Finale - Stephanie Garber - E-Book
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Finale E-Book

Stephanie Garber

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Beschreibung

Ein Spiel um Magie und Gefühle: das große Finale der gefeierten »Caraval«-Trilogie    Wer ist Sieger, wer Verlierer? Im Abschlussband um das magischste Spiel aller Zeiten entfesselt Stephanie Garber ergreifende Fantasy, die das Herz aus dem Takt bringen kann.   Das magische Festival Caraval fordert stets einen Tribut, selbst wenn das Spiel längst vorbei ist. Denn Master Legend ist der Herr der Illusion. Seine Magie hat das Spiel Caraval erschaffen, doch er will mehr. Viel mehr. Für Donatella und ihre Schwester Scarlett beginnt ein Wettlauf um das ihr Leben, in dem Freund und Feind nicht klar zu erkennen sind. Wem können sie vertrauen? Was hat Legend vor? Gibt es einen Ausweg oder werden sie am Ende alles verlieren?   »Finale« trägt seinen Titel völlig zu Recht: Der krönende Abschluss der romantischen Fantasy-Reihe für Jugendliche ist ein fulminanter letzter Akt, der seine LeserInnen von der ersten Seite packt und Sie bis zum letzten Satz mitreißt. Selten zeigt sich Fantasy so gefühlvoll und tiefgründig, so vertrackt und doch so vertraut.    »Über alle Maßen fantasievoll und verzaubernd ... pure Magie.« – Cecelia Ahern    Stephanie Garber hat mit der »Caraval«-Trilogie ein unvergleichliches Fantasy-Epos geschrieben. Ihre Erzählung über die Machenschaften von Legend, die Herzen der Schwestern Donatella und Scarlett und den Zauber des Spiels ist einzigartig in der Young-Adult-Literatur und hat der Autorin treue Fans auf der ganzen Welt eingebracht.   Es ist doch nur ein Spiel?   Bist du bereit, alles zu geben? Tauche ein in die beispiellose Fantasy-Trilogie und lasse dich von »Caraval«, »Legendary« und »Finale« verzaubern. Achtung, Lieblingsbuchgefahr!  

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Diana Bürgel

© Copyright 2019 by Stephanie GarberPublished by Arrangement with Stephanie GarberTitel der amerikanischen Originalausgabe:»Finale« bei Flatiron Books, New York 2019© ivi, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2020Covergestaltung: zero-media.net, München nach einem Entwurf von Erin Fitzsimmons ShappellCoverabbildung: Erin Fitzsimmons Shappell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Motto

Vor dem Anfang

Scarlett Dragnas Zimmer war …

Der Anfang

1

Donatella

2

Donatella

3

Donatella

4

Donatella

5

Donatella

6

Donatella

7

Scarlett

8

Scarlett

9

Scarlett

10

Donatella

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Donatella

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Donatella

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Donatella

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Donatella

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Donatella

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Donatella

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Scarlett

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Donatella

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Scarlett

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Donatella

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Scarlett

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Donatella

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Scarlett

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Donatella

Die Mitte

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Donatella

26

Scarlett

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Donatella

28

Scarlett

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Scarlett

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Donatella

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Scarlett

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Donatella

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Donatella

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Donatella

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Donatella

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Donatella

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Scarlett

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Donatella

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Donatella

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Donatella

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Donatella

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Scarlett

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Donatella

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Donatella

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Donatella

46

Scarlett

Das Beinahe-Ende

47

Donatella

48

Scarlett

49

Donatella

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Scarlett

51

Scarlett

52

Scarlett

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Scarlett

54

Donatella

55

Scarlett

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Scarlett

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Donatella

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Scarlett

59

Donatella

Das wahre Ende

Willkommen, willkommen

Scarlett

Zugabe

Legend

Glossar

Danksagung

Für Sarah und Jenny.Ich brauche keine Einladung zu Caraval, weil ihr beide schon so viele meiner Träume wahr gemacht habt.

Jede Geschichte hat vier Teile: den Anfang, die Mitte, das Beinahe-Ende und das wahre Ende. Leider bekommt nicht jeder ein wahres Ende. Die meisten geben in dem Teil der Geschichte auf, in dem alles zum Schlimmsten steht, in dem die Situation hoffnungslos erscheint. Doch genau dann ist die Hoffnung am wichtigsten. Nur jene, die durchhalten, können ihr wahres Ende finden.

Vor dem Anfang

Scarlett Dragnas Zimmer war ein Palast der Wunder und des Zaubers der Illusion. Für jemanden jedoch, der vergessen hatte, wie man seine Fantasie gebrauchte, sah es vielleicht auch nur aus wie ein Kleiderchaos. Granatrote Gewänder lagen überall auf dem elfenbeinweißen Teppich verstreut, und am Gestänge des schmiedeeisernen Himmelbetts hingen coelinblaue Roben und schwangen leicht in der salzigen Brise, die durch das offene Fenster hereinwehte. Die Schwestern, die auf dem Bett saßen, schienen den Windhauch nicht zu bemerken – oder die Person, die davon begleitet in den Raum getreten war. Diese neue Erscheinung kam leise wie ein Dieb hereingeschlichen und verursachte auch keinerlei Geräusch, als sie sich dem Bett näherte, auf dem ihre Töchter spielten.

Scarlett, ihre älteste, war damit beschäftigt, den blütenrosa Unterrock glatt zu streichen, der ihr wie ein Cape um die Schultern hing, während sich ihre jüngere Schwester Donatella ein Stück cremeweißer Spitze um den Kopf wickelte, sodass es aussah, als trüge sie eine Augenklappe.

Ihre Stimmen waren hell und leicht und schillernd wie der junge Morgen. So, wie es nur Kinderstimmen sein konnten. Allein ihr Klang war reine Magie, er verwandelte das grelle Licht des Mittags in schimmernde Karamellsonnenflecken, die den Mädchen um die Köpfe tanzten wie Heiligenscheine aus Sternenstaub.

Sie wirkten beide wie Engel, bis Tella verkündete: »Ich bin ein Pirat, keine Prinzessin.«

Ihre Mutter wusste nicht, ob sie lächeln oder missmutig den Mund verziehen sollte. Ihre jüngste Tochter war ihr so ähnlich. Tella hatte das gleiche Rebellenherz und den gleichen Abenteuergeist. Diese Gaben waren zweischneidige Schwerter, die ihre Mutter immer mit großer Hoffnung, aber ebenso mit Angst erfüllt hatten, weil Tella deshalb vielleicht einmal dieselben Fehler begehen würde wie sie.

»Nein«, widersprach Scarlett mit mehr Vehemenz als sonst. »Gib das wieder her, das ist meine Krone! Ohne Krone kann ich keine Königin sein.«

Das Stirnrunzeln auf dem Gesicht ihrer Mutter gewann die Oberhand, als sie das Bett fast erreicht hatte. Normalerweise war Scarlett nicht so kampflustig wie Tella, doch nun hatten beide Mädchen eine sture Miene aufgesetzt und die kleinen Fäuste fest um je ein Ende einer Perlenkette geschlossen.

»Such dir eine andere Krone, das da ist mein Piratenschatz!« Tella riss einmal kräftig an der Kette, und schon flogen die Perlen durch das ganze Zimmer.

Plopp!

Plopp!

Plopp!

Geschickt fing ihre Mutter eine davon zwischen zwei schlanken Fingern auf. Die winzige Kugel war so rosa wie die Wangen ihrer Töchter, nun, da die Mädchen endlich aufgesehen und sie erblickt hatten.

Scarletts haselnussbraune Augen begannen feucht zu schimmern, sie war schon immer empfindsamer gewesen als ihre Schwester. »Sie hat meine Krone kaputt gemacht.«

»Die wahre Macht einer Königin beruht nicht auf ihrer Krone, mein Spatz.« Ihre Mutter legte sich eine Hand aufs Herz. Dann wandte sie sich an Tella.

»Willst du mir jetzt sagen, dass ich auch keinen Schatz brauche, wenn ich Pirat sein will? Oder dass mein größter Schatz genau hier ist?« Tella ahmte die Geste ihrer Mutter nach und legte sich die kleine Hand ebenfalls auf die Brust.

Bei Scarlett hätte ihre Mutter dies für eine aufrichtige Geste gehalten, aber Tellas Augen blitzten teuflisch. In Tella glomm ein Funke, der die ganze Welt entflammen oder ihr das so dringend benötigte Licht spenden konnte.

»Eigentlich würde ich sagen, dass dir dein größter Schatz gegenübersitzt. Es gibt nichts Kostbareres als die Liebe einer Schwester.« Damit umfasste sie die Hände ihrer Töchter und drückte sie.

Wenn es eine Uhr im Raum gegeben hätte, dann wäre sie in diesem Moment stehen geblieben. Manchmal bekommt eine Minute ein paar zusätzliche Sekunden geschenkt. In Augenblicken, die so wertvoll sind, dass das Universum ihnen mehr Raum gibt. Und dies war einer davon. Solche Pausen sind einem nicht oft vergönnt. Manche Menschen bekommen sie nie.

Davon hatten diese kleinen Mädchen jedoch keine Ahnung, denn ihre Geschichten hatten noch nicht begonnen, noch nicht richtig. Schon bald würde es jedoch losgehen, und dann würden die Schwestern jeden einzelnen gestohlenen Moment des Friedens und der Freude brauchen können, den sie kriegen konnten.

