Fisch verliebt - Heike Kottmann - E-Book

Fisch verliebt E-Book

Heike Kottmann

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Beschreibung

Faszination Fischen: Abenteuer mit Angel und Kescher Durchs Schilf wandern, aufs Wasser blicken, warten – für Angler ist das das größte Glück auf Erden. Zumindest, bis die Angelsehne plötzlich hektisch zu zittern und zu zappeln anfängt und sich ein Fisch gegen die Rute stemmt. Dann beginnt das Kräftemessen mit dem Fang, die wahre Begegnung mit der Natur. Für Heike Kottmann ist der Umgang mit Angel und Kescher mehr als nur ein Hobby. »Angeln ist das größte Abenteuer meines Lebens«, schreibt sie, »und nicht zuletzt die Erfüllung eines Traums, von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn hatte«. In Fisch verliebt erzählt sie mit viel Leidenschaft und noch mehr Humor, wie sie spontan zum Angeln kam und wie Fische ihre Sicht auf die Welt veränderten. Das Glück hängt am Haken Frauen und Angeln? Eine seltene Kombination, zugegeben. Beflügelt durch einen Wochenendjob hinter der Fischtheke belegt Heike Kottmann kurzerhand als einzige Frau einen Fischerkurs. In kurzer Zeit lernt sie, mit millimeterdünner Nylonschnur und viel Geschick hechttaugliche Knoten zu binden und lebende Würmer auf einen Haken zu stülpen. Dabei erfährt sie nicht nur viel Wissenswertes über Fische und das Wasser, sondern auch über die seltsame Spezies am Ufer. - Eine Frau im männerdominierten Angelsport - Angeln für Anfänger: Mit Leidenschaft und Entdeckerlust zum neuen Hobby - Woher kommt unser Essen? Angeln als Naturerlebnis abseits von Supermarktschlangen und Plastikverpackung - Ein großartiges Geschenk für Angler und Naturliebhaber Das große Glück ist nie weiter entfernt als die Länge einer Angelrute. Lassen Sie sich von Heike Kottmanns Leidenschaft, Witz und Entdeckerlust anstecken und starten Sie Ihr eigenes Angel-Abenteuer!

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Seitenzahl: 261

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Heike Kottmann

Fischverliebt

Was ich beim Angeln überdas Leben gelernt habe

Mit Illustrationen von Maria Ruban

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

Zitat S. 7: Ernest Hemingway, Der alte Mann und das Meer. Copyright © 2018 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Die Rechte für die Fotos im Bildteil liegen bei: Heike Kottmann (4, 5, 8, 12, 15), Alexis Zurflüh (1, 2, 6, 10, 11, 13, 14, 16, 17), Sven Christ (9), Roman Brandl (7) und Sigrid Reinichs (3).

1. Auflage 2019

© 2019 Benevento Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Minion Pro, Circular

Umschlaggestaltung: © Alexis Zurflüh

Umschlagillustration: © Benjamin Güdel

Illustrationen Innenteil: © Maria Ruban / carolineseidler.com

Autorenillustration: © Claudia Meitert / carolineseidler.com

ISBN 978-3-7109-0062-4

eISBN 978-3-71095-072-8

INHALT

Prolog

Der FischmarktMünchen-Schwabing

Eine Frau für AaleGräfelfing

Der ForellenzirkusWaldheim

Ja, Fisch will!Bad Waldsee

Die Schuld der HegeneWalchensee

Einigkeit & Hecht & FreiheitMecklenburgische Seenplatte

FischrouletteWeidachsee

RambazanderStaffelsee

Vive la Fisch!Atlantik I

Biss zum BlutmondIsar

Im Zeichen der KreuzotterKrumbach

Die versunkene StadtSylvensteinsee

Endless SummerAtlantik II

Das große WiedersehenMünchen-Schwabing

Was am Ende bleibt

Rezepte

PROLOG

»Der Fisch ist auch mein Freund.«

Ernest Hemingway

Ich liebe Fische. Und ich liebe es, sie zu essen. Das ist für mich kein Widerspruch, im Gegenteil. Es ist einer der Gründe, warum ich im vergangenen Jahr überhaupt mit dieser ganzen Angel-Geschichte angefangen habe. Damals wusste ich noch nicht, wie sehr mich dieses Hobby verändern würde. Und vor allem: dass es viel mehr werden würde, als nur ein Hobby. Ich hatte keine Ahnung, was für Abenteuer mich am Wasser erwarteten.

Bis vor einem Jahr waren Fische für mich, was sie für viele Leute sind: kalte, stumme, einfältige Geschöpfe. Ich dachte, dass Angeln nur etwas für alte Männer sei oder für Menschen, die Langeweile für die schönste Freizeitbeschäftigung halten. Heute ist alles anders. Ich habe eine Leidenschaft entdeckt, die mich für alle Zeiten verändert hat. Meine Sicht auf die Welt ist eine andere geworden, im guten Sinn gibt es keinen Weg mehr zurück.

