Frankie - Jochen Gutsch - E-Book

Frankie E-Book

Jochen Gutsch

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Beschreibung

»Das wär nix für mich, so’n Lebenssinn. Erstmal muss man ihn finden. Und dann muss man drauf aufpassen, damit man ihn nicht verliert.«

Richard Gold hat alles vorbereitet. Heute ist der Tag, an dem er sich das Leben nehmen wird. Der Strick liegt schon um seinen Hals, als sich ein dürrer Kater vor das Fenster setzt, interessiert glotzt – und Gold komplett aus dem Konzept bringt. Als dann der Kater auch noch bei Gold einzieht, weil der einen großen Fernseher hat, ein „extremst“ weiches Bett und pünktlich Essen serviert, beginnt die skurrile Freundschaft zwischen zwei Außenseitern, von denen zumindest einer ganz fest an ein Happy End im Leben glaubt.

Ein Mann, der sterben will. Ein Kater, der ein Zuhause sucht. Eine berührende und zugleich urkomische Geschichte über eine außergewöhnliche Freundschaft und den Weg zurück ins Leben.

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Seitenzahl: 184

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Die Autoren

Jochen Gutsch, geboren 1971 in Berlin, ist Journalist beim Spiegel. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis und dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet. Zusammen mit Maxim Leo verfasste er mehrere Bestseller, darunter Es ist nur eine Phase, Hase. Das Buch stand über ein Jahr lang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und wurde für das Kino adaptiert.

Maxim Leo, geboren 1970 in Berlin, war lange Jahre Reporter bei der Berliner Zeitung. Er erhielt unter anderem den Theodor-Wolff-Preis. Heute schreibt er Bücher sowie Drehbücher für den Tatort. Für seine Familiengeschichte Haltet euer Herz bereit erhielt er den Europäischen Buchpreis.

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Jochen Gutsch

Maxim Leo

Frankie

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Copyright © 2023 Jochen Gutsch und Maxim Leo Copyright © 2023 Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: Favoritbüro Umschlagmotiv: Hanna Zeckau Satz: Andrea Mogwitz Satz: GGP Media GmbH, Pößneck E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-641-29591-2V002www.penguin-verlag.de

»Was macht das Leben so schwierig?«

»Menschen?«

An Affair to Remember

1 Der Faden

Mir wurde gesagt, eine Geschichte beginnt man vorne. Am Anfang. Aber ich bin ein Kater und weiß nichts von vorne und Anfang. Die Menschen haben einen Haufen Regeln, wie alles sein muss im Leben. Tu dies, tu das! Ganz ehrlich? Langweilig. Anstrengend. Nichts für mich. Deshalb fange ich jetzt einfach irgendwo an. Vielleicht zufällig vorne. Oder am Anfang.

Es war die gute Zeit, und damit meine ich, die Abende waren warm und hell, und in den Linden summten die Bienen. An so einem Abend wollte ich kurz rüber zum Professor. Wer der Professor is’, erzähle ich später. Weil: Tut erst mal nichts zur Sache.

Ich ging also den Großen Weg entlang, der mitten durchs Dorf führt. Vorbei am See, wo das Gras hoch stand, und ich ein paar Grashüpfer fraß. Das Gute an Grashüpfern? Sie beschweren sich nie, wenn man sie frisst. Im Gegensatz zu Vögeln. Vögel machen jedes Mal ’n Riesendrama. »Iss mich nicht! Ich bin Mutter! Ich hab zehn Kinder im Nest!« Die übertreiben total. Aber jedes Mal steh ich da, ich dumme Nuss, Vogel in der Schnauze, und fühle mich erst mal kurz schlecht.

Ich ging vorbei an der Dorfkirche, vorbei am morschen Vogelhäuschen, vorbei an der übel riechenden Pisse vom fetten Heinz (Rottweiler), vorbei an zwei Misthaufen, wo nichts Gutes drauflag, und auch nichts Halbgutes, nur Kaffeesatz, Eierschalen, Kartoffelschalen, Apfelschalen. Hier mal ’n Tipp an euch Menschen: Ein Misthaufen, auf dem nur Schalen rumliegen, wirkt geizig.

