Florence Nightingale - Immanuel Friz - E-Book

Florence Nightingale E-Book

Immanuel Friz

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Beschreibung

Das vorliegende Buch ist nicht für Frauen und Mädchen insbesondere oder gar ausschließlich geschrieben, sondern für jedermann. Diese Erzählung will ein Stück Menschenleben zeigen, ganz unverfälscht und unverhüllt und so gründlich, wie der enge Rahmen eines solchen Buches es immer gestatten mochte. Der Leser soll selbst die Kräfte sehen, die am Werk sind, die Gesetze ahnen, die in der Wirklichkeit gelten. Weil es aber ein Frauenleben ist, das sich hier vor uns entfaltet auf dem düster-ernsten Hintergrund schwerer Völkerkämpfe, darum wendet sich das Buch doch ganz besonders an die Mädchen und Frauen. Was von einer Frau verlangt werden kann, und was eine Frau leisten kann in schwerer Zeit – das muss doch bei den Frauen in erster Linie Teilnahme und Interesse finden. Den Gereiften und denen, die reif werden wollen, ist diese Geschichte empfohlen von der Unerbittlichkeit des Lebens und von der Unüberwindlichkeit echten, schlichten Heldentums. Der Leser wird es nicht bereuen, Florence Nightingale kennen gelernt zu haben.

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Florence Nightingale

Eine Heldin des Dienstes

Immanuel Friz

Impressum

© 1. Auflage 2019 ceBooks.de im Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Immanuel Friz

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-205-0

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Shop: www.ceBooks.de

 

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Inhalt

Titelblatt

Impressum

Vorwort

Einleitung

Goldene Kindheitstage

Wachsen und Reifen

Der deutsche Diakonissenvater und seine englische Schülerin

Probejahre

Das Vaterland ruft

Der Auszug der „Nightingales“

Kampf und Sieg im Haus des Todes

Ein Blick auf den Kriegsschauplatz

Neue Not und willkommene Hilfe

Bis zum Tod getreu

Wirken, so lange es Tag ist

Unsere Empfehlungen

Vorwort

Das vorliegende Buch ist nicht für Frauen und Mädchen insbesondere oder gar ausschließlich geschrieben sondern für jedermann. Diese Erzählung will ein Stück Menschenleben zeigen ganz unverfälscht und unverhüllt und so gründlich, wie der enge Rahmen eines solchen Buches es immer gestatten mochte. Der Leser soll selbst die Kräfte sehen, die am Werk sind, die Gesetze ahnen, die in der Wirklichkeit gelten.

Weil es aber ein Frauenleben ist, das sich hier vor uns entfaltet auf dem düster-ernsten Hintergrund schwerer Völkerkämpfe, darum wendet sich das Buch doch ganz besonders an die Mädchen und Frauen. Was von einer Frau verlangt werden kann, und was eine Frau leisten kann in schwerer Zeit – das muss doch bei den Frauen in erster Linie Teilnahme und Interesse finden.

Wenn ich freilich mein Buch nun, ehe es hinausgeht, überlese, dann scheint mir's recht zweifelhaft, ob es in viele Mädchenhände kommen wird: es wird den Müttern zu ernst sein für ihre Töchter, die noch zaghaft an des Lebens Schwelle stehen. Mag sein; aber den Gereiften und denen, die reif werden wollen, empfehle ich umso mehr diese Geschichte von der Unerbittlichkeit des Lebens und von der Unüberwindlichkeit echten, schlichten Heldentums. Es wird sie nicht reuen, Florence Nightingale kennen gelernt zu haben.

Der Verfasser

Einleitung

 

Es war im Jahr 1856. –

Der Krimkrieg war vorüber. Die englischen Truppen waren in die Heimat zurückgekehrt; die Nation hatte ihr siegreiches Heer mit stolzem Jubel empfangen. Noch redete man überall von nichts anderem als von Feldzugserinnerungen. Wo Soldaten, wo Offiziere sich trafen, war der Krieg das Tischgespräch. Bei einem Fest, das den heimgekehrten Offizieren von Heer und Marine gegeben wurde, war über Tisch der Vorschlag gemacht worden, dass jeder Gast der Tafelrunde den Namen der Persönlichkeit auf ein Blatt Papier schreiben solle, der er den dauerhaftesten Lorbeer aus dem beendigten Feldzug prophezeie. Der Gedanke wurde ausgeführt, und als die Zettel gesammelt waren und verlesen wurden, da trugen sie alle ohne Ausnahme den Namen: „Florence Nightingale“.

Die Trägerin dieses Namens ist am 13. August des Jahres 1910 im 91. Lebensjahr in London gestorben. Die Namen der Heerführer in der Krim stehen in den Blättern englischer Kriegsgeschichte, aber wer kennt sie heute noch, nach einem halben Jahrhundert? Wer kennt sie außerhalb Englands? Der Name Florence Nightingale schickt sich nun an, nachdem ihr zeitliches Leben abgeschlossen ist, zu einem Siegeszug durch die Welt, um überall, wo Menschen im Kampf stehen gegen Not und Elend, ja wo nur Menschenherzen schlagen in Liebe und Mitgefühl zu den Brüdern, um bewundernde Liebe zu werben.

