Free Zone - Charles Platt - E-Book

Free Zone E-Book

Charles Platt

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Beschreibung

Alle wichtigen Science-Fiction-Motive in nur einem Band! PACKEND die Riesenschnecken aus dem All! ATEMBERAUBEND der Nazi-Stoßtrupp vom Mars! HAARSTRÄUBEND die Barbaren aus dem Erdinnern! Wir schreiben das Jahr 1999. Spinner und religiöse Fanatiker tummeln sich in den Trümmern von Downtown Los Angeles und prophezeien den Weltuntergang. Gleichzeitig heißt es für sexbesessene Biker und Junkies in der Free Zone: "It's Party Time!" … während aus einer einst im Meer versunkenen Stadt unweit von Santa Barbara riesige Echsen an Land waten. Wird 6A419BD5h, der Roboter aus der Zukunft, drohende Umweltzerstörung und nukleare Verwüstung abwenden können? Wird die Ex-Söldnerin Dusty McCullough mit dem Computerfreak Thomas Fink die wahre Liebe finden und die Free Zone von den sprechenden Killerhunden erretten? Das Buch liefert die Antworten auf diese entscheidenden Fragen! Verrückter als Per Anhalter durch die Galaxis! Rätselhafter als Akte X! Kürzer als Dune!

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Deutsch von Robert Wohlleben

* Unilogie: ein aus einem Band bestehendes literarisches Werk.

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1989

unter dem Titel Free Zone bei Avon Books, New York.

© 1989 by Charles Platt (Roman)

© 2018 by Charles Platt (Vorwort)

Mit freundlicher Genehmigung des Autors

Deutsche Erstausgabe

© 2020 dieser Ausgabe: Memoranda Verlag Hardy Kettlitz

Titelbild: Michael Marrak

Gestaltung: benSwerk [www.benswerk.com]

Lektorat: Melanie Wylutzki

Korrektur: Christian Winkelmann

Alle Rechte vorbehalten

Memoranda Verlag

Hardy Kettlitz

Ilsenhof 12 | 12053 Berlin

Kontakt: [email protected]

www.memoranda.eu

ISBN 978-3-948616-46-5 (Buchausgabe)

ISBN 978-­3-­948616-47-2 (E-­Book)

Inhalt

Impressum

Danksagungen

Warum – Ein Vorwort von Charles Platt

Personen in der Reihenfolge ihres Erscheinens

1. Partytime im Paradies der Heiden

2. In der Hölle sollen sie schmoren, die sündigen Promis

3. Latinobanditen im überfluteten Speckgürtel

4. Albtraum mit schleimigen Aliens

5. Zur gleichen Zeit in Atlantis

6. Vorstadtanarchisten arbeiten an einem besseren Morgen

7. Eichhörnchen zu Besuch bei der Teufelsbrut des libertären Dogmas

8. Gottes Verwaltung verfügt Neufassung der politischen Ziele

9. Gott ist Sex, behauptet durchgeknallte Christin der tätigen Unzucht

10. Unterwegs mit der Queen der Freeps

11. Maskierte Entführer im Keller der Wunder

12. Mutanten in LoveLand

13. Roboter der Zukunft

14. Aug’ in Auge mit einem fetten schwarzen Dreckskerl

15. Lass uns dorthin fahren, wo es richtig nett ist

16. Der Söldner

17. Der marsianische Klongebieter des Dritten Reichs

18. Abenteuer, Liebeleien & die Begegnung mit dem Schicksal

19. Das schreckliche Geheimnis des FBI-Glamourgirls

20. Zutritt verboten! Unbefugte werden erschossen!

21. Dinosaurier der Tiefe

22. Flüchtige Begegnung in Lolitas Häuschen

23. Geistesgegenwärtiger Roboter rettet Erdbebenopfer

24. Die Rache der Killerhunde

25. Spazierfahrt am Jüngsten Tag

26. Liebespaar geht tanzen, und L. A. brennt

27. Massaker über Massaker

28. Das wiedergewonnene Utopia

Anhang

Anmerkungen zur Übersetzung

Bücher bei MEMORANDA

Danksagungen

Der vorliegende Roman bedient sich freizügig zahlreicher von Autoren wie H. G. Wells, Robert A. Heinlein, C. M. Kornbluth, Alfred Bester, Philip K. Dick und J. G. Ballard gestohlener Motive. Verpflichtet bin ich überdies David Langford, dessen Idee zu meiner beitrug; der Libertarian Party; Rudy Rucker, dessen revolutionäres Konzept transrealistischen Erzählens mich ermutigte, draufloszuschreiben, ohne zu wissen, wie die Geschichte weiterzugehen hätte; Richard Kadrey und John Clute für ihren ermunternden Zuspruch während der Arbeit am Roman; Cherie Wilkerson, die mir die Aussicht vom Griffith-Observatorium zeigte und manche irrigen geografischen Vorstellungen korrigierte; Hal Pollenz für seine wertvollen Hinweise zu Riesenameisen; Tom Disch für seine Deutschstunden; Simon Francis für seine Motorradkenntnisse; der Scientology-Kirche für ihren mechanistischen Psychojargon und John Douglas, der gnädig und mutig genug war, auf einen nur knappen Entwurf hin das Buch in Auftrag zu geben. Ihnen allen gilt mein Dank.

Warum – Ein Vorwort von Charles Platt

Zwischen 1985 und ’87 trugen die beiden Studenten Rob Meades und David B. Wake, die der Science Fiction Society der Universität Birmingham angehörten, eine kuriose kleine Sammlung mit dem Titel The Drabble Project zusammen (Abb. 1). Sie enthielt 100 Erzählungen von 100 Autoren, jede bestand aus 100 Wörtern. Wie die Herausgeber in ihrem Vorwort erklärten, sei eine 100-wortige Erzählung als »drabble« bekannt.

Warum?

Gräbt man tiefer in Monty Python’s Big Red Book von 1971, stößt man dort auf den Vorschlag für ein Gesellschaftsspiel, bei dem jeder Teilnehmer versucht, in so kurzer Zeit wie möglich einen Roman zu schreiben. Um das Spiel praktikabel zu halten, ist jeder »Roman« auf höchstens 100 Wörter zu beschränken. Die Pythons benutzten das Wort »drabble« zur Benennung dieser bahnbrechenden literarischen Form.

Aber warum?

Vermutlich ist das Wort eine Anspielung auf die britische Schriftstellerin Margaret Drabble, ich bin mir dessen allerdings nicht sicher. Drabbles zu schreiben wurde jedenfalls gut zehn Jahre später ein oft betriebenes Spiel bei den Birminghamer Fans, und sie beschlossen, auf eigene Faust einige ihrer Lieblingsstücke zu veröffentlichen. Um das Buch aufzufüllen, baten sie Außenstehende um Beiträge, darunter Isaac Asimov, Larry Niven, Terry Pratchett und, ja, sogar mich.

Mein Drabble

Die Einladung ehrte mich, doch hatte ich keine Idee, was ich schreiben könnte. Eine herkömmliche Geschichte in 100 Wörter zu quetschen schien nicht gerade besonders herausfordernd zu sein. Man braucht nur die drei Grundbestandteile: ein Problem, eine Entwicklung und ein überraschendes Ende. Das wäre leicht; es ließe sich in drei Sätzen bewerkstelligen.

Ich beschloss, die Bedingungen etwas zu verschärfen, indem ich mir vornahm, 50 verschiedene Begriffe aus der Science Fiction in meine 100 Wörter zu stopfen.

Nur um zu sehen, ob es sich machen ließ, nehme ich an.

Ich wählte den Titel »Skiffygram«. Der Ausdruck »skiffy« ist die buchstabengetreue Aussprache von »sci-fi«, wie mir Alfred Bester damals erklärte.

Ein Drabble ist so kurz, dass ich meinen Beitrag hier in voller Länge wiedergebe:

Immortal telepathic zombie time travellers from a nonAristotelian parallel universe, Atlantean hive minds, and invisible levitating psionic robots traversed hyperspace to attack mutants, mad scientists, humanoids, Martians, computers, clones, Dianeticians, and asteroid miners on an overpopulated utopian space colony terraforming Jupiter. Starfleet Captain Smith grokked the symbiotic alien invaders with his tachyon sensitized holographic video implant, emerged from hypnosleep, downed food pills, donned ion-driven antigrav waldoes, blasted off, and fired his atomic powered Venusian laser. Antimatter quantum effects inverted the beam! “It’s a disaster story,” his translation unit croaked as his subatomic particles dispersed on the solar wind.[1]

Anmerkung für Pedanten: ›nonAristotelian‹ zählt als ein Wort, ›ion-driven‹ zählt als zwei Wörter, und ›it’s‹ zählt als ein Wort.

