Fit für Walhalla - Carolyne Larrington - E-Book

Fit für Walhalla E-Book

Carolyne Larrington

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Beschreibung

Die Welt der nordischen Götter und Helden Ob in Wagners Oper »Die Walküre«, in Tolkiens »Herr der Ringe« oder den Marvel Comics - die Geschichten aus den nordischen Mythen faszinieren und inspirieren seit jeher. Die britische Literaturwissenschaftlerin Carolyne Larrington nimmt uns mit auf eine geschichtenreiche Reise: an den Götterwohnsitz Asgard zu den Asen, deren Anführer der kluge Kriegsgott Odin ist. Ihm zur Seite steht Thor, der das Reich der Götter mit seinem mächtigen Hammer Mjöllnir gegen die Riesen verteidigt. In einem unterhaltsamen Rundumschlag erzählt sie: - Wie die Welt erschaffen wurde - Was es mit dem Weltenbaum Yggdrasill auf sich hat - Welche Götter und Göttinnen eine Rolle spielen - Mit welchen Widersachern sie zu kämpfen haben - Welche Abenteuer die Helden der Wikingerwelt bestehen müssen, bevor sie dereinst nach ihrem Tod in Valhöll alias Walhalla ihren Platz finden - Illustriert mit rund 100 Abbildungen Alles Wissenswerte über nordische Mythen Wir begegnen tapferen Helden wie Ragnar und Drachentöter Siegfried. Und lernen furchteinflößende Kreaturen wie den Wolf Fenrir, die Midgardschlange oder den Drachen Fafnir kennen und erfahren ihre Geschichte. Vom Anbeginn der Welt bis zu ihrem Ende in der Götterdämmerung spannt sich der Bogen der Mythen. Gibt es ein Danach? Wie könnte es aussehen? Carolyne Larrington geht auch den Quellen und dem Fortleben der Mythen: sei es in Wagners Opern oder in der Fernsehserie »Vikings«, deren Held jener Ragnar Lodbrok ist, dem wir auch im Buch begegnen.

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Seitenzahl: 251

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FÜR JJ, JQ, LA UND HO’D

S. 1 und Inhalt: Berserkerkrieger aus den Lewis-Schachfiguren

Frontispiz: Der Wolf Fenrir verschlingt Óðinn.

Detail des wikingerzeitlichen Thorwald-Kreuzes von der Insel Man.

Die englische Originalausgabe ist 2017 bei Thames & Hudson Ltd. unter dem Titel The Norse Myths. A Guide to the Gods and Heroes erschienen. © 2017 Thames & Hudson Ltd., London

Published by arrangement with Thames & Hudson Ltd., London

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

wbg Paperback ist ein Imprint der wbg.

© der deutschen Ausgabe 2023 by wbg

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Neuausgabe der 2018 bei wbg Theiss erschienenen Ausgabe

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die

Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Lektorat: Melanie Kattanek, Gunzenhausen

Gestaltung und Satz: Anja Harms, Oberursel

Einbandabbildung: Thors Kampf mit den Riesen.

Gemälde von Eskil Marten Winge (1825–1896).

© Fine Art Images/Heritage Images/Alamy Stock Foto

Einbandgestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-27617-2

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

eBook (PDF): 978-3-534-74734-4

eBook (epub): 978-3-534-74735-1

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Innentitel

Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Impressum

Inhalt

Vorbemerkung zu den Namen und ihrer Aussprache

Danksagung

Karten

EINLEITUNG: QUELLEN UND ÜBERRESTE

1 DIE GÖTTER UND GÖTTINNEN

2 DIE WELT WIRD GESCHAFFEN UND GESTALTET

3 VERFEINDETE MÄCHTE

4 REIF FÜR VALHÖLL: MENSCHLICHE HELDEN

5 HELDEN DER WIKINGERWELT

6 ENDZEIT – UND NEUBEGINN

Anhang

Zum Weiterlesen

Textnachweis

Bildnachweis

Index

Vorbemerkung zu den Namen und ihrer Aussprache

Die altnordischen Namen erscheinen hier in ihrer ursprünglichen Form. Daher enthalten sie zwei ungewöhnliche Buchstaben, die im modernen Isländischen und Färöischen nach wie vor gebräuchlich sind (und uns aus der phonetischen Umschrift in Englischlehrbüchern bekannt vorkommen): Eth (ð / Ð) und Thorn (þ / Þ). Der erste Buchstabe wird wie das ‚weiche‘ th im englischen „the“ gesprochen, so im Namen des Götterkönigs Óðinn (Odin). Der zweite klingt wie das ‚harte‘ th in „thorn“ und erscheint im Namen Þórr (Thor, der also nicht wie deutsch „Tor“ gesprochen wird).