Auch die vorliegende Erzählung wirbt um Liebe für die Heldin des Krimkriegs – bei deutschen Herzen, denen Englands Kriegsnöte und Siegesfreuden nichts bedeuten. Wird's ihr gelingen, den Namen, der einst drüben über dem Kanal in aller Munde war, auch in Deutschland zu einem Worte trauten Klanges zu machen?

Wir lassen unser Büchlein ausgehen im Vertrauen darauf, dass die Sprache der Liebe verstanden wird auch über Ländergrenzen und Meere hinweg.

Ein Hindernis – ein äußerliches, doch nicht ganz unbedeutendes – liegt in dem Namen der Frau, von der wir erzählen wollen. Natürlich nicht für alle die Leser und Leserinnen, denen englische Laute und Namen vertraut sind, und die vielleicht gerade deshalb nach unserem Büchlein greifen, weil sie gerne die Geistesgemeinschaft mit dem englischen Brudervolks Pflegen. Wohl aber für alle die anderen (und wir möchten sie auch unter unsern Lesern haben), denen die englische Luft, die sie aus unserer Geschichte anweht, fremd ist, und denen die englischen Laute es verleiden, solch ein Buch in die Hand zu nehmen oder gar zu lesen. Es gibt englische Namen, die man ganz wohl so aussprechen kann, wie sie dastehen: auch wenn der Engländer nicht so sagt, wir Deutschen brauchen uns darum nicht zu kümmern.

Goldene Kindheitstage

Am 12. Mai des Jahres 1820 wurde in einem Landhaus bei Florenz einem jungen englischen Ehepaar, das sich unter italienischer Sonne seines Lebens freute, sein zweites Töchterlein geschenkt. Es gibt sofort einen bezeichnenden Zug zum Charakterbild des Vaters, wenn wir erfahren, dass das Kind seinen Namen von der Stadt der Blumen bekam, die seine Geburtsstadt geworden war. Und dass darin nicht bloß eine augenblickliche Laune ihren seltsamen Ausdruck fand, dass es sich vielmehr um eine Art Grundsatz handelte, das ist deutlich, wenn wir hören, dass das ältere Schwesterlein, das ein Jahr zuvor in Neapel das Licht der Welt erblickt hatte, den alten, klassischen Namen dieser Stadt, Parthenope, erhalten hatte.

Es ist, als hätte der englische Edelmann in seinen Kindern die glänzende südliche Schönheit Italiens als kostbare lebendige Reiseerinnerung nach der nordischen Heimat mitnehmen wollen. Nun soll man ja an Namen nicht deuteln und herumerklären; aber hier hat es ein inneres Recht, wenn wir der Versuchung kaum widerstehen können, den schönen Namen zu übersetzen und aus dem englisch-italienischen Glückskind eine Nachtigall im Blumenhag zu machen. Zumal, da auch der Name Nightingale sich für das kleine Mädchen eigentlich nicht von selbst verstand. Denn ihr Vater hieß Shore und hatte sich den Namen Nightingale erst fünf Jahre vor der Geburt der kleinen Florence beigelegt, zugleich mit der Übernahme des Landsitzes, in dem seine Kinder ihr erstes Jugendparadies finden sollten, von einem alten Oheim seiner Mutter, mit Namen Peter Nightingale von Lea.

Haben wir es bedeutsam gefunden, unter welchem Himmelsstrich die Knospe aufgeblüht ist, so mag es auch nicht ohne Interesse sein, an welchem Zweig sie gewachsen. Der Vater stammte aus einer alten Familie der Grafschaft Derbyshire in Mittelengland, die in ihrer Ahnenreihe einen Generalgouverneur von Indien zählte, der im Jahr 1797 mit dem Titel eines Barons von Teignmouth in den Adelsstand erhoben wurde; ferner einen bedeutenden Arzt in Derby im 17. Jahrhundert. – Der genannte Peter Nightingale, der Urgroßonkel der kleinen Florence, der seiner Stichle und deren Sohn sein Besitztum mit dem daran haftenden Namen hinterließ, war ein Landedelmann von der derben, rauen Art der „guten alten Zeit“, die zurückzuwünschen man in England so wenig Grund hat wie bei uns. Der „alte Peter“ war stark im Trinken und Fluchen, und die Streiche, die er in der Trunkenheit sich leistete, trugen ihm den Zunamen „der verrückte Nightingale“ ein.

Die Landleute der Gegend erzählen sich noch jetzt von seinen Einfällen. Wenn er seine lustige Stunde hatte, brach er etwa in die Küche ein, fasste die Töpfe und Pfannen und schleuderte den Pudding in die Asche, so dass die Mädchen entsetzt davonliefen. Diese originelle Art hinderte indessen nicht, dass der Gutsherr eine volkstümliche Gestalt war und gut mit seinen Leuten auskam; er war auch kaum schlechter als seine Nachbarn, und man sagt, der Landedelmann jener Tage habe meist recht gut zu dem Pfarrer an seiner Kirche gepasst. Doch hat ja der alte Onkel Peter seiner Nichte und durch sie unserer Florence nicht seinen Charakter hinterlassen; es ist sein Haus, Lea Hall, das die erste Heimat des Mädchens aus englischem Boden werden sollte.

