Wange, schnappe mein Handy und marschiere in den Windfang, um Schuhe, Jacke und den Rest der winterlichen Ausrüstung anzulegen. Meinen Teller lasse ich auf dem Tisch stehen. Man passt sich schließlich an.
Während ich mir meine täglichen Schritte an der frischen Luft gönne, wähle ich Bettis Nummer. Ich kann auf Plätzchen verzichten, auf einen Baum, auf Deko, aber es gibt Dinge, die an Weihnachten einfach nicht fehlen dürfen. Meine Schwester zum Beispiel.
„Es ist schon gut, dass wir dieses Jahr daheimbleiben“, meint Betti, als ich sie nach einer kurzen Begrüßung direkt darauf anspreche. „Es gibt neue Entwicklungen. Toms Eltern sind an Weihnachten daheim. In München.“
„Ach? Kein Strandurlaub über die Feiertage?“
„Nein, leider.“
Das wundert mich. An Tagen wie Weihnachten, Geburtstag, Taufe oder Erstkommunion waren Toms Eltern bisher grundsätzlich nicht verfügbar.