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Wer die Liebe als Spiel betrachtet, muss damit rechnen, sein Herz zu verlieren. Nelly: Nach zwei langen Monaten besuche ich endlich wieder meine Freundin in Norwegen, doch in meinem Kopf ist nur dieser eine Kuss. Dieser mysteriöse Snowboarder: Black Maverick. Obwohl ich nichts über ihn weiß, werde ich alles tun, um ihn zu finden. Nur um meine Neugier zu stillen ... nichts weiter. Marius: Als ich erfahre, dass Nelly wieder nach Geilo zurückkommt, schlägt mein Herz augenblicklich höher. Wir haben uns geküsst, doch sie weiß nicht, dass ich ihr schwarzer Ritter bin. Und ich weiß jetzt schon, dass es ein Spaß werden wird, mit ihr Spielchen zu spielen. Dumm nur, dass der Einsatz mein Herz ist. ************************************************ Teil 2 der FINDING-Reihe 'Finding Love' ist ein humorvoller Liebesroman mit Happy-End-Garantie und spielt in Norwegen. Die Vorgeschichte von Nelly und Marius findet ihr im ersten Teil: 'Finding Trust'. Ein Must-Read für alle, die diese Tropes lieben: Small Town Romance Snowboarder Spicy Romance Fateful Encounter Second Chance Humor Starke Protagonistin
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Nicole Rott
Finding Love
Marius & Nelly
Band 2
Roman
COPYRIGHT © 2025 by Nicole Rott
Originalausgabe 05/2025
Coverdesign und Umschlaggestaltung
Florin Sayer-Gabor - www.100covers4you.com
Lektorat
Alina Schunk – Lektorat Literally
Korrektorat
Michael Rott
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung von Nicole Rott.
Das hier ist für alle, die die Liebe nicht gesucht und doch gefunden haben – trotz Narben und Stolz.
Und für alle, die eine Schwäche für harte Playboys mit weichem Herz haben ...
Wer die Liebe als Spiel betrachtet, muss damit rechnen, sein Herz zu verlieren.
Nelly: Nach zwei langen Monaten besuche ich endlich wieder meine Freundin in Norwegen, doch in meinem Kopf ist nur dieser eine Kuss. Dieser mysteriöse Snowboarder: Black Maverick. Obwohl ich nichts über ihn weiß, werde ich alles tun, um ihn zu finden. Nur um meine Neugier zu stillen ... nichts weiter.
Marius: Als ich erfahre, dass Nelly wieder nach Geilo zurückkommt, schlägt mein Herz augenblicklich höher. Wir haben uns geküsst, doch sie weiß nicht, dass ich ihr schwarzer Ritter bin. Und ich weiß jetzt schon, dass es ein Spaß werden wird, mit ihr Spielchen zu spielen. Dumm nur, dass der Einsatz mein Herz ist.
Zwei Monate zuvor
Hoch fokussiert starre ich auf die in der Sonne glitzernde Rampe. Es hat über Nacht leicht geschneit, der Himmel ist wolkenlos und meine Motivation grenzenlos. Die Luft ist eiskalt, klar und voller Erwartung – genauso wie das jubelnde Publikum. Mein Herzschlag passt sich dem Rhythmus der Menge an. Sie wollen eine Show. Und ich werde sie ihnen liefern.
Mit geschlossenen Augen strecke ich mein Gesicht der Sonne entgegen und lausche dem Pochen meines Herzschlags. Das ist meine Chance, diesen Snowboard-Contest zu gewinnen. Noch ein letzter Sprung, ein letzter Trick, und ich könnte um zehntausend Euro und einen Pokal reicher sein.
Mit einem schnellen Handgriff streiche ich den Schnee von meinem Board, überprüfe die Bindung und mache ein paar routinierte Dehnübungen.
Ich habe diese Woche schon einmal einen Cab Toe Edge 720 Mute Grab gestanden, also wird es mir auch dieses Mal gelingen.
Zehntausend Euro!
Um meine Nerven zu beruhigen, atme ich tief ein – und wieder aus. Zur Vorbereitung gehe ich meinen Trick noch einmal im Kopf durch: Switch Position – in meinem Fall mit dem rechten Fuß vorne. Danach ein kraftvoller Absprung von der Toe Edge. Zwei Drehungen, sauber, präzise, mit einem Mute Grab in der Luft. Wenn ich dann noch die Landung perfekt hinbekomme, kann ich nur hoffen, dass dieser Black Maverick keinen schwierigeren Trick steht und ich so das Finale gewinne.
Er ist der Star, der Mythos, der Mann, den sie alle feiern. Es gibt hier kaum jemanden, der nicht von ihm spricht. Sein Name hat sich innerhalb kürzester Zeit in mein Gehirn eingebrannt. Ich habe gesehen, wie er Tricks steht, die den Gesetzen der Physik trotzen. Meine Bewunderung für seine Fahrkünste kann ich nicht leugnen, aber hier im Finale ist er mein Gegner – und steht zwischen mir und dem Sieg.
Der Sprecher ruft meinen Namen durch die Lautsprecher und ich ziehe die Brille zurecht, bevor ich in Position gehe. Meine Muskeln spannen sich an – vertraut und bereit, wie ein Bogen, der nur darauf wartet, loszulassen. Dann beuge ich die Knie, drehe mich zur Rampe und setze das Board in Bewegung.
Die Welt um mich herum verblasst. Keine Stimmen mehr, kein Lärm. Nur noch der Kicker vor mir und das Kribbeln in meinem Bauch, das kurz vor dem Absprung immer da ist.
Showtime!
Ich schiebe mein Gewicht auf die Toe Edge und ziehe das Board leicht nach innen. Die Rampe kommt immer näher – dann schieße ich in die Luft. Alles passiert in Sekundenbruchteilen, aber für mich verlangsamt sich die Zeit. Der Absprung ist perfekt. Mein Board hebt sauber ab und ich drehe mich in die erste Rotation. Der Mute Grab sitzt. Mein Körper ist eine Maschine, jeder Muskel arbeitet im Einklang.
Die zweite Drehung schließt sich nahtlos an. Ich weiß, dass die Zuschauer jetzt den Atem anhalten. Noch ein letzter Augenblick, dann richtet sich das Board parallel zum Boden aus. Es sieht gut aus. Ich bin in Position. Fast da. Aber dann merke ich, dass mein Gewicht einen Hauch zu weit vorne liegt. Der Schnee kommt näher und ich spüre, wie sich meine Balance verschiebt – weg vom Zentrum. Ich kippe nach vorne und muss mich mit beiden Händen im Schnee abstützen.
Ich weiß nicht wie, aber ich schaffe es wieder in eine aufrechte Position. Die Landung habe ich trotzdem versaut. Die Welt kehrt laut und erbarmungslos zurück. Die Zuschauer stöhnen auf und beginnen dann, ermutigend zu klatschen. Mein Atem geht schwer und die Enttäuschung schmerzt. Es war so verdammt knapp und ich hätte fast den perfekten Sprung hingelegt. Aber wie sagt man so schön? ‘Knapp daneben ist auch vorbei.’
Der Sprecher sagt etwas, aber ich höre gar nicht hin. Es ändert ohnehin nichts. Ich weiß, dass ich es verkackt habe. Shit happens!
Kopfschüttelnd sehe ich hinauf zu Black Maverick, der sich bereits für seinen Run bereitmacht. Schwarze Hose, schwarze Jacke, schwarzer Helm und eine orange gespiegelte Brille. Meine Chance auf den Sieg ist dahin, das weiß ich. Es müsste schon ein Wunder geschehen, dass ich mit meiner Punktzahl noch gewinnen kann. Zum Beispiel ein Herzinfarkt des Gegners, die Apokalypse, oder so etwas in der Art.
Ich bin ein Gewinnertyp: ehrgeizig und zielstrebig. Jeder, der behauptet ‘Dabei sein ist alles!’, hat noch nie inmitten einer jubelnden Menschenmenge einen Wettbewerb gewonnen. Klingt das unsympathisch? Vielleicht! Aber ohne Menschen wie Black Maverick und mich hätte das Publikum niemanden zum Anfeuern.
Gebannt beobachtete ich meinen Rivalen, wie er sich der Rampe nähert. Er startet mit einer Leichtigkeit, die mich glauben lässt, dass er keinen einzigen Fehler machen könnte. Jede Bewegung ist präzise, kraftvoll, und als er in die Luft schießt, scheint die Welt den Atem anzuhalten. Er springt ab und macht einen verdammten Double Backflip 180 Backside mit Japan Grab! Er gibt alles und setzt auf einen riskanten Trick, um eine hohe Punktzahl zu erreichen. Nichts anderes habe ich erwartet.
Das war's dann. Wenn er den steht – und das wird er –, darf ich ihm zum Sieg gratulieren.