Aufgewachsen bin ich in Oberschwaben, in einer Stadt namens Bad Waldsee, mein Elternhaus liegt an einem kleinen See. Dieser See ist ein dunkles, beinahe schwarzes Gewässer, die Wassergrenze ist mit unzähligen Seerosen bedeckt, und wenn man die Füße nach unten in die Tiefe streckt, ist es dort deutlich kälter als an der Oberfläche. Ich rechnete als Kind in diesem See grundsätzlich damit, dass mich ein Monster aus der Tiefe hinab in die Dunkelheit ziehen könnte. Ich habe mir vorgestellt, wie dieses Monster plötzlich von unten her meine Knöchel umgreifen und mich unter Wasser, immer tiefer hinab ziehen würde. Wenn die Angst zu groß wurde, bin ich hektisch zum Ufer zurückgeschwommen und in unseren Garten gerannt, dort habe ich mich zitternd und mit blauen Lippen auf den Liegestuhl meiner Mutter geschmissen. »Du bist ja eiskalt wie ein Fisch«, sagte sie und lachte, während sie mir mit dem Handtuch die Haare trocken rubbelte. Es wurden in Bad Waldsee auch so einige Geschichten über den See erzählt, zum Beispiel, dass ein riesiger Hecht mal jemandem den kleinen Zeh abgebissen hat. »So ein Unsinn«, sagte mein Vater, aber ich glaubte es trotzdem.

Inzwischen weiß ich: Es gibt diese und ähnliche Geschichten über riesige Hechte oder gigantische Waller, über beißwütige Barsche und angriffslustige Aale von jedem See, jedem Fluss, jedem Gartenteich und jedem Meer auf der Welt, von hier bis hinter China. Geschichten, die von der undefinierbaren Sehnsucht nach dem Unvorhersehbaren zeugen, das Wasser so mit sich bringt. Wasser ist ein bisschen wie das Weltall, unendlich weit, nur andersrum. Und Wasser, das schöne Element, birgt immer auch eine ungreifbare, unbezwingbare Gefahr.

Früher bin ich nicht besonders gern raus aufs Meer geschwommen, und wenn ich den Grund eines Gewässers nicht mehr gesehen habe, bin ich schnell mal in Panik geraten. Heute habe ich keine Angst mehr beim Schwimmen, habe das mulmige Gefühl im Wasser verloren. Das liegt sicher daran: Je mehr ich mich im vergangenen Jahr damit beschäftigt habe, was alles im Wasser lebt, desto mehr fühle ich mich dem Element verbunden. Fische sind in der Regel eher scheue Lebewesen, die größere Gefahr im Wasser ist wahrscheinlich der Mensch selbst, der darin schwimmt.

Ich habe im vergangenen Jahr gelernt, zu töten und mir Gedanken darüber zu machen, ob es recht oder unrecht ist, einem Lebewesen das Leben zu nehmen. Ich bin auf einem Boot über den Atlantik geschippert und habe stundenlang schweigend neben Männern gesessen, dabei Hunderte Fische aufgeschnitten, die Innereien mit der Hand herausgedreht und die Fischabfälle über Bord den Möwen zugeworfen, die gierig über unserem Boot kreisten. Ich kenne den Geruch von Blut an meinen Händen und die Tatsache, dass dieser Geruch – eine Mischung aus Eisen und Sirup – sich auch nach stundenlangem Duschen nicht abwaschen lässt. Ich weiß, wie es sich anfühlt, einen Fisch in der Hand zu halten, seinen starken Herzschlag zu spüren, die Todesangst in seinen Augen zu lesen und sich selbst die quälende Frage zu stellen, ob es nicht besser wäre, ihn einfach wieder ins Wasser zurückzuwerfen.

Und dann gibt es natürlich noch all die kleinen Dinge: Ich habe gelernt, wie man mit einer millimeterdünnen Nylonschnur Knoten bindet, die einen wildgewordenen Hecht halten. Ich kann inzwischen lebende Würmer mit dem Taschenmesser zerschneiden und über einen Haken stülpen, ohne mich dabei vor Ekel zu übergeben. Ich kenne den Schmerz, wenn sich die Rückenstrahlen eines Barsches in die Hände bohren. Und ich weiß, dass es unter Umständen nicht sehr schlau ist, Bananen mit auf ein Boot zu nehmen.

Ich habe im vergangenen Jahr nicht nur vieles über Fische und das Wasser erfahren, sondern noch mehr über die Menschen. Durch das Angeln habe ich Männer kennengelernt, die aus völlig anderen Lebenswelten kommen als ich, nichts hat uns verbunden außer die Liebe zu den Fischen und die Leidenschaft, eine Rute ins Wasser auszuwerfen – eine Verbindung, die ehrlicher und stärker ist als viele andere. Die meiste Zeit am Wasser habe ich mit Alexis verbracht, unsere Freundschaft hat mit dem Angeln überhaupt erst richtig begonnen und ist vielleicht sogar das Beste an dieser Geschichte.