Das alte Dorf Lea mit seinen seltsam dreinschauenden niedrigen Steinhäusern, die zum Teil von recht beträchtlichem Alter sind, zieht sich vom Tale des Flüsschens Derwent an den Windungen einer Bergstraße auf den Hügel empor, von dessen Höhe das alte Landhaus Lea Hall in die Lande hinausschaut. Im Winter allen rauen Winden ausgesetzt, ist es im Sommer gerade in seiner spröden Einsamkeit ein prächtiger und lieblicher Landsitz: eingebettet in üppige Wiesen mit goldenen Butterblumen und duftendem Klee, die Hecken bedeckt mit wilden Rosen und dazwischen große Holunderbüsche mit ihren prächtigen weißen Blüten dulden. Jetzt längst von einfachen Bauersleuten bewohnt, verrät das Haus dennoch dem Eintretenden seine bessere Vergangenheit: eine hocharistokratische, massive Eichentreppe mit schönem Geländer und behaglicher Wandvertäfelung führt von dem alten, fliesenbelegten Hausflur zu den Zimmern empor.

Hier hat unsere Florence mit ihrem Schwesterlein gespielt und sich getummelt. Auch die Schauer alter geschichtlicher Erinnerungen fehlten der Heimat unserer Heldin nicht, und der Vater hat gewiss nicht versäumt, der lebhaften Einbildungskraft seiner Kinder die Gestalten nahezubringen, die in früheren Tagen hier aus- und eingegangen waren. Ging man über die Wiesen, die den Garten einschlössen, so kam man nach einer kurzen Weile an die Reste des alten Landhauses von Dethick, in dem vor Zeiten der junge Anton Babington wohnte, der die schöne Schottenkönigin Maria Stuart aus ihrem Gefängnis im nahen Schloss Wingfield zu befreien trachtete (1586).

Hier wo der Vater mit seinen beiden Töchterchen an der Hand durch die Wiesen wandelte, streiften einst die Soldaten der Königin Elisabeth nach den Verschwörern, und es gelang ihnen auch wirklich, einen von ihnen zu fangen. Vom Keller des Landhauses, so erzählte man, führe ein unterirdischer Gang nach Wingfield, durch den die Rettung der königlichen Gefangenen hätte geschehen sollen. Die alte Küche mit der rauchgeschwärzten Decke aus schweren Eichenbalken, von der noch jetzt der Bratspieß herunterhängt, gab der Einbildungskraft der Kinder besondere Anregung; war's vielleicht in dem kleinen Bodenkämmerchen, in das man durch die geheime Falltür an der Decke gelangte, wo der Ritter sich versteckt hielt, als die Häscher ihn entdeckten und festnahmen?

Und wenn dann der Vater erzählte, wie der junge Edelmann mit seinen Genossen einen grässlichen Tod unter den Händen fühlloser Henker sterben musste, wie bald darnach auch der Königin Haupt fiel – da gingen alle Schauer des ahnungsvollen Grauens vor der unbekannten rauen Welt durch die Seelen der zarten Mädchen. Die alte Kirche von Dethick, die man von den Fenstern von Lea Hall stets vor Augen hatte, ist der Ort, wo Florence mit ihren Eltern den Gottesdienst besuchte: eine kleine altmodische Dorfkirche, der kleinsten eine im ganzen Land, mit hohen Chorstühlen für die Herrschaft und bescheidenen Bänken für die Bauern, die Wände kahl, die Glockenseile in die Kirche herabhängend. Der Gottesdienst noch vom alten Schlag: der Mesner respondierte dem Pfarrer, und der predigte manchmal seinen Bauern recht nach dem Herzen; ein Wort von ihm zitierten sie häufig auf dem Markt in Derby: „Eine Lüge ist manchmal bei Geschäften ein sehr nützliches Ding.“

Das ist so ziemlich alles, was das alte Haus mit seiner Umgebung aus den Kindheitstagen unserer Florence erzählt. Wichtiger für die Erkenntnis ihres werdenden Charakters ist ein Blick auf Vater und Mutter.

Der neue Eigentümer von Lea Hall war von ganz anderer Art als sein Vorgänger, dessen Namen er annahm: er war der richtige Edelmann in Erscheinung und Charakter. Während der Durchschnitt seiner Standesgenossen damals mit unverhohlener Verachtung, ja in frischer Erinnerung an den großen Feind Englands, Napoleon I. – der Volksmund nannte ihn „Boney“1 – mit Hass über den Kanal hinüberblickte, hatte Wilhelm Eduard Shore auf Reisen im Ausland seine in Cambridge erworbene gründliche Bildung erweitert. Für den Sport hatte er wenig übrig; dafür war er ein Bücherfreund und ein Kunstkenner.

