Freude am Durchblick - Ursula Büchler - E-Book

Freude am Durchblick E-Book

Ursula Büchler

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Beschreibung

Leiden Sie unter Kurz-, Weitsichtigkeit oder anderen Sehschwächen? Dieses Buch zeigt mit vielen Beispielen, dass Faktoren wie Vererbung, Geburtserlebnisse und andere familiäre Prägungen unsere Sehschärfe beeinflussen. Mithilfe der Integrativen Sehtherapie können Sie frühere Lebenserfahrungen klären und wieder besser sehen lernen. Mehr noch: Sie bekommen Klarheit und Durchblick für Ihre Lebenssituation.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 282

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Anmerkung

Auch wenn dieses Buch von zwei Autoren, Ursula Büchler (Hauptautorin) und Klaus Jürgen Becker (Mitautor), geschrieben wurde, beschreibt es ausschließlich die Sehtherapie nach der Methode von Ursula Büchler. Wenn also nachfolgend im Buch von »ich«, »meiner Sehtherapie« bzw. »meiner Praxiserfahrung« die Rede ist, bezieht sich dies – soweit nicht gegenteilig dargestellt – auf die Sehtherapie und Praxis von Ursula Büchler. Beiträge von Klaus Jürgen Becker sind mit den Buchstaben KJB gekennzeichnet. Die Namen der Patienten in den Praxisbeispielen wurden verändert, um den Schutz der Privatsphäre zu wahren.

Inhaltsverzeichnis

AnmerkungEinführung
VorwortUrsula Büchler: Mein spannender Weg zur Sehtherapeutin
Copyright

Einführung

Vorwort

Kennen Sie das: Sie suchen Antworten auf Fragen? Sie stellen Dinge infrage, immer und immer wieder? Es vergehen vielleicht Jahre oder gar Jahrzehnte, bis Sie Antworten finden – und dann erscheint Ihnen das wie ein »Zufall«: Ganz unerwartet fallen Ihnen diese Antworten zu. Und Sie erkennen: Das ist der Schlüssel zu den Fragen, nach denen Sie so lange gesucht haben.

So ist es mir mit meinen Erkenntnissen zu meiner »systemisch integrativen Sehtherapie« und zu diesem Buch ergangen.

Seit Langem beobachte ich, wie psychische Belastungen oder körperliche Beschwerden sich im Auge zeigen und Einfluss auf die Sehleistung haben. Eine optische Korrektur gleicht einer Symptombehandlung, wie wir sie vielfach in der klassischen Schulmedizin wiederfinden. Die Sehleistung wird wieder hergestellt, aber es wird weder nach den Ursachen gefragt noch wird der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit wahrgenommen. Werden fernöstliche Heilmethoden wie Akupunktur und Homöopathie inzwischen von vielen Ärzten aktiv praktiziert, so fehlt dieser Ansatz häufig in der klassischen Sehkraftbestimmung, der Optometrie.

Das Wissen um diese Ganzheitlichkeit und meine persönliche Entwicklung haben mir die Möglichkeit gegeben, mein Wissen um die klassische Optometrie zu erweitern und meine eigene Therapieform zu entwickeln, die ich inzwischen mit viel Erfolg bei meinen Klienten anwende. Meine positiven Erfahrungen möchte ich in diesem Buch weitergeben und alle Interessierten dazu motivieren, diesen Weg mitzugehen.

Wissenschaftliche Darstellungen habe ich, soweit möglich, auf einfache Erklärungsmodelle reduziert, um komplexe Sachverhalte möglichst praxisorientiert zu erläutern und den Leser auf unkomplizierte Weise in den Genuss meiner spannenden Erkenntnisse und Praxisberichte kommen zu lassen.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.

Ursula Büchler

München, im August 2011

Ursula Büchler: Mein spannender Weg zur Sehtherapeutin

Besser ein Licht anzünden, als sich über Dunkelheit zu beklagen.

Die Entwicklung meiner »systemisch integrativen Sehtherapie« begann offiziell mit meiner Ausbildung zur Augenoptikerin im Jahre 1965. Aber eigentlich ist sie die Geschichte meines Lebens.

Ich wurde 1949 geboren. Meine Familie stammt aus Breslau/Schlesien, sie wurde jedoch gegen Kriegsende aus der Heimat verschlagen. Was meine Mutter auf der Flucht erlebte, muss dramatisch gewesen sein, während mein Vater die Kriegszeit als Bodenpersonal einer Fliegereinheit ohne einschneidende Erlebnisse verbrachte.

Wir waren vier Kinder zu Hause und wir hatten alle ähnliche Sehprobleme. Ich hatte einen Höhen- und Seitenschielfehler und war zudem noch weit- und winkelfehlsichtig. Ohne spezielle prismatische Brille sah ich alles doppelt, mit entsprechender Brille konnte ich jedoch alles gut erkennen.

Nach Abschluss der mittleren Reife begann ich meine Ausbildung zur Augenoptikerin. Danach führte mich mein starker Wissensdrang in die Fachakademie für Augenoptik nach München, wo ich nach fünfsemestrigem Studium meinen Abschluss als Optometristin und Augenoptikermeisterin machte. Ich wusste damals noch nicht, welch nachhaltige Weichenstellung das Schicksal damals für mich geschaffen hatte.