Ich ging vorbei am großen Sandhügel, wo bald der Wald beginnt und hinter dem die Welt zu Ende ist. Ich tapste gut gelaunt vor mich hin, ganz lässig, so schlawenzel-schlawenzel im Abendlicht, schlüpfte durch einen alten Holzzaun, bis ich im Garten des verlassenen Hauses stand. Jeder nennt es das verlassene Haus, weil die Menschen aus der Stadt, die hier jeden Sommer wohnten, eines Tages nicht mehr kamen.

Überall sind Vorhänge vor den geschlossenen Fenstern, und im Winter heult der Wind am verlassenen Haus vorbei, und der fette Heinz, der ein dummes Arschloch ist, sagt, da wohnt ’n Rudel Werwölfe drin.

Aber jetzt kommt’s! Ich war schon fast am verlassenen Haus vorbei, da sah ich dort einen Mann. Im verlassenen Haus drin! Ich war so perplex, dass ich sofort hinter einen Busch flitzte, weil mir extremst die Düse ging. Da saß ich nun und dachte: Scheiße, Frankie. Was machste jetzt?

Am liebsten wär ich sofort zurückgerannt und hätte allen, die ich kenne, die Sensation erzählt. Aber dann wär die Fragerei natürlich losgegangen: Wie sah der Mann denn aus, Frankie? Wie roch der Mann, Frankie? Was gibt’s zu fressen bei dem Mann, Frankie? Bist du dir ganz sicher, dass es kein Werwolf ist, Frankie?

Wenn ein verlassenes Haus plötzlich nicht mehr verlassen is’, dann kommen ne Menge Nachfragen, dann will jeder die Details wissen. Und hat man keine, steht man blöd da.

Also tat ich das, was jeder gute Kater in so ner Situation machen würde: Ich lugte hinterm Busch hervor.

Lauschte.

Lugte.

Lauschte.

Lugte.

So ging das ne ganze Weile. Ich kürz das jetzt mal ab, weil sonst nix passierte.

Lauschte.

Lugte.

Und so weiter.

Dann schlich ich näher ran, leise-leise, schaute aus einigen Katzenschwanzlängen Entfernung durch das große Fenster und sammelte Details.

Detail 1: Da war wirklich ein Mann.

Detail 2: Er stand auf nem Stuhl.

Detail 3: Von der Zimmerdecke hing ein Faden herunter.

Detail 4: Den Faden trug der Mann um den Hals.

Detail 5: Ergänzung von Detail 4: Der Faden war extremst dick.

Ganz ehrlich? Ich hatte noch nie so nen prächtigen Faden gesehen. Ich liebe Fäden, das müsst ihr wissen. Als ich noch bei der alten Frau Berkowitz lebte, spielten wir fast jeden Tag mit nem Faden. Nie hing ein Mensch dran, aber manchmal ne Maus, also keine echte, sondern aus Wolle, auch wenn die Menschen denken, wir Katzen würden denken, es wär ne echte. Tun wir aber nicht. Sind ja nicht doof.

Und als ich nun diesen unglaublich schönen Faden sah, dachte ich plötzlich an die alte Frau Berkowitz und die beste Zeit von meinem Leben, die nicht lange dauerte, weil die alte Frau Berkowitz eines Tages im Garten lag, und kurz darauf kamen zwei Männer, ganz in Weiß, und schoben die alte Frau Berkowitz in ein Auto mit blinkenden Lichtern aufm Dach, und ich hab sie nie wieder gesehen.

Mir wurde ’n bisschen mulmig im Herzen wegen der ganzen Erinnerung, und am liebsten wollte ich dem Mann jetzt zurufen: »Hey, du da! Der mit dem Faden spielt! Extremst toller Faden! Darf ich mitspielen?«

Durfte ich nicht.

