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Nach 35 Jahren als Sportexpertin bei "RTL aktuell" hat für Ulrike von der Groeben ein neues Kapitel begonnen: der Ruhestand. "Und was machst du jetzt?" Diese Frage hört sie seitdem quasi in Dauerschleife. "Erst mal nichts!", lautet ihre instinktive Antwort. Doch für die erntet sie meist Unverständnis. Die Wahl-Kölnerin fragt sich: Muss denn auch diese Lebensphase komplett durchgetaktet sein? Braucht es neue Aufgaben? Und wenn ja: welche? Wie sieht ein Alltag aus, der nicht vom Job definiert wird? In diesem Buch, einer Mischung aus persönlichen Erzählungen, Autobiografie und Ratgeber, sinniert Ulrike von der Groeben darüber, wie ihre Karriere sie geformt, aber als Mutter von zwei Kindern auch oft an ihre Grenzen gebracht hat. Darüber, was außer dem "Nichts" doch noch in ihrem neuen Leben stattfinden könnte. Sie spricht mit Expertinnen und Experten, die Tipps und Inspirationen für alle bieten, die sich mental auf den Ruhestand vorbereiten oder schon mittendrin stecken – und eine Antwort suchen auf die Frage: Was fange ich mit meiner neuen Freiheit an?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 265
Veröffentlichungsjahr: 2025
Vorwort
Bin ich reif für die Rente?
Im Gespräch mit Gudrun Behm-Steidel: „Ich nenne es Lebensphase Freiheit“
Die vier Ebenen der Veränderung für den nächsten Lebensabschnitt
Der letzte Arbeitstag: Abschied mit (ungeplanten) Tränen
Im Gespräch mit Ulrike von der Groeben und Peter Kloeppel: „Nur weil man Rentner ist, wird die Hirnleistung nicht auf zehn Prozent runtergedimmt“
Wer bin ich ohne meinen Job?
Im Gespräch mit Dr. Katharina Mahne: „Der Ruhestand ist wie ein endloser Raum, den ich selber gestalten muss“
Dr. Mahnes Top-Tipps für den Übergang in den Ruhestand
Schluss mit Druck! Endlich mal Zeit für mich
10 Denkanstöße und Übungen für mehr Gelassenheit und neue Perspektiven
Ferne Ziele und neue Horizonte
Im Gespräch mit Nina Treue: „Urlaub in einem anderen Land ist etwas anderes als der Alltag dort“
Finanzielle Weichen für morgen stellen
Im Gespräch mit Astrid Zehbe und Daniela Meyer: „Es reicht schon, wenn jeden Monat 25 Euro zum Sparen zusammenkommen“
Herzensangelegenheiten: Erfüllung durch Ehrenamt
Finden Sie ein Ehrenamt, das zu Ihnen passt
Fit und gesund, ein Leben lang
Im Gespräch mit Prof. Dr. Ingo Froböse: „Du kannst 20 Jahre lang 60 bleiben, wenn du etwas machst“
Verlust und Neuanfang
Im Gespräch mit Dana Heidrich: „Trauer ist wie eine Fast-Forward-Taste für die persönliche Entwicklung“
Gemeinsam statt einsam: Freundschaften im Alter
Neue Kontakte leicht gemacht
Nachwort
Dankeschön
Unsere Expertinnen und Experten auf einen Blick
Impressum
Es ist dieser eine Satz, der mich dazu gebracht hat, dieses Buch zu schreiben. Seit dem Tag, an dem ich offiziell verkündet hatte, in den Ruhestand zu gehen, hallte er mir von allen Seiten entgegen.
Jedes Mal, wenn mich jemand fragte, was ich denn ohne Job den ganzen Tag tun werde, antwortete ich grinsend: „Nix.“ Daraufhin musste ich mir dann sagen lassen, dass das ja überhaupt nicht geht. Also, dass zumindest ICH das nicht kann. Weil ich doch immer so viel gemacht hätte im Leben: Beruf, Haushalt, Familie, Kinder, Freunde, Marathon, Partys ... Ständig unter Strom!
Ja, liebe Leute, und genau deshalb möchte ich im Ruhestand jetzt auch endlich meine Ruhe haben!
Aber durch „Du kannst doch nicht nichts tun“ war die Zündschnur gelegt. Der Satz ließ und lässt mir keine Ruhe. Und so habe ich angefangen, darüber nachzudenken, ob ich meine neue Freiheit eventuell doch ein bisschen (ver-)planen sollte. Oder vielleicht auch nicht?
Jedenfalls fand ich das Thema auf einmal furchtbar spannend – und ich bin sicher, dass es ganz vielen Menschen ähnlich geht. Als dann auch noch der ZS Verlag mit der Frage an mich herantrat, ob ich mir vorstellen könne, ein Buch zu schreiben, beschloss ich, das Nichtstun noch ein bisschen aufzuschieben ...