In meinem Beruf hatte ich gelernt, Brillengläser zu schleifen, sie einzupassen, Brillen zu verkaufen und sie anzupassen. Auch wenn es sich hierbei um ein Handwerk handelt, interessierte mich schon in frühen Jahren der Mensch, der hinter der Brille steckt. Es dauerte nicht lange, da eröffnete ich mein eigenes Geschäft. Ich hatte dabei das Ziel, meine Kunden so umfassend wie möglich zu beraten.

Ich machte eine Ausbildung zur Farbberaterin nach Prof. Johannes Itten und lernte, dass es Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintertypen gibt. Im Zuge dessen begann ich meine eigenen, typgerechten Brillen zu entwerfen. Wenn ein Kunde in »Fehlfarben« mein Geschäft betrat (zum Beispiel ein eher kühler Wintertyp kleidete sich in warmen Herbstfarben), fiel mir auf, dass dahinter oftmals – unabhängig von Modetrends – ein psychisches Problem stand. Einige meiner Kunden öffneten sich mir gegenüber im Gespräch und so bekam ich einen noch stärkeren Zugang zur Psyche und den Bedürfnissen meiner Kunden.

Es waren meine Kunden, die mich dazu veranlassten, mich immer tiefer mit den psychischen Hintergründen hinter der Erscheinung zu beschäftigen. Jeder, der zu mir kam, war eine neue Herausforderung. Seine Stimmungen, meine Stimmungen –nichts war immer gleich. Manche meiner Kunden begleitete ich jahrelang. Dabei entdeckte ich auch ihre persönlichen Veränderungen.

Immer mehr fiel mir auf, dass sich die Sehstärke1 eines Kunden stark veränderte, nachdem er Veränderungen in seiner Lebenssituation erfahren hatte, und zwar positiv wie negativ.

Ein Klient beispielsweise, der sich früher in »Fehlfarben« kleidete, kam auf einmal in den »richtigen« Farben in mein Geschäft. Seine Lebenssituation hatte sich verbessert. Das Überraschende war dann bei der Augenprüfung, dass sich seine Sehleistung ebenfalls verändert hatte. Die Kurzsichtigkeit war zurückgegangen, der Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) hatte sich verändert und die Winkelfehlsichtigkeit hatte sich verbessert.

Trauerfälle können die Sehleistung enorm beeinträchtigen. Eines Tages kam eine Kundin in mein Geschäft. Von ihr ging eine starke Traurigkeit und Kraftlosigkeit aus. Unter Tränen erzählte sie mir, dass ihr Mann vor zwei Monaten gestorben war. Ich hatte ihr vor einiger Zeit eine Brille angepasst, die plötzlich nicht mehr passte. In der Augenprüfung stellte ich fest, dass sie für die Ferne eine wesentlich stärkere Brille brauchte. Hier hatte die Trauer die Spannkraft aus der Linse genommen. Zudem konnte sie nicht mehr richtig lesen. In der Augenprüfung entdeckte ich eine starke Winkelfehlsichtigkeit für die Nähe. Um im Nahbereich etwas lesen zu können, müssen beide Augen sich aufeinander zubewegen und sich auf denselben Textteil konzentrieren. Durch die Trauer über den Tod ihres Mannes kam eine Emotion so dicht an die Kundin heran, dass ihre Augenmuskeln nicht mehr in der Lage waren, den normalen Spannungstonus zu halten. Wie die Frau selber waren die Augenmuskeln, ihre Sehkraft, in sich selbst zusammengefallen.

Manchmal ist die Beeinträchtigung der Sehleistung vorübergehend. Zu meinen Kunden gehörte ein Jurastudent mit einer leichten Kurzsichtigkeit. Eines Tages kam er in mein Geschäft und bat um eine Augenprüfung. Nach seiner Auffassung hatte sich sein Sehvermögen drastisch verschlechtert. Bei der Augenprüfung stellte sich heraus, dass tatsächlich seine Kurzsichtigkeit sprunghaft zugenommen hatte. Zudem zeigte sich ein bisher nicht vorhandener Abbildungsfehler (Astigmatismus). Da die Veränderung auffällig war, fragte ich ihn, ob er derzeit unter besonderem Stress stehen würde.

Der Jurastudent bekundete, dass er kurz vor seinem Staatsexamen stehe und extrem viel lesen und lernen müsse. Mir wurde klar, dass sich seine gesamte Wahrnehmung auf die juristischen Texte richtete und dabei seine Gefühle ausgeschaltet wurden. Dieses extreme »sich auf den Punkt konzentrieren« hatte zu einer Verhärtung in der Linse, einer Verkrampfung der Augenmuskeln, dieses »in die Paragrafen eindringen« zu einer verstärkten Kurzsichtigkeit geführt.

In dem Fall musste ich eine Brille für seine akute Situation ausmessen. Ich gab meinem Kunden jedoch die Auflage, nach Beendigung seines Examens die Augen neu testen zu lassen.

Ich traf ihn einige Zeit später zufällig auf der Straße wieder. Er erzählte mir, dass er sein Examen bestanden hätte und nun wieder seine alte Brille tragen würde.

Von meinen Kunden lernte ich, bei einer plötzlichen Veränderung der Sehleistung nach den Hintergründen zu fragen. Die Beispiele zeigen, dass es sowohl mentale wie auch emotionale Auslöser für Augenprobleme gibt.

