Flugmodus - Florian Stritzelberger - E-Book

Flugmodus E-Book

Florian Stritzelberger

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Beschreibung

"Alle starren auf mich, als wäre ich nackt in der Schule. Jetzt, eine Zeitmaschine — Ich würde sie auf das Datum vor den Sommerferien einstellen, als alles noch in Ordnung und Elija nur ein Freund war.Ein Jugendroman über die erste Liebe, Musik, Vertrauen und den Versuch, erwachsen zu werden. Liebevoll und tiefgründig erzählt. Wer die letzte Seite dieses Romans gelesen hat, will Pauline und ihre Freunde adden."

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Flugmodus

Florian Stritzelberger

Jugendroman

© 2020 Florian Stritzelberger

Zweite Auflage April 2020

Autor: Florian Stritzelberger

Umschlaggestaltung, Illustration: Florian Stritzelberger Titelbild: Mohamed-Nohassi

Lektorat: Susanne Pavlovic

Korrektorat/Lektorat: Sandra Striegel-Moritz, Ceyhan Özcelik

Zeitmaschine: Foto Irina Nalbandian

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

ISBN: Paperback

978-3-7497-8683-1

ISBN: Hardcover

978-3-347-05345-8

ISBN: ebook

978-3-347-04634-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

 

Hände halten, Füße tragen, Leben enden und Freunde tragen.

Lönneberga

Fallen - Pauline - 2 Tage danach

Vom Gefühl her bin ich heute ohne Kleider in der Schule. Irgend so ein Arsch hat ein Bild meines Körpers geklaut. Die Blicke meiner Mitschüler bohren sich wie Reißnägel in meine trockene Neurodermitis-Haut. Ich schreibe Elija einen Zettel und falte ihn mit tausend Fragezeichen in meinem Kopf.

Wie ist das passiert?

Es klopft an der Klassenzimmertür. Elija weicht meinen Blicken aus. Er versteckt die Antwort und seine Hände immer tiefer in den Hosentaschen, im Stuhl versunken, als würde er mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.

Unser Mathelehrer Wenger kauert mit seiner Parabelschablone hinter der Tafel, und Kreidegeräusche stören unsere Privatgespräche. Nathalie wischt neben Wenger eine neue Tafelseite für seine Aufgaben frei, ohne dass er es fordert. Es klopft an der Klassenzimmertür. Bruder Fritz, der Rektor des Peterstift-Gymnasiums, tritt ans Pult und blickt in die Runde. Erstaunlich, wie sich der Lärmpegel ohne ein Wort von Fritz senkt. Sein Blick bleibt an mir hängen.

»Pauline, du bist Klassensprecherin der 10a?«

Ich nicke.

»Komm bitte ins Rektorat.«

Die zerkauten Bleistiftreste ätzen meine Lippen. Ich falle durch ein Loch im Boden vom dritten Stock bis in den Fahrradkeller.

Schule war immer in Ordnung für mich. Automatische Jalousien, die sich dem Sonnenlicht anpassen. Mein Platz hinten links am Fenster, Blick Richtung Park. Jetzt dieser Absturz. Ich will schreien, doch mir fehlt die Luft für einen Ton. Ich schiebe den Stuhl nach hinten und folge Fritz zu seinem Büro in den Altbau. Ich weiß, dass Fritz den Unterricht nicht wegen Kleinigkeiten stört. Er kommt nur, wenn die Kacke am Dampfen ist. Ich habe echt keine Lust darüber zu reden und es geht auch absolut keinen etwas an. Er öffnet die Tür, und jeder Schüler geht mit Respekt in dieses Zimmer. Die anderen Klassensprecher warten schon.

»Setzt euch.«

Hinter seinem Schreibtisch hängt ein Bild mit aufgeklebten Kaffeebohnen: »Life happens, coffee helps.« Ich rieche leider keinen Kaffee, sondern nur muffigen Teppich, der irgendwie zu einem Chef passt.