Es lief nämlich so: Ich nahm all meinen Mut zusammen, sprang auf die Fensterbank und schaute hinein. Der Mann stand auf nem Stuhl, Faden um den Hals. Dann sah er mich und guckte überrascht. Aber nicht gut überrascht, sondern mit bösem Blick. Er machte den Mund auf und zu wie ein Karpfen, er sagte was zu mir, was ich aber nicht verstand, weil er hinter der Scheibe war und ich davor. Logisch.

Ich fing an, mit den Augen zu blinzeln. Hier noch mal ne wichtige Information für euch Menschen: Wenn eine Katze blinzelt, is’ das quasi wie lächeln. Blinzeln bedeutet: Alles schick. Gute Laune bei mir. Was geht? Ich blinzle also wie verrückt vor der Fensterscheibe, aber der Mann schien ein genauso dummes Arschloch zu sein wie der fette Heinz und kapierte nix.

Stattdessen fuchtelte er mit den Armen rum, so in meine Richtung. Ich hob die rechte Pfote, um zu zeigen: Hey, alles cool! Ich versteh dich. Wenn man mit nem Faden spielt, wird es eben auch mal wild. Aber ganz ehrlich? Das Gefuchtel war unheimlich. Also leckte ich zur Beruhigung zwischen meinen Beinen rum, weil ich total nervös war und nicht wusste: Was jetzt, Frankie?

Und plötzlich ging alles ganz schnell. Der Mann ließ ab von seinem Faden, hüpfte vom Stuhl, die Tür des verlassenen Hauses flog auf. Der Mann brüllte. Ich sprang vom Fenster. Der Mann griff nach einem Ding und schmiss es nach mir. Ich rannte los, aber meine Pfoten waren weich vor Schreck. Wie Mus! Ich sah einen Schatten kommen. Etwas flog hinter mir her und sprang gegen meinen Kopf.

Und dann weiß ich nichts mehr.

Das Erste, was ich wieder hörte, war der Wind, der mir etwas zuflüsterte. Ich versuchte, genau hinzuhören, aber ich verstand den Wind nicht. Ich lag auf der Wiese vor dem verlassenen Haus. Ich war ungeheuer müde und rührte mich nicht. Ich bekam kaum die Augen auf. Und der Wind flüsterte und flüsterte, bis ich merkte, das war gar nicht der Wind. Das war der Mann, der vor mir stand, heruntergebeugt, und mit mir sprach. Der Mann stupste mich mit dem Fuß an, als wär ich ne tote Ratte oder was. Er sagte: »Alles klar?« Was ne ziemlich dumme Frage war, denn offensichtlich war nicht alles klar bei mir. Und dann war ich so müde und schlief wieder ein.

Als ich das nächste Mal aufwachte, wusste ich zuerst nicht, wo ich war. Mir war ziemlich mulmig, und ich lugte vorsichtig herum, aber nur kurz. Ich sah den prächtigen Faden von der Decke hängen, und dann fiel mir alles wieder ein. Ich lag im verlassenen Haus drin! Ich lag auf ner Couch, falls ihr es genau wissen wollt, und unter mir war Papier, vielleicht ne alte Zeitung oder so. Ich sah den Mann, der jetzt gegenüber in einem Sessel saß. Er hielt sich ’n kleines Telefon ans Ohr und sprach aufgeregt mit irgendwem. Keine Ahnung. Ich kann euch aber genau sagen, worüber er sprach: über mich.

