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Als der geheimnisvolle Flammenmond am Himmel erscheint, verändert sich das Schicksal von Menschen, Zwergen und Trollen gleichermaßen. Die junge Cyra, deren Herkunft im Dunkeln liegt, trägt ein uraltes Geheimnis in sich. Mit ihrer Macht könnte sie die Welt retten – oder ins Verderben stürzen. An ihrer Seite stehen die Zwillinge Thramis und Thox, Prinzen unter dem Berge, die zwischen Pflicht, Verrat und ihrer eigenen Bestimmung zerrissen sind. König Borus, getrieben von Machtgier, und der Zwergenkönig Bartus, gefangen in alten Prophezeiungen, spinnen ihre eigenen Pläne. Doch das schwarze Loch, das mit dem Flammenmond erwacht, bedroht alles Leben. Nur wenn Mensch und Zwerg ihre Kräfte vereinen und den uralten Schwur der Corryx erfüllen, gibt es Hoffnung. Doch Vertrauen ist brüchig, und Verrat lauert im Schatten. Ein episches Fantasy-Abenteuer über Mut, Magie und Schicksal – der Auftakt einer Trilogie voller Geheimnisse, uralter Prophezeiungen und unvergesslicher Figuren.
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Seitenzahl: 467
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Flammenmond
„Im Ende wohnt der Anfang“
Hermann Hesse
Flammenmond
Band 1: Flammenmond
1. Edition: 01.09.2025
Autor: Stefan Gabel
1. Band der Trilogie: Die Magie der Corryx
Cyra
Eine geheimnisvolle Frau, die im Dorf Wallrupp auftaucht. Niemand kennt ihre Herkunft – doch ihre Kräfte und ihre Verbindung zu den alten Mächten verändern das Schicksal aller.
Thramis und Thox
Zwillingsbrüder am Hof von Cantherstein. Sie sind ehrgeizig und unzertrennlich, zugleich aber Werkzeuge ihres Onkels Borus.
Borus, König von Cantherstein
Ein Herrscher voller Zorn, Machtgier und Geheimnisse – sein Wille überschattet das Schicksal aller anderen.
Bartus, König der Zwerge unter dem Berg Thunn
Ein stolzer Zwerg, der dem Erbe seines Volkes verpflichtet ist. Seine Suche führt ihn immer tiefer in die Geheimnisse der Ovarien und der alten Prophezeiungen.
Brook, Sohn von Bartus
Er ringt mit seiner Herkunft und den Erwartungen seines Vaters, während er seinen eigenen Weg finden muss.
Weitere Beschreibungen sind im Anhang 1 ersichtlich.
Die Magie der Corryx .............................................................. 1
Erster Tag ................................................................................. 8
1.Nacht / Morgengrauen ................................................... 8
2.Vormittag ..................................................................... 28
3.Mittag .......................................................................... 53
4.Nachmittag .................................................................. 69
5.Abend .......................................................................... 86
Zweiter Tag .......................................................................... 118
6.Am Morgen ............................................................... 118
7.Vormittag ................................................................... 139
8.Mittag ........................................................................ 153
9.Nachmittag ................................................................ 164
10.Abend ...................................................................... 180
11.Nacht ....................................................................... 200
Dritter Tag ............................................................................ 204
12.Morgen .................................................................... 204
13.Vormittag ................................................................ 219
14.Mittag ...................................................................... 240
15.Nachmittag .............................................................. 261
16.Abend ...................................................................... 291
Vierter Tag ........................................................................... 333
Fünfter Tag ........................................................................... 418
Epilog ................................................................................... 494
Anhang 1: Charaktere .......................................................... 496
Anhang 2: Stammbaum ........................................................ 501
Zusammenfassung der Tage ................................................. 502
1. Nacht / Morgengrauen
Wallrupp
Eine unheimliche Begegnung…
„Votum Aurelia!“
So hörte man mitten in der Nacht eine laute Stimme. Wieder und wieder hallte die Stimme durch das Dorf.
Es waren noch 5 Nächte bis zum Jahreswechsel im Jahr 1399.
So nach und nach gingen in den kleinen Hütten die Lichter an und die Hunde begannen zu bellen.
Es war regnerisch und ein leichter Wind ging um die Ecken. Eigentlich dürfte man außer dem Geräusch der Blätter im Wind nicht viel hören. Aber die Stimme war deutlich wahrnehmbar. Der nächtliche Frieden war gestört.
Und wieder hallte die Stimme durch das Dorf:
„Votum Aurelia“
Langsam regte sich etwas im Dorf und einige Menschen schauten aus dem Fenster, um zu sehen, was da wohl los ist. Andere öffneten die Haustür, trauten sich aber nicht im Nachtgewand auf die Straße. Der Boden war vom Regen durchnässt und aufgeweicht. Festes Schuhwerk war angebracht.
Die Stimme wurde lauter: „Votum Aurelia“
„Wo sind meine Streichhölzer?“, raunzte der Waldbauer Gorrit
im Dunkeln in sich hinein. „Verdammt, wenn man mal wieder was braucht!“, dachte er mürrisch.
Er tastete zu seinem Nachtlicht, einer Kerze in einem geschwungenen Kerzenhalter und tapste damit in Richtung Tür. In der Küche angekommen fand er im Küchenschrank ein neues Päckchen und zündete die Kerze an.
Draußen ging der Wind. Das Laub und das Geäst der Bäume wiegten sich darin. In der Nachbarschaft war schon das Haus hell erleuchtet. „Was ist da los?“, dachte er sich und suchte seine Schuhe.
„Votum Aurelia“
„Was war das?“ Er dachte er sei durch den Wind wach geworden. „Wie spät ist es?“ Ein Blick auf das Stundenglas verriet ihm: viertel nach 3, also noch mitten in der Nacht.
Aber diese Stimme? Das konnte doch nicht sein. Wieso konnte er sie hören, er war doch alleine im Raum. Seltsam!
„Irris!“ rief er seine Frau. „Steh auf und zieh dir was an. Ich muss raus!“
„Was?“, klang eine müde Stimme aus der Schlafstube.
„Komm raus, da stimmt was nicht, da ruft jemand.“
„Hast du das auch gehört?“ fragte seine Frau, die noch schlaftrunken aus der Schlafstube wackelte. „Ich dachte, ich träume…?“
„Ja. - Irgendwas geht da vor“, antwortete er als er den Vorhang zurückzog, und aus dem Fenster spähte.
Die Nachbarn da drüben machen auch irgendwas. Ich kanns nicht genau sehen. „Wo sind meine Schuhe?“ Er griff zu seinem Mantel und zog ihn über sein Nachthemd.
„Zieh‘ dir endlich was über - ich muss da raus. Irgendwas passt da nicht.“
„Votum Aurelia“
„Da! Hast du es gehört?“, rief seine Frau.
„Ja, das geht schon die ganze Zeit. Ich dachte auch erst ich träume. Aber anscheinend hören die Nachbarn das auch. Das ganze Dorf scheint auf den Beinen zu sein.“
„Ah, da sind sie ja.“ Er zog seine Schuhe an, schnappte sich seinen Hut und ging nach draußen. „Bin gleich wieder da!“, warf er seiner Frau noch einen Blick zu und schloss die Tür hinter sich.
Draußen war es sehr ungemütlich. Der Wind peitschte ihm den nasskalten Regen ins Gesicht. Er zog sich den Hut tiefer und machte sich auf den Weg zum übernächsten Nachbarn, denn der war auch gerade aus seiner Hütte herausgekommen.
Die meisten Hütten hatten schon ihre Lichter an und einige Nachbarn liefen in der Dunkelheit umher und riefen sich gegenseitig etwas zu.
Der aufgeweichte Boden zog an seinen Stiefeln und es war wieder mal beschwerlich einen Schritt vor den anderen zu setzen. Der Schlamm setzte sich an seinen Sohlen fest und er hatte das Gefühl auf Eiern zu laufen.
„Ausgerechnet jetzt muss es so regnen“, rief er verärgert seinem Nachbarn zu. „Was ist da los?“, fragte er, als er näherkam. „Keine Ahnung!“, rief er zurück. „Wir haben Stimmen gehört. Ich wollte eigentlich weiterschlafen, aber meine Frau… Du kennst sie ja. Wenn ich nicht mache, was sie sagt, dann hab‘ ich wieder nur Ärger.“
„Votum Aurelia“
„Sei still, da ist es wieder!“ horchte der Waldbauer auf und hielt sich den Zeigefinger vor den Mund. „Wo kam das her?“
„Ich hab‘s auch gehört.“ Und beide schauten sich fragend im fahlen Mondlicht in die Augen.
„Gorrit, kennst du jemand der so heißt?“, fragte Wassta der
Nachbar.
„Nein, kenne ich nicht, aber das kriege ich schon noch heraus.“
„Du bist unser Dorfältester. Du weißt bestimmt was zu tun ist“, rief er hinter ihm her, als Gorrit zu den anderen rüber hinkte und folgte ihm.
So langsam füllte sich die Straße und die Menschen liefen zusammen und rätselten über die seltsame Stimme. Gorrit und Wassta gesellten sich dazu.