Ich hoffe, dass meine Suche nach Antworten auch anderen weiterhilft. Dass sie für Anregungen und Klarheit sorgt. Und der eine oder die andere auf den Satz „Du kannst doch nicht nichts tun“ schließlich ohne Zweifel und voller Selbstsicherheit antworten kann: „Und ob!“
Über diese Frage habe ich tatsächlich nie nachgedacht, weil ich meinen Job so sehr geliebt habe. Deshalb war ich glücklich, dass ich meinen letzten Arbeitstag noch um anderthalb Jahre in die Zukunft verschieben konnte – und traf damit genau die richtige Entscheidung. Warum, erkläre ich in diesem Kapitel. Mein Plan vom Nichtstun im Ruhestand geht noch nicht ganz auf, aber es fühlt sich überraschend gut an.
Da liegt er, mein Rentenausweis, an diesem Abend im März 2024. Ich bin gerade von der Arbeit nach Hause gekommen, ein sehr stressiger Tag in der Redaktion liegt hinter mir.
Die Themenlage war schwierig, meine Sportkollegen und ich konnten uns mit dem Nachrichtenchef inhaltlich nicht einigen, in den Konferenzen diskutierten wir daher länger und zunehmend genervter hin und her. Außerdem war ein Redakteur krank, was den Ablauf zusätzlich hektischer machte. Und dann flatterte am Nachmittag plötzlich auch noch die Nachricht über einen Trainerwechsel bei einem absoluten Top-Klub der Fußballbundesliga rein. Da mussten wir das Programm, auf das wir uns endlich verständigt hatten, noch einmal komplett umschmeißen. Also: Der ganz normale Wahnsinn im News-Alltag …
Es ist 20 Uhr, als ich in entsprechender Verfassung nach Hause komme. Auf dem Tisch im Esszimmer liegt die Post, die mein Mann Alex reingeholt hat. Darunter ein Umschlag für mich vom Renten Service mit besagtem Inhalt. Ich frage mich: Was wollen die von mir? Ich war heute im Sender, muss morgen, übermorgen, nächste Woche auch wieder moderieren – ich stehe doch noch mitten im Arbeitsleben und gehöre auf keinen Fall zum alten Eisen!
Ich drehe und wende das folienverstärkte Stück Papier im Kreditkartenformat in meinen Händen. „Ausweis für Rentnerinnen und Rentner“ steht da drauf, darunter mein Name. Echt jetzt? Für mich kommt diese Post eindeutig zu früh. Schnell vergrabe ich das Kärtchen in meinem Portemonnaie, mit dem Vorsatz, seine Existenz zu vergessen. Mit Erfolg: Als mich Monate später jemand darauf anspricht, sage ich: „Rentenausweis? So was habe ich noch nicht.“ Und glaube es kurz wirklich, bis mir dämmert, dass das ja nicht stimmt.
Ich fühle mich noch so gar nicht als Rentnerin! Allein das Wort erschreckt mich. Mir kann keiner erzählen, dass er das toll findet. Ich verbinde damit noch die Generation meiner Eltern, in der die Frauen ab einem gewissen Alter eine silbrige Kurzhaar-Einheitsfrisur trugen. Ich denke an meine Tanten und Onkel, die mit gekrümmtem Rücken und Rollator über den Bürgersteig zuckelten. Das hatte ich bislang mit dem Begriff Rentner verknüpft – also nicht unbedingt erstrebenswert dazuzugehören.
Und das, obwohl sich in meinem Umfeld so viele positive Gegenbeispiele tummeln: Freunde und Freundinnen meines Alters, die aussehen wie das blühende Leben! Die allesamt sehr aktiv sind, viel unternehmen und erfüllende Hobbys haben. Aber dieses Bild der „jungen“ Rentner hat es noch nicht ganz geschafft, die alten Klischees in meinem Kopf zu vertreiben.
Die meisten Menschen um mich herum, die nicht mehr arbeiten, genießen diesen neuen Lebensabschnitt. Eine Freundin und ihr Mann erkunden ganz Europa mit ihrem Wohnwagen. Dabei halten sie die schönsten Momente und Naturschauspiele in grandiosen Fotos fest und beschreiben ihre Exkursionen, via Facebook nehmen sie uns so auf ihre Reisen mit. Meine Freundin plante sogar einen begleitenden Podcast. Aber nach der ersten Folge merkte sie, wie viel Arbeit dahintersteckt, und hat es wieder gelassen. Reisen soll ja etwas Schönes sein und nicht auch wieder in Stress ausarten. Ich kann ihre Entscheidung gut nachvollziehen. Denn das ist ein entscheidender Vorteil des Rentnerdaseins: Müssen müssen wir gar nichts mehr!
Für meinen Geschmack muss auch nichts Spektakuläres mehr passieren. Meine Nachbarin zum Beispiel ist gerne in der Natur unterwegs und interessiert sich für Literatur. Sie trifft sich mit Freunden zum Spazierengehen oder Wandern, ist Mitglied eines Lesezirkels. Alles keine abenteuerlichen Aktivitäten, aber ihre Tage sind ausgefüllt mit Dingen, die ihr Spaß machen.
