Frauen in der DDR - Anna Kaminsky - E-Book

Frauen in der DDR E-Book

Anna Kaminsky

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Beschreibung

Wie lebten Frauen in der DDR?

Im Rückblick erscheinen sie oft wie »siebenarmige Göttinnen«, die es offenbar spielend schafften, Berufstätigkeit, Mutterschaft und Emanzipation unter einen Hut zu bringen und bei alldem fröhlich durchs Leben zu gehen. Ihnen standen viele Wege offen, da, so die offizielle Lesart, der Staat vorbildlich für »seine Frauen« sorgte. Frauen in der DDR waren aber zugleich zwischen all ihren Rollen zerrissen – wie die Heldinnen aus den Erzählungen von Brigitte Reimann oder Maxie Wander, die sich gegen die ihnen gesetzten Grenzen auflehnten, und oftmals scheiterten.
Anna Kaminsky wagt einen Gesamtblick auf die Situation von Frauen in der DDR, der das politische Leben genauso einschließt wie das berufliche und das private. Fotografien von Barbara Köppe, Uwe Gerig, Klaus Mehner und Harald Schmitt sowie biografische Porträts werfen Schlaglichter auf die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe.

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Seitenzahl: 434

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Anna Kaminsky

FRAUEN inder DDR

Ch. Links Verlag, Berlin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

2., erweiterte Auflage, 2020,

entspricht der 3. Druckauflage vom Februar 2020

© Christoph Links Verlag GmbH, 2016

Prinzenstr. 85 D, 10969 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Umschlaggestaltung: Stephanie Raubach, Berlin, unter Verwendung

eines Fotos von 1984 von Sibylle Bergemann/OSTKREUZ (940000sb33),

auf dem Birgit Karbjinski zu sehen ist

Satz: Agentur Marina Siegemund, Berlin

eISBN 978-3-86284-364-0

Inhalt

Vorwort zur 3. Auflage

Selbstbewusst und lebensfroh?

Frauen in der DDR

Arbeite mit – plane mit – regiere mit!

Frauen in Politik und Öffentlichkeit

»Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten«

Von der »Volksgenossin« zur Trümmerfrau

Überlebenskünstlerinnen in Ruinen

»Wir helfen«

»Gesellschaftlich nützliche Arbeit«

»Die SED ist die Partei der Frauen«

Der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD)

Frauen und der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB)

Frauen in der Politik

Gleichberechtigte Teilnahme an der Erwerbsarbeit

Der Arbeitsalltag

»Frauen bauen auf«

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit?

»Gibt es eine schönere und größere Verpflichtung?«

Oma- und Hausfrauenbrigaden

Frauen in »Männerberufen«

»Meine Mutti ist Abteilungsleiter«

Frauen in Justiz, Polizei, Militär und Staatssicherheit

Frauen auf dem Land

Kampf den »Schmarotzerinnen«

Die Pflicht zur Arbeit

Die zweite Schicht

Mehrfachbelastung von Frauen durch Beruf, Haushalt und Familie

Hemmnisse für die Berufstätigkeit

Die voll berufstätige Mutter

»Moderne Menschen kaufen modern«

Waschtage ohne Waschplage

Der sozialistische Haushalt

»Mehr Freizeit für sie«

Die »sinnvolle Nutzung« der Freizeit

Keine Einbußen an häuslicher Bequemlichkeit

Verunsicherte Männer

»Jung gefreit hat nie gereut«

Partnerschaft und Familienplanung

Keine Privatangelegenheit

Frühe Heirat

Sie sucht ihn und er sucht sie

Eheberatung

Scheidungen in der DDR

Familienplanung und Selbstbestimmungsrecht

Jung gegen alt

Die neue Frau

Zwischen »Zierde des Mannes« und »sozialistischer Persönlichkeit«

Die Frau von heute

Zwischen Tee und Werkbank

»Der sozialistische Mensch, den es zu bekleiden gilt«

Wider den »hektischen Modewechsel«

Meisterin der Improvisation

»So wie Dir geht es Michele in Paris«

Die »unsichtbaren Frauen«

»Guten Morgen, du Schöne«

Frauen in Literatur, Film und Sport

Der entschiedene Kampf gegen das Alte

Das schönste Gesicht des Sozialismus

»Nicht schummeln, Liebling!«

»Wir müssen schreien, damit man uns hört«

Repression, politische Verfolgung und Opposition

Menschliche Reparationen

Mit der ganzen Härte des Gesetzes

Der dunkle Ort

Frauen für den Frieden

»Wir treten aus unseren Rollen heraus«

Und die Schwestern im Westen?

Frauen in der Bundesrepublik

Gleichberechtigung, Gleichstellung, Emanzipation, Feminismus – oder was ist hier die Frage?

Das bisschen Haushalt …

Frauen im öffentlichen Leben und in der Politik

»Der Mief von 1000 Jahren …«

Emanzipation ade?

Ostdeutsche Frauen nach 1989

Mythos »DDR-Frau«

»Ein allgemeines Bedürfnis nach Berufstätigkeit«

Anhang

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Beschlüsse, Verordnungen und Gesetze zur Förderung der Frau (1945 – 1989)

Aus den Grußadressen der SED-Führung zum Internationalen Frauentag am 8. März

Abkürzungen

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Personenregister

Dank

Zur Autorin

Vorwort zur 3. Auflage

Seitdem die erste Auflage des Buches »Frauen in der DDR« 2016 erschienen ist, habe ich viele interessante Diskussionen mit Frauen und Männern aus Ost und West erlebt. Besonders für die Frauen aus der DDR standen zwei Themen im Vordergrund: Wie erinnern sie ihr Leben in der DDR, und was hat sich für sie nach 1990 im vereinten Deutschland verändert? Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass die Erfahrungen nach 1990 die Sichtweise auf die DDR bedingen. Frauen, die nach 1990 ihre Arbeit verloren haben, deren Berufsabschlüsse oder Qualifikationen nicht anerkannt wurden, erinnerten sich vor allem an das Gefühl, in der DDR gebraucht worden zu sein und eine sinnvolle Arbeit getan zu haben. Diese Erfahrung vermissen viele besonders ältere Frauen bis heute, und der Verlust von individueller und gesellschaftlicher Wertschätzung und beruflicher Erfüllung prägt viele Erinnerungen.

Gleichzeitig zog sich Mitleid mit den jungen Frauen von heute wie ein roter Faden durch viele Gespräche, der sowohl von älteren als auch von jüngeren Frauen (und Männern) aufgegriffen wurde: Ja, die Frauen damals in der DDR hatten es gut, die konnten Beruf und Familie unter einen Hut bringen. Oft mit dem Nachsatz: Heute ist auch nicht alles gut! Immer wieder habe ich auch von Frauen aus Westdeutschland gehört: Wie sehr haben wir uns vor 1989 die Bedingungen gewünscht, die die DDR-Frauen hatten. Mich haben diese Argumentationen oft ratlos gemacht: Steht es um die heutige Frauenpolitik wirklich so schlecht, dass man sich nach der DDR zurücksehnt?

Zeitgleich zur ersten Auflage des Buches bekam das Thema Frauen und Gleichberechtigung eine neue Relevanz. Die Diskussionen drehten sich um die Arbeitskraft von Frauen und die Frage, unter welchen Bedingungen diese sich am besten nutzen lässt. Eine geringere Rolle spielte, was Frauen und Männer brauchen, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Vielmehr schien es darum zu gehen, dass Frauen unter allen Umständen arbeiten gehen sollten. Gestritten wurde darüber, ob Frauen, die länger als die vom Staat gewährten Elternmonate bei ihren Kindern bleiben, rückständig sind. Ihnen wurden und werden gravierende Karrierenachteile prophezeit. Warum soll eine Frau, die drei Jahre mit ihren Kindern zu Hause bleibt, nicht genauso emanzipiert und gleichberechtigt sein wie eine Frau, die nach der Geburt nur sechs Wochen zu Hause bleibt? Während Männer dafür gefeiert werden, wenn sie sich mehr Zeit für ihre Kinder nehmen und als »Hausmann« den Haushalt schmeißen und dafür sogar als »Spitzenvater« ausgezeichnet werden, wird dies bei Frauen als rückständig angesehen.

Da bei den Diskussionen immer wieder der Vergleich mit dem Westen Deutschlands eine große Rolle spielte, ist in dieser Auflage ein Kapitel aufgenommen worden, das die Entwicklungen in der Bundesrepublik nachzeichnet.