„Was ist das?“, „Ich kann nicht mehr schlafen!“
„Wo?“
„Dort!“ hörte man aus dem aufgeregten Stimmengewirr heraus.
„Ruhe!“, rief der Waldbauer, doch das störte keinen. Es wurde weiter aufgeregt diskutiert. „Seid doch mal ruhig!“, rief er nochmal, doch ohne Erfolg. Er versuchte es nochmal, aber er wurde ignoriert.
Er schaute sich um und ging zur nächsten Hütte und stellte sich auf die oberste Stufe der Treppe, damit er die Meute überblicken konnte. Gorrit stieß einen lauten Pfiff auf zwei Fingern aus und schrie so laut er konnte: „Seid doch mal still!“, und prompt kehrte Ruhe ein.
„Es ist jetzt kurz vor vier, und ich würde gerne noch eine Stunde schlafen. Aber das geht ja jetzt wohl nicht mehr. Was ist da los? Woher kommt diese Stimme? Hat jemand eine Idee?“
Er schaute fragend in die Runde. Doch keiner Antwortete.
„Votum Aurelia“, unterbrach die Stimme die Stille.
„Da!“, schrie Wassta und zeigte mit ausgestrecktem Arm in Richtung der großen Eiche am Ende der Straße. Doch es war nichts mehr zu sehen.
„Ich hab’s gesehen“ rief er. „Die Eiche hat geleuchtet. Es war wie ein Schimmer drumherum.“
Alle schauten zur Eiche, die in der Dunkelheit nur schemenhaft zu erkennen war. Nichts! – Nur der dunkle Umriss der Eiche war zu sehen. Ihre Äste bewegten sich im Wind. Das war alles.
„Das ist mir zu unheimlich“, rief Wassta. „Ich geh‘ lieber wieder rein zu Lydda.“
„Du bleibst hier, wie wir alle“ befahl der Waldbauer. „Irgendetwas geht da vor und wir müssen zusammenhalten, bis wir wissen, was das ist!“
„Aber wir sollten uns bewaffnen“, rief die einzige Frau, die
auch aus ihrer Hütte gekommen war. Die schöne Ella, eine alleinstehende Witwe von 24 Jahren. Sie hatte ihren Ehemann vor einem Jahr bei einem Unfall verloren und lebte seitdem alleine.
Sie hatte einen Stecken dabei und hob ihn in die Luft.
„Ja“, rief der Waldbauer, „sie hat recht! Jeder holt sich etwas,
mit dem er sich verteidigen kann. In 5 Minuten treffen wir uns hier wieder.“
„Votum Aurelia“, tönte es wieder.
„Die Eiche!“ rief Ella. Ich habe es jetzt auch gesehen. „Die Stimme kommt aus der Eiche!“
„Von der Eiche, nicht aus der Eiche“, sagte ein kleiner Junge,
der nun auch auf der Straße war. „Na toll“, dachte Ella, jetzt ist der Klugscheißer auch noch da. Sie mochte ihn nicht, weil er an allem herummäkelte. Dabei war er gerade erst mal 12 Jahre alt. „Halt die Klappe, Ulli“, keifte sie ihn an. Das ist jetzt wirklich egal.
„Aber ich habe recht“, grinste Ulli sie keck an.
Die Nachbarn kamen nun alle wieder zusammen. Jeder hatte etwas dabei. Mistgabeln, Sensen, Dreschflegel, Stöcke, Messer blitzten im fahlen Mondlicht und keinem war wohl dabei.
Wassta kam mit einer Säge. Eine große Bügelsäge, die man beidhändig zum Zersägen von dicken Ästen oder Stämmen benutzte.
„Was willst du denn damit?“, fragte Gorrit. „Willst du den Baum fällen?“
„Ich hab nix anderes gefunden und die Messer darf ich nicht nehmen, sagt Lydda“, entschuldigte sich Wassta.
„Lass ihn in Ruhe“ rief einer. „Das ist besser als nichts!“
Auf geht’s“ gab der Waldbauer an und der kleine Tross setzte sich in Bewegung in Richtung Eiche.
„Wer weiß was auf uns zu kommt“ antwortete Ella. „Wir sollten lieber erst mal einen vorschicken, und nicht alle gemeinsam gehen. Und Ulli ergänzte „Schon mal was von Taktik gehört?“
„Halt die Klappe, Ulli“ keifte Ella wieder.
„Votum Aurelia!“ wurde es lauter.
Und die Eiche erleuchtete nun heller als zuvor. Eine Aura bildete sich um den Baum und züngelte wellenartig mit fahlem grünlich-bläulichem Licht um alle Äste, Blätter und Stamm. Es knisterte leicht dabei und war ein Schauspiel, wie es noch keiner gesehen hatte.
Alle sahen es und blieben fasziniert stehen. Das Leuchten blieb nun, und wurde zunehmend heller. Blaugrünes Licht umgab mindestens zwei Fuß breit den Baum.
„Wow!“ rief Ulli. „Das ist ja wie bei einer Kerze, nur in blau“ und ging auf die Eiche zu.
„Bleib hier“, rief der Waldbauer. „Wir wissen noch nicht, was es damit auf sich hat.“
Doch Ulli hörte nicht auf ihn. „Von wegen Taktik, du Klugscheißer“ rief ihm Ella hinterher. „Bleib gefälligst hier! – Ulli !!!“
Ulli blieb stehen und ging ein paar Schritte rückwärts. Dann drehte er sich um und rannte zurück zur Gruppe. „Ich weiß auch nicht was das eben war. Ich wurde irgendwie hingezogen.“
Das Leuchten wurde heller und die Stimme erklang wieder: „Votum Aurelia!“
„Aufpassen“, schrie der Waldbauer. „Da kommt was herüber!“ Die Nachbarn brachten ihre kuriosen Waffen in Stellung.
Es kam etwas auf sie zu. Langsam konnte man eine Gestalt erkennen.
Eine Frau!
Auch sie umgab das seltsame blaugrüne Leuchten. Kleine Flämmchen umgaben ihre Gestalt und züngelten auf ihrem feinen Gewand. So feine Sachen kannte man gar nicht im Dorf. Ein ganz leichter Stoff. Er wallte im Wind und hing trotz des Regens nicht durchnässt herunter. Das blaugrüne Licht schützte sie vor dem Regen, aber nicht vor dem Wind.
„Wie kommt die hierher, so ganz alleine?“, fragte Wassta. „Im Wald wurden Zwerge gesehen. Die trauen sich jetzt schon über die Grenze. Sie jagen unser Wild, als ob es ihr eigenes wäre. Und außerdem mögen sie Menschen nicht.“
Gorrit runzelte die Stirn. „Ja, da hast du nicht ganz unrecht. Alleine zu reisen ist heutzutage sehr gefährlich. Insbesondere für eine Frau. Das ist alles sehr seltsam.“
„Votum Aurelia“, kam es nun Ulli in einer ungewöhnlich tiefen Stimmlage über die Lippen. Die anderen standen mit offenen Mündern und aufgerissenen Augen da und starrten die Frau an, dann Ulli, dann wieder die Frau.
Gorrit war der Erste, der sich wieder fasste. Er schaute in die Runde und dann trat er einen Schritt vor. „Hallo?“, rief er fragend die Frau an.
„Hallo?“, rief er nochmal und schaute irritiert zu den Nachbarn.
„Sie kann dich nicht hören“ rief Ulli mit der unheimlichen Stimme.
„Wie… - wie kommst du darauf?“ fragte Ella verängstigt. „Sie hat es mir gesagt“, antwortete er in langsamen Worten.
Kalte Schauer liefen Ella über den Rücken. Sie und die anderen traten instinktiv ein paar Schritte zurück. Alle starrten den Jungen an.
„Wie konntest du sie hören, sie hat doch gar nichts gesagt?“ fragte der Waldbauer verwundert, der schnell das Grausen überwinden konnte.
Doch in diesem Moment donnerte es an der Eiche und die Fremde brach zusammen. Das blaugrüne Licht verlosch und sie lag zusammengekauert auf dem schlammigen Boden. Ihr Gewand wurde nun durch den Regen nass und klebte an ihrem zuckenden Körper.
„Helft mir!“ kam es aus Ulli heraus. Er krümmte sich nach vorn und hielt sich beide Hände schützend vor seinen Bauch. Er stöhnte und man sah ihm an, dass er starke Schmerzen hatte. Dabei konnte man in der Dunkelheit nun in Ullis Augen ein blaugrünes Flackern erkennen.
„Helft mir!“ stöhnte er wieder und zeigte dabei auf die fremde Frau. Ella kam auf ihn zu und stützte ihn. „Was ist los?“ rief sie erschrocken.
„Helft mir!“ kam es wieder aus ihm heraus und er riss seine Augen auf. Nun sahen alle das Leuchten in seinen Augen.
„Los, wir müssen ihn reinbringen!“ sagte der Waldbauer. „Zwei Mann zu mir!“
„Nein!“ keuchte Ulli. „Nicht ich – Sie…“ und er deutete wieder auf die kauernde Frau.
