Frauen und Bücher - Stefan Bollmann - E-Book

Frauen und Bücher E-Book

Stefan Bollmann

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Beschreibung

»Lies, um zu leben!« – faszinierende Begegnungen mit berühmten Leserinnen

Wussten Sie, dass Marilyn Monroe eine passionierte Leserin war und eines ihrer Lieblingsbücher der »Ulysses« von James Joyce? Dass der Studienabbrecher Friedrich Gottlieb Klopstock 1750 die Dichterlesung erfand, als er einer Schar junger Frauen seine Oden vortrug und dafür Küsse kassierte? Dass Jane Austen nur Frauen für voll nahm, die Romane lieben? Oder dass vor 150 Jahren Eugenie Marlitt, eine entlassene Vorleserin, zur ersten Bestsellerautorin der Welt aufstieg?

Diese und eine Fülle anderer Begebenheiten lässt Stefan Bollmann in einem unterhaltsam geschriebenen Panorama lebendig werden, das von Klopstocks Zeit bis in die Gegenwart führt und von aktuellen Phänomenen wie Fanfiction und "Shades of Grey" berichtet. Zugleich erzählt er eine überraschend andere Geschichte des Lesens, seiner Macht und Magie. Lesen kann Leben und Lieben verändern. Ein Buch für Frauen, die leidenschaftlich gern lesen – und aus dem Männer erfahren, was ihre Frauen meinen, wenn sie sagen: »Jetzt nicht! Ich lese!«

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Seitenzahl: 501

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StefanBollmann

FrauenundBücher

Eine Leidenschaft mit Folgen

Deutsche Verlags-Anstalt

1. Auflage

Copyright © 2013 by Deutsche Verlags-Anstalt, München, in derVerlagsgruppe Random House GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Typographie und Satz: DVA/Brigitte Müller

Gesetzt aus der Bembo

ISBN 978-3-641-09153-8

www.dva.de

»Lesen ist sexy.«

Jeanette Winterson

»Romane sind wie ein zweites Leben.«

Orhan Pamuk

Inhalt

Vorwort

TEIL 1Die Leselust beginntDas 18. Jahrhundert

1Magdeburg und Zürich, 1750

Die Erfindung der Dichterlesung

2London, 1756

Was für schöne Briefe: Liebe und der Roman

3Wetzlar, 1774

Der Werther-Effekt

4Clausthal, 1786

Lesen, um zu leben: Caroline Schlegel-Schelling

5Paris, 1792

Lese-Revolution: Mary Wollstonecraft

TEIL 2Die Macht des LesensDas 19. Jahrhundert

6Steventon, 1808

Die Unabhängigkeitserklärung der Leserin: Jane Austen

7Genfer See, 1816

Ein völlig verregneter Sommer: Mary Shelley und das Monster

8Rouen, 1857

Die Liebende aller Romane: Madame Bovary

9Arnstadt, 1866

Eine Vorleserin macht Karriere: E. Marlitt

10New Orleans, 1899

Das Erwachen der Leserin

TEIL 3BücherfrauenDas 20. Jahrhundert

11Bloomsbury, 1910

Als der Mensch sich veränderte: Virginia Woolf

12Paris, 1922

Joyce und die Frauen

13Hollywood, 1955

Marilyn Monroe, die lesende Sexbombe

14New York, 1960

Lesen heißt sich erfinden: Susan Sontag

15www.FanFiction.net, 1998

Die Zukunft der Leserin

GegenwartWeiter lesen

16Seattle, 2012

Die Leserin als Grenzgängerin oder Shades of Grey

Dank

Auswahlbibliographie

Personen- und Werkregister

Vorwort

Als das Lesen weiblich wurde

»Lesen ist mein Lebensglück«, bekennt Elke Heidenreich in einem Interview.