Danksagung

Ich danke Tim Bourns an dieser Stelle für viele nützliche Vorschläge und seine Arbeit am Register. Die vier Personen, denen das Buch gewidmet ist, haben viele nordische Abenteuer in vielen Landen angestiftet und gemeinsam mit mir bestanden: til góðs vinar liggja gagnvegir, þótt hann sé firr farinn.1

1Aus dem Hávámál (35,3–4): „Breit und gerade ist der Weg zu einem Freund, mag er auch weit weg reisen.“

Nordisch sprechende Menschen besiedelten so weit auseinanderliegende Regionen wie die Britischen Inseln, die Normandie, Island, Grönland und Nordamerika; sie ließen sich in Russland nieder und stellten in Konstantinopel die Warägergarde des Kaisers.

Das Weltbild der altnordischen Mythologie.

Einleitung: Quellen und Überreste

Wer waren die nordischen Götter? Auswanderer aus dem Nahen Osten, die durch das, was heute Deutschland ist, nach Norden zogen, um das ihnen verheißene Zuhause in Skandinavien zu finden; Menschen wie Sie und ich, nur schlauer, hübscher, zivilisierter. So zumindest wollte es ein christlicher Autor, ein Isländer des Mittelalters, der viele jener bis heute bekannten Mythen und Legenden des skandinavischen Nordens aufgezeichnet hat. Die christlichen Gelehrten des Mittelalters brauchten eine Erklärung dafür, wieso ihre Ahnen falsche Götter angebetet hatten; eine weit verbreitete Theorie lautete, bei den vorchristlichen Gottheiten handle es sich um Dämonen, böse Geister, vom Satan ausgesandt, um die Menschen zur Sünde und zum Irrtum zu verführen.

Snorri Sturluson und die cleveren Migranten aus Asien

Doch eine andere, weitverbreitete Theorie war die, welche Snorri Sturluson in dem nachfolgenden Zitat vorträgt: Die sogenannten Götter seien tatsächlich herausragende Menschen gewesen, in diesem Fall Einwanderer aus Troja – ein Konzept, das als Euhemerismus bekannt ist.

Óðinn [Odin] war ein Mann, der durch seine Weisheit und seine vielen Begabungen hervortrat. Seine Frau hieß Frigida und wir nennen sie Frigg. Óðinn war prophetisch begabt, wie auch seine Frau, und so entdeckte er, dass er im Norden der Welt einmal äußerst berühmt werde und höhere Ehren als alle Könige genießen werde. Deswegen brannte er darauf, aus der Türkei wegzuziehen, und brachte eine große Menge Volks mit, Jung und Alt, Männer und Frauen, und mit sich nahmen sie viele kostbare Güter. Doch wohin sie auf dem Kontinent auch kamen: so viel Herrliches sagte man über sie, dass sie eher wie Götter als wie Menschen erschienen.

Snorri Sturluson, Prolog zur Prosa-Edda (um 1230)

Für Snorri Sturluson, den isländischen Gelehrten, Politiker, Dichter und Häuptling des 13. Jahrhunderts, der uns das umfangreichste und systematische Werk über die nordische Götterwelt hinterlassen hat, war der Gedanke bestechend, dass die nordischen Götter – man nannte sie die Æsir – Menschen gewesen sein mussten. Als Nachkommen der Verlierer des Trojanischen Krieges entschieden sie sich, nach Norden zu wandern, und brachten den Eingeborenen des Germanengebiets und Skandinaviens ihre überlegene Technik und Weisheit. Die Kultur der Neuankömmlinge verdrängte die der Alteingesessenen; diese übernahmen die Sprache der Zugereisten und spätere Generationen begannen, die erste Einwanderergeneration als Götter zu verehren.

Snorri Sturluson, der isländische Gelehrte

Snorri Sturluson (1179–1241) gehörte zu einer bedeutenden isländischen Familie und wurde tief in die politischen Turbulenzen in Island und Norwegen hineingezogen. Er verfasste eine als Prosa-Edda bekannte Abhandlung zur Dichtkunst, die aus vier Teilen besteht: einem Langgedicht namens Háttatal („Liste der Versmaße“), das verschiedene Vers- und Strophenformen vorführt, zweitens der Skáldskaparmál („Die Sprache der Dichtung“), aus einer Erklärung der als Kennings bekannten Metaphern (dazu S. 19), einem Prolog und schließlich aus einem als Gylfaginning („Gylfis Täuschung“) bekannten Teil. Snorri wurde von Handlangern des norwegischen Königs in einem Keller seines Heimathofs Reykjaholt auf Island ermordet; seine letzten Worte waren: „Nicht schlagen!“

Die Statue von Snorri Sturluson, des isländischen Gelehrten, Politikers und Dichters aus dem 13. Jahrhundert, in seiner Heimat, dem isländischen Ort Reykjaholt.