Es gibt eine Ballade von Goethe, sie heißt »Der Fischer«. In dieser Ballade erscheint einem Fischer eine Nixe, die ihm eine Frage stellt, die sich alle Fischer irgendwann einmal stellen: »Was lockst du meine Brut mit Menschenwitz und Menschenlist hinauf in Todesglut?« Der Fischer in Goethes Ballade wird vom Gesang der Nixe immer stärker betört, die Ballade endet mit folgender Strophe: »Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; da war´s um ihn geschehn: Halb zog sie ihn, halb sank er hin und ward nicht mehr gesehn.«

Auf die Frage der Nixe nach dem Warum gibt es für mich viele Antworten, keine davon ist richtig, keine davon ist falsch. Meine eigene habe ich inzwischen gefunden. Bisher hat mich das Wasser noch nicht verschlungen, ich habe noch immer wieder den Weg zurück an Land gefunden. Vielleicht aber meint Goethe sowieso etwas anderes: Ein Mensch, der einmal begonnen hat zu fischen, wird nie wieder in seinem Leben damit aufhören können. Es gibt Menschen, und es gibt Fischer. Ich war das eine und bin nun das andere. Und wie ich das geworden bin, davon erzählt diese Geschichte.

DER FISCHMARKT

Alles beginnt damit, dass ich mich frage, welchen Fisch ich fürs Abendessen einkaufen soll. Es ist ein eiskalter Donnerstag im Januar, die Luft riecht nach Schnee, ich habe Freunde zu mir nach Hause eingeladen; ich will Wein trinken, essen, reden, noch mehr Wein trinken und am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen aufwachen. Es soll einer dieser flirrenden Donnerstagabende werden, an denen die Stimmung immer irgendwie besonders ausgelassen ist, weil sich alle schon aufs Wochenende freuen.

In der Nähe meiner Wohnung in Schwabing gibt es einen kleinen Markt, auf dem ich regelmäßig einkaufe. Wenn ich eine Avocado haben will, gehe ich nicht zu Rewe, sondern zu Familie Huczala. Dann rede ich mit Jürgen ein bisschen über das Wetter oder warum die Avocados gerade Lieferschwierigkeiten haben. Meine Blumen kaufe ich bei Brigitte Klüsener und meinen Käse beim Ehepaar Hieber. Die persönliche Atmosphäre auf dem Markt gibt mir das Gefühl, als würde ich in einer Kleinstadt leben, man könnte das vielleicht piefig finden, mir jedenfalls gefällt das. Ich mag es, wenn die Menschen, die mir meine Lebensmittel verkaufen, meinen Vornamen kennen. Ich will also Fisch kaufen. Lachs oder Kabeljau, vielleicht auch Doraden, so genau habe ich mir das noch nicht überlegt. Ich öffne meine Haustüre, ziehe mir die Mütze über die Ohren und biege nach links ab Richtung Gisela-Gymnasium; es fängt an, von oben kleine Schneeflocken zu wirbeln.

In der zweiten Reihe auf dem Elisabethmarkt steht ein kleines Häuschen mit blauer Eingangstüre: der Fischladen Willinger. Als ich den kleinen Fischladen das erste Mal betreten habe, bin ich seinem Charme völlig erlegen: die blaue Eingangstür und die schwarzen Schiefertafeln an der Wand, auf denen die Tagesangebote stehen; es wirkt darin immer, als sei die Zeit stehen geblieben. Sicherlich liegt das auch an den Männern, die im Laden arbeiten. Willinger senior etwa, der weit über achtzig Jahre alt ist, schelmisch grinst und ein Gebiss trägt, das sich beim Sprechen manchmal nach vorn schiebt, und sein Sohn, Willinger junior, der die sechzig auch bald überschritten haben dürfte und grundsätzlich sehr lange nachdenkt, bevor er etwas sagt. Die beiden Männer reden meistens sowieso kein Wort, während sie Fische verkaufen. Sie erledigen ihre Arbeit mit einer stoischen Ruhe und einer Ernsthaftigkeit, die mich schon immer fasziniert hat.

Ich weiß, dass der Laden bereits länger nach einer Hilfskraft für den Samstag sucht; samstags ist es immer besonders voll, manchmal stehen die Kunden in zwei Reihen im Laden an und sogar noch vor der Türe. Eine Woche zuvor hat Willinger junior mir bereits erzählt, es sei schwierig, jemanden für den Job zu finden. Die Arbeit in einem Fischladen sei hart. Kalt, ungemütlich, körperlich anstrengend. Und überhaupt: Wer wolle schon in einem Fischladen arbeiten. Ich hatte keinen Schimmer, warum er mir das erzählte.