Worin das Glück bestehen könnte, beschreibt die Schriftstellerin und Feministin Jeanette Winterson: »Ein Buch gibt mich nicht wieder, es definiert mich neu.«

»Ich möchte lesen, bis ich schwarz werde«,erklärtVirginia Woolf 1897, im Alter von neunzehn Jahren, ihrem älteren Bruder Thoby. Der studiert zu dieser Zeit in Cambridge, während sie sich zu Hause durch die väterliche Bibliothek frisst.

Fünfzig Jahre zuvor jubelt die Dichterin Elizabeth Barrett Browning: »Und wie ich es schlagen hörte / Unter meinem Kissen, im Dunkel des Morgens, / Eine Stunde bevor die Sonne mich lesen ließ! / Meine Bücher, mein Herz!«

»Ich lese nie Romane; ich habe Besseres zu tun«, lässt Jane Austen Anfang des 19. Jahrhunderts einen Mann in einem ihrer Romane sagen und fällt damit das Urteil über ihn. Gnade finden vor ihren Augen nur diejenigen ihrer Figuren, die sich zum Roman bekennen. Und das sind in der Mehrzahl Frauen.

»Ich vertrockne seit einiger Zeit, weil alle meine Bücherquellen sich verstopfen«,klagt Caroline Schlegel-Schelling, 1786 wohnhaft in dem Provinzstädtchen Clausthal, wohin ihre erste Ehe sie geführt hat. Der Brief geht an die Schwester in Göttingen, die regelmäßig eine Bücherbotin mit frischem Lesefutter zu ihr schickt.

Anna Louisa Karsch, eine der ersten deutschen Dichterinnen, aufgewachsen in prekären, bildungsfernen Verhältnissen, wie wir das heute nennen würden, erinnert sich: »Ich versteckte meine Bücher unter verschwiegenen Schatten eines Holunderstrauchs und suchte von Zeit zu Zeit mich in den Garten zu schleichen, um meiner Seele Nahrung zu geben.« Ihre Mutter hatte ihr das Lesen verboten, angeblich weil sie befürchtete, ihre Tochter würde darüber verrückt werden, in Wirklichkeit aber weil sie die Heranwachsende im Haushalt brauchte. Das war um 1730.

Sieben Zeugnisse lesender Frauen aus annähernd drei Jahrhunderten. Spielend ließen sie sich vermehren. Auch Männer haben von ihrer Liebe zum Lesen gesprochen, aber selten so lebensnah, so sprühend vor Lebendigkeit wie die Frauen. Ist Lesen weiblich?

Fest steht: Frauen lesen mehr als Männer und anderes als Männer. Mehr und am liebsten Romane, mehr und am zweitliebsten Biographien – Bücher also, die vom Leben handeln, egal ob Fiktion oder nicht. Frauen lesen, um zu leben, nicht selten auch, um zu überleben. Im Lesen riskieren sie Gefühle, versetzen sie sich in fremde Figuren und Welten, entdecken sie ihre eigene Wahrheit. Und das geht seit nun dreihundert Jahren so. Die Leseforscherin Maryanne Woolf spricht von »deep reading«, von vertieftem Lesen, im Gegensatz zu einem Lesestil, der auf Informationen und Fakten aus ist. Die Geschichte, wie es dazu kam, dass die Frauen diese Art des Lesens für sich entdeckten, und die vielen weiblichen Lese- und Lebensgeschichten, die dadurch möglich wurden, erzählt dieses Buch.

Harmlos der Beginn. Zum Beispiel so: Ein Studienabbrecher mit dem zum Spott einladenden Namen Klopstock fährt im Sommer 1750 in einem Boot über den Zürichsee. Er ist der Mittelpunkt einer Gesellschaft junger Leute und trägt seine Gedichte vor. Besonders die anwesenden jungen Frauen bringt er mit seinen Oden und Gesängen schier um denVerstand. So ist die Dichterlesung entstanden – bis heute ein gleichermaßen literarisches und erotisches Ereignis für ein vornehmlich weibliches Publikum.