Um in seiner Edda zu erklären, wie die traditionelle nordische Dichtung funktionierte, brauchte Snorri eine ganze Menge mythologisches Hintergrundwissen, also schuf er einen erzählerischen Rahmen, der klarstellte, dass zwar heutzutage niemand die heidnischen Götter anbeten konnte – schließlich waren sie bloß ein gerissener Stamm nahöstlicher Migranten –, dass aber die Geschichten, die sich um sie rankten, so tiefsinnig wie unterhaltsam waren. Deshalb stellte Snorri seiner Abhandlung über die Dichtkunst eine Sage um König Gylfi von Schweden voran, der gleich zweimal betört wurde: zuerst von der Göttin Gefjun, wie in Kapitel 1 nachzulesen ist, und dann noch einmal, als Gylfi zu spät begriff, dass er betrogen war, und nach Ásgarðr aufbrach, wo, wie er wusste, die Æsir lebten. Gylfi hatte die Absicht, mehr über diese Betrüger herauszufinden; er erhielt Zutritt zur Königshalle und traf dort drei Gestalten namens Hár, Jafnhár und Þriði („Hoch“, „Ebensohoch“ und „Dritter“). In einem langen Frage-und-Antwort-Spiel fand Gylfi eine ganze Menge über die Götter heraus, über die Erschaffung der Welt und der Menschen, über das Ende der Welt (ragnarök), wenn sich einst Götter und Riesen bekriegen würden, und schließlich darüber, wie die Welt neu geschaffen werden sollte. Und dann, nachdem sie Gylfi geraten hatten, sein neues Wissen gut anzuwenden, verschwanden Hár und seine beiden Kollegen, die mächtige Halle und die eindrucksvolle Festung alle zusammen. Gylfi kehrte heim und berichtete anderen, was er herausgefunden hatte.

Snorri schrieb noch einen zweiten wichtigen Text zu den nordischen Göttern: die Ynglinga saga („Saga von den Ynglingen“), den ersten Teil seiner Geschichte der Könige von Norwegen, der auch unter seinen ersten Worten als die Heimskringla („Erdscheibe“) bekannt ist. Hier verwendete er dieselbe euhemeristische Erklärung für die Æsir wie in seiner Edda, fügte aber weitere Details über ihre Kräfte hinzu und stellte klar, dass sie die Ahnen der Könige Schwedens und Norwegens seien. So rationalisierend und systematisierend Snorris mythologische Schriften verfahren, sie gewähren uns einen unschätzbaren Einblick in ältere Erzählungen über die nordischen Götter und Helden. Dennoch, wenn wir Snorris Werke lesen, müssen wir uns immer vor Augen halten, dass er als mittelalterlicher Christ schreibt und Teile seines Materials entsprechend umformt. So führt er das Konzept einer vorzeitlichen Flut ein, die alle Frostriesen außer einem ertränkt, eine Erfindung vor dem Hintergrund der biblischen Flut, die Noah überlebt, und der dort erwähnten Auslöschung der Riesen. Nirgendwo sonst in der erhaltenen nordischen Überlieferung finden sich Belege für diese Geschichte. Zwar muss Snorri erheblichmehr über nordische Mythen gewusst haben als wir, doch manchmal gibt es auch etwas, das er nicht restlos versteht, und dann erfindet er etwas. Außerdem haben wir den Verdacht, dass Snorri mehr Geschichten kennt, als er uns wissen lässt – so vielleicht Óðinns Opfer „seiner selbst an sich selbst“ an der großen Weltesche Yggdrasill (siehe Kapitel 1). Dieser Mythos vom erhängten Opfergott konkurrierte wahrscheinlich zu unangenehm mit der Erzählung von der Kreuzigung Christi, als dass ein guter Christ ihn leichten Herzens hätte berichten können.

König Gylfi trifft auf Hár, Jafnhár und Þriði. Abbildung aus einer isländischen Handschrift des 18. Jahrhunderts.

Der Codex Regius, eine Handschrift von ca. 1270; hier einige Verse aus der Völuspá (der „Weissagung der Seherin“).

Zwei Formen der nordischen Dichtung

Was genau das Wort „Edda“ bedeutet, weiß niemand so genau; diesen Titel hat Snorris Abhandlung in einem der frühesten Manuskripte. Eine mögliche Bedeutung ist „Großmutter“; sie verweist vielleicht auf die Vorstellung, dass mythologisches Wissen alt ist und eng mit Frauen verknüpft. Im Island des 14. Jahrhunderts verwendete man das Wort so, dass es etwas wie „Dichtkunst“ bedeutete. Die altnordische Dichtkunst tritt in zwei Varianten auf. Die eine Sorte ist ausgefeiltes Kunsthandwerk; man kennt sie als Skaldendichtung und sie verwendet ein rätselfreudiges Metaphernsystem, das als Kenning geläufig ist. Eine Kenning der einfachsten Form kann zum Beispiel ein zusammengesetztes Wort sein, etwa „Gedankenschmied“ für „Dichter“ oder „Albenstrahl“ [„Elfenstrahl“] für „Sonne“. Doch viele Kennings sind viel komplizierter und verrätselter; ihre Entzifferung verlangt Kenntnisse in der Mythologie. So müssen wir, wenn wir verstehen wollen, wer wohl der farmr arma Gunnlaðar sein mag (die „Last auf Gunnlöðs Armen“), vorab wissen, dass der Gott Óðinn einmal Grund hatte, die Riesentochter Gunnlöð zu verführen, um den Met der Dichtkunst für Götter und Menschen zu gewinnen (siehe Kapitel 3). Wenn Óðinn auf diese Art beschrieben wird statt zum Beispiel als „der gehängte Gott“, erzeugt das Assoziationen zum Gott als Verführer, als einem, der Göttern und Menschen unentbehrliche Kulturschätze verschafft, und eben nicht als die Figur des Leidenden, der sich selbst an den Weltenbaum hängt, um die Kenntnis der Runen zu erlangen; ein Opfer durch Erhängen zu bringen, ist anscheinend die Óðinn wohlgefälligste Art. Nur ganz wenige mythologische Erzählungen, insbesondere einige Abenteuer von Þórr (Thor), sind in Skaldenversen aufgezeichnet; der Hauptbezug von Mythos und Legende zu dieser Gedichtform besteht darin, dass sie den Metaphern des Kenning-Systems zugrunde liegen.