»Haben Sie eine Schwester?«, fragt der Fischverkäufer mich, während er eine Dorade in Pergamentpapier einwickelt. Ich schüttle den Kopf. »Ich bin Einzelkind.« Dann beginnt er zu erzählen, dass sich in der vorigen Woche endlich jemand bei ihm für den Samstagsjob beworben hat, eine junge Frau, und wie froh er darüber gewesen ist, da er befürchtet, den Laden sonst samstags schließen zu müssen.

»Sie hat leider abgesagt«, sagt der Fischverkäufer, er stockt kurz und es scheint, als müsse er seinen ganzen Mut zusammennehmen. »Die hatte auch so ein freundliches Lächeln, genau wie Sie«, sagt er und sieht mich an. Ich nicke. Ich habe das Gefühl, er will fragen, ob ich vielleicht bei ihm arbeiten möchte, aber er traut sich nicht, es auszusprechen. Ich bin gerührt, fühle mich geschmeichelt, packe meine Doraden ein und verlasse den Laden – zum letzten Mal als Kundin.

Ich selbst habe mich vor Fischen noch nie geekelt, für mich riecht Fisch nach Meer und Salz und immer auch ein bisschen nach Urlaub; in jeder Stadt, in die es mich verschlägt, versuche ich den Fischmarkt zu sehen. Mein Traum ist es, einmal nach Madrid oder Tokio zu reisen und dort die weltberühmten Fischmärkte zu erkunden.

»Wenn du den Laden so gut findest, warum fängst du dann nicht selbst dort an?«, fragt mich abends ein Schulfreund, er ist Zahnarzt, er redet sehr viel, es klingt spöttisch. Nachts liege ich lange wach und denke nach: Vielleicht sollte man sich im Leben nicht immer nur fragen, warum man etwas tut, sondern eher, warum eigentlich nicht. Am nächsten Morgen gehe ich zurück auf den Markt, und als ich wieder heimkomme, habe ich einen Wochenendjob und keine Ahnung, auf was ich mich da eingelassen habe.

Ich glaube, ich kann von mir sagen, dass ich weder verrückt noch irgendwie verhaltensauffällig bin. Ich arbeite als freie Journalistin in einem Büro direkt an der Isar, wir sind insgesamt fünfzehn Kollegen, Texter und Grafiker, die meisten von uns kennen sich seit vielen Jahren und sind miteinander befreundet. Ich lese Bücher, trinke Weißwein, schaue Netflix, schlafe gern lang und rieche gern gut. Ich führe ein schönes und recht privilegiertes Leben in München. Ich habe kein Bedürfnis, unschuldige Lebewesen zu töten.

Aber ich habe mir in den letzten Jahren auch immer wieder Gedanken über den Wert meiner Nahrungsmittel gemacht. Während sich nach Feierabend in den Supermärkten Schlangen bilden und man Eier und Milch mit Sammelrabatt bei Amazon bestellen kann, habe ich immer mehr das Gefühl dafür verloren, wo unsere Lebensmittel eigentlich herkommen. Manchmal habe ich sogar vergessen, dass Essen nicht einfach da ist. Es muss irgendwo angebaut werden, es muss wachsen und geerntet werden – und im Fall von Fleisch oder Fisch muss man dafür töten. Man kann sich fragen, ob es gestörter ist, einen Fisch zu töten, um ihn zu essen, oder Fisch zu essen und auszublenden, dass der Fisch dafür sterben musste.

Das alles sind Gedanken, die ich im Hinterkopf habe, als ich an jenem Tag für den Fischladen-Job zusage. Aber es ist noch etwas anderes: Ich mochte Fische schon immer gern anfassen. Ich mag die Haut des Seeteufels, die sich anfühlt wie Gummi; ich mag die Schuppen von Doraden oder Wolfsbarschen, wenn sie silbern im Licht glänzen; mir gefällt das Gefühl, wenn sich der Saugnapf eines Oktopus-Tentakels an meiner Fingerkuppe festsaugt.

An meinem ersten Arbeitstag auf dem Fischmarkt komme ich mir seltsam vor mit der schweren Schürze um meinen Hals und den neuen Gummistiefeln, die ich mir extra gekauft habe. Ich trage vier Schichten T-Shirts, außerdem eine Fleecejacke und einen Strickpullover. Es ist noch kälter, als ich erwartet habe. Und es wartet eine weitere Herausforderung auf mich: Im Laden sind Becken mit lebenden Fischen aufgebaut. Forellen, Saiblinge und Karpfen, die bei Bedarf für die Kunden geschlachtet werden. Das ist mehr oder weniger sogar das Alleinstellungsmerkmal des kleinen Geschäfts. »Nur Fisch Witte am Viktualienmarkt verkauft auch noch lebende Fische«, sagt der jüngere der beiden Willingers. Er hat mir sofort das Du angeboten: »Ich bin der Thomas.« Bis zu diesem Tag habe ich noch nie absichtlich ein Tier getötet und kann nicht einschätzen, ob es mir schwer- oder leichtfallen wird. Ich kenne die Regeln der deutschen Tierschutz-Schlachtverordnung: Zunächst muss ich das Tier betäuben. Dafür soll ich ihm mit einem Holz- oder Metallknüppel aufs Hirn schlagen, auf eine Stelle auf dem Kopf, knapp hinter den Augen. Man nennt diesen Vorgang »den Fisch abschlagen«. Professionelle Fischer, erzählt mir Thomas, schaffen das mit einem einzelnen Schlag. Ich sehe auf meine Hände, meine Fingernägel sind rot lackiert. Ich bin alles andere als ein professioneller Fischer – genau genommen bin ich noch nicht mal Fischerin, sondern bloß eine Aushilfskraft im Fischgeschäft.