»Könnt ihr euch vorstellen, warum ich mit euch sprechen möchte?«

Die Uhr über dem Schreibtisch tickt fordernd in die Stille.

»Nicht so richtig«, antwortet Joey aus der Parallelklasse.

»Die Mutter einer Schülerin hat mir einen Chatverlauf gezeigt mit einem Inhalt, der an unserer Schule nichts zu suchen hat. Ich will wissen, wer dafür verantwortlich ist.« Die eingestürzten Betonpfeiler drehen sich in ein einziges, großes Nichts.

Wände vermischen sich mit Decken, und das Karussell nimmt Fahrt auf. Dann wird es schwarz.

Das Nächste, was ich spüre, ist japanisches Heilpflanzenöl auf meiner Stirn. Ich liege im Krankenzimmer und kann unsere Sekretärin durch die offene Tür telefonieren hören.

Drohnen, Flugtaxis – gibt’s auch schon Zeitmaschinen? Ich brauche eine, dringend!

Ich stelle das Datum auf den letzten Schultag vor den Sommerferien!

 

Letzte Schultage sind magisch - Pauline - 66 Tage vorher

Der Geruch der Freiheit kriecht aus dem Maul des Waffeleisens. Wir frühstücken heute ein letztes Mal als Neuntklässler. Besser als Film schauen. Meine Netflixauswahl verliert sowieso gegen "Fast and The Furious" und "Fack Ju Göhte". Eli hat Teig am Finger und hält ihn mir hin.

»Probier mal!«

»Die fertige Waffel ist mir lieber. Was weiß ich, wo du deine Finger hattest.«

Er verteilt den Teig im Waffeleisen und schickt mir ein Wildschweingrunzen.

Der Schulranzen ist so leicht wie nie. Nur mein Mäppchen und meine Blumenteekanne, die auch im Sommer ein treuer Gefährte ist. Vor der Schule kämpfen Sonne und Schatten um jeden Quadratmeter. Bald ist das hier ein Geisterhaus. Ich schaue unter der Bank auf mein Handy und gehe auf Instagram.

Letztes Pausenbrot für dieses Schuljahr, postet Nathalie. Die Gurke hebt und senkt sich auf das Brot – das Ganze mehrmals wiederholt. Das ist Wahnsinn! Dazu ein Feenzaubereffekt. Nathalie und ihr Gemüse.

Ich buchstabiere den Sommer vor meinen Augen, während Modau sich um die Zeugnismappen kümmert und Elija die letzte Waffel ausbackt.

S wie Sonnenuntergänge am Baggersee.

O wie ohne Eintrittskarte durch den Zaun an den See.

M wie Magnum Mandel futtern.

M wie Menschen beobachten und Gedichte schreiben.

E wie den Ernst des Lebens vergessen.

R wie raus in das Feld zum Baumhaus fahren und Mutter Natur zuhören.

An den Zeugnissen haftet ein frischer Tintenlaserduft und die weitgezogene Unterschrift unseres Klassenlehrers Herr Modau.

Ab jetzt sind Uhren Werkzeuge anderer Galaxien und hängen eine Zeitlang verstaubt im Keller. Wir müssen die Tische im Klassenzimmer stapeln, alle Bilder im Klassenzimmer abhängen. Mia soll fegen, reitet aber als Hexe auf dem Klassenzimmerbesen und handelt sich gleich einen Anschiss ein. Modau lässt es sich nicht nehmen, jeden persönlich zu verabschieden. Die Jungs mit High-Five, den Mädchen gibt er die Hand.

»Du könntest, wenn du wolltest«, kommentiert er Elis Jahresleistung. Ich bekomme nur ein »Weiter so, Pauline!«

Die besseren Schüler bekommen in der Schule wenig Worte. Die ganze Welt konzentriert sich nur auf das, was nicht funktioniert.

Ich schiele zu Eli, wie er mit Nathalie Daumenwrestling spielt.

Eli verliert und muss den Müll mit den Kunstbildern und alten Unterrichtsplakaten zum Hausmeister bringen. Schade um die kubistischen Meisterwerke.