[1] Unsterbliche telepathische Zombie-Zeitreisende aus einem nicht aristotelischen Paralleluniversum, androide Kollektivintelligenzen von Atlantis und unsichtbare levitierende psionische Roboter durchquerten den Hyperraum, um Mutanten, verrückte Wissenschaftler, Humanoide, Marsianer, Computer, Klone, Scientologen und Asteroidenbergleute auf einer überbevölkerten utopischen, mit dem Terraforming von Jupiter befassten Raumkolonie anzugreifen. Dank seiner umfassenden Intuition bemerkte Smith, Kapitän der Sternenflotte, die symbiotischen Alien-Invasoren mit seinem tachyon-empfindlichen holografischen Videoimplantat, erwachte vom Hypnoschlaf, schluckte Nahrungspillen, legte ionengetriebene Antigrav-Telemanipulatoren an, düste los und feuerte seinen atomar betriebenen venusianischen Laser ab. Antimaterie-Quanteneffekte invertierten den Strahl! »Eine Katastrophengeschichte«, krächzte seine Übersetzungseinheit, als der Sonnenwind seine subatomaren Partikel verwehte. (Anm. d. Ü.)

Abb. 1. Beccon Publications, 1988.

Metafiktion

Nachdem ich mein Drabble an Meades und Wake in England abgeschickt hatte, kam ich dazu, es mit kritischem Blick anzusehen. Einige seiner 50 Begriffe schienen ein bisschen marginal zu sein. Asteroidenbergleute zum Beispiel kommen in nicht gar so vielen Science-Fiction-Erzählungen vor. Andere Begriffe gehören mehr in die Wissenschaft als in die Science Fiction: beispielsweise der Sonnenwind. Und wenn ich ein paar Planetennamen anführte – zählen sie wirklich zu den Science-Fiction-Begriffen?

Diese Überlegungen brachten mich auf die Frage, wie viele wahrhaft elementar wichtige Begriffe in der Science Fiction existieren – also Ideen, die in zahlreichen Büchern vorkommen und derart verbreitet sind, dass sie jetzt zum Standardfundus gehören, auf den alle Autoren des Genres zugreifen. Ich tat mich in der Encyclopedia of Science Fiction um, die eine Liste von »Themen« enthält, doch sie war nur begrenzt hilfreich, da sie äußerliche Erscheinungsformen der Science Fiction (etwa Anime) wie auch inhaltliche Konzepte einschloss.

Am Ende beschloss ich, mich auf mein Gedächtnis in Kombination mit den Romanen in meinen Regalen zu verlassen. So kam ich zu einer Liste von 43 Begriffen, die ich als hinreichend wichtig ansah – wie zum Beispiel Aliens, Telepathie, Antischwerkraft und Unsterblichkeit.

Als ich nun meine Liste zusammenhatte, stellte sich die Frage, was damit anzufangen sei. Nun gut, statt einer Erzählung von 100 Wörtern könnte ich einen Roman schreiben, der all diese Begriffe enthielte. Das wäre viel herausfordernder, weil es einen Plot benötigte, in dem die Begriffe koexistieren könnten.

Warum würde ich das tun wollen?

Weil mich Metafiktion seit jeher fasziniert hat. Im wörtlichen Sinn bedeutet der Begriff »über die Fiktion hinaus«, wie Metaphysik »über die Physik hinaus«. Metafiktion regt den Leser an, aus dem Erzählten heraus sich zu erheben, um es von oben zu betrachten, einschließlich der Struktur, des Kontextes und des Prozesses, durch den es zustande kam.

Eine von Google gefundene Definition ist da strenger, deshalb gebe ich sie hier wieder: »Fiktion, in der der Autor bewusst das Artifizielle oder Literaturhafte eines Werks deutlich macht, etwa durch Parodieren oder Abweichen von literarischen Konventionen (speziell Realismus) und traditionellen erzählerischen Verfahren.«

Die Romane, mit denen ich in den 1950ern und ’60ern groß geworden bin, taten das nie. Wenn ein Autor ein neues Buch plante, begann er (oder – damals nur sehr gelegentlich – sie) vielleicht mit Notizen zu Figuren und Plot und sah sich vielleicht an, wie eine Idee schon früher benutzt worden war. Doch wenn der Autor dann wirklich mit dem Schreiben anfing, erzählte er schlicht eine Story, und der Entstehungsprozess blieb verborgen.

William Gibson sagte mir einmal, dass Fiktion wie ein farbenprächtiger chinesischer Drache auf einem Straßenfest sei. Die Kinder in der Menge werden durch die sich windende und dahinwogende Gestalt des Drachen belustigt, der lebendig zu sein scheint. Doch darunter stecken eine Menge verschwitzter Kerle, die Stangen und Hebel bewegen, um den Effekt zustande zu bringen. Die Arbeit des Autors bestehe darin, einer dieser Kerle zu sein und den Leser zu beeindrucken, dabei zugleich den Arbeitsvorgang zu verbergen.

Gibson hatte natürlich recht; doch für mich ist die Weise, in der der Drache in Bewegung gebracht wird, mindestens ebenso interessant wie seine Außenwirkung. Ich finde den Arbeitsvorgang ebenso interessant wie das Produkt, weshalb ich auch am »Drabble Project« interessiert war, wie auch daran, es weiterzutreiben. (Ein Drabble ist wohl insofern eine simple Form von Metafiktion, als dem Leser von Anfang an klargemacht wird, dass der Form die äußerliche Grenze von 100 Wörtern aufgezwungen ist. Das ist ja der springende Punkt.)

In der zweiten Hälfte der 1960er war das Science-Fiction-Magazin NEW WORLDS voll von Experimenten zu erzählerischen Verfahren. John Sladek, J. G. Ballard, Brian Aldiss, D. M. Thomas und viele andere schrieben Metafiktion.

Ballard verfasste, was er »kondensierte Romane« nannte, in denen er auf all die Charakteristika gewohnter Erzählweise verzichtete und das Werk lediglich als Folge von Szenen präsentierte, wie Fotografien. D. M. Thomas schrieb ein Gedicht, das sich in zwei Dimensionen entwickelt, wie ein Kreuzworträtsel. John Sladek schrieb eine Erzählung, die aus isolierten Sätzen besteht, die in Tausenden verschiedenen Anordnungen gelesen werden können. Nur drei von vielen Experimenten.

Manche Leser fanden solche Sachen unbefriedigend oder gar anstrengend. Theoriebasierte Fingerübungen wollten sie nicht lesen. Sie wollten eine unkomplizierte Geschichte, die ihnen eine von Zweifel unbehelligte Lektüre ermöglichte. Ich kann ihre Einstellung gut verstehen, denn einige meiner Lieblingsromane sind sehr konventionell geschrieben. Doch reizte mich eben auch das Spiel mit den Verfahren des Schreibens – und ich dachte mir, es sollte möglich sein, beides zu tun. Warum also nicht Metafiktion, die zugleich eine gute, lesbare Story ist?

Das Erzählverfahren ausloten

Mein erster Roman, Garbage World, war kein ambitioniertes Buch, doch es mischte die traditionelle Erzählweise insofern mit etwas bewusster Selbstbeobachtung, als es humorvolle Anspielungen auf Traditionen der Science Fiction und zwanghaft Bücher sammelnde Fans brachte.

Ein anderer Roman von mir, betitelt Planet of the Voles, war sogar noch weniger ambitioniert. Dies Buch schien nur eine schlichte Abenteuergeschichte zu sein, doch hatte ich Spaß daran, es mit freudianischer Symbolik vollzustopfen, die jahrzehntelang bewusst oder unbewusst in der Science Fiction benutzt worden war und von den Gestaltern der Magazin-Cover ausgeschlachtet wurde.