Die Theorie des Schlachtens geht so: Ist der Fisch betäubt, schneidet man mit einem scharfen, kurzen Messer in die Kiemen und fährt dort einmal im Halbkreis entlang, der Fisch beginnt auszubluten. Anschließend schneidet man ihn vom After aufwärts auf. Wichtig dabei ist, nicht zu tief ins Fleisch zu schneiden. Sobald der Fisch geöffnet ist, werden die Innereien mit der Hand gepackt, am Stück herausgezogen und unterhalb der Kiemen abgeschnitten, bestenfalls, ohne dabei die Gallenblase zu verletzen – ein gräulicher Sack, der das Fleisch bitter machen kann, wenn er platzt. Als Nächstes schabt man mit einem angeschliffenen Löffel an der Wirbelsäule des Fisches entlang, um die Nieren zu entfernen.

Das ist es also, was ich tun soll, gleich an meinem ersten Tag. Noch bevor ich lange nachdenken kann, reicht mir Thomas den Kescher. Ich schöpfe ein paar Forellen aus dem Becken. Die Tiere zappeln im Netz, sie scheinen genau zu wissen, was auf sie zukommt, eine Ladung Wasser spritzt in mein Gesicht. Ich packe einen Fisch und drehe mich zur Theke um, aber ich halte das Tier nicht fest genug, es rutscht durch meine Hand. Die Forelle fetzt über die Edelstahltheke, kracht gegen die Schüsseln im Umkreis, ich greife ins Leere, irgendwo im Laden kann ich eine Frau kurz aufschreien hören, es ist wohl kein schöner Anblick: mein Kampf gegen den Fisch. Erst nach mehreren Versuchen bekomme ich die Forelle zu fassen, ich nehme mit der rechten Hand den Holzknüppel, zögere kurz und schlage dem Fisch auf den Kopf. Dann ist es still im Laden.

Die Reaktionen aus meinem Umfeld auf meinen komischen Nebenjob fallen unterschiedlich aus: Mein Vater ist nicht gerade begeistert davon, dass ich plötzlich samstags als Fischverkäuferin arbeite. Er versteht einfach nicht, warum ich das tue. Aber wie soll ich es ihm auch erklären, ich verstehe es ja selbst nicht so ganz. Auch im Büro können es die meisten nicht glauben, dass ich freiwillig einen Wochenendjob angenommen habe. Mein Kollege Oli, der gern kocht und alles liebt, was mit Essen zu tun hat, blickt mich fassungslos an. »Jeden Samstag?«, fragt er mit einer Mischung aus Unglaube und Respekt. Bene, der allgemein gern frotzelt, bezweifelt, dass ich länger als zwei Wochen durchhalte. Nur David, der mit seiner Familie in Schwabing lebt und selbst auf dem Elisabethmarkt einkauft, ist sofort hellauf begeistert – vielleicht, weil er der Einzige ist, der den Fischladen kennt.

Die Arbeit ist tatsächlich anders, als ich erwartet habe. Härter. Schwieriger. Am Anfang unterlaufen mir ständig Fehler. Ich schätze die Gewichte von Fischfilets falsch ein, statt 150 Gramm schneide ich fast 300 Gramm von einem Kabeljaurücken. Die Kundin ist empört und weigert sich, das große Stück zu nehmen. Ich werde nervös und zerschneide den Kabeljaurücken in immer kleinere Teile. Ein älteres Ehepaar möchte, dass ich ihm Saiblinge filetiere, aber je mehr ich mit dem Messer an den Filets entlangziehe, desto mehr Fleisch bleibt an den Gräten haften. Ich spüre die Verzweiflung über mich kommen wie eine Welle. Ich wiege Fische, addiere Preise, nehme Geld entgegen und gebe Wechselgeld zurück, und schon ist der nächste Kunde mit seiner Bestellung dran. Oft bleibt mir nicht einmal Zeit, einen Schluck Wasser zu trinken.

Die Stunden vergehen so schnell, und ich bin die ganze Zeit so beschäftigt, dass ich an nichts anderes als an die Fische denke: die Doraden im Schaufenster, die stündlich weniger werden; den Matjes, von dem noch eine Reserve in der Kühlung liegt; die Seezungen, bei denen man sehr vorsichtig mit dem Fingernagel zuerst die Haut ankratzen muss, um sie behutsam abzuziehen, ohne das Fleisch zu verletzen.