Niedergeschlagen öffne ich die Bindung und steige vom Board. Mit meinem Snowboard unterm Arm steuere ich auf den Rand des Contest-Bereichs zu, wo sich ein paar Mitarbeiter versammelt haben und das Spektakel verfolgen. Die Menge tobt, aber ich sehe bewusst weg. Ich will mir nicht ansehen, wie ich verliere.
Ein Ruck geht durch die Menge und viele der Zuschauer atmen scharf ein, andere raunen auf. Ich sehe auf dem großen Bildschirm eine weiße Wolke aus Schnee. Schlagartig drehe ich mich um und starre auf die Piste, unfähig zu begreifen, was gerade passiert ist. Ich glaub’s nicht! Black Maverick ist gestürzt!
Bevor ich meiner Freude freien Lauf lasse, vergewissere ich mich, dass er sich bewegt und nicht verletzt ist. Ist er nicht. Er schnallt sich das Board ab, steht auf und klopft sich den Schnee von der Kleidung.
Mein Name tönt aus den Lautsprechern und die Menge jubelt. Im Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr, als Mitarbeiter ein Siegerpodest vorbereiten. Black Maverick spricht mit jemanden, der ihm ermutigend auf die Schulter klopft. Und ich? Ich habe wohl gerade zehntausend Euro gewonnen!
Hammermäßigoberaffengeil!
Ich kann es noch immer nicht glauben, dass er tatsächlich ausgerechnet im Finale einen Fehler gemacht hat und ich dadurch gewonnen habe. Er hat sich die letzten Tage keinen einzigen Schnitzer geleistet, und dass ihm das gerade heute passiert, ist mehr als nur ein Wunder – für mich.
Ich fühle mich wie in einem Film. Fremde Leute umarmen mich und gratulieren mir und schreien mir etwas auf Norwegisch zu. Ein Mitarbeiter klärt mich über die bevorstehende Siegerehrung auf. Black Maverick nickt mir anerkennend von der Ferne entgegen und schmunzelt. Wie kann er bei dieser Niederlage so kokett lächeln? Im Falle einer Niederlage wäre ich ihm wahrscheinlich an die Gurgel gesprungen und hätte getobt wie ein trotziges Kind. Eins muss man ihm lassen: Er ist im Verlieren definitiv besser als ich.
Ich schüttle noch ein paar Hände, bevor ich als Dritter das Siegerpodest an der obersten Stufe betrete. Während ich der jubelnden Menge zuwinke, fühlt es sich falsch an, als Siegerin gefeiert zu werden, also hole ich kurzerhand Black Maverick zu mir auf Platz eins. Jeder hier weiß, dass er verdammt gut fahren kann und den Sieg genauso verdient hat wie ich. Die Menge quietscht und ist wegen meiner Geste total aus dem Häuschen.
Black Maverick legt einen Arm um meine Taille und lehnt sich zu meinem Ohr. „Herzlichen Glückwunsch“, sagt er in akzentfreiem Englisch. Seine Stimme bereitet mir eine Gänsehaut. „Du hast es dir verdient.“ Sein Blick scheint durch die spiegelnde Brille hindurch direkt in meine Seele zu sehen. Dieses schiefe Grinsen, das sich auf seinen Lippen ausbreitet, hat etwas Herausforderndes.
„Danke“, flüstere ich überrumpelt. Seine Worte hallen in meinem Kopf nach und ein überwältigendes Gefühl von Stolz und Dankbarkeit überkommt mich. Er ist nicht nur ein guter Verlierer – er ist ein wahrer Gentleman.
Ich habe heute gewonnen, doch warum fühlt sich das plötzlich so nebensächlich an? Ich hätte erwartet, dass Black Maverick wütend oder enttäuscht ist. Aber da steht er, mit diesem attraktiven Lächeln, das mich aus der Fassung bringt. Ich würde ihm jetzt zu gerne in die Augen sehen, aber alles, was ich sehe, ist mein eigenes Spiegelbild in seiner getönten Brille. Dann bleiben meine Augen erneut an seinen sinnlichen Lippen hängen.
Wir sind uns so nah, dass sich unsere Nasenspitzen fast berührten, und wie während meines Tricks scheint die Welt stillzustehen. Das Jubeln der Menge wird zu einem dumpfen Rauschen. Alles, was ich noch wahrnehme, ist mein eigener Herzschlag, der plötzlich viel zu schnell ist, und Black Maverick, der seinen Kopf leicht zur Seite neigt. Er überwindet die wenigen Zentimeter, die uns trennen, und drückt seine Lippen auf meine. Die Welt reduziert sich auf den Punkt, an dem sich unsere Lippen berühren. Er küsst mich und ich bin augenblicklich unter Strom. Für einen kurzen Moment vergesse ich, wer ich bin. Nur Lippen. Hitze. Herzrasen.
Mein Atem stockt. Ein Kuss? Hier, mitten auf dem Siegerpodest, vor all diesen Leuten? Mein Verstand schreit, dass das vollkommen verrückt ist, aber mein Herz schlägt so laut, dass ich kaum denken kann.
Seine Lippen sind weich und sanft und meine Körpertemperatur erhöht sich um mindestens zehn Grad. Das war nicht geplant. Und doch fühlt es sich so richtig an, als würde die Welt für diesen kurzen Moment perfekt in sich ruhen. Das Kribbeln in meinem Bauch explodiert, als sich unsere Zungen kurz berühren – der Kuss bleibt aber jugendfrei. Trotzdem fühle ich ein gewisses Ziehen in meiner Mitte, als seine Zunge erneut in meinen Mund gleitet.
Wie gefährlich das ist, fällt mir erst auf, als er sich wieder löst. Langsam dringen die Geräusche wieder zu mir durch, als würde die Welt mich aus einem Traum reißen. Das Publikum rastet komplett aus, pfeift und applaudiert. Mein Herz rast, als hätte ich gerade den schwierigsten Trick meines Lebens gestanden. Aber das hier? Das ist noch viel gefährlicher. Wie kann ein einfacher Kuss sich anfühlen, als hätte jemand mein innerstes Gleichgewicht aus den Angeln gehoben?
Ein kokettes Grinsen umspielt seine perfekten Lippen, bevor er kurz darauf von seinem Team überrumpelt vom Podest gezerrt wird. Sie schlagen ihm mit der flachen Hand auf den Rücken und feiern ihn – die Frage ist nur, ob für seine Fahrkünste, oder für seine Kusseinlage. Einer von ihnen zeigt auf mich, grinst und sagt etwas, das ich aufgrund der Entfernung und des lauten Publikums nicht verstehen kann. Black Maverick dreht sich ein letztes Mal zu mir um und ich bin mir zu einhundert Prozent sicher, dass er mir zuzwinkert, auch wenn ich es wegen seiner Snowboardbrille nicht sehen kann.
Er verschwindet im Trubel seines Teams und ich bleibe allein zurück. Mein Kopf ein einziges Chaos aus Fragen, von denen ich keine beantworten kann. Ich stehe noch immer mit wild pochendem Herzen wie angewurzelt auf dem Siegerpodest und bin nicht sicher, was mich gerade mehr verblüfft: Die Tatsache, dass ich gewonnen habe, oder die Tatsache, dass ich gerade den besten Kuss meines Lebens hatte.
Das Bild, das sich mir bietet, gleicht einer kitschigen Postkarte. Während ich den verschneiten Forstweg zwischen der Hauptstraße von Geilo und der Husky Lodge entlangfahre, fühle ich mich, als wäre ich in einen Wintertraum eingetaucht. Der Himmel über mir ist in ein strahlendes Blau getaucht, hier und da tanzen kleine Schneeflocken. Links und rechts säumen mächtige Tannen den Weg, deren Zweige sich unter der Last des Schnees biegen. Der Schnee glitzert wie ein Meer aus Diamanten, wenn die tiefstehende Wintersonne durch die Lücken der Baumwipfel bricht. Die Reflexionen des Sonnenlichts auf dem Schnee blenden mich und die Reifen meines Wagens hinterlassen eine klare, knirschende Spur auf der unberührten Schneedecke. Ein fast magischer Moment, der mich lächeln lässt. Es ist, als würde die Zeit auf diesem verschneiten Weg langsamer vergehen und während ich weiterfahre, genieße ich die Ruhe und Schönheit dieses Ortes.