Was brauche ich zum Glücklichsein? Die Antwort auf diese Frage wird wohl bei jedem von uns anders lauten. Die einen fragen sich mit Blick auf meine Nachbarin vielleicht: Das kann doch nicht alles sein? Ich sage: Doch, wenn es dir Freude bereitet, kann auch sehr wenig alles sein.
Am 1. März 2023 erreichte ich mein offizielles Renteneintrittsalter und damit wäre mein unbefristeter Vertrag als Festangestellte bei RTL ausgelaufen. Aber dazu kam es nicht. Schon ein Jahr vorher war der Sender mit der Frage an mich herangetreten, ob ich mir vorstellen könne, noch ein bisschen zu verlängern. So um ein Jahr vielleicht? Es hat mich damals schon stolz gemacht, dass man mich in meinem Alter in einem so hart umkämpften Business noch weiter beschäftigen wollte. Dass wertschätzend wahrgenommen wurde, wie sehr ich für meine Arbeit brenne. Daher musste ich nicht lange überlegen, um Ja zu sagen.
Aber ich stellte eine Bedingung: „Ich will nur noch 50 Prozent arbeiten.“ Weil ich merkte, dass die Arbeit durch immer mehr und immer schnellere Informationsquellen für mich durchaus anstrengender wurde. Ich hatte das Bedürfnis, ein bisschen Fahrt rauszunehmen. Und dachte: Wunderbar, so kann ich meinen Job langsam ausschleichen und muss nicht von heute auf morgen von 100 auf 0 Prozent runter. Das klang für mich nach einer Top-Idee.
Mein Mann unterstützte mich voll bei meiner Entscheidung. „Na klar machst du weiter“, meinte er. Ich glaube, er hatte ein bisschen Angst davor, dass ich deutlich früher als er nicht mehr arbeite und dann den ganzen Tag um ihn herumwusele. Er ist anderthalb Jahre älter als ich und wird vermutlich nie so ganz in den Ruhestand gehen.
Alex liebt seinen Beruf so sehr, wie ich es immer getan habe. Er ist als Live-Kommentator für Eurosport tätig und macht das inzwischen größtenteils von zu Hause aus. Fürs ZDF kommentiert er bei Großevents wie den Olympischen Spielen und Paralympics, da ist er dann entweder vor Ort oder im Sendezentrum in Mainz. Und als ob das alles noch nicht genug wäre, geht er auch weiter seiner zweiten großen Leidenschaft neben dem Sport nach: der Schauspielerei! Fast immer sind es Komödien und da sitzen dann überwiegend Menschen im Publikum, die ihren Ruhestand genießen und mal so richtig Spaß haben wollen. Das wiederum macht Alex so viel Spaß, dass er weitermachen wird, solange er es kann. Davon bin ich überzeugt.
Aber zurück zu mir und RTL. Mein Chef sagte zu mir: „Mach, was du willst, aber bleib.“ Und so hatte ich in meinem letzten Berufsjahr den Luxus, mir meine Arbeitstage in Absprache mit den Kollegen mehr oder weniger frei einzuteilen. Mal arbeitete ich unter der Woche, mal am Wochenende, mal eine ganze Woche durch, um dann eine Woche freizunehmen. Wichtig war, dass ich mich bei der Planung mit meinem Kollegen Peter Kloeppel abstimmte. Denn wir spielten als TV-Paar bei RTL Aktuell für die Zuschauer eine wichtige Rolle: Es gab ihnen ein Gefühl der Verlässlichkeit, uns von montags bis freitags pünktlich um 18.45 Uhr gemeinsam zu sehen. Am Anfang unserer Zusammenarbeit bat der Sender Peter und mich sogar darum, unsere Urlaubszeiten zu synchronisieren, was wir, zumindest als wir noch schulpflichtige Kinder hatten, auch ganz gut hinbekommen haben.
Peter hatte seine Arbeitszeit schon vor mir reduziert – auch weil er mehr Zeit mit seiner amerikanischen Ehefrau in den USA verbringen wollte. Daher schrumpfte unsere gemeinsame Bildschirmzeit Schritt für Schritt. Theoretisch arbeitete ich nur noch die Hälfte, praktisch ging der Plan nicht so ganz auf.
Denn auf einmal kamen zeitgleich viele Angebote für andere Jobs rein, die ich neben meiner Arbeit bei RTL Aktuell erledigen konnte – und wollte: Moderationen von Events oder Sportgalas, dazu im Herbst 2023 die Teilnahme an der Reality-Krimi-Show Die Verräter meines Heimatsenders. Dafür drehten wir zwei Wochen in einem Schloss in Frankreich und ich war ganz raus aus meinem normalen Alltag. Als die Kinder noch klein waren, habe ich solche Zusatzjobs häufig abgelehnt, denn meine Faustregel war, dass die beiden höchstens einmal pro Quartal am Wochenende ohne mich auskommen müssen. Aber das hat sich mit der Zeit ja erledigt und ich konnte mich an meinen freien Tagen auch in vielen anderen Rollen ausprobieren.