Die Warum-Fragen tauchen immer wieder auf, weil das »Warum« ein häufiger Einwand gegen Metafiktion ist. Warum schraubt jemand am Erzählverfahren herum? Was soll das?

Ein paar Begründungen habe ich schon angeführt, es folgen noch einige mehr:

Für manche Autoren und Leser wird geradliniges Geschichtenerzählen mit der Zeit langweilig. Ballard sprach gern verächtlich vom »leidigen Verfahren«, Figuren herumzubewegen und sie miteinander reden zu lassen.

Einige Autoren haben Spaß an Spielereien. John Sladek, dessen Werk ich überaus schätze, ist wahrscheinlich das beste Beispiel. Doch auch dessen alten Freund Thomas M. Disch verlockte es in die Richtung, und er strukturierte seinen Roman 334 nach einem von Sladek angeregten System.

Was mich angeht, so bin ich einfach fasziniert von den verschiedenen Weisen, in denen Autoren tun, was sie tun. Ich möchte immer wissen, wie Erzählen funktioniert und wie eine Erzählung aufgebaut ist. Ich veröffentlichte sogar zwei Bücher (Dream Makers und Dream Makers II), in denen ich Autoren nach ihrem Vorgehen beim Schaffen von Erzähltexten befragte.

Ich war überzeugt, ich könnte einen Roman schreiben, der die gesamte Liste meiner 43 Begriffe enthält, und auch davon, dass dieser einen doppelten Zweck erfüllen könnte. Obschon manche Leser nicht willens zu sein schienen, sich mit Metafiktion abzugeben, würde es sie sicherlich interessieren, wie das Buch so disparate Ideen wie Zeitreisen und Alternativwelten zusammenbringt. Und ich hoffte, sie dadurch zu gewinnen, dass ich eine actiongeladene und unterhaltsame Geschichte erzählte.

Das einzige Problem war, für ein solches Projekt einen geeigneten Verlag zu finden. Ich konnte mir nur einen vorstellen, der davon versucht sein könnte: John Douglas, der 1988 bei Avon Books tätig war.

Ein Roman mit allem drin

John und ich hegten beide eine innige Liebe zur Science Fiction und waren zugleich mit all ihren Traditionen und Klischees sehr vertraut. Ich rief ihn an, um mich selbst zu einem Business-Lunch einzuladen. »Ich habe eine Idee, der du, glaube ich, nicht wirst widerstehen können.«

In einem chinesischen Restaurant in der Innenstadt, an einem runden Tisch mit weißem Tischtuch, gab ich John meine Liste. »Ich habe vor, all diese Begriffe in einem Roman unterzubringen«, sagte ich. »Wir können ihm den Untertitel ›Der einzige Science-Fiction-Roman, den Sie jemals lesen müssen‹ geben. Weil alles drin sein wird.«

In der folgenden halben Stunde versuchte John aus Spaß, irgendeinen Begriff zu finden, der mir für meine Liste entgangen war. Ich glaube, er kam auf zwei oder drei. Er strich auch ein paar meiner Begriffe, die er für nicht wichtig genug hielt. Als wir unsere Glückskekse bekamen, waren wir der Meinung, eine schlüssige und vollständige Liste zu haben.

»Aber du kannst es nicht den einzigen Science-Fiction-Roman nennen, den man jemals lesen muss«, sagte er.

Ich war bestürzt. Ich dachte, genau das wäre das schlagende Verkaufsargument.

»Wir bringen vier Titel im Monat heraus«, erläuterte John. »Die anderen Autoren sind wohl nicht glücklich, wenn wir den Eindruck vermitteln, dass man ihre Bücher nicht lesen muss.«

Na ja, damit könnte er recht haben. Also gut, vergiss den Untertitel. Die Konzeption des Buchs war immer noch einzigartig und bestechend.

John war sich da nicht so sicher. Er wollte ein Exposé sehen.

Der beleidigende Vorschuss

Das Exposé zu schreiben war schwierig, aber nicht unmöglich. Eine Woche später hatte ich es fertig. Bald darauf war John gewillt, ein Angebot zu machen.

»Eins, was ich in diesem Geschäft gelernt habe«, sagte er, »ist, dass ich, wenn ich ein idiosynkratisches Buch rausbringe, nicht viel Geld hineinstecken sollte.« Also bot er mir 2000 $. Ich glaube, das war das Minimum eines gegen Tantiemen aufzurechnenden Vorschusses, das Avon damals für Erstlingsromane zahlte.

Selbst für das Jahr 1988 war es ein beleidigend niedriges Angebot und völlig absurd, wenn man bedenkt, dass man voraussichtlich vier bis sechs Monate brauchte, um einen Roman zu schreiben. Ich erzählte ihm, dass die Konzeption meines Buchs so überaus originell sei, dass es garantiert viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen werde. Das Publikum würde neugierig gemacht und fasziniert sein. Kritikern wäre es eine Freude, die Liste meiner Begriffe durchzugehen. Wir würden reichlich Exemplare absetzen.

John war immer noch skeptisch.

Ist das zu glauben, 2000 $? Er musste einfach in der Lage sein, mehr als das zu zahlen. Selbst wenn es nur 500 $ extra wären! Nachdem ich ihm eine oder zwei Wochen lang etwas vorgemault hatte, lenkte er endlich ein. Ich würde 2500 $ bekommen.

Ich hatte noch andere Einkommensquellen, daher konnte ich es mir leisten, das Buch zu schreiben. Schlicht aus Liebe zur Sache.

Die Zutaten

Da das Buch bereits idiosynkratisch war (um Johns Ausdruck zu verwenden), beschloss ich, ein paar Situationen und Figuren einzumischen, die noch idiosynkratischer wären, einfach weil sie mir gefielen. Ich interessierte mich zunehmend für libertäre Ideologie, das Buch würde also ein libertäres Utopia beschreiben – was per se ein wiederkehrendes Motiv in der Science Fiction ist.

Die Handlung wäre in einem Teil von Los Angeles angesiedelt, den ich entdeckte, als ich einer Autorin namens Cherie Wilkerson begegnete, die zwischen dem Hollywood Freeway und dem Golden State Freeway wohnte. Zu der Zeit war es eine bescheidene, gepflegte Gegend. Ich fand sie sympathisch und stellte mir vor, dass sie sich vom Rest der Stadt abspaltete, als die USA auf das Jahr 2000 zutaumelten (das Buch wurde, notabene, 1988 geschrieben).

Ich wählte eine muskulöse Bikerbraut als Protagonistin und gab ihr einen nerdigen, fügsamen Freund zur Seite, allein aus Spaß daran, Stereotype umzukehren.

Weil ein libertäres Utopia keine Gesetze zu opferlosen Straftaten hätte, stellte ich mir vor, dass die Universal-Studios (am nördlichen Ende des Gebiets) in einen der Mafia gehörenden Vergnügungspark mit Jugendverbot umgewandelt wurden.

Ich fügte auch ein paar Motive hinzu, die mehr zur Fantasy als zur Science Fiction gehören, wie beispielsweise Barbaren aus dem hohlen Erdinnern. Damals war der Fantasyautor John Norman populär, und mir war danach, seine Bücher zu parodieren.

Das Schreiben machte eine Menge Spaß.

Abb. 2. Einband der Avon-­Ausgabe.

Mikuru Abo

Nach dem Erscheinen von Free Zone war ich nicht so recht glücklich über den Einband (Abb. 2). Ich hatte dem Gestalter doch so viel geboten, woraus er sich hätte bedienen können: riesige Kampfameisen, Barbaren und Sklavinnen, sprechende Hunde, ein fliegendes Auto, Dinosaurier, gewaltige intelligente Schnecken, Gangs gestörter Biker, Ultraleichtflugzeuge, einen gepanzerten Konvoi in Beverly Hills, Moslems zu Pferde, Nazis vom Mars – doch wo waren sie? Warum war keiner dieser visuellen Leckerbissen vertreten?

Warum, warum, warum?

Ungeachtet des Einbands hoffte ich, dass Rezensenten es genießen würden, über das Buch zu schreiben. Aber nein: Free Zone erlitt dasselbe Schicksal wie so viele der damaligen Avon-Romane. Das Buch wurde weithin ignoriert.