Ich schiele auf seinen Platz. Frieder bekommt ein Buch für das zweitbeste Jahrgangszeugnis. Mia interessiert sich wenig für ihr Zeugnis. Ihre tägliche Leidenschaft ist das LeZi-Buch. Es ist zu Beginn der 8. Klasse eingeführt worden und befindet sich immer unter Mias Bank — das legendäre Lehrerzitatebuch.

Während wir versuchen viel zu viel Käse und Wurst unter uns aufzuteilen, beschäftigt sich Mia mit dem Lezi. Wer die meisten Lezi-Einträge hat, bekommt auch dieses Jahr einen Preis von uns. Das Auto des preisgekürten Lehrers wird mit einer goldenen Ananas geschmückt, was immer Elis Aufgabe ist. Mia tippt mir auf die Schulter.

»Schwester, der Ablauf für heute steht: School´s-Out-Party im Kuckucksnest. Vorher aber noch auf´s Grundstück.«

Eli hat die Ananas besorgt. In diesem Jahr wird Herr Löffler mit dem fruchtigen Gral gekürt. Mit seinen Phantasienamen für unsportliche und konditionsschwache Schüler ist er fast immer auf dem Treppchen.

»Du einbeiniger Laboraffe, spiel ab.«

»Ein Kamel säuft nicht so viel Leitungswasser während des Sports wie du.«

»Was Foul war und was nicht, entscheid immer noch ich, du wehleidiger Ameisenbär.«

»Gib ab, Schlange, sonst beiße ich dich und besorg dir einen Job beim Optiker.«

»Du änderst die Richtung beim Dribbeln wie ein Fisch sein Fell. GAR NICHT!«

Ich bin sein »Rehlein«. Ich verkneife mir meine Spitznamen für ihn und schenke ihm lieber einen meiner lyrischen Wattpad-Einträge:

Keiner hat dich lieb, nur deine kleine Pfeife.

Ob du mit ihr schlafen gehst?

Und ob du im Puma-Jogging auch den Rasen mähst?

Will ich gar nicht wissen.

Denn Sportlehrer essen mit der Stoppuhr Menschen.

Ihr Feingefühl ist echt beschissen.

Wattpad - where stories live steht an der obersten Stelle meiner Lesezeichen. Ich veröffentliche dort Texte und bekomme oft schnell eine Rückmeldung oder einen Kommentar. Mir tut das richtig gut, manche Dinge mit Worten zu verarbeiten. Manch einer geht ins Fitnessstudio und schlägt Sandsäcke. Ich dagegen schreibe Texte auf Wattpad bei einem Chai-Latte. Es hilft und macht die Gedanken leichter.

Nathalie verdrückt in der Umkleide nicht selten die Tränchen in das Sportshirt.

Löffler hat schon oft von Fritz eins auf den Deckel bekommen für seine Unverschämtheiten. Nun bekommt er von uns die Ananas.

Eli hat den Obstgral kurz nach sieben auf dem Dach des alten Diesels platziert. Ein bisschen mulmig wird den Lehrern schon, wenn es auf den letzten Schultag zugeht.

Zwar spielt sich der größte Hype in den sozialen Netzwerken ab und die Lehrerschaft wundert sich immer wieder über diesen seltsamen Streich, hinterfragt ihn aber wenig. Den wirklichen Sinn rafft wohl kein Lehrer. Sie halten es wohl für einen seltsamen Zufall, dass am letzten Schultag immer Obst auf den Lehrerautodächern liegt.

Es ist kurz nach elf - Startschuss.

Mia, Eli, Frieder und ich werfen unsere Schulrucksäcke in die Luft und kicken sie bis zu den Rädern. Zuerst geht es die Steighohle hinunter und dann zum Supermarkt. Frieders Handy klingelt.