Und so füllten sich die 50 Prozent Freizeit ganz schnell mit anderen Projekten. Auch privaten: Alex und ich entschieden uns dazu, in unserem schönen, aber doch schon älteren Haus – es ist quasi ebenfalls im Rentenalter – die Energiewende einzuläuten. Als wir es vor gut 25 Jahren kauften, hörten wir zum Glück auf den Rat der Handwerker und steckten Geld in eine Wärmedämmung sowie gut isolierte Fenster. Jetzt sollte die Ölheizung, die uns aufgrund ihres Alters jeden Tag um die Ohren zu fliegen drohte, durch eine Wärmepumpe plus Photovoltaikanlage auf dem Spitzdach ersetzt werden. Bei den ersten Kalkulationen wurde mir schon ein bisschen mulmig, aber dank der üppigen staatlichen Förderungen für erneuerbare Energien verwandelte sich das anfängliche Schreckgespenst doch noch in eine machbare Investition in unsere Zukunft. In dem Haus, in dem unsere Kinder groß wurden, wollen wir schließlich, wenn möglich, unseren Lebensabend verbringen.
Unser Energieprojekt begleitete mich durch mein letztes Arbeitsjahr. Gleichzeitig liefen bei RTL Gespräche mit der Geschäftsleitung. Die hatte sich überlegt, dass es doch schön wäre, wenn Peter und ich uns gemeinsam vom Bildschirm verabschieden würden. Uns war das recht. Ich wollte sowieso unbedingt noch die Fußball-EM und die Olympischen Spiele in Paris im Sommer 2024 mitnehmen, danach war mir alles egal. Zeitlich passte das perfekt, denn im Oktober erreichte Peter sein offizielles Rentenalter. Und so einigten wir uns darauf, am 23. August 2024 zum letzten Mal gemeinsam auf Sendung zu gehen. Dadurch verlängerten sich meine Arbeitsjahre noch einmal um ein halbes …
Zunächst war das eine nüchterne Terminierung, doch als wir im Frühjahr 2024 unseren Ausstieg im Doppelpack offiziell ankündigten, ging der Wahnsinn richtig los. Gefühlt wollten plötzlich alle noch mal was von uns, wir bekamen Einladungen in sämtliche Talkshows, gaben reihenweise Interviews, auch im eigenen Sender wurden wir in den verschiedenen Formaten rumgereicht. Das alles war sehr, sehr schön – aber auch irgendwie irreal. In meinem dreiwöchigen Sommerurlaub, den wir wie immer auf der Nordseeinsel Baltrum verbrachten, merkte ich: Jetzt isses aber auch gut.
Als die Kinder noch klein waren, hatte ich als berufstätige Mutter immer meiner Auszeit im Sommer entgegengefiebert. Der Akku war leer und ich hatte stets das Gefühl, dass ich nicht einen Tag länger hätte arbeiten können. So ging es mir diesmal auch. In dem Augenblick realisierte ich, dass die Entscheidung, bald Schluss zu machen, goldrichtig gewesen war. Das berufliche Ende in Sicht zu haben, fühlte sich plötzlich extrem gut an. Ein Zustand voller Zuversicht, den ich möglichst vielen Menschen wünsche, die aus ihrem Joballtag aussteigen.
Unsere Zuschauer gönnten uns den Abschied. In den sozialen Medien schrieben etliche, es sei zwar schade, dass wir bald nicht mehr zu ihrem Tagesablauf gehören würden, schließlich seien sie mit uns groß geworden, aber – und da kamen etliche zum selben Schluss: „Ihr habt es euch verdient!“
Ja, die sozialen Medien. Die haben auch die TV-Welt und die der Menschen, die dort vor der Kamera arbeiten, noch mal so richtig auf den Kopf gestellt. Früher blieb unzufriedenen TV-Zuschauern, die ihren Unmut auch artikulieren wollten, ja nur die Möglichkeit, einen Brief an den Sender zu schreiben. Doch dieser Aufwand war fürs Meckern offenbar zu groß. Die Zuschauerpost, die uns erreichte, war überwiegend positiv, meist von Autogrammwünschen begleitet. Heute wird auf Social Media alles und jedes oft in Sekundenschnelle kommentiert: Haare, Make-up, Klamotten – selten Inhaltliches, fast immer Äußerlichkeiten. Und so gab es gegen Ende meiner Karriere auch Kommentare wie: „Gut, dass sie aufhört, ich kann sie langsam nicht mehr sehen“, „Alt geworden ist sie, hat ganz schöne Falten!“.
Ist ja auch nicht ganz falsch beobachtet. Mein linkes Augenlid hängt schon ein wenig und auf der Stirn ist die Zornesfalte auch nicht mehr zu übersehen. Die hatte ich mir tatsächlich eine Weile unterspritzen lassen, weil sie – wie der Name schon sagt – so etwas Unfreundliches hat. Doch irgendwann hörte ich damit auf und jetzt ist sie wieder da. Dazu gesellen sich Lachfalten um Mund und Augen. Zahlreichen Zuschauern gefiel genau das. Sie schrieben zum Beispiel: „Ich mag es, dass du deine Falten nicht wegbügeln lässt.“ Ich finde es nicht schlimm, wenn die Leute sehen, dass auch ich älter werde.