Als Gutsherr fühlte er sich für das Wohlergehen seiner Bauern verantwortlich. Freilich machte er den Beutel nicht immer auf, wenn er für allerlei örtliche Wohltätigkeitsunternehmungen um Beiträge angegangen wurde. Er half sich gegenüber der Zudringlichkeit von Sammlern Wohl mit einem Scherzwort: „Nun, Sie sehen ja, Freigebigkeit ist meine Sache nicht!“ Dafür aber sparte er niemals, wenn es galt, für das ländliche Unterrichtswesen etwas zu tun. Schulzwang gab es ja im damaligen England noch viel weniger als im heutigen, in dem er vielfach auch nur auf dem Papier steht; aber Nightingale verstand es, auf seine Leute einen moralischen Druck auszuüben, so dass sie nicht wagten, ihre Kinder der Schule zu entziehen. Er war es im Wesentlichen, der für den Bestand der sogenannten „billigen Schule“ sorgte, in der die Kinder, die keine besseren Schulen besuchen konnten, um wöchentlich zwanzig Pfennige wenigstens Lesen, Schreiben und Rechnen lernten. Auch kirchliche Unternehmungen und Werke christlicher Liebe konnten auf die Förderung des Gutsherrn zählen.

Die Mutter war die Tochter von William Smith, der ein halbes Jahrhundert lang als Abgeordneter von Norwich im Parlament gesessen hatte, ein eifriger Vorkämpfer der Sklavenbefreiung und Förderer mancher Humanitären Bestrebungen war und in den Fragen der Zeit ein freies und weites Urteil hatte. Die Tochter hatte seine Geistesart geerbt; die alten Leute der Gegend reden noch von ihrer Freundlichkeit und Mildtätigkeit gegen die Armen. Sie war einst eine stattliche und schöne Frau gewesen, und eine Gutsfrau von der trefflichen alten Art: eine gute Hausfrau und doch zugleich die feingebildete Dame.

Florence glich ihrer Mutter äußerlich und innerlich. Die Lebensansichten beider Eltern stimmten darin glücklich zusammen, dass die Konvention der Gesellschaft mit ihrer Neigung zu kastenartigem Abschluss nicht das oberste Gesetz für Tun und Lassen sein dürfe.

Die Mutter gewöhnte ihre Kinder von früh an durch Wort und Beispiel daran, über die engen Schranken der Gesellschaft hinweg Beziehungen von Mensch zu Mensch zu pflegen. Der Vater sorgte dafür, dass seine Töchterlein mehr lernten als weibliche Handarbeiten und die eleganten Fertigkeiten des Salons; er gab ihnen eine Bildung, die weit hinausging über das, was damals in den feinen Kreisen üblich war und für passend galt.

Doch ehe wir aus den Kindertagen der kleinen Florence noch ein paar Züge erzählen, muss eines nochmaligen Umzugs der Familie gedacht werden. Diesmal ging's allerdings nur eine Viertelstunde weit – von Lea Hall nach Lea Hurst. Florence war noch nicht sechs Jahre alt. Was sie selbst von Kindheits- und Jugenderinnerungen bewahrte, knüpft sich an dieses zweite Haus. Der Vater, nicht befriedigt von dem windigen und etwas unbehaglichen Hause, das ihm zugefallen war, hatte sich an dem Orte eigener Wahl nach eigenem gediegenem Geschmack einen neuen Sitz erbaut. Lea Hurst schaut von freier, breiter Höhe in stolzer Behäbigkeit ins Land hinaus; das Auge gleitet über sanftgewellte, von saftig grünen Wiesen bekleidete Hügel und bewaldete Höhen, in der Tiefe eilt der Derwent in grünem Tal über die Felsentreppen seines Bettes dahin. Das Haus liegt in einem großen Park, der zu beiden Seiten den Hang hinabreicht, und ist mit einem schönen Garten von einer Mauer eingeschlossen, durch welche mehrere Tore vom Park hereinführen.

Es kam dem Erbauer neben Behaglichkeit und Geräumigkeit auch auf ein malerisches Bild an, und so hat er einen beneidenswerten Wohnsitz geschaffen, auf den das stolze Sprichwort des Engländers vortrefflich passt: „Mein Haus ist meine Burg“ – seit die Mauern mit Grün bewachsen sind, könnte es fast für einen alten Herrensitz gelten. Etwas wirklich Altes ist übrigens auch noch bei oder richtiger in Lea Hurst: eine alte Kapelle, deren dicke Mauern von längst vergangenen Jahrhunderten erzählen, ist in das Haus eingebaut. Florence hielt an dieser geweihten Stätte später ihre Sonntagsschule; die jetzige Hausfrau hat mit praktischem Blick für das Nützliche die Speisekammer hierher verlegt.