Die zweite Gattung altnordischer Dichtung nennt man eddische Dichtung. Ihre schlichtere, auf Alliterationen beruhende Form teilt sie mit der frühen Poesie der verwandten germanischen Sprachen Altenglisch und Althochdeutsch. Den Begriff „eddisch“ hat man dieser Gedichtform deshalb beigelegt, weil viele der in ihr abgefassten Geschichten die Basis für Snorris mythologischen Bericht in seiner Edda bilden. Ein Großteil der erhaltenen Dichtung in diesem Versmaß bildet den Inhalt einer einzigen Handschrift, die offiziell als GKS 2365 4to bekannt ist; heute liegt dieser Codex im Handschrifteninstitut von Reykjavík, in der Stofnun Árna Magnússonar. 1662 schenkte ein isländischer Bischof, Brynjólfur Sveinsson, das Manuskript dem König von Dänemark, weshalb es als Codex Regius, als Codex des Königs, bekannt geworden ist. Geschrieben wurde der Codex zwar um 1270 in Island, doch viele Gedichte und ein Großteil der in ihnen enthaltenen Informationen waren Snorri, der um die vierzig Jahre früher schrieb, bereits bekannt. Es ist wahrscheinlich, dass es einige ältere geschriebene Sammlungen mit mythologischer Dichtung und Heldendichtung gab, auf die sich Snorri stützte. Fast alle in diesem Buch zitierten Gedichte stammen aus dieser Sammlung, allerdings gibt es außer den im Codex Regius enthaltenen mythologischen eddischen Gedichten noch einige andere. Dazu zählen Baldrs Draumar („Baldrs Träume“), die den Tod des Gottes Baldr ankündigen, das Hyndluljód („Hyndlas Lied“), worin zahlreiche mythologische Details vermittelt werden, wenn eine Riesin die Ahnen eines Lieblingshelden der Göttin Freyja aufzählt, und die Rigsþula („Rígrs Liste“), die berichtet, wie es zur Entstehung der verschiedenen Gesellschaftsschichten kam. Andere Gedichte im eddischen Stil, die vielfach Geschichten über alte skandinavische Helden erzählen, finden sich in Prosageschichten (Sagas) über Helden der Wikingerzeit; diese kennt man als fornaldarsögur („Sagas der Vorväterzeit“).

Rekonstruierter mittelalterlicher Bauernhof im südisländischen Stöng.

Was man sich in Island erzählte

Saxos Behauptungen, die Isländer erinnerten sich an die Überlieferung der Heldenzeit und gäben sie weiter, werden durch die Tatsache bestätigt, dass unsere beiden Hauptquellen zu den nordischen Mythen und Legenden, die Prosa- und die Lieder-Edda, auf eben dieser Insel im Nordatlantik entstanden sind. Island war im 9. Jahrhundert überwiegend von Norwegen aus besiedelt worden. Der Gründungsmythos der Isländer behauptet, sie stammten von freigeborenen Edlen ab, die sich die Tyrannei König Haraldr Schönhaars nicht gefallen lassen wollten und deshalb auswanderten. Weitere Skandinavier zogen aus den angloskandinavischen Kolonien auf den Britischen Inseln in die neue Siedlung um, und aus den keltisch bewohnten Regionen importierte man Sklaven. Auf den Langschiffen der Siedler müssen auch alte Geschichten aus der skandinavischen Heimat nach Island gelangt sein, die man sich in den kleinen ra sengedeckten Bauernhäusern dann ins Gedächtnis rief und vortrug, wenn sich die Hausgemeinschaften während der langen dunklen Winternächte einigelten, und so wurde Island jahrhundertelang ein Hort des Wissens über die heidnische Vergangenheit.