Ich war verblüfft und irritiert. Ich hatte wirklich gedacht, die Einzigartigkeit der Konzeption sei umwerfend. Vielleicht wollte man einfach keine Literatur lesen, die sich selbst auf die Schippe nimmt. Doch Moment mal – war es nicht das, was Douglas Adams tat? Im Klappentext auf der letzten Einbandseite, den ich selbst schrieb, erwähnte ich die Verbindung zu Douglas Adams. Michael Dirda, seinerzeit redaktionell für die WASHINGTON POST BOOK WORLD zuständig, griff es auf, als er die möglicherweise einzige positive Rezension verfasste, die ich erhielt: »Der Klappentext vergleicht Free Zone mit Per Anhalter durch die Galaxis, doch Platt ist der bessere Autor, und Free Zone ist das bessere Buch.« Ach, Dirda stand mit dieser Sichtweise allein da.

Eine japanische Ausgabe verkaufte sich schließlich viel besser als die amerikanische. Das hatte sehr merkwürdige Gründe. Auf einer World Science Fiction Convention kam ich mit einem japanischen SF-Fan ins Gespräch, der sich Mikuru Abo nannte. Irgendwie blieb mir der Name Abo im Gedächtnis hängen, weshalb ich eine meiner Figuren in der Free Zone so nannte. Was ich nicht wusste, war, dass Mikuru ein Pseudonym benutzte. Unter seinem richtigen Namen übersetzte er englischsprachige Romane für Hayakawa, den führenden Verlag für Science Fiction in Japan.

Stellen Sie sich vor, wie überrascht Mikuru gewesen sein muss, als er mein Buch las und auf Dr. Abo als eine der Hauptfiguren stieß. War das der Grund dafür, dass er anschließend das Buch Hayakawa empfahl und es schließlich für den Verlag übersetzte? Ich glaube es eigentlich nicht, aber man weiß ja nie. Der japanische Einband ist in Abbildung 3 wiedergegeben.

Ich fragte mich, ob mein Buch in Japan deshalb so erfolgreich war, weil Mikuru der Übersetzung etwas hinzugefügt hatte. Doch diese Vermutung bestätigte sich nicht, da eine gebürtige Japanerin die englische und die japanische Ausgabe miteinander verglich und mir sagte, die Übersetzung sei werkgetreu.

Die Japaner haben dann wohl mein spielerisches Ausleihen von SF-Motiven genossen, weil sie selbst oft bei westlicher Popkultur etwas ausleihen und Unvereinbares aus verschiedenen Quellen zu einem bunten Durcheinander vereinen. (Mikuru erzählte mir, er wisse, dass es funktioniert, deshalb habe er darauf bestanden, dass ein Comicstrip auf den Einband kommt, sehr gegen die Wünsche der Leute bei Hayakawa, die der Ansicht waren, dass Menschen, die Romane lesen, anders seien als Menschen, die Comics lesen. Wer weiß, vielleicht hatte Mikuru recht.)

In den USA bat ich meine gute Freundin Jay Sheckley, in der von ihr geleiteten Buchhandlung in Kalifornien Leserreaktionen für mich zu erfassen. Sie war so nett, das Buch einigen ihrer Stammkunden zu empfehlen, erzählte aber, die hätten sich bei ihr darüber beschwert, nachdem sie es gelesen hatten. »Sie schienen verärgert zu sein«, meinte sie.

Warum?

Ich vermute, dass Free Zone all meinen Bemühungen zum Trotz weiterhin dadurch stigmatisiert war, dass es sich bei dem Buch um Metafiktion handelte. Ich werde nie begreifen, wieso.

Abb. 3. Einband der japanischen Ausgabe bei Hayakawa.

Ausstieg aus der Science Fiction

Dieser Roman ist mir nach wie vor das liebste von allen Büchern, die ich bisher verfasst habe, doch sein kommerzieller Misserfolg stellte mich vor die Frage, ob ich das Schreiben aufgeben sollte. Das Problem war, ich konnte nichts anderes, meine Optionen waren also begrenzt. Am Ende kam ich zum Entschluss, doch einmal zu probieren, ob ich ein konventionelles Buch ohne eine Spur von Metafiktion schreiben könnte. Mit der ganz einfachen und alleinigen Zielvorgabe, gute Rezensionen zu erzielen.

Das Ergebnis war The Silicon Man, tatsächlich gut besprochen, besonders von der NEW YORK TIMES. Das Buch erschien bei fünf Verlagen und wurde für den John W. Campbell Memorial Award nominiert. Damit hatte ich mir bewiesen: Ich konnte konventionelle Science Fiction schreiben, die der Leserschaft gefiel. Der Haken dabei: Mir gefiel es nicht so recht. Ich fand es ein bisschen langweilig.

Einige Jahre später bot sich mir die Gelegenheit, Artikel für das Technik-Magazin WIRED zu schreiben. Das bedeutete das Ende meines Engagements im Feld der Science Fiction. Für WIRED konnte ich jedes Thema aufgreifen, das mich interessierte. Alles, was ich schrieb, wurde angenommen, und das Magazin zahlte mir zehnmal so viel, wie ich für SF-Texte erhalten hatte. Innerhalb weniger Jahre hatte ich mehr umfangreiche Features in dem Magazin veröffentlicht als jeder der anderen Autoren, und man zahlte mir schließlich zwanzigmal so viel wie in der SF-Szene. Offensichtlich mochte das Publikum meine Sachtexte lieber als meine Fiktion, und das hatte ich zu akzeptieren.

Nichtsdestoweniger ist mir Free Zone bleibend ans Herz gewachsen. Für mich ist es eine einzigartige Tour de Force, und den Ausdruck benutze ich nicht leichtfertig. Keinem anderen Autor ist jemals gelungen, das zu tun, was ich tat – was allerdings daran liegen kann, dass keiner von ihnen jemals dumm genug war, es zu versuchen. Sie sahen schlicht nicht ein, warum.

Das Plotschema zeigt das Auftreten von Figuren in Buchkapiteln (nur für Figuren, die in zwei oder mehr Kapiteln vorkommen).

Personen in der Reihenfolge ihres Erscheinens

Dusty McCullough – Gründerin der Free Zone und Begründerin des libertären Sozialismus. Sie verwaltet ein mietgünstiges Utopia für Unangepasste, Flüchtlinge und, generell, unbeugsame Individualisten.

Thomas Fink (alias Henry Feldstein) – Dustys zuverlässiger Systemanalytiker und Liebhaber. Sein geheimes Laster ist sein Zyklotron im Keller.

Clarence Whitfield – zum Bürgermeister von Los Angeles aufgestiegener fundamentalistischer Prediger. Seine Mission: den Zorn Gottes über Sünder, Steuerhinterzieher und die Einwohner der Free Zone bringen.

Roxanne – Whitfields Sekretärin und Sexsklavin. Sie ist ihm in Ehrfurcht ergeben – bis sie in einem telepathischen Anfall seiner dämonischen Begierden ansichtig wird.

Dr. Percival Abo – Genetiker und Wagniskapitalnehmer mit dem geheimen Plan, jeden amerikanischen Haushalt mit einem sprechenden Hund zu versorgen.

Der Kapitän – ein Koreaner mit mysteriöser Vergangenheit. Für einen angemessenen Betrag in Krügerrand bringt er Dr. Abo von Hongkong nach Los Angeles.

Lucky – schwatzhafter Hund, Dr. Abos Begleiter.

Weltraumschnecken – außerirdische Wesenheiten, die auf der Suche nach wohlschmeckenden intelligenten Wesen durchs Weltall streifen.

Atlanter – von der Erderwärmung ermuntert, erwachen sie aus ihrem unterirdischen Schlaf und finden eine mit abstoßenden warmblütigen Säugern bevölkerte Erde vor.

Sammy Savage und Ursula Venus Milton – Nachrichtensprecher und Nachrichtensprecherin der Free Zone. Unverstellte Ideologen.

Janet Snowdon – Callgirl aus LoveLand und Undercover-Agentin. Versucht im Geheimen die Free Zone zu Fall zu bringen.

Suzie Sunshine – Janets Mitbewohnerin, eine Christin der tätigen Unzucht mit dem Glauben, Gott sei Sex.

Carlo Alighieri – Mafiaboss und aufgeklärter Kapitalist. Er arbeitet gemeinsam mit Dusty daran, die Freiheit zu beschützen und Schwarzgeld zu maximieren.

