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In diesem Buch lernen Sie mit Hilfe der Feldenkrais-Methode, wie Sie Ihr Gefühl als Reiter entwickeln und auf dem Pferd kreativer werden können. Koordination und Timing werden sich verbessern und Sie werden sich ihrer Asymmetrien und unnötigen Spannungen bewusst. Das Ergebnis ist ein klareres und feiner abgestimmtes Zusammenspiel mit Ihrem Pferd.
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Seitenzahl: 158
Veröffentlichungsjahr: 2020
©
Charlotte Rhonwen Zetterberg 2016
Dieses Buch ist Alexandra und Hugo gewidmet. Ihr seid immer gegenwärtig.
Wenn nicht anders erwähnt, stammen die Zitate von Moshé Feldenkrais.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige jeden Geschlechts.
Bei gesundheitlichen Beschwerden wird dem Leser die Konsultation eines Arztes empfohlen, bevor der Inhalt des Buches umgesetzt wird. Die Durchführung sämtlicher Lektionen erfolgt auf eigene Gefahr. Alle Methoden und Angaben in diesem Buch sind sorgfältig erwogen und geprüft. Dennoch ist Sorgfalt bei der Umsetzung geboten. Verlag, Autor und Übersetzer übernehmen keinerlei Haftung für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden, die im Zusammenhang mit der Anwendung und Umsetzung entstehen können.
Deutsch von Monika Lennartsson.
Mein Vater Alexander wurde in Berlin geboren, kam aber bereits als Kind nach Schweden. Den Kontakt nach Deutschland behielt er sein ganzes Leben lang bei, sei es mit Freunden oder beruflich als Dramaturg und Kulturjournalist. Ihm ist es zu verdanken, dass sich in meinem Bücherregal mehrere bedeutende deutschsprachige Bücher über das Fachgebiet Reiten befinden.
Anfang des Jahres 2018 schlug mein Vater vor, das von mir verfasste Buch ins Deutsche zu übersetzen. Er sollte für die übergreifende Arbeit verantwortlich sein und ich sollte die Fachausdrücke beisteuern. Ich lehnte das Angebot dankend ab. Ich hatte keine Zeit, war unsicher, ob in Deutschland Interesse bestehen würde und glaubte, dass ich seinem kritischen Blick nicht standhalten könnte. Im Übrigen hatten wir ein gutes Verhältnis, pflegten täglichen Kontakt und unsere Treffen waren immer schön. Am Samstag, den 7. April ging mein Vater nicht ans Telefon. Ich fuhr zu ihm. Er war im Alter von 87 Jahren für immer eingeschlafen, mit der Katze Lisa an seiner Seite. Bis zuletzt hatte er sich für verschiedene Kulturprojekte engagiert.
Kurz zuvor hatte ich mich zu einem webbasierten Kurs des Paares Thomas und Shana Ritter angemeldet. Durch Videofilme, Livesendungen und praktische Reitübungen erreichten mein Reiten und mein Unterricht ein neues, höheres Niveau. Thomas und Shana Ritters Art zu denken und zu arbeiten erinnert sehr an die Feldenkrais-Methode. Deshalb überraschte es mich nicht, dass auch Feldenkraislektionen zum Kurs gehörten. In diesem Zusammenhang erwähnte ich mein Buch und es zeigte sich, dass Interesse für eine deutschsprachige Ausgabe bestand.
Thomas und Shana! Danke für unschätzbares Wissen und für die Wärme und positive Stimmung, die ihr ausstrahlt. Sie hat mir inmitten meiner Trauer geholfen.
Cat McQueen! Vielen Dank für all die Zeit, die du damit verbracht hast, mir bei den letzten Korrekturen zu helfen!
Papa! Danke für deine unerschütterliche Unterstützung. Damals und heute.
Bei der Entstehung dieses Buches, kam mehreren Kollegen eine wichtige Rolle zu.