Ich war damals fasziniert von meinen Erkenntnissen. Solche Fälle waren für mich die Triebfeder, um weiterzuforschen, ob es auch bei anderen Menschen ähnliche Zusammenhänge gibt.

Meine Erfahrungen mit den Lebensveränderungen meiner Kunden ließen in mir im Laufe der nächsten Jahre einen Umkehrschluss reifen. Ich sagte mir: »Möglicherweise kann ich die Lebenssituation und Geisteshaltung eines Menschen beeinflussen, indem ich seine Brillenstärke verändere.« Mir war klar, dass die Lösung nicht darin liegen konnte, einem Kunden einfach nur eine unterkorrigierte Brille zu verordnen. Ich war auf der Suche nach einer Systematik, einer dahinterstehenden Ordnung. Das Spannendste dabei waren die Geschichten, die die Augen meiner Kunden erzählten.

Ich habe inzwischen viele tausend Augenprüfungen gemacht und fand immer wieder bestätigt, dass die Veränderungen von Brillenglasstärken in einem direkten Bezug zu den Veränderungen des Menschen selbst standen. Instinktiv spürte ich, dass bei all meinem Tun noch etwas Entscheidendes fehlte. Die Zeit war reif geworden, mich näher mit den Möglichkeiten der Sehtherapie zu beschäftigen.

Zwar ahnte ich bereits psychologische Zusammenhänge von Sehschwächen. Jedoch fand ich damals noch keinen Sehlehrer, der sich dieser Thematik angenommen hatte. So führte mich mein Weg zur Sehtherapeutin erst einmal zum klassischen Sehtraining.

Eines Tages fiel mir das Buch Natürlich besser sehen von Janet Goodrich in die Hände. Janet Goodrich hatte sich über 25 Jahre lang mit dem Thema »Augen« beschäftigt und daraus ihre »Natürlich-besser-sehen-Methode« entwickelt. Für sie war es wichtig, im Rahmen von »Sehspielen« das Sehen auf eine spielerische Art zu verbessern. Hierzu zählten Augenübungen, Atemmethoden, Bewegung, Gesang und Selbstannahme. Außerdem brachte sie Erkenntnisse aus der modernen Gehirnforschung und der Kinesiologie in ihre Arbeit ein.

Spontan meldete ich mich für einen Ausbildungslehrgang bei Janet Goodrich an, der im Frühjahr 2000 in Australien stattfinden sollte. Ich freute mich sehr darauf, etwas Neues dazuzulernen. Aber es sollte ganz anders kommen: Leider verstarb Janet Goodrich am 17. Juni 1999 in Crystal Waters, Australien.

Also suchte ich weiter nach jemandem, der mir die Antworten auf meine Fragen geben konnte. In meinen Recherchen stieß ich eines Tages auf Jacob Liberman, einen amerikanischen Augenarzt und Philosophen. Ich war froh, jemand gefunden zu haben, der nicht nur Sehtraining anbot, sondern einen qualifizierten optometrischen Hintergrund hatte. Jacob Liberman praktizierte als Augenarzt und Therapeut für Menschen mit Lernschwächen. In seinem Institut in Aspen /Colorado hatte er mehr als 15 000 Patienten behandelt. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung der Wirkung von Licht und Farbe über die Augen auf die menschliche Psyche (»Foto-Licht-Therapie«). Er entwickelte für seine Therapie einen Projektor, der einfarbiges Licht in 20 verschiedenen Farben, von Rot bis Violett, aussendet und allein über die Wirkung des farbigen Lichtes eine Veränderung der psychischen Befindlichkeit des Menschen bewirkt.

Im Herbst 1999 besuchte ich bei ihm ein Seminar in München. Liberman berichtete, was Licht in uns Menschen bewirkt und wie wichtig es für uns ist. Dann schaltete er seinen Lichtprojektor an. Während ich mit vielen anderen Menschen in einem verdunkelten Raum saß und ohne Brille in seinen Lichtprojektor schaute, sah ich aufgrund meiner Winkelfehlsichtigkeit wie gewohnt statt einen roten Farbpunkt zuerst zwei rote Farbpunkte. Während ich weiter in den Projektor schaute und die Farben wechselten, vergaß ich den Raum um mich herum.

Plötzlich fiel mir auf, dass meine Doppelbilder verschwunden waren. Ich sah vor mir nur noch einen einzigen Farbfleck. Der Farbwechsel schritt voran und ich sah weiterhin nur einen einzigen Farbfleck, orange, gelb usw., so als hätte ich nie eine Winkelfehlsichtigkeit gehabt.

Ich war erstaunt und versuchte jetzt durch meine Augenstellung so wie früher aus einem Punkt zwei zu machen und so meine mir bekannten Doppelbilder zu erzeugen. Aber es gelang mir nicht mehr, aus einem Objekt zwei zu produzieren. Ich konnte nur einen einzigen Farbfleck erkennen. Das heißt, meine beiden Augen schauten auf einmal auf exakt dieselbe Stelle, so wie es einem intakten Augensehen entspricht.