Egal wie modern unsere Gesellschaft und unser Leben sind, Familien werden immer wieder vor ähnlichen Problemen stehen. Es geht darum, dass moderne Lösungen gefunden werden, damit Familien sich für das ihnen genehme Lebensmodell entscheiden können. Dazu gehört, Familien, Männer und Frauen darin zu bestärken, dass sie den für sie besten Weg wählen – ohne zu suggerieren, alles wäre zum Nulltarif und ohne Anstrengungen und Einschränkungen zu haben. Das heißt, dass ausreichend und gut ausgestattete Betreuungsmöglichkeiten für alle Kinder zur Verfügung stehen müssen, damit Eltern und vor allem Frauen sich wirklich frei entscheiden können, wie sie leben wollen. Für mich gehört dazu, dass Frauen oder Männern für die Zeit, die sie mit der Betreuung und Erziehung von Kindern zubringen, und die deshalb im Beruf zurückstecken, ein angemessener Ausgleich ihrer Rentenansprüche gewährt wird. Es geht letztlich um Anerkennung und Respekt. Denn nach wie vor gilt: Kinder sind die Zukunft, und diese Zukunft braucht Investitionen in materieller und emotionaler Hinsicht.

Selbstbewusst und lebensfroh?

Frauen in der DDR

Als das Leben in der DDR nach 1990 bewertet und häufig kritisch hinterfragt wurde, hatte kaum noch etwas Bestand. In einem war man sich in Ost wie West jedoch einig: Auch wenn vieles nicht gut gewesen war – immerhin waren die Frauen gleichberechtigt gewesen. So mancher kam sogar zu dem Schluss, dass das »Beste an der DDR« die Frauen gewesen seien.1

In der Tat hatten Frauen in der DDR dieselben Rechte wie die Männer. Diese Gleichberechtigung wurde 1946/47 in die Verfassungen der damals noch bestehenden Länder bzw. Provinzen in der Sowjetischen Besatzungszone ebenso aufgenommen wie 1949 in die erste Verfassung der DDR.2 Frauen in der DDR verdienten ihr eigenes Geld und waren wirtschaftlich unabhängig. Sie konnten selbst entscheiden, ob und wo sie arbeiteten. Dass sie »Männerberufe« ergriffen, war erwünscht und wurde gefördert. Bereits seit 1947 galt das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«. Um Frauen die Berufstätigkeit zu ermöglichen, gab es ab den 1980er Jahren für fast alle Kinder ab dem zweiten Lebensjahr Betreuungsplätze. Zahlreiche Verordnungen und Gesetze vom Arbeitsgesetzbuch bis zum Familiengesetzbuch der DDR zielten darauf ab, Frauen Beruf und Familie gleichzeitig zu ermöglichen. Regelungen zum Arbeitsschutz, zur Freistellung bei Krankheit der Kinder, die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit und den monatlichen Haushaltstag empfanden viele Frauen als Erleichterungen beim schwierigen Spagat zwischen allen Anforderungen. Die Regelungen zeigen aber auch deutlich: Die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit, Haushalt und Familie wurde als Problem von Frauen, nicht von Männern und Frauen gemeinsam angesehen.

Im März 1981 warben zwei Plakate in der Innenstadt von Stralsund für den sozialistischen Aufbau durch die Frauen und Männer der DDR. »Das schaffen wir«, verhieß das erste, »Das packen wir« das zweite (© Harald Schmitt).

Die moderne Frau in der DDR sollte nicht nur voll berufstätig sein. Sie sollte sich auch ständig weiterbilden und in gesellschaftlichen Organisationen aktiv sein. Sie sollte den Haushalt meistern und eine gute Köchin sein. Ihren Kindern sollte sie eine liebevolle Mutter und ihrem Mann eine zwar beruflich gleichberechtigte, aber dennoch fürsorgliche Ehefrau sein. Frauen standen viele Wege offen – und all das, so die offizielle Lesart, weil der Staat DDR vorbildlich für »seine Frauen« sorgte. »Selbstbewußt, klug und umsichtig vollbringen Frauen hervorragende Leistungen im Beruf, bei der Erziehung ihrer Kinder und der Lenkung und Leitung unseres Staates. Ihnen voran gehen die Arbeiterinnen als die fortschrittlichste Kraft unter den Frauen.«3 So beschrieb die Parteipropaganda 1961 die Rolle der Frau in der Gesellschaft der DDR. In seinen Lebenserinnerungen vermerkte Erich Honecker 1980: »Hätte unsere Partei nur die Kräfte der Frauen geweckt, ihnen in der Gesellschaft den Platz eingeräumt, der ihnen gebührt, so wären allein schon damit die Menschlichkeit und der fortschrittliche Charakter des Sozialismus bewiesen.«4

Aber hält dieses Bild des vorbildlich für seine Frauen sorgenden Staates DDR einer kritischen Prüfung stand?

Frauen in der DDR konnten volle Berufstätigkeit, Mutterschaft und Emanzipation nicht so spielend leicht unter einen Hut bringen, wie es zu DDR-Zeiten behauptet und nach dem Ende der DDR als Mythos gepflegt wurde. Sie waren wie die zwischen all ihren Rollen zerrissenen Heldinnen aus den Erzählungen von Brigitte Reimann, Irmtraud Morgner oder Maxie Wander: Frauen, die sich gegen die ihnen vorgegebenen Rollen und Grenzen auflehnten – und oftmals scheiterten. Frauen, die wie Franziska Linkerhand in Brigitte Reimanns gleichnamigem Roman für sich in Anspruch nahmen, gegen gesellschaftliche und politische Erwartungen zu verstoßen. Frauen, die als typisch für sie angesehene Eigenschaften wie »Geduld, Selbstlosigkeit, die altmodischen Tugenden, die man den Frauen wie Handschellen anlegt«,5 nicht annehmen wollten. Frauen, die sich wie bei Maxie Wander »wie ein lahmer Frosch fühlen«, weil sie den Eindruck hatten, »dauernd gehindert [zu] werden, vom vorgeschriebenen Weg abzuweichen, im Elternhaus, in der Schule, im Beruf, in der Politik, sogar in der Liebe […]«.6

Was hieß es, als Frau in der DDR zu leben? Die Lebensrealitäten von Frauen unterschieden sich nicht nur zwischen den verschiedenen Generationen. Frauen, die in der Landwirtschaft oder in der Industrie arbeiteten, mussten andere Herausforderungen meistern als jene, die zur sozialen Schicht der »Intelligenz« gerechnet wurden. Verheiratete Frauen oder Mütter standen vor anderen Problemen als unverheiratete. Und nicht zuletzt spielte eine entscheidende Rolle, wo die Frauen lebten, auf dem Land, in einer Kleinstadt oder im »Schaufenster des Sozialismus«, in Ost-Berlin.

Frauen lebten in den 1940er und 1950er Jahren unter anderen Rahmenbedingungen und mit anderen Rollenbildern als jene, die seit den 1960ern in den verfestigten Strukturen der DDR aufwuchsen. Die nach dem Mauerbau Geborenen hatten viele der Hoffnungen, die die sogenannte »Aufbaugeneration« in die DDR gesetzt hatte, nicht mehr: »Wir wurden in einem geschlossenen System erzogen und auf eine Zukunft vorbereitet, die nicht eintrat. Unsere Generation war zu jung, um verantwortlich zu sein, und zu alt, um nicht nachhaltig beeinflusst und geprägt worden zu sein«, wie es eine junge Frau im Film »Zonenmädchen« ausdrückte.7 Für viele von ihnen war ein Leben, wie es ihre Mütter und Großmütter geführt hatten, nicht mehr vorstellbar: mit Berufstätigkeit und einem kräftezehrenden Alltag voller Versorgungsprobleme und Einschränkungen, die wenig Zeit und Energie für die Kinder, für die Familie oder gar für Hobbys und Selbstverwirklichung ließen. Sie suchten nach anderen, neuen Wegen, um ihre Vorstellungen von einem erfüllten Leben mit den Anforderungen, die Staat und Gesellschaft an sie stellten, in Einklang zu bringen. Dazu gehörte auch, sich staatlichen Erwartungen zu entziehen, sei es, indem der Rückzug in private Nischen forciert wurde oder indem die Forderungen nach voller Berufstätigkeit und gleichzeitiger Familiengründung mit einem Geburtenrückgang beantwortet wurden. Für eine große Mehrheit der jungen Frauen gehörte Berufstätigkeit selbstverständlich zu einem erfüllten Leben, auch wenn sich immer mehr Frauen flexible Arbeitsmöglichkeiten mit einem späteren Arbeitsbeginn und verkürzten Arbeitszeiten wünschten, um allen Anforderungen gerecht zu werden. In der Realität arbeiteten Frauen in der DDR jedoch mehrheitlich Vollzeit, teilweise im Dreischichtsystem und nur in einer Minderheit der Fälle in Teilzeit.8

Gleichberechtigung hieß in der DDR vor allem: Arbeiten wie die Männer. Während es für viele Frauen nach dem Krieg ein Gebot der Not war, arbeiten zu gehen und die fehlenden Männer in der Produktion zu ersetzen, wurde die Arbeit für ihre Töchter und Enkelinnen zum Teil ihres Selbstverständnisses als moderne Frauen, die aus ihrer Erwerbstätigkeit und finanziellen Eigenständigkeit Selbstbewusstsein bezogen. Während die Frauen der Kriegsgeneration in einer Gesellschaft aufgewachsen waren, in der die Berufstätigkeit verheirateter Frauen bekämpft wurde und die klassische Arbeitsteilung hieß »Der Mann bringt das Geld nach Hause, und die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder«, war vielen Frauen mit dem Krieg – wie Edith Baumann 1946 auf der ersten Delegiertenkonferenz der Frauenausschüsse feststellte – »nicht nur die wirtschaftliche Basis entzogen [worden], sondern, und das scheint mir das Entscheidende zu sein, ihnen ist eine seit Jahrhunderten überlieferte Welt der persönlichen Lebensgestaltung zerbrochen. Hunderttausende unserer deutschen Mädchen werden ihr Lebensziel nicht in der umsorgten Häuslichkeit der Familie suchen dürfen; sie werden einen langen Lebensweg allein gehen müssen.«9 Welche gravierenden Auswirkungen dies für Frauen und ihre Lebensgestaltung letztlich hatte, konnte sich 1946 wohl kaum jemand vorstellen.