Göran Mörkeberg ist Assistenz-Trainer. Dies bedeutet, dass er dazu berechtigt ist, zukünftige Feldenkrais-Pädagogen zu unterrichten sowie Fortbildungen zu veranstalten, in welchen ich vor allem meine praktischen Kenntnisse erweiterte. Fühlte ich mich einmal in meiner beruflichen Rolle unsicher, agierte Göran wohlwollend als mein Mentor, was mich zu einem selbständigeren Denken hinführte. Er übernahm auch die fachliche Prüfung des Buches.
Eva Laser unterhielt früher ein Internetforum für Feldenkrais-Pädagogen. Hierdurch wurde ich dazu veranlasst, meine Arbeit zu durchdenken und niederzuschreiben.
Die Kolleginnen Eva Damkjaer und Anna Gunnarsson haben das Buch Korrektur gelesen und mich dazu ermuntert, an das Projekt zu glauben.
Den Freunden Malin und Ola Ridderstolt. Ihr wisst, warum.
Meine Mutter Bodil und mein Mann Måns unterstützten mich in vielfältiger Weise. Sie haben großen Anteil daran, dass das Buch zustande kommen konnte.
Zum Schluss: Was wäre ich ohne die Schulung, die ich durch all meine zwei- und vierbeinigen Schüler erhalten habe?
Das Unmögliche wird möglich, das Schwierige leicht und das Leichte angenehm.
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Einige besitzen langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Feldenkrais-Methode, Andere haben einen gewissen Einblick darin, was diese bedeutet. Die Allermeisten, die ich treffe, haben den Begriff niemals zuvor gehört. Dennoch hat die Feldenkrais-Methode viele beeinflusst; sie hat zur Entwicklung neuer Trainingskonzepte geführt; sie ist in zahlreichen Fachbüchern über das Reiten zu finden, leider vielmals ohne Quellenangaben. Bekannte Trainerprofile wie die Britin Mary Wanless und der Deutsche Eckart Meyners* haben seit langem die Bedeutung der Feldenkrais-Pädagogik für Reiter erkannt und beschreiben diese in ihren Büchern ausführlich. Andere Befürworter sind zum Beispiel Sally Swift sowie John Syers und Christopher Connolly in ihrem „Sporting body sporting mind“(Psychotraining für Sportler, Rowohlt 1987). Das Reiten nach der Feldenkrais-Methode kann zu vielen neuen Einsichten und effektiven Arbeitsweisen führen.
Es liegt noch keine schwedische Literatur vor, die sich ausführlich mit Feldenkrais für Reiter beschäftigt. Über die Jahre hinweg habe ich deshalb von Schülern häufig Anfragen bezüglich eines ebensolchen Buches erhalten. Es besteht ein Bedarf für eine praktische Anleitung darin, wie man lernt, sein reiterliches Können durch die Feldenkrais-Pädagogik weiterzuentwickeln.
Und warum das Gelernte auf den Pferderücken begrenzen?
Dieses Buch habe ich vor einigen Jahren zu schreiben begonnen, meine Arbeit und die eigene Reiterei verzögerten jedoch den Prozess. Die Komplexität der Feldenkrais-Pädagogik stellte ab und an eine Herausforderung dar. Meine Intention war, dass alle – unabhängig vom jeweiligen persönlichen Hintergrund oder früheren Erfahrungen – sich die Philosophie aneignen und aus den Lektionen lernen können.
Es war beabsichtigt, ein ganzheitliches Bild zu vermitteln. Um ein tieferes Verständnis der Methode zu erreichen, empfehle ich dem Leser jedoch mit Moshé Feldenkrais´ eigenen Werken Bekanntschaft zu stiften sowie einen Feldenkrais-Pädagogen zu kontaktieren.
