Film- und Fernsehanalyse - Lothar Mikos - E-Book

Film- und Fernsehanalyse E-Book

Lothar Mikos

0,0
42,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Rezeption von Filmen und Fernsehsendungen ist sowohl vom Wissen und den Emotionen der Zuschauer:innen als auch von sozialen Kontexten abhängig. Es reicht daher nicht aus, die "Sprache" von Film und Fernsehen zu analysieren, sondern es müssen auch die Form, die Gestaltung, die Dramaturgie und der Inhalt auf die Kontexte der Rezeption bezogen werden. Dieses Standardwerk von Lothar Mikos ist eine erprobte Anleitung zur Durchführung von Film- und Fernsehanalysen. In der 4. Auflage neu hinzugekommen sind u. a. eine Beispielanalyse zum transmedialen Storytelling in der Echtzeiterzählung "DRUCK" sowie ein Vergleich zur transatlantischen Narration in den Serien "Borgia" und "Die Borgias". Ein Must-have für alle, die Filme und Fernsehsendungen systematisch untersuchen wollen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Prof. Dr. Lothar Mikos

Film- und Fernsehanalyse

UVK Verlag · München

Umschlagabbildung: © Farknot Architect – Adobe Stock; © Devrimb – iStock

 

Prof. Dr. Lothar Mikos lehrt Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin, der Filmuniversität Babelsberg und der Alpen-Adria Universität Klagenfurt.

DOI: https://doi.org/10.36198/9783838559810

 

4., überarbeitete und erweiterte Auflage 2023

3., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2015

2., überarbeitete Auflage 2008

1. Auflage 2003

 

© UVK Verlag 2023— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung

 

utb-Nr. 2415

ISBN 978-3-8252-5981-5 (Print)

ISBN 978-3-8463-5981-5 (ePub)

Inhalt

Vorwort zur 4. AuflageEinleitungTeil I: Theorie und Methodik1 Die Kommunikationsmedien Film und Fernsehen1.1 Film- und Fernsehverstehen1.2 Film- und Fernseherleben1.3 Zitierte Literatur2 Erkenntnisinteresse2.1 Inhalt und Repräsentation2.2 Narration und Dramaturgie2.3 Figuren und Akteur:innen2.4 Ästhetik und Gestaltung2.5 Kontexte2.6 Zitierte Literatur3 Systematik der Analyse3.1 Operationalisierung3.2 Arbeitsschritte1. Entwicklung eines allgemeinen Erkenntnisinteresses2. Anschauung des Materials3. Theoretische und historische Reflexion4. Konkretisierung des Erkenntnisinteresses5. Entwicklung der Fragestellung(en)6. Eingrenzung des Materials bzw. Bildung des Analysekorpus7. Festlegung der Hilfsmittel8. Datensammlung9. Beschreibung der Datenbasis10. Analyse der Daten: Bestandsaufnahme der Komponenten der Filme, Video oder Fernsehsendungen11. Auswertung: Interpretation und Kontextualisierung der analysierten Daten12. Evaluation I: Bewertung der analysierten und interpretierten Daten13. Evaluation II: Bewertung der eigenen Ergebnisse gemessen am Erkenntnisinteresse und der Operationalisierung14. Präsentation der Ergebnisse3.2.1 Hilfsmittel3.2.2 Auswertung3.2.3 Präsentation3.3 Zitierte LiteraturTeil II: Film- und Fernsehanalyse1 Inhalt und Repräsentation1.1 Plot und Story I1.2 Raum und Zeit1.3 Interaktionsverhältnisse1.4 Situative Rahmungen1.5 Zitierte Literatur2 Narration und Dramaturgie2.1 Plot und Story II, Sujet und Fabel2.2 Horizontale und vertikale Dramaturgie in Fernsehserien2.3 Spannung und Suspense2.4 Komik2.5 Bedrohung2.6 Zitierte Literatur3 Figuren und Akteur:innen3.1 Personen und Rollen3.2 Stars und Celebrities3.3 Identifikation3.4 Empathie und Sympathie3.5 Parasoziale Interaktion3.6 Immersion3.7 Zitierte Literatur4 Ästhetik und Gestaltung4.1 KameraEinstellungsgrößenPerspektiveKamerabewegungFunktionen der Kameraarbeit4.2 LichtArten der LichtgestaltungNarrative Funktion der Lichtgestaltung4.3 Schnitt und MontageSchnittartenDimensionen der MontageNarrative Funktionen der MontageElektronischer Schnitt4.4 Ausstattung4.5 Ton und Sound4.6 Musik4.7 Visuelle Effekte und SpezialeffekteFunktionen der Spezialeffekte4.8 3D-Ästhetik4.9 Zitierte Literatur5 Kontexte5.1 Gattung, Genre und Format5.2 Intertextualität vs. Transmedia Storytelling5.3 Diskurse5.4 Lebenswelten5.5 Produktion und Markt5.6 Zitierte LiteraturTeil III: Beispielanalysen1 Handlungsleitende Themen in »Terminator 2 – Judgement Day«2 Blockbuster als Metagenre: »Der Herr der Ringe«3 Transmedia Storytelling und Echtzeiterzählung in »DRUCK«4 Hybridität in Fernsehformaten: die Beispiele »Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!« und »Game of Thrones«5 Adaptionsstrategien in Showformaten: »Germany’s Next Topmodel« und »Wer wird Millionär?«6 Dichte Erzählung: Spannungsinszenierung in »24«7 Transatlantische Narration in den Serien »Borgia« und »Die Borgias«Literatur1 Film- und Fernsehanalyse2 Filmtheorie3 Fernseh- und Medientheorie4 Genretheorie5 Intertextualität und Transmedia Storytelling6 Diskurstheorie7 Lebenswelt8 Film- und FernsehmarktIndex1 Abbildungen2 Filme und Fernsehsendungen3 Sachregister

Vorwort zur 4. Auflage

Als die erste Auflage dieses Lehrbuches im Jahr 2003 erschien, gab es noch keinen Gedanken daran, dass es fast 20 Jahre später eine vierte Auflage geben würde. Die Medienlandschaft hat sich in dieser Zeit durch Digitalisierung und Globalisierung stark gewandelt. Filme und Fernsehsendungen werden zwar nach wie vor produziert, aber die Technik der Herstellung hat sich ebenso gewandelt wie die Formen der Verbreitung und der Nutzung. Die Veränderungen werden in der aktuellen Neuauflage des Buches berücksichtigt. Alle Kapitel wurden aktualisiert und überarbeitet. Dabei flossen nicht nur neue Erkenntnisse der Film- und Fernsehwissenschaft ein, sondern auch die veränderte Medienlandschaft wurde berücksichtigt. Drei Kapitel sind neu hinzugekommen (II.3.2, III.3 und III.7), alle anderen Kapitel wurden aktualisiert und überarbeitet.

Wenn die vierte Auflage eines Buches gedruckt wird, scheint es den Leser:innen nicht nur zu gefallen, sondern sie können es offenbar auch benutzen. Daher gilt mein Dank allen bisherigen Leser:innen. Wissenschaftliche Erkenntnis, die in ein Lehrbuch einfließt, entsteht nur selten in einsamer Lektüre- und Denkarbeit, sondern im kommunikativen Austausch mit Kolleg:innen und Studierenden. Daher gebührt mein Dank allen, mit denen ich in den vergangenen Jahren Aspekte der Film- und Fernsehanalyse diskutieren durfte. Sie alle namentlich zu nennen, würde den Rahmen sprengen.

Einigen Kolleg:innen und Freund:innen möchte ich dennoch persönlich danken, ohne euch wäre mein Leben an der Hochschule und der ‚Scientific Community‘ wesentlich ärmer gewesen: Shari Winona Adlung, Gunhild Agger, Margret Albers, Ilona Ammann, Stefanie Armbruster, Lukas Arnold, Ben Bachmair, Luca Barra, Hauke Bartel, Cathrin Bengesser, Stina Bengtsson, Göran Bolin, Esra Bonkowski, Uwe Breitenborn, Christina Burkhardt, Lea Busch, Jörg Buttgereit, Deborah Castro Marino, José Manuel Damasio, Matilde Delgado, Alexander Dhoest, Sarah Dombrink, Cia Edström, Maria Edström, Susanne Eichner, Audun Engelstad, Gina Plana Espinet, Andrea Esser, Karin Fast, Iliana Ferrer, Julia Fidel, Regina Frieß, Lea Gamula, Johannes Gawert, Stephan Görland, Udo Göttlich, Andreas Halskov, Kim Toft Hansen, Christine Hartmann, Line Hassall Thomsen, Conrad Heberling, Olof Hedling†, Katja Herzog, Sebastian Hienzsch, Ulrich Hienzsch, Annette Hill, Matt Hills, Anna Jakisch, Pia Majbritt Jensen, Anna Jurzik, Jesko Jockenhövel, Stan Jones, Richard Kilborn, Barry King, Anna Luise Kiss, Barbara Knabe, Tobias Krell, Nicole Kühner, Leif Ove Larsen, Sandra Lehner, Christine Linke, Sonia Livingstone, Giancarlo Lombardi, Kenneth Longden, Juan Francisco Gutiérrez Lozano, Peter Lunt, Peter Mänz, Janet McCabe, Chris Meir, Andreas Meissner, Ulrich Michel, Claudia Mikat, Kathrin Müller, Klaus Neumann-Braun, Antonia Nooke, Hugh O’Donnell, David Levente Palatinus, Corinna Peil, Marta Perrotta, Anna-Sophie Philippi, Eric Pommer, John Pommer†, Emili Prado, Elizabeth Prommer, Roel Puijk, Julia Queck, Kim Katharina Richter, Kristina Riegert, Alexander Rihl, Edda Rihl, Hella Rihl, Willem Rihl, Dominik Rohrmoser, Anett Sass, Oliver Schablitzki, Rebecca Scharlach, Thomas Schick, Kim Christian Schrøder, Carolin Schwarzmann, Stefano Semeria, Francesca Shafé, Tim Soltau, Hans-Jörg Stiehler, Marcus Stiglegger, Paula Syniawa, Claudia Töpper, Joachim Trebbe, Sue Turnbull, Hilde van den Bulck, Verena Veihl, Miguel Vicente, Lea von den Steinen, Anne Marit Waade, Ingela Wadbring, Lutz Warnicke, Michael Wedel, Carolin Wenzel, Elke Weissmann, Dieter Wiedemann, Gary Whannel, Rainer Winter, Peter Wuss, Yulia Yurtaeva-Martens und Lina Mareike Zopfs.

Karin Dirks, Mareike Ellerhoff, Julia Fidel, Evelin Haible, Katja Herzog, Juliane Kranz, Leah Lomb, Linda Pfaff und Verena Veihl leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Fertigstellung des Manuskripts dieser und vorheriger Auflagen. Sonja Rothländer begleitete das Projekt von der ersten bis zur dritten Auflage mit Geduld und sachkundiger Kritik. Bei Uta Preimesser und Nadja Hilbig war die Betreuung dieser aktuellen Auflage gut aufgehoben. Ich widme dieses Buch allen Studierenden, mit denen ich Fragen der Film- und Fernsehanalyse diskutieren durfte – und denjenigen Studierenden, denen das Buch eine Hilfe war.