Mutanten – Opfer von Atomversuchen in Nevada. Um nach Aliens zu suchen, die ihnen die Freiheit bringen werden, fliehen sie aus dem Gefängnis.

Mentationaler Autonomer Verbindungsknoten 6A419BD5h – eine künstliche Intelligenz aus ferner Zukunft, in den Körper eines Roboters versetzt, um eine Störung im Zeitkontinuum zu beheben.

Mordo – Motorradfahrer, Barkeeper und renommierter Brauer.

Colonel Matt Mallet – Veteran mittelamerikanischer Konflikte. Beim Unternehmen, Thomas Fink aus der Haft in der City Hall zu befreien, befehligt er seine Marodeure.

Doktor Werner Weiß, Oberst im wissenschaftlichen Dienst – Aus einer Weltraumkolonie in Umlaufbahn um den Mars entsendet er die rassisch einwandfreien Klone des Dritten Reichs.

Barbaren – Flüchtlinge aus dem hohlen Erdinneren. Ihnen geht es nur darum, ihren Feinden die Eingeweide rauszureißen und ihre Sklavinnen zu vergewaltigen.

»Ich bin der Ansicht, man sollte immer bedenken, dass ein Romanautor zunächst nur ein einfacher Mensch ist … Er ist kein großer Geist, er ist kein großer Denker, er ist kein großer Philosoph, er ist ein Geschichtenerzähler.«

Erskine Caldwell

1. Partytime im Paradies der Heiden

Heiligabend in der Free Zone: laute Musik, Konsum harter Drogen und Ficken in der Öffentlichkeit. Betrunkene Biker haben eine lebensgroße Weihnachtsmannpuppe mit einem Lasso eingefangen, sie am Hals vor die Stufen der Lieblingsjünger-Kirche geschleift, mit Kettensägen zerlegt und das Ergebnis des Zerstörungswerks in Brand gesetzt. Zeitgleich spielten in der heruntergekommenen Kirche weiß gewandete Punks Heavy-Metal-Oldies, dazu strippten androgyne Go-go-Girls unter den durch nahe Bombenexplosionen zerbrochenen bunten Kirchenfenstern und spritzten die Gemeinde mit Weihwasser aus einem gigantischen Gummipenis nass.

Nicht zu vergessen natürlich die Parade auf dem Glendale Boulevard.

Dusty McCullough sagte sich, dass sie zu alt wurde für solche Dummheiten. Mit Mitte dreißig hatte sie noch kaum Lachfalten um den Mund, nicht so schlimm, doch die ersten Krähenfüße um die Augen machten ihr doch mehr zu schaffen, als sie zugeben würde. Ihre Figur war noch gut, Muskeln wie eine Bodybuilderin, und das durchgeknallte kleine Gemeinwesen, das sie geschaffen hatte, erfüllte sie durchaus mit Stolz. Fünf Jahre lang die Zone zu verwalten hatte einen Jongleurakt bedeutet, und da nun die Jahrtausendwende vor der Tür stand, fragte sie sich allmählich, wie lange sie das noch durchstehen könne.

Doch heute Abend war Partytime angesagt. Sie hatte den Ehrenplatz. In Seidenrobe und mit silberner Krone wie eine königliche Hoheit fuhr sie auf dem ersten Festwagen der Parade mit. Die Robe war mit Bedacht zerfetzt und matschbekleckert, die Krone mit Kreppband repariert, der Thron, auf dem sie saß, roh aus Kistenholz zusammengenagelt. Strahlend lächelnd, hielt Dusty die Symbole ihres libertär-sozialistischen Regimes: in einem Arm ein automatisches Gewehr, im andern einen Laptop. Die Menge war begeistert. Es wurde gejohlt und gepfiffen und mit Konfetti geworfen. Hinter ihr kamen als Bischöfe verkleidete Surfer in ihren Strandbuggys und spendeten den Zuschauern den Segen. Dann Satan in goldenem Triumphwagen, gezogen von gut aussehenden Männern in weißen Strumpfhosen und mit Engelsflügeln, um die Augen herum schwarz geschminkt. Sie quiekten wie kleine Mädchen, als Satan die Peitsche über ihren Köpfen knallen ließ.

Ihnen folgte auf Stelzen ein Kapitalist im Straßenanzug, holte eine Handvoll Geld nach der anderen aus einem Tragebeutel und warf es in die Menge – nachgemachte Scheine mit obszönen Mottos und Bildern hungernder Farmersleute in Minnesota und Pennsylvania. Dicht dahinter ein über und über mit pinkfarbenen Rosen geschmückter Festwagen. Revuegirls von LoveLand balgten sich in einer lesbischen Orgie, während sich ein Mafioso höhnisch grinsend auf Säcken voller Goldstücke fläzte.

Den Schluss bildeten drei Hell’s Angels auf Rollschuhen, sie stellten die Weisen aus dem Morgenland dar, und eine ortsbekannte Puffmutter schob eine Krippe auf Rädern vor sich her, das aufgepumpte Mutantenbaby darin – Schnabel aufgesperrt und die hervorquellenden Augen blutunterlaufen, der Heiligenschein über ihm aus einem alten Kleiderbügel gebastelt – zuckte mit seinen Flossen, wozu ein versteckter Lautsprecher »Hark! The Herald Angels Sing« plärrte.

Dustys Wagen an der Spitze der Prozession erreichte die Lieblingsjünger-Kirche, als die Glocken gerade Mitternacht schlugen. Sie kletterte auf die erhöhte hölzerne Bühne, von wo sie Publikum und Straße im Blick hatte, und ließ die Szene auf sich wirken: lachende, herumstolpernde, schreiende Menschen, unter Flutlicht wirbelnder Staub, Gerüche von gegrilltem Hundefleisch und schwarzgebranntem Gin durchzogen die weiche, warme Luft.

Thomas Fink, ihr Vertrauter, Liebhaber und Systemanalytiker, erschien unauffällig neben der Plattform und reichte ihr ein Mikrofon hoch. Sie lächelten einander versteckt an, und dann wandte sie sich der Menge zu.

»Wer braucht schon Helden?«, rief sie. Sie machte eine Pause, um der Menge Zeit zu geben, die Aufmerksamkeit auf sie zu richten. »Gibt’s hier jemanden?« Den Block rauf und runter das Echo ihrer verstärkten Stimme. »Will jemand von euch der Meinung andrer Leute mehr trauen als der eigenen?«

Wie aus einer Kehle brüllten alle: »Nein!«

»Keine Gurus, kein Gott, keine Regierung«, fuhr sie fort, jetzt in ruhigerem Ton. »Nichts von solchem Scheiß. Nicht hier in der Free Zone.« Sie machte eine Pause und lächelte. »Und wir glauben verdammt noch mal nicht an den Weihnachtsmann.«

Großer Jubel im Publikum.

»Also lasst uns feiern.«

Ein halbes Dutzend Musiker in Guerillamontur kamen zu ihr auf die Plattform, und sie zog sich zurück. Leaping Larry hinter seinem Mischpult auf Rädern gab das Zeichen, und die Band legte los. Dusty nutzte die Gelegenheit, unauffällig hinter die Bühne zu verschwinden. Obwohl sie groß und gut trainiert war, machten Menschenmengen sie nervös – egal, wie sehr sie von denen geliebt wurde.

Thomas wartete. »Lass uns nach Haus fahren«, sagte sie ihm unter dem Stampfen der Musik ins Ohr. Sie fing an, ihre Kostümierung auszuziehen. Sie trug Sportkleidung darunter und Turnschuhe. Die Nachtluft fühlte sich gut an auf ihren nackten Armen. Dusty spannte die Muskeln und ließ sie wieder locker. »Meine Norton steht auf dem Parkplatz, hinter der Kirche.«

»Werden sie dich nicht vermissen?« Thomas ruckte den Kopf in Richtung der auf der Straße Tanzenden.

»Hab hart genug für sie gearbeitet in den letzten fünf Jahren, und das wissen sie. Komm mit, wir schwänzen einfach.« Sie nahm ihn mit beiden Händen beim Kopf und küsste ihm kalkuliert auf den Mund, sodass Widerrede für ihn unmöglich war.