Die politischen und gesellschaftlichen Leitbilder beruhten darauf, dass sich alle Lebensbereiche der Arbeit unterzuordnen hatten. Nur durch volle Berufstätigkeit würden Frauen ein erfülltes Leben führen können, hieß es. Frauen, die einen anderen Lebensweg einschlugen, wurden insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren an den propagandistischen Pranger gestellt und als »Heimchen am Herd« und »Schmarotzerinnen« lächerlich gemacht. In der DDR der 1950er Jahre ging es vor allem darum, Hausfrauen für die Berufstätigkeit und den Aufbau der industriellen Basis zu gewinnen, da durch die Massenflucht in den Westen qualifizierte Arbeitskräfte fehlten. Nicht umsonst lautete der Slogan für Frauenarbeit, dass »Frauen ihren Mann in der Produktion stehen« sollten. Während Ende der 1950er Jahre 56 Prozent der Frauen arbeiten gingen, waren es Ende der 1960er Jahre bereits 80 Prozent und Ende der 1980er Jahre über 90 Prozent, was auch im internationalen Vergleich eine der höchsten Erwerbstätigenquoten darstellte.10

Nachdem viele Frauen in den 1950er Jahren in die Erwerbstätigkeit gebracht worden waren, stand in den 1960er Jahren vor allem die Qualifizierung von Frauen – auch für Männerberufe – im Vordergrund. Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 war zwar die Massenflucht aus der DDR und damit die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften gestoppt worden, dennoch blieb eine der größten Herausforderungen, den Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Aber auch mit der massenhaften Erwerbstätigkeit von Frauen waren Probleme verbunden, die nicht nur die oder den Einzelne(n), sondern auch Staat und Gesellschaft überforderten. Um Frauen dauerhaft in Arbeit zu bringen, mussten dringend bei Kinderbetreuung und Hausarbeit Erleichterungen geschaffen werden. Bis zum Ende der DDR wurde hierfür jedoch keine zufriedenstellende Lösung gefunden.

Bei allen ideologischen Kampagnen kam man nicht umhin zu erklären, wie die Menschen persönlich davon profitieren würden, wenn ein Großteil der Frauen arbeiten ginge. In den 1950er Jahren hätte man mit dem später oft verwendeten Argument, dass zur Gleichberechtigung der Frau unbedingt materielle und finanzielle Unabhängigkeit gehöre, viele Männer eher abgeschreckt. So betonte man andere Vorteile, die die Berufstätigkeit von Frauen mit sich bringen würde. Die Mitarbeit der Frau helfe dabei, die allgemeinen Lebensbedingungen zu verbessern und das Konsumgüterangebot zu vergrößern. Das zweite Einkommen erhöhe außerdem die finanziellen Spielräume in den Familien. In Zeitungsberichten und Romanen wurde immer wieder darauf verwiesen, was sich Familien alles zusätzlich leisten konnten, wenn die Frau arbeiten ging. Bei »Regine Haberkorn« war es im Roman von Elfriede Brüning das neue Schlafzimmer, das sich die Nachbarin leistete, und die Möglichkeit, nicht nur am Wochenende Fleisch auf den Tisch zu bringen.11

In den 1960er Jahren konnte man die Menschen in der DDR nicht mehr mit dem Versprechen auf eine bessere Zukunft vertrösten. »So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben« mochte in den 1950er Jahren noch motivierend geklungen haben. Für die DDR-Bevölkerung der 1960er Jahre war dies 20 Jahre nach dem Krieg nicht mehr überzeugend, zumal sich bei ihnen längst die Gewissheit durchgesetzt hatte, dass es sich im Westen besser lebte. Mit dem Machtwechsel an der SED-Spitze von Walter Ulbricht – der die DDR seit Juni 1950 beherrscht hatte – zu Erich Honecker 1971 verbanden sich daher viele Hoffnungen: Ein jüngerer Staatschef würde die seit Jahren gegebenen Versprechen auf eine Erleichterung der Lebensbedingungen und eine bessere Versorgung nun endlich erfüllen. Von dem Generationenwechsel erhofften sich viele auch eine Liberalisierung der Verhältnisse oder gar eine Annäherung an die Bundesrepublik. In der Tat wurde nach dem Machtantritt Honeckers die politische Funkstille zwischen der Bundesrepublik und der DDR offiziell beendet. Beide Staaten unterzeichneten im Dezember 1972 den Grundlagenvertrag und richteten jeweils Ständige Vertretungen in der Hauptstadt des anderen Teilstaates ein. Während sich die Hoffnungen vieler DDR-Bürger auf innenpolitische Entspannung und die Lockerung des Reiseverbots in den Westen nicht erfüllten, setzte Honecker auf die Befriedung der Bevölkerung durch soziale Wohltaten. Kern seiner sozialen Versprechen war das Wohnungsbauprogramm, mit dem bis 1990 die Wohnungsnot in der DDR beseitigt werden sollte. Nun hieß es »Ich leiste was, ich leiste mir was«.12

Werbeplakat von 1981 anlässlich des X. Parteitages der SED mit dem Slogan: »Ich leiste was, ich leiste mir was«, das die auf Verzicht gegründete Propaganda der vorherigen Jahrzehnte ablöste

Und tatsächlich verbesserte sich die Lage. Tausende neue Wohnungen mit Zentralheizung und Warmwasserversorgung wurden gebaut, die bevorzugt an Familien mit Kindern vergeben wurden. Hier musste nach einem langen Arbeitstag nicht erst geheizt werden, um es warm zu haben, und die Toiletten lagen in der Wohnung und nicht im Hof oder im Treppenhaus. Auch den Frauen wurde abermals Erleichterung versprochen. In den neu entstehenden Wohnvierteln sollten die Familien alle sozialen Einrichtungen in unmittelbarer Nähe vorfinden: Kindergärten und Schulen, Kaufhallen und Dienstleistungseinrichtungen. Die seit Jahren angekündigte bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte in greifbare Nähe rücken. So gut die Pläne gedacht waren, so schlecht war es um die materiellen Ressourcen für ihre Realisierung bestellt. Oftmals dauerte es Jahre, bis die Kindergärten und Kaufhallen fertiggestellt waren. Auch die verkehrstechnische Anbindung der »Schlafstädte« an die Innenstädte oder Industriebetriebe ließ zu wünschen übrig, sodass der Umzug in eine Neubauwohnung zwar tatsächlich mehr Komfort bedeutete, aber die sonstigen Schwierigkeiten wie das unberechenbare Angebot an Waren oder die unzureichende Versorgung mit Dienstleistungen aller Art, die den Alltag so beschwerlich und kräftezehrend machten, ungelöst blieben.

Das Konzept von Gleichberechtigung in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR war ein ökonomisches. Dabei stützte sich die SED auf Überlegungen von Friedrich Engels, Clara Zetkin und August Bebel. Die Frauenfrage müsse als Teil der sozialen Frage gelöst werden, und dies sei dann der Fall, wenn die Arbeiter insgesamt aus der ökonomischen Abhängigkeit des Kapitals erlöst würden. Mit der ökonomischen Befreiung der Frau und ihrer gleichberechtigten Integration in den Arbeitsprozess würde automatisch auch die soziale und individuelle Unabhängigkeit eintreten.13 Bereits die »Teilnahme am Arbeitsprozeß«, so die Annahme, würde die Frau dem Mann gleichstellen und bisher bestehende Unterschiede aufheben.14 Damit wurde die Frage der Gleichberechtigung von Frauen vor allem auf die Aspekte der Frauenarbeit reduziert. In diesen Vorstellungen spiegelten sich zeittypische Erfahrungen, die europaweit geteilt wurden. Frauen aus der vollkommenen – vor allem finanziellen – Abhängigkeit von Männern zu befreien, schien der richtige Ansatz für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Darüber hinausgehende Vorstellungen im Hinblick auf Selbstverwirklichung oder gleichberechtigte Teilhabe an Politik und Gesellschaft waren in diesem Konzept nicht vorgesehen. Wie Der Spiegel 1969 in einem Bericht über die Situation der Frauen in der DDR schrieb, war »das Leitbild der politischen Partizipation der Frau in der DDR […], daß durch ihre Erwerbstätigkeit nicht nur ihre Gleichberechtigung gesichert sei, die Frau helfe dadurch auch, die Wirtschaft des Landes zu stärken und damit die DDR aufzubauen und zu stabilisieren«.15 Noch bestehende Probleme würden sich demzufolge gesetzmäßig in der weiteren Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft lösen.