Ulli richtete sich wieder auf und sagte mit seiner normalen Stimme: „Mir geht’s wieder gut. Ich weiß auch nicht was das war. Ihr müsst ihr helfen.“
Seine Augen waren wieder normal.
Alle starrten ihn an. „Wie hast du das gemacht?“ wollte der Waldbauer wissen.
„Ich weiß es nicht“, sagte Ulli. „Ich weiß nur dass sie Hilfe braucht.“
„Wir müssen ihr helfen“ mischte sich nun Ella ein. Bringt sie zu mir ins Haus.
Schloss Cantherstein
Während das Dorf noch über die Fremde rätselte, erhellten die ersten Sonnenstrahlen die Türme von Cantherstein, wo der König bereits ungeduldig wartete…
„Wo ist Cyra? – Ihr solltet doch auf sie aufpassen!“ fragte Thox die beiden Wachen.
Verdutzt schauten sich die beiden Wächter an. „Ähm? eben war sie noch da“, stammelte einer der Beiden.
„Sie stand nun schon seit Stunden reglos in der Ecke“, sagte der andere.
„Sie murmelte ständig etwas vor sich hin“, ergänzte wieder der andere.
„Was hat sie gesagt?“
„Das konnten wir nicht verstehen. Das war in einer anderen Sprache. Vielleicht keronisch oder laronisch“, zuckte wiederum der andere mit den Schultern.
„Verdammt!“, raunte Thox, „Alarmiert die Mannschaft!
Keiner verlässt das Schloss!“, und er eilte zu König Borus um Meldung zu machen.
„Majestät – Cyra ist verschwunden“, sagte Thox mit gesenktem Blick und auf den Knien vor seiner königlichen Hoheit. Seine grüne Aura flackerte.
„Thox! Du hattest den Auftrag sie zu bewachen! Kannst du nicht einmal so eine einfache Aufgabe lösen? Du hattest nur eine einzige Aufgabe! Und nicht mal das kannst du!“ Du Versager! – Ich hätte es wissen müssen!“
„Thramis – du hattest recht. Ich hätte Dir den Auftrag geben
sollen! Dein Bruder ist zu nichts nutze“
„Ja, Majestät“ erwiderte Thramis. „Wir werden sie wieder finden.“
Thramis und Thox, die beiden Neffen des Königs waren Halbzwerge und eineiige Zwillinge. Eigentlich entstammten sie der Blutlinie der Thunns, aber da Bara nicht mit Bartus Thunn, dem Vater verheiratet war, erhielten sie den Namen Canther und wuchsen auf Schloss Cantherstein auf. Sie waren aber sehr groß für Halbzwerge, über 5 Fuß. Daher sah man ihnen nicht ihre Herkunft an. Aber in ihnen floss auch Zwergenblut. Sie schauten sich an. Thramis fasste Thox an die Schulter und wollte ihn zum Aufstehen bewegen, und mit ihm den Thronsaal des Schlosses Cantherstein verlassen.
„Wo wollt ihr hin?“, herrschte sie der König an.
„Wollt ihr wieder zu Mama und euch ausheulen, weil der böse Onkel Borus wieder mal erkennt, was für Versager meine Schwester da großzieht?“
„Hiergeblieben!“ – “Wir sind noch nicht fertig!“
Thox und Thramis blieben stehen und senkten ihre Blicke.
„Onkel, wir werden…“, fing Thramis wieder an.
„Ich höre nur: wir!“
„Nein Thramis, du! Du wirst sie wieder finden. - Deinen Bruder stelle ich unter Arrest, bis Cyra wieder da ist. Der kann eh nichts.“
„Aber Majestät…“
„Kein Aber!“ raunzte Borus. „Falls du es nicht innerhalb der nächsten 5 Tage schaffst, werden wir alle zerstört. Egal was Bara sagt. Dieses Mal wird meine Schwester die Strafe akzeptieren müssen.“
„Wie oft hast du schon versagt?“, fragte er Thox.
„Weiß nicht… - vielleicht 4-mal eure Majestät“, antwortete Thox verlegen, immer noch mit gesenktem Blick.
„Aber nur weil ich ihm nicht helfen durfte“, platzte es aus Thramis heraus.
„Still!“ herrschte ihn Borus an. „Ein Mann hat für sich selbst zu stehen.“
„Aber wir sind Zwillinge. Wir sind Eins!“ stammelte nun wieder Thox.
„Mutter sagte immer…“
„Lasst meine Schwester aus dem Spiel. Ihr seid keine Kinder mehr. Wie alt seid ihr jetzt?“
„24“ klang es Gleichzeitig aus beiden Mündern.
„24!“ Wiederholte nachdenklich Borus.
„Stimmt, ihr wurdet im Jahr geboren als ich König wurde. Eure Mutter hatte die Niederkunft fast nicht überlebt. Und euer Vater, mein Cousin Bartus Thunn, dieser verdammte Zwerg, hat sich aus dem Staub gemacht. Scheiß Verwandtschaft!“, murmelte er in seinen dunklen, aber bereits ergrauten Bart.
„Euch Halbzwergen hat eine starke Hand gefehlt!“, sagte er wieder zu den Zwillingen gewandt.
„Eure Majestät, ihr habt sicherlich recht, aber nur Thox kennt Cyras Geheimnisse und kann ihre Spur aufnehmen“, erklärte Thramis. „Gemeinsam könnten wir sie finden.“
„Borus!“, erklang eine laute Frauenstimme im Befehlston.
„Was machst du da?“
„Lass meine Kinder in Ruhe!“
Überrascht blickte der König zum Portal, wo seine Schwester Bara heran eilte. In schnellem Schritt trat sie vor die beiden Brüder und hielt schützen ihre Arme nach hinten.
„Meine Kinder sind auch von deinem Blut. Vergiss das nicht! – Du wirst ihnen nichts tun!“
„Bara – halte dich da raus. Thox hat versagt. Er hat Cyra entkommen lassen. Er muss bestraft werden“, befahl Borus.
„Das wirst du nicht tun!“, entgegnete Bara.
„Vater Serbus hatte dir auch immer verziehen. Selbst wenn wir Vier etwas gemeinsam anstellten. Weißt du noch als unsere Cousins Thorex und Thuy fast in der Oza See ertrunken waren? Du warst der Ältere und solltest auf uns kleinen aufpassen. Oder denke nur mal an die Schlacht im Fery-Wald. Wegen dir mussten wir dieses Gebiet an die Thunn abtreten.“
„Nicht wegen mir“, entgegnete Borus. „Wegen diesem Überläufer Bartus ist mein Sohn Cullux gefallen, noch dazu hat er dich schwanger verlassen.“
„Wir waren nicht verheiratet. Er ist dein Cousin. Du hättest wissen müssen, dass man ihm nicht vertrauen kann. Ich war vor Liebe blind. Das kannst du mir nicht vorwerfen! „Aber Du! Du hast versagt. Du hast mich, deine kleine Schwester, nicht beschützt, und nun willst du auch noch meine Kinder bestrafen? Du hast versagt. Cyra ist wegen Dir verschwunden. Hättest du sie in Ruhe gelassen, wäre sie noch immer hier. Aber nein. Du musstest ja ihre Aura verletzen, nur um dein Schwarzlicht endlich sichtbar zu machen. Dein Schwarzlicht, dass dir ja sooo wichtig ist. Deine Aura wird niemals leuchten.“
Eure Majestät, trat Thramis vor und nahm seine Mutter beiseite: „Wir werden Cyra wieder holen. Selbst wenn wir dabei sterben. Es macht mir nichts aus an seiner Stelle zu sterben, wir sind Zwillinge. Wenn er stirbt, sterbe ich auch und umgekehrt. Unser Schicksal ist gekoppelt. Was er erleidet, erleide ich auch. Thox und ich sind wie Tag und Nacht, wie Brot und Wasser, wie Himmel und Erde. Wir ergänzen uns. Der eine kann ohne den anderen nicht sein. Nur so können wir die Fährte aufnehmen und Cyra wiederfinden.“
„Nun gut, das stimmt wohl“, beruhigte sich langsam der König. „Thuy, wird euch begleiten. Geht mit ihm zu Thorex und lasst euch für die Suche ausstatten. Macht euch auf den Weg.“
Zu Bara gewandt sprach er: „Du hast wie immer recht meine liebe Schwester. Wenn ich dich nicht hätte, wären viele Entscheidungen in meinem Leben falsch gewesen.“
„Prinz Thox und Prinz Thramis! – Wartet noch!“ sprach Borus jetzt in einem hoch offiziellen Ton. Lasst euch von Thorex noch das Königliche Siegel geben. Es wird euch schützen und einige Türe öffnen. Bewacht es gut. Es gibt nur das eine.“
Thox und Thramis verneigten sich vor ihrem Onkel und verließen rückwärts den Thronsaal.
Bara wollte hinterher.
„Bara – auf ein Wort“ rief Borus.