 

Berlin, im Januar 2023

Einleitung

Wir leben offenbar in einem visuellen Zeitalter. Ohne audiovisuelle Medien geht es nicht mehr. Videos auf Nachrichtenportalen oder auf YouTubeYouTube, Filme im Kino, im Fernsehen oder auf StreamingStreaming-Plattformen, Fernsehsendungen im linearen Fernsehen oder in den Mediatheken, Bilder sind überall. Im Jahr 2020 gab es laut der Mavise-Datenbank des European Audiovisual Observatory 10.839 Fernsehkanäle und 2799 On-Demand-Plattformen in Europa (vgl. Schneeberger 2021, S. 6).

Die massive Präsenz audiovisueller Medien hat auch dazu geführt, dass die Beschäftigung mit Filmen und Fernsehsendungen sich weiterhin großer Beliebtheit erfreut. Essayist:innen, Journalist:innen und Wissenschaftler:innen äußern An- und Einsichten, die sie einerseits aus eigener Anschauung von Filmen und Fernsehsendungen, andererseits aus der Reflexion gewinnen, indem sie über das Gesehene nachdenken und es in theoretische, historische oder pragmatische Zusammenhänge einordnen. Mit anderen Worten: Sie stellen einen Film oder eine Fernsehsendung in einen KontextKontext. Ähnlich gehen auch die geneigte Kinogängerin und der geneigte Fernsehzuschauer vor, wenn sie sich mit dem, was sie gesehen haben, auseinandersetzen. In Gesprächen nach einem Kinobesuch wird das Gesehene bewertet und eingeordnet. Das Gleiche geschieht beim Austausch über eine Fernsehsendung. Den britischen Medienwissenschaftler Martin Barker hat das zu der Feststellung verleitet: »Jeder analysiert Filme« (Barker 2000, S.1). Doch wenn jede:r Filme analysiert, stellt sich die Frage, worin sich die wissenschaftliche Analyse von der alltäglichen unterscheidet.

Im Duden heißt es zum Stichwort »AnalyseAnalyse«: »Untersuchung, bei der etwas zergliedert, ein Ganzes in seine Bestandteile zerlegt wird« (Duden 2022). Auf Filme und Fernsehsendungen bezogen bedeutet dies, dass alle Komponenten oder Faktoren, die einen Film oder eine Fernsehsendung ausmachen, untersucht werden müssen, und zwar systematisch. Das unterscheidet die wissenschaftliche Analyse von der alltäglichen, die eher unsystematisch vorgeht und sich häufig auf einen gesamten Film bezieht, nicht aber seine einzelnen Komponenten untersucht. Im Alltag werden Filme und Fernsehsendungen zudem häufig inhaltlich interpretiert. Dabei wird ihnen ein subjektiver SinnSinn, Sinnhaftigkeit zugewiesen. Wissenschaft sollte aber nicht auf die Bildung von subjektivem Sinn, sondern auf die Produktion von objektivierter Erkenntnis, die intersubjektiv nachvollziehbar ist, abzielen. Ziel dieses Buches ist es daher, theoretisches Rüstzeug und methodisches Handwerkszeug für die systematische Untersuchung von Filmen und Fernsehsendungen zur Verfügung zu stellen.

Damit ist ein weiteres Ziel verbunden: Die Fähigkeit zur Analyse von Filmen und Fernsehsendungen trägt zur Entwicklung von MedienkompetenzMedienkompetenz in weiterem Sinn bei (vgl. Bienk 2006/2019, S.23ff.; Frederking 2006; Henzler/Pauleit 2008; Hofmann/Lassacher 2013; Holzwarth/Maurer 2019; Kamp/Braun 2011; Mikos 2005; Spielmann 2011; Wegener 2016; Zahn 2012 sowie die Beiträge in Barg u. a. 2006; Marotzki/Niesyto 2006). Sie ist nicht nur eine »Schule des Sehens« (Schnell 2000, S.1ff.), sondern fördert auch »Prozesse des Mitbedenkens« (Boeckmann 1996, S.37). In diesem Sinne trägt sie zu einer Professionalisierung des Sehens bei. Dazu gehört die Erkenntnis, dass »jede mediale RepräsentationRepräsentation eine subjektive Konstruktion ist, die aus einer Fülle möglicher Darstellungen herausgewählt wurde und die auch von Interessen bestimmt ist« (ebd., S.36). Außerdem gehört die Einsicht dazu, dass sich Filme und Fernsehsendungen immer an ein PublikumZuschauer richten, mal an ein unspezifisches, mal an ein genau definiertes in Form einer speziellen ZielgruppeZielgruppe. Bei Filmen und Fernsehsendungen sind die Prozesse des Mitbedenkens in dreifacher Weise zu leisten: erstens im Hinblick auf die Intentionen, die von Produktionsseite oder institutionell (z. B. Fernsehsender, Hollywoodstudio) hinter den Medienprodukten stehen, zweitens – die StrukturStruktur der Filme und Fernsehsendungen betreffend – im Hinblick darauf, welche Funktion die einzelnen Komponenten in Bezug auf den gesamten Film oder die gesamte Fernsehsendung haben, und drittens, welche Funktion diese Komponenten für das Publikum haben. Dieser letzte Aspekt weist darauf hin, dass die in diesem Buch vorgestellten Grundlagen der Film- und Fernsehanalyse auf einem Verständnis von Film und Fernsehen als KommunikationsmedienKommunikationsmedien basieren. Filme und Fernsehsendungen entstehen in diesem Sinn erst im Kopf ihrer Zuschauer:innen – bzw. in ihrem Körper, denn audiovisuelle Bilder können »erst in der WahrnehmungWahrnehmung […] zu Bewegungsbildern werden« (vgl. Kappelhoff 2018, S. 7). Nur wenn sie gesehen oder erlebt werden, treten sie in einen Kommunikationsprozess ein. Bereits der französische Regisseur und Filmkritiker François Truffaut (1977, S.100) stellte einst fest: »Wenn ein Film einen gewissen Erfolg hat, ist er ein soziologisches Ereignis und die Frage seiner Qualität wird sekundär.« Allerdings wird hier davon ausgegangen, dass es die Qualitäten der Textstrukturen sind, die den Erfolg eines Films wesentlich beeinflussen, denn sie sind für die Interaktion mit den Zuschauer:innen zentral. Die AnalyseAnalyse zielt daher darauf ab, die Strukturen von Filmen und Fernsehsendungen funktional im Rahmen der Kommunikationsprozesse zu betrachten, in die sie eingebunden sind. Es geht also um eine kommunikationswissenschaftliche Fundierung der Film- und Fernsehanalyse. Das unterscheidet die hier vorgestellte Film- und Fernsehanalyse von anderen Einführungen und Lehrbüchern.

Da keine »universelle Methode der Filmanalyse« existiert (Aumont/Marie 2020, S. 27), werden im Folgenden verschiedene Ansätze kurz dargestellt. In der Filmanalyse wurde bisher, angeregt durch die seit den 1960er Jahren starke theoretische Beschäftigung mit Film, vor allem aus der wissenschaftlichen Perspektive der SemiotikSemiotik, in Anlehnung an die Linguistik, versucht, grammatikalische, syntaktische und semantische StrukturStrukturen des Films – die »Sprache des Films« – zu untersuchen. Bereits frühe Filmtheoretiker wie Wsewolod Pudowkin (1928, S. 9) hatten die Art des Zusammenfügens der Filmbilder, die MontageMontage, als »Sprache des Filmregisseurs« bezeichnet und verglichen die Kombination der Filmbilder mit dem Satz in der Sprache (ebd.). Dieser Ansatz wurde in den 1960er und 1970er Jahren durch Semiotiker wie Christian Metz (1972) weiterentwickelt und dann in den Einführungen zur Filmanalyse aufgegriffen. Allerdings hatte Metz (ebd., S.148) bereits darauf hingewiesen, dass die filmischen StrukturStrukturen lediglich denen der Sprache ähneln. Von einer »Filmsprache« oder »Sprache des Films« zu sprechen hat dann lediglich metaphorischen Charakter. Der Literaturwissenschaftler Ralf Schnell folgert daraus: »Die ErzählformenErzählform des Films beruhen nicht auf linguistischen Strukturen, sondern entstehen aus technischen Mitteln, die ihrerseits Stiltraditionen generieren« (Schnell 2000, S.183). Dennoch hat die Rede von der »Filmsprache« bzw. der »Fernsehsprache« weiterhin Konjunktur (vgl. Bienk 2006/2019; Edgar u. a. 2010/2015; Joost 2008; Jost/Kammerer 2012; Marshall/Werndly 2002; Vallet 2016/2019; Wharton/Grant 2007), und es wird davon ausgegangen, dass die Verwendung filmischer CodesCode auf Sprache basiert (Kuchenbuch 2005, S.98ff.), die Beschreibung von filmischen Darstellungsweisen auf linguistische Strukturen zurückgreift (Branigan 2006; Vallet 2016/2019), und das »ZeichensystemZeichensystemZeichensystem des Films« (Beil u. a. 2012/2016, S.11) die Grundlage semiotischer Filmanalysen ist (vgl. Gräf u. a. 2011/2017; Kanzog 2007). Im vorliegenden Buch geht es nicht darum, die »Filmsprache« oder die »Fernsehsprache« zu analysieren, sondern die Mittel, die ein Film oder eine Fernsehsendung einsetzt, um mit den Zuschauer:innen zu kommunizieren. Dabei spielen inhaltliche, darstellerische, dramaturgische, erzählerische und ästhetisch-gestalterische Mittel ebenso eine Rolle wie die KontexteKontext, in die filmische Strukturen und Zuschauer:innen eingebunden sind. Filmische StrukturStrukturen sind während einer AnalyseAnalyse immer auf dreifache Weise zu befragen: erstens im Hinblick auf die inhaltliche und erzählerische Kohärenz eines Films, zweitens im Hinblick auf die gestalterischen Mittel, die auf die AufmerksamkeitAufmerksamkeit und WahrnehmungWahrnehmung der Zuschauer:innen zielen, und drittens im Hinblick auf den kommunikativen Prozess und dessen KontexteKontext, denn der Sinn eines Films oder einer Fernsehsendung realisiert sich erst in der RezeptionRezeption durch Zuschauer:innen. Die »SinnhaftigkeitSinn, Sinnhaftigkeit« von Filmen und Fernsehsendungen existiert nicht als quasi objektive faktische Gegebenheit, sondern wird erst während des Zuschauens von den Zuschauer:innen hergestellt.