Der Anfang

1

Donatella

Als Legend zum ersten Mal in Tellas Träumen auftauchte, sah er aus, als wäre er geradewegs aus einer der Geschichten gestiegen, die man sich über ihn erzählte. Als Dante hatte er sich stets in Schwarz gekleidet, schwarz wie die Rose, die auf seinen Handrücken tätowiert war. In dieser Nacht jedoch, als Legend, trug er einen doppelreihigen Frack, rot wie die Verführung und mit Gold gefüttert, akzentuiert von einem dazu passenden Halstuch und dem für ihn so typischen Zylinder.

Schimmernde schwarze Haarlocken lugten unter der Hutkrempe hervor, die seine kohlschwarzen Augen beschirmte. Als er sie ansah, hellte sich der tiefdunkle Blick auf. Das Funkeln darin übertraf selbst das Dämmerungsglitzern des Wassers, in dem ihr kleines Boot trieb. Dies war nicht der ausdruckslose, kalte Blick von vor zwei Nächten, nachdem er sie aus den Schicksalskarten gerettet und dann herzlos zurückgelassen hatte. Heute Abend lächelte er wie ein verruchter Prinz, der aus dem Sternenzelt entkommen und jetzt bereit war, sie zum Himmel emporzuheben.

Uneingeladene Schmetterlinge flatterten in Tellas Bauch herum. Er war immer noch der schönste Lügner, den sie je gesehen hatte. Doch sie würde nicht zulassen, dass Legend sie so verzauberte, wie er es während der Vorführungen von Caraval getan hatte. Sie schlug ihm den Zylinder vom hübschen Kopf, so schwungvoll, dass ihr winziges Boot ins Schaukeln geriet.

Er fing den Hut mit Leichtigkeit auf. Seine Finger bewegten sich so schnell, dass sie geglaubt hätte, er habe ihre Reaktion vorausgesehen, wenn er ihr nicht so nahe gegenübergesessen hätte, dass sie einen Muskel an seiner glatten Kinnlinie zucken sehen konnte. Sie mochten sich zwar in einem Traum befinden, in dem der funkelnde Himmel an den Rändern in ein trübes Lila überging, so als lauerten Albträume ganz in der Nähe, doch Legend wirkte gestochen scharf und lebendig wie frisch geschnittenes Holz.

»Ich dachte, du würdest dich freuen, mich zu sehen«, sagte er.

Sie schenkte ihm ihren boshaftesten Blick. Der Schmerz ihrer letzten Begegnung war immer noch zu frisch, als dass sie ihn hätte verbergen können. »Du bist gegangen. Du hast mich auf diesen Stufen zurückgelassen, obwohl ich mich nicht einmal bewegen konnte. Jacks hat mich zum Palast zurückgetragen.«

Legend verzog den Mund. »Dann hast du also nicht vor, mir das zu verzeihen?«

»Du hast bisher nicht gesagt, dass es dir leidtut.«

Hätte er es getan, dann hätte sie ihm verziehen. Sie wollte ihm verzeihen. Sie wollte glauben, dass Legend nicht so anders war als Dante und dass sie mehr für ihn war als eine Spielfigur. Sie wollte glauben, dass er sie in jener Nacht aus Furcht zurückgelassen hatte. Doch er schien keinerlei Reue zu empfinden, sondern wirkte stattdessen verärgert darüber, dass sie immer noch wütend auf ihn war.

Der Himmel wurde noch dunkler, als wabernde violette Wolken die Mondsichel in zwei Teile zerschnitten, die nun wie ein zerbrochenes Lächeln am Himmel hingen.

»Es gab da etwas, um das ich mich kümmern musste.«

Ihre Hoffnung sank, als sie die Kälte in seiner Stimme hörte.

Rußgeruch erfüllte die Luft um sie, als über ihren Köpfen Feuerwerkskörper zu glitzernden granatapfelroten Kugeln zerbarsten, was sie an die feurige Vorführung von vor zwei Nächten erinnerte.

Als Tella aufblickte, sah sie, wie sich die Funken zum Umriss von Elantines Palast zusammenfügten – der nun Legends Palast war. Genau genommen empfand sie sogar Bewunderung dafür, dass Legend ganz Valenda überzeugt hatte, er sei der wahre Thronerbe des Meridianreiches. Gleichzeitig erinnerte sie dieser Betrug daran, dass Legends Leben aus nichts als Spielen errichtet war. Tella wusste nicht einmal, ob er den Thron der Macht oder des Prestiges wegen beanspruchte oder ob er einfach die größte Vorstellung darbieten wollte, die das Reich jemals gesehen hatte. Vielleicht würde sie es nie wissen.

»Du musstest mich nicht auf eine so kalte und grausame Art zurücklassen«, sagte sie. Legend holte tief Luft, und auf einmal schlugen hungrige Wellen gegen das Boot. Schaukelnd trieb es den schmalen Kanal entlang auf einen glühenden Ozean zu. »Ich habe es dir doch gesagt, Tella. Ich bin nicht der Held in deiner Geschichte.«

Anstatt jetzt zu gehen, beugte er sich jedoch noch näher zu ihr. Die Nacht wurde wärmer, als er ihr so in die Augen sah, wie sie es sich vor ihrem letzten Abschied gewünscht hatte. Er roch nach Magie und Herzschmerz, und irgendetwas an dieser Kombination brachte sie auf den Gedanken, dass er trotz seiner Behauptung vielleicht doch ihr Held sein wollte.

Oder vielleicht wollte er sie auch nur dazu bringen, sich weiterhin nach ihm zu sehnen.

Caraval mochte vorüber sein, aber Tella war noch hier, in einem Traum mit Legend, während sie über ein Gewässer aus Sternenstaub und Mitternacht dahintrieben und weiter Feuerwerksfunken vom Himmel fielen, als wollten die Himmel selbst ihn krönen.

Tella versuchte, das Feuerwerk abzustellen – immerhin war dies hier ihr Traum –, doch die Kontrolle schien bei Legend zu liegen. Je mehr sie sich gegen den Traum wehrte, desto zauberhafter wurde er. Die Luft roch noch süßer, und die Farben wurden noch strahlender, und schließlich sprangen Meerjungfrauen mit tropisch türkisblauen Zöpfen und perlrosa Fischschwänzen aus dem Wasser und winkten Legend zu, bevor sie wieder untertauchten.

»Du nimmst dich sehr wichtig«, sagte sie. »Ich habe dich nie darum gebeten, mein Held zu sein.«

Legend und sie hatten vor zwei Nächten beide Opfer gebracht – sie hatte sich selbst zur Gefangenschaft im Schicksalsdeck verdammt, zum Teil, um ihn damit zu schützen, und er hatte die Schicksalsmächte befreit, um sie zu retten. Etwas so Romantisches hatte noch nie jemand für Tella getan. Sie wollte aber mehr als Romantik. Sie wollte sein wahres Selbst.

Allerdings war sie nicht ganz sicher, ob es einen wahren Legend überhaupt gab. Und wenn, dann würde er wohl niemanden nah genug an sich heranlassen, um ihn sehen zu können.

Er setzte sich den Zylinder wieder auf den Kopf. Er war wirklich schön, so schön, dass es beinahe wehtat. Gleichzeitig schien er sehr viel mehr der Vorstellung von Legend zu entsprechen als einem echten Menschen oder dem Dante, den sie gekannt und in den sie sich verliebt hatte.

Tellas Herz zog sich zusammen. Sie hatte sich nie in jemanden verlieben wollen. Und in diesem Moment hasste sie ihn dafür, dass er sie dazu gebracht hatte, so vieles für ihn zu empfinden.

Ein letzter Feuerwerkskörper explodierte am Himmel und tauchte die ganze Traumlandschaft in das strahlendste Blau, das sie jemals gesehen hatte. Es war die Farbe der wahr gewordenen Wünsche und der verwirklichten Fantasien. Und während die Funken herabschwebten, erklang Musik, so lieblich, dass selbst die Sirenen neidisch geworden wären.

Er versuchte, sie zu blenden. Damit war es jedoch ganz ähnlich wie mit der Romantik: Fantastisch, solange es dauerte, aber es dauerte nie lange genug. Und Tella wollte mehr. Sie wollte keines jener namenlosen Mädchen sein, die in den vielen Geschichten um Legend auftauchten. Ein Mädchen, das auf alle seine Worte hereinfiel, nur weil er sich im Boot zu ihr vorbeugte und sie ansah, während Sterne in seinen Augen tanzten.

»Ich bin nicht hergekommen, um mit dir zu streiten.« Legend hob die Hand, als wollte er sie berühren, doch dann streckte er sie stattdessen über die Reling des Bootes und spielte versonnen mit den Mitternachtswellen. »Ich wollte feststellen, ob du meine Nachricht bekommen hast, und ich wollte dich fragen, ob du den Preis dafür willst, dass du Caraval gewonnen hast.«

Sie tat so, als würde sie darüber nachdenken, während sie sich jedes Wort seines Briefes in Erinnerung rief. Er hatte Hoffnung in ihr geweckt, indem er ihr zum Geburtstag gratuliert und ihr ihren Preis angeboten hatte. Er hatte geschrieben, dass er warten würde, bis sie kam und ihn sich holte. Was er allerdings nicht geschrieben hatte, war, dass ihm irgendetwas davon leidtat, womit er sie verletzt hatte.

»Ich habe deine Nachricht gelesen«, antwortete Tella schließlich. »Aber ich habe kein Interesse an dem Preis. Ich bin fertig mit den Spielchen.«

Er lachte, tief und schmerzlich vertraut.