Die Anforderungen, die eine Frau in der DDR zu erfüllen hatte, um als gleichberechtigt und modern anerkannt zu werden, legte die SED fest. Ihr Leitbild war die voll arbeitende Mutter, die mehrere Kinder aufzog. Frauen sollten – so wie Engels es beschrieben hatte – durch Hausarbeit nur noch »in unbedeutendem Maße« in Anspruch genommen werden, da diese vergemeinschaftet würde.16 Der diesen Vorstellungen zugrunde liegende Erfahrungshintergrund vieler führender SED-Genossen speiste sich aus ihrer proletarischen Herkunft und den dort erlebten Aufgabenbereichen ihrer Frauen und Mütter: Frauen arbeiteten in der Regel und erledigten nach der Arbeit den (überschaubaren) Haushalt. Die Betreuung der Kinder war zumeist eine sich selbst regelnde Angelegenheit, bei der die größeren Geschwister auf die kleineren aufpassten. Das später in der DDR erreichte flächendeckende Angebot an Kinderbetreuung stellte vor diesem Erfahrungshintergrund in der Tat einen enormen Fortschritt dar. Zudem erhielten in den 1970er Jahren alle berufstätigen Frauen einen monatlichen Haushaltstag, was vorher nur verheirateten Frauen oder Müttern zugestanden worden war. Die Regelungen für die Pflege kranker Kinder und den Mutterschutz wurden weiter verbessert. Die SED tat vieles, um Frauen zu motivieren, an die zweite Schicht mit Hausarbeit und Familie noch eine dritte Schicht – zur Weiterbildung und Qualifizierung – anzuhängen.

Auf den ersten Blick hatten Frauen in der DDR also gute Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung: Sie waren in die Arbeitswelt integriert. Ihnen standen viele Berufe offen. Die Hälfte der Studierenden an den Universitäten waren ab den 1970er Jahren Frauen.17 Sie heirateten früh und konnten sich ohne Probleme scheiden lassen, denn durch die hohe Erwerbsquote waren die meisten Frauen wirtschaftlich unabhängig. Kinder, die Frauen in der DDR in der Regel bereits mit Anfang 20 bekamen,18 waren aufgrund der umfassenden Kinderbetreuung selten ein Grund, Ausbildung oder Studium abzubrechen. Viele Frauen schätzten die Möglichkeiten für Bildung und Berufsleben und die damit verbundene Selbständigkeit und Unabhängigkeit.

Obwohl der Staat immer wieder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beschwor und versuchte, entsprechende Angebote und Strukturen zu bieten, erlebten viele Frauen täglich die große Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der Spagat zwischen Familie und Arbeitsleben brachte eine immense Mehrfachbelastung mit sich. Vor allem die Organisation des Alltags, die langen Arbeits- und Wegezeiten und die Bewältigung der Hausarbeit lasteten insbesondere auf den Frauen. Für den Haushalt wurden bereits in den 1950er Jahren Erleichterungen versprochen, mit denen Frauen für die Erwerbstätigkeit geworben und auch in diese gedrängt wurden. Doch diese Erleichterungen ließen bis zuletzt auf sich warten. Durch die rigiden Arbeitszeiten waren Kinder und Familien großem Stress ausgesetzt. In Eingaben und Leserbriefen beschrieben Frauen immer wieder, wie sehr es sie belastete, schon die kleinen Kinder vor sechs Uhr aus den Betten holen zu müssen, um sie rechtzeitig vor Arbeitsbeginn in der Krippe oder dem Kindergarten abgeben zu können.

Das Wandbild »Dresden grüßt seine Gäste« am Restaurant »Bastei« in der Prager Straße 1969

Die Gleichberechtigung scheiterte aber nicht nur an den Mühen des Alltags. Auch in den höchsten Partei- und Regierungsämtern sowie in Spitzenpositionen an Universitäten und in der DDR-Planwirtschaft war davon kaum etwas zu sehen. Nur wenige Frauen schafften es in höhere Funktionen in Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft: »Frauen haben hier nichts zu suchen, sie sind höchstens Statisten […], Opfer von Unterdrückung […] oder Verkörperung einer glücklichen kommunistischen Zukunft. […] Der […] intellektuell angespannt bzw. hochqualifiziert Tätige in den Zukunftstechnologien der 50er und 60er Jahre des Ostblocks – konnten nur Männer sein, keine Frauen.«19 Frauen verdienten durchschnittlich ein Drittel weniger als Männer, was insbesondere beim Eintritt ins Rentenalter spürbare Folgen hatte.20 Hinzu kam, dass von den offiziellen Vorstellungen abweichende Pläne für die Lebensgestaltung im sozialistischen Gesellschaftsmodell nicht vorgesehen waren und bekämpft, diskreditiert und kriminalisiert wurden.

Trotz aller Verbesserungen, die Frauen in der DDR erlebten – etwa bei der Gleichstellung in Ehe und Familie, bei der Förderung ihrer Berufstätigkeit oder der Wahlfreiheit beim Kinderkriegen –, war und blieb das Konzept der SED ein paternalistisches. Männer entschieden für Frauen, was gut für sie war. Frauen sollten Männern – insbesondere denen in der Parteiführung – vertrauen, dass diese schon wüssten, was gut für sie sei, und ihre Entscheidungen akzeptieren.

Die deutsche Einheit 1990 brachte für alle Menschen in der DDR – unabhängig davon, wie sie vorher zum DDR-Staat gestanden hatten – riesige Probleme und Herausforderungen mit sich. Für fast alle hieß es, sich neu zu orientieren und neu anzufangen. Die größte Anpassungsleistung erbrachten dabei die Frauen. Sie waren weit mehr als die Männer von den veränderten Lebensumständen betroffen. Vieles unterschied sich grundlegend von ihren bisherigen Erfahrungen und Gestaltungsmöglichkeiten. Während sich Männer wie in den Jahrzehnten zuvor auf den Beruf konzentrierten, mussten Frauen ganz neue Rollenbilder ausloten. Sie mussten nicht nur die für sie ungewohnt begrenzten beruflichen Perspektiven verkraften, sondern trugen auch weitgehend die Verantwortung für das Wohl der Familie und der Kinder. Frauen wurden lange als die größten Opfer der »Wende« betrachtet. Sie verloren nicht nur als Erste ihre Arbeitsplätze, sondern wurden wegen ihrer Einstellungen zu Familie und Beruf auch viel stärker als Männer angefeindet. Ihnen wurde eine »übersteigerte Erwerbsneigung« vorgehalten.

Zudem entbrannte im vereinten Deutschland sowohl in den Medien als auch in Frauenverbänden eine heftige Diskussion darüber, welche Rolle Frauen in der DDR gespielt hatten und wie emanzipiert sie im Vergleich zu ihren westdeutschen »Schwestern« tatsächlich seien. Ihnen wurde vorgeworfen, zu »unpolitisch« zu sein, weil sie mit den Forderungen der westdeutschen Frauenbewegung wenig anfangen konnten: »Für ostdeutsche Frauen ist politische Partizipation gegenwärtig Luxus. Individuell stellt – unter den derzeitigen gesellschaftlichen und Arbeitsmarktbedingungen – Existenzsicherung das Hauptproblem in ihrem Lebenszusammenhang dar.«21 Selbst bei westdeutschen Frauen fehlte es oft an Verständnis dafür, welchen Belastungen ostdeutsche Frauen vor und nach 1990 ausgesetzt waren.