Ich war fasziniert. Ein wahres Glücksgefühl stieg in mir auf. Was für ein Unterschied! Ich wusste in diesem Moment, dass die Licht- und Farbtherapie ein Baustein in meiner zukünftigen Sehtherapie sein würde. Der Schielfehler kehrte jedoch nach der Übung wieder zurück. Dieses Erleben gab mir die Gewissheit, dass eine Veränderung möglich sein muss. Mir war jedoch klar, dass noch weitere Schritte auf meinem Weg zur Sehtherapeutin notwendig waren.

Im Frühjahr 2000 fragte mich eine gute Freundin, ob ich Interesse hätte, mit ihr nach Nepal zu einem Meditationskurs zu reisen. Ich war bereits 1987 in Nepal gewesen und diese erste Nepalreise hatte mich mit einer tiefen Sehnsucht erfüllt, der ich damals noch keinen Namen geben konnte. Viele Jahre lang hatte ich mich mit dem Gedanken getragen, dorthin wieder zurückzukehren, und so nahm ich dieses Angebot dankend an.

Ich kam in ein Kloster in Kathmandu, wo ich täglich Belehrungen über die buddhistisch-tibetische Philosophie hörte und lernte, über längere Zeiträume zu meditieren. Im Laufe der Tage fühlte ich immer stärker die Verbundenheit aller Wesen. Ich tauchte tief ein in die Erkenntnis von Ursache und Wirkung. Eine Welle von Mitgefühl erfasste mich, die ich vorher in meinem Leben noch nie kennengelernt hatte. In meiner Kindheit war wenig Raum für Mitgefühl gewesen und ich dachte bisher, meine Lebensaufgabe sei es, gemäß den Anforderungen zu »funktionieren«. Mir wurde bewusst, dass es meine Aufgabe sein würde, das hier erfahrene Mitgefühl durch meine Arbeit in die Welt zu tragen.

Während der nächsten Jahre wurde mir bewusst, dass es drei unterschiedliche Ansätze gibt, Sehschwächen und Sehfehler zu behandeln:

» Optiker und Augenärzte. Eine relativ neue Berufsgruppe innerhalb dieser Sparte sind die Funktionaloptometristen. Sie messen Abweichungen der Augen und korrigieren Schielfehler und Winkelfehlsichtigkeiten ggf. mit prismatischen Brillengläsern.» Sehlehrer, welche Augenübungen, Körperübungen, Yoga etc. mit gesunder Ernährung verbinden.» Psychologen, die Sehstörungen mit psychischen Belastungen in Zusammenhang bringen und psychotherapeutisch behandeln.

Im Laufe meines Lebens lernte ich alle drei Berufsgruppen kennen. Ich traf auf Sehlehrer mit psychologischem Hintergrund, die hauptsächlich mit Entspannungs- und Sehübungen oder kinesiologisch arbeiteten. Sie hatten viel Erfahrung im Bereich »Sehübungen«, aber keine Möglichkeit, optometrisch zu arbeiten. Das heißt, sie konnten keine Prismen oder andere Brillengläser verordnen. Bei allen drei Ansätzen – für sich genommen – fehlte mir etwas.

Einen Anstoß für meine weitergehende Suche gaben mir meine Kunden. Ich fragte mich immer wieder: Warum sind einige Kunden mit den verordneten Brillengläsern glücklich und zufrieden, während andere mit den bestens ausgemessenen und optimal geschliffenen Brillengläsern nicht zurechtkommen? Dies ist eine Frage, mit der jeder Optiker immer wieder einmal konfrontiert ist. Doch statt die Schuld dem Kunden zuzuschieben, vermutete ich gerade bei unzufriedenen Kunden etwas Verborgenes, was mit einer Veränderung der Brillengläser alleine nicht zu lösen war. So kamen drei Dinge zusammen:

» mein Wissen aus der Optometrie,» die Erkenntnis, dass mit Optometrie nicht alle Augenprobleme zu lösen sind,» das sich immer stärker entfaltende Mitgefühl mit meinen Kunden, welches mich anregte, nach tiefergehenden Lösungen zu suchen.

All dies war der Grundstein für die Entwicklung meiner systemisch integrativen Sehtherapie, basierend auf Liebe und Mitgefühl.

Die nächste Tür, die sich mir öffnete, war die Gelegenheit, bei Dr. Roberto Kaplan an einer dreiwöchigen Sehlehrerausbildung in Österreich teilzunehmen. Dr. Roberto Kaplan gilt als einer der führenden Augenexperten in der Welt. Er befasst sich seit rund 30 Jahren mit ganzheitlichen Methoden zur Sehverbesserung. Er verbindet westliche und östliche Ansätze in der Augenheilkunde.

Der beste Weg, etwas an andere weiterzugeben, ist bekanntlich der, es erst einmal an sich selbst zu erfahren. Und so war das Seminar bei Roberto Kaplan nicht nur wissenschaftlich hochinteressant, sondern auch für mich persönlich ein ganz tiefer Selbsterfahrungsprozess.

Ich lernte von Kaplan sehr viel über Sehtraining, Augen- und Körperübungen, Irislesen (Iridologie) und vieles andere mehr. Was mich aber sofort ansprach, war eine Aussage, die Kaplan eigentlich nur in einem Nebensatz erwähnte, nämlich dass es gemäß der tibetischen Medizin ein Vater- und ein Mutterauge gibt.