Schon bald fuhren sie in die Hügel am Rand des Griffith-Parks hoch. Thomas saß eng hinter ihr, die Arme um ihren Körper geschlungen. Der 850-Kubikzentimeter-Motor des Motorrads dröhnte herausfordernd durch das verfallende Wohngebiet unter dem purpurnen Mond.

2. In der Hölle sollen sie schmoren, die sündigen Promis

Zur gleichen Zeit bewegte sich etwas weiter südwestlich eine lange weiße Limousine schwerfällig die schräge Ausfahrt vom Hollywood Freeway hinunter in Richtung Beverly Hills, eskortiert von zwei gepanzerten M113-Halbketten-Truppentransportern mit Nationalgardisten. Ihre Nachtsichtgeräte, Maschinengewehre und Flammenwerfer nervös schwenkend ins Ödland gerichtet.

Clarence Whitfield lag mehr als dass er saß auf der Seehundslederpolsterung des Rücksitzes der Limo und bewunderte sich in der verspiegelten Dachunterseite. In seiner rechten Hand, auf seinem stattlichen Bauch ruhend, hielt er ein Glas Bourbon mit erlesenem Mineralwasser, wie geistesabwesend hatte er die Linke auf den Oberschenkel seiner gerade 18-jährigen Sekretärin gelegt, Roxanne.

Er war ein großer schwer gebauter Schwarzer von Mitte 50, nicht viel unter 150 Kilo, rundes Gesicht mit Hängebacken, der Schädel rasiert. Wenn er grinste, wirkte er wie ein hungriger Restaurantgast, bereit, alles wegzuputzen, was ihm vorgesetzt wurde. In der Tat war es so, dass ganz Los Angeles sein Restaurant war, und er grinste oft.

Musik erfüllte den Wagen, Barry Manilow, laut aufgedreht. Whitfield summte mit, ziemlich schief, und warf einen Blick durchs Fenster auf die Reihe der ausgebrannten Einzelhäuser am Beverly Boulevard, kaum zu erkennen im flackernden Glimmen der mutwillig beschädigten Straßenlampen. Flüchtlinge kauerten in all der Verwüstung und starrten ausdruckslos auf den Wagen und die vorbeirumpelnden Truppentransporter.

»Armseliger White Trash«, sagte er zu sich selbst. Er lachte ausgelassen, sodass sein Bauch wabbelte und etwas vom Drink auf seinen blauen Nadelstreifenanzug schwappte. »Wisch es weg, Honey«, fügte er hinzu, ohne sich die Mühe zu machen, die Frau neben ihm anzusehen.

Roxanne griff nach einem Papiertaschentuch. Sie war wie eine Nutte angezogen, trug sehr hochhackige Pumps, schwarze Netzstrümpfe, einen schwarzen Minirock aus Leder und einen engen roten Pullover, der die Brustwarzen sehr detailliert hervorhob. Ihren Afro trug sie kurz wie das Fell eines frisch geschorenen schwarzen Schafs. Sie war erschreckend mager und knochig. Ihre Knie und Ellbogen wirkten spitz genug, jemanden damit umzubringen, sofern sie denn jemals die Technik lernen sollte, sie entsprechend einzusetzen.

Sie tupfte am verschütteten Bourbon rum. »Irgendwie frag’ ich mich manchmal«, sagte sie, »Sie wissen schon, woher bloß so ’ne armen Menschen kommen.«

»Solche armen Menschen«, korrigierte Whitfield. »Als meine persönliche Sekretärin musst du an deiner Ausdrucksweise arbeiten.«

Sie nickte ernst. »Okay.«

»Die Misere der verarmten Stadtbevölkerung«, erzählte er ihr, »hat einen kritischen Punkt erreicht. Das ist die große Tragödie der heutigen Zeit. Verstehst du, was ich sage?«

»Mhm.«

Er ließ die Augen halb zufallen. »Was auch immer ich sonst gesagt oder getan habe, ich habe es stets für meine Pflicht gehalten – meinen moralischen Imperativ –, solchen Menschen zu helfen. Und ich werde nicht ruhen, bis ich dieser schweren Verantwortung gerecht geworden bin.«

Roxanne sah ihn voller Respekt an. »Genau.«

Er wandte sich zu ihr, musterte ihr Gesicht und ihre Figur und gönnte ihr sein breites Grinsen. »Du glaubst doch an mich? Oder, Honey?«

Sie hob die knochigen Schultern und lächelte. »Aber sicher.«

Whitfield lachte in sich hinein. Er drückte ihren Oberschenkel, immer stärker, bis sie zusammenzuckte. »Braves Mädchen!«

Das große Auto glitt weiter durch die Nacht. Auf anderen Strecken, die der Bürgermeister hätte nehmen können, wäre es schneller gegangen, aber er bekam nie genug vom Anblick dieser Habenichtse. Das Elend anderer war Stimulans für seine Seele.

Die Limousine überquerte schließlich den La Cienega Boulevard und näherte sich Beverly Hills.

Vor ihnen waren hohe stählerne Flutlichtmasten hinter einer Mauer aus Betonelementen zu erkennen, NATO-Draht auf der Mauerkrone. Als Whitfields Konvoi näher kam, hallte eine Lautsprecherstimme über den Highway. »Stopp. Kommen Sie nicht näher. Identifizieren Sie sich beim Wachposten.«

»Als ob sie uns nicht erwartet hätten«, grummelte Whitfield. Er hievte sich in Sitzposition und drückte den Knopf der Sprechanlage. »Vernon? Sag Sergeant Sanchez von der Eskorte, er soll den Beverly-Hills-Leuten erzählen, dass wir im Beverly Hilton Amtsgeschäfte haben.«

»Ja, Sir, Mr. Whitfield.«

Roxanne sah verwirrt aus. »Wieso kommen die uns auf diese Art? Verstehen die denn nicht, wer du bist?«

Er zog eine Grimasse. »Hat nicht viel zu sagen. Das ändert sich, bald genug.«

Nach kurzem Warten glitten schwere Stahltore auseinander, ließen der Limousine kaum genug Raum zum Durchfahren. Die Militäreskorte blieb derweil draußen.

Kurz darauf ging es für den Bürgermeister auf dem Canon Drive mit seinen hohen, in schimmernden Plastiksonnenschutz gehüllten Palmen nach Norden. Hier war der Betonbelag glatt und sauber. Geräumige, elegante Einzelhäuser standen halb versteckt inmitten üppiger Vegetation, tadellos gepflegt und geschmackvoll beleuchtet.

»Lass das Jüngste Gericht kommen«, murmelte Whitfield, »dann sieht es hier ganz anders aus, davon bin ich überzeugt.« Er nickte bei dem Gedanken. »Sie sollen den Zorn Gottes erleben. Und sie sollen für ihre Sünden bezahlen.« Er trank sein Glas aus und setzte es ab. »In der Hölle sollen sie schmoren. Ewige Qualen sollen sie leiden. So spricht der Herr.«

»Amen«, sagte Roxanne. Ein bisschen nervös spielte sie mit dem diamantenbesetzten Kruzifix, das an einem silbernen Halskettchen baumelte.

Zum Hotel war es nicht mehr weit. Der Parkplatz war dicht an dicht vollgeparkt mit klassischen Rolls-Royce, Ferraris und Jaguars, und die Fußwege wimmelten von Paparazzi. »Bleib im Wagen«, befahl Whitfield Roxanne. »Es dauert nicht besonders lange.«

»Aber Sie haben gesagt, ich kann …«

Er patschte ihr auf die Wange, und dann noch einmal, gerade fest genug, dass ihr Kopf zurückkippte und ihre Augen sich vor Überraschung weiteten. »Du machst, was ich sage, Honey.«

Er stieg aus dem Wagen und direkt in ein Blitzlichtgewitter. Vernon, der Chauffeur, groß, muskulös und bedrohlich in seiner paramilitärischen Uniform, knallte die Wagentür zu, bevor irgendein neugieriger Journalist die Chance hatte hineinzusehen.