Auch das schöne neue Heim in Lea Hurst genügte jedoch den Ansprüchen Vater Nightingales noch nicht; als Florence etwa sechs Jahre alt war, kaufte er ein richtiges altes Landhaus aus der Zeit der Königin Elisabeth. Es hieß Embley Park und lag in Hampshire, einer Grafschaft nicht weit vom Kanal am Südende Englands, von Lea Hurst mehr als 40 Wegstunden entfernt. Die Familie Pflegte nun den Sommer in Lea Hurst zuzubringen und im Herbst nach Embley überzusiedeln. Die Reisen hin und her gehörten zu den schönsten und reizvollsten Erlebnissen der beiden Kinder. Eine belebte Poststraße führte in allernächster Nähe am Park von Lea Hurst vorüber, und von Kindheit auf waren den Mädchen die bunten Bilder des Reiselebens vertraut. Pferdegetrappel und Peitschenknallen, der Ton des Posthorns und manch munterer Ruf mag sie oftmals vom Spiel weg ans Parktor gerufen haben.

Zuweilen benützte die Familie Nightingale den Stellwagen; meist aber schickte man nur die Dienerschaft mit dem Reisegepäck voraus und fuhr im eigenen Wagen mit eigenen Pferden durch die schöne Welt. Dann ließ man sich Zeit, stellte unterwegs da und dort in ländlichen Gasthöfen ein und genoss in ruhigem Behagen die farbenprangenden, sonndurchleuchteten Oktobertage oder den jungen Frühling mit dem frischen Grün der Matten und Hügel. Wie viel mehr weckten solche jährlichen Fahrten den Sinn für die Natur und die Liebe zur Heimat, als die Ferienreisen unserer Kinder im Eisenbahnwagen! Für Florence war von größter Bedeutung die vertraute Berührung mit dem Landvolk, mit seiner Art zu reden und sich zu geben. Wenn man später die Gabe an ihr rühmte, mit jedermann, auch mit den Geringsten und Ungebildetsten, menschlich zu verkehren – hier an den ländlichen Schauplätzen ihrer Kindheitsjahre und zumal auf den fröhlichen Fahrten durch einen ansehnlichen Teil von England hat sie den Grund dazu gelegt.

Das Landleben begünstigte auch die Vertrautheit mit der Tierwelt, die für Florence Nightingale so bezeichnend geworden und geblieben ist.

Die Eltern pflegten die Tierfreundschaften bei ihren Kindern mit allem Bedacht, und die Verhältnisse von Haus, Hof und Garten begünstigten das Halten von allerlei Lieblingstieren. Eine Katze verstand sich von selbst, und Florence war es immer, die die Jungen zuerst entdeckte, begrüßte und liebkoste. Aber auch die Spatzen in der Hecke waren ihr nicht zu wenig vornehm, sie wachte eifersüchtig darüber, dass das Geheimnis der brütenden Sperlingsmutter keinem Feinde verraten wurde, bis die Jungen flügge waren. Zu den bittersten Tränen ihrer Kinderzeit gehörten die, die sie über zerstörte Nester ihrer gefiederten Lieblinge vergoss. Dass die Lämmer, die Kälber und Zicklein dem kleinen Fräulein nachliefen, das ist ja weiter nicht verwunderlich; aber dass die Eichhörnchen in den Wäldern bei Lea Hurst ihren Spuren folgten, wenn sie spazieren ging, das ist schon eher der besonderen Erwähnung wert.

Freilich ein Wunder war auch das nicht: wo das Mädchen ging, da sprangen von Zeit zu Zeit auf geheimnisvolle Weise Nüsse auf den Weg, und die mussten doch geholt werden. Florence durfte sich sogar erlauben, plötzlich herumzufahren, wenn die kleinen Kerle es am wenigsten vermuteten; sie waren zwar mit Windeseile oben auf dem nächsten Baum, aber nur, um sofort mit spöttischem Augenblinzeln wieder zu erscheinen. Das Kind hatte das Vertrauen dieser scheuen Geschöpfe gewonnen. Die engsten Freundschaftsbande verknüpften Florence mit dem Pony, das sie ritt, und mit dem Hund, der dabei ihr ständiger Begleiter war.

Wir ahnen in dieser ausgeprägten Liebe zur Tierwelt schon den Charakterzug, der Florence später zu ihrem besonderen Beruf befähigt hat. Noch deutlicher wird die Beziehung, wenn wir hören, dass das Kind für alle leidende Kreatur eine ganz besondere Vorliebe zeigte. Ihre Puppen waren immer von schwächlicher Gesundheit und verlangten eine äußerst sorgsame Pflege. Sie wurden darum auch sehr häufig zu Bett gebracht und dann nach allen Regeln der Kunst gewartet: die kleine Wärterin schüttelte die Kissen, reichte Arznei und allerlei Erfrischungen und erzielte so rasch eine wesentliche Besserung; aber man konnte darauf rechnen, dass schon der folgende Tag einen ernsten Rückfall brachte, der neues Bettliegen notwendig machte. Es war unter solchen Umständen fast als ein Glück zu bezeichnen, dass Schwester Parthe durchaus nicht ebenso sorgfältig mit ihren Puppenkindern umging; so fehlte es nie an gebrochenen Beinen und Armen und an gefährlichen Verbrennungen. Da kam denn der jüngeren Schwester Kunst zu Ehren: sie legte Verbände an und richtete die Glieder ein trotz einem Arzt.