„Ich verstehe deine Mutterliebe. Aber stelle mich nie wieder vor anderen bloß. Die Sache mit der Schlacht im Fery-Wald ist lange her. Ich war noch jung und wild. Bartus war genau wie ich. Wir waren wie Brüder. Ich vertraute ihm blind als wir Kinder waren, so wie deine Liebe blind war. Aber das ist jetzt egal. Jetzt bin ich der König und die oberste Autorität im Land. Respektiere das. Ich will dich nicht auch noch verlieren. – Geh‘ jetzt.“
Bara wollte etwas erwidern, doch Borus gab unmissverständlich zu verstehen, dass er jetzt nichts mehr hören wollte. So wandte sich Bara ab und verließ ebenfalls den Thronsaal.
„Vergatterung!“ schrie Borus mit lauter Stimme durch den Saal. „Ich bin Borus Canther, der König und oberste Autorität! Alle Anwesenden haben zu schweigen! – Was hier eben vorgefallen ist verbleibt in diesem Raum! – Ich hoffe das war klar und deutlich!“
Borus lehnte sich in seinem Thron zurück und seufzte. „Das Leben wäre einfacher, wenn ich kein Herrscher wäre“, dachte er.
Wallrupp
Unwissend von den Intrigen am Hof rang die Fremde im Dorf noch immer mit ihrem Bewusstsein…
Der Waldbauer ging mit zwei Männern auf die Fremde zu und sprach sie an: „Wer bist du? – Können wir dir irgendwie helfen?“
Doch die Fremde reagierte nicht auf seine Worte. Sie lag nach wie vor zusammengekauert im Schlamm und ihr Körper zuckte.
„Los packt mit an!“ übernahm der Waldbauer das Kommando. „Wir müssen aus dem Regen raus.“ Und zu dritt wollten sie die Frau aufnehmen. Einer an den Beinen und jeweils rechts und links Einer an den Armen. Aber als der Waldbauer sie am Arm berührte streckte sich ihr Körper in die Länge. Er ergriff ihren linken Arm noch bevor die anderen sie anfassen konnten, und hob die Frau schon in die Höhe.
„Sie ist ganz leicht“ stutzte er verwundert. „Sie wiegt gar nichts.“ Er hob sie an und konnte es nicht glauben. Sie schwebte neben ihm an seiner Hand.
„Sie fliegt“, raunten einige. „Das ist der Geist der Eiche“, meinte ein anderer. „Ein Fluch…“, hörte man.
„Ich geh jetzt rein“, sagte Wassta wieder. „Die Prophezeiung! Sie wird euch alle…“
„Halt die Klappe“, schnorrte ihn Gorrit an. „Die Frau braucht Hilfe.“
„Nimm Deine blöde Säge und hole uns lieber etwas Holz. Wir müssen einschüren, damit sie es warm hat.“ „Wassta, ich meine das Ernst!“
Wassta trottete los und ärgerte sich über Gorrit, vor allem, weil er ihn vor den anderen angeraunzt hatte. „Der wird schon sehen, was er davon hat“, dachte er bei sich. „Das Holz kann er sich selbst holen. Ich bin doch nicht sein Depp!“, und er verschwand in der Dunkelheit.
„Wasser!“ kam wieder die dunkle Stimme aus Ullis Mund. „Ich brauche Wasser.“ Und Ulli krümmte sich wieder vor Schmerzen.
„Los jetzt“ rief Ella. „Zu mir! – Ich glaube, wir haben nicht
mehr viel Zeit.“
„Ja“, bestätigte Gorrit. „Sie ist schon ganz kalt!“
Der Waldbauer brauchte gar nicht viel zu machen. Er ging auf Ellas Hütte zu und der Körper der bewusstlosen fremden Frau schwebte neben ihm her, wie von Zauberhand.
Ulli rief wieder: „Wasser!“ und sackte auf seine Knie.
Ella eilte voraus, öffnete die Tür und der Waldbauer schob die schwebende Frau hinein. Ella füllte derweil einen Becher mit Wasser.
Der Waldbauer führte die schwebende Frau über eine Pritsche an der Wand und verharrte dort. „Wo bleibt das Wasser?“ rief er Ella zu.
„Ich komme ja schon“ eilte sie heran und benetzte damit den Mund der fremden Frau.
Das Wasser rann in ihren Mund und die Kehle hinunter. Die Haut der Frau war irgendwie transparent, denn man sah, wie sich das Wasser im inneren ihres Körpers verteilte. Von dem blaugrünen Leuchten war nichts mehr zu sehen.
Plötzlich machte es einen Plumps, und die schwebende Frau fiel herunter auf die Pritsche. Ihre transparente Haut veränderte sich und man konnte nicht mehr ins Innere ihres Körpers sehen.
In der Tür und außen an den Fenstern standen ein paar Nachbarn, die die skurrile Szene beobachteten und Ulli kam zwischen den Beinen der Leute hereingekrochen. Mit völlig verdreckten Hosen grinste er nun wieder Ella und den Waldbauern an.
„Ich soll euch sagen, dass Cyra euch dankt.“ Er deutete dabei
auf die Fremde.
Das blaue Leuchten um Cyras Körper glomm wieder auf. Nicht viel, aber man konnte es im Dämmerlicht des beginnenden Tages noch etwas sehen.
Ihre Lippen bewegten sich. „Votum Aurelia“ hörte man sie ganz leise sagen.
„Ich brauche Ruhe“, war das Nächste was man vernehmen konnte.
„Holt einen Pfarrer und einen Arzt!“ rief Gorrit einem der Schaulustigen zu.
„Kein Arzt! – Kein Pfarrer!“ rief Ulli. „Sie tut euch nichts. Sie braucht nur Ruhe.“
„Wahrscheinlich hat der Klugscheißer recht!“ sagte Ella.
„Raus jetzt mit euch! – ALLE!“
„Ulli, du kannst bleiben“, sagte sie. Und zum Waldbauern gewandt: „Deine Frau wäre mir jetzt eine große Hilfe.“
„Irris? - Gut ich werde sie holen. Gib mir eine halbe Stunde“, gab er zurück.
Es dämmerte und der Tag begann…
Gorrit ging rüber in seine Hütte.
„Was ist das für ein Spruch?“, wollte seine Frau wissen.
„Keine Ahnung – Das ist alles sehr seltsam“
Und er erzählte ihr alles was vorgefallen war.
„Die ist nicht von dieser Welt“, sagte seine Frau, nachdem er geendet hatte.
„Da kannst du recht haben. - Jedenfalls geht von ihr keine Gefahr aus, sagt Ulli“, seufzte der Waldbauer.
„Geh bitte rüber zu Ella, aber sei vorsichtig. Ich werde den kleinen Rat einberufen.“
„Meinst du, dass das eine gute Idee ist? Hole lieber die Nachbarn zusammen und sag ihnen, dass wir das erst mal für uns behalten. Und entschuldige dich bei Wassta, der ist zwar nicht der Hellste, aber dafür schnell beleidigt.“
„Ich glaub da hast du recht.“, sagte der Waldbauer.
„Also dann los. Und pass mir auf den kleinen Ulli auf. Der hat irgendwie eine Verbindung zu dieser Frau.“
„Wie heißt sie noch gleich?“, wollte seine Frau wissen. „Tyra oder Cyra oder so“, ich weiß nicht mehr genau.
2. Vormittag
Berg Thunn
Noch ahnte Bartus nicht, dass zugleich im Dorf Cyra versuchte ihn zu erreichen…
„Wo bleibt sie denn?“, ärgerte sich Bartus und fuhr sich mehrmals durch seinen dichten braunen Bart, der seinem Namen alle Ehre machte. „Sie sollte schon längst da sein.“ Er trat wütend gegen den ‚Brocken‘, einen großen Felsvorsprung, der ihm als Deckung und Lehne diente. Der Brocken war eine markante Stelle hinter dem Thunn Gebirge. Er setzte sich von den glatten Felswänden ab. Im Gegensatz zu den schroffen Felsen war der Brocken ein mannshohes Gebilde, das an der Oberseite flach wie eine Tischplatte war.
Die Alten erzählten sich, dass der Brocken ein erstarrter Troll sei, der es nicht mehr geschafft hatte vor Sonnenaufgang in seine Höhle zu kommen. Die Platte wäre sein Rücken gewesen. Manche nannten den Brocken daher auch den Trolltisch. Lebende Trolle gab es wahrscheinlich in den rückwärtigen Höhlen des Thunn Gebirges, hinten Richtung Oza See, aber so weit vor hatte sich noch keiner getraut und gesehen hatte sie seit ewigen Zeiten auch niemand mehr. Man hielt sie eigentlich für ausgestorben. Aber man erzählte sich Geschichten und so festigten sich die Sagen. Man sagte, Trolle wären nachtaktiv, langsam und schwerfällig. Sie scheuten das Tageslicht, denn es verlangsamte ihren Stoffwechsel derart, dass es den Anschein hatte, dass sie sich nicht mehr bewegten. Ihre Bewegungen erstarrten förmlich und sie konnten sich nicht mehr in die Dunkelheit zurückziehen. Alte oder kranke Trolle konnten dadurch sogar sterben. Ihre Körper wurden dann durch Wind und Sonne ausgetrocknet und versteinerten mit der Zeit, so wie der Trolltisch. Tatsächlich gab es aber noch lebende Trolle. Sie kamen aber fast nur im Umkreis von 2 Meilen um ihre Höhlen vor. Keiner wusste wie viele Trolle es eigentlich wirklich gab.