Es ist wie eine Art Meditation. Es ist der Real Deal. Ich habe mal Yoga probiert und bin mir dabei wie eine Idiotin vorgekommen, aber das hier, das Zerlegen und Entschuppen, die Arbeit im Eis, das erfüllt mich in der Hektik eines voll besetzten Fischladens mit einer Ruhe, die ich noch nicht kannte.

Ich arbeite seit zehn Jahren als Journalistin, und so richtig bemerke ich erst in der Eiseskälte bei Fisch Willinger am Elisabethmarkt, wie viel Journalisten eigentlich den ganzen Tag lang quatschen, wie viel wir alle über unsere Arbeit reflektieren, eine Meinung zu Trump und dem Abgasskandal haben, 50-mal unsere Smartphones checken und dass die Welt kein Stück besser oder schlechter wäre, hätte ich in der Vergangenheit ein wenig öfter geschwiegen.

Wenn die letzten Kunden samstags den Laden verlassen, helfe ich zwei Stunden den Laden zu putzen und kiloweise Eis in Styroporkisten zu verstauen. Abends bin ich so müde, dass ich mich unter der Dusche hinsetzen muss. Vielleicht habe ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich gearbeitet. Alles an mir riecht nach Fisch. Ich habe gedacht, ich würde das nicht merken, weil der Gestank ja an mir klebt, aber das war eine totale Fehleinschätzung. Ich spüle meine Haare zweimal mit Shampoo durch, und sie riechen noch immer nach Matjes. Ich schrubbe meine Hände mit Zitronensaft und Lavendelseife und kann noch immer die Fische daran riechen. Und sosehr ich diese ganze Fisch-Geschichte auch abfeiere: Es ist nichts Gutes daran, nach Fisch zu stinken.

Nach wenigen Wochen kenne ich die Stammkunden und begrüße sie beim Namen, immer wieder kommen auch Freunde und Kollegen aus meinem Büro im Laden vorbei und machen grinsend Selfies vor der Theke. Meine Freundin Bella lässt sich morgens Kabeljau zurücklegen, den ich ihr nach Feierabend vorbeibringe. Inzwischen bewege ich mich so sicher in dem kleinen Raum, wie in meiner eigenen Wohnung. Ich weiß genau, wo welches Messer liegt und wann man es schleifen muss oder warum die Eismaschine Geräusche macht, als würde sich jemand ausgiebig die Nase schnäuzen. Der alte Herr Willinger erzählt mir beim Aufräumen vom Krieg und wie eine Fliegerbombe 1942 den Elisabethmarkt zerstört hat; sein Vater hat danach den kleinen Laden aus den Trümmern der Stadt wieder aufgebaut. »Das waren Zeiten«, sagt Willinger senior, als könne er es selbst nicht glauben.

Es wird Februar, es wird März, dann April und ich arbeite noch immer im Fischladen. Jeden Samstag zeigt das Thermometer im Laden ein Grad mehr und ich lege morgens beim Anziehen eine Schicht weniger an.

Ich glaube, dass man im Leben fast alles schaffen kann, wenn man nur fest genug daran glaubt. Irgendwann brauche ich jedenfalls nicht mehr lange darüber nachzudenken, wie man Saiblinge filetiert und Sardinen ausnimmt und ich kann am Gewicht eines Fischfilets in meiner Hand fühlen, wie viel Gramm die Waage gleich anzeigen wird. Samstags hilft meistens auch noch Gregor Willinger, der Bruder von Thomas, im Laden aus. Gregor grinst oft ein wenig verschmitzt und behält selbst dann noch die Nerven, wenn ein Kunde sich zehn Filets in der Auslage zeigen lassen und dann doch weiterzieht, um beim Metzger nebenan Steaks zu kaufen. Die Willingers und ich: Wir bewegen uns wie ein eingeschworenes Team, keiner geht dem anderen im Weg um, es ist wie eine Art Balletttanz, unsere Bühne ist der kleine Fischladen. Jeden Samstag nehme ich nach Ladenschluss eine Forelle oder Saiblinge mit nach Hause, die ich ein paar Stunden zuvor selbst geschlachtet habe, und selten schmeckt mir etwas so gut wie diese Fische. Ich lerne durch die Arbeit im Fischladen viel über die Tiere; die meisten Kunden fragen nicht nur nach Preisen, sondern auch nach Zubereitungsarten, Konsistenz und Geschmack. Um die Fragen der Kunden beantworten zu können, bilde ich mich Stück für Stück weiter, ich besorge mir Fischkochbücher und frage befreundete Köche nach Rezepten. Daniel, einer meiner Kollegen im Büro, ist gelernter Koch, ihn frage ich immer wieder um Rat. Ich erfahre, dass Renken sich gut mit Thymian ergänzen und gut schmecken, wenn sie auf beiden Seiten mit Butter in der Pfanne angebraten werden. Mein Vater entdeckt ein phänomenal einfaches Rezept für Pulpo, den man am besten nur im eigenen Saft mit etwas Petersilie schmoren lässt. Wenn mich Kunden fragen, warum der Seeteufel (auch Lotte genannt) so teuer ist, kann ich erklären, dass er einen riesigen Kopf hat und man nur einen kleinen Teil der Schwanzspitze essen kann – was den Grammpreis natürlich in die Höhe treibt.