Saxo – der erste dänische Historiker

Fast alle mittelalterlichen Quellen zu den altnordischen Mythen und Legenden stammen aus Island und sind auf Isländisch geschrieben. Eine wichtige Ausnahme bilden jedoch die Gesta Danorum („Die Taten der Dänen“), eine wuchtige Schrift, die der dänische Mönch Saxo Grammaticus, der zwischen etwa 1150 und 1220 lebte, auf Latein verfasst hat. Saxos Beiname heißt „der Gelehrte“. In seinem Vorwort berichtet er uns, in der vorchristlichen Vergangenheit hätten die Dänen „die Buchstaben ihrer eigenen Sprache in Felsen und Steine eingeritzt, um jene Taten ihrer Ahnen nachzuerzählen, die in den Liedern ihrer Muttersprache verbreitet worden waren“. Außerdem erwähnt Saxo, die Isländer seiner Zeit seien hervorragende Quellen für traditionelle Geschichten; er nutzt ihr Material für sein Buch. Wie Snorri beschreibt auch Saxo die Götter und Helden, deren Geschichten er erzählt, als – häufig geniale und tückische – Menschen, die in Dänemarks prähistorischer Vergangenheit gelebt hätten. Wieder einmal wird Óðinn als äußerst schlaues Menschenkind gezeichnet, „ein Mann, den man in ganz Europa weithin, wenn auch fälschlich, für einen Gott hielt“. Trotz Saxos skeptischer Ausdrucksweise berichtet er allerhand Dinge, welche die andernorts überlieferten Sagen bestätigen; besonders nützlich ist er da, wo er eingehende Informationen zu einigen besonders wichtigen skandinavischen Helden gibt, beispielsweise zu Starkaðr und Ragnarr Loðbrók („Zottelhose“), deren Geschichten Kapitel 5 erzählt.

Mündliches und Schriftliches

Es ist gut möglich, dass Snorri kleine geschriebene Sammlungen mit eddischer Dichtung vor sich liegen hatte, als er seine Prosa-Edda verfasste. Aber man unterschätzt leicht die riesige Stoffmenge, die Menschen im Mittelalter ihrem Gedächtnis anvertrauen konnten. Zweifellos war Snorris Geist mit einer Unmenge von Gedichten, skaldischen wie eddischen, gerüstet. Aus diesen Werken und vielleicht auch aus einigen Nacherzählungen in Prosa bezog er jene Informationen, die er brauchte, um seine Edda zu schreiben. Tatsächlich sollte Snorris Schrift die Form vieler altnordischer Mythen für künftige Generationen festschreiben – ein unvermeidliches Ergebnis, wenn vielgestaltige, wandelbare Geschichten in Schriftform gefasst werden. Doch die „Urform“ eines Mythos gibt es nie und hat es nie gegeben; es lässt sich unmöglich entscheiden, wer die Geschichte als Erster erzählt hat. Jede einzelne Nacherzählung trägt zu unserem umfassenden Verstehen von Struktur und Gehalt des betreffenden Mythos bei. Jede Neufassung gewährt Einblick ins mythische Denken und in jene Kontexte, die den einzelnen Mythos für die Kulturen relevant machten, die ihn verwenden – sei es als ein ganzes Gedicht, als Kenning, als Anspielung oder als Bildmotiv, in Stein oder Holz geschnitzt oder auf Malereien, Textilien oder Keramik.

Reiter, Schiffe und stilisierte Bäume auf einem Wandteppich der Wikingerzeit aus dem schwedischen Överhögdal.

Wie wir in Kapitel 2 sehen werden, gibt es in den nordischen Mythen mehr als nur eine Erklärung für die Erschaffung der Welt, aber wenn man behauptet, diese oder jene davon sei die „eigentliche“ oder „ursprüngliche“ Geschichte, ist damit nichts gewonnen. Genau wie im Niltal die ägyptischen Mythen in ihren Einzelversionen von Ort zu Ort beträchtlich voneinander abweichen, so waren auch die nordischen Mythen gemeinsames Kulturgut aller Völker mit Wikingerwurzeln, wo sie auch in der Welt des Nordens leben mochten. In diesem Raum, dem man den Namen „Wikingerdiaspora“ gegeben hat, wanderten nordischsprachige Menschen aus Skandinavien in Teile Großbritanniens und in die Normandie aus, dazu auf die Inseln im Nordatlantik – hauptsächlich nach Island, aber auch auf die Färöer, die Orkneys und die Shetland-Inseln. Später kolonisierten sie Südgrönland und gründeten sogar ein paar kurzlebige Siedlungen in Nordamerika. Skandinavier segelten den Dnjepr zum Schwarzen Meer hinab und fanden in Konstantinopel eine Anstellung als die Warägergarde des Kaisers; außerdem gründeten sie die ersten russischen Fürstentümer.