Die Geschichte von Florences erstem lebendem Patienten ist uns aufbewahrt, und sie ist bei aller Schlichtheit so bezeichnend, dass sie in einer Lebensgeschichte von Florence Nightingale nicht fehlen darf.

Das Mädchen ritt besonders gern über die Heide in der Umgebung von Embley und wurde dabei manchmal von dem Pfarrer begleitet, an dem sie mit warmer Verehrung hing. Die Vorliebe für alle Fragen der Krankenpflege und Verwundetenfürsorge war noch ein weiteres Band der Interessengemeinschaft zwischen dem Mann und dem Kinde, und da der Herr Pfarrer selbst früher Medizin studiert hatte, konnte er seiner kleinen Freundin wirklich sachkundige Anleitung geben. Eines Tages bemerkten die beiden Reiter, dass die Schafe des alten Roger nach allen Richtungen zerstreut waren, und dieser vergeblich versuchte, sie zusammen zu holen. Der Pfarrer erkannte sofort, dass der Hund fehlte, und erhielt auf seine Frage nach der Ursache von dem Schäfer die Antwort, die Buben haben das Tier mit Steinen geworfen, und nun habe es ein gebrochenes Bein; der Hund werde nie wieder zu brauchen sein, und er werde ihn jedenfalls wegtun müssen. Nun mischte sich die kleine Florence in das Gespräch, die bisher nur aufmerksam gehorcht hatte. Sie fragte den Schäfer voll Mitleid, ob man denn nichts für das arme Tier tun könne; man dürfe es doch nicht in seinen Qualen liegen lassen.

Der alte Roger versicherte, da sei nichts mehr zu machen; er wolle heut Abend einen Strick nehmen und den Leiden seines treuen Gefährten rasch ein gnädiges Ende machen. Florence wandte sich an ihren Begleiter: „Können wir dem armen Kerl nicht doch vielleicht helfen?“ Der Pfarrer war betroffen von dem Blick voll tiefen Erbarmens in dem Auge des Kindes; er wandte sein Pferd nach dem Schuppen, in dem der Hund lag. Florence setzte ihr Pony in Galopp und kam zuerst an Ort und Stelle. Sie kniete auf dem schmutzigen Boden nieder, streichelte das Tier und sprach in zärtlichen Worten mit ihm, so dass es mit einem Blick voll Dankbarkeit und Vertrauen zu ihr aufschaute. Der Pfarrer, der inzwischen nachgekommen war, fand nach kurzer Untersuchung, dass das Bein nicht gebrochen, sondern nur verletzt und stark angeschwollen war; er erklärte, dass eine kurze, sachgemäße Behandlung den Hund bald herstellen werde.

Das Mädchen war voll Eifer, sofort praktisch zu beginnen: „Was muss ich zuerst tun?“ Der Pfarrer empfahl einen heißen Umschlag um das verletzte Glied. Die kleine Pflegerin hatte zwar schon viele Umschläge gemacht an ihren Puppen; aber sie musste sich jetzt doch erst auseinandersetzen lassen, was das bedeute. Aber als sie es begriffen hatte, ging sie mit Geschick ans Werk. Mit Hilfe des Schäferjungen, den sie herbeiholte, zündete sie ein Feuer an und hatte bald das Wasser im Sieden. Nun ein Tuch für den Umschlag! Florence erspähte die frisch gewaschene Bluse des Schäfers, die hinter der Tür am Nagel hing. Das war gerade das Richtige; die Mutter muss Roger eine neue geben, dachte sie, richtete einen fragenden Blick auf den Pfarrer und ritz dann rasch entschlossen die Bluse in Streifen zum Umschlag. Der Patient sträubte sich nicht gegen die zarte Hand, die ihn pflegte, und empfand bald eine Linderung seiner Schmerzen. Aber Florence war nicht diejenige, die sich mit einem oberflächlichen Erfolg begnügt hätte; sie beruhigte durch eine Botschaft ihre Eltern über ihr langes Ausbleiben und setzte ihre Behandlung mehrere Stunden gewissenhaft fort. Als am Abend der Schäfer langsam und traurig auf den Schuppen zukam, den verhängnisvollen Strick in der Hand, da begrüßte ihn sein Hund mit einem freudigen Winseln und versuchte ihm entgegenzulaufen, wenn dies auch noch nicht ganz gelingen wollte.