Trolle hatten ein einfaches Gemüt. Man könnte auch sagen sie waren dumm, aber immerhin intelligenter als Affen, denn sie hatten einfache Werkzeuge und selbstgefertigte Waffen für die Jagd. Außerdem beherrschten Sie das Feuer machen.
Ihre Sprache war kehlig und sie konnten nur mit kurzen Sätzen oder einzelnen Worten kommunizieren. Komplexe Sätze oder Zusammenhänge verstanden sie nicht und konnten sie auch nicht erfassen. Trotzdem konnten sie koordiniert zusammenarbeiten. Warum das so war, wusste keiner.
Ihre klobigen, muskelbepackten Körper waren wesentlich größer als die der Zwerge und noch viel größer als die der Menschen. Sie hatten nur dreifingrige Klauen. Damit konnten sie leicht Steine aus den Felswänden brechen. So hatten sie über die Jahrhunderte ein regelrechtes Höhlensystem in den Berg gegraben.
Ein ausgewachsener Troll konnte mehr als doppelt so groß wie ein Mensch werden. Daher waren sie auch sehr behäbig und konnten nicht schnell laufen oder rennen. Aber sie konnten sich zu einer Art Kugel zusammenrollen und so schnell Abhänge überwinden. Diese Technik nutzten sie auch zur Jagd, indem sie Wildtiere einfach überrollten. Außerdem war es nicht ratsam einen Troll zu treffen, da sie alles was sich bewegte als Futter ansahen.
Dass das Höhlensystem, in dem Bartus mit seinem Zwergvolk lebt, ursprünglich von Trollen angelegt wurde, wusste er nicht, denn diese hatten sich auf die Nordwestseite des Thunn Massivs zurückgezogen, um möglichst wenig Sonne abzubekommen. Diese Tatsache war über die Jahrhunderte in Vergessenheit geraten. So lebten die Trolle und die Zwerge nebeneinander und wussten gegenseitig nichts davon.
Bartus hatte noch nie einen lebenden Troll gesehen, er glaubte das alles nicht, und der Trolltisch war für ihn kein Beweis. Bartus behauptete, dass nur Zwerge solche Höhlen in den Berg graben konnten.
Hier am Trolltisch war die Caorna Ebene weithin zu überblicken. Kleine und große Felsvorsprünge bildeten den Rand des Thunn Massivs. 30 Meilen lang und an der höchsten Stelle 3 Meilen hoch. Die schroffen Felswände erinnerten an zerbrochene Keramikscherben, die steil in die Höhe ragten.
Auf die andere Seite konnte man nur gelangen, wenn man darüber kletterte oder den großen Umweg durch das Tor Tron oder den Seeweg in Kauf nahm. Doch dahinter war eine unwirtliche Gegend. Die Wüste Gron erstreckte sich ebenfalls fast 30 Meilen und danach schloss sich direkt die Meerenge Sirka mit der Stadt Krana an.
Bartus wurde immer zorniger. Er trat wieder und wieder an den Trolltisch. „Verdammt! – Wo bleibt sie nur?“
„Sie hat es vielleicht vergessen“, sagte kleinlaut Brook, der
sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte.“
„Was redest du da für einen Blödsinn“, schnauzte Bartus ihn an. „Halte deinen Mund, du elender kleiner Zwensch!“, so nannten die Zwerge die Halbzwerge.
„Ich bin 4 Fuß groß. Immerhin eine Handbreit größer als du“,
verteidigte sich Brook. „Und ich sage was ich will…“
„Noch ein Wort!“, drohte ihm Bartus und baute sich vor ihm
auf.
„Ich habe deine unqualifizierten Sprüche satt. Beim nächsten Mal bleibst du bei deiner Mutter! Da kannst du reden was du willst!“
„Entschuldigung“, sagte Brook unterwürfig. „Ich meinte ja nur…“
„Wir warten jetzt schon 4 Stunden. Sie sollte bei Sonnenaufgang da sein. Jetzt ist es bald Mittag. Und außerdem habe ich Hunger. Ist noch was von dem Käse da?“, fragte Bartus etwas entspannter.
„Käse? Ich glaube ja. Ich schau mal nach.“ Brook machte sich auf und suchte in den Satteltaschen der Ziege seines Vaters und seiner Gams, die an den Ästen einer Eiche festgebunden war. „Ja, da ist noch ein Stück. Willst du auch Wein? rief er Bartus zu.
„Gib her!“, befahl er und schnappte sich den Käse und den Wein.
„Auf wen warten wir eigentlich?“, traute sich nach einer Weile Brook zu fragen.
„Das geht dich nichts an! Schau lieber ob sich da vorne etwas tut“, und Bartus deutete zur Ebene Caorna.
„Nichts…“, antwortete Brook. „…oder?“
„Oder was?“, raunzte Bartus.
Er stand auf und beugte sich über den Felsen und beobachtete auch die Ebene.
„Dort hinten“, sagte Brook. „Da ist doch was?“
„Das ist sie nicht“, sagte Bartus. „Sieht eher aus wie eine Karawane.“
„Wo wollen die wohl hin?“
„Sag mal, bist du wirklich so dämlich, oder was? Morgen ist doch Markt in Cantherstein. Die kommen von Krana und werden dort wohl ihre Fische verkaufen.“
„Ich bin nicht dämlich“, trotzte Brook.
„Dann rede nicht immer so ein dummes Zeug!“
„Wieso denn? die wollen vielleicht nach Pauna“, das weißt du doch gar nicht. Aber vielleicht ist sie dort dabei?“
„Nein, sie reist anders“, und nach kurzer Pause: „Das wird heute nichts mehr“, und Bartus ging zur Eiche und schwang sich auf seine Ziege. „Ich werde ihr einen Milan schicken. Sie muss sich erklären.“
„Wenn sie noch lebt“, meinte Brook.
Bartus stutzte: „Wie meinst du das?“
„Naja, sonst wäre sie doch hier, oder etwa nicht?“
„Wer weiß? – Ich schicke einen Milan. Du bleibst noch bis zum Einbruch der Dämmerung hier am Brocken. Wenn sich bis dahin nichts tut, dann kommst du in den Berg.“
„Wie soll ich sie erkennen?“, fragte Brook.
„Du erkennst sie! Sie ist eine Frau!“
„Und weiter? – Frauen gibt es viele“, setzte Brook nach. „Sie leuchtet“, sagte Bartus und hackte mit seinen Absätzen seiner Ziege in die Seiten.
Die Ziege rannte los und Brook blieb verdutzt zurück.
„Sie leuchtet? – Wie meint er das?“
„So ein Idiot“, dachte er sich. „Das ist wieder typisch. Er haut ab und ich soll hier aufpassen und weiß nicht mal, worum es geht.“
Sein Vater hatte ihn schon immer ungerecht behandelt. Erziehung nannte er das. Er hatte sich immer mehr Anerkennung von ihm gewünscht. Doch Bartus verlangte immer mehr als nötig gewesen wäre. Brook hatte nie das Gefühl, dass sein Vater stolz auf ihn sei. Nicht mal im Ansatz.
„Eigentlich sollte ich ihm mal richtig die Meinung sagen. Aber wie?“, dachte er.
Wallrupp
Während Vater und Sohn im Gebirge stritten, breitete sich im Dorf Unruhe aus…
„Verschwindet!“, rief Gorrit den 5 Dorfbewohnern zu, die sich vor Ellas Hütte versammelt hatten.
Wassta übernahm das Wort und sagte: „Sie ist eine Hexe und wird uns verderben bringen. Sie muss weg! Übergib sie uns!“
„Auf keinen Fall“, erwiderte der Waldbauer. „Wir wissen nichts über sie. Ob sie eine Hexe, eine Fee oder vielleicht sogar eine Göttin ist, wissen wir nicht. Jedenfalls geht von ihr keine Gefahr aus.“
„Woher willst du das wissen? Du glaubst doch nicht, dass sie die Wahrheit sagt.“
„Sie sagt gar nichts. Sie spricht über Ulli mit uns.“
„Komm jetzt raus und übergib uns die Hexe“, forderte Wassta wieder.
„Verschwindet, habe ich gesagt. Sie bleibt da wo sie ist.“
„Wenn du nicht herauskommst, dann holen wir dich!“, rief einer der Vier.
„Wartet!“, befahl Wassta. „Komm jetzt raus!“, das ist nicht mehr lustig.
„Ganz meine Meinung, lustig ist das nicht!“
„Gorrit – Gorrit“, kam ein weiterer Dorfbewohner die Straße heraufgerannt. „Dein Haus brennt!“
„Die Kerze!“, schoss es ihm durch den Kopf.
„Hast du die Kerze ausgemacht?“, fragte er Irris.
„Uff, weiß ich nicht mehr“, antwortete sie.
Gorrit schnappte seinen Mantel und seinen Hut und stürmte auf die Straße.