Rückblickend hätte ich mir das Rauchen und die vielen Sonnenbäder sparen sollen. So hätte ich den Alterungsprozess sicher auf natürliche Weise hinauszögern können. Künstlich – oder mithilfe eines Skalpells – wollte ich allerdings nie dagegen angehen. Ich bin noch dieselbe wie zu Beginn meiner Karriere, mein Gesicht hat sich kaum verändert. Ich bin gut gealtert, finde ich.
Bei anderen Frauen, die im Fernsehen arbeiten, denke ich dagegen manchmal: Was machen die da? Die kenne ich doch ganz anders? Und warum sehen die auf einmal alle gleich aus? Unbestritten: Der Job vor der Kamera bringt viel Druck mit sich. Mit Mitte 40 fing ich an, mich zu fragen, wie lange ich das wohl noch machen kann. Mut machten mir unter anderem ältere Schauspielerinnen, denen man durchaus ansieht, dass sie nicht zum Beauty-Doc gehen, und die trotzdem noch gut im Geschäft sind.
Viele junge Frauen wollen heutzutage um Himmels willen keine Falten kriegen. Sie meinen, sie müssten sich laufend optimieren, und sehen auf einmal nicht mehr aus wie sie selbst. In meiner Generation war das noch nicht so. Aber auch dabei spielen natürlich die sozialen Medien eine entscheidende Rolle. Da schaut man rein und denkt: Na gut, wenn’s alle machen, bin ich eben auch dabei. Irgendwann habe ich mal kurz überlegt, ob ich das Spielchen nicht mitspielen muss, wenn ich weiter vor der Kamera arbeiten möchte – aber da waren die Falten schon da und im Sender hat’s niemanden gestört.
Trotzdem bin ich froh, aus diesem Business ausgestiegen zu sein. Ich möchte mich nicht mehr diesem Schönheitswettbewerb stellen. Will nicht mehr von Menschen, die mich nicht kennen, auf mein Äußeres reduziert werden. Oder verglichen werden mit Kolleginnen, die Jahre oder Jahrzehnte jünger sind als ich. Ich möchte nicht mehr vor dem Spiegel stehen und denken: Wie soll ich das jetzt noch wegschminken? Das wird langsam eng.
Was viele vielleicht weniger wahrgenommen haben: dass 90 Prozent meines Jobs hinter den Kulissen stattfand. Mein Arbeitstag begann nicht mit dem Gang in die Maske oder die Styling-Abteilung, sondern schon mittags, mit dem Gestalten der Sendung und der Beiträge. Ich habe mit meinen Kollegen Themen geplant, Ideen entwickelt, die Inhalte der Videos besprochen, neben ihnen im Schnitt noch an Kleinigkeiten gefeilt und meine Moderationen geschrieben. Da ist es nicht so wichtig, ob du optisch alterst, solange du im Kopf fit bist.
Ich hatte das Glück, in einem Beruf zu arbeiten, der mir förmlich auf den Leib geschnitten war. Ich hatte viel Freude daran, tolle Kolleginnen und Kollegen und genoss auch als Frau im Sport von Beginn an ihre volle Anerkennung. Gleichzeitig war es kein körperlich herausfordernder Job, der mich kaputtgemacht hätte. Im Gegenteil: Er ließ mir die Freiheit, regelmäßig meinen geliebten Sport zu treiben. Da kam so viel zusammen, was diesen Posten schön machte!
Daher beschäftigte ich mich mit dem Thema Ruhestand auch erst, als es fast schon so weit war. Dieser Lebensabschnitt ist nichts, was ich lange herbeigesehnt habe. Aber ich kann alle verstehen, bei denen es so ist.
Wenn du als Handwerker ganzen Körpereinsatz leisten musst, im Einzelhandel in langen Schichten auf den Beinen bist oder dich in der Pflege rund um die Uhr um andere kümmerst, dann bist du irgendwann durch. Genauso, wenn du ständig mental gefordert wirst. Auch in meinem Job hat sich in den vergangenen Jahrzehnten unglaublich viel verändert. Als ich anfing, beim Fernsehen zu arbeiten, gab es noch nicht einmal Computer, geschweige denn Internet. Da kamen die Meldungen von Nachrichtenagenturen wie Reuters oder dpa über den Ticker rein, ein Gerät, das am laufenden Band News auf einer endlos langen Papierrolle ausspuckte. Hatte ich Frühschicht, bin ich erst mal zum Ticker gelaufen und „scannte“ die Meldungen: Brauche ich, brauche ich nicht, brauche ich, brauche ich nicht … Alle spannenden Inhalte riss ich ab und nahm sie mit zum Schreibtisch, um mit den Kollegen darüber zu sprechen.
Als die Computer Einzug hielten, hatten wir zunächst alle damit zu kämpfen. Die ersten Modelle waren höllisch empfindlich! Da hast du einmal die falsche Taste gedrückt und alles war weg. Am Anfang hielt uns diese technische Errungenschaft noch mehr auf, als dass sie uns weiterbrachte. Es folgten das Internet, Mobiltelefone, Smartphones – und statt TV-Beiträge auf Kassetten von A nach B zu tragen, werden diese digital übermittelt.