Er sprach sein Erstaunen über den Erfolg der Behandlung aus und war gern bereit, seinen Strick wegzulegen. Dann wurde er in die Geheimnisse des warmen Umschlags eingeführt und versprach alles nach Vorschrift zu machen. Florence aber stellte für morgen ihren Besuch wieder in sichere Aussicht. Nun aber ritt sie nach einem zärtlichen Abschied von ihrem Pflegling nach Hause über die dunkelnde Heide – das Herz geschwellt von einer nie gekannten Freude: es war ihr gelungen, wirklichen Schmerz zu stillen, ja ein wertvolles Leben zu retten. Sie konnte die dankbaren Augen des guten Hundes nicht vergessen, und sie trachtete von da an darnach, sich ähnliche Freuden öfter zu verschaffen. An Gelegenheiten fehlte es nicht, und die Leute schenkten dem freundlichen Fräulein das Vertrauen, dass man mit allen Krankheiten und Verletzungen der kleinen Lieblinge zu ihr kommen könne.

Indessen beschränkte sich die Liebestätigkeit der Tochter des Schlossherrn keineswegs auf die Tierwelt. Die Mutter hielt darauf, dass die Landleute im Umkreis wussten, im Schloss sei Hilfe für allerlei Leibesnot zu finden: sie hatte für die Kranken und Armen stets etwas von ihrem Tisch übrig, und eine Hausapotheke fehlte auch nicht. Die kleine Florence durfte die guten Sachen in die Häuser und Hütten hinunter tragen. Und wenn die Mutter wegen Ansteckungsgefahr besorgt war, da das Kind selbst weder Masern noch Keuchhusten durchgemacht hatte, so erschien die kühne Reiterin auf ihrem Pony an der Tür oder am Fenster und reichte ein Gläschen Gelee oder ein Schüsselchen mit Pudding hinein, das sie in einem Körbchen am Sattel getragen hatte. Ein wenig Romantik bei der Ausübung dieser willkommenen Pflichten war ohnehin ganz nach dem Sinn des kleinen Fräuleins. Ihrem eigenen Herzen und persönlichen Geschmack folgte Florence, wenn sie aus ihrem Gärtchen, das mit Eifer und Geschick gepflegt wurde, oder auch von Wiese, Busch und Hecke einen Blumenstrauß ins Krankenstübchen brachte. Und das war damals noch keine so selbstverständliche Sache, wie es heute zumal in England ist, dass in ein Krankenzimmer ein paar frische Blumen so notwendig gehören wie ein freundliches Gesicht und ein erquickender Trank. Dass Florence in diesem Stück erfinderisch war – kommt's Wohl davon, dass sie mit ihrem Namen ein wenig von dem Geiste der „Blumenstadt“ im blauen Süden mitbekommen hatte?

Mag man alle bisher geschilderte Tätigkeit des Kindes zu den Liebhabereien zählen, in denen Wohl des Menschen besondere Art sich am sichersten zeigt, die aber doch zur Bildung des Charakters wenig austragen – es fehlte auch nicht an der wirklichen, ernsten Arbeit in dem bevorzugten englischen Mädchenleben. Dafür sorgte in erster Linie der Vater mit seinen hohen Bildungsansprüchen. Mag sein, dass das Fehlen von Söhnen im Hause Nightingale mit dazu beitrug, dass die Mädchen vieles lernen mussten, was man in der Regel nur den Knaben zumutet. Für die beiden Töchterlein war eine Hauslehrerin bestellt, die jedoch unter der eifrigen Überwachung des Vaters stand. In den Künsten, die dem jungen Mädchen von Stand in besonderer Weise zukommen, wie Musik und Zeichnen, war Schwester Parthe entschieden überlegen; Florence aber zeichnete sich in dem aus, was sie beim Vater besonders lernte: Griechisch, Latein und Mathematik; namentlich für Sprachen zeigte sie große Begabung. Der Vater hielt mit größter Strenge darauf, dass Zeit und Plan pünktlich eingehalten wurde, und wenn auch die Sommermonate in Lea Hurst dem Leben im Freien etwas mehr Raum ließen, in Embley den Winter durch wurde sehr angestrengt in der Schule gearbeitet. Die Mutter war Hausfrau genug, um neben der Lernarbeit den Mädchen schon frühe die Anfangsgründe der Künste mit der Nadel beizubringen. Und weiter war's die Ehre der Mutter, dafür zu sorgen, dass bei ihren beiden anmutigen Töchterlein nichts fehlte von Gewandtheit, weiblicher Grazie und feiner Sitte. – Ja, der goldene Sonnenschein der Freude lag auf den Kindheitsjahren von Florence Nightingale, und liebender Eltern verständnisvolle Sorgfalt wachte über ihrem Lebensmorgen. Eine köstliche Mitgabe fürs Leben, tausendmal köstlicher als Reichtum und hoher Stand.

1 Abkürzung für Bonaparte

Wachsen und Reifen

Wir sind gespannt zu erfahren, welchen Inhalt das Leben dieses vor Tausenden begnadeten Mädchens finden wird, wenn nun die Jahre des Lernens abgeschlossen sind und die Welt mit ihren reicheren Gaben und ernsteren Ansprüchen sich vor der Jungfrau auftut. Wird ihre liebenswürdige Anmut bald einen Freier herbeilocken, und werden wir sie in ein paar Jahren als hochgeachtete Schlossfrau nach Art ihrer Mutter sehen? Oder wird sie sich mit den reichen Mitteln, die Stand und Stellung ihr bieten, der Ausbildung ihres lebhaften Geistes widmen und vielleicht manche feine Gabe zur schönen Literatur ihres Volkes beisteuern? Oder wird sie als Freundin der Armen und Kranken ihre stillen Wege gehen, vielgeliebt, überall sehnlich erwartet, und in solchem Dienst nicht merken, wie die Jahre fliehen und die Haare bleichen?