In dem Takt, in dem Sie den Inhalt des Buches in Ihren Pferdealltag integrieren, werden Sie vermutlich neue Seiten an sich selbst entdecken, neue Haltungen gegenüber sich selbst einnehmen und vielleicht ein Gefühl verspüren, unerforschte Pfade zu beschreiten. Meine Hoffnung ist, dass dies in einer positiven, bejahenden Grundhaltung geschieht, bei der alles möglich erscheint.
* Akad. Oberrat i. R, früher Dozent für Sportpädagogik in Lüneburg. Autor von unter anderem Bewegungsgefühl und Reitersitz: Reiterfehler vermeiden – Sitzprobleme lösen, Stuttgart, 2005.
Die Feldenkrais-Pädagogik bietet Rüstzeug für lebenslanges Lernen, einen dynamischen Weg zur Selbsteinsicht und persönlichen Entwicklung. Man kann entdecken, wie man etwas wirklich tut – unabhängig davon, was das ist – und alternative Handlungsweisen finden. Mit einer erweiterten Bewusstheit darüber, wie man von seinen Körper Gebrauch macht, kann man seine Fähigkeit weiterentwickeln, grundlegende Handlungen, wie Sitzen, Gehen und Laufen und die Verwendung von Armen und Händen betrifft. Dies bezieht sich auch auf die Durchführung komplizierterer Handlungen beispielsweise beim Sport oder beim Singen. Es geht darum, das Lernen zu lernen . Dies bedeutet, dass man es entsprechend den eigenen Bedürfnissen und Wünschen bezüglich dessen, was man selbst lernen möchte, anpassen kann.
Daraus resultiert eine effektivere Haltung, die es einem ermöglicht, sich mit verminderter Anstrengung zu bewegen, leichter und funktioneller zu atmen sowie mit verbesserter Koordinationsfähigkeit und Balance – all dies ausgehend von einem klareren Selbstbild.
Die Plastizität oder Formbarkeit des Gehirns ist ein Begriff, der aus der modernen Neurowissenschaft stammt. Die Fähigkeit des Nervensystems, sich zu verändern und zu lernen hält das ganze Leben lang an. Die Feldenkrais-Methode baut auf diese Erkenntnis auf.
Moshé Feldenkrais unterschied zwischen intellektuellem und organischem Lernen. Das intellektuelle Lernen bedeutet, dass man Wissen erwirbt, indem man zum Beispiel liest oder einen Vortrag anhört. Beim organischen Lernen geht es um ein Lernen, bei dem der Prozess der Art und Weise ähnelt, in der kleine Kinder etwas lernen. Ohne zu werten tastet man sich durch experimentierendes und spielerisches Ausprobieren vor, indem man von sich selbst und den eigenen Voraussetzungen ausgeht. Hierdurch lassen sich die eigenen Handlungen tiefer in einem selbst verankern und man erhält leichter Zugang zu ihnen.
Der kinästhetische Sinn oder Bewegungssinn versieht das Gehirn mithilfe von Skelett, Muskeln und Bändern mit Informationen über die von uns ausgeführten Bewegungen, so dass wir uns orientieren und unsere Bewegungen koordinieren können. Dieser sensorische Sinn stellt Information in Form von inneren Bildern und Karten bereit. Worte und Sprache sind oft unzureichend und begrenzend, wenn wir die sensorische Information mit anderen teilen möchten.
In allem, was wir tun, gibt es Bewegung, aber auch, wenn wir denken, Gefühle erleben, wenn wir sehen und hören. Es geht deshalb nicht nur darum, wie man sich bewegt, sondern auch, dass man sich aller Komponenten einer Handlung bewusst wird; wie man denkt, fühlt und, wie man mit seinen Sinnen empfindet. Wenn in einem dieser Aspekte eine Veränderung geschieht, wird dies auch eine Veränderung in einem der anderen Bereiche zur Folge haben.
Wenn alle Teile eines Menschen mit einem geringst möglichen Maß an Anstrengung zusammenwirken, werden Haltung und Handlung harmonisch. Sinnesempfindung und Bewusstsein für dieses fein abgestimmte und komplexe Zusammenspiel zu entwickeln, ist einer der Grundsteine der Feldenkrais-Methode.