Die Bücher zur Filmanalyse, die seit den 1980er Jahren erschienen sind (vgl. Beil u. a. 2012/2016; Faulstich 1988; Faulstich 2002/2013; Hickethier 1993/2012; Kamp/Braun 2011; Keutzer u. a. 2014; Korte/Faulstich 1988; Korte 1999/2010; Kuchenbuch 2005; Monaco 1980/2009), verfolgen zwar einen etwas weiteren Ansatz und greifen auch auf neuere Filmtheorien aus dem angelsächsischen Raum zurück (vgl. Beil u. a. 2012/2016; Kuchenbuch 2005; Kurwinkel/Schmerheim 2013; Ottiker 2019 sowie die Beiträge in Groß/Morsch 2021 und Hagener/Pantenburg 2020), doch der kommunikative Aspekt des Films wird nur am Rand berücksichtigt. In der angelsächsischen Literatur orientieren sich die Einführungen in erster Linie an theoretischen Positionen, die eine Filmanalyse leiten können (vgl. Benshoff 2016; Berger 1982/2018; Gledhill/Williams 2000; Hill/Church Gibson 1998; Hollows/Jancovich 1995; Nelmes 1996/2012), sie stellen Einzelanalysen von Filmen in den Mittelpunkt, die verschiedene Aspekte der Analyse betonen (vgl. Barker 2000; Cardullo 2015; Carroll 1998; Elsaesser/Buckland 2002), oder sie gehen von unterschiedlichen theoretischen Standpunkten aus auf die Filme ein (vgl. exempl. die Beiträge in Collins u. a. 1993; Geiger/Rutsky 2005/2013; Gibbs/Pye 2005). Die wenigen Ausnahmen, in denen die Techniken des Filmemachens auch im Hinblick auf die Konsequenzen für die Zuschauer genauer dargestellt werden, bestätigen die Regel (vgl. Bordwell/Thompson 1979/2020; Caldwell 2005/2011; Gillespie/Toynbee 2006; Phillips 1999/2009; Ryan/Lenos 2012/2020; Wharton/Grant 2007 und zum Teil Salt 1983/2009; Salt 2006). Im romanischen Raum steht weiterhin die SemiotikSemiotik hoch im Kurs (vgl. Aumont/Marie 1988/2020; Bellour 1979/1995; Mitry 2000). Ausgehend von linguistischen und semiotischen Ansätzen wurde eine multi-modale Filmanalyse entwickelt (vgl. Bateman/Schmidt 2014 sowie die Beiträge in Wildfeuer/Bateman 2019), in der der Beitrag der semiotischen Multimodalität zur Bedeutungsbildung des Films im Mittelpunkt steht. Allerdings gibt es auch Ausnahmen (Casetti/di Chio 1990/1994; Goliot Lété/Vanoye 1992/2015), die über eine rein semiotische Analyse hinausgehen. In jüngerer Zeit hat sich die Soziologie vermehrt dem Thema Film zugewandt. Mit der dokumentarischen Methode wird versucht, Strukturmerkmale von Fotos oder Videos bzw. Filmen zu identifizieren, um in einer reflektierenden Interpretation zur dokumentarischen Sinnebene und zur performativen Struktur zu gelangen (vgl. Bohnsack 2009/201, S. 150; siehe auch Bohnsack/Fritzsche/Wagner-Willi 2015; Hampl 2017). Es handelt sich bei der dokumentarischen Methode um ein Verfahren der Interpretation und kein Analyseverfahren. In den (wissens-)soziologischen Analyseansätzen geht es in erster Linie um den Beitrag der Filme zur gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit sowie ihre gesellschaftliche Bedeutung (vgl. Peltzer/Keppler 2015 sowie die entsprechenden Beiträge in Dimbath/Heinze 2021; Geimer u. a. 2018; Geimer u. a. 2021): »Produkte aus Film und Fernsehen sind grundsätzlich als Instanzen der Sinngebung zu betrachten, die auf verschiedene Arten und Weisen an der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit teilhaben« (Peltzer/Keppler 2015, S. 10). Filme und Fernsehen werden hier als »Instanzen der Sinngebung« gesehen. So muss es in der Analyse darum gehen zu untersuchen, »welche Auffassungen von Wert und Wirklichkeit sich in den Produkten aus Film und Fernsehen manifestieren« (Peltzer/Keppler 2015, S. 10).

Die Fernsehanalyse hat im Gegensatz zur Filmanalyse bisher kaum Interesse gefunden und schlägt sich dementsprechend selten in einführenden Publikationen nieder. Die deutschsprachigen Publikationen zur Fernsehanalyse versammeln Aufsätze, die sich aus verschiedenen theoretischen Perspektiven auf Einzelaspekte des Fernsehens konzentrieren (Hickethier 1994) oder setzen sich pauschal mit verschiedenen Sendungsformen auseinander, ohne spezifische Analyseschritte zu vollziehen (Faulstich 2008). Das trifft auch auf die in Großbritannien und Italien erschienenen Bücher zu (Allen/Hill 2004; Casetti/di Chio 1997/2000; Creeber 2006; Geraghty/Lusted 1998; McQueen 1998; Miller 2002/2010; Wasko 2005). Lediglich Knut Hickethier geht in seinem Buch »Film- und Fernsehanalyse« (1993/2012) neben dem Film explizit auf das Fernsehen ein. Im englischsprachigen Raum bieten Jonathan Bignell (2004/2012), Graeme Burton (2000), Karen Lury (2005) und Phil Wickham (2007) eine umfassende Einführung in die Fernsehanalyse. Letztere geht dabei auf Bild und TonTon sowie ZeitZeit und Raum ein.

Zu Beginn des 21.Jahrhunderts sind Filme und Fernsehsendungen nicht nur im Kino und im klassischen linearen Fernsehen verfügbar, sondern werden auch auf Online-Plattformen gestreamt, und sie können auch mobil auf dem Tablet oder dem Smartphone genutzt werden. Die Entwicklung digitaler und mobiler Medien hat neue Möglichkeiten entstehen lassen, die Angebote auf verschiedene mediale Plattformen zu verteilen, um so das Publikum über verschiedene Nutzungsformen einzubinden. Einerseits verschwimmen die Grenzen zwischen den Medien, andererseits ergeben sich neue, technische Differenzen. Während Kino- und Fernsehbilder hauptsächlich im 4:3 Querformat zu sehen sind, benutzen InstagramInstagram oder TikTokTikTok für die Bilder das 4:5 Hochformat.

Die Grenzen verschwimmen sowohl in technischer, ökonomischer, inhaltlicher und ästhetischer Hinsicht als auch mit Blick auf die Nutzung von Medienangeboten. Menschen handeln in »konvergierenden Medienumgebungen« (Hasebrink u. a. 2004, S.10). Damit ist »die Gesamtheit der Phänomene der KonvergenzKonvergenz auf den verschiedenen Ebenen sowie der zunehmend ausdifferenzierten Formen von Crossmedialität« (ebd.) gemeint. In ökonomischer Hinsicht kann Konvergenz als eine »Ausweitung der kommerziellen Reichweite einzelner Filme oder Unterhaltungsangebote durch die Verbindung mit anderen Absatzmärkten« (Keane 2007, S.2) gesehen werden, »deren ultimatives Ziel es ist, den gleichen Markeninhalt über verschiedene Medien zu verbreiten« (ebd.). Allerdings findet die Konvergenz auf den Ebenen der materiellen Bedingungen der Medienkommunikation, den institutionellen Bedingungen und den Inhalten und Diskursen statt (Bruhn Jensen 2010/2022). Auf der Seite der Mediennutzer:innen kommt dem das Bedürfnis entgegen, beliebte Inhalte auf verschiedenen Medienplattformen zu suchen. Das gilt offenbar besonders für Angebote, die der UnterhaltungUnterhaltung dienen, wie Henry Jenkins bemerkt:

»Unter KonvergenzKonvergenz verstehe ich die Ausbreitung von Inhalten über verschiedene Medienplattformen, die Kooperation zwischen verschiedenen Medienindustrien und das nomadische Verhalten von Medienpublika, die auf der Suche nach den Unterhaltungserlebnissen, die sie wünschen, nahezu überall hingehen« (Jenkins 2006, S.2).

Dabei zeigen sich allerdings unterschiedliche Muster der konvergenten Medienaneignung (vgl. Wagner u. a. 2006; siehe auch Göttlich 2006, S.194ff.; Groebel 2014, S.79 ff.). Die Verbindung zwischen den Angeboten und der Mediennutzung wird durch eine ÄsthetikÄsthetik transmedialen Erzählens hergestellt (vgl. Kapitel II‑5.2). Es gibt kaum noch einen Film, eine Fernsehserie oder eine Realityshow, die ohne die transmediale Begleitung in den sozialen Medien auskommt.

Für Filme und Fernsehsendungen, die auf mehreren medialen Plattformen verbreitet werden, hat sich der Begriff »FranchiseFranchise« durchgesetzt (vgl. Johnson 2013; Thompson 2007 sowie die Beiträge in Fleury u. a. 2019) und ist am Beispiel von »Der Herr der RingeDer Herr der Ringe (NZL/USA 2001/2002/2003, Peter Jackson)« (Mikos u. a. 2007; Thompson 2007; Wasko 2008), »MatrixMatrix (USA 1999, Larry und Andy Wachowski)« (Jenkins 2006, S.101ff.) und »Star WarsStar-Wars-Filme (USA 1977-2015, George Lucas u. a.)« (Kapell/Lawrence 2006) untersucht worden. Bei solchen Franchise-Produkten können zwar noch die einzelnen Filme analysiert werden, doch müssen sie im KontextKontext der anderen medialen Ausprägungen gesehen werden. Denn der Erfolg eines Films oder einer Fernsehsendung hängt zunehmend von der Einbettung in die konvergierenden Medienumgebungen ab.

Mit der Digitalisierung sind neue Möglichkeiten der Verbreitung von Filmen und Fernsehsendungen entstanden (vgl. Aigrain 2012; Allen-Robertson 2013; Cunningham/Silver 2013; Curtin u. a. 2014; Dixon 2013; Jenner 2018; Lobato 2019; Lotz 2022; Smith/Telang 2016). So findet man auf dem Videoportal YouTubeYouTube vor allem Ausschnitte aus Fernsehshows, aber auch ganze Sendungen und einzelne Folgen von Fernsehserien. Einige historische Filme können ebenfalls dort angesehen werden. Die neuen Verbreitungswege ändern auch die Produktionsweisen und die Ästhetik. Wenn die Video-on-Demand-Plattform NetflixNetflix eigenproduzierte Fernsehserien nicht mehr Folge für Folge, sondern alle Episoden auf einmal onlinestellt, dann müssen einerseits alle Folgen auch bereits fertig produziert sein, und andererseits bedarf es keiner CliffhangerCliffhanger mehr, um die Spannung zur nächsten Episode aufzubauen, ebenso wie die sogenannten RecapRecaps – eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Ereignisse aus den vorherigen Folgen – entfallen. Die in den USA übliche Praxis, spätere Episoden der Staffel einer FernsehserieFernsehserie noch zu produzieren, während die ersten Episoden schon gesendet werden, ist dann nicht mehr möglich. Außerdem macht die veränderte Ästhetik die Fernsehserien für das klassische Fernsehen in gewisser Weise unbrauchbar, da sie sich nicht mehr an dessen Gesetzen und Gewohnheiten der Zuschauerbindung orientiert.