Manche Kunden wollen nicht über Fische reden, sondern lieber über das Wetter oder ihre anstehende Gallenblasenoperation in Großhadern, aber auch denen höre ich gern zu. Ich mag es, mich mit fremden Menschen zu unterhalten, ich mag die vertraute Stimmung, die zwischen den Kunden und den Verkäufern auf dem Markt herrscht. Mein Redeanteil im Laden ist an manchen Tagen doppelt so hoch wie der aller Willinger-Männer zusammen.

Je länger ich im Fischladen jobbe, desto öfter werde ich von Kunden gefragt, ob ich eigentlich auch selbst angeln gehe. Es scheint den meisten Leuten wie eine logische Konsequenz. Tatsächlich ertappe ich mich irgendwann selbst bei dem Gedanken, Fische nicht mehr nur zu verkaufen, sondern sie vielleicht sogar selbst zu fangen. Fische schlachten, das ist das Schwerste. Sie direkt aus dem Wasser locken, müsste doch wesentlich einfacher sein. Ich ahne nicht, wie sehr ich mich damit täusche.

Es gibt eine Person, die mindestens so viel Interesse an Fischen hat wie ich: Alexis.

Alexis ist Schweizer, er arbeitet als Grafiker bei uns im Büro, sein Schreibtisch befindet sich in Sichtweite zu meinem. Wir sind im selben Jahr geboren und kennen uns schon lange, ich mochte ihn schon immer. »Sag mal, wollen wir zusammen den Angelschein machen?«, fragt Alexis mich eines Tages an der Kaffeemaschine. Ich glaube, dass er sich in diesem Jahr vorgenommen hat, seine Freizeit noch sinnvoller auszufüllen; Alexis gestaltet als Art Director Magazine für große Verlage und verantwortet Werbekampagnen, er ist fleißiger als die meisten Kollegen, die ich kenne. Wir unterhalten uns darüber, wie viel Spaß es doch sicher machen würde, stundenlang am Wasser zu sitzen und eine Rute auszuwerfen, und wie beruhigend das sein müsste. »Darauf hätte ich schon auch Lust«, sage ich, und weil Alexis konsequent bleibt, wenn er sich erst mal eine Sache in den Kopf gesetzt hat, schickt er mir bereits am Nachmittag einen Link zum Bayrischen Bürgerportal und eine Anleitung, wie ich mich dort anmelden kann. Wie bei fast allen offiziellen Angelegenheiten in Bayern ist die Sache mit dem Angelschein leider sehr bürokratisch: Zunächst muss man die Fischerprüfung bestehen, und um überhaupt für diese Prüfung zugelassen zu werden, muss man mindestens dreißig Theoriestunden absolvieren. Aber auch da hat Alexis sich schon schlau gemacht: Er hat einen gewissen Roman Brandl aufgespürt, der in Gräfelfing noch zwei Plätze in seinem Kurs frei hat. »Wir müssen bis morgen dort zusagen!«, drängt Alexis auf sofortige Anmeldung. Der Kurs soll bereits zwei Wochen später, Anfang Juni, beginnen und sich über zwei Wochen dreimal unter der Woche abends und jeweils den ganzen Samstag und den ganzen Sonntag hinziehen.

Wie schon bei der Sache mit dem Fischladen bleibt mir kaum Zeit nachzudenken – und das ist gerade gut so. Manchmal werden Entscheidungen nicht besser, wenn man sie lange überdenkt. Es ist, als würde man an einem Ufer stehen, während das Boot gerade ablegt, und entweder schnell aufspringen – oder man bleibt für immer zurück.

Ich springe auf. Alexis und ich melden uns noch am Abend für den Kurs an, und ich weiß, dass ich meinen Job im Fischladen kündigen muss. »Du wirst uns fehlen«, sagt Thomas, als ich auf dem Heimweg vom Büro bei ihm im Laden vorbeigehe, und ich denke darüber nach, wie oft man diesen Satz im Leben hört. Und wie selten er wirklich ernst gemeint ist.

EINE FRAU FÜR AALE

Vor einer Art Garage des Turn- und Sportvereins Gräfelfing stehen ein paar junge, aber vor allem ältere Männer, Väter und Söhne, Typen in Motorradkluft, Typen mit Jutebeutel, hohe Raucherdichte, allesamt schweigend. Der Fischerkurs ist die bunteste Ansammlung von Menschen, die ich seit langer Zeit gesehen habe.