»Papa, Großes D, kleines s, großes L, kleines i, großes D, großes G. Ja, ganz sicher. Ist für dein Mailaccount.«

Frieder schüttelt den Kopf, drückt seinen Vater weg und räumt Wassereis aus der Gefriertruhe. Frieder lebt bei seinem Vater, der Kohle, aber wenig Zeit für Frieder hat. Sie wohnen in einer noblen Villa oben auf dem Bonzenbuckel.

»Kocht dein Vater heute etwa Buchstabensuppe?«, frage ich Frieder.

»Mein Vater kocht nie. Er kann sich nur sein Passwort nicht merken.«

»Apropos Buchstabensuppe. Witz: Wenn man Buchstabensuppe wieder auskotzt, ist das dann gebrochenes Deutsch?«

»Pass du lieber auf, Mia, dass du nicht kotzt heut.«

Wir tollen durch die Gänge und jaulen wie ein Wolfsrudel.

Der Verkäufer schaut grimmig zu uns und bestückt weiter das Tiefkühlregal. Der Arme, wer hat schon sechs Wochen Urlaub am Stück?

Feiern wie die Feste fallen - Pauline

Kirschzigarillos, Cola-Bier, Radler, eine Flasche vorgemischten Hugo für uns Mädels und weil die Stimmung gerade so gut ist, gesellen sich Chips, Zwiebelringe, feuerscharfe Nüsse und ein Dessous-Heftchen in den Einkaufswagen, den der Busfahrer schieben muss. Eli ist und bleibt unser Busfahrer, weil er damals in der Grundschule uns alle mit dem Laufbus zur Schule abgeholt hat. Im Gänsemarsch von Tür zu Tür. Eine reine Sicherheitsmaßnahme unserer Eltern. Seitdem ist Eli eben der Busfahrer.

Wir radeln in Richtung Ortsausgang. Ich stelle fest, dass mein Rock für eine Radtour vielleicht die falsche Kleiderwahl ist. Doch egal. Eli fährt vor und gibt das Kommando »Bonanza!«.

Alle setzen sich vom Sattel auf den Gepäckträger. Den Abzweig hoch zu den Gärten. Die Rillen des Gepäckträgers schneiden sich in meinen Hintern. Erstmal chillen. Eli macht Feuer. Frieder kümmert sich um die Musik. Mia sortiert die Mitbringsel und fegt den ärgsten Dreck von den alten Ledersesseln und von der alten Couch, die mittlerweile wie ein verwestes Nilpferd riecht. Es kommt noch zu viel Feuchtigkeit ins Baumhaus. Ich wünsche mir zu Beginn der Ferien einen passenden Song.

Frieder gibt Bausa ins Suchfeld des Streamingdienstes ein und wir hören Vagabund. Ein guter Zeitpunkt, um ein Bild vom Baumhaus mit der Unterschrift »school´s out for summer« auf Instagram zu posten.

Ich habe die ersten Herzen nach wenigen Sekunden. Zufriedenheit breitet sich in meinem Körper aus. Eli kneift mich in die Seite. Verlegenes Grinsen. Er schaut mich an und wuschelt mir durch die Haare.

»Ich freue mich auf den Sommer mit dir, Linchen.«

Eli wird in letzter Zeit immer frecher zu mir. Wir kennen uns seit der Grundschule und wir waren schon immer wie Yin und Yang. Ich weiß noch, wie ich bei seinen Großeltern gewesen bin und wie wir als Kinder hier durch die Gegend gesaust sind. Der hübsch angelegte Garten, die Feuerstelle, der Schuppen. Ein echter Rückzugsort. Wie oft habe ich hier schon gezeltet.

Ich hole mein Handy aus der Tasche und schiebe die Weckertaste von rechts nach links.

Ab jetzt heißt es aufstehen, wenn die Träume fertig ausgebacken sind.

Eli lässt das Feuer nicht aus den Augen. Er spielt gut Gitarre, wobei er auch ein grober Hobel sein kann. Elis Trägershirt bekommt erste Schweißtropfen von der Spätjulisonne. Sein Bauarbeiterdekolleté linst hervor. Bei manchen ist sowas peinlich. Bei ihm ist das ein sympathischer, kleiner Fehler. Mehr nicht. Ich kann stundenlang in züngelnde Flammen schauen, die sich auf das Birkenholz stürzen.