Der Mann sagte ins Telefon: »Ich habe hier eine tote Katze. Können Sie vorbeikommen? Ja, die Katze sieht wirklich sehr tot aus. Aber ich bin kein Tierarzt. Deshalb rufe ich ja an. Nein, es ist nicht meine Katze! Hören Sie, ich weiß nicht, wem die verdammte Katze gehört. Wie die Katze aussieht? Warum ist das wichtig? Sie sieht aus wie eine stinknormale Katze! Grau getigert, bisschen räudig, an einem Ohr fehlt ein Stück. Nein, ich weiß nicht, wodurch die Katze getötet wurde! Ja, die Katze habe ich in meinem Garten gefunden. Hören Sie … Okay, meine Adresse lautet … Nein, die Katze …«

»Ischbimeinkaada!«, sagte ich.

Das war natürlich nicht klug. Der Professor, den ihr noch kennenlernen werdet, sagt oft, dass ich mich klüger verhalten muss im Leben, sonst bekomme ich ne Menge Probleme.

Aber ich war einfach sauer. Erst werd ich fast erschlagen, und dann nennt mich dieser Mensch ständig Katze, obwohl ich ein einwandfreier Kater bin!

»Was?«, sagte der Mann.

»Ischbimeinkater!«

Mein Menschisch war ’n bisschen … müde? Mein Kopf auch, wegen dem Ding, das mich angesprungen hatte. Ich musste die Wörter ewig wiederholen, bis ich eins a sagen konnte: »Ich bin ein Kater !«

Der Mann glotzte mich an, als wär ich ’n Ungeheuer.

Meine Erfahrung: Wenn ein Kater was sagt, reagieren Menschen total komisch. Immer! Darum hab ich lange nix mehr gesagt. Das letzte Mal war vor dem Dorfladen. Einer Frau fiel was aus der Einkaufstasche, und ich zur Frau: »Hallo, Madame, sind das Ihre Staubsaugerbeutel?«

Da ist die Frau schreiend weggerannt. Die ganze Dorfstraße runter. Dumme Nuss!

Menschisch is’ sehr einfach. Das erste Wort, das ich sprach, war: Schnee. Und dann gleich andere. Im Tierheim sprachen viele Tiere Menschisch, die alte Frau Berkowitz sprach Menschisch, und ihr Fernseher sprach auch Menschisch.

Früher sprach ich Menschisch besser als Katzisch.

Heute kann ich zehn Sprachen oder so. Was nicht viel is’. Der Professor kann 27 Sprachen, sogar Ziegisch, was kaum einer kann, außer Ziegen. Logisch. Ohne Sprachen is’ man als Kater verloren, und ich sag euch auch, warum: Artenvielfalt. Überall trifft man auf andere Tiere mit anderen Sprachen, und nicht alle kann man fressen oder in der Mitte auseinanderreißen oder zu Tode spielen. Dann muss man reden. So sieht’s nun mal aus. Is’ nicht meine Idee. Ich gehe zum Beispiel durch den Wald, und da sitzt immer ne riesige Eule. Sie sitzt den ganzen Tag aufm Ast und glotzt düster. Aber wenn ich die riesige Eule treffe, sage ich ganz freundlich auf Eulisch: »Hey, Eule. Was geht?«

Und sie: »Muss ja.«

Ich: »Ja, muss ja. Halt die Ohren steif, Eule!«

Sie: »Alles klar, Frankie!«

Seht ihr? Sogar mit ner Eule, die den ganzen Tag nur aufm Ast sitzt, kann man sich prima unterhalten. Die Einzigen, die komisch tun, sobald ich rede, sind Menschen.

Der Mann glotzte mich immer noch an, Schnauze offen. Er hatte mächtig Angst, das roch ich. Er überlegte, das sah ich. Und da dachte ich mir: Einfach Klappe halten, Frankie. Und abwarten. Das macht einen Menschen bestimmt verrückt. Weil er nicht weiß: Spinn ich? Hat der Kater wirklich gesprochen? Kann das sein? Spinn ich?

Der Mann beobachtete mich ne ganze Weile. Als nix passierte und ich nix sagte, lehnte er sich erleichtert im Sessel zurück und schloss die Schnauze. Er schüttelte den Kopf, lächelte und sagte: »Ach, was für ein Quatsch.«

Und ich so: »Is’ kein Quatsch!«

Da war der Mann fertig. Aber komplett! Sein Gesicht wurde so weiß wie der Arsch von nem Reh.