„Gut gemacht Gonner“, rief Wassta. „Hahaha, da ist er ja.“
Die 5 umringten Gorrit und versperrten ihm den Rückweg ins Haus.
„Ich wusste doch, wie wir dich rausholen.“
„Ulli“, rief Gonner. „Komm raus, du gehst jetzt heim zu deiner Mutter.“
„Er bleibt wo er ist“, sagte Gorrit. Er ist unsere Verbindung zu dieser – zu dieser Frau.“
„Er ist mein Sohn“, sagte Gonner. „Er geht jetzt nach Hause. Du hast da gar nichts zu sagen.“
„Und ich sage, er bleibt hier, so wie ich, Ella, Irris und die Fremde.“
„Er bleibt“, rief Ulli mit der unheimlichen tiefen Stimme und seine Augen blitzten blau auf.
„Geht!“, befahl der kleine Mann. „Euch wird nichts geschehen!“
„Soweit kommts noch, dass ich mir von einem Kind Befehle geben lasse“, donnerte Wassta und ging zum Angriff über.
„Los!“, rief er seinen Kumpanen zu. „Wir stürmen die Hütte!“
Gorrit nutzte die Gelegenheit und hinkte zurück auf die Veranda vor der Hütte, breitete die Arme aus und versperrte so den Zugang.
Ulli, Irris und Ella stellten sich schützend um Cyra.
Cyra öffnete ihre Augen und richtete sich auf der Pritsche auf. Halb sitzend reichte sie Ulli die Hand und sprach durch seinen Mund: „Defendor Aurelia!“
Blitzartig verband sich ihre Aura mit dem Ei, weitete sich aus und wurde größer und größer.
Innerhalb weniger Sekunden umschloss sie die gesamte Hütte mit all ihrem Inhalt. Auch Gorrit, der noch auf der Veranda den Zugang versperrte wurde eingehüllt.
Cyra, stöhnte auf und gab Ulli das Ei. Halte es ganz fest. Du darfst es nicht ablegen sonst verfällt der Schutz.
Dann überkam sie wieder ein Schwächeanfall und sie fiel rücklings auf die Pritsche zurück.
Eine eigenartige Stille umgab die Hütte. Man sah, dass Wassta mit seinen Kumpanen versuchten in die Hütte zu kommen. Sie liefen hin und her und riefen sich gegenseitig etwas zu. Aber man hörte nichts. Der Schutzzauber war undurchdringlich.
Gorrit kam herein.
„Dieses Ungeziefer“, raunte er. „Was fällt denen ein?“
„Was ist mit ihr?“, fragte er Irris.
„Sie hat mit Ulli dieses blaue Licht gemacht. Dann ist sie wieder bewusstlos geworden.“
„Kannst du mit ihr sprechen?“, fragte er Ulli.
„Weiß nicht“, gab er zurück. „Ich werde es versuchen“
„Cyra?“, fragte er. „Cyra? Bist du wach?“
„Ich kriege keine Verbindung.“
„Ihre Haut wird auch wieder durchsichtig, schau“, sagte Ella und deutete auf Cyras Hals.
„Wasser“, sagte Irris. „Gib ihr Wasser.“
Gesagt, getan. Ella flößte Cyra Schluck für Schluck etwas Wasser ein.
„Es wird wieder besser“, vermutete Ella. „Die Haut wird wieder fest.“
„Ich glaube ich höre sie wieder“, sagte Ulli. „Cyra?“
„Cyra, hörst du mich?“ – Nein doch nicht.
„Was können wir nur machen“, fragte Ella.
„Ich mache ihr einen Kräutertee oder ein Süppchen. Was hast du im Haus?“, fragte Irris.
„Schau mal dort im Schrank“, und Ella deutete auf die linke Schranktür.
„Ja, Sie muss wieder zu Kräften kommen“, meinte Gorrit. „Und ich könnte auch einen Teller Suppe vertragen.
Draußen beruhigte sich die Lage. Wassta mit seinen Kumpanen gaben die Angriffe auf. Aber sie zogen sich nicht zurück. Sie saßen alle 5 gegenüber auf den Stufen des Nachbarhauses und beobachteten Ellas Hütte.
Irris machte sich an die Arbeit und schon bald duftete eine gute Suppe auf dem Herd.
„Der Kräutertee würde mit ein bisschen Honig besser schmecken“, sagte sie.
Ella deutete jetzt auf die rechte Schranktür. „Dort müsste noch was sein, bediene dich.“
Ulli saß neben Cyra auf einem Hocker und hielt krampfhaft das Ei in seinen Händen. „Es wird heiß“, sagte er mit seiner normalen Stimme. „Ich kann das nicht mehr lange halten.“
„Okay“, sagte Gorrit, „dann versuchen wir mal unser Glück. Gib ihr mal einen Löffel voll Tee.“
Ella rührte noch etwas den Tee auf, damit er nicht mehr ganz so heiß war und setzte den ersten Löffel an Cyras Lippen.
Cyra reagierte. Sie öffnete ihren Mund. Das war das Zeichen für Ella, dass sie auf dem richtigen Weg war. Sie löffelte den Tee und flößte ihn ihr behutsam ein.
„Jetzt ein bisschen Suppe“, meinte Irris.
Ella setzte wieder den Löffel an, spürte aber wie Cyra sich etwas sträubte, weil sie wohl noch Tee erwartete. Aber schon beim zweiten Löffel öffnete sie noch weiter den Mund.
„Mehr…“, flüsterte Cyra.
Ella setzte wieder an und gab ihr wieder einen Löffel Suppe.
„Mehr…“, kam es wieder aus ihrem Mund.
Ella machte weiter.
„Schaut doch“, rief sie nach kurzer Zeit. „Sie bekommt wieder Farbe.“
Im wahrsten Sinne des Wortes. Cyras Wangen färbten sich.
„Sie kommt wieder zu sich.“
Cyras Arme, Hände und Finger begannen sich leicht zu bewegen.
„Mehr…“, wurde sie lauter.
Cyra öffnete die Augen.
„Wer bist du?“, fragte sie und schaute Ella an.
„Ich bin Ella. Du bist in Sicherheit“
„Ich weiß“, antwortete Cyra. „Mein Schutzzauber wirkt.“
„Hier, esse noch etwas Suppe.“
„Hast du auch Brot?“, fragte Cyra.
„Ja. Irris, kannst du mal schauen“, gab sie die Bitte weiter.
„Das ist Irris“, wir kümmern uns um dich. Und das ist Gorrit der Waldbauer. Er hat dich gefunden. Und das ist Ulli. Er war deine Stimme.“
„Danke“, sagte Cyra.
„Das Ei wird jetzt aber verdammt heiß“, platzte es aus Ulli heraus. „Kannst du das wieder nehmen?“
„Oh, natürlich. Tut mir leid, dass ich dir diese Bürde aufladen musste. Aber du hast deine Sache gut gemacht.“
Ulli grinste über beide Backen. „Du bist schön“, platzte es wieder aus ihm heraus.
„Oh, danke!“, lächelte Cyra. „Aber ich bin noch zu schwach, um schön zu sein.“
„Für mich bist du das Schönste was ich bisher gesehen habe.“
„Hey, sagte Ella, jetzt reichts aber. Halt die Klappe.“
„Ulli grinste und zwinkerte Cyra zu.“
Cyra setzte sich nun auf die Pritsche und schaute sich in Ellas Hütte um.
„Schön habt ihr es hier“, sagte sie.
„Dein Mann ist sehr mutig. Viele hätten sich nicht getraut gegen die eigenen Leute einen Fremden zu verteidigen.“ „Ähm ich bin nicht ihr Mann“, räusperte sich Gorrit.
„Mein Mann ist tot… Unfall vor einem Jahr“, ergänzte Ella, und sie senkte ihren Blick zu Boden.
„Wir sind nur die Nachbarn, und er deutete auf Irris und Ulli. „Irris ist meine Frau und Ulli ist der Sohn von Gonner, der im Übrigen auch da draußen dabei ist.
Schloss Cantherstein
Während Cyra im Dorf erste Worte sprach, schmieden fern davon am Hof von Cantherstein Thramis und Thox ihren Plan…
„Was sollte das?“, fragte Thox seinen Bruder Thramis.
„Was meinst du?“
„Wieso hätte Onkel Borus dir den Auftrag geben sollen? Du hättest den Auftrag genauso wenig alleine erfüllen können, wie ich.“
„Ja, da hast du wohl recht, aber warum hattest du mir nichts gesagt? Du hättest mich einweihen sollen. Ich war schon ein bisschen neidisch. Das gebe ich offen zu. Aber ich würde dich nie hängen lassen. Nicht am Strick, und auch nicht sonst irgendwie. Du kennst mich, du weißt, dass ich nicht lüge. Tut mir leid!“
„Okay, aber missbrauche nie wieder mein Vertrauen“, gab Thox zurück. „Ich werde es an deiner Aura sehen. Ich werde künftig darauf achten.“
„Ja, versprochen“, antwortete Thramis. „Wie finden wir nun Cyra?“
„Du bist doch der Seher, sag du es mir“, sagte Thox.