»Was ist denn so lustig?«

»Dass du so tust, als wären unsere Spielchen vorbei.«

2

Donatella

Legend sah aus wie ein frisch erwachter Sturm. Sein Haar war windzerzaust, seine gestrafften Schultern waren schneebestäubt, und die Knöpfe seines Mantels waren aus Eis gemacht. So kam er auf sie zugeschlendert, durch einen frostblauen Wald aus Raureif.

Tella trug einen kobaltblauen Fellmantel, den sie sich eng um die Schultern zog. »Du siehst aus, als wolltest du mich reinlegen.«

Ein verschlagenes Grinsen verzog seinen Mund. In der vorangegangenen Nacht war er ihr wie eine Illusion erschienen, doch nun kam er ihr mehr wie Dante vor, gekleidet in sein vertrautes Schwarz. Dante war jedoch meistens warm, wohingegen Tella nicht anders konnte, als die frostige Luft ihres Traums auf Legends wahres Gemüt zu beziehen.

»Ich möchte nur wissen, ob du deinen Preis dafür haben willst, dass du Caraval gewonnen hast.«

Tella mochte zwar die Hälfte ihrer wachen Stunden damit zubringen, sich zu fragen, was das wohl für ein Preis sein mochte, aber sie zwang sich dazu, ihre Neugier zu zügeln. Als Scarlett damals Caraval gewonnen hatte, hatte sie einen Wunsch bekommen. Einen Wunsch hätte Tella gut gebrauchen können, doch sie hatte so eine Ahnung, dass Legend für sie sogar noch mehr in der Hinterhand hielt. Also hätte sie Ja gesagt … wäre da nicht dieses Gefühl gewesen, dass Legend genau diese Antwort unbedingt von ihr haben wollte.

3

Donatella

Jede Nacht besuchte Legend sie in ihren Träumen wie der Schurke aus einem Märchenbuch. Nacht um Nacht um Nacht um Nacht. Ohne Ausnahme, fast zwei Monate lang tauchte er auf, und jedes Mal verschwand er wieder, nachdem er dieselbe Antwort auf seine Frage bekommen hatte.

In dieser Nacht befanden sie sich in einer jenseitigen Version der Taverne in Legends Kirche. Unzählige Künstlerporträts von Legend sahen auf sie herab, während ein geisterhafter Klavierspieler eine getragene Melodie anstimmte, zu der gespenstisch dünne Gäste mit bunten Zylindern umhertanzten.

Tella saß in einem muschelförmigen Sessel in der Farbe des Nebels über einem Regenwald, während sich Legend ihr gegenüber auf einer gepolsterten Chaiselongue rekelte, grün wie die Zuckerwürfel, die er geschickt zwischen den Fingern rollte.

Nach jenem ersten Abend im Boot hatte er weder den Zylinder noch den roten Frack ein weiteres Mal getragen, womit er ihren Verdacht bestätigt hatte, dass es sich dabei eher um Teile eines Kostüms als seiner wahren Persönlichkeit handelte. Mittlerweile trug er wieder Schwarz – und er lachte und lächelte wieder, ganz so wie Dante.

Anders als Dante, der immer einen Grund gefunden hatte, um sie zu berühren, hielt sich Legend jedoch in den Träumen vollkommen fern von ihr. Wenn sie in einem Heißluftballon flogen, war der Korb so groß, dass keine Gefahr bestand, sie könnte versehentlich gegen ihn stoßen. Wenn sie durch einen Wasserfallgarten spazierten, hielt er sich am äußersten Wegesrand, damit ihre Arme nicht gegeneinanderstrichen. Tella wusste nicht, ob eine Berührung das Ende ihrer geteilten Träume bedeuten würde oder ob er seine Hände nur deshalb bei sich behielt, um auf eine weitere Art die Kontrolle über die Situation zu behalten, doch es ärgerte sie maßlos. Tella wollte diejenige sein, die ihr Zusammensein beherrschte.

Sie nippte an ihrem funkelnd grünen Likör. Er schmeckte für sie zu sehr nach Lakritze, aber es gefiel ihr, wie Legends Blick auf ihren Lippen ruhte, wenn sie trank. Er mochte es vermeiden, sie zu berühren, was ihn jedoch nicht davon abhielt, sie anzusehen.

In dieser Nacht waren seine Augen rot gerändert, sogar noch stärker als in den vergangenen Nächten. Die Zeit der Trauer um Kaiserin Elantine endete in zwei Tagen, was bedeutete, dass die letzten Stunden bis zu Legends offizieller Krönung gezählt waren. In zwölf Tagen würde er der gekrönte Kaiser sein. Sie fragte sich, ob die Vorbereitungen wohl ihren Tribut forderten. Manchmal sprach er über die Palastangelegenheiten und darüber, wie frustrierend der Kronrat war, doch heute schwieg er. Und ihn danach zu fragen, fühlte sich an, als würde sie ihm Punkte in dem Spiel zubilligen, das sie miteinander spielten. Denn es war ein Spiel, zweifellos, und Legend zu zeigen, wie wichtig er ihr immer noch war, verstieß eindeutig gegen die Regeln. Genau wie Berührungen.

»Du siehst müde aus«, sagte sie stattdessen. »Und deine Haare könnten mal geschnitten werden, sie hängen dir ja schon in die Augen.«

Sein Mundwinkel zuckte, und seine Stimme bekam etwas Neckendes. »Wenn ich so schlimm aussehe, warum starrst du mich dann so an?«

»Nur weil ich dich nicht mag, heißt das nicht, dass du nicht hübsch bist.«

»Wenn du mich wirklich nicht leiden könntest, dann würdest du mich auch nicht anziehend finden.«

»Ich habe nie behauptet, dass ich einen guten Geschmack habe.« Sie leerte ihr Glas.

Wieder ruhte sein Blick auf ihren Lippen, während er weiterhin die Absinth-Zuckerwürfel zwischen den langen Fingern rollte, die nun keine Tätowierungen mehr trugen. Die schwarze Rose auf seinem Handrücken war allerdings noch da. Immer wenn Tella sie sah, wollte sie ihn fragen, warum er gerade diese Tätowierung behalten hatte, wenn er doch alle anderen, wie die wunderschönen Schwingen auf seinem Rücken, abgestreift hatte, und ob das der Grund dafür war, warum er nun nicht mehr nach Tinte roch. Sie war auch neugierig, ob er wohl noch das Brandmal aus dem Sternentempel trug als Zeichen dafür, dass er weiterhin eine Lebensschuld bei ihnen hatte. Eine Schuld, die er für Tella auf sich genommen hatte.

Doch wenn sie ihn das fragte, würde es zweifellos als Fürsorglichkeit ausgelegt werden.

Glücklicherweise verstieß Bewunderung nicht gegen ihre unausgesprochenen Regeln. Wenn es so gewesen wäre, dann hätten sie beide dieses Spiel schon längst verloren. Normalerweise versuchte Tella, ein wenig diskreter zu sein, aber er war es nie. Legend war vollkommen unverhohlen, wenn er sie betrachtete.

In dieser Nacht kam er ihr jedoch etwas abgelenkt vor. Er hatte keine Bemerkung über ihr Kleid gemacht – er bestimmte den Ort, aber sie wählte ihr Erscheinungsbild selbst. Heute wies ihr fließendes Gewand einen skurrilen Blauton auf, einer der Träger war aus Blütenblättern gemacht, das Korsett aus Bändern, und der Rock bestand aus flatternden Schmetterlingen, die Tella hoffentlich wie eine Waldkönigin wirken ließen.

Legend bemerkte es nicht einmal, als einer der Schmetterlinge auf seiner Schulter landete. Immer wieder huschte sein Blick zu dem geisterhaften Klavierspieler. Bildete Tella sich das ein, oder war die Taverne tatsächlich düsterer, als es ihre anderen Träume gewesen waren?

Sie hätte schwören können, dass seine Chaiselongue einen strahlenden, lockenden Grünton aufgewiesen hatte, doch nun war sie zu fahlem Seeglas verblasst. Sie wollte ihn fragen, ob alles in Ordnung war, aber auch das hätte den Eindruck erweckt, sie würde sich um ihn sorgen.

»Willst du mir heute denn nicht deine Frage stellen?«

Sein Blick kehrte zu ihr zurück. »Weißt du, irgendwann beschließe ich vielleicht, mit dem Fragen aufzuhören und dir den Preis nicht zu geben.«

»Das wäre schön.« Sie seufzte, und einige der Schmetterlinge flogen auf. »Dann könnte ich endlich eine Nacht lang gut schlafen.«

Seine tiefe Stimme wurde noch tiefer. »Du würdest mich vermissen, wenn ich dich nicht mehr besuchen käme.«

»Da hast du eine entschieden zu hohe Meinung von dir.«

Er hörte auf, mit den Zuckerwürfeln zu spielen, und sah weg, wieder abgelenkt von dem Musiker auf der Bühne. Die Tonart passte nicht mehr zur Melodie, wodurch das Lied unharmonisch und misstönend klang. Die Geistertänzer im Raum reagierten darauf, indem sie über ihre eigenen Füße stolperten. Dann erscholl ein dröhnendes Krachen, und die Tänzer erstarrten.

Der Klavierspieler klappte auf seinem Instrument zusammen wie eine Marionette, deren Fäden man durchtrennt hatte.