Ein vertrautes Rattern kommt näher. Elis Opa, für uns nur Opa Hohnermeyer, bringt uns in seiner Obstkiste auf dem Gepäckträger frische Erdbeeren mit Vanilleeis und eine Flasche Eierlikör. Von Oma eingepackt und kühl gelagert. Nur das Eis. Der Eierlikör ist von Opa dazu geschmuggelt. Ich sage auch oft Opa zu ihm, da mein richtiger Opa schon lange nicht mehr lebt. Opas sind für alle da. Eli teilt ihn gern mit uns und ist mächtig stolz auf ihn – ein stadtbekannter Knuddelbär mit einem Herzen so groß wie sein Grundstück.

»Für euch Jungen und Mädchen. Feiert ein bisschen und lasst mir mein Grundstück ganz. Trinkt einen Schulaus-Likör auf mich.«

»Geht klar, Opa«, sagt Eli und grüßt mit dem Schürstöckchen.

»Ich habe meine Anna auch an einem letzten Schultag kennengelernt. Das war im Juli 1962. Und denkt dran: der Sommer hält heute noch an.«

Er tippelt hinter den Schuppen.

»Bitte nicht auf den Weg speien! Falls doch - ihr wisst, wo das Regenfass und die Gießkannen stehen.«

Mia prustet in ihren Besenstiel, der jetzt ein Mikrofon ist.

»Klar, schau dir doch die lieben Mädchen an und den Frieder. Glaubst du wirklich, die würden so etwas tun?«

Er grinst und geht pfeifend wieder zurück zum Moped, das immer noch aufgebockt läuft.

Elis Opa ist schon so lange mit Anna zusammen. Das hört sich komisch an? Man ist doch Opa und Oma. Und nicht Rudolf und Anna.

Was ist das Rezept für solch eine lange Liebe? Ist es wie mit dem Moped? Man darf es nur nicht ausgehen lassen und muss es nur manchmal aufbocken? Niemals den Zündschlüssel drehen?

Opa Hohnermeyer hebt die Hand zu einem wortlosen Abschiedsgruß und fährt in einem viel zu weiten Bogen durch das Gras. Jeden Abend kehrt er zurück zu Anna. Hoffentlich haben sie noch viele schöne Fahrten zusammen.

Trettmann erklingt mit seiner Computerstimme. Knöcheltief. Löfflerpfiff.

»Runterkommen! Tanzen!«

Mia nimmt den Besen und reitet um das Feuer. Sie hat heut wohl ihren Hexentag. Ich heule wie ein Wolf und hole vier Radler aus der Tüte. Frieder stellt das Stativ auf und kümmert sich um die richtige Belichtungseinstellung der Kamera. Es folgt: Der Peterstanz. Reihum. Hände auf die Schulter. Zunächst gegen den Uhrzeigersinn. Dann wird gedreht. Wer das Gleichgewicht verliert, muss trinken und einen Spruch aus dem Lezi vorlesen. Schneller und schneller drehen wir uns um das Feuer. Mia rutscht auf einem Stück Holz aus.

Zisch. Auf die Ferien! Auf uns und die Freiheit. Mia nimmt das Buch aus ihrem Schulrucksack.

»Was ist los, ihr Playstationverseuchten Zockerzombies? Habt ihr keine Kondition mehr? Gebt alles!«

Wir johlen zu Löfflers Spruch und erst nach weiteren drei Runden ist uns so schwindelig, dass wir erstmal eine halbe Stunde im Gras liegen müssen, bis die Welt aufhört zu kreiseln. Zeit für die Lezi-Zeremonie.