Ich wusste sofort: Mit dieser These möchte ich – unabhängig vom Gruppenprozess –tiefer gehend für mich selbst experimentieren. Mich faszinierte diese Idee insbesondere, da ich sehr unterschiedliche Eltern hatte.

In der Mittagspause ging ich mit einem Stuhl unter dem Arm und einer Augenklappe in der Hand in den Park. Ich suchte mir einen schönen Platz an einem kleinen See und setzte die Augenklappe auf mein rechtes Auge. Ich schloss die Augen und dachte mir: Wenn es stimmt, dass das linke Auge dem Auge der Mutter entspricht, müsste ich jetzt wohl alles so wie meine Mutter wahrnehmen.

Vorsichtig öffnete ich mein linkes Auge und schaute mich um, mehr noch, ich fühlte mit meinem Auge. Plötzlich zeigte sich der Park beängstigend, alle Farben waren verblasst. Die Leuchtkraft der Blumen war verschwunden und ich mochte mein Auge gar nicht nach vorne ausrichten, um das Ende des Parks zu sehen. Es war trübe, trist, unangenehm, ja geradezu deprimierend. Der vorher fröhliche Sommertag war jetzt ein trauriger, trister Tag. Ich schaute eher ängstlich auf meine Füße. Versuchte ich meinen Blick nach vorne zu richten, kam er sofort wieder zurück. Am liebsten wäre ich in ein Mauseloch gekrochen. Alles um mich herum hatte seine Fröhlichkeit, seine Leichtigkeit verloren.

Ich war erschrocken, geradezu entsetzt! Das also ist die Welt meiner Mutter?! Auf einmal konnte ich ihr Verhalten besser verstehen. Meine Mutter und ich hatten bisher immer Probleme miteinander gehabt. Sie war für mich schwer einzuordnen und ich wahrscheinlich ebenso für sie. Ich hatte mir ein Leben lang ihre Liebe und ihre Anerkennung gewünscht, aber nie bekommen. Mit diesem tristen Weltbild, was sich mir gerade offenbarte, konnte ich verstehen, dass nicht viel Freude in ihr war.

Dann wurde mir bewusst: Meine Emotionen und meine Gefühle waren andere, als wenn ich mit zwei Augen schaute. Noch vor fünf Minuten hatte ich fröhlich mit beiden Augen in den Park geblickt und plötzlich, nur mit dem linken Auge sehend, war die Welt wie verwandelt, nichts war wie zuvor. Vorbei waren die Fröhlichkeit, die Leichtigkeit und die Neugierde. Ich saß da ziemlich deprimiert und eingeschränkt in meiner geistigen und emotionalen Flexibilität.

Ich stellte mir vor, ich nähme meine Mutter an der Hand und wir gingen im Geiste ein paar Schritte in den Park. Wir trafen auf ein paar Johannisbeersträucher, die am Vortag abgeerntet worden waren. Ein paar Beeren hatten sie zurückgelassen. Ich ging mit meiner virtuellen Mutter zu diesen Sträuchern. Ich stand davor und sah keine Beeren an dem Strauch. Es erschien mir alles unklar, durcheinander, leer. Ich sah nur Gestrüpp vor mir. Ich wusste aber, es gab noch Beeren, nur konnte ich sie jetzt nicht mehr sehen. Es lag wohl nicht an meinen Augen oder an meiner Sehleistung. Auf einmal hörte ich in mir eine Stimme, die sagte: »Das ist wieder mal typisch, wenn ich komme, ist nichts mehr da.« Die Stimme meiner Mutter in mir sprach zu mir.

Ich ging zu meinem Platz zurück und setzte mich auf meinen Stuhl. Ich brauchte Zeit, mich neu zu sortieren. Etwas Unfassbares war geschehen. War ich meine Mutter? War meine Mutter in mir? Mein Geist konnte das Ganze als Ursula Büchler einordnen und analysieren, aber die Gefühle, Bilder und Emotionen, die hochkamen, waren die meiner Mutter.

Ich blieb noch eine Weile sitzen, fühlte und dachte nach. Das war nicht meine Art, so zu denken, zu fühlen oder zu sprechen, aber doch war es in mir! Ich saß auf meinem Stuhl, fühlte wie meine Mutter. Es stieg langsam ein zartes Verstehen und Mitgefühl in mir auf. Mir war damals aber noch nicht bewusst, welchen noch brachliegenden Schatz an Ressourcen mir meine Mutter für mein Leben mitgegeben hatte.

Ich nahm die Augenklappe, setzte sie auf mein linkes Auge und schloss die Augen. Ich stimmte mich jetzt darauf ein, die Welt mit meinem Vaterauge zu erfahren.

Ich öffnete vorsichtig mein rechtes Auge. Sofort ging mein Blick weit in den Park hinaus. Alle Farben kehrten zurück. Es leuchtete, strahlte und funkelte. Alle Blumen erhielten ihre Strahlkraft zurück. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und zum Ende des Parks gelaufen. Alles war fröhlich und heiter.

Ich schaute mich rechts und links um. Derselbe Park, dieselbe Zeit, dieselben Personen. Der einzige Unterschied war: Ich sah nun alles mit meinem Vaterauge. Meine Stimmung war freudig erregt, ja geradezu heiter. Meine Gefühlswelt war eine völlig andere als vorher mit dem Mutterauge.