Tellas Herz schlug wild. Legend hatte ihre Träume immer frustrierend gut im Griff, aber sie hatte nicht das Gefühl, dass er es war, der dies hier tat. Die Magie in der Luft roch nicht nach ihm. Magie duftete immer süß, doch diese hier war viel zu süß, fast faulig.

Als sie sich wieder Legend zuwandte, saß er nicht länger, sondern stand direkt vor ihr. »Tella.« Seine Stimme klang rauer als sonst. »Du musst aufwachen …«

Seine letzten Worte wurden zu Rauch, er selbst wurde zu Asche, und der Rest des Traums ging in giftgrüne Flammen auf.

Als Tella erwachte, schmeckte sie Feuer auf der Zunge, und in ihrer Hand ruhte ein toter Schmetterling.

4

Donatella

In der nächsten Nacht besuchte Legend ihre Träume nicht.

5

Donatella

Der verführerische Duft nach Honigwabenschlössern, Zimtbaumrinde, Carmelitas und Pfirsichglanz kam durch Tellas offenes Fenster hereingeschwebt, als sie erwachte, und füllte ihr winziges Schlafzimmer mit Zucker und Träumen. Doch sie schmeckte nichts anderes als ihren Albtraum. Er überzog ihre Zunge mit Feuer und Asche, genau wie am Tag zuvor.

Irgendetwas stimmte nicht mit Legend. Erst hatte Tella es nicht glauben wollen. Als ihr letzter gemeinsamer Traum in Flammen aufgegangen war, hatte sie das für ein weiteres seiner Spielchen gehalten. Aber als sie in der vergangenen Nacht in ihren Träumen nach ihm gesucht hatte, da hatte sie nichts als Rauch und Ruß gefunden.

Tella setzte sich auf, warf die dünne Decke zurück und zog sich rasch an. Es verstieß zwar gegen die Regeln, irgendetwas zu tun, das den Anschein von Zuneigung erweckte, doch sie würde nur zum Palast gehen, um dort ein wenig zu spionieren. Sie würde nicht einmal mit ihm sprechen, und er würde nie davon erfahren. Und wenn er wirklich in Schwierigkeiten steckte, dann scherte sie sich nicht mehr sonderlich um gebrochene Regeln.

»Tella, warum ziehst du dich denn so schnell an?«

Sie zuckte zusammen, und das Herz pochte ihr bis zum Hals, als sie ihre Mutter in den Raum treten sah. Aber es war nur Scarlett. Abgesehen von der Silbersträhne in Scarletts dunkelbraunen Locken glich sie ihrer Mutter Paloma fast bis aufs Haar. Die gleiche hochgewachsene Statur, die gleichen großen Haselnussaugen und die gleiche Olivenhaut, nur ein wenig dunkler als Tellas.

Über Scarletts Schulter warf Tella einen Blick ins Nebenzimmer. Natürlich war ihre Mutter noch immer in einem Zauberschlaf gefangen. Reglos wie eine Puppe lag sie auf der sonnengebleichten Decke eines angelaufenen Messingbetts.

Paloma rührte sich nicht. Sie sprach nicht. Sie öffnete nicht die Augen. Sie war etwas weniger blass als bei ihrer Ankunft. Ihre Haut wies nun einen leichten Schimmer auf, doch ihre Lippen waren weiterhin verstörend märchenrot.

Jeden Tag verbrachte Tella mindestens eine Stunde damit, sie sorgsam zu mustern und auf ein Flattern der Augenlider zu hoffen oder auf eine andere Bewegung als das stetige Auf und Ab ihrer Brust, während sie amtete. Sobald Paloma erwachte, würden natürlich auch die unsterblichen Schicksalsmächte erwachen, die Legend aus einem Schicksalsdeck befreit hatte. Davor hatte Jacks, der Prinz der Herzen, sie gewarnt.

Es gab zweiunddreißig Schicksalsmächte. Acht Schicksalsorte, acht Schicksalsgegenstände und sechzehn schicksalhafte Unsterbliche. Wie die meisten Menschen im Meridianreich hatte Tella diese uralten Geschöpfe einmal für nichts weiter als einen Mythos gehalten, doch während ihrer Zeit mit Jacks hatte sie erfahren, dass sie eher boshaften Göttern glichen. Manchmal war sie so selbstsüchtig, dass es sie nicht kümmerte, wenn sie erwachten, solange nur auch ihre Mutter wieder zurückkehrte.

Sieben Jahre war Paloma im Kartendeck der Schicksalsmächte gefangen gewesen, und Tella hatte nicht so hart für ihre Befreiung gekämpft, nur um ihr jetzt beim Schlafen zuzusehen.

»Tella, alles in Ordnung?«, fragte Scarlett. »Und wofür das schicke Kleid?«

»Das ist einfach das erstbeste Kleid, das ich erwischt habe.«

Ganz zufällig war es außerdem ihr neuestes. Sie hatte es in einem Schaufenster gesehen, in einem Geschäft ein Stück die Straße hinunter, und beinahe ihr ganzer Wochenlohn war dafür draufgegangen. Das Kleid war prunkwindenblau, ihre Lieblingsfarbe. Es hatte einen herzförmigen Ausschnitt, eine breite gelbe Schärpe und einen wadenlangen Rock aus Hunderten von Federn. Vielleicht waren es die Federn gewesen, die Tella an ein Traumkarussell erinnerten, das Legend vor zwei Monaten für sie erschaffen hatte, aber sie redete sich ein, dass sie das Kleid bloß deshalb gekauft hatte, weil sie darin aussah, als wäre sie gerade von den Wolken herabgeschwebt.

Tella schenkte ihrer Schwester ihr unschuldigstes Lächeln. »Ich wollte kurz zur Sonnenfeier gehen.«

Scarlett verzog den Mund, so als wüsste sie nicht, was sie darauf antworten sollte, aber die Sache gefiel ihr eindeutig nicht. Ihr Zauberkleid hatte ein hässliches Lila angenommen – die Farbe, die Scarlett am wenigsten mochte –, und es war nach einer Mode geschnitten, die sogar noch älter war als die meisten Möbelstücke in ihrer vollgestopften Wohnung. Allerdings gelang es Scarlett, freundlich zu klingen, als sie sagte: »Heute bist du damit an der Reihe, auf Paloma aufzupassen.«

»Ich bin zurück, bevor du losmusst«, sagte Tella. »Ich weiß doch, wie wichtig dir dieser Nachmittag ist. Aber ich muss gehen.«

Tella wollte es dabei belassen. Scarlett verstand ihre Beziehung zu Legend nicht, die zugegebenermaßen kompliziert war.

Manchmal fühlte sich Legend an wie ihr Feind, manchmal wie ihr Freund, manchmal wie jemand, den sie einmal geliebt hatte, und ab und zu auch wie jemand, den sie immer noch liebte. Für Scarlett hingegen war Legend ein Meister des Trugs, ein Lügner und ein junger Mann, der mit Menschen umging wie Spieler mit ihren Karten. Scarlett wusste nicht, dass Legend jede Nacht Tellas Träume besuchte, sie wusste nur davon, dass er ab und zu auftauchte. Und sie war der Meinung, dass die Version von ihm, mit der sich Tella traf, nicht der wahre Legend war, denn schließlich kam er nur in ihren Träumen zu ihr.

Tella glaubte nicht, dass Legend ihr immer noch etwas vormachte, aber sie wusste, dass es Dinge gab, die er ihr nicht erzählte. Obwohl er ihr jede Nacht dieselbe Frage stellte, fühlte es sich allmählich so an, als wäre diese Frage nur ein Vorwand, damit er kommen und sie sehen konnte – eine Ablenkung, um den wahren Grund zu verschleiern, warum er bloß in ihren Träumen erschien. Leider wusste Tella selbst nicht, ob er sie besuchte, weil sie ihm wirklich etwas bedeutete oder weil er sein nächstes Spiel mit ihr trieb.

Scarlett wäre empört, wenn sie erführe, dass er jede Nacht bei ihr war. Doch Tella schuldete ihrer Schwester die Wahrheit. Scarlett hatte wochenlang auf diesen Tag gewartet, sie musste erfahren, warum Tella so plötzlich wegmusste.

»Ich muss zum Palast«, sagte sie hastig. »Ich glaube, Legend ist etwas passiert.«

Scarletts Kleid wurde sogar noch dunkler. »Glaubst du nicht, wir hätten Gerüchte gehört, wenn dem zukünftigen Kaiser etwas zugestoßen wäre?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß lediglich, dass er mich letzte Nacht nicht in meinem Traum besucht hat.«

Scarlett schürzte die Lippen. »Das heißt nicht, dass er auch in Gefahr ist. Er ist unsterblich.«

»Irgendwas stimmt nicht«, beharrte Tella. »Er ist noch nie nicht aufgetaucht.«

»Aber ich dachte, er hat dich bloß …«

»Da habe ich vielleicht gelogen«, fiel Tella ihr ins Wort. Sie hatte jetzt keine Zeit für eine Standpauke. »Tut mir leid, Scar, aber ich wusste, dass es dir nicht gefallen würde. Bitte, versuch nicht, mich zurückzuhalten. Ich sage ja auch nichts dagegen, dass du dich heute mit Nicolas triffst.«

»Nicolas hat mir nie wehgetan. Im Gegensatz zu Legend ist er immer freundlich zu mir gewesen, und ich warte seit Monaten darauf, ihn endlich kennenzulernen.«

»Ich weiß, und ich verspreche, dass ich rechtzeitig wieder hier bin, um auf Mutter aufzupassen, bevor du um zwei Uhr losmusst.«

Genau in diesem Moment schlug die Uhr elf, womit ihr genau drei Stunden blieben. Sie musste sofort aufbrechen.