Wegen des sehr hohen Anteils an berufstätigen Frauen, deren Kinder in der Regel bereits mit einem Jahr oder jünger die staatlichen Betreuungseinrichtungen besuchten, konzentrierte sich die öffentliche Debatte auf die angeblichen ostdeutschen »Rabenmütter«. Wie die Frauenzeitschrift Emma 20 Jahre später konstatiert, prallten »mit dem Fall des Eisernen Vorhangs […] zwei (Frauen)Welten aufeinander […], und mit ihnen ein Pulverfass aus Missverständnissen, Propaganda und Ignoranz. Auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung bedeutet ein Land und ein Geschlecht noch längst keine innere Einheit. Noch immer hält sich im Osten das Klischee der dekadenten West-Frau, die sich trotz Frauenbewegung mit dem Titel ihres Mannes anreden lässt, ihre Kinder als Lebenselixier betrachtet und am liebsten in Teilzeit oder gar nicht arbeitet. Genauso kursiert im Westen das Bild des grauen Mäuschens aus dem Osten, der Rabenmutter, die ihr Neugeborenes nicht schnell genug in die Krippe verfrachten kann, zur Arbeit geht und meint, damit wäre für die Gleichberechtigung doch alles getan.«22 Die Diskussionen der 1990er Jahre spiegeln vor allem die Westsicht wider. Hier herrschte ein anderes Gesellschaftsbild, nach dem Frauen ihren Platz immer noch mehrheitlich als Hausfrau und Mutter auszufüllen hatten und »konservative Bundesländer mit Stolz darauf verwiesen, keine Kindertagesstätten zu brauchen«, weil Mütter mehrheitlich zu Hause blieben.23 Während in der DDR 1989 über 92 Prozent aller Frauen einer Arbeit nachgingen, taten dies in der Bundesrepublik kaum 50 Prozent.24

Zugleich setzten die mit der deutschen Vereinigung aufeinandertreffenden Vorstellungen in Ost und West einen neuen Selbstverständigungsprozess in Gang, der auch das Frauenbild in den westlichen Bundesländern modernisierte. Was die DDR-Frauen nach 1990 an Rechten einbüßten, die in der DDR als selbstverständlich gegolten hatten, holten sich Frauen (und Männer) in Ost wie West im vereinigten Deutschland gemeinsam schrittweise zurück. Mittlerweile gehört die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum modernen Familienbild in der Bundesrepublik. Die Erwerbstätigkeit unter Frauen in Deutschland stieg zwischen 1990 und 2015 auf 73 Prozent.25 Damit liegen sie im europäischen Durchschnitt mit an der Spitze. Frauen, die ihre Kinder schon vor dem dritten Lebensjahr in eine öffentliche Einrichtung geben, werden nicht mehr als »Rabenmütter« gebrandmarkt. Eltern haben mittlerweile ein gesetzlich verbrieftes Anrecht auf Kinderbetreuung.

Angesichts der Folgewirkungen, die die Familien- und Frauenpolitik der DDR auch nach 1989 noch hat, ist es an der Zeit, jene Prägungen genauer vorzustellen, die ostdeutsche Frauen in die deutsche Einheit mitbrachten. Welche Sorgen plagten und welche Sehnsüchte hegten Frauen in der DDR? Welche Auswirkungen hatte ihre Gleichberechtigung auf die Männer? Genossen sie die Gleichberechtigung oder litten sie unter einem Staat, der ihnen nicht nur vorschrieb, was und wie sie zu arbeiten hatten, sondern sich auch in allen anderen »Frauenfragen« für zuständig erklärte? Kurz: Wer war sie, »die« ostdeutsche Frau?

Arbeite mit – plane mit – regiere mit!

Frauen in Politik und Öffentlichkeit

Die Mehrzahl der Frauen, die nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone lebten, waren in der Weimarer Republik und Nazideutschland sozialisiert worden. Sie hatten den Machtantritt der Nazis 1933 miterlebt, viele hatten Hitler zugejubelt. In der Folge hatten sie erlebt, wie schnell in den 1920er Jahren erfahrene Liberalisierungen wieder rückgängig gemacht wurden. Für sie änderte sich binnen 15 Jahren zweimal das ihnen vermittelte Frauenbild grundlegend. Die Rahmenbedingungen der ersten Demokratie in Deutschland, ihr Scheitern und die Negierung vieler frauenpolitischer Errungenschaften während der NS-Zeit prägten ihr Rollenverständnis als (Ehe-)Frauen und Mütter. Diese Erfahrungen brachten sie nach 1949 in den neuen Staat ein. In einem aber blieben die an sie gestellten Erwartungen gleich: Frauen sollten die jeweilige »neue Ordnung« bedingungslos unterstützen und die ihnen zugedachten Rollen widerspruchslos übernehmen. Von ihnen wurde nach 1945 erwartet, dass sie sich an der »demokratischen Entwicklung« und der Gestaltung der »wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse« mit ihrer ganzen Kraft beteiligten.1 Taten sie dies, wurden sie zu den »fortschrittlichen Kräften« gerechnet, die die richtigen Lehren gezogen hätten aus der »katastrophalen Lage, in die Faschismus, Imperialismus und Krieg sie wie das ganze Volk gestürzt hatten«.2

Obwohl Frauen nach Kriegsende die größte Bevölkerungsgruppe in der Sowjetischen Besatzungszone darstellten, spielten sie in den politischen Überlegungen der Besatzungsmacht und der Ende April 1945 aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten KPD-Führung unter Walter Ulbricht zunächst keine große Rolle. Es gab drängendere Probleme zu lösen. Es ging darum, die neue Ordnung aufzubauen, Nazi- und Kriegsverbrecher aufzuspüren, die Verwaltungen zu »säubern« und neu zu besetzen, grundlegende Reformen in allen Bereichen durchzuführen, die zerstörten Städte und die Industrie wieder aufzubauen, die Wirtschaft in Gang zu bringen, den Hunger zu besiegen, die Millionen Heimat- und Obdachlosen unterzubringen. Hierfür mussten alle Kräfte in den Aufbau des zerstörten Landes einbezogen werden. Frauen spielten in diesem Zusammenhang vor allem als Arbeitskräftereserve eine Rolle. Die mehrheitlich von Männern bestimmten Parteien taten sich schwer damit, ihre aus der Vorkriegszeit stammende Rhetorik der neuen Situation anzupassen. Die Aufrufe der KPD richteten sich an das »schaffende Volk in Stadt und Land. Männer und Frauen! Deutsche Jugend!«,3 bei der SPD waren es die »Arbeiter, Bauern, Bürger!«.4 Eigens an Frauen gerichtete Aufrufe forderten diese vor allem dazu auf, sich dem Aufruf »Nie wieder Krieg!« anzuschließen und sich für die Friedenspläne der KPD einzusetzen – ein Appell, dem sich viele nach den furchtbaren Kriegsjahren anschließen konnten. Es ging um den Erhalt des Friedens und den Aufbau eines »antifaschistisch-demokratischen Deutschlands«, wie Elli Schmidt, die Frauensekretärin beim Zentralkomitee (ZK) der KPD, auf der Frauenfunktionärskonferenz am 10. August 1945 erklärte.5

Erwartet wurde von Frauen zweierlei: Sie sollten den demokratischen Aufbau dadurch unterstützen, dass sie sich nicht nur an den nach dem Krieg erforderlichen Aufbauarbeiten beteiligten, sondern auch darüber hinaus berufstätig blieben. Gleichzeitig sollten sie die Politik bei der Umgestaltung von Staat und Gesellschaft im Sinne der sowjetischen Besatzungsmacht, der KPD und später der SED unterstützen. Der dazugehörige Slogan lautete später »Arbeite mit – plane mit – regiere mit!« und wurde 1968 in Artikel 21 der DDR-Verfassung aufgenommen.

»Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten«

Viele Frauen, die nach 1945 den Aufbau auf dem späteren Gebiet der DDR mitgestalteten, waren zu Beginn des Jahrhunderts geboren worden und in der Weimarer Republik erwachsen geworden. Sie hatten als junge Frauen weitreichende Liberalisierungen erlebt. Sie waren mit Artikel 109 und 119 der Weimarer Verfassung als Bürgerinnen und in der Ehe dem Mann »grundsätzlich« gleichgestellt worden.6 Bereits 1918 hatten sie das allgemeine aktive und passive Wahlrecht erhalten. Sie konnten Posten einnehmen, die zuvor ausschließlich Männern vorbehalten waren, beispielsweise konnten sie Beamtinnen und ab 1922 auch Richterinnen werden. Zudem wurden soziale Verbesserungen wie der Wöchnerinnen- und Mutterschutz sowie der Arbeits- und Kündigungsschutz für Schwangere und Stillende eingeführt. Vor allem Frauen in Angestelltenberufen in den Großstädten profitierten von den neuen Möglichkeiten. 1925 arbeitete bereits ein Drittel aller Frauen – etwa zehn Millionen.7 Sie waren vor allem als Hilfsarbeiterinnen in der Industrie tätig, als Hausangestellte, Verkäuferinnen oder in Büros als Sekretärinnen, Stenotypistinnen oder Telefonistinnen. Das neue Leitbild der unabhängigen und selbstbewussten Frau schlug sich auch in Äußerlichkeiten nieder: Die Röcke wurden kürzer, die Korsette, vormals ein unabdingbares Kleidungsstück jeder »anständigen« Frau, verschwanden. »Die gleichberechtigte, selbständige Frau, die sich bildete und arbeitete, benötigte auch Bewegungsfreiheit in der Kleidung. Die Frau trat in die Öffentlichkeit, die Mode folgte ihr«, bescheinigte etwa »Sibylles Modelexikon« Ende der 1960er Jahre den Frauen in der Weimarer Republik.8