Meine Kollegin Anna Gunnarsson gibt eine Lektion in Funktionaler Integration.
Zwei Varianten
Die Methode wird sowohl im Einzelunterricht als auch als Gruppenstunde vermittelt, oft in einer Kombination aus beidem. Ungeachtet der Form findet der Lernprozess sowohl auf der bewussten als auch auf der unbewussten Ebene statt
Funktionale Integration (kurz FI) ist ein Einzelunterricht, bei dem der Feldenkrais-Pädagoge mit seinem Schüler arbeitet, während dieser sich auf einem breiten Behandlungstisch in liegender Stellung befindet. Sanfte, behutsame Manipulationen und durch den Feldenkrais-Pädagogen ausgeführte passive Bewegungen ermöglichen neue Entdeckungen und Alternativen.
Lektionen in Bewusstheit durch Bewegung (kurz BDB) sind für gewöhnlich Gruppenlektionen. In diesen wird man verbal angeleitet, gewisse Bewegungsabfolgen auszuführen und dabei dazu ermuntert jeden einzelnen Moment fokussiert, aber dennoch ohne Anstrengung zu erforschen. Dies geschieht im eigenen Takt, ausgehend von den individuellen Voraussetzungen. Manchmal kommen Bewegungen vor, die nicht gewohnheitsmäßig sind, um das Nervensystem neu zu stimulieren und herauszufordern.
Die Feldenkrais-Methode wird auf vielen Gebieten erfolgreich angewendet, zum Beispiel im Rahmen künstlerischer Ausdrucksformen wie Musik, Theater und Tanz, im Sport und Kampfsport, in der Rehabilitation, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie für die persönliche Weiterentwicklung.
Um zertifizierter Feldenkrais-Pädagoge zu werden, muss man eine vierjährige, international anerkannte Ausbildung absolvieren.
Was mich interessiert, sind nicht bewegliche Körper, sondern bewegliche Gehirne.
Moshé Feldenkrais wurde 1904 in der Ukraine geboren, verbrachte seine Kindheit in Weißrussland und wanderte als Teenager ins jetzige Israel aus. Nachdem er Jiu-Jitsu unterrichtet hatte, entwickelte er eigene Selbstverteidigungstechniken und publizierte ein Buch auf diesem Gebiet. Feldenkrais war allgemein sportlich interessiert. Bei einem Fußballspiel verletzte er sich am linken Knie, eine Verletzung, die sich später – nach einer längeren Zeit ohne Beschwerden – wieder bemerkbar machen sollte.
Nach dem Abitur zog Feldenkrais nach Paris und absolvierte dort ein Studium der Ingenieurwissenschaften mit den Spezialgebieten Mechanik und Elektrotechnik. Er arbeitete als Forschungsassistent für das Paar Joliot-Curie (Nobelpreisträger 1935) am Radium-Institut und promovierte in Physik.
In den Jahren 1939 bis 1940 arbeitete er für den Physikprofessor Paul Langevin. In Paris traf Feldenkrais auf Jigoro Kano, den Begründer des modernen Judos. Zusammen mit Kano führte Feldenkrais Judo im Westen ein und erlangte als einer der ersten Europäer den schwarzen Gürtel.
Während des Zweiten Weltkriegs musste Feldenkrais nach Schottland fliehen, wo er in den vierziger Jahren als Wissenschaftler für die britische Admiralität (der für die Führung der britischen Marine verantwortlichen Behörde) tätig war. Bedingt durch den Aufenthalt auf rutschigen U-Boot-Decks flammte die alte Knieverletzung wieder auf. Eine Operation war möglich. Da aber deren Ausgang äußerst ungewiss schien, begann Feldenkrais stattdessen selbst an sich zu arbeiten, um mit dem Problem zurechtzukommen. In dieser Zeit entwickelte er seine Methode. Immer noch fand er seine Inspirationsquellen im Bereich der Physik, der kindlichen Entwicklung, der Evolutionslehre und des Judos. Gleichzeitig vertiefte er sich in andere Bereiche wie Systemtheorie, Kybernetik, Anatomie, Psychologie und Neurophysiologie. Er hielt Vorlesungen und Lektionen für seine Forscherkollegen und verfasste davon ausgehend das Buch „Der Weg zum reifen Selbst“, das 1949 publiziert wurde.