Tella schlang die Arme um Scarlett und drückte sie an sich. »Danke, dass du das verstehst.«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich es verstehe.« Sie erwiderte die Umarmung ihrer Schwester jedoch.

Sobald sich Scarlett von ihr löste, hob Tella ein Paar flache Schuhe auf, die man um die Knöchel schnürte, dann tappte sie über den verblichenen Teppich ins Zimmer ihrer Mutter.

Sie drückte einen Kuss auf Palomas kühle Stirn. Tella verließ ihre Mutter nicht sehr oft. Seit sie aus dem Palast ausgezogen waren, hatte Tella versucht, an ihrer Seite zu bleiben. Sie wollte da sein, wenn ihre Mutter erwachte. Sie wollte, dass ihr Gesicht das erste war, das Paloma erblickte. Sie hatte nicht vergessen, wie ihre Mutter sie im Sternentempel verraten hatte, aber anstatt weiter wütend zu sein, entschied sie sich dafür, daran zu glauben, dass es eine Erklärung dafür gab und dass sie sie hören würde, sobald ihre Mutter aus ihrem Zauberschlaf erwachte. »Ich liebe dich, und ich bin ganz bald zurück.«

Tella dachte darüber nach, ob sie sich festnehmen lassen sollte.

Sie wollte es nicht, aber vielleicht war das der schnellste Weg in den Palast. Zu viele Besucher aus dem ganzen Reich waren für die Sonnenfeier nach Valenda geströmt. Sie überfüllten die Himmelskutschenrouten und verstopften die Straßen und Bürgersteige, weshalb sich Tella gezwungen sah, einen längeren Weg zum Palast einzuschlagen, am Delta entlang, das hinaus auf den Ozean führte.

Die Sonnenfeier fand jedes Jahr am ersten Tag der Heißen Jahreszeit statt. In diesem Jahr war sie besonders ausufernd, da dieser Tag gleichzeitig das Ende der Trauerzeit um Kaiserin Elantine sowie den Beginn der Wartezeit auf Legends Krönung markierte. In zehn Tagen würde es so weit sein – allerdings kannten nur Scarlett, Tella und Legends Darsteller ihn unter diesem Namen. Im ganzen restlichen Reich war er als Dante Thiago Alejandro Marrero Santos bekannt.

Schon allein der Gedanke an den Namen Dante schmerzte noch ein wenig.

Mittlerweile kam ihr Dante bloß wie ein Protagonist aus einer Geschichte vor, mehr noch als Legend. Trotzdem pikte sie der Name wie ein Dorn, weil er ihr in Erinnerung rief, dass sie sich in ein Trugbild verliebt hatte. Wie dumm es doch wäre, ihm noch einmal zu vertrauen. Trotzdem musste sie einfach nach ihm sehen. Sie achtete nicht einmal auf die Feier und die ganze summende Aufregung in den Straßen.

Nun, da die Trauerzeit vorüber war, verschwanden die schwarzen Flaggen, die in der ganzen Stadt gespukt hatten. Die Trauerkleidung war Gewändern in Himmelblau, Kurkumaorange und Minzgrün gewichen. Farben, Farben überall, begleitet von köstlichen Düften – kandierte Zitrusfrüchte, tropische Eiscreme, Limonenstaub. Sie wagte jedoch nicht, an einem der Straßenstände stehen zu bleiben, um Leckereien oder etwas von dem importierten zischenden Cidre zu erstehen.

Tella beschleunigte ihre Schritte und …

… blieb abrupt neben einem brettervernagelten Kutschhaus stehen. Mehrere Leute stießen von hinten gegen sie, woraufhin sie mit der Schulter gegen eine gesplitterte Holztür geschubst wurde. Sie hatte einen Blick auf eine Hand mit einer schwarzen Rose darauf erhascht. Legends Rose.

Die Süße der Luft wurde bitter.

Tella konnte das Gesicht des Mannes nicht sehen, da er schon wieder in der Menschenmenge verschwunden war, aber er hatte Legends breite Schultern, sein dunkles Haar, seine Bronzehaut … und bei seinem Anblick geriet ihr Magen ins Schlingern, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

Er sollte doch in Gefahr sein!

Sie hatte sich ausgemalt, er sei krank oder verletzt oder in tödlicher Gefahr. Aber er wirkte … vollkommen wohlauf. Vielleicht sogar noch etwas mehr als wohlauf: groß und robust und echter, als er ihr je in ihren Träumen erschienen war. Es war eindeutig Legend. Trotzdem fühlte es sich nicht ganz real an, dass sie ihn nun dabei beobachtete, wie er sich selbstbewusst durch die Menschenmenge schob. Es kam ihr eher wie die Szene einer weiteren Vorstellung vor.

Als Thronerbe sollte sich Legend nicht in einem solchen Aufzug herumtreiben, wie ein gewöhnlicher Mensch in abgetragener brauner Hose und einem schlichten Hemd. Er hätte auf einem königlichen schwarzen Pferd durch das Getümmel reiten sollen, mit einem Goldreif auf dem Kopf und von Soldaten eskortiert.

Aber da waren keine Wachen, die ihn beschützten. Tatsächlich schien es so, als würde sich Legend große Mühe geben, keiner der königlichen Patrouillen über den Weg zu laufen.

Was hatte er vor? Und warum war er auf so dramatische Weise aus ihren Träumen verschwunden, wenn doch alles in Ordnung war?

Er verlangsamte seinen selbstsicheren Gang nicht, als er das verfallene Ruinenviertel betrat, das an den Satin-Distrikt grenzte. Überall zerbröckelnde Bogengänge, wuchernde Gräser und Stufen, die aussahen, als hätte man sie für Riesen erbaut, nicht für Menschen. Tella verfiel in Laufschritt, um ihre Beute nicht aus den Augen zu verlieren. Denn natürlich verfolgte sie ihn.

Sie hielt sich dicht an großen Steinquadern und eilte über den felsigen Boden, sorgfältig darauf bedacht, dass sie niemand sah, während Legend immer weiter hinauf stieg.

Eigentlich hätte der Duft schwächer werden müssen, je weiter sie sich von den Verkaufsständen entfernte, aber während sie höher emporklomm, wurde der Zucker auf ihrer Zunge dicker und kälter. Als ihre Fingerknöchel über ein rostiges Eisentor strichen, das bereits aus den Angeln gefallen war, wurde ihre Haut frostblau.

Sie konnte immer noch die Sonne sehen, die auf die Feierlichkeiten hinabbrannte, doch ihre Wärme drang nicht bis zu diesem Ort vor. Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen, und sie fragte sich erneut, was Legend vorhatte.

Sie hatte das Dach der Ruinen beinahe erreicht. Eine gewaltige zerbrochene Krone aus weißen Granitsäulen, ergraut durch den Regen und die Vernachlässigung vieler Dekaden, lag vor ihr. Fast konnte Tella vor sich sehen, wie dieses hinfällige Bauwerk vor mehreren Jahrhunderten ausgesehen haben mochte: die perlweißen Säulen, höher als Schiffsmasten, die geschwungene Bögen aus Buntglas trugen, durch die schillerndes Regenbogenlicht auf die gewaltige Arena darunter fiel.

Wen sie jedoch nicht mehr sehen konnte, war Legend. Er war verschwunden, genau wie die Wärme.

Tellas Atem bildete weiße Wölkchen, während sie auf Schritte lauschte oder auf das tiefe Timbre seiner Stimme. Vielleicht traf er sich hier mit jemandem? Doch abgesehen vom Klappern ihrer Zähne erhaschte sie kein Geräusch, während sie an der nächstgelegenen Säule vorbeischlich, und …

Der Himmel verdunkelte sich, und die Ruinen waren fort.

Tella erstarrte.

Nach der Dauer eines Herzschlags blinzelte sie einmal, dann mehrmals hintereinander, während sich ihre Augen an die neue Umgebung anpassten. Nadelbäume. Schneewehen. Das Glühen von Tieraugen. Und die Luft war kälter als Eis und Flüche.

Sie befand sich nicht mehr zwischen den Ruinen Valendas – sie war in einem Wald, mitten in der Kalten Jahreszeit. Sie zitterte und schlang sich die unbedeckten Arme um die Brust.

Ein Mond, größer, als sie ihn je gesehen hatte, verströmte sein Licht. Saphirhell gegen die fremde Nacht, Silbersterne tropften davon herab wie ein Wasserfall.

Während der vergangenen Vorstellung von Caraval hatte Legend die Sterne verzaubert, sodass sie neue Konstellationen bildeten. Er hatte Tella jedoch selbst gesagt, dass er jenseits von Caraval nicht über so viel Macht verfügte. Und dies fühlte sich auch nicht nach einem der Träume an, die sie mit ihm geteilt hatte. Wenn es ein Traum gewesen wäre, dann wäre er schon längst zu ihr gekommen und hätte ihr das Lächeln eines gefallenen Engels geschenkt, das sie jedes Mal erschauern ließ, während sie so tat, als wäre es ihr vollkommen gleichgültig.

Außerdem war es in ihren Träumen auch nie so kalt. Manchmal fühlte sie einen Frosthauch im Haar oder einen eisigen Kuss im Nacken, aber sie zitterte nie vor Kälte. Und wenn doch, dann hätte sie sich einfach einen schweren Pelz vorstellen können, und schon wäre er um ihre Schultern erschienen. Nun hatte sie jedoch nichts als ihre dünnen Flügelärmel.