Mia steht auf und stimmt Pfarrer Trosslinger an:

»Liebe Gemeinde, liebe Malstifte, liebe Filzstifte, liebe Petersstiftler, ein weiteres Schuljahr neigt sich seinem Ende entgegen. Es wurde viel gelernt und der Vater hat uns auf so manche Probe gestellt. Auch so mancher Lehrer wählte seine Worte nicht immer so, wie es dem Herrn im Himmel gefällt. Mögen wir ihnen vergeben und vernichten die pädagogischen Schandtaten hier im Feuer. Amen.«

Mia wirft das Lezi ins Feuer. Wir verneigen uns demütig. Das Schuljahr ist nun offiziell beendet. Zeit, eine gute Kirschzigarillo darauf zu rauchen, die riechen wenigstens gut. Mia verteilt die Glimmstängel ohne Filter.

»Pafft lieber. Sonst ist Dünnpfiff angesagt.« Mia gibt reihum allen Feuer.

»Das kann ich nicht gebrauchen. Unsere Körper werden heute sowieso genug strapaziert«, röchelt Frieder.

»Aha, Mia hat schon Pläne geschmiedet für den restlichen Abend? Erzähl es dem Fahrer oder du fliegst aus dem Bus.«

»Das ist mir scheißegal. Ich brauche die nächsten sechs Wochen keinen Bus. Sie fetter, Bus fahrender SWR4-Hörer hinterm Lenkrad!«

Mia steht auf und furzt mit einem eleganten Hüftschwung in Elis Richtung.

»Dir haben sie wirklich keine Manieren beigebracht.« Eli stürzt sich auf Mia. Er drückt ihre Hände mit einer Hand zusammen und kitzelt sie an der Seite. Elis Leichtigkeit tut uns gut.

Mia rekelt sich auf dem vertrockneten Sommerboden. Ein saftiger, roter Feuerball strahlt über die Landschaft. Frieder eilt zur Kamera und hält die Szene auf seiner Spiegelreflex fest. Ein Bild vor der tollen Kulisse im Selbstauslöser.

Eli hat Mia auf den Schultern. Ich stehe etwas verloren in der Bildmitte und von Frieder sieht man nur den Rücken.

»Vielleicht sollte man den Timer auf zehn Sekunden stellen, statt auf fünf«, tönt Mia.

Frieder nimmt all sein sportliches Talent zusammen und schafft es diesmal auf das Bild.

»Astreine Iso-Werte. Da muss man einfach shooten.«

»Ist klar, Frieder«, kommentiere ich seine Begeisterung. Jetzt schlägt sein Fotografenherz höher.

Alte Fahrräder vor einem Scheunentor. Großaufnahmen von Wiesen und verrückte Nahaufnahmen von Ameisen auf der Baumrinde des alten Kastanienbaums.

Ich ziehe meine Schuhe aus und balanciere mit dem Zigarillo im Mundwinkel über die Slackline, die wir dieses Jahr im Mai neu gespannt haben. Auch wenn meine Stimmung nicht immer im Gleichgewicht ist - balancieren kann ich.

Mia öffnet nach dem Radler den Wein. Nach dem Wein öffnet sie wieder Wein. Im Schuppen ist immer eine Flasche, Opas Notflasche von seinen Winzerselbstversuchen. Er schmeckt lieblich. Das Gefühl des in den Körper kriechenden Alkohols. Der Moment, in dem man etwas geschafft hat und die Erleichterung das Duell gegen die Anspannung gewonnen hat. Ich liebe das Gefühl.

Ich schaue Eli an und merke, dass ich auch mit ihm vorsichtig sein muss. Vorhin haben wir uns so lange angeschaut, dass es mir unangenehm war. Zu lange Blicke erzählen zu viele Geheimnisse. Der Alkohol und das Gefühl des anstehenden Sommers in mir macht mehr aus ihm, als mir lieb ist.

Feuersprung - Pauline

Mia wird richtig aufdreht, wenn sie was trinkt. Ich dagegen werde frei, erzähle wie verrückt und habe waghalsige Ideen. Mir ist es dann egal, was andere von mir denken. Eli legt Holz nach, umarmt mich von hinten und dreht mich.