Moshé Feldenkrais
Nach Kriegsende zog Feldenkrais nach London, wo er als Erfinder und Berater arbeitete. Er beschäftigte sich immer noch mit Judo und war Mitglied in der Internationalen Judo Federation.
Während der Zeit in London befasste sich Feldenkrais unter anderem mit George Gurdjieffs, F. M. Alexanders und William Bates´ Arbeiten. Er besuchte auch Heinrich Jacoby in der Schweiz.
In den fünfziger Jahren kehrte Feldenkrais nach Israel zurück und arbeitete mit der Zeit nur noch damit, seine Methode zu unterrichten.
Feldenkrais wandte die Methode erfolgreich bei Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen an; von Kindern, die durch CP erhebliche Beeinträchtigungen hatten bis hin zu bekannten Musikern wie dem Geiger Yehudi Menuhin.
Er gab dem damaligen Ministerpräsidenten Israels, David Ben Gurion, Lektionen und unterrichtete über mehrere Jahre hinweg den weltbekannten britischen Dramatiker Sir Peter Brook und seine Theaterkompanie Bouffes du Nord. Feldenkrais arbeitete auch mit mehreren, großen Denkern wie der Anthropologin Margaret Mead und Karl Pribram, einem Professor für Neurophysiologie. Allmählich führte er seine Arbeit in Europa und in den USA ein. Die erste Ausbildung zum Feldenkrais-Pädagogen wurde 1969-1971 abgehalten.
Bis zu seinem Tod 1984 entwickelte Moshé Feldenkrais die Methode weiter.
In Malmö schrieb man die frühen siebziger Jahre. Ich stand am Beginn der ersten Klasse und war ziemlich klein, ziemlich schüchtern und sehr ängstlich – in den meisten Situationen.
Zu Hause in unserer Villa in Djupadal, einem Stadtteil Malmös, hört man oft das Klappern von Hufen. Sobald ich diese Geräusche vernahm, eilte ich zum Fenster oder an den Gartenzaun und schaute mit Andacht auf die großen, schönen, beinahe magischen Pferde. Es waren die Privatreiter der Reitschule von Hyllie, einem benachbarten Stadtteil. In Ermangelung von ländlichen Reitwegen ritten sie an der Straße vorbei, in der ich wohnte. Einmal, als ich noch richtig klein war, besuchte ich die Reitställe mit meiner Mutter und sah ein Mädchen auf einem Pferd sitzen. Das Ponyreiten in Bosjökloster hatte ich auch schon ausprobiert. Das war alles, aber in mir schlummerte eine sonderbare Sehnsucht nach mehr.
Einige Klassenkameraden und ich hatten bereits seit Langem davon gesprochen zur Reitschule zu gehen und uns die Pferde anzusehen. Ja, wir hatten darüber gesprochen und uns ausgemalt, gemeinsam dorthin zu gehen. Endlich war es soweit. Unsere Mütter hatten uns mit Knäckebrot und Karotten für die Pferde ausgerüstet.