Im Kontext der Medienkonvergenz werden Filme und FernsehformateFernsehformat als medienübergreifende Marken etabliert. Die GeschichteStory im Kopf der Zuschauer entsteht dann nicht mehr allein über einen Film oder eine Fernsehsendung, sondern die verschiedenen Angebote, die sich um einen Film- oder Fernsehtext gruppieren, tragen ihren Teil dazu bei. TrailerTrailer in KinoKino, Fernsehen, Internet und mobilen Endgeräten, Fanseiten, Merchandising-Artikel, Comics, Computerspiele, Bücher, Film- und Fernsehkritiken, Presseberichterstattung usw. formen die aktuelle RezeptionRezeption vor. In diesem Sinn kann bei all diesen Ausprägungen auf verschiedenen Plattformen in Bezug auf einen einzelnen Film oder ein spezifisches Fernsehformat von »präfigurativem Material« gesprochen werden (vgl. Biltereyst u. a. 2008). In der Film- und Fernsehanalyse müssen daher zunehmend die Kontexte der Filme und Fernsehsendungen ebenso Berücksichtigung finden wie deren Ausweitungen auf anderen medialen Plattformen.

Auch wenn das Fernsehen und Video-on-DemandVideo-on-DemandVideo-on-Demand-Plattformen zu Beginn des 21. Jahrhunderts der überwiegende Konsumort für Filme sind, müssen Film und Fernsehen als zwei Medien betrachtet werden, die unterschiedlich strukturiert sind. Gemeinsam haben sie, dass sie mit bewegten Bildern arbeiten. Aber bereits die bildliche Auflösung einer Szene ist bei einem KinoKinofilm anders als bei einem FernsehfilmFernsehfilm – und bei einem für ein Portal wie YouTubeYouTube hergestellten Film konzentriert sie sich vorwiegend auf Nahaufnahmen. Ganz allgemein kann man sagen, dass die Kamera umso näher am Objekt bzw. der Person der Darstellung sein muss, je kleiner der Bildschirm ist, auf dem der Film angeschaut wird. Daher werden Film und Fernsehen im vorliegenden Buch auch unterschiedlich behandelt, wenn dies für die Analyse notwendig ist.

Ausgangspunkt für die hier vorgestellten Grundlagen der Film- und Fernsehanalyse ist die Auffassung, dass Filme und Fernsehsendungen als KommunikationsmedienKommunikationsmedien zu begreifen sind: Sie kommunizieren mit dem Publikum, wobei ihre Gestaltungsmittel und Techniken die kognitivenAktivitäten und emotionalen AktivitätenAktivitäten der Zuschauer vorstrukturieren. Um diesem gedanklichen Ausgangspunkt gerecht zu werden, wird nicht von einer einzigen theoretischen Perspektive aus auf die Filme und Fernsehsendungen geschaut, sondern in einer inter- und transdisziplinären Zugangsweise werden theoretische Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen berücksichtigt (InterdisziplinaritätInterdisziplinarität) und im Hinblick auf die AnalyseAnalyse zusammengeführt (TransdisziplinaritätTransdisziplinarität).

Letztlich bedeutet das für die Analyse von Film- und Fernsehtexten, dass ihre textuellen Strategien verstärkt daraufhin zu untersuchen sind, wie mit den unterschiedlichen Wissensbeständen und Gefühlsstrukturen sowie dem an konkrete lebensweltliche Kontexte gebundenen praktischen Sinn und der sozial-kommunikativen Aneignung verschiedener Publika unterschiedliche Lesarten gebildet werden können. Wenn Filme und Fernsehsendungen sinntragende Diskurse sind, dann muss die Analyse ihr Sinnpotenzial entfalten und es in die Kontexte der Film- und Fernsehkommunikation einbinden, auch und gerade wegen der zunehmenden Bedeutung konvergierender Medienumgebungen. Film- und Fernsehtexte stellen nach wie vor symbolisches Material bereit, mit dem die Zuschauer:innen in soziokulturellen Kontexten den sinnhaften Aufbau ihrer Lebenswelt betreiben. Sie sind aber zunehmend als transmediale Erzählungen in ein Netz verschiedener Medien eingebunden. Gegenstand der Analyse müssen die strukturellen Bedingungen der Texte und der Kontexte sein, welche die Geschichten in den Köpfen der Zuschauer:innen entstehen lassen. Die Film- und Fernsehanalyse trägt dazu bei, an einzelnen Werken die Strukturen offenzulegen, die in der gesellschaftlichen Zirkulation von Bedeutung eine Rolle spielen.

Zum Aufbau des Buches: In Teil I werden die theoretischen und methodischen Grundlagen gelegt, wobei in Kapitel I‑1 das Verstehen und Erleben von Filmen und Fernsehsendungen als Zielhorizont der Analyse begründet wird. Kapitel I‑2 behandelt die Frage, wie ein Erkenntnisinteresse der Untersuchung gewonnen werden kann. Dabei wird auf fünf Ebenen eingegangen, die eine Analyse leiten können: InhaltInhalt und RepräsentationRepräsentation, NarrationNarration und DramaturgieDramaturgie, FigurenFigur und AkteureAkteur, ÄsthetikÄsthetik und GestaltungGestaltung sowie Kontexte. In Kapitel I‑3 werden die Arbeitsschritte der Analyse von der OperationalisierungOperationalisierung des Erkenntnisinteresses in konkrete Analysewege über die Datensammlung und AuswertungAuswertung bis hin zur PräsentationPräsentation (der Analyseergebnisse) der Ergebnisse beschrieben und die möglichen HilfsmittelHilfsmittel (der Analyse) vorgestellt. In Teil II steht die eigentliche Film- und Fernsehanalyse im Mittelpunkt, d. h. die Techniken und Gestaltungsmittel in ihrer Struktur und ihrem funktionalen Bezug sowohl zum Film bzw. zur Fernsehsendung als Ganzes als auch zu den Zuschauer:innen. Es gliedert sich nach den in Kapitel I‑2 beschriebenen Ebenen, die das Erkenntnisinteresse der Analyse leiten. Das hat den Vorteil, dass Leser, die sich grundlegend in alle Aspekte der Film- und Fernsehanalyse einarbeiten möchten, den gesamten Teil II lesen können; wer lediglich Hinweise sucht für die dramaturgische Analyse eines Films, braucht sich nur mit Kapitel II‑2 zu beschäftigen. Die Kontexte, in die Filme und Fernsehsendungen und ihre Zuschauer eingebunden sind, bilden den Schwerpunkt in Kapitel II‑5. Denn im Gegensatz zu Hans J. Wulff (1999, S.18), der auf dem SinnSinn, Sinnhaftigkeit einer Mitteilung und auf der Autorität des Textes besteht, wird hier davon ausgegangen, dass der Sinn eines Films erst im Zusammenspiel von TextText, Zuschauer:in und den Kontexten, in die beide eingebunden sind, entsteht. Dazu gehören sicher ein als sinnhaftes Ganzes konzipierter Film (oder eine Fernsehsendung) und ein:e Zuschauer:in, der/die als ein sinnhaft Handelnder zu begreifen ist. Daneben spielen die Produktionsbedingungen, die institutionellen Strukturen der Film- bzw. Fernsehindustrie ebenso eine Rolle wie die Biografie, soziale Situation und psychische Befindlichkeit sowohl der Regisseurin oder des Drehbuchautors bzw. im Fall von FernsehserieFernsehserien des ShowrunnerShowrunners als auch des Zuschauers oder der Zuschauerin sowie der kulturelle Kontext, in dem Film und Zuschauer:in stehen. In Teil III werden Beispielanalysen von Filmen und Fernsehsendungen vorgestellt, die einem spezifischen Erkenntnisinteresse folgen. Leider können sie aus Platzgründen nur kursorischen Charakter haben.

Thematisch geordnete Hinweise zur zitierten und weiterführenden Literatur sowie Register mit wichtigen Sachbegriffen und den erwähnten Filmen und Fernsehsendungen dienen zur Erleichterung der Arbeit mit diesem Buch.

Abschließend sei noch auf einige formale Dinge hingewiesen. Wenn hier von Filmen und Fernsehsendungen die Rede ist, sind in der Regel einzelne Filme oder Fernsehsendungen gemeint (zu Letzteren zählen auch Fernsehserien). Auch wenn sich die zu analysierenden Texte als diskrete, d. h. von anderen unterscheidbare, Werke im Hinblick auf die Lektüren des Publikums immer schwerer bestimmen lassen, da oft von Filmen nicht nur eine, sondern mehrere Versionen auf DVD/Blu-Ray oder im Streaming zugänglich sind, muss weiterhin in der Analyse von einzelnen Werken ausgegangen werden (vgl. Mikos u. a. 2007, S.79ff.; Mikos 2008). Denn es geht hier darum, eine Anleitung für die konkrete Film- und Fernsehanalyse zu bieten, indem deren Grundlagen systematisch dargestellt werden. Im Wesentlichen wird bei den Beispielen, die in den einzelnen Kapiteln genannt werden, sowie bei den Beispielanalysen auf populäre Filme und Fernsehsendungen eingegangen, die leicht zugänglich sind, sei es über die Verfügbarkeit auf DVD, auf Video-on-DemandVideo-on-Demand-Plattformen oder im Fernsehen. Wenn im Folgenden manchmal von Filmen und Fernsehsendungen als TextTexten die Rede ist, so ist damit nicht gemeint, dass ihre StrukturStruktur mit der von geschriebenen Texten identisch ist. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass in der Folge der poststrukturalistischen Debatte in den Geisteswissenschaften Kulturprodukte und -objekte generell als »Texte« bezeichnet werden, die produziert und rezipiert werden und für die Produktion von BedeutungBedeutungsbildung wichtig sind (vgl. McKee 2003, S.4). Dem Lehrbuchcharakter des Buches wird dadurch Rechnung getragen, dass die Sprache zwar wissenschaftlich, aber möglichst leicht verständlich ist. Außerdem finden sich am Ende jedes Kapitels Fragen, die einerseits auf das Verständnis des jeweiligen Kapitels zielen und die andererseits die Analyse der im jeweiligen Kapitel behandelten Aspekte leiten können. Darüber hinaus wird am Ende jedes Kapitels die zitierte Literatur aufgeführt. Die Nummerierung der zitierten Literatur von einzelnen Autoren aus dem gleichen Erscheinungsjahr (z. B. Müller 1988a; Müller 1988b) in den Kapiteln bezieht sich lediglich auf das Verzeichnis der zitierten Literatur am Ende des jeweiligen Kapitels, nicht aber auf das thematisch geordnete weiterführende Literaturverzeichnis im Anhang.