»Linchen, springst du mit mir?«

Ich nehme seine Hand als Antwort.

»Geile Idee. Ich springe mit Frieder.« Mia steht auf und nimmt Frieder die Kamera aus der Hand.

»Ja, warum nicht. Unter einer Bedingung!

Man darf dem anderen eine Frage stellen. Und der muss die Antwort sagen. Lügt man, wird uns das Feuer dieser Nacht für ein Jahr verfluchen und Unglück bringen.«

»Abgemacht«, sagt Eli nickend und bindet seine Schnürsenkel doppelt für den Sprung.

»Wer will zuerst springen?«

Mia macht einen Karatekick in Zeitlupe.

»Los, Meister Frieder, frag mich was. Aber wehe, du fragst irgendeinen technischen Scheiß oder etwas auf Latein.«

Frieder hat sich auf seinem Fotowalk doch noch das eine oder andere Bier genehmigt. So sind sie, die Streber. Erst einen auf Askese machen, dann mit dem Bier durch die Natur wandeln.

»Mia, stimmt es, dass Fußballerinnen nach dem Training in die Dusche pinkeln?«

»Gute Frage, Meister. Genau richtig, die Frage«, lobt Eli.

»Na, hör mal. Wenn man schon unter der Dusche ist. Irgendwann hat eine damit angefangen. Wasser zu Wasser. Lass laufen, Alter! Machen doch alle.«

Ich kann es nicht fassen. Mia hätte wohl ein Junge werden sollen. Das muss man doch besser verpacken.

»Mia?«

»Ok, Friederchen. Was interessiert dich an einem Mädchen am meisten?«

»Der Notenschnitt. Ich möchte gutes Erbmaterial für meine Nachfahren.«

»Vollidiot. Dir ist wirklich nicht zu helfen. Du brauchst mal wirklich eine, die dir den Kopf so verdreht, dass dir die Schule sowas von scheißegal ist. So, dass du für einen Kuss von ihr dein Zeugnis verkaufen würdest oder deinen Premium-Gaming-PC.«

Mia schnappt Frieders Hand und beide springen über das Feuer. Sichere Landung und eine Umarmung, was bei Frieder immer nach Roboter aussieht.

»Ihr wärt auch ein gutes Paar«, witzelt Eli.

»Frieder müsste nur ein Buch über die weibliche Anatomie auswendig lernen und Mia sich ein bisschen mehr anstrengen. Dann funkt es bestimmt zwischen euch.«

»Schnauze. Schau du lieber mal, dass ihr eure Challenge hinter euch bringt.«

»Allzeit bereit, Mr. Hohnermeyer is ready. Ladies first.«

Ich nehme ein Stöckchen vom Boden und drehe es nervös in der Hand. Wer will schon ein Jahr Unglück?

»Elija Hohnermeyer, hast du es schon mal mit dir selbst gemacht?«

Eli hat wohl mit vielem gerechnet, aber nicht mit dieser Frage. Er legt nochmals Holz nach und setzt die Weinflasche genüsslich an. Ein breites Seehundgrinsen übermannt seine durch den Alkohol entspannten Gesichtszüge.

»Schatzi. Bevor ich in den Krieg ziehe, muss ich doch wissen, wie die Waffe funktioniert, wenn man sie braucht. Ist doch normal.

Und du? Wie ist das bei euch Mädchen?«, kontert Eli schnell. Ich stehe zu nah am Feuer und mir ist warm.

»Gleiche Frage geht leider nicht. Sorry. Das sind die Regeln.«

»Gut, dann sag uns mal: In wen bist du zurzeit verliebt?«

Ehrlich gesagt, stell ich mir diese Frage auch oft. Aber richtig an mich herangelassen habe ich es noch nicht. Ich drehe mich vom Feuer weg und pfeffere ein Glutstöckchen in die dunkle Nacht. Frieder rennt mit der Gießkanne hinterher und löscht die Glut. Doofe Idee, Glut in eine Wiese zu schmeißen.