Heute ist die ganze Welt vernetzt! Bei RTL arbeiteten wir zuletzt mit haufenweise digitalen Informationsquellen und Tools. Wenn du nicht damit groß geworden bist, sind einige Dinge nur schwer zu begreifen. Ich gab an bestimmten Stellen ganz auf und sagte offen: „Das lerne ich nicht mehr.“ So wie das Schneiden von Beiträgen, das machen viele junge Kollegen heute an ihrem Computer selber. Für Online und Social Media ist das die Regel, in den meisten TV-Formaten haben wir aber auch noch Cutterinnen und Cutter, mit denen man sich austauschen kann und die einem sehr viel Arbeit abnehmen.
Fakt ist: Die technischen Herausforderungen und vor allem die Informationsflut, die auf immer mehr Plattformen immer schneller über uns hereinbrach, waren in den letzten Jahren schon immens. Allzu lange hätte ich mich nicht mehr durchwursteln können. Bald wäre ich nicht mehr die Kollegin mit der langjährigen Erfahrung gewesen, die man gerne um Rat fragt, sondern die Grande Dame, die leider nichts mehr kann. Wie gut, dass ich mich verabschiedet habe, bevor es gekippt ist.
In gewisser Hinsicht hatte es meine Generation hier in Deutschland mega-leicht: Wir mussten im Laufe unseres Lebens keinen großen Ausnahmezuständen trotzen. Als das mit Corona losging, fragten die Kinder meinen Mann und mich: „Habt ihr so was schon erlebt?“ Unsere Antwort lautete: „Nein, noch nie.“ Dann kam der Ukraine-Krieg und wieder fragten mein Sohn und meine Tochter: „Habt ihr so was schon erlebt?“ „Nein, noch nie.“ Aber wir mussten mit der schnellen technischen Veränderung in den vergangenen 15 bis 20 Jahren klarkommen, die viele am Ende nicht nur heraus-, sondern vielleicht auch überfordert hat.
Laut einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) können sich nur 65 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland vorstellen, bis zu ihrem gesetzlichen Renteneintrittsalter zu arbeiten. Etliche große Unternehmen – darunter zeitweise auch RTL – bieten Programme an, die es Kollegen und Kolleginnen ermöglichen, schon ab 58 in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen. Ich weiß von vielen, dass sie das als großes Geschenk empfunden haben. Aber das verlockende Angebot will gut überlegt sein. Denn andere fielen völlig unerwartet in ein tiefes Loch. Die EINE zufriedenstellende Lösung für alle gibt es leider nicht.
In einigen Fällen kann man sich den Zeitpunkt zum Gehen leider nicht selbst aussuchen. In meiner Familie machte der Krebs gleich mehreren geliebten Menschen einen Strich durch die Rechnung. So wie meiner Schwester Ula, die ein Jahr jünger ist als ich. Sie war auf einer dreiwöchigen Paddeltour in den herrlichen Weiten Alaskas, als sie wegen starker Krämpfe und unerträglicher Schmerzen in einer dramatischen Rettungsaktion nach Fairbanks ausgeflogen werden musste. Die niederschmetternde Diagnose: Ein Krebstumor hatte zum Darmverschluss geführt. Die Not-OP vor Ort verlief reibungslos, wieder zu Hause in Deutschland begann dann die Chemotherapie.
Bis dahin hatte sie nie über ihre Rente nachgedacht – das war noch so weit weg. Sie war doch erst 59! Doch mit der Krebsdiagnose wurde ihr schlagartig klar: Das Leben ist endlich. Und da hat sie für sich beschlossen, die Zeit, die ihr noch bleibt, so gut wie möglich zu nutzen. Von Beginn an ist sie sehr positiv mit der Krankheit umgegangen, war zuversichtlich, dass sie wieder gesund wird. Aber sie wusste, dass sie nicht mehr arbeiten will. Und so ging sie in den vorzeitigen Ruhestand, was sie sich Gott sei Dank nach 40 Jahren in Vollzeit trotz der Abzüge leisten kann.
Seitdem genießt sie das Leben, macht viel Sport, trifft sich mit Freunden, reist und verschlingt noch mehr Bücher als früher. Und sie sieht jeden Tag im selbst verordneten Ruhestand in der Tat als Geschenk.