Ja, dieser Ort hat etwas Magisches. Schon vor zwei Monaten, als ich zum ersten Mal hier war, habe ich mich auch sofort in Geilo verliebt. Vor allem in die Pisten. Obwohl die Kleinstadt Geilo und die Großstadt Wien nicht unterschiedlicher sein könnten, fühle ich mich hier nicht so fremd, wie ich das im Ausland sonst tue. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Pistenjunkie bin und Geilo ein bekannter Wintersportort ist. Vielleicht aber auch daran, dass meine beste Freundin Anna vor zwei Monaten ihr Herz einem mürrischen Wikinger schenkte und beschloss, für immer zu bleiben. Eigentlich war unser spontaner Trip vor zwei Monaten nur als Ablenkung für Anna gedacht, die nach der Trennung von ihrem Freund nicht mehr sie selbst war. Richie hat damals seine Arbeit in Form einer hübschen Kollegin ins Homeoffice mitgebracht und war in der Ausübung seiner Tätigkeiten mehr als motiviert. Dumm nur, dass Anna an diesem Tag früher nach Hause gekommen ist und sie inflagranti erwischt hat. Für sie ist eine Welt zusammengebrochen. Ich hingegen war froh, dass sie dieses Arschloch endlich los war. Als sie dann auch noch ihren Job verlor, hat uns nichts mehr in Wien gehalten. Wir wählten unser Reiseziel damals zufällig aus – für Anna war es so etwas wie Schicksal. Der Beginn eines neuen Kapitels. Das Ganze endete schlussendlich mit einer hollywoodreifen Liebesgeschichte und einem Umzug für sie – und einem Aufeinandertreffen mit einem mysteriösen Snowboarder und einem zehntausend Euro Gewinn für mich. Das Schicksal meinte es offensichtlich gut mit uns.
Auf der Husky Lodge angekommen, parke ich meinen Mietwagen mitten am Hof und sehe mich um. Ich war schon einmal hier, aber heute sehe ich diesen Ort mit anderen Augen, weil es kein einfacher Urlaubsort mehr ist, sondern das Zuhause meiner besten Freundin.
Auf der linken Seite steht ein großes Blockhaus, das mit dem schneebedeckten Dach und der kitschigen Landschaft rundherum aussieht, als wäre es mithilfe künstlicher Intelligenz oder Photoshop entworfen worden. Aus dem kleinen Schornstein steigt Rauch, der sich sanft in den klaren, kalten Winterhimmel auflöst. Drei Stufen führen zu einer Veranda, die sich über die ganze Front des Hauses erstreckt und zugegeben ziemlich einladend aussieht. Auf der rechten Seite entlang ist Brennholz gestapelt und alles ist eher schlicht und praktisch – kein Schnickschnack in Form von Laternen, Blumenkästen oder dekorativen Elementen.
Der Charme, den die Hütte ausstrahlt, ist genauso rustikal wie der Hausbesitzer.
Das erste Zusammentreffen mit Ivar vor zwei Monaten war … Sagen wir einfach, wir konnten uns von Anfang an nicht riechen. Ich sehe Ivar vor mir, wie er damals an der Bar gesessen hat und mich angebrummt hat. Heute weiß ich, dass es seine Art ist, aber das macht ihn nicht weniger mürrisch. Unser einziger gemeinsamer Nenner ist Anna. Wenn er sie glücklich macht, bin ich auch glücklich. Allerdings habe ich ihm damals dezent gedroht, ihm seine Eier abzureißen und an seine Huskys zu verfüttern, sollte Anna ein schlechtes Wort über ihn erzählen. Sie ist ein Mensch, der lieber einsteckt oder Tatsachen ignoriert, nur um Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Ganz im Gegensatz zu mir. Mein zweiter Vorname ist Konfrontation und ich habe gerne das letzte Wort. Und Ivar ist ein breitschultriger Wikinger, der Anna mit zwei Fingern zerquetschen könnte, wenn er wollte. Auch wenn ich mittlerweile ziemlich sicher bin, dass er Anna liebt und ihr nie ein Haar krümmen würde, bin ich noch immer ein bisschen misstrauisch. Männer bleiben Männer. Und Männer sind größtenteils schwanzgesteuerte Arschlöcher – davon kann ich ein Lied singen. Aber lassen wir mal die Vergangenheit ruhen, anstatt ihr Raum zu geben. Das ist es nicht wert.
Als die Eingangstür aufspringt und Anna die Stufen herunter eilt, schnalle ich mich ab und springe aus dem Auto.
Mit einem breiten Lächeln läuft sie auf mich zu. „Aaaahhh! Ich fasse es nicht! Du bist hier!“ Es ist nicht so, dass ich mich nicht angemeldet hätte, aber ich verstehe, was sie meint. Jetzt endlich wieder hier zu sein fühlt sich merkwürdig an – wie ein Traum – und ich kann es noch immer nicht glauben, dass sie jetzt tatsächlich in Norwegen wohnt.
„Natürlich bin ich hier. Ich hätte es keinen Tag länger ohne dich ausgehalten.“ Wir waren tatsächlich seit vielen Jahren noch nie so lange voneinander getrennt gewesen. Ihre Schritte beschleunigen sich, bis sie auf mich zustürmt und die Arme um mich schlingt. Bei ihrer überschwänglichen Umarmung hätte ich fast das Gleichgewicht verloren, aber kurz darauf hält sie mich so fest, als müsste sie die letzten Wochen wiedergutmachen.
„Ich hab’ dich so vermisst“, schluchzt sie in mein Ohr und denkt nicht mal dran, die Umarmung zu lösen. Ich auch nicht. Für einen Moment halte ich die Augen geschlossen, als könnte ich diesen Augenblick konservieren, für die Tage, an denen ich wieder allein in Wien bin.
„Und ich dich erst!“, erwidere ich und spüre einen kleinen Kloß im Hals. Wir klammern uns aneinander und für einen Augenblick fühlt es sich an, als hätte die Distanz zwischen Wien und Norwegen nie existiert. „Da fährt man mit dir auf Urlaub, um dich auf andere Gedanken zu bringen, und dann bleibst du einfach für immer.“ Ich lächle sie an, aber tief in mir schmerzt der egoistische Gedanke, dass ich sie verloren habe. Dieses Zuhause, diese Hunde – all das ist jetzt ihr Leben. Und ich? Ich bin nur noch eine Besucherin, die in ein paar Tagen wieder verschwindet. Dass sich das für mich noch immer falsch anfühlt, behalte ich für mich, weil ich ihr kein schlechtes Gewissen einreden möchte. Man sollte dort sein, wo man glücklich ist – in ihrem Fall in einer verdammten Blockhütte in einem Wald in Norwegen. Dass ich gegen diesen brummigen Wikingerarsch verloren habe, ist eine schmerzhafte Niederlage. Sein Sieg liegt wahrscheinlich an seinem magischen Schwanz – und damit kann ich leider nicht dienen.
„Komm, ich zeig dir schnell die Hunde“, sagt sie, nimmt meine Hand und führt mich zu den Zwingern, die sich direkt neben dem Haus befinden. Wir haben mehrmals die Woche telefoniert und sie hat jedes Mal von ihren neuen Haustieren erzählt. Anna war schon immer ein Hundemensch. Ich hingegen bevorzuge Katzen. Wahrscheinlich, weil ich mich mit ihnen besser identifizieren kann. Sie sind neugierig, unabhängig und eigensinnig. Ja, klingt nach mir.
Während wir uns den Hunden nähern, laufen sie schwanzwedelnd entlang des Metallgitters auf und ab, jaulen und beobachten jeden meiner Schritte. Ihr Atem bildet kleine Wolken in der kalten Luft und gelegentlich ertönt ein kurzes Bellen.
„Das sind meine Lieblinge. Man soll ja eigentlich keine Lieblingskinder haben, aber du weißt ja, dass ich Electra mein Leben verdanke. Und Snow ist eben Snow. Der Kerl hat es mir einfach von der ersten Sekunde an angetan.“
Genau das meinte ich. Sie schwärmt mit einem Glitzern in den Augen, das mich glücklich macht. Sie liebt es hier und das ist der Grund, warum ich es ihr nicht verübeln kann, dass sie mich verlassen hat.
Ich kann mich noch gut an den Schock erinnern, den sie mir versetzte, als sie bei Ivar gestrandet ist, nachdem sie von einem Schneesturm überrascht wurde. Hätte Ivars Hündin sie nicht rechtzeitig gefunden, wäre sie im Wald erfroren. Nicht auszudenken … Das laute Scheppern der Zwingertür reißt mich aus meinen dunklen Gedanken.
„Hey, meine Hübschen. Seht mal, wen ich euch mitgebracht habe“, begrüßt Anna ihre Babys voller Stolz und schließt die Tür hinter mir. Snow erkenne ich sofort, da er der einzige weiße Husky ist.