Diese geografische Zerstreuung bedeutete, dass es gar keine Einheitlichkeit geben konnte, keine maßgebliche Version der Mythen, die jeder glauben musste. Bei Dogmatik in der Lehre denkt man alles in allem an Buchreligionen: das Judentum, das Christentum und den Islam, Glaubensformen, innerhalb deren sich die heiligen Schriften herausbilden, dann als kanonisch anerkannt werden und sich schließlich zu orthodoxer Verbindlichkeit festigen konnten (so sehr es Interpretationsunterschiede geben mag). Jede nordischsprachige Gemeinschaft – es gab sie von der Halbinsel Jütland bis hinauf zur Grenze Lapplands im Norden, bis zum wikingerzeitlichen Dublin und sogar nach Grönland im Westen, zur Normandie im Süden und bis nach Konstantinopel im Osten – kannte und nutzte ein wechselndes Ensemble von Mythen zur Erklärung jener großen metaphysischen Fragen, die zu beantworten die Aufgabe des Mythos ist.

Während Legenden Landes- und Kulturgrenzen überschreiten, verändern sie sich. Wenn wir die Version der Sigurðr/Siegfried-Geschichte, wie sie das um 1200 entstandene südostdeutsch-österreichische Nibelungenlied enthält, mit den nordischen Gedicht- und Prosaversionen vergleichen – sie sind in Kapitel 4 nacherzählt –, stellen wir fest, dass die Beziehungen zwischen den Hauptpersonen völlig umgestaltet sind. In der südlichen Variante liegt der Schwerpunkt auf der Rache einer Schwester an ihren Brüdern, die ihren Mann getötet haben. In den nördlichen Versionen verzeiht die Schwester ihren Brüdern und nimmt furchtbare Rache an ihrem zweiten Mann, der sie später ermordet. Diese Abwandlungen verraten uns etwas über wechselnde kulturelle Normen; die Geschichten loten aus, wo wohl die wahre Loyalität einer Schwester liegen mag, wenn eine Ehefrau aus ihr geworden ist. Mythen und Legenden sind wandelbar, sind labil; falls sie kulturell eine Rolle spielen, werden sie erinnert, umgestaltet und – üblicherweise durch die Schrift oder ein anderes Medium der Fixierung – überliefert. Wenn sie keine Bedeutung mehr haben, verschwinden sie. Es muss eine Riesenmenge Götter- und Heldengeschichten gegeben haben, die es nicht in den nordischen ‚Mythensparstrumpf‘ geschafft haben, lokal oder in der ganzen Kultur gängige Geschichten, die für immer verloren sind.

Orte und Gegenstände

Auf die verlorenen Schätze dieses ‚Sparstrumpfes‘ deuten frühe Verweise auf vorchristliche Religionsformen, archäologische Funde und – im Einzugsbereich der altnordischen Kultur besonders wichtig – Steinskulpturen hin. Zwar scheinen viele Rituale der nordischen Religion im Freien stattgefunden zu haben, aber Tempel baute man trotzdem. Ein Bericht aus den 1070ern, verfasst durch den Gelehrten Adam von Bremen, erwähnt den großen Tempel von Uppsala in Zentralschweden. Schweden bekehrte sich um einiges später als Norwegen und Island zum Christentum, und Uppsala war ein Zentrum für alle möglichen Aktivitäten: Politik und Verwaltung, Religion und Recht. Im Tempel von Uppsala thronten, so berichtet uns Adam, Statuen von Thor, Wotan und Frikko (Þórr, Óðinn und Freyr). In der Mitte saß Þórr, die beiden anderen Götter waren links und rechts neben ihm aufgestellt. Nahe beim Tempel stand ein immergrüner Baum und unter ihm befand sich ein Brunnen, in dem man Menschenopfer darbrachte (man ertränkte die Menschen). Menschen und Tiere gleichermaßen opferte man durch Erhängen an dem Baum: Hunde, Pferde und Männer baumelten hier nebeneinander. Wie schon erwähnt, unterstreichen mit Óðinn verknüpfte Mythen die Bedeutung des Hängens als Hauptform des Opfertodes.

Bild des großen Tempels von Uppsala. Im Brunnen sieht man einen geopferten Mann. Aus Beschreibung der nördlichen Völker von Olaus Magnus (1555).

Auch archäologische Funde vertiefen unser Verständnis der nordischen Mythenwelt und vermitteln uns einen Eindruck, wie die in diesen Geschichten erwähnten Waffen, Schilde, Häuser und Schiffe wohl ausgesehen haben. Solche Gegenstände erweitern die Nachbildung der Welten von Göttern und Helden in unseren Köpfen. Einige Grabbeigaben legen nahe, dass manche Männer und Frauen Magie ausübten und in ihren Ritualen geheimnisvolle Objekte verwendeten. Beschreibungen von Schiffsbegräbnissen in mythischen Texten deuten an, dass man Totenboote in Brand steckte oder aufs Meer hinaustreiben ließ. Eine derartige Zeremonie kann so oder so keine archäologischen Spuren hinterlassen haben; gleichwohl beweist das Oseberg-Schiffsgrab, dass man Schiffe tatsächlich als würdige Ruhestätte für die Leiber hochgestellter Männer und Frauen ansah.