Ihre Zehen waren bereits halb erfroren, und eisige blonde Lockenkringel klebten ihr an den Wangen. Doch sie würde nicht umkehren. Sie wollte wissen, warum Legend aus ihren Träumen verschwunden war, warum er sie so erschreckt hatte und warum sie sich nun in einer anderen Welt befanden.

Sie hätte vielleicht geglaubt, dass er einfach eine Art Portal zurück auf seine Privatinsel durchschritten hatte, statt gleich eine andere Dimension zu betreten, aber die Sterne, die aus einem Riss im Mond strömten, ließen sie etwas anderes vermuten. So etwas hatte sie in ihrer Welt noch nie gesehen.

Und sie hätte es eigentlich auch nicht geglaubt, aber hier ging es immerhin um Legend. Legend holte Menschen ins Leben zurück. Legend stahl sich Königreiche mit Lügen. Legend stritt mit den Sternen. Wenn irgendjemand zwischen Welten wandeln konnte, dann er.

Nicht nur das, er hatte sich auch andere Kleidung gezaubert. Als Tella durch die schneeverhangenen Äste wieder einen Blick auf seine dunkle Silhouette erhaschte, wirkte er nicht mehr wie ein gewöhnlicher Mensch, sondern wie der Legend aus ihren ersten Träumen. Gekleidet in einen meisterlich geschneiderten Anzug, akzentuiert von einem rabenschwarzen halbseitigen Cape, einem eleganten Zylinder und polierten Stiefeln, die den Schnee unberührt ließen.

Gerade überlegte Tella, den Schutz der Bäume zu verlassen, um ihn zur Rede zu stellen, als er ein paar Schritte nach vorn machte – und auf die schönste Frau traf, die Tella je gesehen hatte.

6

Donatella

Tella hatte ein seltsam hohles Gefühl im Bauch.

Die Frau war aus Dingen gemacht, die Tella nicht besaß. Sie war älter – nicht viel, aber gerade genug, um eher wie eine Frau als wie ein Mädchen auszusehen. Sie war auch größer als Tella, statuenhaft mit glattem, feuerrotem Haar, das ihr bis auf die schmale Taille herabfiel, die in einem schwarzen Ledermieder steckte. Auch ihr Rock war schwarz, seidig und eng, mit Schlitzen an beiden Seiten, um ihre langen Beine zu zeigen, um die sich durchsichtige, mit Rosen verzierte Strümpfe schmiegten.

Tella hätte wahrscheinlich gar nicht auf die Strümpfe geachtet, aber auch auf den Armen trug die Frau Rosentätowierungen, schwarz, passend zu der Rose auf Legends Handrücken.

Tella hasste sie sofort.

Vielleicht sollte sie auch ihn hassen.

Rosen waren zwar keine seltenen Blumen, aber sie bezweifelte, dass diese Tätowierungen nur rein zufällig zueinanderpassten.

»Willkommen zurück, Legend.« Selbst die Stimme der Frau stand im direkten Gegensatz zu Tellas, leicht rauchig und durchwirkt von einem verführerischen Akzent, den Tella nicht einordnen konnte. Die Frau lächelte nicht, doch als sie Legend ansah, leckte sie sich über die Lippen, die ebenso tiefrot wurden wie ihr Haar.

Tella widerstand dem Drang, einen Schneeball zu formen und ihn der Frau ins Gesicht zu schleudern.

War dies die Frau, die Legend am Tag besuchte, während er Tella in seine Träume verbannte? Er hatte es immer so klingen lassen, als wäre er in seinen wachen Stunden mit Regierungsangelegenheiten beschäftigt, doch Tella hätte es besser wissen müssen, als ihm zu glauben.

»Schön, dich zu sehen, Esmeralda.« Beim Klang seiner Stimme wurde ihr eiskalt. Wenn er mit Tella sprach, dann in einem tiefen und ruhigen Tonfall, in den sich jedoch oft etwas Spielerisches mischte. Diese Stimme war sinnlicher und ein wenig grausam, eine Stimme, die nicht wusste, wie man spielte. Legend gebrauchte sie ebenso leicht wie die, mit der er sie in ihren Träumen reizte. Und einen verrückten Moment lang fragte sie sich, ob dieser böse Legend vielleicht die Täuschung war – und der verspielte Legend ihrer Träume die wahre Darstellung.

»Wir sollten zusehen, dass wir aus der Kälte kommen.« Die Frau hakte sich bei Legend unter.

Tella wartete darauf, dass er zurückwich oder Anzeichen von Abneigung zeigte, aber er zog sie nur noch enger an sich und blieb unter dieser Berührung vollkommen entspannt, wohingegen er Tella seit zwei Monaten nicht angerührt hatte.

Sie kochte und zitterte, während sie dem Paar folgte, ihnen hinterherschlich, bis sie bei einem zweistöckigen Cottage ankamen, hell erleuchtet von Feuerschein, der durch die Fenster und auch durch die Tür hinausfiel, als die Frau sie öffnete. Beide traten ein.

Tella spürte eine warme Woge, bevor die Tür wieder ins Schloss fiel und die Kälte sich erneut um sie legte. Sie hätte längst gehen sollen, doch ganz offensichtlich gefiel es ihr, sich selbst zu quälen, denn anstatt sich umzudrehen und sich weiteren Schmerz zu ersparen, trotzte sie dem Graben voller dorniger Rosenbüsche, der das Haus umgab, und opferte die hilflosen Federn ihres Rocks, als sie unter dem nächstgelegenen Fenster des Cottages in die Hocke ging, um zu lauschen.

Wenn Legend eine Beziehung zu einer anderen Frau hatte, dann wollte Tella alles darüber wissen. Vielleicht war diese Frau ja der Grund dafür, dass er Tella in jener Nacht vor dem Sternentempel zurückgelassen hatte.

Sie rieb sich die Hände, damit sie nicht zu Eis erstarrte, und hob vorsichtig den Kopf, um durch das eisverkrustete Fenster zu spähen. Das Haus wirkte so warm mit einem steinernen Kamin, der eine ganze Wand einnahm, und einem Wald aus Kerzen dicht unter der Decke.

Es schien ein Rückzugsort für romantische Treffen zu sein, aber Tella bekam weder Küsse noch Umarmungen zu sehen. Esmeralda saß vor dem lodernden Kaminofen wie auf einem Thron, während Legend wie ein loyaler Untertan vor ihr stand.

Interessant.

Vielleicht bedeuteten die zueinanderpassenden Tätowierungen ja nicht das, was Tella angenommen hatte. Trotzdem war sie beunruhigt. Sie hatte immer geglaubt, dass Legend niemandem als sich selbst unterstellt war, und ganz egal, wer diese faszinierende Frau auch war, Tella mochte sie nicht. Und es gefiel ihr überhaupt nicht, wie Legend da vor ihr stand, sich zu ihr vorbeugte, den Kopf leicht gesenkt, als er sagte: »Ich brauche deine Hilfe, Esmeralda. Die Schicksalsmächte sind aus dem Kartendeck entkommen, in das du sie gesperrt hast.«

Bei allen blutigen Heiligen.

Tella duckte sich wieder und sog keuchend die kalte Luft ein, während sie mit dem Rücken gegen die eisige Hauswand sackte. Auf einmal wusste sie ganz genau, wer diese junge Frau war. Bevor Legend die Schicksalsmächte befreit hatte, waren sie von derselben Hexe in ein Schicksalsdeck gesperrt worden, die Legend seine Macht verliehen hatte. Die Hexe, mit der Legend gerade sprach.

Kein Wunder, dass er sie wie eine Königin behandelte. Esmeralda war seine Schöpferin. Als sie den Zauber gewirkt hatte, der die Schicksalsmächte in die Karten bannte, da hatte sie ihnen auch die Hälfte ihrer Macht genommen und sie Legend gegeben, als dieser Jahrhunderte später zu ihr gekommen war. Viel mehr wusste Tella im Grunde nicht über die Hexe, doch sie hätte wirklich nicht so jung und groß und schön sein dürfen.

»Es ist mir nicht gelungen, die Schicksalsmächte zu vernichten. Es tut mir leid. Aber ich zahle den Preis dafür«, sagte Legend, seine Stimme drang durch das Fenster zu ihr heraus. »Meine Magie ist viel schwächer geworden seit dem Moment, in dem sie befreit wurden. Noch schlafen die Schicksalsmächte, ich glaube jedoch, sie haben sich bereits einen Teil ihrer Macht zurückgeholt. Ich bringe kaum noch eine simple Illusion zustande.«

Nur mit Mühe hielt sich Tella davon ab, ein weiteres Mal durch das Fenster zu spähen. Sagte er die Wahrheit? Wenn es den Schicksalsmächten tatsächlich irgendwie gelungen war, ihm seine Magie zu stehlen, dann würde das erklären, warum er so brutal aus ihrem Traum gerissen worden und in der vergangenen Nacht nicht wieder aufgetaucht war. Allerdings hatte sie selbst gesehen, wie er im Wald einen Zauber gewirkt und seine Kleidung gewechselt hatte, damit schien er also keine Schwierigkeiten zu haben.