„Das hier sind Snow und Blue“, erklärt sie und zeigt auf den weißen Husky und danach auf einen wunderschönen schwarz-weißen Husky mit himmelblauen Augen. Die beiden spielen, toben und schnappen übermütig nacheinander. „Das hier ist Rusty.“ Anna streichelt über den Kopf eines rotbraunen Huskys und krault ihn zwischen den Ohren. „Und das ist die Leithündin und Chefin: Electra. Nimm’s nicht persönlich, dass sie nicht zu uns kommt. Sie mag Menschen nicht besonders.“ Kann ich verstehen, Mädchen. Menschen sind eine seltsame Spezies. Electra fixiert mich mit einem durchdringenden, skeptischen Blick. Ihr Schwanz bleibt starr und als ich einen Schritt nach vorn mache, weicht sie zurück und legt die Ohren leicht an. Es ist, als würde sie versuchen, mich einzuschätzen, genau wie Ivar es getan hat.
Während wir uns gegenseitig mustern, fällt mir auf, dass sie zwei unterschiedlich farbige Augen hat – ein blaues und ein braunes Auge. Ihr Blick hypnotisiert mich regelrecht. Snow und Blue toben währenddessen ungehindert weiter und wollen mich zum Spielen animieren. Immer wieder spüre ich ihre Nasenspitze an meinen Beinen, aber ich kann den Blick nicht von Electra abwenden. Nach einer gefühlten Ewigkeit macht sie einen kleinen Schritt nach vorne, hält aber weiterhin einen Sicherheitsabstand ein. Ist es komisch, wenn man sich als Katzenmensch plötzlich mit einem Hund identifizieren kann? Sie ist stark. Misstrauisch. Als Leithündin ist sie verantwortlich für die Sicherheit ihres Rudels. Menschen können böse sein und ich vermute, dass sie diese Erfahrung in der Vergangenheit schon einmal gemacht hat. Sie hat offensichtlich gelernt, die Menschen um sich herum genau zu lesen. Ein Teil von mir versteht sie nur zu gut. Vertrauen gibt man nur denjenigen, die es wirklich verdienen. Und selbst dann bleibt immer ein Restzweifel.
Snow und Blue springen mittlerweile zu mir hoch, weil ich sie zu lange ignoriert habe. Snow drückt seine kalte Schnauze gegen meine Hand, während Blue ungeduldig an meinem Ärmel zupft. Ihre Energie ist ansteckend. Sie reißen mich aus meinen trüben Gedanken und zaubern mir mit ihrer verspielten Art ein Lächeln ins Gesicht. Jetzt verstehe ich, wovon Anna am Telefon gesprochen hat, denn für einen Moment vergesse ich alles um mich herum.
„Ist ja schon gut, Jungs“, sage ich und gehe in die Hocke. „Ich sehe euch. Kein Grund, eifersüchtig zu sein.“ Ich vergrabe meine Hände in ihrem dichten Fell und kraule sie ausgiebig – sofort drücken sie sich näher an mich heran und wedeln wild mit den Schwänzen.
Nachdem sich die beiden beruhigt haben und ich mich wieder aufrichte, lasse ich meinen Blick schweifen. Viel ist nicht zu sehen. Die Hütte ist wirklich abgelegen, aber die Landschaft ist atemberaubend. Hinter den Zwingern befinden sich die kleinen Selbstversorgerhütten, von denen Anna mir erzählt hat. Sie sind ebenfalls aus Holz und sehen wie große Gartenhütten aus. Sie schmiegen sich an den Waldrand, die schneebedeckten Äste ragen so nah heran, dass sie fast die Wände berühren. Es wirkt wie ein Bild aus einem Wintermärchen und für einen Moment kann ich die Welt da draußen vergessen. Die ganze Szenerie sieht aus wie gezeichnet und ich freue mich, dass Ivar einverstanden ist, dass ich hier die nächsten Tage gratis wohnen darf.
Lächelnd wende ich mich Anna zu. „Schön hast du’s hier.“
Meine Aussage bringt sie zum Lächeln. „Danke. Es ist wirklich ein Traum.“ Mir gefällt, wie sie strahlt. Das sah vor zwei Monaten noch ganz anders aus. Gedankenverloren streift sie mit den Fingern den Schnee vom Metallgitter des Zauns. „Es fühlt sich an wie Zuhause, weißt du, was ich meine?“
Ich nicke, auch wenn ich mir nicht sicher bin, was sie meint. „Also bereust du es nicht und kommst nicht zurück nach Wien?“, mutmaße ich.
„Keine zehn Huskys würden mich nach Wien bringen.“ Sie lacht auf. „Das Einzige, was ich vermisse, sind du und die wärmeren Temperaturen.“
„Das kann ich mir vorstellen. In Wien hatte es gestern fünfzehn Grad! Hier fühlt es sich an wie in der Arktis.“ Ich mag die Kälte nicht – es sei denn, ich stehe auf dem Board. Snowboarden ist meine Leidenschaft, seit ich denken kann. Dafür nehme ich gerne kalte Finger in Kauf. Während mein Bruder auf den Skiern eine gute Figur macht, reicht mir ein Brett, um gut auszusehen. Wir haben uns in den letzten Jahren so viele Battles geliefert, dass ich sie kaum zählen kann. Immer nach dem Motto: Höher, schneller, weiter.
„Herrlich. Während in Wien der Sommer kommt, schneit es hier noch immer. Aber wenigstens ist es gut fürs Geschäft. Auch für Sigurds Hotel und Marius’ Restaurant. Der Tourismus boomt.“
Das kann ich mir gut vorstellen. „Hört sich doch toll an.“
Ivar hat vier Geschwister. Sigurd und Magnus betreiben das Gundersen Resort in der Stadt, bei dem wir vor zwei Monaten einquartiert waren. Seine Schwester Kari ist nach Oslo gezogen und kommt nur noch zu Besuch nach Geilo und Marius hat gleich gegenüber dem Resort ein rustikales Restaurant.
Marius … Bei dem wollte ich morgen vorbeischauen und ihn um einen Gefallen bitten.
Als Anna bemerkt, dass ich meine Hände aufgrund der Kälte aneinander reibe, steuert sie die Tür des Zwingers an.
„Lass uns reingehen. Quatschen können wir auch im Warmen und dann zeige ich dir dein neues Zuhause auf Zeit.“ Mit routinierten Bewegungen schirmt sie mich mit ihren Beinen von den Hunden ab und verhindert, dass uns einer entwischt. Dann schließt sie die Metalltür hinter uns, hakt sich bei mir ein und lehnt ihren Kopf an meine Schulter, während wir Richtung Haus gehen.
„Lass uns nie wieder so lange getrennt sein, okay?“ Ihre Stimme klingt bedrückt. Ich habe sie auch vermisst, aber ich bin nicht diejenige, die ausgewandert ist. Ich beiße mir auf die Zunge und behalte den Kommentar für mich, denn was würde es ändern, wenn ich es laut ausspreche? Stattdessen drücke ich ihren Arm ein bisschen fester. Sie sollte kein schlechtes Gewissen haben, nur weil sie, im Gegensatz zu mir, ihr Glück gefunden hat.
„Wenn du willst, nerve ich dich die nächsten Tage so sehr, dass du froh sein wirst, wenn ich endlich wieder abhaue.“
Sie hebt ihren Kopf und wir grinsen uns an. “Das schaffst du nicht. Ich werde jede einzelne nervige Sekunde ‘Nelly’ in mich aufsaugen, dass ich bis zu unserem nächsten Treffen davon zehren kann.“
„Oh, du solltest mich besser nicht herausfordern. Du weißt, ich kann ziemlich laut und nervtötend sein.“
Sie zuckt unbeeindruckt mit den Schultern. „Das macht nichts. So nervtötend kannst du gar nicht sein, dass es deine positiven Eigenschaften aufwiegen würde. Du kannst es probieren, aber es wird dir nicht gelingen.“
„Hmm … Das werden wir ja sehen.“ Wir kichern wie kleine Teenager und taumeln noch immer Arm in Arm eingehakt wie zwei Betrunkene durch den Schnee und über die Stufen auf die Veranda. Ich liebe diese Frau und weiß jetzt schon, dass die nächsten Tage einfach genial werden.
Anna öffnet mir die hölzerne Tür und als ich eintrete, entdecke ich einen breiten, mürrischen Wikinger in der offenen Wohnküche.
„Hey“, begrüße ich ihn mit einem Lächeln, das er nicht erwidert. Oder er versteckt es hinter dem Gestrüpp in seinem Gesicht – da bin ich nicht sicher.
Ivar hebt kurz den Kopf, mustert mich mit diesem halb genervten, halbgleichgültigen Blick, den ich schon von unserem ersten Treffen kenne. „Hallo“, brummt er. Mir liegt schon wieder ein provokanter Spruch auf der Zunge, aber ich schlucke ihn runter. Ich schätze nicht, dass Ivar meinen Humor lustig finden würde. Ich glaube nicht mal, dass er fähig ist zu lachen, so wie er immer dreinschaut.