Ich genoss das ein bisschen. Ganz ehrlich? Mehr als nur ein bisschen. Is’ nämlich besser, wenn Menschen Respekt haben. Sonst is’ man nicht sicher vor ihnen, und sie treten dich oder werfen Dinge nach dir. Und der Mann hatte jetzt Respekt.

Ohne Ende.

Nach ner ziemlichen Weile sagte der Mann: »DUSPRICHST?« Ich dachte: Glückwunsch. Sehr scharfsinnig. Er sprach ganz laut und langsam mit mir. Mit der alten Frau Berkowitz hatte ich mal nen Film gesehen, da saßen Männer am Feuer und sprachen mit anderen Männern, die hatten so Malereien im Gesicht und ’n Strauß Federn aufm Kopf. Da war’s genauso. Die einen Männer sprachen mit den Feder-Männern, als wären die totale Trottel.

Der Mann sagte: »ICH. RICHARD. GOLD.«

Dabei tippte er sich auf die Brust.

Ich fand’s seltsam, aber auch lustig, also tippte ich mir auch auf die Brust und sagte: »ICH. FRANKIE.«

Der Mann: »DEINKOPF. SCHMERZEN? AUA?«

Ich: »JA. AUA-AUA!«

Der Mann: »TUT. MIR. LEID.«

Und dann schien der Mann nicht zu wissen, was er sagen sollte. Er streckte vorsichtig seine Pfote aus und legte sie kurz auf meine Pfote. Er sagte: »KEINE. ANGST.«

Das fand ich nett. Und wo er schon mal nett war, dachte ich, könnte man doch nun endlich über das Wichtige reden.

Ich: »FRESS-FRESS? HUNGER!«

Ich zeigte auf meinen Bauch und meinen Mund.

Der Mann: »FRESS-FRESS? DU? ICHHOLEESSEN!«

Und das waren, fand ich, die ersten vernünftigen Worte, die der Mann, der Richard Gold hieß, sagte. 

2 Frankie Boy

Damit ihr euch nicht wundert: Ich werde den Mann, der Richard Gold hieß, ab jetzt einfach Gold nennen. Aufgrund der Tatsache: Is’ kürzer und klingt besser. Diese Geschichte geht nämlich noch ne Weile, und ich möchte nicht, dass in meiner Geschichte jemand Richard heißt. Kann er ja nix dafür, dass er so heißt, aber der Name is’ nun mal Mist.

Mit Namen, die Mist sind, kenn ich mich aus. Meine Mutter nannte mich Nummer 5. Meine Geschwister hießen Nummer 1, Nummer 2, Nummer 3, Nummer 4, Nummer 6 und Nummer 8. Die Nummer 7 wurde nicht vergeben, weil die 7, so sagte meine Mutter, großes Unglück bringt. Deshalb hieß Nummer 7 offiziell Nummer 8, war aber inoffiziell Nummer 7. Und sein Spitzname war: 78.

Später, als ich im Tierheim lebte, nannten mich die Menschen dann Milchbart, wegen meines weißen Kinns. Und damit war’s auch gleich vorbei mit Respekt. Alle Tiere lachten über mich und meinen Namen. Milchbart! Sogar der Zwergpekinese im Nebenkäfig, der aussah, als wäre er aus Resten anderer Tiere zusammengeschraubt worden, lachte.

Irgendwann holte mich dann ne Familie mit Kindern ab und gab mir einen neuen Namen: »Herbert«. Manchmal auch »Herr Bert«. Sie fanden’s alle lustig und süß, und ich dachte nur: Warum seid ihr so grausam?