Ich stand auf und ging mit meinem virtuellen Vater zu demselben Johannisbeerstrauch. Und siehe da: Ich konnte etliche Beeren entdecken, die ich pflücken und essen konnte. Ich hörte die Stimme meines Vaters in mir, die zu mir sagte: »Schau mal, Mädchen, wie schön! Sie haben für uns noch ein paar Beeren drangelassen!«

Wieder kehrte ich zu meinem Platz zurück und versuchte das gerade Erlebte einzuordnen: Wenn ich mit dem rechten Auge schaute, erlebte ich die Welt so, wie ich meinen Vater kannte: voller Lebensfreude, voller Heiterkeit, annehmend und offen. Mit dem linken Auge hatte ich die Welt meiner Mutter erfahren, traurig, ohne Lebensfreude und trist.

Die Wesensarten meiner Eltern lebten in meinem Körper. Die emotionalen Programme meiner Eltern wurden anscheinend über das jeweils in meine Augen einfallende Licht bzw. über mein Gehirn in meinem ganzen Körper aktiviert und lebten in mir weiter. Und ich als eigenständiges Wesen konnte die Gefühle meiner Eltern hervorrufen, erleben und sie mit meinem Bewusstsein analytisch betrachten und wertfrei beobachten.

Auf einmal wurde mir klar, warum ich einen Schielfehler hatte: Meine Augen, repräsentativ für meine Eltern, konnten nicht stressfrei auf ein und denselben Punkt schauen, sondern drifteten auseinander. Das linke Auge zog es nach unten, das rechte Auge wollte nach oben schauen. Mein Schielfehler war also ein Ausdruck der nicht kompatiblen Lebenshaltungen meiner Eltern.

Ich erkannte, dass es keine Lösung war, sich ausschließlich für das Vaterauge zu entscheiden. Mein Mitgefühl forderte mich vielmehr auf, meine Mutter – in mir – von ihrem Leiden zu erlösen. Dies bedeutete für mich, die Programme beider Eltern in mir zur Deckung zu bringen.

Ich wollte die Fröhlichkeit. Ich wollte die Lebensqualität, die mir mein Vater mitgegeben hatte. Ich fühlte mich eher wie mein Vater und war immer schon ein Vaterkind gewesen. Ich sah ihm nicht nur sehr ähnlich – auch mein Verhalten entsprach eher meinem Vater. Ich erkannte, warum die Anteile meiner Mutter in mir bisher keinen angemessenen Raum bekommen hatten.

Ich vertiefte mich in das, was ich gerade erlebt hatte. Ich spürte noch einmal den bisher unterdrückten Anteil meiner Mutter in mir. Ich wusste, dass ich diesen Anteil annehmen und heilen musste, um stressfrei zu sehen und zu leben.

Mein Experiment ging weiter. Kann ich etwas tun, um diesen Zustand zu verändern? Ich schloss die Augen und visualisierte ein Licht. Ich entdeckte, dass ich dieses Licht eher mit dem rechten Auge wahrnahm, während das linke Auge sich trübe anfühlte, wie ein dunkler Novembertag. Ich stellte mir vor, wie ich in meinem rechten Auge einen Rucksack packte mit Essen, Getränken, Blumensamen, Licht und ganz viel freudigen Artikeln. Mit diesem Rucksack wanderte ich in der Vorstellung über eine Brücke an die Stelle, welche die rechte und die linke Gehirnhälfte verbindet, den Pons, und weiter in mein linkes Auge. Dort packte ich in Gedanken meinen Rucksack aus, quasi als Geschenke, die ich meiner Mutter darbrachte. Ich stellte das Licht dorthin und streute Blumensamen. Sinnbildlich: Ich brachte Licht in die Dunkelheit. Dieses Bild ließ ich auf mich wirken.

Als ich die Augen öffnete, konnte ich mit dem linken Auge schon eine deutliche Verbesserung wahrnehmen. Ich folgerte: Depression und Traurigkeit bedeuten Abwesenheit von Licht. Ich entzündete also in mir selbst ein Licht. Es ging mir ein Licht auf.

Meine bisherige Vorstellung war: Klares Wasser auf der einen Seite und trübes Wasser auf der anderen. Öffne ich die Schleusen, so bringe ich klares und trübes Wasser zusammen und es gibt keine Klarheit mehr. Denn das trübe Wasser fließt in das klare und verunreinigt es.

Mir wurde mein Trugschluss bewusst. Die Wahrheit ist: Bringe ich das Licht von der klaren, hellen Seite in die dunkle, so trage ich Licht in einen dunklen Raum und er wird erhellt. So werden beide Räume erhellt. Sinnbildlich: Eine einzige Kerze kann einen ganzen Raum erhellen. Aber es gibt keine Dunkelheit, die einen hellen Raum verdunkeln kann.

Das Mitgefühl für meine Mutter öffnete sich noch weiter durch diese Erkenntnis. Was meine Mutter in mir hinterlegt hatte, war offenbar das Ergebnis ihrer Vergangenheit, ihrer Erlebnisse, ihrer Programme und emotionalen Erfahrungen, die wiederum auch mit ihren Eltern, meinen Großeltern, zu tun hatten. Meine Mutter war ja selbst einmal – so wie auch ich – ein kleines Kind gewesen, das sich nach Annahme und Wärme von ihren eigenen Eltern gesehnt hatte, und war zudem durch den Krieg gegangen. Meine eigenen Gefühle, meine eigenen Emotionen, die ich meiner Mutter entgegengebracht oder verweigert hatte, waren das Resultat meiner bisherigen subjektiven Wahrnehmung.