Obwohl er Deutsch versteht, beschließe ich, auf Englisch mit ihm zu reden, weil ich denke, dass er sich so wohler fühlt. „Danke, dass ich bei euch wohnen darf“, sage ich. Ich bin ihm wirklich dankbar. Anna hat erzählt, dass es seine Idee war, mir eine der Selbstversorgerhütten zur Verfügung zu stellen. Außerdem hat sie gemeint, dass ich hier tatsächlich einziehen darf. Für immer. Also als Ferienhaus. Da ich mit meinem Job als Autorin sehr flexibel bin, könnte ich jederzeit herkommen und müsste auch nicht immer so viel Gepäck mitschleppen. Das Einzige, was ich brauche, ist mein Laptop.
„Hm“, macht er schulterzuckend und wendet sich unbeeindruckt ab. Ja, genau so habe ich ihn in Erinnerung. Aber er tut meiner besten Freundin sichtlich gut, also darf er seine Eier noch ein Weilchen behalten. Vorerst.
Anna deutet zum Esstisch und öffnet einen der Küchenschränke. “Setz dich ruhig. Hast du Hunger? Tee? Kaffee? Wie war die Anreise?“
„Kaffee wäre toll!“ Kaffee ist doch immer toll. „Und die Reise war okay. Gute zwei Stunden Flug und von Oslo nochmal drei Stunden mit dem Auto. Bei meinem Bleifuß vielleicht auch nur zweieinhalb.“ Anna erwidert mein breites Grinsen und nickt. Sie kennt mich. Ich liebe alles, was schnell ist und das Adrenalin in meine Adern schießen lässt.
„Ich hab dein Mietauto gesehen. Mein geliebter Jeep war dir wohl nicht gut genug, hab ich recht?“ Ihre Stimme klingt gespielt beleidigt. Bei unserer Reise vor zwei Monaten hatten wir einen alten Jeep. Er hat zwar seinen Zweck erfüllt, aber ganz und gar nicht meinen Geschmack getroffen.
„Du weißt doch: Ich gebe mich nur mit dem Besten zufrieden“, erwidere ich schmunzelnd. Sie lacht auf, holt zwei Tassen aus dem Schrank und stellt sie nebeneinander unter die Kaffeemaschine.
„War ja klar. Sieht sportlich aus. Ein Audi, oder?“ Anna hat von Autos keine Ahnung. Hätte das Auto keine vier Ringe am Kühlergrill, hätte sie keine Ahnung, um welche Marke es sich handelt. Sie ist der Typ, der auf die Frage ‘Welches Auto fährst du?’ mit ‘ein schwarzes’ antwortet.
„Audi A3 Sportback mit Allradantrieb, zwei Liter Turbodiesel mit 184 PS. Etwas Besseres stand nicht zur Verfügung.“ Sie zieht eine Augenbraue hoch und ich kann den Untertitel in ihrem Gesicht deutlich lesen. „Was denn? Ich habe beim Snowboardcontest viel Kohle gewonnen und wollte es für etwas Sinnvolles ausgeben.“ Anna schüttelt verständnislos den Kopf.
„Mhm. Dafür habe ich natürlich vollstes Verständnis. Es ist schließlich unheimlich wichtig, wie das Auto außen aussieht, während man drinnen sitzt.“ Ihr sarkastischer Tonfall entgeht mir nicht.
„Und wie es sich anfühlt und wie es sich anhört und außerdem sollte es auch von innen gut aussehen. Es zählen auch die inneren Werte, Anna. Sportsitze aus Leder, Designelemente, Beleuchtung, Panorama-Glasdach, Infotainment, Assistenzsysteme, voll digital, hochauflösender 12,3-Zoll-Bildschirm, Head-up-Display, …“
„Schon gut, schon gut!“, unterbricht sie mich und wedelt mit beiden Händen abwehrend in meine Richtung. „Ich hab’s verstanden. Die inneren Werte zählen, und wenn du keine Bestseller schreibst, verkaufst du in Zukunft Autos.“ Mit ihrer Aussage bringt sie mich zum Schmunzeln. Keine schlechte Idee. Alles, was vier Reifen und einen starken Motor hat, ist fast so interessant wie ein Snowboard.
Anna stellt zwei Tassen Kaffee und eine Kanne Milch auf den Esstisch und fängt an, in einer kleinen Schublade zu kramen. Sie zieht etwas heraus und setzt sich zu mir.
„Hier. Der ist für dich. Du kannst ihn behalten. Er gehört dir.“ Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen überreicht sie mir einen Schlüssel mit einem durchsichtigen Schlüsselanhänger. Ein N aus Epoxidharz und erst jetzt entdecke ich die kleinen eingearbeiteten Schneeflocken und den Glitzer.
„Wow“, staune ich und drehe den Anhänger in meiner Hand. „Hast du den gemacht?“ Das sieht wirklich toll aus. Professionell kitschig.
„Ja. Mein neues Hobby. Ein kleiner Zeitvertreib für den ewig andauernden Winter hier in Norwegen.“
„Das sieht mega aus! Vielen Dank. Du solltest dir überlegen, ob du die online verkaufst.“ Auch wenn sie jetzt Ivar mit den Hunden hilft, könnte sie sich nebenbei noch ein kleines Geschäft aufbauen und ihr Taschengeld verdienen.
„Würdest du mir helfen, eine Homepage zu erstellen?“
„Ob ich dir helfen würde? Scheiße, es wäre mir ein Vergnügen!“ Breit grinsend nickt sie mir zu. Seit ich hier bin, strahlt sie diese Mischung aus Stolz und tiefer, innerer Zufriedenheit aus. Ich freue mich für sie – ehrlich. Aber ich vermisse sie dennoch abartig. Vor allem, weil sie vor ihrem Umzug bei mir gewohnt hat, nachdem die Beziehung mit ihrem Ex in die Brüche gegangen ist. Ohne sie ist meine Wohnung viel zu leer und zu ruhig. Das ist mir früher nie so sehr aufgefallen. Ich bin gerne alleine. Ich komme normalerweise gut mit Stille und Einsamkeit klar und bin im Großen und Ganzen zufrieden mit meinem Leben. Immerhin habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht. Ja, ich bin manchmal ein bisschen untervögelt, aber sonst gibt es nichts, was mir fehlt. Und trotzdem ist da seit ihrem Auszug dieses Gefühl der Leere in mir, das ich mir nicht logisch erklären kann.
Eigentlich will ich keinen Partner. Ich bin gerne für mich allein. Somit besteht keine Gefahr, enttäuscht zu werden. Seit mein damaliger Freund vor fünf Jahren etwas mit unserer Mitbewohnerin und guten Freundin von mir angefangen hat, habe ich mit Beziehungen abgeschlossen. Dieser Seitensprung war nicht nur ein Vertrauensbruch – er war ein Stich ins Herz, der bis heute schmerzt. Ich dachte, wir wären ein eingespieltes Team: Mein Traummann, meine Freundin und ich – wie eine kleine Wahlfamilie. Bis zu dem Tag, an dem unser harmonisches WG-Leben zu meiner persönlichen Hölle wurde. Seitdem habe ich gelernt, wie es sich anfühlt, wenn einem zwei geliebte Menschen zur selben Zeit den Boden unter den Füßen wegziehen.
Mein Herz zieht sich bei dem Gedanken an die Vergangenheit unwillkürlich zusammen. Es schmerzt noch immer, gleichzeitig meine Freundin und meinen Freund verloren zu haben. Das klingt, als wären sie bei einem Unfall ums Leben gekommen. Sie sind nicht tot, aber für mich sind sie es. Ich will nicht darüber nachdenken, aber plötzlich tauchen wieder all die Bilder in meinem Kopf auf. Die Blicke, die Ausreden und der Schmerz, der damit einherging. Wenn dein Freund seinen Schwanz in deine Freundin steckt, macht das etwas mit dir. Ich habe den Schmerz und die Enttäuschung in den letzten Jahren in Wut umgewandelt. Seitdem halte ich die meisten Menschen emotional auf Abstand – besonders Männer. Vertrauen ist wie Porzellan: Einmal zerbrochen, bleibt der Riss, auch wenn man ihn auf den ersten Blick vielleicht nicht sehen kann. Klingt klischeehaft, nicht wahr? Ändert aber nichts daran, dass ich zwei geliebte Menschen, denen ich blind vertraut habe, aus meinem Leben streichen musste.
Das heißt jetzt nicht, dass ich ein stummes, graues Mäuschen geworden bin, das keusch lebt. Ich bleibe mir selbst treu und bin noch immer so laut und extrovertiert wie eh und je. Nur misstrauischer. Trotzdem gönne ich mir hin und wieder einen lebenden Schwanz anstelle meines Vibrators. Für irgendetwas müssen Männer schließlich gut sein.
„Alles okay?“ Anna sieht mich mitfühlend an. Ich bin wohl zu lange und zu tief in meine dunkle Vergangenheit gereist.