Whitfield watschelte die drei Stufen zur Lobby hinauf und blieb stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Ein junger Mann in anthrazitgrauem Anzug und mit einer Nelke im Knopfloch eilte auf ihn zu. Er hatte ein künstlich hübsches Gesicht, das nur plastischer Chirurgie zu verdanken sein konnte. »Mr. Whitfield!« Er ergriff Whitfields Hand und sah ihm mit beflissener Ernsthaftigkeit in die Augen. »Ich bin so froh, dass Sie da sind. Wir rätselten schon …«

»Sie können aufhören mit Rätseln, Junge. Ich bin hier.«

Das Lächeln des jungen Mannes wurde unsicher. »Ja … natürlich. Auf jeden Fall kommen Sie gerade rechtzeitig, sollten Sie noch vorhaben, die Programmrede zu halten, wäre uns das eine große Ehre …«

»Führen Sie mich hin.«

»Aber natürlich. Mit Vergnügen.« Er führte Whitfield einen langen Korridor mit gelben Wänden und dickem Teppichboden entlang, durch eine Reihe von Türen und an zwei bewaffneten Wachposten vorbei in die Seitenkulisse einer kleinen Bühne.

»Aber wir dürfen nie die wahre Bedeutung von Weihnachten vergessen«, sagte gerade ein Herr in blendend weißem Anzug. Er stand vor einem Mikrofon und sah in den Saal hinein, in dem mehrere Hundert hohe Tiere aus der Medienlandschaft an Tischen saßen, unter Girlanden von Stechpalme, Mistel, bunten Glaskugeln und handgemachten Papierblumen. »Im Ernst, es ist eine ganz besondere Zeit im Jahr. Eine Zeit, derer zu gedenken, denen es nicht so gut geht wie uns – deshalb gehen die Einnahmen aus dieser Veranstaltung als Spende an den Wohltätigkeitsfonds der Unterhaltungskünstler.« Er wartete den obligatorischen Beifall ab, blickte zur Seite und sah, offensichtlich erleichtert, dass Whitfield da war. »Es ist auch eine Zeit der Herzensgüte«, fuhr er fort und schaltete in einen anderen Gang. »Eine Zeit seinen Nächsten zu lieben. Und in diesem Geist präsentiere ich Ihnen heute Abend einen Überraschungsgast. Einen Mann, mit dem wir, offen gestanden, unsere Differenzen hatten. Doch wie ich erfuhr, hat er gerade heute Abend einige gute Neuigkeiten für uns, lassen Sie uns also mit offenem Herzen und Sinn die Botschaft anhören, die er uns bringt. Meine Damen und Herren, Mr. Clarence Whitfield, Bürgermeister der Stadt Los Angeles.«

Whitfield trat ins Licht der Bühnenbeleuchtung. Blitzschnell registrierte er das Meer der Gesichter, gut aussehende Männer, bezaubernde Frauen, extravagant hergerichtete Tische mit dem Durcheinander der Überbleibsel eines höchst opulenten Banketts. Einiges überraschtes Gemurmel entstand, hier und da wurde unsicher Beifall geklatscht, als er nach dem Mikrofon griff.

»Es ist mir eine Ehre, hier zu sein«, begann Whitfield, »bei den wundervollsten, den talentiertesten Menschen in einem unserer bedeutendsten Wirtschaftszweige, der selbst in diesen Zeiten der Ungewissheit noch floriert.« Er nickte bedächtig, als gefiele ihm die Weisheit in seinen Worten.

»Wissen Sie«, fuhr er fort, »als ich heute hierher unterwegs war, sah ich auf den Straßen von Los Angeles eine Menge Menschen, denen nicht viel geblieben ist, diese Weihnacht zu feiern. Die Misere der verarmten Stadtbevölkerung hat einen kritischen Punkt erreicht. Das ist die große Tragödie der heutigen Zeit. Und Sie müssen wissen: Was auch immer ich sonst gesagt oder getan habe, ich habe es stets für meine Pflicht gehalten – meinen moralischen Imperativ –, solchen Menschen zu helfen. Und ich werde nicht ruhen, bis ich dieser schweren Verantwortung gerecht geworden bin.« Er sah ins Publikum, als trotzte er jedem, der womöglich an ihm zweifelte. »Im Sinne dieses Ziels ist es mir eine Freude, Ihnen den erfolgreichen Abschluss der langen Verhandlungen zwischen der Stadt Los Angeles und der Führung von Beverly Hills bekannt zu geben.«

Zögernd begann das Publikum zu applaudieren. Doch er hielt die Hand hoch. »Ich glaube daran, dass unser neues Abkommen den unerfreulichen Zustand beenden wird – lassen Sie es mich klar formulieren –, die bedauerlichen gewaltsamen Auseinandersetzungen, die wir miteinander hatten. Gemeinsam werden wir imstande sein, wieder aufzubauen, indem wir unsere Kräfte und Mittel vereinen, und auch die Gesetzesbrecher zu bestrafen«, er bleckte die Zähne in einem plötzlichen kleinen Wutanfall, »die Sozialparasiten und Berufsverbrecher, die aus der sogenannten Free Zone heraus operieren.«

Er hielt inne, wischte seine dicken Wangen mit einem weißen Taschentuch und brachte dann ein wohlwollendes Lächeln zustande. »Eines Tages, in nicht allzu ferner Zukunft, werden Sie auf Ihre Wachposten und Befestigungen verzichten können, und gesetzestreue, gottesfürchtige Bürger werden sich frei im Gebiet des Greater Los Angeles bewegen. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen und wünsche Ihnen allen frohe Weihnachten und Frieden und Wohlergehen im neuen Jahr und neuen Jahrtausend.«

3. Latinobanditen im überfluteten Speckgürtel

Zur gleichen Zeit, sieben Meilen weiter südwestlich, stand Dr. Percival Abo an der Reling eines verrosteten Frachters, der langsam landwärts schipperte. Dort, in Ocean Park, lagen die Straßen zwei Meter unter verdrecktem Meerwasser, und Fische schwammen durch zerbrochene Fenster verfallender Eigentumswohnungen. Ein neu ausgehobenes Becken hatte den überfluteten Vorort in eine vornehme Marina verwandeln sollen, doch die Arbeiten wurden eingestellt, als das Geld zu Ende ging, und das Projekt verkam zu einem Sumpf. Füchse und Waschbären trieben sich nachts auf den Dächern herum, und merkwürdige neu mutierte Gewächse hatten sich auf den Schlammflächen angesiedelt.

Das Becken war jedoch tief genug, um als behelfsmäßiges Hafenbecken zu dienen, und somit fand der Frachter hier seinen Anlegeplatz. Zwei chinesische Matrosen schleuderten ein abgenutztes Tau über Bord. Dr. Abo nahm die Bewegung von Männern auf dem Pier wahr, die im unheimlichen roten Mondlicht nur schwer auszumachen war. Sie fingen das Tau auf und befestigten es an einem im Schlamm steckenden Bulldozer.

Der Kapitän des Schiffs kam leise zu Dr. Abo an die Reling. Er war ein kettenrauchender Koreaner mit Messernarben an einer Wange und der Narbe einer Schusswunde an der linken Hand. Verschiedene Knöpfe fehlten an seiner Uniform, er trug kein Hemd darunter. Während der dreißigtägigen Pazifiküberfahrt hatte er viele Schachpartien mit Dr. Abo gespielt, aber nie seinen Namen verraten. Dr. Abo hatte nicht danach gefragt – hatte tatsächlich überhaupt keine Fragen gestellt. Er war schlicht dankbar, dass er am Leben war.

»Ich werde noch etwas mehr von Ihrem Geld brauchen«, bemerkte der Koreaner leise, »um uns vor den Behörden zu schützen.« Er zog an seiner Zigarette, sie glühte in der Dunkelheit auf.

»Na schön.« Dr. Abo langte in sein Jackett und holte einen seiner Krügerrands aus der Innentasche und gab ihn dem Kapitän.

Die Männer auf dem Pier richteten eine Gangway auf, aus Tischlerplatten und Abflussrohren aus Kunststoff improvisiert. Sie rumpelte an die Bordwand, und die Männer kletterten hinauf, ertasteten sich ihren Weg durch die Dunkelheit. Der Kapitän schaltete eine Stablampe an, doch die Männer schienen sie kaum zu sehen. Dr. Abo fielen ihre Gesichter auf: Sie schienen aus Mexiko zu stammen, die Haut so dunkel, dass sie fast schwarz wirkte, pockennarbig und voller Pusteln. Ihre Augen spiegelten das Licht mit sonderbarer, bleicher Intensität. Hautkrebs und grauer Star, erkannte er. Geschenke der neuen Sonne.