Die Kinder waren die Grausamsten. Hielten zum Spaß ein Feuerzeug an meinen Schwanz oder warfen mich wie einen Ball zwischen sich hin und her und riefen: »Flieg, Herr Bert!« Aus Angst hab ich dann einem der Kinder meine Krallen quer übers Gesicht gezogen. Und gleich noch mal. War ne blutige Sache. Anschließend saß ich wieder im Tierheim.

Und hieß wieder Milchbart.

Als ich schon dachte, dass ich mein Leben lang Milchbart bleiben würde, stand eines Tages die alte Frau Berkowitz vor dem Käfig. Sie sah mich an, strich mir über den Kopf und sagte: »Milchbart? Das ist dein Name? Heilige Scheiße!« Sie war ne feine Dame, aber ihre Worte waren oft nicht so fein.

Wenn ich heute manchmal nicht so feine Worte sage, dann wisst ihr: Is’ nicht meine Schuld. Sondern pädagogischer Fehler in der Erziehung.

Die alte Frau Berkowitz nahm mich mit und hat zu Hause ein paar Tage überlegt und dabei viel Musik gehört. Von einem Mann aus Amerika, den sie Frankie Boy Sinatra nannte. Dieser Frankie Boy sang schön, wenn auch nicht so schön wie ne Kohlmeise. Aber für nen Menschen schon okay. Jedenfalls sagte die alte Frau Berkowitz zu mir: »Frankie. Wie gefällt dir der Name?« Und ich dachte: Wow. Und fiel fast um vor Begeisterung. Anschließend bin ich durchs Dorf gejagt und rief allen zu: »Ich bin Frankie! Ich trage den Namen von Frankie Boy aus Amerika!«

So, jetzt wisst ihr, wie ich zu meinem super Namen kam. Aber das wollt ich gar nicht erzählen.

Ich wollt nämlich was ganz anderes erzählen. Aber ich lass mich schnell ablenken. Ich sag deshalb oft zu mir: Du darfst beim Erzählen nicht den Fokus verlier’n, Frankie! Aber is’ nicht leicht. Auch weil ich nicht richtig weiß, was ’n Fokus is’. Also so ungefähr schon. Aber nicht genau. Nur dass man ihn nicht verlier’n darf. Also, wo waren wir?

Ich lag auf der Couch im verlassenen Haus und hörte, wie der Mann, den ich nur Gold nennen werde, im Haus herumlief. Türen klapperten. Anscheinend hatte er überall Essen versteckt. Und der Gedanke an Essen machte mich ganz verrückt. Bis auf Grashüpfer und ’n Zipfel alte Wurst, der aus ner Mülltonne hing, hatte ich nix im Bauch. Aber ich hatte auch Schiss, klar. Ich kannte Gold nicht. Ich kannte das verlassene Haus nicht. Aber ich war auch extremst neugierig, also sprang ich von der Couch und schaute mich um.

Ich war noch wackelig auf den Pfoten und bekam gleich mal nen Riesenschreck, denn: Da war ein anderer Kater. Mein Schwanz wurde buschig wie ’n alter Besen, ich fauchte, aber dann kam mir was komisch vor. Der Kater sah aus wie ich. Nur in Schwarz. Und da hab ich was kapiert: Nämlich, dass ich vor nem riesigen Fernseher stand und in die Scheibe glotzte.

Ich hab schon einige Fernseher gesehen, aber der hier war so groß, der hörte gar nicht mehr auf an allen Ecken und Enden. Heilige Scheiße!

Ich liebe Fernsehen. Vor allem wenn Tiere mitspielen. Am besten gefallen mir so Tierfilme über Pinguine, die im Schneesturm vor nem Eisloch stehen und ewig auf ’n Fisch warten. Ich kapiere Pinguine einfach nicht, aber ich würd gern mal mit einem reden. Über sein Leben.

Wenn Menschen in Filmen mitspielen, isses langweilig, denn Menschen machen im Fernsehen fast immer das Gleiche: andere Menschen abmurksen. Auf alle erdenklichen Weisen. Warum, weiß ich nicht, zumal sie die abgemurksten Menschen dann nie essen.