Zitierte Literatur

Aigrain, Philippe (2012): Sharing. Culture and the Economy in the Internet Age. Amsterdam

Allen, Robert/Hill, Annette (Hrsg.) (2004): The Television Studies Reader. London/New York

Allen-Robertson, James (2013): Digital Culture Industry. A History of Digital Distribution. Basingstoke

Aumont, Jacques/Marie, Michel (2020): L’analyse des films. Malakoff (4. Auflage)

Barg, Werner/Niesyto, Horst/Schmolling, Jan (Hrsg.) (2006): Jugend:Film:Kultur. Grundlagen und Praxishilfen für die Filmbildung. München

Barker, Martin (2000): From Antz to Titanic. Reinventing Film Analysis. London/Sterling

Bateman, John A./Schmidt, Karl-Heinrich (2014): Multimodal Film Analysis. How Films Mean. New York/Abingdon

Beil, Benjamin/Kühnel, Jürgen/Neuhaus, Christian (2016): Studienhandbuch Filmanalyse. Ästhetik und Dramaturgie des Spielfilms. München (2. Auflage; Erstausgabe 2012)

Bellour, Raymond (1995): L’analyse du film. Paris (Erstausgabe 1979)

Benshoff, Harry M. (2016): Film and Television Analysis. An Introduction to Methods, Theories, and Approaches. Abingdon/New York

Berger, Arthur Asa (2018): Media Analysis Techniques. Thousand Oaks u. a. (6. Auflage; Erstausgabe 1982)

Bienk, Alice (2019): Filmsprache. Einführung in die interaktive Filmanalyse. Marburg (5. Auflage; Erstausgabe 2006)

Bignell, Jonathan (2012): An Introduction to Television Studies. Third Edition. London/New York (Erstausgabe 2004)

Biltereyst, Daniel/Mathijs, Ernest/Meers, Phillippe (2008): An Avalanche of Attention: The Prefiguration and Reception of »The Lord of the Rings«. In: Barker, Martin/Mathijs, Ernest (Hrsg.): Watching »The Lord of the Rings«. Tolkien’s World Audiences. New York u. a., S.37–57

Boeckmann, Klaus (1996): Naive Medienexperten. Ergebnisse einer qualitativen Studie. In: Medien Praktisch, 20/3, S.36–40

Bohnsack, Ralf (2011): Qualitative Bild- und Videointerpretation. Die dokumentarische Methode. Opladen u. a. (2. Auflage; Erstausgabe 2009)

Bohnsack, Ralf/Fritzsche, Bettina/Wagner-Willi, Monika (2015): Dokumentarische Video- und Filminterpretation. In: Dies. (Hrsg.): Dokumentarische Video- und Filminterpretation. Methodologie und Forschungspraxis. Opladen u. a., S. 11-41 (2. Auflage; Erstausgabe 2014)

Bordwell, David/Thompson, Kristin (2020): Film Art. An Introduction. New York u. a. (12. Auflage; Erstausgabe 1979)

Branigan, Edward (2006): Projecting a Camera. Language-Games in Film Theory. New York/London

Bruhn Jensen, Klaus (2022): Media Convergence. The Three Degrees of Network, Mass, and Interpersonal Communication. London/New York (2. Aufllage; Erstausgabe 2010)

Burton, Graeme (2000): Talking Television. An Introduction to the Study of Television. London/New York

Caldwell, Thomas (2011): Film Analysis Handbook: Essential Guide to Understanding, Analyzing and Writing on Film. Victoria (2. Auflage; Erstausgabe 2005)

Cardullo, Bert (2015): Film Analysis: A Casebook. New York

Carroll, Noël (1998): Interpreting the Moving Image. Cambridge u.a.

Casetti, Francesco/di Chio, Federico (1994): Analisi del film. Milano (6. Auflage, Erstausgabe 1990)

Casetti, Francesco/di Chio, Federico (2000): Analisi della televisione. Strumenti, metodi e pratiche di ricerca. Milano (3. Auflage, Erstausgabe 1997)

Collins, Jim/Radner, Hilary/Collins, Ava Preacher (1993) (Hrsg.): Film Theory Goes to the Movies. New York/London

Creeber, Glen (Hrsg.) (2006): Tele-Visions. An Introduction to Studying Television. London

Cunningham, Stuart/Silver, Jon (2013): Screen Distribution and the New King Kongs of the Online World. Basingstoke

Curtin, Michael/Holt, Jennifer/Sanson, Kevin (Hrsg.) (2014): Distribution Revolution. Conversations about the Digital Future. Oakland

Dimbath, Oliver/Heinze, Carsten (Hrsg.) (2021): Methoden der Filmsoziologie. Exemplarische Analysen am Beispiel des Films CAPOTE (2005). Wiesbaden

Dixon, Wheeler Winston (2013): Streaming. Movies, Media, and Instant Access. Lexington

Duden (2022): Die deutsche Rechtschreibung. (https://www.duden.de/woerterbuch; Zugriff am 5.9.2022)

Edgar, Robert/Marland, John/Rawle, Steven (2015). The Language of Film. London/New York (2. Auflage; Erstausgabe 2010)

Elsaesser, Thomas/Buckland, Warren (2002): Studying Contemporary American Film. London u.a.

Faulstich, Werner (1988): Die Filminterpretation. Göttingen

Faulstich, Werner (2008): Grundkurs Fernsehanalyse. München

Faulstich, Werner (2013): Grundkurs Filmanalyse. München (3.Auflage, Erstausgabe 2002)

Fleury, James/Hartzheim, Bryan Hikari/Mamber, Stephen (Hrsg.) (2019): The Franchise Era. Managing Media in the Digital Economy. Edinburgh

Frederking, Volker (Hrsg.) (2006): Filmdidaktik und Filmästhetik. Jahrbuch Medien im Deutschunterricht 2005. München

Geiger, Jeffrey/Rutsky, R.L. (Hrsg.) (2013): Film Analysis. A Norton Reader. New York/London (2. Auflage; Erstausgabe 2005)

Geimer, Alexander/Heinze, Carsten/Winter, Rainer (Hrsg.) (2018): Die Herausforderungen des Films. Soziologische Antworten. Wiesbaden

Geimer, Alexander/Heinze, Carsten/Winter, Rainer (Hrsg.) (2021): Handbuch Filmsoziologie. 2 Bände. Wiesbaden

Geraghty, Christine/Lusted, David (1998) (Hrsg.): The Television Studies Book. London/New York

Gibbs, John/Pye, Douglas (Hrsg.) (2005): Style and Meaning. Studies in the Detailed Analysis of Film. Manchester/New York

Gillespie, Marie/Toynbee, Jason (Hrsg.) (2006): Analysing Media Texts. Maidenhead

Gledhill, Christine/Williams, Linda (2000) (Hrsg.): Reinventing Film Studies. London/New York

Goliot Lété, Anne/Vanoye, Francis (2015): Précis d’Analyse Filmique. Paris (4.Auflage, Erst­ausgabe 1992)

Göttlich, Udo (2006): Die Kreativität des Handelns in der Medienaneignung. Konstanz

Gräf, Dennis/Großmann, Stephanie/Klimczak, Peter/Krah, Hans/Wagner, Marietheres (2017): Filmsemiotik. Eine Einführung in die Analyse audiovisueller Formate. Marburg (2. Auflage; Erstausgabe 2011)

Groebel, Jo (2014): Das neue Fernsehen. Mediennutzung – Typologie – Verhalten. Wiesbaden

Groß, Bernhard/Morsch, Thomas (Hrsg.) (2021): Handbuch Filmtheorie. Wiesbaden

Hagener, Malte/Pantenburg, Volker (Hrsg.) (2020): Handbuch Filmanalyse. Wiesbaden

Hampl, Stefan (2017): Videoanalysen von Fernsehshows und Musikvideos. Ausgewählte Fallbeispiele zur dokumentarischen Methode. Opladen u.a.

Hasebrink, Uwe/Mikos, Lothar/Prommer, Elizabeth (2004): Mediennutzung in konvergierenden Medienumgebungen: Eine Einführung. In: dies. (Hrsg.): Mediennutzung in konvergierenden Medienumgebungen. München, S.9–17

Henzler, Bettina/Pauleit, Winfried (Hrsg.) (2008): Filme sehen, Kino verstehen. Methoden der Filmvermittlung. Marburg

Hickethier, Knut (1994) (Hrsg.): Aspekte der Fernsehanalyse. Methoden und Modelle. Münster/Hamburg

Hickethier, Knut (2012): Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart/Weimar (5., aktualisierte und erweiterte Auflage; Erstausgabe 1993)

Hill, John/Church Gibson, Pamela (1998): The Oxford Guide to Film Studies. Oxford u.a.

Hofmann, Anna/Lassacher, Martina (2013): Kino erleben und begreifen. Filmanalyse mit Kindern und Jugendlichen. Wien

Hollows, Joanne/Jancovich, Mark (1995) (Hrsg.): Approaches to Popular Film. Manchester/New York

Holzwarth, Peter/Maurer, Björn (2019): Filme verstehen. Anleitung zur Filmanalyse im Studium am Beispiel des Spielfilms »Heidi«. München

Jenkins, Henry (2006): Convergence Culture. Where Old and New Media Collide. New York/London

Jenner; Mareike (2018): Netflix & the Re-Invention of Television. Cham

Johnson, Derek (2013): Media Franchising. Creative License and Collaboration in the Culture Industries. New York/London

Joost, Gesche (2008): Bild-Sprache. Die audio-visuelle Rhetorik des Films. Bielefeld

Jost, Roland/Kammerer, Ingo (2012): Filmanalyse im Deutschunterricht: Spielfilmklassiker. München

Kamp, Werner/Braun, Michael (2011): Filmperspektiven. Filmanalyse für Schule und Studium. Haan-Gruiten

Kanzog, Klaus (2007): Grundkurs Filmsemiotik. München

Kappelhoff, Hermann (2018): Kognition und Reflexion: Zur Theorie filmischen Denkens. Berlin/Boston

Kapell, Matthew William/Lawrence, John Shelton (Hrsg.) (2006): Finding the Force of the »Star Wars« Franchise. New York u.a.

Keane, Stephen (2007): CineTech. Film, Convergence and New Media. Basingstoke/New York

Keutzer, Oliver/Lauritz, Sebastian/Mehlinger, Claudia/Moormann, Peter (2014): Filmanalyse. Wiesbaden

Korte, Helmut (2010): Einführung in die Systematische Filmanalyse. Ein Arbeitsbuch. Berlin (4., neu bearbeitete und erweiterte Auflage; Erstausgabe 1999)

Korte, Helmut/Faulstich, Werner (1988) (Hrsg.): Filmanalyse interdisziplinär. Göttingen

Kuchenbuch, Thomas (2005): Filmanalyse. Theorien – Modelle – Kritik. Wien u. a. (2. Auflage; Erstausgabe 1978)

Kurwinkel, Tobias/Schmerheim, Philipp (2013): Kinder- und Jugendfilmanalyse. Konstanz/München

Lobato, Ramon (2019): Netflix Nations. The Geography of Digital Distribution. New York

Lotz, Amanda D. (2022): Netflix and Streaming Video. The Business of Subscriber-Funded Video on Demand. Cambridge/Medford

Lury, Karen (2005): Interpreting Television. London/New York

Marotzki, Winfried/Niesyto, Horst (Hrsg.) (2006): Bildinterpretation und Bildverstehen. Methodische Ansätze aus sozialwissenschaftlicher, kunst- und medienpädagogischer Perspektive. Wiesbaden

Marshall, Jill/Werndly, Angela (2002): The Language of Television. London/New York

McKee, Alan (2003): Textual Analysis. A Beginner’s Guide. London u.a.

McQueen, David (1998): Television. A Media Student’s Guide. London u.a.