Meine Mutter hat den offiziellen Ruhestand nicht annähernd erreicht. Sie starb mit 60 an Krebs. Es ging ganz schnell, von der Diagnose bis zu ihrem Tod verstrichen gerade mal elf Monate. Es war ein Schock für die ganze Familie. Sie war halt immer für uns da! Sie hat nie gearbeitet, was natürlich eine völlig irreführende Aussage ist, wenn man weiß, dass meine drei Geschwister und ich innerhalb von fünf Jahren geboren sind. Ich stelle mir das wahnsinnig anstrengend vor: diese Krabbelgruppe anfangs noch in einer Dreizimmerwohnung mit Kohleofen und ohne Waschmaschine! Aber meine Mutter war immer gut gelaunt und fröhlich, auch als aus den Kleinkindern Teenager wurden, die ihr das Leben oft nicht leicht machten. Aber gerade da hat mein Vater sie sehr unterstützt. Er konnte es nicht ertragen, sie unglücklich zu sehen, weil wir mal wieder Mist gebaut hatten (ja, da gäbe es viel zu erzählen, aber das ist ein anderes Buch …). Da konnte er sehr streng sein, sein Strafenkatalog von Hausarrest über Fernsehverbot bis hin zu Taschengeldkürzung zeigte große Wirkung.
Für ihn war Mamis Tod noch schlimmer als für uns. Wir waren fast alle schon ausgezogen, meine Eltern hatten gerade angefangen, Pläne für ihre Zukunft zu schmieden – dann war mein Vater plötzlich allein. Und sehr einsam. Ich glaube, er hat auch deshalb noch bis 70 in seiner Hautarztpraxis weitergearbeitet, weil er nicht wusste, wie er die Tage ohne Mami sonst hätte gestalten sollen.
Nach einer schlimmen Phase der Trauer fand er ein neues Glück: Er tat sich mit seiner damaligen Nachbarin, einer alten Freundin der Familie, die ebenfalls verwitwet war, zusammen. Mein Vater war ein Wandervogel, er liebte es bis ins hohe Alter, die Natur und neue Landstriche zu erkunden.
In die Ferne zog es ihn nicht, unsere Familienurlaube verbrachten wir meist wandernd in der Eifel, im Schwarzwald oder in Österreich. Nur einmal ging es an die Costa Brava. Waren keine Ferien, grasten wir als Familie am heiligen Sonntag Wanderwege in der näheren Umgebung ab, so wie in den Süchtelner Höhen – mit knapp 90 Metern quasi ein Hochgebirge im ansonsten platten Niederrheingebiet, wo ich groß geworden bin. Wir waren alle sehr eng miteinander – und obwohl meine Geschwister und ich nicht immer Lust aufs Wandern hatten, habe ich viele schöne Erinnerungen an unsere gemeinsamen Ausflüge.
Mit seiner neuen Partnerin war mein Vater auch viel unterwegs. Nach Öffnung der Mauer knöpften die beiden sich die neuen Bundesländer vor. Leider erwischte der Krebs auch ihn. Er musste sich mehreren Operationen unterziehen. Immer wenn ich ihn im Krankenhaus besuchte, hielt er einen Reiseführer in den Händen und sagte zuversichtlich: „Ich muss doch anfangen, unsere nächste Reise zu planen!“ Irgendwann wurde ihm klar, dass das Planen für die Zukunft keinen Sinn mehr machte. Er entschied sich gegen weitere Behandlungen und starb im Alter von 76 Jahren zu Hause.
Mein Vater hat mich gelehrt, das Beste aus der Zeit zu machen, die uns bleibt. Und das habe ich weiterhin vor. Unter anderem durch das Schreiben dieses Buches. Ein Projekt, das ich mir früher nie zugetraut hätte und das ich, ganz abgesehen davon, parallel zu meinem Job auch gar nicht hätte stemmen können. Manchen Kolleginnen ist es trotzdem gelungen: Katja Burkard hat mit „60 ist das neue 60“ schon ihr zweites Buch fertiggestellt! Wie sie das nach Feierabend geschafft hat, ist mir ein absolutes Rätsel.
Eigentlich wollte ich ja als Rentnerin NICHTS machen, stattdessen wage ich mich mit meiner Co-Autorin Anna an der Seite in ein neues Abenteuer. Wir stürzen uns voller Energie ins Thema Ruhestand, beleuchten nicht nur meine persönliche Sicht der Dinge und bringen Erinnerungen ans Licht, sondern sprechen auch mit Experten – in der Hoffnung, dass sie Antworten haben auf die vielen Fragen, die sich mir und anderen in dieser Lebensphase stellen.
Es ist schon spannend, welche Dialoge entstehen, sobald wir Menschen aus unserem Umfeld von diesem Buch erzählen. Aus vielen sprudeln spannende Ideen dazu heraus, wie sie ihre Rentenzeit verbringen wollen. Einige davon finden Sie ebenfalls in diesem Buch. Vielleicht als kleine Inspiration?
Jetzt, wo ich schon mittendrin stecke in diesem Projekt, merke ich: Vielleicht tut’s mir gut. Ich bereite Interviews vor, muss mich mit Aufnahmetechniken und Transkribierungsprogrammen auseinandersetzen. Was ich gerade erlebe, ist eher ein Un-Ruhestand – aber einer zu meinen Bedingungen. Die Arbeit am Buch fordert mich auf eine angenehme Art und Weise und im Gegensatz zum Job in sanften Dosen. Ich wachse weiter über mich hinaus. Eine Fähigkeit, die offensichtlich kein Verfallsdatum hat.