Zu dieser Zeit hatten Ponys noch nicht richtig in den Reitschulen Einzug gehalten. Die meisten Pferde, die im Stall standen, waren deshalb gigantische Halbblutpferde. Alle waren sie in ihren Ständern angebunden. Der Duft der Pferde schlug uns entgegen. Als wir die Ständerreihe entlang gingen, wandten sie uns ihre bildhübschen Köpfe zu, vielleicht weil sie etwas Leckeres erwarteten. Wir hatten Angst, einfach so in einen Ständer hineinzugehen, waren die Pferde doch richtig groß. Vor Ort passierte etwas Unerwartetes. Meine für gewöhnlich so mutigen Kameraden verließ der Mut, als sie die großen Tiere in ihren Ständern sahen, und sie entschieden sich, in der Stallgasse zu bleiben. Nur ich und ein anderes Mädchen wagten, die Pferde zu streicheln und sie unsere Leckerbissen probieren zu lassen. Meine Mutter war äußerst erstaunt, als wir heimkamen und meine Kameraden ihr eifrig von unserem Besuch in der Reitschule berichteten. War das möglich? Ihre vorsichtige Tochter? Ich selbst war noch ganz erfüllt von dem starken Eindruck, den die Begegnung im Stall bei mir hinterlassen hatte, und hielt mich im Hintergrund.
Heute, mehr als 40 Jahre später, erinnere ich mich nur an die unbekannten, sprudelnd-lebendigen Gefühle, die in mir zum Leben erweckt wurden. Das war der Tag, an dem meine lebenslange Leidenschaft für Pferde erwachte.
In Norwegen auf einem Reitlager, 1974
Ich wurde nicht plötzlich, von einem Tag auf den anderen, mutig. Oft war ich ängstlich und vorsichtig, wenn ich mich im Stall befand, trotzdem konnte ich es nicht sein lassen. Plötzlich drehte sich einfach alles um Pferde. Die Reitlehrer in Hyllie waren meine Idole und selbstverständlich war es mein Traum, in ihre Fußstapfen zu treten. Ich verschlang Pferdebücher, hatte Lieblingspferde und war treues Mitglied im Ponyclub des Buchverlags Wahlström. Meine liebsten Spiele schlossen kleine Plastikpferde mit Reitern ein. Mit ihnen ließ ich Reitschulen und Reitlager entstehen.
Ich wälzte Reitlagerbroschüren und als meine gutmütigen Eltern mich in ein Reitlager fahren ließen, führte ich über alles Buch, über positive und negative Erlebnisse während meines Aufenthalts. Mit einem selbst entwickelten Formular befragte ich meine Freunde zu ihrem Reitlageraufenthalt und notierte die Antworten genau. Dann folgte eine gründliche Auswertung und allmählich meine selbstgebastelten Reitlagerbroschüren.
Im Reitlager mit dem Lieblingspony Snobben, 1976.
In einem schwachen Moment versprach meine liebe Mutter mir, dass ich zum 15. Geburtstag zwischen einem Moped und einem Pferd wählen dürfte. Sie war gewöhnt, dass ich sämtlicher netter und passender Aktivitäten, zu denen sie mich anmeldete, bald überdrüssig wurde: Klavierspielen, Tennisspielen, Schlittschuhlaufen. Noch hatte sie das Ausmaß meiner Leidenschaft nicht erfasst. Mit 15 Jahren wurde ich deshalb glückliche Besitzerin der gescheckten Stute Vildros, die vom englischen Vollblut Um Said und der Ponystute Tugboat Annie abstammte. Vildros hatte eine Widerristhöhe von 155 cm. Es zeigte sich, dass sie eine natürliche Begabung für das Springen besaß.
Einige Jahre später unterrichteten mich Anders Edman in Ystad und Maria Gretzer auf Dag Netterqvists alter Anlage in Everlöv. Die letztgenannte Anlage war in meinen Augen eine Ausgeburt an Luxus, gab es dort sogar einen Tee- und Kaffeeautomat in der Nähe der Reithalle! Das waren herrliche Zeiten mit einer fröhlichen Clique, die nicht nur zusammen trainierte, sondern auch private Kontakt pflegte. Einige Zeit lang etablierte sich bei uns die Gepflogenheit, lebendige Geburtstagsgeschenke zu überreichen. Ein Hängebauchschwein machte den Anfang, gefolgt von unter anderem Zebrafinken und Wüstenratten. Der Trend endete jedoch abrupt, als ein bedauernswertes Geburtstagskind eine Riesenspinne als Geschenk erhielt. Ui, zum Glück war das nicht ich!