Das Oseberg-Schiffsgrab

Als ein Bauer 1902 in der südnorwegischen Landschaft Vestfold auf seinen Feldern einen Hügel aufgrub, entdeckte er darin Teile eines Schiffs. Im Sommer darauf legten Archäologen der Universität Oslo die Fundstelle frei und deckten ein riesiges Schiff von 21,5 Metern Länge und 5 Metern Breite auf, das reich mit Schnitzereien verziert war. Gebaut worden war es um etwa 820 aus Eichenholz und es konnte von dreißig Ruderern fortbewegt werden. 834 hatte man das Schiff an Land gezogen und als Grab für zwei Frauen von offensichtlich hohem Status verwendet. Eine war zwischen 70 und 80 Jahren alt, die andere wahrscheinlich um die 50; zusammen lagen sie auf einem Bett in einer prächtig geschmückten Hütte, die man hinter den Schiffsmast gebaut hatte. Diese Grabkammer war mit kunstvollen Wandteppichen ausgehangen und enthielt zahlreiche Besitzstücke: Möbel, Kleider, Schuhe, Kämme, Schlitten und ein geschmackvoll verzierter Eimer standen und lagen rund um die Frauen. Auch die Skelette von 15 Pferden, sechs Hunden und zwei kleinen Kühen fanden sich hier. Im Mittelalter hatte man den Hügel aufgebrochen und all die kostbaren Metallobjekte geraubt, die zweifellos einmal vorhanden gewesen waren, doch die Qualität der noch verbliebenen großen, schweren Gegenstände legt nahe, dass es sich bei der älteren Frau gut um eine Königin gehandelt haben kann. Das Oseberg-Schiff und zwei ähnliche Fahrzeuge können Sie im Wikingerschiffe-Museum in Oslo besichtigen.

Das Oseberg-Schiff aus dem 9. Jahrhundert, ausgestellt im Wikingerschiffe-Museum im norwegischen Oslo.

Der Reliefstein aus Austers in Hangvar auf Gotland.

Ein früher Bildstein aus Gotland

Ein faszinierendes Steinbild stammt aus Austers in der Gemeinde Hangvar auf Götland und entstand zwischen 400 und 600 n. Chr. Es zeigt ein vielbeiniges Ungeheuer zusammen mit einer Menschenfigur, die vielleicht ihre Hand ins Maul der Bestie legt oder dieses zumindest am Unterkiefer packt. Man hat diese Szene mit der Geschichte von Týr verglichen, der seine Hand an den kosmischen Wolf Fenrir verlor, aber es braucht schon einige Fantasie, um dieses merkwürdige, tausendfüßlerartige Wesen als Darstellung jenes Tieres anzusehen, das am Weltende Óðinn verschlingen wird.

Besonders wichtig für eine Bestätigung und Vertiefung der Mythen und Legenden des Nordens sind die wikingerzeitlichen Steinskulpturen – reliefverzierte Bildstelen oder gemeißelte dreidimensionale Darstellungen übernatürlicher oder heroischer Figuren. Erhalten sind sie hauptsächlich auf Inseln, Außenposten der Wikingerdiaspora, wie der Isle of Man oder der Insel Gotland in der Ostsee zwischen Schweden und Finnland, die lange ein Knotenpunkt für Handel und Reisen in den nördlichen Meeren war. Auf Gotland gibt es 475 erhaltene Bildsteine mit gemeißelten Abbildungen komplexer Szenen. Dank der eigenwilligen Details konnte man Óðinn auf seinem Pferd Sleipnir (siehe Kapitel 1), Szenen aus der Legende von Völundr dem Schmied (siehe Kapitel 2) und der Sigurðr-Legende identifizieren (siehe Kapitel 4).

Manchmal – wie im Fall von Óðinns achtbeinigem Pferd oder den Bildern des Gottes Þórr, wie er mit einem Ochsenkopf als Köder nach der Miðgarðschlange angelt – erscheint ein so spezielles Detail, dass es sich nur als Teil eines ganz bestimmten nordischen Mythos erklären lässt. Dadurch können wir noch bekannte Mythen und Legenden mit Steinskulpturen in der ganzen Wikingerwelt verknüpfen. In jeder einzelnen Gemeinschaft ging die örtliche Überlieferung in ererbte Geschichten ein – nirgends auf verblüffendere Art als auf der Isle of Man, wo man nordische Legenden auf christliche Kreuze meißelte und dadurch in Dialoge mit dem Christentum treten ließ. Motive aus der Geschichte um Sigurðr den Drachentöter konnten an den Kampf zwischen dem Erzengel Michael und dem Drachen in der Johannes-Offenbarung erinnern. Óðinns Tod, der Moment, als er bei der ragnarök vom Wolf Fenrir verschlungen wird, erscheint auf dem Schaft eines als Thorwald’s Cross bekannten Kreuzes (nach dem Bildhauer, der es in Runen signiert hat) aus Kirk Andreas auf Man (siehe Frontispiz). Dieses Bild erzeugt einen mächtigen Kontrast zu Christus, der – anders als der Allvater – nach seinem Tod wieder auferstehen wird. Die Geschichte von Sigurðr erscheint im Bild auch auf Steinen und Kleinobjekten, die vom Wolgagebiet in Russland bis zum berühmten Ramsund-Stein in Schweden verstreut sind (siehe S. 151 f.). In späteren Kapiteln werden wir sehen, wie sich die Bilder in die Schriftquellen einfügen.