„Klar!“, lüge ich, weil ich das, was ich empfinde, ohnehin nicht in Worte fassen kann. „Ich bin nur müde von der Anreise.“ Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee und halte die Tasse länger als nötig an meinem Mund, während ich kurz zu ihr rüberschiele. Sie spürt es. Sie kennt mich. Sie merkt, dass ich gerade einen trüben Gedanken hatte, aber weil sie auch weiß, dass ich müde bin und nicht reden will, lässt sie es gut sein.
„Wenn du irgendetwas brauchst, sag einfach Bescheid, okay?“ Ich nicke und halte noch immer die Tasse an meine Lippen. „Ivar und ich haben morgen um neun zwei Ausfahrten geplant. Wenn du früh genug wach bist, kannst du um acht mit uns frühstücken.“
„Danke für das Angebot. Ich werde mir keinen Wecker stellen, aber wenn mich der Hunger aufweckt, komme ich gerne bei euch vorbei.“
„Hast du schon einen Plan für die nächsten Tage?“, will sie wissen.
„Ich hatte vor, ein neues Buch zu schreiben. Vielleicht inspiriert mich die neue Umgebung positiv und bringt mich meinem Bestseller näher.“ Ja, das wäre ein Traum. „Außerdem wollte ich morgen zu Marius fahren und mit ihm reden.“ Marius. Ich erinnere mich an sein breites Hollywoodgrinsen und diese lässige Art, die ihn gleichzeitig anziehend und unverschämt macht. Aber ich brauche seine Hilfe, wenn ich Black Maverick finden möchte. Wenn jemand weiß, wie man Menschen findet – oder sie dazu bringt, sich finden zu lassen –, dann er. Ich hoffe nur, dass er mich ernst nimmt und nicht alles in einen seiner schlechten Flirts verpackt. Ich brauche Antworten, keine niveaulosen Anmachsprüche.
Anna zieht fragend eine Augenbraue hoch.
„Reden wir von Reden im Sinne von: Worte aneinanderreihen, oder von Reden im Sinne von: Ich will ihn vögeln, binde es dir aber nicht an die Nase?“ Ich lache auf. Sie kennt mich eindeutig zu gut. Warum sollte ich als Single mein Leben nicht in vollen Zügen genießen?
„Einfach nur reden. Ich will ihn fragen, ob er mir bei der Suche nach Black Maverick helfen möchte. Immerhin hat er damals gesagt, dass er ihn kennt.“ Plötzlich zucke ich zusammen, weil Ivar knurrend zu uns gekommen ist. Er schüttelt den Kopf, als wäre er genervt. Das ist offensichtlich seine Standard-Werkseinstellung.
„Jeg skal mate hundene“, sagt er, legt die Hand auf Annas Rücken und drückt ihr einen Kuss auf den Scheitel. Eine kleine Geste, die mehr sagt, als Worte es könnten. Sie nickt und sieht so verliebt zu ihm auf, dass ich befürchte, dass ihre Augen gleich kleine Herzchen auskotzen. Dann geht er zur Tür, greift nach seiner Jacke und verschwindet. Charmant wie eh und je. Und trotzdem sieht ihm Anna nach, als wäre er ihr Märchenprinz. Was vermutlich auch stimmt. Ihr verliebter Blick schwenkt wieder zu mir und sie bemüht sich sichtlich, die Herzchen in ihren Augen zu absorbieren.
„Du lässt also echt nicht locker“, sagt sie und nimmt unser Thema wieder auf. Ich zucke mit den Schultern. Ich spüre, dass Marius mehr weiß, als er zugibt. Bei unserem letzten Gespräch ist er meinen Fragen eher ausgewichen und hat mit meiner Unwissenheit und Neugier gespielt. Ob er mir wirklich helfen wird, weiß ich nicht, aber ich hoffe es.
„Ich bin eben neugierig.“ Ein bösartiges Grinsen legt sich auf meine Lippen. „Und ehrgeizig, wenn es darum geht, dass ich bekomme, was ich will.“ In meinem Fall eine Wiederholung von dem Kuss von damals, mit dem kleinen Unterschied, dass ich diesmal in seine Augen sehen will.
„Na dann hoffe ich, dass es dir gelingt, ihn zu finden. Oder euch. Marius hilft dir bestimmt. Er ist zwar ein nervtötender, lauter Frauenheld, aber er ist ein hilfsbereiter Mensch.“ Ich nicke stumm. Ja, Marius ist wirklich ein Casanova. Ein zugegeben verdammt gutaussehender Casanova – und das weiß er auch. Ein typischer Aufreißer. Aber ich verstehe ihn irgendwie. Ich bin phasenweise auch nicht viel besser. Und warum sollte man auf eine Sache wie Sex verzichten, wenn es so viel Spaß macht?
„Ich halte dich jedenfalls auf dem Laufenden. Aber ich werde jetzt erstmal meine Hütte beziehen und mich aufs Ohr hauen.“ Ich nehme den letzten Schluck Kaffee, schnappe meinen neuen Schlüssel und stehe auf.
„Ich helfe dir noch mit dem Koffer und zeig dir alles. Es war übrigens unser voller Ernst: Die Hütte gehört dir. Komm und bleib so lange und so oft wie du willst.“ Ich gehe um den Tisch herum und ziehe meine beste Freundin in eine Umarmung. Allein, dass jetzt die Möglichkeit besteht, jederzeit hierherzukommen, ohne mich um eine Übernachtungsmöglichkeit umsehen zu müssen, ist ein tolles Gefühl.
„Danke. Wirklich. Das macht den physischen Abstand zwar nicht besser, wenn ich wieder in Wien bin, aber die Gewissheit, dass ich jederzeit kommen kann, fühlt sich richtig gut an.“ Sie drückt mich noch einmal kurz, bevor sie sich von mir löst und mich anfunkelt.
„Und wehe, du wagst es, dich noch einmal für zwei Monate nicht blicken zu lassen. Dann lernst du mal meine dominante Seite kennen“, droht sie, sieht mich gespielt ernst an und stemmt die Hände in die Hüften. Ich kann nicht anders, als zu lachen. Ihr Versuch, dominant zu sein und bedrohlich zu wirken, ist lächerlich.
„Oh ja, die gefürchtete Anna. Das würde ich nur zu gerne sehen. Versohlst du mir dann den Hintern mit einem Pfannenwender?“ Bei unserem Insider-Witz lachen wir beide laut auf.
„Wer weiß, Nelly. Ich hoffe, du lässt mich nie wieder so lange allein, dann müssen wir es nicht herausfinden.“
„Ich gebe mein Bestes, Ma’am.“
Blinzelnd öffne ich meine Augen und sehe Schneeflocken vor meinem Fenster tanzen. Ich muss wohl beim Lesen eingeschlafen sein. Mit gerunzelter Stirn versuche ich meinen Blick zu schärfen und gegen das blendende Weiß vor meinem Fenster anzukämpfen.
Mein neues Zuhause ist der Hammer. Gemütlich und heimelig, sodass man sich hier auf Anhieb wohlfühlt. Die komplette Einrichtung ist aus Vollholz. An der Wand steht ein Doppelbett mit beiger Bettwäsche und einem Nachtkästchen, daneben ein kleiner Tisch mit zwei Holzstühlen. Eine beige, zwei Meter lange Küchenzeile erstreckt sich zwischen dem Fenster und der Eingangstür und gegenüber befindet sich ein kleines Bad mit Dusche. Der Schwedenofen und das Knistern des Holzes darin machen die Atmosphäre perfekt. Eigentlich wollte ich gestern nach dem Lesen noch meine Sachen auspacken, aber ich war einfach zu müde und dann sind mir in Nullkommanix die Augen zugefallen. Die Anreise war doch anstrengender als ich dachte.
Ein Blick auf mein Handy verrät mir zwei Dinge. Erstens: Es ist schon halb neun und ich habe Annas Frühstück verpasst. Zweitens: Ich habe vergessen meinen Bruder anzurufen. Er hat mir eine Nachricht geschickt.
Bei seiner Nachricht muss ich schmunzeln. Ich habe ihm von Black Maverick erzählt. Wir teilen alles. Okay, das stimmt nicht. Ich würde niemals etwas mit ihm teilen, aber wir reden über alles. Und er heißt nicht einfach Lurch, sondern Lukas – Lukas, der Lurch. Früher war er meine kleine Kröte, doch als er mir über den Kopf wuchs, wurde er zum langen Lurch.
Während ich versuche, meine zerzausten Haare zu bändigen, tippe ich die Antwort an Lukas ein. Sein Sarkasmus bringt mich wie immer zum Lächeln.
Ich schicke ihm ein Foto von meinem Audi, das ich bereits in Oslo gemacht habe.