Metz, Christian (1972): Semiologie des Films. München (Originalausgabe 1968)

Mikos, Lothar (2005): Der Faszination auf der Spur. Zur Bedeutung der Film- und Fernsehanalyse in der Medienpädagogik. In: Medien Concret, 9, S.64–67

Mikos, Lothar (2008): Understanding Text as Cultural Practice and Dynamic Process of Making Meaning. In: Barker, Martin/Mathijs, Ernest (Hrsg.): Watching the »Lord of the Rings«. Tolkien’s World Audiences. New York u. a., S.207–212

Mikos, Lothar/Eichner, Susanne/Prommer, Elizabeth/Wedel, Michael (2007): Die »Herr der Ringe«-Trilogie. Attraktion und Faszination eines populärkulturellen Phänomens. Konstanz

Miller, Toby (2010): Television Studies. The Basics. Abingdon/New York (2. Auflage; Erstausgabe 2002)

Mitry, Jean (2000): Semiotics and the Analysis of Film. Bloomington/Indianapolis (Originalausgabe 1987: La Sémiologie en Question. Langage et Cinéma)

Monaco, James (2009): Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen Medien. Reinbek (3. Auflage, Erstausgabe 1980, Originalausgabe 1977)

Nelmes, Jill (Hrsg.) (2012): An Introduction to Film Studies. London/New York (5. Auflage; Erstausgabe 1996)

Ottiker, Alain (2019): Filme analysieren und interpretieren. Ditzingen

Peltzer, Anja/Keppler, Angela (2015): Die soziologische Film- und Fernsehanalyse. Eine Einführung. Berlin/Boston

Phillips, William H. (2009): Film. An Introduction. Boston/New York (4. Auflage; Erstausgabe 1999)

Pudowkin, Wsewolod (1928): Filmregie und Filmmanuskript. Berlin

Ryan, Michael/Lenos, Melissa (2020): An Introduction to Film Analysis. Technique and Meaning in Narrative Film. New York u.a.

Salt, Barry (2009): Film Style and Technology: History and Analysis. London (3. Auflage; Erstausgabe 1983)

Salt, Barry (2006): Moving into Pictures. More on Film History, Style, and Analysis. London

Schneeberger, Agnes (2021): Audiovisual Media Services in Europe. Supply Figures and AVMSD Jurisdiction Claims – 2020. Straßburg

Schnell, Ralf (2000): Medienästhetik. Zu Geschichte und Theorie audiovisueller Wahrnehmungsformen. Stuttgart/Weimar

Smith, Michael D./Telang, Rahul (2016): Streaming, Sharing, Stealing. Big Data and the Future of Entertainment. Cambridge/London

Spielmann, Raphael (2011): Filmbildung! Traditionen – Modelle – Perspektiven. München

Thompson, Kristin (2007): The Frodo Franchise. »The Lord of the Rings« and Modern Hollywood. Berkeley, CA u.a.

Truffaut, François (1972): A Kind Word for Critics. In: The Harpers Monthly, 10, 1977, S. 95-101

Vallet, Yannick (2019): La grammaire du cinéma. De l’écriture au montage: les techniques du langage filmé. Malakoff (2. Auflage; Erstausgabe 2016)

Wagner, Ulrike/Gebel, Christa/Eggert, Susanne (2006): Muster konvergenzbezogener Medienaneignung. In: Wagner, Ulrike/Theunert, Helga (Hrsg.): Neue Wege durch die konvergente Medienwelt. München, S.83–124

Wasko, Janet (Hrsg.) (2005): A Companion to Television. Malden u.a.

Wasko, Janet (2008): »The Lord of the Rings« Selling the Franchise. In: Barker, Martin/Mathijs, Ernest (Hrsg.): Watching »The Lord of the Rings«. Tolkien’s World Audiences. New York u. a., S.21–36

Wegener, Claudia (2016): Aufwachsen mit Medien. Wiesbaden

Wharton, David/Grant, Jeremy (2007): Teaching Analysis of Film Language. London

Wickham, Phil (2007): Understanding Television Texts. London

Wildfeuer, Janina/Bateman, John A. (Hrsg.) (2019): Film Text Analysis. New Perspectives on the Analysis of Filmic Meaning. Abingdon/New York

Wulff, Hans J. (1999): Darstellen und Mitteilen. Elemente der Pragmasemiotik des Films. Tübingen Berger

Zahn, Manuel (2012): Ästhetische Film-Bildung. Studien zur Materialität und Medialität filmischer Bildungsprozesse. Bielefeld

Teil I: Theorie und Methodik

1Die KommunikationsmedienKommunikationsmedien Film und Fernsehen

Filme und Fernsehsendungen sind als Medien der Kommunikation in die gesellschaftlichen Kommunikations- und InteraktionsverhältnisInteraktionsverhältnisse eingebettet. Filme und Fernsehsendungen müssen daher grundsätzlich als Kommunikationsmedien verstanden werden. Ein Film ist zwar zunächst das Ergebnis eines künstlerischen Produktionsprozesses und in diesem Sinn als WerkWerk zu sehen, doch verfolgen selbst Filmkünstler:innen, die sich als Autor:innen verstehen, die Absicht, mit einem Publikum in Kommunikation zu treten, sei es, weil sie etwas mitzuteilen haben, sei es, weil sie von der Arbeit des Filmemachens leben und ihren Lebensunterhalt nur verdienen können, wenn ein zahlendes ZuschauerPublikum den Film zu einem mehr oder minder kommerziellen Erfolg macht. Soll die Kommunikation mit dem Publikum gelingen, muss im Prozess des Filmemachens bereits auf mögliche Erwartungen des Publikums sowie auf Kognitionkognitive und Emotionemotionale Fähigkeiten der Zuschauer:innen Bezug genommen werden. Eine Fernsehsendung kann zwar als pure UnterhaltungUnterhaltung genutzt werden, dennoch wird die Zuschauerin die Sendung vielleicht langweilig finden und sich Gedanken über die Absicht der Produzent:innen machen. Die Beispiele zeigen, dass Filme und Fernsehsendungen als bedeutungsvolles symbolisches Materialsymbolisches Material gesehen werden müssen, das nur im Rahmen bedeutungsvoller Diskurse Sinn ergibt. Sie dienen der indirekten Kommunikation zwischen Menschen. Von der direkten, sogenannten Face-to-Face-Kommunikation unterscheidet sich die indirekte Kommunikation dadurch, dass sie über technische Medien vermittelt stattfindet: Medien, die sich an eine anonyme, heterogene Masse richten (Massenmedien), und Medien, die sich an einzelne Personen richten (Individualmedien). Film und Fernsehen sind den Massenmedien zuzuordnen, auch wenn Streamingdienste mittels Algorithmen ein scheinbar individualisiertes Angebot bereitstellen. Einzelne Filme und Fernsehsendungen sind dann Bedeutungsträger in der indirekten Kommunikation. Sie ergeben sowohl für Produzent:innen als auch für Zuschauer:innen Sinn, SinnhaftigkeitSinn.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in der Kommunikation zwischen audiovisuellen Werken und Zuschauer:innen nicht nur um BedeutungsbildungBedeutungsbildung geht. Darauf hat auch James B. Twitchell (1992, S.203) hingewiesen, der in Bezug auf das Fernsehen kritisch angemerkt hat, dass sich die Auseinandersetzung mit diesem Medium vor allem auf die Inhalte konzentriert hat, nicht aber auf das Fernsehen als Erlebnis, erlebenErlebnis. Rituelles Fernsehen als Tätigkeit eines zuschauenden Subjekts erschöpft sich im Akt des Sehens selbst und zielt nicht auf eine Bedeutungsproduktion anhand gesendeter InhaltInhalte ab. Das Sinnhafte der Tätigkeit ist nur aus den sozialen KontextKontexten zu erschließen, in die sie eingebettet ist. Allerdings sind frühere Erfahrungen mit dem Fernsehen bereits im Ritual selbst kondensiert.

Die Film- und Fernsehanalyse muss davon ausgehen, dass die zu untersuchenden Gegenstände (Filme, Fernsehsendungen und andere audiovisuelle Bewegtbilder) eine Kommunikation mit ihren Zuschauer:innen eingehen. Das geschieht auf zweifache Weise: Einerseits werden sie von Zuschauer:innen betrachtet bzw. rezipiert, andererseits werden sie von Zuschauer:innen benutzt bzw. angeeignet. Meines Erachtens ist es wichtig, diese Unterscheidung zwischen RezeptionRezeption und Aneignung (sozial-kommunikative)Aneignung zu treffen, denn dadurch wird ermöglicht, die konkrete Interaktion zwischen einem Film und seinen Zuschauer:innen analytisch von der weiteren Aneignung des Films, z. B. im Gespräch mit Freund:innen und Bekannten, zu trennen.

Mit Rezeption ist die konkrete Zuwendung zu einem Film oder einer Fernsehsendung gemeint. In der Rezeption verschränken sich die StrukturStrukturen des Film- oder Fernsehtextes und die Bedeutungszuweisung sowie das Erleben durch die Zuschauer:innen. Es findet eine Interaktion zwischen den Film- und Fernsehtexten und den Zuschauer:innen statt (vgl. Hackenberg 2004; Höijer 1992a und 1992b). Der aktiver Rezipientaktive Rezipient erschafft in der Rezeption den sogenannten rezipierten TextText (vgl. auch Mikos 2001a, S.71ff.; Mikos 2001b, S.59f.), der gewissermaßen die konkretisierte Bedeutung des »Originaltextes« darstellt. Der rezipierte Text ist der Film, den der/die Zuschauer:in gesehen hat, der mit seinen Bedeutungszuweisungen und seinen Erlebnisstrukturen angereicherte Film. Er ist das Ergebnis der Interaktion zwischen Film- oder Fernsehtext und Zuschauer:in. Kappelhoff (2018, S. 11ff.) betont dagegen den Prozess der WahrnehmungWahrnehmung, indem er die „Poiesis des Filme-Sehens“ als kreativen Akt der Rezeption hervorhebt.

Mit Aneignung ist dagegen die Übernahme des rezipierten Textes in den alltags- und lebensweltlichen DiskursDiskurs und die soziokulturelle Praxis der Zuschauer:innen gemeint. Denn die soziale Wirklichkeit der Menschen besteht aus »kommunikativen Handlungen« (Knoblauch 2017, S. 179) und ist als Prozess zu verstehen, in dem Medien eine wichtige Rolle spielen. Eine Fernsehsendung kann Gegenstand weiterer Interaktionen und Handlungen sein, wenn sie z. B. dazu dient, in der Mittagspause am Arbeitsplatz ein Gespräch zu eröffnen. Menschen benutzen Filme und Fernsehsendungen sowohl zur GestaltungGestaltung ihrer eigenen IdentitätIdentität als auch zur Gestaltung ihrer sozialen Beziehungen. Die Unterscheidung zwischen Rezeption und Aneignung ist analytischer Natur, empirisch sind sie als Handlungen der Zuschauer:innen nicht zu trennen. Warum nun sind Rezeption und Aneignung für die Analyse von Filmen und Fernsehsendungen wichtig?