Ich merke: Um richtig Rentnerin zu sein, habe ich noch zu viel zu tun. Wird die Liste der Projekte mit der Zeit kürzer oder bleibt das jetzt vielleicht einfach so? Für immer? Ich bin gespannt.
IM GESPRÄCH MIT GUDRUN BEHM-STEIDEL
Ruhestands-Coachin Gudrun Behm-Steidel unterstützt Menschen dabei, ihren Ausstieg aus dem Job sowie die Zeit danach sinnvoll zu planen und zu gestalten. Warum Experimente dabei ein tolles Hilfsmittel sind und wie man vom Denken ins Machen kommt.
Sie selbst hat den Schritt schon länger hinter sich: 2019 ging Gudrun Behm-Steidel fünf Jahre vor dem regulären Eintrittsalter in Rente. Die gebürtige Hannoveranerin legte damals ihre Professur für Informations- und Wissensmanagement nieder, um ihr Leben ab sofort nicht nur in Norddeutschland, sondern auch in ihrem Zweitwohnsitz auf Lanzarote zu genießen. Sie ist weiterhin digital als Coachin tätig. Nach ihrer Zertifizierung 2012 beriet Gudrun Behm-Steidel zunächst nebenberuflich Studierende und angehende Professoren, inzwischen hat sie sich auf die Generation 50 plus spezialisiert.
Haben Sie die Entscheidung für den Vorruhestand je bereut?
Nein, nie. Ich sehe es als geschenkte Lebenszeit an. Ich muss mich keinem System mehr anpassen, kann stattdessen mein eigenes Ding machen. Das fühlt sich unglaublich gut an.
Sie sind Ruhestands-Coachin, mögen aber den Begriff Ruhestand nicht. Warum?
Diese Bezeichnung hatte ihre Berechtigung, als die Menschen nach dem Arbeitsleben noch wirklich ausgepowert waren und sich aufs Altenteil zurückzogen. Aber wir altern heute ganz anders als unsere Eltern oder Großeltern. Wir leben gesünder, üben oft Berufe aus, die weniger körperlich belastend sind, und haben vielseitige Interessen. Daher nenne ich den Abschnitt zwischen dem 60. und 75. Lebensjahr, der sicherlich noch aktiver gestaltet werden kann, lieber „Lebensphase Freiheit“. Denn da verfügen wir über ein so hohes Maß an Unabhängigkeit wie sonst selten in unserem Leben. Manche meiner Klienten vergleichen es mit dem Gefühl nach dem Schul- oder Studienabschluss. Man trägt wenig bis keine Verantwortung mehr für andere Menschen, hat weniger Verpflichtungen und kann sich noch einmal aufs Neue fragen: Wo gehe ich hin? Was mache ich jetzt?
Ab welchem Alter sollte man sich gedanklich mit dem Thema Ruhestand befassen?
Es macht Sinn, mit Mitte 50 eine Bilanz zu ziehen. Sich zu überlegen und aufzuschreiben: Was ist bisher in meinem Leben zu kurz gekommen? Was habe ich zurückgestellt? Was möchte ich unbedingt noch erleben? Manche Pläne haben ein Verfallsdatum. Eine Reise nach Neuseeland werde ich mit 80 eher nicht mehr unternehmen. Aus den Punkten auf der Liste kann man sukzessive Ideen für den Ruhestand entwickeln – ganz ohne Druck, denn dann ist ja noch Zeit. Manche Dinge lassen sich daraufhin aber vielleicht auch schon früher anschieben …
Sind Sie auch so vorgegangen?
Ja. Mein Mann und ich machten oft Urlaub auf Lanzarote und merkten, dass wir in Zukunft gut auf der Insel leben könnten. Als ich 56 war, fanden wir unser Traumhaus und schlugen zu. Damals hielten wir das eigentlich noch für zu früh. Aber kaum ging mein Mann in Rente, kam eine Erkrankung nach der nächsten, darunter eine Krebsdiagnose. Zu dem Zeitpunkt hatten wir uns auf Lanzarote schon ein Netzwerk aufgebaut, kannten uns aus und konnten Arzttermine sowie andere notwendige Schritte gut organisieren. Im Hinblick auf diese gesundheitlichen Herausforderungen würden wir uns jetzt, in unserem eigentlichen Rentenalter, einen Umzug ins Ausland nicht mehr zutrauen. Hätten wir diesen Traum aufgeschoben, wäre er unerfüllt geblieben.
Es macht also durchaus Sinn, schon frühzeitig einen Plan zu haben?
Das würde ich so nicht sagen. Denn den perfekten Plan gibt es nicht. In vielen Fällen kommt etwas dazwischen. Mehr Sinn machen in meinen Augen Experimente, am besten noch während der Berufszeit. Das Haus auf Lanzarote war als solches gedacht. Wir wollten das Leben in zwei Welten erst mal über drei Jahre hinweg testen und dann weitersehen. Daraus wurde schließlich ein Dauerzustand. Unser Haus in Deutschland haben wir inzwischen verkauft und wohnen dort nur noch zur Miete.
Erklären Sie das mit den Experimenten bitte einmal genauer. Warum sind die gut und wie können sie aussehen?