Ich dachte mir: So wie ich meine Programme und Verhaltensmuster von meinen Eltern übernommen habe, werden meine Eltern es von ihren Eltern übernommen haben, und auch sie sind das Resultat der emotionalen Programme ihrer Eltern. Das heißt, meine Ahnen sind in mir immer lebendig. Mit diesen Gedanken begab ich mich zurück in Richtung Seminarraum.

Die Erfahrung in der Mittagspause im Juli 2000 war für mich ein Schlüsselpunkt in meinem Leben. Fast 50 Jahre lang war es mir nicht möglich gewesen, Mitgefühl für meine Mutter zu empfinden. Dieses Mitgefühl für meine Mutter erleben zu können, war für mich eine Erlösung und ein Geschenk zugleich.

Meinen Eltern war es ein Leben lang nicht gelungen, emotional aufeinander zuzugehen und eine wirklich tiefe harmonische Beziehung zu leben. Aufgrund von Kriegserlebnissen, Vertreibung und anderen Erlebnissen war es für meine Eltern sehr schwierig gewesen, ihren Weg miteinander zu leben. Doch die gemachte Erfahrung zeigte mir: Über meine Augen und in meinem Körper war die ersehnte Integration möglich. Durch Mitgefühl mit unseren Eltern entwickeln wir Verständnis und Mitgefühl mit uns selbst.

Am Nachmittag desselben Tages machten wir eine Sehübung, in der wir mit unseren Augen einen Ball verfolgen sollten, der an einem langen Seil über uns hin- und herschwang. Ich wählte für diese Übung mein linkes Auge aus, weil ich das zuvor Erlebte weiter intensivieren wollte. Mein rechtes Auge hatte ich wieder mit einer Augenklappe verdeckt. Ich lag auf dem Rücken und über mir schwang dieser kleine Ball hin und her. Ich verfolgte ihn mit meinem linken Auge von hinten nach vorne, von rechts nach links, und der Ball bewegte sich dabei mal schneller und mal langsamer.

Mir fiel auf, dass mein linkes Auge den Bewegungen des Balles nicht überallhin folgen konnte. Ich erlebte dies wie ein Stoppen meines Auges und dann als erneutes Aufnehmen der Schwingungsrichtung des Balles. Heute weiß ich, dass zu dem Zeitpunkt das Zusammenspiel der sechs äußeren Augenmuskeln nicht ausgewogen, nicht im Gleichgewicht war.

Dann beendeten wir die Übung. Ich setzte mich an den Rand und beobachtete die anderen Kursteilnehmer. Gleichzeitig dachte ich über mein voriges Erlebnis nach, als mich ein tiefer Schmerz durchfuhr. Es war, als hätte mir jemand ein Messer in mein Auge gestoßen. Alles um mich herum bewegte sich. Nichts blieb an seinem Platz. Ich fühlte mich wie in einem Kettenkarussell. Auch die Menschen bewegten sich, obwohl sie auf ihren Plätzen saßen. Es war entsetzlich. Ich geriet schier in Panik und wusste nicht, was mit mir geschah. Heute weiß ich: Ausgelöst durch die Übung mit dem Ball in Verbindung mit den vorbereitenden Erkenntnissen hatte sich eine jahrzehntelange Verkrampfung des linken unteren Augenmuskels gelöst und einen eingekapselten Schmerz freigegeben.

Nach fünf Minuten war mein Schmerz verflogen. Die Bilder bewegten sich nicht mehr. Alles war ruhig. Ich stellte fest, dass ich auf einmal ohne meine prismatische Brille dreidimensional sehen konnte. Meine beiden Augen hatten sich – statt wie bisher üblich zu divergieren – ganz von selbst auf denselben Punkt eingestellt. Mein räumliches Sehen hatte sich eingestellt. Alles hatte plötzlich Tiefe. Alles war plastisch. Es war fantastisch, unbeschreiblich, und eine große Freude machte sich in mir breit. Im Gegensatz zur früheren Erfahrung bei Liberman blieb mir diese Heilung erhalten. Es festigte sich in mir die unumstößliche Erkenntnis:

Mitgefühl ist DER Schlüssel zur Heilung!

Für mich als Optikerin, als Spezialistin für prismatische Korrekturen und binokulares Sehen waren diese Erlebnisse damals zunächst noch unerklärlich und ich musste erst einmal in das tiefere Verstehen meiner eigenen Heilung hineinwachsen. Heute weiß ich, dass sich auf dem Weg zu einer Heilung oftmals eingekapselte Blockaden öffnen und lösen müssen, bevor das neue, gesunde Sehmuster angenommen werden kann.

Aus der Neurophysiologie und der Traumatherapie (EMDR etc.) ist bekannt, dass über Augenbewegungen Synapsen im Gehirn aktiviert werden, die eine Verbindung zwischen dem Bewusstsein, dem bewussten Erinnern und dem Unterbewusstsein herstellen. Die richtige Augenbewegung schließt den Stromkreis vom unerlösten seelischen Konflikt zur Hirnrinde und unterbricht den Stromkreis zum autonomen Nervensystem – der Konflikt ist entkoppelt!