»Buenas tardes«, sagte der erste Chicano. Er trug einen Patronengurt schräg über einem zerlumpten schwarzen T-Shirt und eine abgeschnittene Levi’s.

»Buenas tardes«, erwiderte der Kapitän ruhig.

Der Chicano stockte, als suchte er nach Worten. »Wir hören Ihre Nachricht über Funk. Wir sind die Hilfe für Sie. Der Schutz.«

Der Kapitän hielt ihm die Goldmünze hin und leuchtete mit der Stablampe drauf. »Oro«, sagte er.

Torres sah den Krügerrand von ganz nahe an, nahm ihn, biss drauf und gab ihn dann einem seiner Begleiter. Sie besprachen sich in rasend schnellem Spanisch. Schließlich drehte er sich zum Kapitän und nickte. »Okay.«

»Schutz für tres días«, sagte der Kapitän.

Der Chicano schüttelte den Kopf. »Dos.«

»Das ist wahrscheinlich lange genug«, erklärte ihm Dr. Abo.

»Gracias. Buenas noches.« Torres wandte sich zum Gehen.

»Einen Moment«, rief Dr. Abo. »Ich habe Ladung, die gelöscht werden muss.«

Im Gesicht des Chicanos stand feindseliges Nichtverstehen.

»Behälter. Kisten.«

»Cajas de madera«, half der Kapitän aus.

»Ich brauche einen Truck«, fuhr Dr. Abo fort, seine Aufregung ließ ihn drauflosreden, ob sie ihn nun verstanden oder nicht. »Es muss ein Kühllaster sein. Und ich selbst muss ein Auto mieten …«

»Mañana«, sagte Torres. »Wir schicken Ihnen ein paar Jungs. Kostet mehr, Sie bezahlen.« Ohne die Antwort abzuwarten, führte er seine Leute zurück auf den Pier, in die Nacht.

»Machen Sie sich keine Sorgen.« Der Kapitän schnippte den Zigarettenstummel über Bord. »Ich hab früher schon mit diesen Leuten Geschäfte gemacht. Ich schlage vor, Dr. Abo, dass Sie sich etwas Schlaf gönnen. Es sei denn, Sie hätten Lust auf eine Partie …«

»Nein. Kein Schach mehr. Trotzdem vielen Dank.« Dr. Abo verbeugte sich steif vor dem Koreaner, drehte sich um und ging vorsichtig über das Deck, zurück in die Sicherheit und Einsamkeit seiner Kabine.

Als er eintrat, wirkte das helle gelbe Licht der einzelnen nackten Glühbirne beruhigend vertraut auf ihn, und die abblätternde cremeweiße Farbe und der wackelige Holzstuhl einladend im Vergleich zu der unbekannten Stadt da draußen. Überall in der Kabine lagen alte Bücher herum; die Überfahrt hatte er großenteils damit verbracht, sich durch die überholte 1989er Ausgabe der Encyclopedia Britannica hindurchzuwühlen.

Er hatte seinen Hund zur Gesellschaft, Lucky – einen Cockerspaniel, den er vor den chinesischen Behörden in Hongkong gerettet hatte, als sie Abos Unternehmen geschlossen und ihn aus seiner Wohnung geworfen hatten.

Dr. Abo schloss die Kabinentür. Aus Gewohnheit sperrte er hinter sich zu und blieb tief einatmend stehen. Lucky rappelte sich in seinem Korb auf und kam schwanzwedelnd zu ihm. Dr. Abo beugte sich zu ihm, klopfte ihm erst auf die Seite, kraulte ihn dann hinter den Ohren. »Ich habe ein paar Männer dafür bezahlt, dass sie uns zwei Tage Liegezeit zugestehen«, erzählte er dem Hund, als wollte er sich selbst beruhigen. »Wir laden morgen aus, hoffe ich.« Dr. Abo holte einen zerknitterten Zettel aus der Jacketttasche und sah ihn unnötigerweise genau an, denn die Bleistiftnotiz darauf kannte er längst auswendig. Sie hatte sich mit mystischer Bedeutsamkeit aufgeladen, wie ein religiöses Totem. »Wir fahren zu Dusty McCullough in die Free Zone. Sie wird uns einen sicheren Unterschlupf bieten, da können wir ohne bürokratische Einmischungen wohnen und arbeiten.«

Lucky wedelte mit dem Schwanz. »Das ist fein«, sagte der Hund. »Ja, das freut mich.«

Die Hundestimme klang fast menschlich, wenn auch nicht ganz.

4. Albtraum mit schleimigen Aliens

Zur gleichen Zeit, weit entfernt im interstellaren Raum, saßen vier Aliens im Kommandoraum ihres Schlachtschiffs und sahen sich bewegte Bilder auf einem gigantischen kreisrunden Bildschirm an.

»Gewalttätiges Verhalten!«, rief der Kapitän des Schiffs, ein Außerirdischer mit dem Ehrentitel Runzliger Kaventsmann. Er sah auf dem Schirm, wie ein menschliches Wesen mit einer Faustlaserwaffe ein ganzes Infanteriebataillon zerstäubte. Das Bild füllte sich mit einem gewaltigen orangefarbenen Feuerball.

»Ja, wirklich«, stimmte der Navigator Dicke Geschwollenheit zu, »recht unterhaltsam.«

»Aber seht euch freundlicherweise dies an.« Hohe Ständer, der Anthropologe, stülpte ein Scheinfüßchen aus und drückte damit einen Knopf neben dem Bildschirm, um mit dem Schnellvorlauf eine andere Sequenz anzusteuern. Da waren Erdlinge zu sehen, wie sie in einer Straße zwischen Bürotürmen ihren Geschäften nachgingen. Ein silbernes Raumschiff schoss mit flammenspeienden Düsen vom Himmel herab. Es wich Kampfjets aus, die es abzuschießen versuchten, und richtete dann einen Hitzestrahl auf die Bürotürme, die in Staub und Trümmerbrocken auseinanderflogen.

»Oh, ausgezeichnet«, sagte Runzliger Kaventsmann. Er lachte. »Ja, das gefällt mir ganz besonders.«

Genau genommen waren weder Worte noch Lacher auf der Brücke zu hören. Die einzigen Geräusche kamen von über schleimüberzogenes Gestein glitschendem Fleisch und vom warmen, nährstoffreichen synthetischen Mucus, der von der perforierten Decke auf die Wesen darunter herabtropfte. Sie kommunizierten nonverbal mittels komplexer Folgen von Körpergerüchen und Zuckungen ihrer Pseudopodien. Der Inhalt ihrer Konversation ließ sich jedoch mit Leichtigkeit in menschliche Begriffe übertragen.

Hohe Ständer nutzte sein zum Hantieren geeignetes Scheinfüßchen, um einen anderen Reglerknopf neben dem Bildschirm zu betätigen. »Die Bilder, die wir hier sehen, wurden als elektromagnetische Wellen von einem Planeten empfangen, der sich selbst als Erde bezeichnet«, erläuterte er. »Er gehört zu einem Sonnensystem nur drei Lichtjahre von unserer augenblicklichen Position entfernt. Ich zeige euch jetzt eine neueste Übertragung.« Auf dem Schirm erschienen nun zwei nackte Körper im Ringkampf auf einem Kingsize-Wasserbett. »Hier ist zu sehen, wie sich die dominante Spezies fortpflanzt«, fuhr er fort. »Der große Zweibeiner führt ein Organ in den kleineren ein. Bald danach kommt eine Miniaturreplik von ihm zum Vorschein.« Hohe Ständer hielt inne. »Ihr dürftet der umsichtigen Forschungsarbeit applaudieren.«

Die anderen drei signalisierten pflichtgemäßen Beifall. »Mögest du für immer feucht bleiben«, murmelte Runzliger Kaventsmann freundlich.

Jeder der Aliens wog etwa eine halbe Tonne. Sie waren formlose graue Klumpen, wie gewaltige zerknitterte lederne Säcke, die beliebig Pseudopodien ausstülpten, wenn es nötig war, die äußere Welt wahrzunehmen oder in sie einzugreifen. Keiner besaß Beine; wie Schnecken erzeugten sie eine Schleimspur, auf der sie entlangglitschten, bewegt von Tausenden Zilien auf der Unterseite ihrer Körper.