Für die Beantwortung dieser Frage muss man sich über die Beschaffenheit der Film- und Fernsehtexte klar werden. Wenn sich, wie es Angela Keppler (2001, S.131) formuliert hat, im medialen Produkt »die Perspektiven der ProduktionProduktion und der Rezeption auf eine bestimmte Weise« treffen, ist es Aufgabe der AnalyseAnalyse herauszufinden, auf welche Weise dies genau geschieht. Aus einer rezeptionsästhetischen Perspektive können dann nicht nur die »Medieninhalte als Kommunikationsangebote« (ebd.) verstanden werden, sondern das gesamte symbolisches Materialsymbolische Material der Fernsehsendungen und Filme, also auch NarrationNarration und DramaturgieDramaturgie sowie die gestalterischen Mittel, mit denen die AufmerksamkeitAufmerksamkeit der Zuschauer:innen erregt werden soll. Film- und Fernsehtexte werden in diesem Zusammenhang als Anweisungen zur Rezeption und Aneignung verstanden. Die Texte enthalten Handlungsanweisungen für die Zuschauer:innen (vgl. Mikos 2001a, S.177ff.) und strukturieren auf diese Weise deren Aktivitäten vor. »Nicht das Medium ist die Message, sondern seine RolleRolle in der sozialen Anwendung« (Hienzsch/Prommer 2004, S.148). Film – und auch Fernsehen – kann daher als soziale Praxis gesehen werden (vgl. Turner 2007). Das heißt nicht, dass Film- und Fernsehtexte die Rezeption durch die Zuschauer:innen determinieren. Sie machen lediglich Angebote, die von den Zuschauer:innen genutzt werden können, indem sie sich auf eine Interaktion mit dem jeweiligen Text einlassen. John Fiske (2011, S.95f.) spricht aus diesem Grund auch nicht von Texten, sondern von ihrer »TextualitätTextualität« bzw. von produzierbaren Texten. Damit ist gemeint, dass die Film- und Fernsehtexte nach einer Vervollständigung durch die Zuschauer:innen verlangen, sie werden erst im Akt der Wahrnehmung, Rezeption und Aneignung produziert. Nach diesem Verständnis können Filme und Fernsehsendungen auch keine abgeschlossenen Bedeutungen an sich haben, die z. B. Film- oder Fernsehwissenschaftler in einer Analyse »objektiv« freilegen könnten, sondern sie entfalten ihr semantisches und symbolisches Potenzial erst durch die aktiven Zuschauer:innen, d. h., sie können lediglich potenzielle BedeutungBedeutungen haben, sie bilden eine »semiotische Ressource« (Fiske).

»Vielleicht favorisiert ein Text manche Bedeutungen, er kann auch Grenzen ziehen, und er kann sein Potential einschränken. Andererseits kann es auch sein, daß er diese Präferenzen und Grenzen nicht allzu effektiv festschreibt« (Fiske 1993, S.12f.).

Film- und Fernsehtexte können also nur Angebote machen und mögliche LesartLesarten inszenieren, über die sie die AktivitätenAktivitäten der Zuschauer:innen vorstrukturieren. Eines können sie aber nicht: Sie können nicht die BedeutungBedeutung festlegen. Sie funktionieren als Agenten in der sozialen Zirkulation von Bedeutung und VergnügenVergnügen, denn sie können ihr Sinnpotenzial nur in den sozialen und kulturellen Beziehungen entfalten, in die sie integriert sind: »Texte funktionieren immer im gesellschaftlichen Kontext« (ebd., S.13). Erst da kommt ihre strukturierende Kraft zum Tragen. Die Aneignung von populären Texten wie Filmen und Fernsehsendungen ist nach Fiske am Schnittpunkt von sozialer und textueller Determination lokalisiert. Damit wird auch deutlich, dass sich Texte immer im Feld sozialer Auseinandersetzung befinden (vgl. Mikos 2001c, S.362). Für die Analyse heißt dies, dass die StrukturStruktur von Filmen und Fernsehsendungen zu den Rezeptions- und Aneignungsaktivitäten in Bezug gesetzt werden muss. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die strukturierende Kraft der Film- und Fernsehtexte in der Rezeption stärker ist als in der Aneignung, in der die soziokulturellen Kontexte, in die die Zuschauer eingebunden sind, wirksamer sind. Daher stehen die Rezeptionsaktivitäten im Vordergrund der folgenden Ausführungen, Aneignungsaktivitäten werden dort, wo es sinnvoll erscheint, in die Betrachtungen einbezogen.

Film- und Fernsehtexte sind grundsätzlich an ein Publikum gerichtet. Daher sind sie zum WissenWissen, zu den EmotionEmotionen und Affekten, zum praktischer Sinnpraktischen Sinn und zur sozialen Kommunikation der Rezipienten hin geöffnet.

Es lassen sich also vier Arten von Aktivitäten unterscheiden, die in der Rezeption und Aneignung eine Rolle spielen:

kognitive AktivitätenAktivitäten

Aktivitätenemotionale und affektive Aktivitäten

Aktivitätenhabituelle und rituelle Aktivitäten

Aktivitätensozial-kommunikative Aktivitäten

Sie alle sind an zwei grundlegende Modi Operandi gebunden, die den Umgang mit den Film- und Fernsehtexten ausmachen: das Film- und Fernsehverstehen und das Film- und FernseherlebenFernseherleben. In der Analyse geht es vor allem darum, diese Prozesse des Verstehens und Erlebens herauszuarbeiten. Film- und FernsehverstehenFernsehverstehen meint, anhand eines audiovisuellen Produkts zu untersuchen, wie es sich als bedeutungsvoller Text, der in den kulturellen Kreislauf von ProduktionProduktion und Rezeption eingebunden ist, konstituiert (vgl. Mikos 1998, S.3). Dazu müssen jedoch auch die Lebensweltlebensweltlichen Verweisungszusammenhänge einbezogen werden. Film- und Fernseherleben meint eine eigene ZeitZeitform mit eigenen Höhepunkten, »in denen das zu kulminieren scheint – sowohl das, das es auf der Leinwand zu besichtigen gilt, wie auch das Erleben selbst« (Neumann/Wulff 1999, S.4). Die Zuschauer:innen gehen selbstvergessen im Erlebnis, erlebenErlebnis auf (vgl. Renner 2002, S.153; vgl. auch Kapitel II.3.6). Film- und Fernseherleben schafft eigene Sinnstrukturen, die mit der Alltagswelt und den lebensweltlichen Verweisungszusammenhängen der Zuschauer:innen verknüpft sind.

1.1FernsehverstehenFilmverstehenFilm- und Fernsehverstehen

Filme und Fernsehsendungen ergeben Sinn, denn sie sind sowohl in der ProduktionProduktion als auch in der Rezeption an sinnhaftes soziales Handeln gebunden (vgl. dazu auch Hall 1980, S.130; Keppler 2001, S.129). Darüber treten sie in einen bedeutungsvollen DiskursDiskurs ein. Sie prägen die Lebensverhältnisse in der gegenwärtigen Gesellschaft (vgl. Keppler 2006, S.19ff.; Keppler 2021; Peltzer/Keppler 2015, S. 7ff.; Winter 2012). Wie bereits erwähnt, sind Film- und Fernsehtexte grundsätzlich zum Wissen der Rezipient:innen hin geöffnet (vgl. Wulff 1985, S.13). Um eine Filmszene zu verstehen, muss eine Zuschauerin zunächst einmal Informationen verarbeiten und sie in einen bedeutungsvollen Kontext bringen. Auf diese Weise erhält die Szene einen Sinn. Ein einfaches Beispiel mag das verdeutlichen: Um zu erkennen, dass es sich bei den FigurFiguren auf der Leinwand oder dem Bildschirm um Menschen handelt, die in einem Restaurant an einem Tisch sitzen, muss die Zuschauerin die ihr dargebotene Bildinformation verarbeiten. Sie muss wissen, was Menschen sind, was ein Restaurant ist und was ein Tisch ist. Darüber hinaus wissen wir, dass Menschen immer in bedeutungsvollen StrukturStrukturen handeln, aus ihnen können sie nicht heraustreten (vgl. Blumer 1973/2013). Das heißt in diesem konkreten Fall, dass die Zuschauerin auch um die Bedeutung von Menschen, Tischen und Restaurants weiß. Anhand des SettingSettings Mensch – Tisch – Restaurant werden Kontexte des Wissens aufgerufen, die deren Bedeutung im Rahmen sinnhaften sozialen Handelns an lebensweltliche Verweisungszusammenhänge zurückbinden. Dazu zählt z. B. das Wissen, dass Menschen nicht immer zu Hause essen, sondern sich auch mal in Restaurants von Köch:innen bekochen und von Kellner:innen bedienen lassen. Auf dieser Ebene nimmt die Zuschauerin zunächst lediglich Informationen aus dem Film- oder Fernsehbild auf und evaluiert sie im Rahmen von sinnhaften Handlungskontexten. Die Bedeutung der beschriebenen Restaurantszene im Film bzw. in der Fernsehsendung ergibt sich außerdem daraus, dass sie in einem narrativen Kontext steht. Die Zuschauerin kann aus der bisherigen ErzählungErzählung an dieser Stelle schließen, dass es in der dargebotenen Szene nicht in erster Linie um den Zusammenhang von Hunger und Essen, also die reine Nahrungsaufnahme geht, sondern dass das Gespräch, das die Personen beim Essen führen, bedeutsam ist. Es könnte sich beispielsweise um einen letzten Versöhnungsversuch eines Ehepaares handeln, das kurz vor der Scheidung steht, die letzte Mahnung eines Mafiabosses an eine Untergebene oder um ein Geschäftsessen, bei dem ein heimlicher Deal abgeschlossen wird.

Die Bedeutung dieser Szene ergibt sich aber nicht nur aus dem narrativen Kontext, sondern auch daraus, dass die Zuschauerin um diese Möglichkeiten weiß, weil sie sinnhaftes Handeln darstellen – in diesem Fall, dass Gespräche beim Essen eine besondere Bedeutung haben können und Mittelpunkt der Aktivität »Essen im Restaurant« sein können. Die Zuschauerin hat ein Wissen um die soziale Bedeutung von Restaurants, das sie nun in der Rezeption aktivieren kann, um die Szene nicht nur zu verstehen, sondern sie auch mit BedeutungBedeutung zu füllen. Dies ist möglich, weil der Filmtext zu ihrem Wissen hin geöffnet ist. Es ist leicht vorstellbar, wie komplex diese Bezüge werden, wenn es nicht um so einfache Alltagsbegebenheiten wie Restaurantbesuche und Gespräche geht, sondern z. B. um politische Macht, Hierarchien, Geschlechterverhältnisse, religiöse Praktiken, ökonomische Krisen und Ähnliches mehr.