Mehrere Augenblicke starren wir nur auf die Flammenspitzen.

»Ich bin ein Wolf auf der Suche nach Beute. Ich würde euch den Namen nur dann sagen, wenn ich ganz sicher verliebt wäre. Sonst bringt es Unglück.« Ich finde, das ist die Wahrheit. Halbe Sachen muss ich keinem sagen.

»Ratte. Wer ist es? Der Julius aus der 9c? Der mit dem Honiggesicht? Das Niveacreme-Model? Sag schon. Sei eine Schwester«, quengelt Mia.

»Quatsch. Die Frage ist eindeutig beantwortet.«

»Frieder, was meinst du? Ist das politisch korrekt?«

»Da dies eine Frage mit Bedingung ist und Pauline nicht genau weiß, was sie selber will, gilt die Frage als beantwortet. Das hohe Gericht wird den Namen schon noch rausfinden.«

»Da siehst du es. Jetzt komm her, du kleiner Lurch.«

»Nenn mich nicht Lurch. Emo-Rehaugenfresse.«

»Hört auf. Gebt euch bitte einen Nasenkuss zur Versöhnung. Das hier anwesende Gartenschnellgericht hat entschieden.«

Elis und meine Nase berühren sich. Etwas zu schnell. Nasencrash. Sein Atem riecht nach Wein.

»Ohne Anlauf?«

»Verrückter. Von mir aus.«

Wir springen aus dem Stand und kommen am Ende der Glut auf. Eine Aschenwolke umhüllt den Feuerplatz. Wir rollen uns aus der Wolke.

»Alles okay?«

»Jap. Nur die Schuhe sind etwas schwarz.«

»Heißer Sprung.«

»Hast du das auf Kamera, Frieder?«

»Logo. Bin im Videomode.«

Letzte Schultage sind magisch und werden es immer bleiben. Ein Neubeginn mit leichten Sohlen. Ein neuer Kontinent. Entdeckergeist und Reiselust steigen in mir auf. Das Schiff legt an.

Sachen machen, die man sonst nicht macht. Die Grillen singen ein Lied vom Reisen und die Red Hot Chili Peppers slappen dazu den Bass.

»Give it away. Give it away now«, brüllt Eli stampfend in die Nacht. Frieder spielt den Luftbass und pafft vorsichtig an dem Zigarillo und tanzt dazu hüftsteif wie ein Saugroboter. Seine Hipster-Goldbrille rutscht immer mehr die Nase hinunter. Ich möchte gerade nirgendwo anders sein.

Ab ins Nest - Pauline

Eli spannt die Bluetooth-Box auf den Gepäckträger. Ich lausche den Klängen der Alternative-Rock-Playliste. Der Abend ist ein Konzentrat unserer Freundschaft und ich habe das Gefühl unbesiegbar zu sein. Der Sommer ist einfach ein Menschenfreund. Im November weiß man nicht, was man tun soll. Filme schauen und die Bude fällt einem auf den Kopf. Die grauen Tage. Im Sommer bin ich ein anderer Mensch. Meine blasse Haut sehnt sich nach Licht. Ich surfe auf der Welle der Euphorie und bekomme kurz feuchte Augen, als wir den Refrain von AnnenMayKanterheit singen.

In dieser Nacht ist das Risiko scheißegal. Wer nichts wagt, der gewinnt nichts. Ich darf mir nicht immer alles doppelt und dreifach durch den Kopf gehen lassen. Und wenn das Gefühl am Bauch angekommen ist, dann soll der entscheiden. Mein Bauch will im Moment nur eines: Tanzen.

Ich werfe die Hände in die Luft und kreuze die Arme hinter meinem Kopf. Ich schreie es in die Nacht.

»Es tut mir leid…«

Jungs gegen Mädchen - Eli

»Ziehen wir langsam weiter ins Kuckucksnest?«

»Noch zwei Lieder. Dann reißen wir den Laden ab.«