Die Vorstellung, hier jeden Abend auf der Couch zu liegen, Pfote auf der Fernbedienung, machte mich ganz fertig. Also im guten Sinne.

Ich ging weiter im Haus rum, und was ich ohne Ende sah, waren Bücher. Überall standen Regale mit Büchern. Wenn ihr mich fragt: Bücher sind Quatsch. Ich hab mal in eins reingeguckt, aber da waren viele Wörter drin und sonst nix, und ich hab nur gegähnt wie verrückt. Trotzdem hatte ich noch nie so ’n gutes Haus gesehen. Es gab Fenster mit breiten Fensterbänken, wie gebaut für einen Kater, der gerne liegt und lugt und schläft. Was mir auffiel, wie ich so rumspazierte und rumschnüffelte, war der Geruch. Es roch hier nicht nach vergammelten Mäusen oder der Pisse vom fetten Heinz, falls ihr das denkt. Es roch … irgendwie traurig. Wie ’n alter Fuchsbau, wo keiner mehr drin wohnt. Ich weiß nicht, ob ihr euch mal in nem alten Fuchsbau, wo keiner mehr drin wohnt, umgeschaut habt. Aber da is’ die Stimmung auch nicht gut, und alles riecht nach Vergangenheit und Abschied und glücklichen Fuchsjahren, die nie wiederkommen.

Hier war’s ganz ähnlich.

Ich ging ne Treppe rauf. Und da waren wieder Zimmer und wieder Bücher. Aber da war auch ein großes Bett, und ich sprang direkt hinein. Ganz automatisch. Ich trat wie ’n Irrer auf der weichen Bettdecke herum, latsch-latsch-latsch, und ich begann zu schnurren, auch ganz automatisch.

Wann ich das letzte Mal in nem Bett lag, hab ich vergessen. Aber ich kann euch erzählen, wo ich wohne. Hinten am Dorf dran, ganz am Ende vom Großen Weg, liegt ’n kleiner eingezäunter Berg. Da schmeißen die Menschen alles rauf, was sie nicht mehr wollen. Autoreifen, Stühle, Radios, alte Strümpfe und so. Ihr glaubt nicht, was Menschen alles brauchen fürs Leben! Die sind verrückt nach Zeugs und stopfen ihre Häuser damit voll. Und wenn’s zu voll wird, schmeißen sie ’n bisschen altes Zeugs weg und holen sich neues Zeugs. Der Professor, den ihr noch kennenlernen werdet, meint, dass is’ wegen der Zivilisation. Denn die Menschen sind zivilisiert und wir Tiere nicht. Und wenn man zivilisiert is’, braucht man ne Menge Zeugs, um andere Menschen zu beeindrucken und zu zeigen, wie zivilisiert man is’. Das is’ praktisch wie bei ner Horde Gorillas, wo sich alle auf der Brust rumtrommeln und wichtigtun. Jedenfalls bin ich heilfroh, dass die Menschen so zivilisiert sind und mir nen schönen Berg gebaut haben. Ich hatte nämlich in meinem ganzen Leben kein Zeugs, bis auf das kleine Tuch um meinen Hals. Das hat mir die alte Frau Berkowitz geschenkt, und ich trage es wegen der Erinnerung an sie.

Aber ich wollte euch ja erzählen, wo ich wohne. Ganz oben, wo das viele Zeugs der Menschen is’, auf der Bergspitze, liegt ne verrostete Badewanne, an einen großen Stein gekippt, die Füße zum Himmel. Und da wohne ich drin. Oder besser: drunter.

Wenn man auf ner Bergspitze wohnt, dann hat man’s gut. Wegen der Aussicht. Und der super Luft hier oben. Aber oft isses auch schlecht. Wegen der Waschbären, die nachts herumschleichen mit ihren scharfen Schnauzen und mir ne Scheißangst einjagen.