Genau dies war mir in meinem Erlebnis im Sommer 2000 widerfahren. Mir dämmerte, welch gewaltige Wirkung die Psyche auf unsere Sehleistung hat, und in mir reifte auf der Rückfahrt von dem Seminar der Entschluss, eine Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie zu machen.

Nach einigen Wochen, in denen ich mithilfe von Augenübungen an der Integration meiner Augen arbeitete, um die erfahrene Heilung zu stabilisieren, rief mich eines Tages mein Bruder Werner an. Er hatte unsere Mutter im Altenheim besucht und berichtete von wundersamen Veränderungen unserer Mutter: Nicht mehr die üblichen Klagen über Mitbewohner, das Essen usw. standen bei ihr im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Unsere Mutter war liebenswert, freundlich und allen zugewandt geworden. Mein Bruder konnte die positive Entwicklung unserer Mutter nicht fassen und hatte keine Erklärung für diesen plötzlichen Wandel.

Mir wurde klar, dass es einen Zusammenhang zwischen meinem Erlebnis damals in der Mittagspause des Sehkursus und der Verhaltensveränderung meiner Mutter geben musste. Plötzlich verstand ich, dass sich Heilungsprozesse an einem Klienten auf die Ahnenlinien vor und nach ihm auswirken. Dies war die Geburtsstunde meiner systemisch integrativen Sehtherapie.

Um diese neue Erkenntnis zu verfestigen, schlug ich Freundinnen ein Experiment vor. Zuerst erzählte ich ihnen, was ich erlebt hatte. Dann lud ich sie ein, ein Auge mit einer Augenklappe zu verschließen. Anschließend führte ich ein Therapiegespräch mit dem Elternteil, der das jeweils offene Auge repräsentierte.

Ich hielt meiner jeweiligen Freundin dafür einen Stift vor ihr Auge und bat sie, auf die Spitze des Stiftes zu schauen. Dann machte ich mit dem Stift sternförmig jeweils von der Mitte nach außen gehende gerade Linienbewegungen und bat die Freundin, mit dem Auge dem Stift zu folgen. An der Stelle, wo das Auge unruhig wurde, sollte sie das Gefühl beschreiben, das gerade in ihr präsent war.

Oftmals tauchten nicht nur Gefühle, sondern auch Assoziationen und Bilder auf. Ich begleitete meine Freundinnen in diese Bilder hinein und es zeigten sich blockierte Erinnerungen. Nachdem diese Bilder aktiviert waren, nahm ich eine Kerze, zündete sie an und hielt diese Kerze genau an diese Augenposition. Ich bat darum, sich vorzustellen, wie die heilende Lichtenergie die Situation verwandelt. Es flossen oftmals Tränen, die Spannung löste sich. Nach dem Prozess konnte sich das jeweilige Auge an dieser Position völlig frei bewegen und der emotionale Stress, der mit dieser Augenstellung verbunden war, war abgefallen.

An einem Montag kam meine Freundin Sabine zu mir. Sie hatte sich schon seit Jahren mit ihrer Mutter verkracht und deshalb seit Längerem den Kontakt mit ihr abgebrochen. Wir machten mit ihr das eben beschriebene Experiment mit ihrem linken Auge. Sabine erkannte, warum ihre Mutter sich ein Leben lang so schwierig ihr gegenüber verhalten hatte. Zwei Tage später wurde Sabine unerwartet von ihrer Mutter angerufen. Ihre Mutter entschuldigte sich für alles, was sie ihrer Tochter im Laufe ihres Lebens angetan hatte.

Gut erinnere ich mich auch an Paula. Paula kam eines Tages zu mir und erzählte, dass ihre Mutter sich schon seit Jahrzehnten mit Selbstmordgedanken trage. Ich machte mit ihr ebenfalls diese Übung mit dem Kuli und der Kerze. Paula sah mit dem linken Auge, wie ihre Mutter als 14-Jährige im Krieg an der Flak stand und auf Flugzeuge schoss. Die Erinnerung an den Feuerstrahl von Mutters Flak wurde durch die Kerze ausgelöst, in die Paula sah. In dem Augenblick wurde Paula klar, warum ihre Mutter Kerzen hasste. Paula war überzeugt von der positiven und beruhigenden Wirkung des Kerzenlichtes und bestand darauf, die Kerzen bei ihren Besuchen anzuzünden.

Paulas Mutter litt unter einer so schweren Beinerkrankung, dass das Bein von den Ärzten amputiert werden sollte. Vier Wochen nach Paulas Sehtherapiesitzung ging die Mutter, wie seit Längerem vereinbart, zur Beinamputation ins Krankenhaus. Die Ärzte waren verwundert über den guten Zustand des Beines und schickten Paulas Mutter ohne Amputation wieder nach Hause. Dies war ein weiteres Beispiel für die generationsübergreifende Wirkung meiner systemisch integrativen Sehtherapie.

Copyright © 2011 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: Elisabeth Petersen, München Umschlagmotiv: fotolia/sabri deniz kizil

eISBN 978-3-641-06107-4

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter www.koesel.de

www.randomhouse.de

Leseprobe

1

Die Sehstärke entspricht der Dioptrienzahl des Brillenglases und sagt nichts aus über die Sehleistung eines Auges.