Nur eines trauen wir ihr nicht zu nach dem, was die Jahre der Kindheit uns von ihr erzählt haben: Florence Nightingale wird sich nicht verlieren im tändelnden Müßiggang des Mädchens, das nicht nötig hat zu arbeiten; sie wird auch nicht auf- und untergehen im glänzenden Gesellschaftstreiben des Landadels oder der höfischen Kreise. Wir trauen ihr zu, dass sie etwas Rechtes und etwas Ganzes werden wird – aber wie das aussehen wird – wer vermag's zu sagen?

Baron Nightingale war durchaus nicht der Mann, der darauf verzichtet hätte, seine Frau und Töchter in der Gesellschaft die ihnen zukommende Rolle spielen zu sehen. Besonders in den Wintermonaten sah das schöne und geräumige Herrenhaus in Embley Park recht häufig zahlreiche Gäste und in ihrer Art glänzende Feste, und es versteht sich, dass die beiden heranwachsenden Töchter dabei einen Hauptanziehungspunkt gebildet haben. Die Musik hatte bei den Gesellschaften eine bevorzugte Stelle; auf Ausflügen wurde skizziert und gemalt; und mancher Gast fand, dass man mit Miss Florence mehr Vernünftiges reden könne als mit den meisten Damen der feinen Kreise. Es verbarg sich nicht, dass sie mit ihrem Vater mehr als einmal über den Kanal gefahren war und französisch, deutsch und italienisch sprach, dass sie auch im Bibliothekzimmer im Hause Lea Hurst fleißig hinter den Meisterwerken der englischen und der Weltliteratur gesessen hatte. Ja, es war ein geistig überaus angeregtes Leben in Lea Hurst und Embley. Gäste des Hauses erzählen von den gehaltvollen Gesprächen über Tisch. Schon beim Frühstück konnte die Erörterung interessanter Fragen so lebhaft und so gründlich werden, dass man noch vor Aufhebung der Tafel an die Bücherschränke eilte, dass je und je die nüchternsten Broschüren zwischen Teekanne und Tassen Platz fanden und ganze Berge von zu Rat gezogenen Bänden sich auf dem Teppich zu Füßen Vater Nightingales anhäuften.

Recht vornehme und geistig bedeutende Persönlichkeiten fanden sich manchmal in dem gastlichen Hause ein. Besonders hatte ein Winteraufenthalt in Paris in den Jahren 1839 auf 1840, der sich an eine italienische Reise anschloss, Gelegenheit geboten, wertvolle und zum Teil dauernde Beziehungen anzuknüpfen. Die beiden Schwestern waren trotz ihres noch so sehr jugendlichen Alters in das Heiligtum des exklusivsten literarischen Zirkels in Paris eingeführt worden. Da hörte man die meist gefeierten Schriftsteller wie Chateaubriand aus ihren Werken vorlesen; da sammelte sich ein auserlesener Kreis von namhaften Männern der Politik, der Literatur und der Wissenschaft, sowie von feinen Damen und Herren der hocharistokratischen Gesellschaft. Die beiden Töchter Englands waren von der Art, dass sie wirklich mit Nutzen zuhörten, wo kluge Männer redeten, und für Florence ist solche Weitung des Horizonts und solche Gewöhnung an den Verkehr mit Männern verschiedenster Art und zum Teil hoher Stellung von entscheidender Bedeutung geworden.

Eine besondere Liebhaberei der jüngeren Schwester, die es mit dem Zeichenstift der älteren nicht gleichtun konnte, wurde die damals neu aufkommende Kunst der Photographie, sobald sie soweit vervollkommnet war, dass man sie als Sport treiben konnte. Immerhin standen dem Liebhaberphotographen jener Tage noch nicht die bequemen Hilfsmittel zu Gebote, die man heute hat; eine fotografierende Dame tat gut, sich für die umständlichen chemischen Manipulationen einen besonderen Anzug zu halten, und Flecken an den Fingern durfte sie auch nicht schwer nehmen. Florence ließ sich durch solche kleine Schwierigkeiten nicht von einer schönen und nützlichen Beschäftigung abhalten; sie nahm je und je die Glieder der Familie und die Gäste des Hauses auf dem Rasen im Park auf und brachte namentlich ihre Freunde aus der Tierwelt in gelungenen Bildern auf die Platte. – Die Familie kam auch dann und wann in der gesellschaftlichen Saison nach London, und die beiden Schwestern wurden bei Hof vorgestellt; sie machten manches Fest mit, bei dem die junge Königin Viktoria mit ihrem deutschen Gemahl den glänzenden Mittelpunkt bildete.