Schon ein Jahrzehnt zuvor hat Samuel Richardson, ein Londoner Drucker Anfang fünfzig, mit seinen Romanen Pamela und Clarissa die Frauenherzen höher schlagen lassen. Pamela handelt vom sozialen Aufstieg durch Liebe, Clarissa vom existenziellen Niedergang ebenfalls durch Liebe. Täglich erreichen den Autor Briefe seiner entzückten Leserinnen. Zusammen mit seinen wohltemperierten Antworten bewahrt er sie in einem imposanten Schrank auf, den er seinen Besuchern aus dem In- und Ausland voller Stolz zeigt. Die Leselust der Frauen hat von Anbeginn an mit Liebeshunger zu tun – das sehen die Kritiker, die die grassierende »Vielleserei« und »Lesewut« für einen versteckten Angriff auf die Fundamente der bürgerlichen Moral und Ehe halten, schon ganz richtig.

Doch hinter dem Bedürfnis nach Liebe steckt mehr – der Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Paris im Jahr 1789 ist nicht nur die Stadt des Sturms auf die Bastille, es ist auch die Stadt der lesenden Frauen. So bezeugt es ein deutscher Reisender: »Jeder – hauptsächlich aber die Frauen – hat dort ein Buch in der Tasche. Man liest im Wagen, auf der Promenade, im Theater, in den Pausen, im Café, im Bad.« Manche Neuerscheinungen lösen eine derartige Nachfrage aus, dass derVerleiher jedes Buch kurzerhand in drei Teile zerschneidet. Lösen Bücher womöglich Revolutionen aus?

So vermutet man auch in London, zu dieser Zeit die größte Stadt der Welt, wo man die Geschehnisse auf dem Kontinent aufmerksam verfolgt. Mary Wollstonecraft arbeitet gerade an ihrer Schrift zur Verteidigung der Rechte der Frau und verfasst zugleich als erste Frau professionell Literaturkritiken. Ihr Spezialgebiet: Frauenromane, die England damals überfluten. Bekannt wird sie vor allem durch ihre schneidenden Verrisse: Sie findet die meisten der von Frauen geschriebenen Bücher einfach unsäglich klischeehaft – kein Stoff für Leserinnen, die ihr Leben in die eigene Hand nehmen wollen.

Von den Romanen Jane Austens, die bald darauf zu erscheinen beginnen, hätte sie das sicher nicht gesagt. Die unscheinbare Austen, eine fleißige Leserin Wollstonecrafts, macht aus Fragen der weiblichen Partnerwahl Weltliteratur. Lesen, insbesondere Romanlektüre, sieht sie als zeitgemäßen Weg der Frauen zu mehr Unabhängigkeit.

Weltliteratur schreibt kurz darauf auch Wollstonecrafts Tochter Mary Shelley. Im völlig verregneten Sommer des Jahres 1816 erfindet sie in einer Literatenrunde am Genfer See die Figuren des Dr. Viktor Frankenstein und des von ihm geschaffenen Monsters. Die namenlose Kreatur ist ein exemplarischer Außenseiter und eigentlich ein empfindsamer Mensch, der Romane liest – mit Vorliebe Goethes Die Leiden des jungenWerthers, jenes Buch, das seit seinem Erscheinen die Leserinnen in ganz Europa zu Tränen rührt. Ist Dr. Frankensteins liebeshungriges Geschöpf in Wirklichkeit eine Frau?