Die Rolle des Wissens der Zuschauer:innen wird noch deutlicher, wenn es nicht nur um die Informationsverarbeitung des Abgebildeten oder Repräsentierten und die Bedeutungszuweisung des Erzählten geht, sondern wenn die textuellen Strategien nach der kognitiven Aktivität der Zuschauer:in verlangen. Hierbei spielen die sogenannten LeerstelleLeerstellen eine wichtige Rolle, die aus rezeptionsästhetischen Arbeiten der Literatur- und Kunstwissenschaft bekannt sind (vgl. dazu Adamowsky/Matussek 2004; Mikos 2001a, S.15ff.; Neuß 2002, S.17ff.) und auch in der Filmwissenschaft thematisiert wurden (vgl. Dablé 2012, S. 61ff. und 111ff.; Hanich 2012; Schwenk 2012). In ihnen zeigt sich die Appellstruktur der Texte (vgl. Iser 1979/1994; Mikos 2001a, S.177ff.). Leerstellen bilden gewissermaßen Lücken im Erzählfluss oder in der RepräsentationRepräsentation von RealitätWirklichkeit. Diese Lücken müssen die Zuschauer:innen mit ihrem Wissen füllen. In diesem Sinn sind sie Handlungsanweisungen an die Zuschauer:innen, ihr Wissen zu aktivieren und Bedeutungsbildungbedeutungsbildend und sinngenerierend tätig zu werden. Norbert Neuß (2002, S.19ff.) hat eine Typologie von Leerstellen am Beispiel von Kinderfilmen entwickelt. Danach entstehen Leerstellen im Film durch imaginäre ZeitZeiten und Räume, durch Sprachbilder und Metaphern, durch bildliche Symbole, durch die aktive Ansprache des Rezipienten und das Herstellen von »Wir-Gemeinsamkeit«, durch Fantasie öffnende Tätigkeiten, durch die Wahl der Perspektive und durch Abstraktion. Letzteres macht er am Beispiel von animierten Filmen deutlich, in denen abstrakte Bilder und SoundGeräusche die AktivitätenAktivitäten der Rezipient:innen anregen können. Das trifft auch auf die dargestellten Figuren zu. Je weniger detailreich z. B. die Zeichnung einer FigurFigur ist, desto mehr Raum ist vorhanden, um sie mit eigenem Wissen und eigenen Interpretationen zu füllen.

»So wird z. B. Wickie von ›Wickie und die starken Männer‹ von Kindern mal als Junge und mal als Mädchen interpretiert. Je nachdem, wie man diese Figur füllt, entstehen in dem Film ganz neue Perspektiven und Beziehungskonstellationen« (ebd., S.22).

Wenn in einem WesternWestern z. B. ein Mensch auf einem Berg steht und in die Ferne schaut, werden die Zuschauer:innen dazu angeregt, ihr Wissen zu aktivieren, um sich vorstellen zu können, was dieser Mensch wohl sieht und welche Gedanken ihm möglicherweise dabei durch den Kopf gehen. Zwar kann die Kamera noch zeigen, wohin der Blick schweift, aber die Gedanken lassen sich bildlich höchstens mit einer EinstellungsgrößeNahaufnahme des Gesichts andeuten. Die Zuschauerin ist an dieser Stelle gefragt, ihr Wissen einzusetzen, um die Bedeutung dieser Bilder im Rahmen des Erzählkontextes zu verstehen. Leerstellen entstehen in Film und Fernsehen auch durch Auslassungen. So sind in NachrichtensendungNachrichtensendungen häufig stereotype Bilder von politischen Treffen zu sehen. Nachdem einige Staatsmänner und Staatsfrauen zunächst einzeln beim Verlassen eines Flugzeugs gezeigt werden, sieht man sie anschließend in trauter Runde versammelt an einem riesigen Konferenztisch sitzen. Da es sich bei dieser Darstellung nicht um die filmische Dokumentation eines Ereignisses in Echtzeit handelt, sondern um die mediale Bearbeitung des dokumentarische Formendokumentarischen Ausgangsmaterials, das das Ereignis im Medium (re)präsentiert, wird nicht gezeigt, wie die Staatsmänner und ‑frauen vom Flughafen in den Konferenzraum gelangt sind. Diese Lücke müssen die Zuschauer:innen aufgrund der gezeigten Hinweise in dem Nachrichtenfilm mit ihrem Wissen schließen: Sie müssen Aktivitätenkognitiv aktiv werden.

Filme und Fernsehsendungen sind nicht nur zum Wissen der Zuschauer:innen hin geöffnet, sondern auch zur sozialen Kommunikation. Sie werden im Alltag benutzt, z. B. indem sie Gegenstand von Gesprächen mit Freund:innen, Verwandten und Bekannten werden, sie als »kommunikative Ressource« dienen (Keppler 2008, S.211). Der Gebrauch der Medien im Alltag wird als kommunikative Aneignung (sozial-kommunikative)Aneignung bezeichnet (vgl. Faber 2001; Hepp 1998, S.23ff.; Holly 2001, S.13ff.; Klemm 2000, S.72ff.; Weber 2015). Dabei werden Filme und Fernsehsendungen nicht nur bewertet, sondern im Rahmen der Kommunikation wird auch ihre BedeutungsbildungBedeutung ausgehandelt (vgl. Podschuweit 2021), z. B. in Familiengesprächen (vgl. Keppler 1994/2008, S.220ff.) oder in Paarbeziehungen (vgl. Linke 2010, S. 113ff.). In direkter Kommunikation wird geprüft, ob und wie sie im Alltag und in der LebensweltLebenswelt Sinn ergeben und sinnhaft in die alltäglichen Lebens- und Kommunikationsverhältnisse integriert werden können. Die textuellen StrukturStrukturen von Filmen und Fernsehsendungen können Hinweise darauf enthalten. Sie generieren Vorschläge, wie sie mit den Lebensverhältnissen des Publikums in Beziehung treten können. Martin Barker (2000, S.37) hat dies ihre »Modalitäten des Gebrauchs« genannt. Ein Film kann so über seine textuellen Strukturen anzeigen, wie er vom Publikum benutzt werden und kommunikativ angeeignet werden will. Wenn z. B. in Horrorfilmen zahlreiche visuelle und narrative Anspielungen auf frühere Filme des Genres inszeniert werden, ist das u. a. eine Handlungsanweisung auf eine kommunikative Aneignung im Kreis von Fans dieses Genres. Sie werden sich mit Freund:innen über die erkannten Anspielungen austauschen und so nach und nach die Intertextualitätintertextuellen Bezüge des Films erschließen. Ratgebersendungen im Fernsehen bieten nicht nur Informationen zu bestimmten Themen, die das Wissen der Zuschauer:innen erweitern, sondern sie sind auch auf die kommunikative Aneignung und den Gebrauch im Alltag gerichtet. Wenn z. B. Tipps für das Katerfrühstück am Neujahrstag gegeben werden, ist damit einerseits strukturell die Anregung für die Zuschauer:innen verbunden, sie am betreffenden Tag in die Tat umzusetzen, andererseits können sie auch im Rahmen des sozialen Umfelds als Meinungsführer:innen auftreten und die Tipps an Freund:innen, Nachbar:innen, Kolleg:innen und Familienmitglieder weitergeben (vgl. zum Konzept des Meinungsführers exempl. Schenk 2007, S.320ff.). In diesem Sinn können Film- und Fernsehtexte ihre Zuschauer:innen anregen, sozial-kommunikativ Aktivitätenaktiv zu werden und sie in die soziale Zirkulation von BedeutungBedeutung einzuspeisen.

In der AnalyseAnalyse können die StrukturStrukturen der Film- und Fernsehtexte herausgearbeitet werden, die sie zum Wissen und der sozialen Kommunikation der Zuschauer:innen hin öffnen. Allerdings müssen dabei Differenzierungen vorgenommen werden. So gibt es verschiedene Wissensformen, zu denen die Texte hin geöffnet sind. Peter Ohler (1994, S.32ff.) hat zwischen generellem WissenWeltwissen, narrativem WissenWissen und dem WissenWissen um filmische Darbietungsformen unterschieden. Der »Rezipient muß mit Hilfe seines generellen Weltwissens aus den gezeigten Szenen Schlußfolgerungen hinsichtlich des nicht gezeigten Geschehens ziehen« (ebd., S.35). Weltwissen ist also nötig, um z. B. LeerstelleLeerstellen zu füllen. Das Wissen darum, dass man im Restaurant nach dem Essen bezahlen muss und der Bedienung ein Trinkgeld geben sollte, gehört diesem generellen Weltwissen an. Des Weiteren weist Ohler dem narrativen Wissen bei der Verarbeitung filmischer Geschichten eine zentrale Rolle zu. Dabei handelt es sich um Wissen über typische Plots, Rollen von ProtagonistProtagonist:innen, Handlungssequenzen und Handlungssettings im Rahmen typischer Genres. Zum narrativen Wissen gehört z. B., dass ein Überfall, der von Polizist:innen beobachtet wird, eine VerfolgungsjagdVerfolgungsjagd nach sich ziehen kann und dass hier Gut gegen Böse kämpft. Dazu gehört das Wissen um die Rolle der Moderator/-inModeratorin in einer GameshowGameshow ebenso wie das Wissen um den typischen Handlungsverlauf eines Fußballspiels, bei dem zwei Mannschaften in einem Stadion gegeneinander antreten, oder das Wissen darum, dass in einem Korrespondent:innenbericht in einer NachrichtensendungNachrichtensendung die Korrespondentin selbst irgendwann im Bild zu sehen sein wird. Dieses Wissen ist abstrakt und unabhängig von einer konkreten Moderatorin oder einer konkreten Korrespondentin, einem konkreten Stadion und den beiden konkreten Mannschaften. Die dritte Form des Wissens nach Ohler ist das Wissen über filmische Darbietungsformen. EinstellungsgrößeEinstellungsgrößen, SchnittSchnitte, KameraperspektiveKameraperspektiven, SoundToneffekte, MusikMusik und MontageMontage sind einige »dieser formalen Mittel, die dem Rezipienten als Cues (Hinweise, L.M.) dienen, die das Verständnis der filmischen NarrationNarration erleichtern und narrationsbezogene Erwartungen generieren helfen« (ebd., S.36). Hierzu gehört z. B. das Wissen, dass zwei Personen, die im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren aneinandergeschnitten sind, sich offenbar in einem DialogDialog befinden oder, dass dramatische Musik ein spannendes Ereignis ankündigt. Das narrative Wissen und das Wissen um die filmischen Darbietungsformen sind miteinander verknüpft.

In diesem Zusammenhang spricht Dieter Wiedemann (1993, S.49) auch von »mentalen DramaturgieDramaturgien«. In der AnalyseAnalyse kann nun herausgearbeitet werden, welches narrative WissenWissen erforderlich ist, um die StoryGeschichte eines Films oder einer Fernsehsendung im Kopf entstehen zu lassen, und welches WissenWissen um filmische Darbietungsformen dabei eine Rolle spielt. Beide Wissensbestände stehen in Bezug zum WissenWeltwissen. Es geht also nicht nur darum, was erzählt wird, sondern wie es erzählt wird und welche Rolle das für die Geschichte im Kopf spielt. Die Wissensformen sind nicht naturgegeben vorhanden, sondern müssen erst erworben werden. Der Umgang mit audiovisuellen Medien ist für jeden Menschen ein Lernprozess. In der audiovisuellen Sozialisation werden die Konvention