„Aber ich sehe doch ohne deine Aura nur alles verschwommen.“
„Und ich kann nicht suchen ohne dein Gelb.“ Er spielte damit auf Thramis‘ Aura an.
„Ich werde einen Suchzauber auslösen, sobald wir alleine sind. Dabei kann ich aber Thuy nicht brauchen. Der Hohe Magier wird mit seiner blauen Aura meine Interferenzen stören. Du könntest mit ihm in die Stallungen gehen und drei gute Pferde aussuchen und Proviant für eine Woche zusammenstellen. Wir werden das brauchen.“
„Wieso eine Woche, Onkel Borus billigt uns nur 5 Tage zu“, fragte Thramis.
„Vertrau mir, so wie ich dir vertraue. Also für eine Woche!“ und seine Aura loderte in leuchtendem Grün auf. Thox machte sich auf den Weg in seine Gemächer und zog eine grünliche Wehe hinter sich her.
Thramis rief ihm nach: „Sie ist in einem Dorf!“
Thox blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich um: „Wo?“
„Keine Ahnung. Ich sehe nur ein paar alte Hütten und ihre Aura. Sie ist sehr schwach.“
„Okay, behalte das für dich. Wir treffen uns in einer halben Stunde beim Waffenschmied.“
Thox drehte sich wieder um und verschwand durch eine Tür.
Thramis ging die Treppe hinab und hinaus in den Hof.
„Halt!“ hörte er Thuys Stimme. „Wo willst du hin? Wo ist dein
Bruder?“
„Wir packen gerade unsere Sachen und treffen uns in einer
halben Stunde beim Waffenschmied. Ich war gerade auf dem Weg zu dir. Wir müssen uns vorher noch Pferde aussuchen“, sagte Thramis.
„Keine Pferde!“, erwiderte Thuy.
„Wieso?“ fragte Thramis verwundert. „Wir können doch nicht zu Fuß auf die Suche gehen.“
„Du bist doch Seher. Siehst du nicht wie wir reisen?“
„Doch, auf Pferden“ sagte Thramis. „Ich sehe die Mähne meines Pferdes.“
„Das ist keine Mähne“ sagte Thuy mürrisch und schob Thramis in Richtung Hof. „Wir reisen anders.“
Beim Waffenschmied forderte Thuy:“ Wir brauchen unsere drei Eier.“
„Drei Eier?“ fragte Worek, der Waffenschmied verwundert. „Sowas gibt’s bei mir nicht. Ich bin doch kein Bauer. Ich habe nur Dolche, Messer, Schwerter, Bögen, Pfeile, Äxte, Lanzen, Schilde, Helme, Morgensterne…“
„Genug gefaselt“ unterbrach ihn Thuy und seine blaue Aura loderte auf. „Wir brauchen nur die Eier.“ Und er deutete auf die kleine Kiste in der Ecke.
„Ach diese…“ wunderte sich der Waffenschmied und kratzte sich dabei am Hinterkopf. „Woher wisst ihr davon?“
„Ich wäre ein schlechter Magier, wenn ich nicht wüsste, was hier am Hof vor sich geht“ sagte Thuy. „Jetzt rück die Eier heraus, sonst werde ich ungemütlich.“
Meister Worek, schlurfte zur Kiste und fluchte in sich hinein. „Verdammt, das sind meine Ovarien. Hätte ich sie bloß nicht Cyra gezeigt. Jetzt hab ich den Schlamassel!“
Er öffnete die Kiste und rief entsetzt „weg!!! – sie sind weg!“
„Was ist weg?“
„Die Eier. Es fehlen zwei.“
„Welche?“ fragte Thuy, sprang über die Theke und lief zur Kiste.
„Hier waren immer vier. Baleum, Iridia, Rubis und Flavis in den Farben Blau, Grün, Rot und Gelb. Blau und Rot fehlen.“
„Hmmm?“ rieb sich Thuy sein Kinn und er runzelte die Stirn. „Wer wusste davon?“
„Niemand“ stammelte der Waffenschmied.
„Lüg mich nicht an!“ grollte Thuy, packte den Waffenschmied am Kragen und hob ihn mit einer Hand in die Luft. „Ich bin Thuy Bragga, der Hohe Magier von Schloss Cantherstein und frage nur noch einmal. Wer wusste davon?“ und seine Aura leuchtete wieder hell auf. Der Raum erfüllte sich mit blauem Licht.
„Meine Ovarien waren immer in dieser Kiste. Corryx selbst hatte sie hineingelegt, sagt man…“
„Es sind nicht deine Ovarien. Die Eier gehören dem König und nicht dir. Alles was hier am Hof ist, gehört dem König. Selbst du gehörst ihm. Und wenn ich sie für meinen Auftrag brauche, dann gehören sie so lange mir. – Also raus mit der Sprache, sonst wirst du keine Sonne mehr sehen!“
„Cyra“ krächzte Worek. „Cyra hat sie gesehen.“
Thuy ließ von ihm ab und raunte „Dachte ich es mir doch. Verdammt!“
„Verschwinde, bevor ich es mir anders überlege.“
Der Waffenschmied rannte aus der Waffenkammer und machte sich aus dem Staub.
„Was willst du mit den Eiern?“ fragte Thramis, der sich während der Auseinandersetzung still verhalten hatte. „Sollten wir nicht lieber ein paar Waffen und Schilde mitnehmen?“
„Das brauchen wir nicht“ kam die Stimme seines Bruders Thox, der auch gerade dazu kam und hinter ihm die Szene beobachtet hatte.
„Ah, Thox, gut dass du da bist“, sagte Thuy. „Wir haben ein Problem.“
„Ja ich habe mitgehört. Das blaue und das rote Ei fehlt.“
„Jetzt klärt mich endlich mal auf!“ rief Thramis verärgert. „Was ist hier eigentlich los? Keine Pferde, keine Waffen, aber Eier? Was soll das? Ich dachte wir sollen Cyra finden!“
Thuy schaute sich in der Waffenkammer um. „Thramis hat recht, wir sollten uns bewaffnen. Hier, das ist ein gutes Schwert“, und er reichte es Thramis.
„Die Zwerge könnten uns gefährlich werden.“
„Ach was, soweit kann Cyra noch nicht gekommen sein“, erwiderte Thox.
„Das weißt du doch nicht. Es gibt ja nicht nur Zwerge, sondern auch Diebe, Wegelagerer oder wilde Tiere. Und Trollen möchte ich auch nicht begegnen“, sagte Thramis.
„Na, so schlimm wird es nicht werden. Trolle gibt es im Ery-Wald nicht. Die sind ausgestorben“, antwortete Thox.
Thramis nahm das Schwert von Thuy und stutzte: „Das Schwert ist zu schwer. Wir brauchen leichtere Waffen. Ein Degen ist leichter zu führen.“
Thuy überlegte kurz. „Gut, dann nimmt sich jeder die Waffe, die er glaubt zu beherrschen. Nehmt aber auch einen Dolch und ein Schild von dort hinten.“ Er zeigte auf die Regale hinten an der Wand.“
Thramis suchte sich einen leichten Degen, der gut in seiner Hand lag und wählte ein kurzes Stilett und ein Messer. „Und was hat es nun mit den Eiern auf sich?“, fragte er.
Wallrupp
Cyra spürte, dass sich im Weltgefüge etwas veränderte. Doch sie musste sich erst sammeln…
„Gebt mir noch ein paar Minuten, dann werde ich mit ihnen reden. Ihre Angst ist verständlich, aber unbegründet.“
„Bist du eine Hexe?“, wollte Ulli wissen.
„Nein…“
„Eine Fee? Oder eine Göttin? Wo kommst du her, und was willst du hier?“, fragte Ulli weiter.
„Oh, das sind aber viele Fragen auf einmal. Also, Nein ich bin keine Hexe, ich bin auch keine Fee oder Göttin.“
„Was bist du dann?“
„Jetzt lass sie doch mal ausreden“, gebot Gorrit ihm Einhalt.
Ich bin die Tochter von Borus und Boranja.
„Unser König?“, fragte Gorrit nach.
„Ja, und von Boranja, der Königin unter dem Berg“
„Aber wie geht das denn“, fragte Ulli vorwitzig nach.
Die Königin unter dem Berg ist doch eine Zwergenkönigin und du schaust nicht gerade wie ein Zwerg aus. Und außerdem ist der König in einem Schloss. Ganz wo anders…“
„Das ist eine lange Geschichte. Das spielt aber vor meiner Zeit. Aber ja, ich bin kein Zwerg. Meine Mutter Boranja ist auch kein Zwerg. Sie wurde, um den Frieden der Völker zu sichern mit dem Zwergenkönig verheiratet. Mein Vater gab sie frei, unter der Bedingung, dass ich am Hof bleiben durfte.“
„Eure Majestät, dann seid ihr eine Prinzessin“, räusperte sich Gorrit verlegen wieder, und verneigte sich ehrfurchtsvoll.
„Ja, scheint so zu sein, lächelte Cyra. Aber bitte…, seid jetzt nicht so förmlich. Für euch bin ich nach wie vor Cyra!“, sagte sie mit Nachdruck.