Schon bald zeigt das Jahrhundert sein Janusgesicht. Die lesende Frau beginnt Karriere zu machen – als Erzieherin, Lehrerin, gar als Bestsellerautorin, wie etwa Eugenie John, Vorleserin in fürstlicher Anstellung, die als E. Marlitt für die Familienzeitschrift Die Gartenlaube millionenfach gelesene Fortsetzungsromane schreibt. Gleichzeitig aber schreitet auch die Dämonisierung der Leserin fort. Das Jahrhundert zeigt sich besessen von der Idee, Romanlektüre sei der direkte Weg zum Ehebruch, natürlich nur im Fall der Frau. Emma Bovary, Anna Karenina und noch Effi Briest sind die prominentesten literarischen Täterinnen (und zugleich Opfer) dieser männlichen Zwangsvorstellung.

1910 dann ist endlich Schluss mit dem langen viktorianischen 19. Jahrhundert. Das jedenfalls meint Virginia Woolf, wenn sie schreibt, irgendwann im Dezember 1910 habe sich der menschliche Charakter verändert. Das neue Jahrhundert kommt zu diesem Zeitpunkt langsam in die Pubertät. Bald machen sich erste Verhaltensauffälligkeiten bemerkbar: Junge Menschen ziehen etwa vom Londoner Nobelstadtteil Kensington ins heruntergekommene Bloomsbury, homosexuelle Literaten begegnen Frauen auf Augenhöhe, man lebt, liebt und arbeitet in wechselnden Zusammensetzungen an wechselnden Orten. Ein junges Schriftsteller-Ehepaar legt sich eine handbetriebene Druckerpresse zu, auf der es nachmittags Avantgardeliteratur in Kleinstauflagen herstellt. Und insbesondere die Frauen lesen, bis sie »schwarz« werden.

Die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten: Lesende Frauen werden Verlegerinnen, sie gründen Buchhandlungen und sorgen für den illegalen Druck verbotener Romane, die wie der Ulysses von James Joyce hochliterarisch, doch voller Obszönitäten sind. In den 1950er Jahren lässt sich Marilyn Monroe, die das Image der blonden und dümmlichen Sexbombe leid ist, dabei fotografieren, wie sie in dem schmutzigen Buch liest, das es inzwischen zu einer Ikone der Hochkultur gebracht hat. Da befruchten sich zwei Welten, die zusammengehören, und auch die Literatur profitiert von der Ausstrahlung, die durch die im Badeanzug lesende, mit ihren Reizen keineswegs geizende Marilyn auf sie fällt: Lesen ist sexy.

Seit den 1960er Jahren erobert die lesende Frau die Welt und die Medien, was zunehmend dasselbe ist. Ein anfangs belächeltes, verspottetes, pathologisiertes Verhalten erfährt eine Aufwertung ohnegleichen. Den Frauen passt das Kleid der Leserin wie angegossen. Von der Männergesellschaft auf randständige Plätze verwiesen, entspricht es ihrer Art, an der Welt teilzuhaben, ohne sich ins Getümmel zu stürzen; sich ein Urteil über die Gesellschaft zu bilden, indem man sie aus den Augenwinkeln heraus betrachtet. Jetzt, in den 1960er Jahren, mit der zweiten Welle der Emanzipation der Frauen und dem Vormarsch der Medien, gewinnt diese indirekte Art und Weise, sich der Welt zu bemächtigen, an Boden. Insbesondere Susan Sontag, die Intellektuelle aus New York, macht die Strategie, Außenseiterpositionen aufzuwerten und sie in den Rang innovativer Formen zu erheben, zu ihrem Markenzeichen. Was Marilyn Monroe für den Sex hat sie für den weiblichen Intellekt geleistet: ihn unübersehbar gemacht.