Natürlich war das bloß eine kleine Illusion, und sie war zu weit entfernt gewesen. In einem ihrer früheren Träume mit Legend hatte er ihr erklärt, wie seine Macht funktionierte. Er hatte gesagt: Magie besitzt zwei Erscheinungsformen. Jene mit Zauberkräften können meistens entweder die Menschen oder die Umwelt manipulieren. Aber ich kann beides, und so erschaffe ich lebensechte Zauber, die sich viel wirklicher anfühlen als gewöhnliche Illusionen. Ich kann es regnen lassen, und du würdest den Regen nicht nur sehen, du würdest spüren, wie er dein Kleid durchweicht und dir bis auf die Haut dringt. Wenn ich es wollte, würdest du ihn bis in die Knochen fühlen.

Dann hatte es in ihrem Traum zu regnen begonnen, und als sie Stunden später erwachte, war ihr Nachthemd mit Wasserflecken übersät und ihre Locken waren nass gewesen. So hatte er sie wissen lassen, dass die Träume nicht nur Einbildung, sondern echte Treffen waren und dass seine Macht der Illusion weit darüber hinausreichte.

Vielleicht sagte Legend tatsächlich die Wahrheit darüber, dass die Schicksalsmächte ihm einen Teil seiner Magie genommen hatten, aber er sagte nicht die ganze Wahrheit. Vielleicht konnte er immer noch Illusionen kreieren, die allerdings nicht mehr stark genug waren, um die Menschen glauben zu lassen, sie seien Wirklichkeit.

Tella dachte an den toten Schmetterling, den sie nach dem Erwachen am Morgen des Vortags in ihrer Hand gefunden hatte. Nun, da sie richtig darüber nachdachte, hatte sie den Schmetterling zwar gesehen, doch nicht gespürt. Seine zarten Flügel waren nicht über ihre Haut gestrichen, und sobald sie ihn auf ihren Nachttisch gelegt hatte, war er verschwunden.

»Die Schicksalsmächte hätten keinen Funken deiner Magie bekommen dürfen«, fauchte die Hexe. »Es sei denn, du warst es, der sie aus den Karten befreit hat.«

»So etwas würde ich nie tun. Hältst du mich für dumm? Seit dem Tag, an dem du mich erschaffen hast, habe ich versucht, die Karten zu zerstören.« Legend klang so abgehackt, als wäre er aufrichtig verärgert, aber Tella wusste, dass dies alles gelogen war. Er log der Frau, die ihn erschaffen hatte, offen ins Gesicht. Er hatte die Karten zwar zerstören wollen, doch als er die Gelegenheit dazu bekommen hatte, da hatte er es nicht getan. Stattdessen hatte er die Schicksalsmächte befreit, um Tella zu retten.

»Ich will die Schicksalsmächte immer noch aufhalten«, fuhr Legend fort. »Dafür muss ich mir aber deine Magie leihen.«

»Man kann die Schicksalsmächte nicht mit Magie aufhalten«, widersprach die Hexe. »Deshalb habe ich dich ja angewiesen, das Schicksalsdeck zu zerstören. Sie sind unsterblich wie du. Wenn man einen von ihnen tötet, dann stirbt er zwar, kehrt danach jedoch einfach ins Leben zurück.«

»Aber sie müssen doch eine Schwäche haben.« Legends Stimme bekam wieder diesen Klang, entblößend und beraubend. Er wollte Esmeraldas Magie, und er wollte die tödliche Schwachstelle der Schicksalsmächte enthüllen.

Es hätte Tella eigentlich erleichtern sollen, dass er nach einem Weg suchte, sie zu zerstören – sie selbst wollte auch nicht, dass sie lebten –, aber ein grässliches Gefühl erwachte in ihr, als sie das entschlossene Klicken seiner Stiefelabsätze hörte.

Tella stellte sich vor, wie er auf Esmeralda zuging.

Sie ballte die eiskalten Hände zu Fäusten und kämpfte gegen das wachsende Verlangen an, einen weiteren Blick durch das Fenster zu werfen, damit sie sehen konnte, was er sonst noch tat, um zu bekommen, was er wollte. Berührte er die Hexe? Schlang er die Arme um ihre geschnürte Taille, oder sah er sie so an, wie er es manchmal bei Tella tat?

Als Esmeralda wieder das Wort ergriff, hatte ihre Stimme erneut diesen verführerischen Hauch. »Die Schicksalsmächte haben einen Nachteil. Ihre Unsterblichkeit ist mit der Schicksalsmacht verbunden, die sie erschaffen hat: der Gefallene Stern. Wenn du den Gefallenen Stern tötest, dann wandeln sich seine Geschöpfe von unsterblich zu alterslos, genau wie deine Darsteller. Sie werden immer noch über ihre Magie verfügen, und sie werden niemals altern, aber anders als bei deinen Darstellern fehlt ihnen Caraval, das sie ins Leben zurückholen kann, wenn sie sterben. Wenn du die Schicksalsmächte zerstören willst, dann musst du zuerst den Gefallenen Stern töten.«

»Wie kann ich das tun?«, fragte Legend.

»Ich glaube, das weißt du bereits. Der Gefallene Stern teilt deine Schwäche.«

In der darauffolgenden Pause war es so still, dass Tella zu hören glaubte, wie die Schneeflocken auf die Rosen um sie herum fielen. Zweimal hintereinander hatte die Hexe Legend mit dem Gefallenen Stern in Verbindung gebracht. Das erste Mal, als sie die Schicksalsmächte des Gefallenen Sterns und Legends Darsteller verglich, und das zweite Mal, als sie gesagt hatte, Legend und der Gefallene Stern würden dieselbe Schwäche teilen.

Bedeutete das, dass Legend ebenfalls zu den Schicksalsmächten gehörte?

Da fiel Tella etwas ein, was ihre Großmutter Anna ihr immer über Legends Erschaffung erzählt hatte. »Manche würden ihn wahrscheinlich einen Schurken nennen, andere würden sagen, dass ihn sein Zauber fast zu einem Gott macht.«

Einst hatte man auch die Schicksalsmächte als Götter bezeichnet – grausame, kapriziöse und schreckliche Götter, weshalb die Hexe sie auch in die Karten gebannt hatte.

Tella schauderte bei der Vorstellung, dass Legend sein könnte wie sie. Während der letzten Vorstellung von Caraval war sie bei ihren Begegnungen mit einigen der Schicksalsmächte wie der Untoten Königin, den Dienerinnen und dem Prinzen der Herzen beinahe gestorben. Sie wollte nicht, dass Legend einer von ihnen war. Sie konnte jedoch nicht leugnen, dass er sowohl unsterblich war als auch über Magie verfügte – und das machte ihn den Schicksalsmächten ähnlicher als den Menschen.

Tella wollte unbedingt erfahren, welche Legends Schwäche war, aber er gab durch seine Antwort nichts preis.

»Es muss einen anderen Weg geben«, sagte er.

»Wenn es einen gibt, dann wirst du ihn wohl selbst finden müssen. Oder du könntest hierbleiben, bei mir. Die Schicksalsmächte wissen nicht, dass ich in diese Welt gekommen bin. Wenn du bleibst, wird es wieder sein wie damals, als ich dir gezeigt habe, wie du mit deinen Kräften umgehen kannst.« Sie schnurrte. Sie schnurrte tatsächlich.

Tella konnte sie wirklich nicht ausstehen.

Schwarze Dornen rissen die erfrorenen Federn von ihrem Rock, als sie den Kampf gegen ihr besseres Wissen verlor und sich aufrichtete, um einen weiteren Blick durch das Fenster zu werfen. Leider wünschte sie sich sofort, sie hätte es nicht getan.

Legend kniete vor der Hexe, und sie fuhr ihm mit den Fingern durch das dunkle Haar, strich ihm mit einer besitzergreifenden Geste über Kopf und Hals, so als gehörte er ihr.

»Ich wusste gar nicht, dass du so sentimental bist«, sagte Legend.

»Nur wenn es um dich geht.« Sie schloss die Hand um sein Halstuch und hob sein Kinn.

»Ich wünschte, ich könnte bleiben, Esmeralda. Doch ich kann es nicht. Ich muss zurück und die Schicksalsmächte zerstören, und dafür brauche ich deine Macht.« Er stand auf, gerade als sich die Hexe vorbeugte, um ihn, wie es aussah, zu küssen. »Ich möchte sie mir nur borgen.«

»Niemand möchte sich Macht nur borgen.« Nun klang sie beißend, aber Tella konnte nicht sagen, ob der Grund dafür seine Bitte oder seine Weigerung war, den Kuss zuzulassen.

Legend schien jedenfalls zu glauben, dass es an seiner Zurückweisung lag. Er trat einen Schritt auf sie zu, nahm ihre Hand und strich keusch mit den Lippen über ihre Fingerknöchel. »Du hast mich zu dem gemacht, der ich bin, Esmeralda. Wenn du mir nicht vertrauen kannst, dann kann es auch niemand anderes.«

»Jedenfalls sollte es niemand anderes«, gab sie zurück, doch ihre vollen roten Lippen formten endlich ein Lächeln. Das Lächeln einer Frau, die Ja zu einem Mann sagte, dem sie einfach nicht widerstehen konnte.

Tella kannte dieses Lächeln, weil auch sie es Legend schon geschenkt hatte.

Die Hexe würde ihm ihre Macht geben.

Tella hätte sich abwenden sollen, sie hätte in ihre eigene Welt zurückkehren sollen, bevor Legend sie hier ertappte, vor Kälte zitternd und von Gefühlen geschüttelt, von denen sie wünschte, sie würde sie nicht mehr für ihn empfinden. Aber sie blieb stehen wie gelähmt.