Trotz vieler Verbesserungen blieben Frauen in der Weimarer Republik in entscheidenden Punkten benachteiligt: Sie waren Männern nur »grundsätzlich« gleichgestellt, was Einschränkungen und Ausnahmen zuließ. So wurden Frauen bei der Aufstellung von Wahllisten trotz des ihnen garantierten Wahlrechts von allen Parteien kaum berücksichtigt. Und trotz der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung durften sie nur mit Genehmigung des Ehemannes berufstätig sein.9

»Weimarer Verfassung von 1919

»Artikel 109: Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. […] Artikel 119: Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Diese beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.«

Von der »Volksgenossin« zur Trümmerfrau

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 erlebten viele Frauen, wie schnell ein neues Frauenbild Einzug hielt. Der Begriff Emanzipation wurde zu einem Schimpfwort. »Emanzipation« sei eine jüdische Erfindung, »um die vorbestimmte Geschlechterordnung zu zerstören«, hieß es in der NS-Propaganda.10 Die Frau wurde vor allem als Gehilfin des Mannes betrachtet, die ihn bei seinen Unternehmungen unterstützen und für den Nachwuchs sorgen sollte. Sie war als Hüterin des gemeinsamen Heims und Mutter möglichst vieler Kinder gedacht, um die »arische Rasse« zu stärken: »Die Frau hat die Aufgabe, schön zu sein und Kinder zur Welt zu bringen. Dafür sorgt der Mann für die Nahrung und wehrt den Feind ab.«11 Denn »wenn die deutsche Frau erst wieder ihren Wert und ihre Kraft erkannt hat, wird auch der deutsche Familiengedanke wieder groß und heilig werden«.12

Bereits am 26. Mai 1933 wurde Werbung für schwangerschaftsverhütende Mittel unter Strafe gestellt und die Möglichkeit, sich solche Mittel zu beschaffen, erschwert. Das zum 1. Juni 1933 verabschiedete Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit bedeutete für Frauen, dass sie spätestens mit ihrer Heirat die Berufstätigkeit aufgeben und sich auf den Nachwuchs konzentrieren sollten.13 Da man kein generelles Frauenarbeitsverbot verhängen wollte, mussten Anreize geschaffen werden, um verheiratete Frauen nach der Hochzeit vom Erwerbsleben fernzuhalten. So wurde das ebenfalls am 1. Juni 1933 eingeführte »Ehestandsdarlehen« nur bewilligt, wenn die Frau mit der Eheschließung ihre Arbeit aufgab.14

Propagandistisch begleitet wurde die Figur der neuen Frau durch einen überbordenden Mutterkult: Die Mutter wurde zur »wichtigsten Staatsbürgerin« erhoben, der die Verantwortung für die Erhaltung des deutschen Volkes oblag.15 Sie sollte hingebungsvoll sein und alle Leiden geduldig ertragen. Mädchen wurde bereits in der Schule vermittelt, dass es ihre Bestimmung sei, eine »deutsche Mutter« zu werden. Gewünscht waren entsprechend den »Zehn Geboten für die Gattenwahl« des Reichsausschusses für Volksgesundheit drei oder vier Kinder. Das zehnte Gebot hieß: »Du sollst dir möglichst viele Kinder wünschen«, denn »erst bei drei bis vier Kindern bleibt der Bestand des Volkes sichergestellt«.16 Um das Mutterbild auch in der Öffentlichkeit weiter aufzuwerten, wurde 1934 der Muttertag, der seit Anfang der 1920er Jahre in Deutschland begangen wurde, zum offiziellen Feiertag und »Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter« erhoben. 1939 wurde das »Ehrenkreuz der deutschen Mutter« zum ersten Mal an Mütter mit mindestens vier Kindern verliehen.

Die Reduzierung ihrer Bestimmung auf das Mutterdasein sollte Frauen weitgehend aus dem öffentlichen Leben und der Arbeitswelt verdrängen. Entsprechende Vorschriften wurden erlassen, die in der Weimarer Republik errungene Verbesserungen zunichte machten: Frauen verloren das passive Wahlrecht, durften keine Justizberufe mehr ergreifen und keine eigenen Arztpraxen eröffnen. An den Universitäten sollte der Anteil von Frauen unter den Studierenden nicht mehr als zehn Prozent betragen.17 Trotz aller Pläne, verheiratete Frauen und Mütter aus dem Berufsleben zu verdrängen, sank die Frauenerwerbstätigkeit nicht, sondern stieg sogar an. 1933 waren 34 von 100 Berufstätigen Frauen. 1939 arbeiteten bereits 14,6 Millionen Frauen, damit lag ihre Zahl um zweieinhalb Millionen höher als in der Weimarer Republik.18 Diese scheinbar paradoxe Entwicklung hatte damit zu tun, dass Frauen, die gar nicht arbeiteten, auch nicht im Sinne der Nationalsozialisten waren. Ihnen ging es vor allem darum, dass sich verheiratete Frauen auf das Kinderkriegen konzentrierten; bis dahin aber sollten Frauen sehr wohl ihren Beitrag für das »Volkswohl« leisten. Anfang 1938 war ein verpflichtendes Hauswirtschaftsjahr für alle unverheirateten Frauen unter 25 Jahren eingeführt worden. Auch die NS-Mütterpolitik war nicht so erfolgreich, wie es die NS-Führung geplant hatte: Kinderreiche Familie blieben die Ausnahme; der sich schon in der Weimarer Republik abzeichnende Trend zur Kleinfamilie mit einem oder zwei Kindern setzte sich auch während des »Dritten Reichs« fort.

Das Bild der Mutter wurde in der NS-Propaganda überhöht (Mutter mit zwei Mädchen und einem Jungen in HJ-Uniform, ca. 1943).

War der Ausschluss von Frauen aus dem Arbeitsleben schon in den sechs Jahren zwischen dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 nicht gelungen, brachte der Kriegsausbruch das in den Vorjahren propagierte Frauenbild weiter ins Wanken. Millionen Männer wurden zur Wehrmacht eingezogen, damit standen sie für die heimische Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung. Ihre Plätze sollten nun Frauen und Zwangsarbeiter einnehmen, die aus den von Deutschen besetzten Gebieten verschleppt worden waren.

War die Frauenpropaganda in der Vorkriegszeit vor allem auf die Verherrlichung der Mutterrolle ausgerichtet, wurde während des Krieges Arbeit als patriotische Pflicht angepriesen. Trotz der verstärkten Appelle ging die Zahl erwerbstätiger Frauen bis 1941 zurück. Dies hing damit zusammen, dass verheiratete Frauen Unterhaltszahlungen erhielten, wenn ihre Männer an der Front waren. Diese Zahlungen lagen teilweise höher als der potenzielle Lohn – Frauen wurden trotz des Arbeitskräftemangels schlechter als Männer bezahlt –, sodass eine Arbeitsaufnahme nicht gerade verlockend war. Dies wurde damit begründet, dass die meisten Frauen ungelernt und körperlich gar nicht in der Lage seien, die Männer vollständig zu ersetzen.

Als der Krieg, den das nationalsozialistische Deutschland sechs Jahre zuvor mit dem Überfall auf Polen begonnen hatte, 1945 auf deutschen Boden zurückkehrte, war die verbliebene Bevölkerung nicht mehr nur den Luftangriffen der alliierten Bomberverbände ausgesetzt. Die Kämpfe gegen das Naziregime fanden nun direkt in den Städten und Dörfern statt. Betroffen waren vor allem Frauen, Kinder und Alte, da jeder, der noch irgendwie eine Waffe tragen konnte, zur Wehrmacht oder dem letzten Aufgebot, dem sogenannten »Volkssturm«, eingezogen wurde. Die deutsche Bevölkerung bezahlte nun für das, was während der zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft durch Deutsche und im Namen des deutschen Volkes anderen an Verbrechen und Leid zugefügt worden war.