Und heute? Leserinnen, wohin man schaut: nicht nur auf Parkbänken und in U-Bahnen, auch und gerade in den Medien und im Internet, wo Frauen weltweit eine ungeheure Anzahl von Webseiten betreiben, auf denen sie ihre Lieblingsbücher vorstellen und Neuerscheinungen empfehlen. Als Fernsehthema ist »Lesen« so lange attraktiv, wie die entsprechende Sendung eine weibliche Handschrift trägt. Ist das nicht mehr der Fall, zappen die Zuschauer weg. Unter dem Namen Fanfiction findet in jüngster Zeit eine neue Form literarischer Texte rasante Verbreitung, in denen Leser ihre Lieblingsbücher fortschreiben. Die überwältigende Mehrheit der Verfasser ist weiblich. Die Heldin des weltweit millionenfach verkauften Bestsellers Shades of Grey ist natürlich eine passionierte Leserin. Gerade dort, wo wir uns immer mehr Freiheiten herausnehmen, spielt die lesende Frau nach wie vor die Rolle der Grenzgängerin. Lesen, bis zum 18. Jahrhundert eine männliche, mit Tradition, Gelehrsamkeit und Religion verbundene Lebensform, ist restlos weiblich geworden.

TEIL 1Die Leselust beginntDas18. Jahrhundert

Johann Caspar Füssli d. Ä., »Klopstock, als gefeierter Jung-Dichter,während seines Aufenthaltes in Zürich 1750/1751«, 1750, © Heiner Heine/akg-images

In deutscher Sprache beginnt die Epoche der Leselust im Sommer des Jahres 1750. Es ist der hohe Mittag des Jahrhunderts der Aufklärung. In der Hauptrolle sehen wir Friedrich Gottlieb Klopstock, einen damals sechsundzwanzigjährigen jungen Mann, der zwei Jahre zuvor sein Studium abgebrochen hat, um sich ganz der Dichtung zu verschreiben. Erst einmal hat er eine Stelle als Hauslehrer angetreten – zwecks Gelderwerb, aber auch weil er dadurch seiner Cousine Marie nahe sein kann, in die er sich unsterblich verliebt wähnt und die als »Fanny«, »Daphne« oder »Laura« durch seine Oden geistert. Womit wir bei den schönsten Nebenrollen dieser deutschen Premiere in Sachen Leselust wären: lauter hoffnungsvolle Mädchen und junge Frauen.

1Magdeburg und Zürich, 1750

Die Erfindung der Dichterlesung

Friedrich Gottlieb Klopstock war mit seinem Nachnamen geschlagen. Seine Mitschüler im Internat Schulpforta fühlten sich bei »Klopstock« unwillkürlich an das Züchtigungsmittel erinnert, das mit unschöner Regelmäßigkeit auf sie niedersauste, und zahlten ihm das mit Hänseln heim. Vielleicht war es auch diese Demütigung, die schon den Schüler davon träumen ließ, der größte Dichter deutscher Sprache zu werden, dessen Name landauf, landab in aller Munde sein sollte. Noch der alte Goethe vergisst in seiner ein Menschenalter später entstandenen Autobiographie nicht zu erwähnen, wie sehr man sich darüber wunderte, wie ein »so vortrefflicher Mann so wunderlich heißen könne«. Doch ließ die wundervolle Poesie, die dem Kopf dieses Mannes entsprang, die wunderliche Bedeutung seines Namens in der Tat in Vergessenheit geraten. »Klopstock« wurde zum Synonym für eine neue Verbindung von Lesen und Leben, für ein Verständnis des Lebens nach dem Vorbild der Literatur. Im 1774 erschienenen Roman Die Leiden des jungen Werthers bedarf es dann nur noch des Aussprechens dieses Namens, damit die junge Frau und der junge Mann, erhitzt durch den Tanz und während draußen ein nächtliches Gewitter vorüberzieht, einander ihre Herzen offenbaren. Und es ist kein Zufall, dass es die jungen Frauen sind, über deren Lippen, einem Seufzer gleich, das Codewort kommt: »Klopstock!«