Die Hexe sagte etwas in einer Sprache, die Tella noch nie gehört hatte, und ließ Legend ihr Blut direkt von ihrem Handgelenk trinken. Er trank und trank und trank. Nahm und nahm und nahm.

Seine Wangen wurden röter, und seine Bronzehaut begann zu schimmern, während ihr feuriges Haar zu einem dumpfen Orange verblasste und die schwarze Tinte ihrer Tätowierungen grau wurde. Als Legend endlich die Lippen von ihrem Handgelenk nahm, sank Esmeralda gegen ihn, als hätte sie keinen Knochen mehr im Körper.

»Das hat mir mehr abverlangt, als ich erwartet habe«, hauchte sie. »Kannst du mich hoch in mein Schlafzimmer tragen?«

»Tut mir leid«, sagte er – doch er klang ganz und gar nicht danach. Seine Stimme war grausam und hatte alle Sinnlichkeit verloren. Dann flüsterte er der Hexe etwas zu, das Tella nicht verstehen konnte.

Die Hexe verlor sogar noch mehr Farbe, und ihre bereits blasse Haut wurde weiß wie Papier. »Das soll doch wohl ein Scherz sein …«

»Hast du denn schon jemals einen Sinn für Humor an mir entdeckt?« Damit hob er sie hoch und warf sie sich über die Schulter, mit der Unbefangenheit eines jungen Mannes, der etwas auf seiner Liste der Dinge abhakte, die er noch zu erledigen hatte.

Mit halb erfrorenen Gliedern stolperte Tella zurück und hinterließ dabei eine Spur aus zerrupften Federn. Sie wusste ja, dass er es erst meinte, wenn er ihr immer wieder sagte, er sei nicht der Held in ihrer Geschichte, aber irgendwie hatte sie trotzdem gehofft, dass es nicht stimmte. Sie wollte glauben, dass sie Legend wirklich etwas bedeutete und dass sie seine Ausnahme war. Doch vielleicht bedeutete dies auch nur, dass Legend in Wahrheit ihre Ausnahme war. Dass ihre Sehnsucht nach ihm die Schwachstelle war, die sie am Ende zerstören konnte, wenn sie nicht dagegen ankam.

Wenn Legend bereit war, die Frau zu betrügen, die ihn erschaffen hatte, dann würde er jeden betrügen.

Tella kämpfte sich durch die Rosenbüsche und rannte zurück in den Wald. Sie verließ den Weg, der durch die Bäume führte, und sah sich erst um, als sie ein sicheres Versteck hinter einer Gruppe dicht beieinanderstehender Kiefern gefunden hatte.

Legend verließ das Cottage, Esmeralda immer noch über der Schulter. Und in diesem Moment fühlte er sich nicht mehr an wie Tellas Feind oder ihr Freund oder der Mann, den sie geliebt hatte – er fühlte sich an wie alle Geschichten über ihn, die sie nie hatte glauben wollen.

7

Scarlett

Scarletts Gefühle waren ein Aufruhr der Farben. Sie wirbelten um sie herum wie Girlanden aus aufgeregtem Aquamarin, nervösem Ringelblumengelb und frustriertem Ingwerbeige. Seit ihre Schwester gegangen war, lief sie nun schon in der Wohnung auf und ab, weil sie irgendwie wusste, dass Tella nicht rechtzeitig zurück sein würde. Trotzdem hoffte sie gleichzeitig, dass sie sich irrte.

Sie blieb stehen, um sich selbst ein weiteres Mal im Spiegel zu betrachten. Um sich davon zu überzeugen, dass ihr Kleid nicht verriet, wie ängstlich sie sich fühlte. Die hellrosa Spitze kam ihr etwas dumpfer vor als gerade eben noch, aber vielleicht lag es auch am Spiegel.

Die Wohnung, die Scarlett und Tella gemietet hatten, war ein fadenscheiniger Flickenteppich aus alten Dingen. Beide Mädchen waren sich einig gewesen, dass sie aus dem Palast ausziehen wollten. Scarlett hatte unabhängig sein wollen. Tella hatte dasselbe behauptet, doch Scarlett glaubte, dass ihre kleine Schwester damit Distanz zwischen sich und Legend hatte bringen wollen, nachdem er sie nach dem Ende von Caraval einfach zurückgelassen hatte.

Tella hatte sie angefleht, eine der schicken Wohnungen im fantastischen Satin-Distrikt zu mieten, aber Scarlett war sich sehr bewusst, dass ihr Geld länger als für nur eine Saison ausreichen musste. Als Kompromiss hatten sie ein Apartment mit sehr kleinen Zimmern ganz am äußeren Ende des Satin-Distrikts gemietet, wo die Rahmen der Spiegel eher gelb als golden waren, wo die Sessel mit kratzigem Samt bezogen waren und alles nach Gips und Kreide roch wie angeschlagenes Porzellan. Tella beschwerte sich zwar regelmäßig, aber ihre bescheidene Behausung erlaubte ihnen, etwas länger von ihren Mitteln zu leben. Mittel, die hauptsächlich aus dem Geld bestanden, das Tella ihrem Vater gestohlen hatte. Bis zum Ende des Jahres würden sie sich die Wohnung noch leisten können. Was danach kam, wusste Scarlett nicht, doch das war im Augenblick auch nicht ihre dringendste Sorge.

Die Uhr schlug drei.

Sie sah aus dem Fenster. Immer noch kein Zeichen von Tella zwischen den Feiernden, aber dafür war Scarletts Erdkutsche endlich angekommen. Es gab nicht viele davon in Valenda, weil die Menschen lieber in Himmelskutschen über die Straßen schwebten, als auf Rädern hindurchzurumpeln. Doch ihr früherer Verlobter Graf Nicolas d’Arcy oder einfach Nicolas, wie sie ihn inzwischen nannte, lebte in einem Landhaus jenseits der Stadtmauern, weit außerhalb der Reichweite der Himmelskutschen. Schon vor einer Woche hatte Scarlett ihre Reise geplant. Was sie allerdings nicht gewusst hatte, war, wie voll es während der Feier sein würde.

Die Leute riefen ihrem Fahrer bereits rüde Beschimpfungen zu, damit er weiterfuhr. Lang konnte er nicht auf sie warten. Wenn er davonfuhr, würde Scarlett hier festsitzen und damit ihre Chance verpassen, Nicolas endlich kennenzulernen.

Sie presste die Lippen aufeinander, als sie das Zimmer betrat, in dem Paloma schlief. Immer nur schlafend. Immer, immer nur schlafend.

Scarlett versuchte, die bitteren Gedanken zu verscheuchen. Sie wusste, dass ihre Mutter sie nicht hatte verlassen wollen, und es stimmte sie mitfühlender, dass Paloma während der vergangenen sieben Jahre in einem verfluchten Kartendeck gefangen gewesen war. Dennoch konnte Scarlett ihr nicht vergeben, dass Paloma sie beide überhaupt mit ihrem Scheusal von einem Vater allein gelassen hatte. Sie konnte ihre Mutter einfach nicht so sehen, wie Tella es tat.

Tatsächlich würde Tella wahrscheinlich wütend sein, wenn sie zurückkehrte und Paloma allein vorfand. Sie sagte ständig, sie wolle nicht, dass ihre Mutter allein war, wenn sie erwachte. Scarlett bezweifelte jedoch, dass sie ausgerechnet heute aufwachen würde. Und wenn es Tella so wichtig war, dann hätte sie eben pünktlich zurück sein sollen.

Scarlett zog die Tür auf und wollte nach einem Dienstmädchen rufen, damit es ein Auge auf ihre Mutter haben konnte, doch da stand eines von ihnen schon vor ihr, mit korallrosa Wangen und einem breiten Lächeln auf den Lippen.

»Guten Tag, Miss.« Sie sank in einen flüchtigen Knicks. »Ich wollte Euch mitteilen, dass im Salon im Erdgeschoss ein Gentleman auf Euch wartet.«

Scarlett spähte über die Schulter des Mädchens. Sie erblickte das zerkratzte Holzgeländer, aber das Erdgeschoss war von hier aus nicht einzusehen. »Hat er dir gesagt, wie er heißt?«

»Er hat gesagt, er wolle Euch überraschen. Er sieht sehr gut aus.« Das Mädchen wickelte sich kokett eine Haarlocke um den Finger, so als würde dieser gut aussehende Mann direkt vor ihnen stehen.

Scarlett zögerte und überlegte. Vielleicht war es Nicolas, der sie überraschen wollte. So etwas sah ihm allerdings nicht ähnlich. Er war so korrekt, dass er hatte warten wollen, bis die Trauerzeit endete, bevor er sich mit ihr traf. Er hatte sie gebeten, bis zu diesem Tag zu warten, damit er ihr angemessen den Hof machen konnte.

Es gab noch einen anderen, der es sein konnte, aber Scarlett wollte nicht hoffen, dass er es war, besonders heute nicht. Sie hatte sich geschworen, heute nicht an ihn zu denken. Und falls es tatsächlich Julian war, dann kam er fünf Wochen zu spät.

Scarlett hätte ihn vielleicht für tot gehalten, wenn Tella nicht auf ihre Bitte hin Legend nach ihm gefragt hätte, worauf dieser bestätigt hatte, dass sein Bruder noch lebte. Allerdings hatte er nicht verraten, wo sich Julian aufhielt und warum er sich nicht bei Scarlett meldete.