Alexis und ich sind nach der Arbeit mit dem Auto losgefahren und haben uns überlegt, wie irre witzig es wäre, wenn wir am ersten Kurstag in voller Fischermontur aufkreuzen würden – mit Wathose, Kescher und Angelrute. Natürlich würden uns alle für völlig durchgeknallt halten. Wir beschließen stattdessen, beim nächsten Supermarkt zu halten und uns Proviant für den Unterricht zu kaufen. Es ist eine Weile her, dass ich das letzte Mal im Frontalunterricht zuhören und still sitzen musste, also kaufe ich mir im Supermarkt alles, was meine Konzentration nach Feierabend hoffentlich ein wenig länger aufrechterhalten wird: Traubenzucker, Walnüsse und zwei Riegel auf denen das Wort »Power« steht. Alexis will aus unerfindlichen Gründen unbedingt Himbeeren essen, also packen wir welche in den Einkaufswagen. Gut gerüstet fahren wir die letzten paar hundert Meter bis zum Gelände des Turn- und Sportvereins Gräfelfing. Überall laufen Kinder in Sportklamotten herum. Nachdem wir etwas orientierungslos nach einem Anzeichen suchen, wo genau hier ein Fischereikurs stattfinden soll, steuern wir zielstrebig den Eingang des Vereinsheims an. Durch die offene Glastür schlägt mir der typische Geruch nach verschwitzen Turnschuhen und Pommes entgegen, innen herrscht gähnende Leere. »Wo findet denn der Kurs von Roman Brandl statt?«, frage ich einen Mann, der so aussieht, als würde er sich auskennen. Der Wirt, ein Italiener, vielleicht aber auch ein Kroate, bäumt sich neben Alexis und mir in der Tür auf und deutet auf eine Art Garage neben den Parkplätzen. »Dort ist Kurs!«, sagt er und, dass er später die Bestellungen fürs Abendessen aufnehmen wird.

Alexis und ich stellen uns also zu der Gruppe schweigender Männer neben dem Gebäude, das aussieht wie eine Garage. Ein paar nuscheln den Ansatz einer Begrüßung, die meisten sehen zu Boden oder nicken kaum merklich mit dem Kopf. Ich bin hier die einzige Frau unter lauter Männern.

Dann kommt Roman an. Wobei »ankommen« nicht annährend treffend das beschreibt, was man durchaus einen Auftritt nennen kann. Ein schwarzer Kleinbus fährt unmittelbar bis vor das Gebäude, die Fahrertür öffnet sich und ein Mann, der mit jeder Faser seines Körpers signalisiert, dass er hier die Ansagen machen wird, springt vom Fahrersitz. Roman ist braun gebrannt, drahtig, er hat halblange, dunkle Haare und er riecht sehr scharf nach Rasierwasser. Außerdem trägt er eine Menge Equipment unter seinem Arm. »Servus«, sagt er laut in die Runde der Wartenden, und es scheint mir, als würden die nuschelnden Männer plötzlich aufwachen und automatisch ein bisschen gerader stehen. Roman bahnt sich mit dem Schlüssel in der Hand einen Weg durch die Menge. Dann dreht er sich um und scannt einmal die Runde. »So, so«, sagt er, »ihr seids also für den Kurs da.« Es ist keine Frage. Sein Blick bleibt auf einem blassen Minderjährigen hängen. »Du da«, sagt er zu ihm. »Du kannst mir helfen, im Auto sind noch ein paar Boxen, die bringst bitte noch rein.« Der Junge ist wie festgefroren, er sieht aus, als hätte er gerade den Auftrag bekommen, den Atomkoffer zu holen. »Ja, jetzt, los«, befiehlt Roman, und der Blasse rennt zurück zu Romans Auto.

Die vermeintliche Garage, in der unser Kurs stattfinden soll, ist tatsächlich eine. Ausgestattet mit Bierbänken grenzt sie direkt an die Vereinsturnhalle, in der parallel ein Volleyballkurs stattfindet (was wir übrigens deshalb wissen, weil die Bälle alle paar Sekunden gegen die Blechtüre donnern). Die Stimme der Trainerin in der Turnhalle nebenan ist beinahe so gut zu hören wie Romans. Der – mit Lesebrille auf der Nase – baut erst mal sein Equipment auf der vordersten Bierbank auf: Es dauert ziemlich lange, bis er den Kabelsalat geordnet bekommt und seinen Rechner mit dem Beamer verbunden hat. »Meiomeiomei«, sagt er, und man spürt an jeder seiner Handbewegungen, dass ihm dieser technische Vorgang zutiefst zuwider ist. Die stummen Männer beginnen, von hinten her die Bierbänke aufzufüllen. »Dürfts fei scho näher kommen«, sagt Roman in breitestem Bairisch und lacht das Lachen eines Siegers. Der Kurs beginnt.