Der so hieß, war ein poète à femmes, kein Casanova zwar, aber ein Mann, der die Frauen liebte und durch seine Dichtung in sich verliebt zu machen verstand. Gemeinsame Klopstock-Lektüre, bei schönem Wetter auch im Freien, war in den Jahrzehnten zwischen 1750 und 1790 das Mittel der Wahl zur Anbahnung einer Liebesbeziehung. Klopstock war der perfekte Kuppler; seine Lektüre hat zahlreiche Liebes- und Ehebünde gestiftet. Nur Leserinnen und Leser, die mit der deutschen Literatur nicht vertraut waren, stutzten bei der Vokabel nach wie vor. Klopstock? Eine polnische Leserin des Werthers, die Fürstin Lubomirska, schlug vergeblich in ihrem Wörterbuch nach, um dann von ihrem deutschen Koch dahingehend aufgeklärt zu werden, Klopstock sei eine Art von sehr delikatem Roastbeef, das auf gut Deutsch eigentlich Klopffleisch genannt werden müsse. Diese Anekdote erzählte die Fürstin ihrer deutschen Besucherin, der Schriftstellerin Elisa von der Recke, im November 1803; der 1724 geborene Klopstock war da gerade einige Monate tot, und Goethe hatte seine Jugendsünde längst bereut. In dem Maße, wie der Stern des Dichters mit den Jahrzehnten wieder sank, kam den Menschen die buchstäbliche Bedeutung seines Namens erneut in den Sinn. Heinrich Heine lässt 1844 in Deutschland, ein Wintermärchen die Hamburger Stadtgöttin Hammonia reimen: »Dort auf der Kommode steht noch jetzt / Die Büste von meinem Klopstock, / Jedoch seit Jahren dient sie mir / Nur noch als Haubenkopfstock.« Der einstige Dichter für junge Frauen war da nicht einmal mehr ein alter Hut, geschweige denn sein Name eine Losung für frisch Verliebte.

Mit dem Dichten begann Klopstock im Internat. Im streng geregelten Tagesablauf der Erziehungsanstalt war es ihm auch Ersatz für die fehlende körperliche Bewegung, die er, als Knabe auf dem Lande aufgewachsen und viel sich selbst überlassen, so geliebt hatte: durch die Gegend stromern, in Teichen baden, immer zu Waghalsigkeiten aufgelegt. Klopstocks Dichtung will laut gelesen, will vorgetragen sein; sie verschafft dem Geist und der Stimme Bewegung. Ihr Verfasser wie ihre Hörer streiften mit ihr die Zwänge institutionalisierter Gelehrsamkeit und auch die Konventionen bürgerlichen Wohlverhaltens ab. Das gilt gerade auch für sein Hauptwerk, den , diese aus dem Geiste der Heldenepik geborene Feier der Erlösung der Menschheit, die Klopstock noch während seiner Internatszeit konzipierte. Drei Jahre später, da war Klopstock schon Theologiestudent in Leipzig, wurden die ersten drei Gesänge des in den anonym veröffentlicht. Das zwanzig Gesänge umfassende Großepos mit über zwanzigtausend Versen beschäftigte Klopstock fünfundzwanzig Jahre lang und wurde eigentlich nie fertig; bis ins hohe Alter feilte er am Text und nahm Änderungen vor. Ihn interessierte weniger das Resultat als der Schaffensprozess selbst. Und der vollzog sich nicht in der Gelehrtenstube, sondern eigentlich ständig, insbesondere wenn er in irgendeiner Weise in Bewegung war: zu Pferde, zu Wagen, in Gesellschaft, beim geliebten Schlittschuhlaufen – einem damaligen Trendsport. Der Schwung, die schwebende Leichtigkeit und tänzerische Dynamik des Eislaufens haben sich in Metrum und Rhythmus seines Dichtens niedergeschlagen. Und so sollten seine Werke auch vom Publikum aufgenommen werden: nicht in beschaulicher, einsamer und stiller Lektüre, sondern in Gesellschaft, wenigstens zu zweit, gerne aber auch in Gruppen von Gleichgesinnten und -gestimmten, hörbar deklamierend, womöglich im Freien, im Auf-und-ab-Gehen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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