Überlebenskünstlerinnen in Ruinen

Für viele Frauen mischte sich in die Erleichterung über das Kriegsende die Furcht vor der Zukunft. Sie hatten ihre Familien während des Krieges zusammengehalten, selbst zutiefst verängstigt die Kinder im Bombenterror getröstet und beschützt und die Alten und Kranken versorgt – und waren jetzt am Ende ihrer Kräfte. Zur ständigen Angst um sich selbst, die Kinder und die Männer kam die Sorge, wie der nächste Tag bewältigt werden sollte. Für Frauen im Osten Deutschlands beherrschte zudem die Angst vor Vergewaltigungen durch die sowjetischen Besatzer den Alltag. Etwa zwei Millionen deutsche Frauen wurden Schätzungen zufolge während der letzten Kriegs- und ersten Nachkriegswochen Opfer von Vergewaltigungen, Tausende wurden schwanger oder infizierten sich mit Geschlechtskrankheiten.19

Die Organisation des Alltags glich oft genug einem Kampf ums Überleben und ergab ein tagesfüllendes Programm. An allem herrschte Mangel. Nahrungsmittel waren streng rationiert. Kleidung und Hausrat gab es – wenn überhaupt – nur mit Bezugsscheinen. Meist konnten diese nicht geliefert werden, da es kaum mehr produzierendes Gewerbe gab. In vielen Städten waren Strom- und Wasserversorgung zusammengebrochen. Die Gasversorgung – zum Kochen unerlässlich – war wegen der Explosionsgefahr eingestellt. Nahezu sämtliche öffentliche Transportmittel wie Bus, Bahn oder Straßenbahn verkehrten nicht mehr. Für die wenigen in Privatbesitz befindlichen Autos gab es kein Benzin. Zudem waren viele Straßen durch Bombentrichter oder herumliegende Trümmer unpassierbar und mussten erst geräumt werden. Die Hauptstadt Berlin wurde von Bertolt Brecht »der große Trümmerhaufen neben Potsdam« genannt. Seuchen und Epidemien breiteten sich unter der von Hunger und Krieg geschwächten Bevölkerung aus. Längst verschwunden geglaubte Krankheiten wie Skorbut, Tuberkulose, Typhus und Ruhr begannen zu grassieren. Zudem mussten etwa acht Millionen Flüchtlinge aus dem Osten versorgt werden, die zu Kriegsende in die ohnehin zerstörten und völlig überlasteten Städte drängten und hofften, dort eine neue Bleibe, Schutz und Nahrung zu finden. Allein in das Gebiet der späteren DDR kamen bis Ende 1946 4,4 Millionen Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten, darunter 2,6 Millionen Frauen. Insgesamt mussten schließlich über zwölf Millionen Vertriebene aufgenommen, versorgt und integriert werden.20

Auch zwei Jahre nach Kriegsende war keine deutliche Verbesserung der Lebensverhältnisse eingetreten. Die Nahrungsmittelversorgung erreichte in allen Besatzungszonen bis 1947 lediglich 50 bis 70 Prozent des vom Völkerbund angegebenen Existenzminimums.21 Otto Normalverbraucher, so trefflich von Gert Fröbe im gleichnamigen Film von 1948 dargestellt, brachte in der Regel noch 45 Kilogramm auf die Waage. Erst im Februar 1947 konnten die »Hungerrationen« angehoben werden und erreichten nun laut amtlichen Angaben zwischen 1500 und 2200 Kilokalorien täglich. Allerdings kamen die auf den Karten ausgewiesenen Rationen noch immer nicht regelmäßig bei den Menschen an. Der Slogan »Wir wollen keine Kalorien, wir wollen Brot« machte die Runde. In allen Besatzungszonen versuchten die Menschen bei sogenannten »Hamsterfahrten« das Überlebensnotwendige zu tauschen oder auf den abgeernteten Feldern doch noch ein paar übrig gebliebene Halme oder Kartoffeln zu finden. Auf ihrem II. Parteitag im September 1947 räumte die SED ein, dass sich trotz aller Bemühungen wenig an der katastrophalen Lage geändert hatte: »Millionen deutscher Kinder, Frauen und Männer leiden schwer unter dem Mangel an Nahrung, Kleidung, Wohnung und Heizung.« Die »Verbesserung der Lebensbedingungen« wurde als Hauptaufgabe ausgerufen.22

Zu den Alltagssorgen und -nöten kam die Ungewissheit über das Schicksal der Männer und Söhne. Vor allem bei den in sowjetischer Gefangenschaft befindlichen Soldaten war oftmals unklar, ob sie noch lebten oder in einem der sibirischen Lager umgekommen waren. Aber auch als die überlebenden Männer aus der sowjetischen Gefangenschaft in die SBZ zurückkehrten, änderte sich erst einmal wenig für die Frauen. Viele dieser Männer waren nur deshalb entlassen worden, weil sie schwer krank waren. 80 Prozent galten als unterernährt und litten an Krankheiten wie Tbc, an Ödemen und Phlegmonen. Lediglich 16 Prozent waren überhaupt arbeitsfähig.23 Viele Männer galten als traumatisiert. Erst Ende der 1940er Jahre änderte sich die Situation in den sowjetischen Gefangenenlagern merklich. Zum einen war die Versorgung in der zerstörten Sowjetunion besser geworden. Die Offiziere der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) hatten den Deutschen immer wieder erklärt, dass »durch die kolossalen Verwüstungen durch den Krieg in Rußland sich die russische Regierung vor allen Dingen verpflichtet sehe, erst einmal ihre eigenen Einrichtungen wieder zusammenzufinden bzw. wieder Ordnung im eigenen Land zu schaffen, ehe sie sich um die in Kriegsgefangenschaft befindlichen Deutschen bemühen könne«.24 Zum anderen hatte man erkannt, dass eine positivere Einstellung der Bevölkerung gegenüber einer sozialistischen Entwicklung im östlichen Teil Deutschlands nur über verbesserte Lebensbedingungen gelingen würde. Um das Bild eines guten Lebens im Sozialismus zu vermitteln, kam es auch darauf an, dass keine beinahe verhungerten Elendsgestalten mehr aus der sowjetischen Gefangenschaft zurückkehrten.

»Wir helfen«

Viele Frauen taten nach Kriegsende das, was sie bereits während des Krieges getan hatten: Sie ersetzten die Männer in der Wirtschaft, im öffentlichen Leben und in den Familien. Unter der Losung »Wir helfen« betreuten sie wie schon zu Kriegszeiten Alte, Kranke, Flüchtlinge und elternlose Kinder, waren in der Seuchenbekämpfung und bei der Einrichtung von Nähstuben und Wärmehallen aktiv, enttrümmerten die Städte und versuchten, die zerstörten Fabriken wieder in Gang zu setzen. Für einen Großteil der Frauen bot körperlich schwere Arbeit zudem die einzige Möglichkeit, an die dringend für das Überleben erforderlichen Lebensmittelkarten heranzukommen. Vor allem aber unterstützten Frauen sich gegenseitig. Sie schlossen sich zusammen und organisierten die gemeinsame Kinderversorgung. In den Häusern wurde oft nur ein Zimmer geheizt, wo die Kinder betreut wurden, während die Mütter arbeiten gingen oder versuchten, Nahrungsmittel aufzutreiben.

»Die Not alleinstehender Mütter

»Mütter, die alleinstehend für ihre Kinder zu sorgen haben, waren im Winter in ganz besonderem Maße in körperlicher wie seelischer Hinsicht Überbelastungen ausgesetzt. Innerhalb der Häuslichkeit führten sie den Kampf gegen die Kälte; die Fenster waren oft nur verpappt, Wasserleitungen wie Toiletten waren auf Monate unbrauchbar. Das Waschen der Wäsche aus Feuerungsmangel, das Trocknen derselben in der Kälte oft ein nicht zu lösendes Problem. Mütter gaben zu, daß sie es an der nötigen Sauberkeit bei den Kindern aus diesen Gründen fehlen lassen mußten. Krätze trat häufiger auf. Vor der Kälte wurden die Kinder oft dadurch geschützt, daß sie im Bett gelassen wurden. Sonst zog man, was an verfügbaren Kleidungsstücken vorhanden war, übereinander an, was einen erhöhten Verschleiß zur Folge hatte. Eine seelische Entspannung gab es nach diesen winterlichen Monaten nicht. Verschiedentlich machten sich bei den Frauen im Frühjahr schwere Erschöpfungszustände bemerkbar. Doch schon kamen neue Sorgen: unregelmäßige Belieferung der Lebensmittelkarten, die Sorge um den Anschluß an die neue Ernte und als Schreckgespenst steht jetzt schon vor ihnen wieder die Angst vor dem kommenden Winter. – Viele gaben zu, an Werten aus ihrem Haushalt schon mehr als das Entbehrliche gegen Lebensmittel eingetauscht zu haben. Sie fürchten, nicht mehr durchzukommen.«

Es waren vor allem Frauen, die nach dem Krieg die zerstörten Städte enttrümmerten und die Wirtschaft wieder in Gang brachten (ca. 1945/46).

Hilde Thurnwald: Gegenwartsprobleme Berliner Familien. Eine soziologische Untersuchung an 498 Familien. Berlin 1948, S. 61 f.