„Aber das ändert doch alles“, erwiderte Gorrit. „Ihr seid… – ähm – Du bist eine Person von hohem Stand. Wir sind… ein Nichts.“
„Ich habe einen Auftrag und brauche eure Hilfe. Für die anderen da draußen bleibe ich erst mal die Fremde. Bitte behaltet meinen Stand für euch.“
„Aber du kannst zaubern. Das können doch nur Hexen und so“, sagte Ulli.
„Die Magie steckt in den Ovarien, den Eiern der Corryx. Ich bin nur der Katalysator. Der Überträger sozusagen.“ Wenn eine Person geadelt wird, oder vom Geburtsrecht her adelig ist, dann erwächst in ihr eine Aura. Meine Aura passte zu dem blauen Ei. Das war aber mehr oder weniger Zufall. Die meisten Adeligen können das nicht.
Es gibt nur 4 Ovarien der Corryx und jedes hat eine bestimmte Farbe. Am besten funktionieren die reinrassigen Auren. Aber auch gemischte Auren sind möglich. Die haben allerdings keine so große Wirkung.“
„Und zwei davon sind hier?“, fragte Gorrit.
„So ist es.“
„Ich muss zu meiner Mutter Boranja Thunn. Sie ist krank und hat nicht mehr lange zu leben. Ihr kann nur das Ovar Rubis helfen. Und deswegen müssen wir uns bald auf den Weg machen.“
„Wir?“, antwortete Gorrit. „Ich kann meinen Hof nicht alleine lassen. Außerdem bin ich schlecht zu Fuß, seit ich meinen Fuß zwischen zwei Stämme bekommen habe. Das ist zwar schon 15 Jahre her, aber ich kann immer noch nicht richtig laufen.“
„Lass das meine Sorge sein. Ich werde mir deinen Fuß ansehen, sobald ich wieder besser bei Kräften bin. Ich kann dich heilen.“
„Also doch, du bist doch eine Hexe“, sagte Ulli.
„Nein, ich bin keine Hexe, aber ich habe auch heilende Fähigkeiten, wenn ich das blaue Ei richtig einsetze.“
„Aber du wurdest unsichtbar“, bohrte er weiter nach. „Und fliegen konntest du auch.“
„Ulli!“, schimpfte Gorrit. „Du nervst sie, merkst du das nicht?“
„Lass ihn. Er stellt die richtigen Fragen“, entgegnete Cyra.
Und zu Ulli gewandt: „Weißt du das ist so. Ich bin keine Hexe oder ähnliches, aber ich habe einen Auftrag bekommen. Der Auftrag ist eng an das Ovar Baleum gekoppelt. Ich schütze das Ei, und das Ei schützt mich. Ich selbst kann mich nicht unsichtbar machen, oder fliegen. Ich habe davon auch gar nichts gespürt. Aber das Ei kann solche Wunder vollbringen.“
„Lebt das Ei dann doch?“, fragte Ulli wieder. „Da ist doch dann etwas drin. Ein Küken oder so.“
„Naja, keiner weiß es, aber was ich weiß ist, dass alle Ovarien einen ganz speziellen Avatar haben. Ein geistiges Schutzschild in Form eines Tieres.“
„Ja, in der Geschichte um die Corryx hat das blaue Ei einen Pfau“, sagte Irris.
„Ja stimmt, das kenne ich auch“, sagte Ella, „und das rote einen Admiralsschmetterling. Irgendwo habe ich das Buch dazu. Ich muss mal suchen.“
„Warte“, sagte Cyra. „Du kannst mich auch einfach Fragen, oder ich sage es euch besser gleich:
Das Ovar Baleum ist blau und der Avatar ist ein Pfau. Das Ovar Rubis ist rot mit einem roten Schmetterling. Das Ovar Flavis ist gelb mit einem Kranich. Und das Ovar Iridia ist grün mit einem Chamäleon. Sie repräsentieren die 4 Elemente
Baleum das Wasser,
Rubis das Feuer,
Flavis den Himmel,
und Iridia die Erde.“
„Hat deswegen das Wasser dich wieder sichtbar gemacht“, kombinierte Ulli.
„Ja, ganz genau. Du verstehst schnell“, lächelte Cyra Ulli an.
Ulli wurde rot vor stolz, reckte sich etwas in die Höhe, und grinste wieder sein verschmitztes Grinsen.
„Also, wollt ihr mir helfen?“
Skepsis breitete sich aus.
„Worauf lassen wir uns da ein? Was ist dein Auftrag?“, fragte Gorrit. „Rotes Ei, blaues Ei, das ist mir alles zu hoch. Am Ende müssen wir noch alle Eier zusammenbringen. Es ist doch nicht Ostern.“
„Da hast du gar nicht so unrecht“, bestätigte Cyra seine Vermutung.
„Und es wird nicht einfach werden, denn die Eier müssen zuerst zu ihren Meistern, also ihre Naturelle, gebracht werden. Mit ihnen werden sich die Avatare verbinden und ihre Magie wird gestärkt werden. Danach müssen sie sich vereinigen, um die Corryx am Tag des Flammenmondes zu erneuern.“
„Was ist eigentlich die Corryx“, wollte Ulli wissen.
„Unsere Welt wurde von Corryx erschaffen. Corryx ist alles, Corryx ist nichts, Corryx ist Leben, Corryx ist aber auch tot.
Corryx ist alt und wird bald untergehen.
Nur wenn wir es schaffen die Ovarien zu stärken, sie zusammen zu bringen und Corryx dadurch erneuern, wird unsere Welt fortbestehen.“
„Dann ist Corryx unser Gott?“, fragte Ulli wieder.
„Ja, wenn man so will. Das hat aber mit den vielen Religionen auf der Welt nichts zu tun. Alle halten die Legende um die Ovarien der Corryx für ein Märchen. Und das ist gut so. Das gibt uns die Freiheit für unser Überleben zu kämpfen.“
„Kämpfen! Ich wusste es“, raunte Gorrit.
„Ich denke, das Ei hat meinen Weg aus gutem Grund in dieses Dorf, und zu euch geführt. Mehr kann ich euch jetzt auch nicht sagen. Wenn ihr mich fragt, ob es gefährlich wird? Vermutlich ja. Die Zukunft ist ungewiss. Ich bin keine Seherin. Aber ich kenne jemanden am Hof, der ein Seher ist.“ „Wirklich?“, freute sich Ulli. „Kannst du ihn mal fragen?“
„Ich werde versuchen mit ihm in Verbindung zu treten. Er ist noch jung. Aber er hat wie sein Bruder von Natur aus magische Fähigkeiten. Das unterscheidet ihn von mir. Ich kann nur in Verbindung mit Ovar Baleum, dem blauen Ei der Corryx etwas Magie einsetzen.“
„Insgesamt gibt es 4 magische Naturelle. Diese entsprechen mit ihren Auren auch den 4 Elementen. Alle 4 sind am Hof von Borus. Sie sind aber teilweise noch nicht gut ausgebildet, so wie der Seher. Er steht noch am Anfang und seine seherischen Kräfte kann er momentan nur mit Hilfe seines Bruders entfalten.“
„Irgendwann wird er auch die Magie des Corryx erlernen und mit den Eiern umzugehen wissen.“
„Ist in den Eiern doch etwas drin?“, fragte Ulli wieder.
„Das weiß keiner so genau. In den Schriften der Corryx – im Märchen - wird das nicht erwähnt. Wir werden sehen.“
„Lasst mir jetzt ein paar Minuten. Ich muss mich sammeln.“
3. Mittag
Schloss Cantherstein
Während im Dorf Cyra die ersten Erklärungen abgegeben hatte, wurden in Cantherstein die letzten Vorbereitungen für die Abreise getroffen…
„Votum Aurelia – Ich wünsche mir ein Pferd.“
„Was machst du da?“, rief Thox aufgeregt.
„Ich will nur mal was ausprobieren“, entgegnete Thramis.
„Ich habe dir doch gesagt, dass Lebewesen nicht funktionieren.“
„Aber Versuch mach klug“, entgegnete Thramis. „Kinder probieren doch auch alles aus.“
„Aber du bist kein Kind mehr! Und das Ovar ist kein Spielzeug“, sagte Thuy, der gerade in seiner Tasche kramte.
Thramis‘ Aura verband sich mit der Aura Flavis und bildete eine Aurelia.
Thramis schaute hinein und sah ein Kind auf sich zukommen, der ihm ein Holzpferd auf Rädern durchreichen wollte.
„Thox, schau mal her“, rief Thramis, und sein Bruder kam an seine Seite. „Der Junge da, der schaut aus wie ich, als ich klein war.“
„Das bist aber nicht du. Das Muttermal am rechten Ohr. Siehst du das?“
„Ja, wie bei dir.“
„Das bin auch ich.“
„Ach? An das Holzpferd kann ich mich auch erinnern. Du spieltest damit oft, aber eines Tages war es nicht mehr da.“
„Nimm es“, sonst wird das Ovar zu heiß.
Thramis nahm das Holzpferd und die Aurelia schloss sich wieder.