Mein Grinsen hält an. Ich liebe meinen Bruder. Wir sind auf derselben Wellenlänge. Manchmal glaube ich, er kennt mich besser als ich mich selbst. Auch wenn wir uns so oft gezankt haben, dass man es unmöglich zählen könnte, halten wir, wenn es hart auf hart kommt, immer zusammen. Wahre Geschwisterliebe eben. Aber wenn er mich fragt, muss ich ihm sagen, dass ich den Lurch, den unsere Eltern gezeugt haben, nicht leiden kann.
Obwohl das Verhältnis zu unseren Eltern ‘normal’ ist – sprich: kein Mord- und Totschlag, keine Intrigen oder sonstiges – vertraue ich mich lieber meinem Bruder an. Er hat mich schon immer am besten verstanden. Meine Eltern haben mich eher von oben herab betrachtet und mir das Gefühl gegeben, dass ich das Leben nicht verstehe und unreif bin. Die Tatsache, dass ich Autorin bin, hat sie nur dazu gebracht, seufzend die Köpfe zu schütteln und dann haben sie mir erklärt, ich solle mir einen richtigen Job suchen. Ja, ich kann manchmal verdammt unreif sein. Aber jede Reaktion folgt auf eine Aktion. Wenn mir diese Aktion nicht gefällt, werde ich eben manchmal bockig. Und wem das nicht gefällt, der kann mich mal … Das ist der Grund, warum ich mit Problemen nicht zu meinen Eltern gehe, was nicht heißen soll, dass wir Weihnachten nicht gemeinsam feiern. Aber es ist eine Pflichttermin-Beziehung, wenn man so will. Wie mit der Tante oder Cousine zweiten Grades.
Noch immer ein wenig verschlafen, reibe ich mir das Gesicht und mache mich fertig. Während ich mir die Zähne putze, starre ich aus dem Fenster und lasse mich von den Schneeflocken hypnotisieren. Die kleinen, tanzenden gefrorenen Wassertropfen wirken beruhigend auf mich. Kaum zu glauben, dass ich vor zwei Tagen nur mit einem T-Shirt bekleidet bei fünfzehn Grad auf dem Balkon saß und mir die Sonne ins Gesicht scheinen ließ. Hier herrscht Eiszeit, während in Wien alles erblüht.
Als ich lautes Gebell und Gejaule höre, gehe ich zu dem Fenster neben der Eingangstür und beobachte, wie Anna und Ivar zu den Zwingern gehen. Um sie nicht zu verpassen, beschließe ich, schnell ein paar dicke Schichten überzuziehen, und gehe zu ihnen nach draußen.
„Morgen, Schlafmütze“, begrüßt mich Anna von Weitem, während Ivar nur kurz in meine Richtung nickt. „Du hast das Frühstück verpasst. Marius’ Restaurant öffnet aber zum Glück um neun.“ Sie lächelt mich wissend an und hilft dann Ivar, das Equipment für die Schlittenfahrt vorzubereiten.
„Mein Retter in der Not“, scherze ich theatralisch. „Ich bin kurz vor dem Verhungern.“ Mein Magen grummelt zustimmend.
„Morgen Vormittag hätte ich Zeit, falls du Lust auf eine Ausfahrt hast.“ Mir entgeht nicht, wie ihre Augen funkeln. Dass sie sich so schnell hier eingelebt hat, ist toll.
„Sehr gerne. Aber nur, wenn das Wetter passt. Ich habe keinen Bock, im Wald zu erfrieren, und ich bin nicht sicher, ob Ivar mich retten würde.“ Sie versteht meine Anspielung. Ivar und ich werden einfach nicht warm miteinander.
„Ha-ha. Aber er würde mich retten und ich könnte ihn zwingen dich zu retten.“
„Na, dann haben wir ein Date!“
„Perfekt! Dann wünsche ich dir viel Spaß mit Marius und – verwendet ein Kondom. Ich bin zu jung, um schon Tante zu werden.“ Ja, sie hat recht, ich würde Marius nicht von der Bettkante stoßen. Er ist zwar ein Playboy, aber wir sind in diesem Punkt vielleicht nicht allzu verschieden. Wir stehen offensichtlich beide auf Spaß. Marius ist ein unverschämt selbstsicherer Typ – der Mann, der mit einem lässigen Grinsen und seiner charmanten Art alles bekommt, was er will. Ich besitze ähnliche Fähigkeiten.
Annas wissender Blick beweist, dass sie mich durchschaut hat – vielleicht besser, als mir lieb ist. Trotzdem grinst sie, als wollte sie mir sagen: ‘Mach dein Ding, ich verurteile dich nicht.’
„Du hast einen Knall“, erwidere ich, um ihre Vermutungen zu entkräften.
„Hab ich mir von dir abgeschaut.“ Touché.
„Außerdem ist Marius nicht der Mann, wegen dem ich hier bin.“ Die Vorstellung, Black Maverick wieder gegenüberzustehen, lässt mein Herz schneller schlagen. Aus Vorfreude, aus Neugier und aus etwas, das ich mir selbst nicht ganz erklären kann. Sehnsucht? Nein. Verbundenheit? Faszination? Ja, ich denke, Faszination trifft es auf den Punkt.
„Ich dachte, du bist wegen mir hier“, sagt sie übertrieben enttäuscht.
„Natürlich! Aber während du arbeitest, ziehe ich meinen Plan durch.“ Es ist nicht nur der Kuss, der mich seither nicht loslässt. Es ist die Art, wie er sich bewegte, wie er wirkte – als hätte er die ganze Welt im Griff. Ich will wissen, wer hinter der Maske aus Können und Arroganz wirklich steckt. Irgendetwas sagt mir, dass sich dahinter ein Gentleman verbirgt. Diese Mischung aus furchtlosem Snowboarder und gut küssendem Gentleman ist zugegebenermaßen äußerst verlockend.
„Ich bin gespannt, ob du ihn tatsächlich findest.“ Ivar wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Wie ein Bauer, der versucht, ein störrisches Schaf einzuschätzen. Er sagte nichts, aber ich kann spüren, dass ihn irgendetwas stört. Seltsamer Typ.
„Ich auch. Ich werde es dich wissen lassen. Viel Spaß euch!“
„Danke, dir auch. Bis später.“
„Bis später.“
Die orangenen Lichter des Audis blinken mir entgegen, als ich nach dem Türgriff greife. Schicker Wagen, das muss man schon sagen. Vor allem in Weiß kommen die sportlichen Linien gut zur Geltung. Zusammen mit dem Klang des Sportauspuffs wird daraus ein lautes, auffälliges Vergnügen auf vier Rädern. Vielleicht sollte ich einen Umweg machen, um den Allrad zu testen. Offroad-Rally. Allein der Gedanke zaubert mir ein breites Grinsen ins Gesicht. Für Geschwindigkeit und Adrenalin bin ich immer zu haben.
Ich starte den grölenden Motor und mache mich auf den Weg in die Stadt. Mit jedem Meter, den ich mich der Stadt nähere, wächst die Anspannung. Ob Marius mir wirklich helfen wird? Und ob ich Black Maverick überhaupt finden werde, bevor ich wieder nach Hause fliege? Egal – ich bin bereit, es herauszufinden.
Während ich den verschneiten Forstweg entlangfahre, teste ich die Grenzen des Audis aus. Ein kurzer Moment der Freiheit, pure Geschwindigkeit – und ich. Wie man so schön sagt: Jeder Raudi fährt einen Audi.
Der Parkplatz von Marius’ Restaurant, dem Gundersen’s Kjøkken, ist noch komplett leer. Ich muss mich zusammenreißen, um auf der großen Schneefläche keine Donuts zu ziehen. Dieser verschneite, leere Platz schreit regelrecht nach meiner Aufmerksamkeit, aber ich will es mir nicht schon am ersten Tag mit den Anwohnern verscherzen, also parke ich meinen Wagen wie eine zivilisierte Person. Wie langweilig.
Auf dem Weg zum Eingang sehe ich Marius bereits durch das große Fenster. Er steht auf der rechten Seite hinter der Bar und bedient die riesige Kaffeemaschine. Augenblicklich macht sich bei seinem Anblick Nervosität in mir breit. Nicht wegen ihm, sondern weil ich weiß, dass er Black Maverick kennt und mir bei meiner Suche nach ihm helfen kann. Obwohl ich mir sicher bin, dass Marius viele Frauen nervös macht. Er ist der typische, gutaussehende Womanizer. Groß, blond, strahlend blaue Augen und ein Lächeln, das Muschis zum Sabbern bringt. Und er weiß das! Er kennt die Wirkung, die er auf Frauen hat, und er ist bestimmt ein Mann, der nichts anbrennen lässt. Meine Muschi lässt das alles kalt, weil ich genau weiß, dass Männer wie er nur spielen wollen. Was nicht unbedingt etwas Schlechtes ist – ich stehe auch eher auf One-Night-Stands als auf Langzeitbeziehungen. Aber an Typen wie ihm verbrennt man sich leicht die Finger. Ich bin mir sicher, Marius hat schon viele Touristinnenherzen auf dem Gewissen. Viele Frauen können Sex und Gefühle nicht trennen, was auch der Grund ist, warum ich nach dem Motto ‘Vögeln und vergessen’ spontane One-Night-Stand mit Fremden bevorzuge. Sobald man sich öfter sieht, oder der Mensch, mit dem man geschlafen hat, greifbar ist, können sich Gefühle entwickeln und darauf kann ich gerne verzichten.