Erwachsensein
Nach der Grundschule, die in Schweden mit der 9. Klasse endet, machte ich eine Ausbildung zur Krankenpflegerin, eine zu dieser Zeit sehr gefragte Ausbildung. Ich fühlte mich im Pflegeberuf wohl, konnte aber trotzdem den Traum von einer Arbeit mit Pferden nicht aufgeben. Meine Urlaubstage nutzte ich, um Lehrgänge zu besuchen, die einen zum Reitlehrer ausbildeten und zur Veranstaltung von Reitlagern berechtigten. Meine Lehrer bescheinigten mir, dass ich Talent zum Unterrichten besaß; ich bekam ausgezeichnete Noten und Beurteilungen. Tief in meinem Inneren fühlte ich, dass ich auf dem richtigen Weg war, dass ich meine Berufung gefunden hatte.
Dank der gründlichen Marktforschungsstudie über Reitlager, die ich in jungen Jahren durchgeführt hatte, sattelte ich problemlos um und startete meinen eigenen Reitlagerbetrieb. Ich schloss mich Sveriges Ridlägerarrangörers Riksförbund (eines ideellen Verbands für Veranstalter von Reitausbildungen in Schweden) an und mein Reitlager entwickelte sich rasch zu einem großen Erfolg. Es zeigte sich überdies, dass an meinem Wohnort Bedarf für eine Reitschule bestand. Bald arbeitete ich im Prinzip das ganze Jahr über, von früh am Morgen bis spät am Abend, und fühlte mich außerordentlich wohl! Ich hatte es geschafft, meinen Traum zu verwirklichen!
Vildros, mein erstes eigenes Pferd.
Wie sah es denn mit meinen eigenen Reitkünsten aus? Seit ungefähr einem Jahr trainierte ich regelmäßig bei einer Dressurausbilderin. Es ging langsam vorwärts. Ein ständiges Problem war, dass ich daheim nie dieselbe Reitqualität zustande brachte, wie im Beisein meiner Reitlehrerin. Eine gewisse Frustration begann sich einzufinden. Deshalb war ich beinahe erleichtert, als ich aufgrund einer Krankschreibung nur noch in Teilzeit arbeitete. Ich befand mich nämlich am Ende meiner ersten Schwangerschaft und das Reiten wurde mir verboten.
Reiten aus der Körpermitte
Um mir die Zeit während der Schwangerschaft zu vertreiben, besuchte ich eine Buchhandlung. Dort stieß ich auf ein ganz neu erschienenes und etwas merkwürdiges Reithandbuch. Es hieß „ Centered riding“ („Reiten aus der Körpermitte“, deutsche Übersetzung Zürich 1989) und war von Sally Swift verfasst, einer Amerikanerin, die unter anderem auf Grundlage von Tai-Chi und Alexander-Technik ein Konzept entwickelt hatte, das sie „Reiten aus der Körpermitte“ nannte. Endlich daheim angelangt, las ich das Buch von der ersten bis zur letzten Seite, während ich mir vorstellte, dass ich die beschriebenen Übungen ausführte.
Meine kleine Tochter wurde geboren, zwei Monate vergingen schnell und dann hatte ich wieder die Erlaubnis zu reiten. Weder ich, noch mein Pferd Vildros, waren in bester Verfassung. Deshalb machten wir Schrittausritte im Wald, während ich versuchte, mich an die Abschnitte aus dem Buch zu erinnern und damit zu experimentieren. Nach und nach fanden wir zu unserer einstigen Form zurück, aber wir hatten gleichzeitig etwas Neues und Spannendes entdeckt.