Mehr und mehr werden neue Funde von Metallobjekten, die oft winzig kleine Figuren darstellen, als Bilder der nordischen Gottheiten angesprochen. Zu ihnen zählen eine kürzlich ausgegrabene Darstellung Óðinns aus Lejre in Dänemark – der Gott sitzt auf dem Thron mit seinen beiden Raben auf der Rückenlehne – und ein faszinierendes Stück mit einer bewaffneten Frauengestalt (einer Walküre), das im dänischen Hårby zutage kam. Sie haben nun ihren Platz neben dem wohlbekannten Bildnis Þórrs aus Eyrarland auf Island (siehe S. 111) und der kleinen Statue mit dem riesigen Phallus aus Rällinge in Schweden, die man für gewöhnlich als Freyr identifiziert. Das Wechselspiel zwischen Archäologie, Mythos und Legende ist dynamisch; Neuentdeckungen geben unserem hypothesenreichen Wissensstand auch weiterhin neue Richtungen und gestalten ihn um.

Þórr und der Riese Hymir angeln und benutzen einen Ochsenkopf als Köder (Kapitel 5). Bild auf dem Kreuz von Gosforth im nordenglischen Cumbria, (wahrscheinlich) aus dem 10. Jahrhundert.

‚Óðinn‘ aus Lejre in Dänemark. Zwei Raben rahmen die Figur, die Frauenkleider trägt.

Andere germanische Traditionen

Schließlich können wir zur Deutung nordischer Mythen auch noch vergleichbare Traditionen aus der frühmittelalterlichen Welt der germanischen Sprachen heranziehen. Die Angelsachsen verehrten Götter, deren Namen denen der altnordischen ähnelten – Tiw, Woden, Thunor, Fricg; sie gaben den Wochentagen ihren Namen (Tuesday, Wednesday, Thursday und Friday), so wie es Týr, Óðinn, Þórr und Frigg in den skandinavischen Sprachen taten … und wie sie es als Ziu, Donar und Frija auch in der Sprachgeschichte des Deutschen taten (Dienstag, Donnerstag, Freitag), während das neutrale „Mittwoch“ den Platz des „Wotanstages“ einnahm. In der altenglischen Literatur gibt es nur sehr wenige Bezüge auf die Götter; ein Hinweis taucht in der Lehrdichtung auf, wo die rettende Macht Christi mit der Aussage Woden worhte weos („Wotan schuf Götzenbilder“) kontrastiert wird. Ein weiterer begegnet im Nine Herbs Charm, der Wotan anruft, weil der einst eine Schlange mit neun wuldortanas („Ruhmeszweige“) geschlagen habe. Unter der spärlichen Zahl erhaltener althochdeutscher Texte finden sich einige Zaubersprüche, in denen Götter vorkommen, deren Namen sichtlich denen des altnordischen Pantheons ähneln. Der Zweite Merseburger Spruch berichtet, wie sich Balderes uolon („Baldrs Fohlen“) den Fuß verrenkt; eine ganze Reihe von Gottheiten bespricht ihn (mehr dazu auf S. 59 und 60 [Fulla, Kapitel 1]). In den Idisi, die im Ersten Merseburger Spruch über ein Schlachtfeld gehen und einige Krieger dort teils fesseln, teils befreien, hat man die schattenhafte Gruppe der altnordischen dísir erkennen wollen (siehe S. 72).

Verglichen mit den reichhaltigen Erklärungen in Snorris Prosa-Edda oder auch nur der inneren Erzähllogik der eddischen Dichtungen bleiben diese Fragmente aus Nachbarkulturen quälend mysteriös. Die angelsächsische Kirche (und ihre Schwestern in den Stammesgebieten des späteren Deutschland) hatte kein Interesse daran, vorchristliche Glaubensinhalte zu erhalten, und ihr lang wirksames Schriftmonopol bedeutete einen umfassenden Verlust des Sagenschatzes der heidnischen Vergangenheit. Auch in den kontinentalen Stammgebieten der Angelsachsen in Deutschland blieb kein Mythenmaterial erhalten; dort war es das Tagesgeschäft englischer Missionare, Seelen zu retten und heidnische Heiligtümer zu zerstören. Etwas besser hat sich in beiden Sprachen die heroische Sagendichtung erhalten, und wir werden auf das altenglische Gedicht Beowulf und das Gedicht Deor sowie auf das deutsche Nibelungenlied zurückgreifen, um Licht auf unseren Weg durch die Heldensagen Skandinaviens zu werfen.