Als ich eintrete, ist er gerade dabei, Zuckersticks in einen Behälter neben der Kaffeemaschine zu füllen. Ein blaues Geschirrtuch hängt über seine Schulter und in dem Moment, in dem die Tür ins Schloss fällt, trifft mich sein Blick. Strahlend blaue Playboy-Augen sehen mich an und er schenkt mir ein wunderschönes, aufgesetztes Tausendwatt-Lächeln.
„Nelly. Schön, dich zu sehen“, säuselt er. Okay, eines muss man ihm lassen: Er kann sich immerhin Namen merken.
„Hallo Marius. Schön, dich zu sehen“, erwidere ich übertrieben freundlich. Schön anzusehen ist er allemal, der kleine Casanova. Seine Gesichtszüge sind wie die eines Models. Weich, aber männlich – attraktiv, aber nicht zu markant. Seine blonden Haare sind etwas länger – genau so, dass man schön mit den Fingern durch sie hindurch fahren und sich reinkrallen kann, während … Okay, lassen wir das, bevor er meine Muschi tatsächlich noch zum Sabbern bringt.
Mit einem schmutzigen Grinsen im Gesicht kommt er vor die Bar und drückt mich kurz. Okay, wow! Damit habe ich jetzt nicht gerechnet, aber irgendwie gehören wir ja jetzt quasi zur selben Familie, wenn man bedenkt, dass er der Schwager in spe von meiner besten Freundin ist. Er duftet unheimlich gut. Die perfekte Mischung aus einem dezenten Deo oder Parfum, geduschter Haut und frisch gewaschener Wäsche. Ein Duftcocktail, der in nicht-resistente Frauen das Bedürfnis weckt, ihn ablecken zu wollen. Aber ich halte stand – meine Zunge bleibt, wo sie ist.
„Kaffee?“, fragt er und macht sich wieder auf den Weg hinter den Tresen, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.
„Unbedingt!“ Er nickt und dreht sich zur Kaffeemaschine um, die an der Wand steht. Der Mann weiß, wie man eine Frau am Morgen glücklich macht. Und beglückt – aber das ist ein anderes Thema.
Da er mir gerade den Rücken zugewandt hat, mustere ich ihn ein bisschen. Das dunkelblaue Shirt schmeichelt seinem athletischen Körper und in seiner hellblauen Jeans steckt ein kleiner Knackarsch. Er ist nicht so breit wie Ivar, eher schlank, aber trotzdem gut gebaut. Eigentlich verkörpert er alles, was Frau sich bei einem One-Night-Stand wünscht. Sollte ich Black Maverick nicht finden, könnte ich ihn ja vor meiner Abreise als Trostpflaster nehmen.
Schmunzelnd ziehe ich meine Jacke aus und nehme an dem Tisch gegenüber der Bar Platz, an dem Anna und ich schon vor zwei Monaten immer gern gesessen haben, und sehe mich um. Die einladende Atmosphäre des Restaurants sorgt dafür, dass ich mich wie zu Hause fühle. Das liegt wahrscheinlich an den mit rustikalen Holzbrettern versehenen Wänden und den kunstvoll geschnitzten Kronleuchtern, die den Raum in ein gemütliches Licht tauchen. Es sind noch keine Gäste hier, weshalb außer dem Brummen der Kaffeemaschine noch alles ruhig ist.
Kurz darauf kommt Marius mit zwei Tassen zu mir, reicht mir eine und nimmt gegenüber von mir Platz, als wären wir zusammen hier. Er legt eine freche Selbstverständlichkeit an den Tag, die ich nur zu gut von mir selbst kenne.
„Geht aufs Haus“, sagt er in perfektem, akzentfreiem Englisch und zwinkert mir zu. Boah, Junge, das Zwinkern kannst du dir bei mir abgewöhnen – das zieht nicht!
„Danke“, säusle ich trotz seines zuckenden Augenlides. Das Zwinkern ist wahrscheinlich so antrainiert und in ihm verankert, dass es ihm gar nicht mehr auffällt.
„Hattest du eine angenehme Anreise?“, beginnt er mit seinem freundlichen Smalltalk, den er offensichtlich auch gut einstudiert hat.
„Ja, danke. Ich bin gestern Nachmittag angekommen.“ Und ins Bett gekippt.
„Du wohnst bei Anna, richtig?“, will er wissen und zieht fragend eine Augenbraue hoch, bevor er noch einen kleinen Schluck von seinem Kaffee nimmt und sich langsam über seine sinnlichen Lippen leckt. Was war noch gleich die Frage?
„Ja, in einer der kleinen Hütten.“ Er nickt nachdenklich.
„Wie lange bleibst du?“ Will er das wissen, damit er einkalkulieren kann, wie viel Mühe er sich machen muss, um mich rumzukriegen?
„Ich bin mir noch nicht sicher, weil ich noch keinen Rückflug gebucht habe, aber bis zum Osterfest bleibe ich auf alle Fälle.“ Das Fest ist in eineinhalb Wochen. Er schmunzelt sichtlich zufrieden. Offensichtlich reicht ihm die Zeit, um all seine Womanizer-Fähigkeiten an mir einzusetzen.
„Schön zu hören. Das Fest ist eine wunderschöne Tradition. Es wird dir gefallen. Hast du Pläne für die kommenden Tage?“
„Also, um ehrlich zu sein, wollte ich dich um einen Gefallen bitten.“ Seine stahlblauen Augen sehen mich interessiert an. Nein, mein kleiner Casanova, ich bezahle dafür nicht in Naturalien.
„Du hast damals gesagt, dass du Black Maverick kennst“, sage ich vorsichtig, weil ich nicht nach Psychobraut oder Stalkerin klingen möchte. Warum grinst er jetzt so selbstgefällig? Haben sie miteinander gesprochen? Na, auch egal … „Ich wollte dich fragen, ob du mir helfen könntest, ihn zu finden.“
„Klingt nach besessenem Groupie“, stellt er noch immer grinsend fest.
„Klingt nach jemandem, der seine Skills erweitern möchte.“ Mein bockiger Tonfall bringt ihn dazu, die Arme abwehrend vor der Brust zu verschränken und sich mit zusammengezogenen Augenbrauen zurückzulehnen.
„Warum willst du ihn so unbedingt finden?“, hakt er nach und mustert mich eindringlich. Ich zucke so gelassen wie möglich mit den Schultern.
„Er fährt gut und vielleicht kann er mir ein paar Tipps geben, solange ich hier bin.“ Marius sagt kein Wort. Das Thema amüsiert ihn sichtlich – keine Ahnung warum.
„Und es liegt nicht zufällig an einer gewissen Annäherung während der Siegerehrung?“ Verdammt! Ich wusste, dass er davon gehört hat. Okay, cool bleiben!
„Ich weiß ja nicht, was du gehört hast, aber du musst nicht eifersüchtig sein, Casanova.“ Er lacht auf und schüttelt den Kopf.
„Glaube mir, dafür gibt es keinen Grund. Ich versuche nur, deine wahren Absichten zu durchschauen.“ Boah, der Typ kann echt nerven!
„Also, hilfst du mir oder nicht?“, zische ich unhöflicher als gewollt.
„Wie könnte ich einer hübschen Frau wie dir jemals einen Wunsch abschlagen?“, säuselt er.
Kotz.
„Spar dir deinen Aufreißer-Charme. Dagegen bin ich immun. Du solltest ihn lieber für Mädchen mit lockeren Höschen aufbewahren.“
„Das macht nichts, ich habe genug davon, dass ich verschwenderisch damit umgehen kann.“ Das glaube ich ihm aufs Wort. „Gib mir deine Nummer.“
„Was?!“
„Gib mir deine Handynummer. Ich höre mich für dich um und wenn ich etwas herausfinde, melde ich mich bei dir.“ Ich mustere ihn skeptisch und versuche abzuwägen, ob er das so meint, wie er es sagt, oder ob das eine billige Anmache ist. „Was ist?“
„Ich versuche nur deine wahren Absichten zu durchschauen“, wiederhole ich seine eigenen Worte. Ich hasse sein attraktives, schiefes Grinsen. Und trotzdem muss ich es erwidern – nur ein bisschen.