Wahlplakat der KPD von April 1946

Um die größte Not zu lindern, hatten sich in vielen Städten und Gemeinden, bei den Stadtverwaltungen, aber auch unter dem Dach der Kirchen wie etwa bei der evangelischen Frauenhilfe oder der katholischen Caritas Frauengruppen und Frauenausschüsse zusammengefunden. Diese boten tatkräftige und lebenspraktische Hilfe von und für Frauen an. Da sich alle diese Einrichtungen auf die Lösung der täglichen Probleme konzentrierten, hatten sie ein hohes Ansehen und großen Einfluss nicht nur unter Frauen. Sie kümmerten sich ebenso um die soziale Betreuung der heimkehrenden Kriegsgefangenen wie um die Belange von Not leidenden Frauen. Sie unterhielten Kinder- und Altenheime und boten medizinische Beratung und psychologische Hilfe für vergewaltigte Frauen an. Diesen Aufgaben widmeten sowohl Besatzungsmacht als auch die KPD, die mit dem Aufbau der neuen politischen Strukturen und der Wirtschaft beschäftigt waren, in den ersten Nachkriegsmonaten kaum Aufmerksamkeit. Erst im Spätsommer 1945 änderte sich dies. Zum einen fürchteten SMAD und KPD den starken Einfluss, den die Kirchen über ihre sozialen Angebote auf die Bevölkerung entfalten konnten. Zum anderen plante man ohnehin, die kirchlichen Angebote zu ersetzen, sobald ausreichend Ressourcen zur Verfügung standen. So wurden die kirchlichen Aktivitäten geduldet, um sie bei passender Gelegenheit einzudämmen.

Damals zeichnete sich bereits etwas ab, was in der DDR später allerorten zu beobachten war: Den kirchlichen Einrichtungen wie der Diakonie oder der Seelsorge wurden jene Bereiche überlassen, die arbeitsaufwendig oder politisch wenig ergiebig erschienen – wie beispielsweise die Pflege von Schwerkranken, nicht mehr Arbeitsfähigen oder geistig Kranken.

»Gesellschaftlich nützliche Arbeit«

Während Frauen als einzige verfügbare Arbeitskräftereserve seit Kriegsende zwangsläufig im ökonomischen Fokus standen und in die Produktion eingebunden waren, rückten sie erst im Herbst 1945 in den politischen Fokus der sowjetischen Besatzungsmacht und der KPD. Beide versuchten, an die Erfahrungen mit der Mobilisierung von Frauen im Nationalsozialismus anzuknüpfen. Von den etwa 30 Millionen Frauen im Erwachsenenalter waren immerhin über 20 Millionen in den verschiedenen NS-Organisationen aktiv gewesen: Etwa ein Drittel, also zehn Millionen, waren allein im Nationalsozialistischen Frauenbund Mitglied, zwei Millionen im Deutschen Frauenwerk organisiert. Zwischen 15 und 18 Millionen der insgesamt 22 Millionen Mitglieder im Reichsluftschutzbund waren Frauen.25 Man hoffte daher, dass sich Frauen, die sich einmal für eine Ideologie hatten vereinnahmen lassen, auch in den kommunistisch dominierten Nachkriegsorganisationen engagieren und darüber politisch beeinflussen lassen würden. Um sie für die neue Macht zu gewinnen, ging die offizielle Propaganda davon aus, dass Frauen während des Nationalsozialismus vor allem passive Leidtragende und Opfer der nationalsozialistischen Politik gewesen waren. Offiziell hieß es, dass die Frauen – so wie alle in der SBZ und in der späteren DDR lebenden Menschen – mit den Verbrechen des NS-Regimes nichts zu tun hatten. Sie seien in die politischen Entscheidungsprozesse nicht einbezogen gewesen. Zudem seien die meisten Nationalsozialisten nach 1945 in den Westen geflohen. Interne Einschätzungen der sowjetischen Besatzungsmacht zeigen jedoch eine andere Sichtweise auf die deutschen Frauen. So berichtete Oberst Tjulpanow – von 1945 bis 1949 Leiter der Abteilung Propaganda und Information bei der SMAD – 1946 nach Moskau, dass »die Naziideologie […] bis heute in der weiblichen Bevölkerung stark verankert [ist]«.26

Fünf Monate nach Kriegsende setzte die SMAD bei den auf verschiedenen Ebenen der kommunalen Selbstverwaltung tätigen Frauengruppen an. Im Befehl Nr. 80 des Obersten Chefs der SMAD vom 30. Oktober 1945 ging es darum, wie man die bestehenden Frauengruppen und Frauenkomitees in den nun offiziell zugelassenen antifaschistischen Frauenausschüssen unter Kontrolle der KPD zusammenführen könnte.27 Diese Eingliederung hatte Wilhelm Pieck bereits auf einer Kundgebung der KPD zur Bodenreform am 19. September 1945 in Berlin gefordert.28 In Abgrenzung zur bisherigen vor allem karitativen Ausrichtung der Frauenhilfsvereinigungen legte der Befehl fest, dass Frauen über die Komitees in das politische Leben integriert und zu »gesellschaftlich nützlicher Arbeit« gebracht werden sollten.29 Gleichzeitig wurde den anderen Parteien die Gründung von eigenen Frauenorganisationen untersagt.30

Unter »gesellschaftlich nützlicher Arbeit« wurde dabei zweierlei verstanden. Zum einen ging es darum, dass Frauen sich in großer Zahl in den Aufbau des zerstörten Landes einbrachten, zum anderen sollten sie für die politischen Pläne zur Umgestaltung der Sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR gewonnen werden. Frauen wurde bescheinigt, dass sie »zur demokratischen Umbildung Deutschlands von großer Wichtigkeit« seien.31 Da die Aufgaben der antifaschistischen Frauenausschüsse ziemlich allgemein beschrieben waren, folgte am 3. November 1945 eine Bekanntmachung über die »Organisation der Frauenausschüsse bei den Stadtmagistraten«. Hauptaufgabe der Ausschüsse sollte die »politisch-erzieherische und künstlerische Aufklärungsarbeit unter den Frauen auf antifaschistisch-demokratischer Grundlage« sein. Dafür sollten »die Mütter bei der Erziehung der Kinder im demokratischen Geist« unterstützt werden und, wie die KPD-Funktionärin Elli Schmidt später schrieb, »gute Mütter unserer Kinder« werden.32 Frauen wurde dabei die Rolle von Vermittlerinnen der SED-Politik zugedacht und die junge Generation als »unsere Kinder« vereinnahmt.

Plakat der KPD von 1945

Eine Woche nach dieser Bekanntmachung veröffentlichte der Zentrale Frauenausschuss beim Magistrat von Groß-Berlin am 9. November 1945 einen »Aufruf an die Frauen und Mütter Berlins«, in dem die wichtigsten Aufgaben der Ausschüsse erläutert wurden.33 Diese sollten dazu beitragen, den »Nazismus und Militarismus restlos auszurotten«, und Frauen dabei unterstützen, sich aktiv in die Neugestaltung des öffentlichen Lebens, die Erziehung der Kinder, das Wirtschaftsleben und die Produktion einzubringen, einen Beruf zu lernen und auch Männerberufe zu ergreifen.34 Zur Vorsitzenden der antifaschistischen Frauenausschüsse wurde die Leiterin der Frauenabteilung der KPD Elli Schmidt bestimmt.

Elli Schmidt (1908–1980) trat nach ihrer Ausbildung zur Schneiderin 1927 dem Kommunistischen Jugendverband und der KPD bei und leitete 1931/32 die Frauenabteilung der Berliner KPD-Bezirksleitung. 1932 wurde sie zur Funktionärsausbildung an die Internationale Leninschule in Moskau geschickt. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland arbeitete sie ab 1934 in verschiedenen Parteiämtern der illegalen KPD und floh 1940 in die Sowjetunion. 1945 kehrte sie nach Deutschland zurück und war ab Juli 1945 Mitglied des Sekretariats des ZK der KPD. Sie leitete dort die Abteilung Frauen sowie den Zentralen Frauenausschuss beim Magistrat von Groß-Berlin. Zwischen 1946 und 1950 leitete sie zusammen mit Käthe Kern das Frauensekretariat der SED. Nach verschiedenen Ämtern im Demokratischen Frauenbund (DFD) wurde sie im Mai 1949 zur Vorsitzenden gewählt. 1950 war sie die Leiterin der Kommission zur Ausarbeitung des Gesetzes über den Mütter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau. Im Juni 1953 verlor sie wegen ihrer Unterstützung von Wilhelm Zaisser (Minister für Staatssicherheit) ihre Ämter – auch den Vorsitz des DFD. Ein Jahr später erhielt sie eine Parteirüge und wurde aus dem ZK der SED ausgeschlossen. 1956 wurde sie rehabilitiert. Bis zu ihrem Eintritt in die Rente 1966 arbeitete sie als Direktorin des Instituts für Bekleidungskultur (später Deutsches Modeinstitut).

Obwohl die Propagandaorgane der KPD nicht müde wurden zu betonen, dass es um ein breites Bündnis aller friedliebenden Frauen unabhängig von sozialem Status, Religions- oder Parteizugehörigkeit gehe, standen die Kirchen den Frauenausschüssen skeptisch gegenüber. Sie riefen die Frauen dazu auf, sich nicht »gegen Gott [zu] wenden« und nicht in den Ausschüssen mitzuarbeiten.35