Freundschaft - Bodo Karsten Unkelbach - E-Book

Freundschaft E-Book

Bodo Karsten Unkelbach

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Beschreibung

Ohne Freundschaft kann kein Mensch leben, sagte einst Aristoteles. In unserer Zeit, in der Familien weit voneinander entfernt leben und Liebesbeziehungen fragil sind, gewinnt die Freundschaft stark an Bedeutung. Aber was macht Freundschaft eigentlich aus? Welche Arten von Freundschaft gibt es? Wie lässt sich Freundschaft pflegen? Auf diese Fragen gibt der Autor lebensnahe und psychologisch fundierte Antworten. Freundschaft ist eine Kunst, die sich üben lässt. Zu unserem Glück. Denn Freunde sind eine Familie, die man sich aussuchen kann.

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„Man kennt nur die Dinge, die man zähmt“, sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn Du einen Freund willst, so zähme mich!“

„Was muss ich da tun?“ sagte der kleine Prinz.

„Du musst sehr geduldig sein“, antwortete der Fuchs.

Antoine de Saint-Exupéry

Copyright © Claudius Verlag, München 2019

www.claudius.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Zitat aus: Antoine de Saint-Exupéry, Der Kleine Prinz.

© 1950 und 2015 Karl Rauch Verlag, Düsseldorf

Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München

Layout: Mario Moths, Marl

Gesetzt aus der Sabon LT

E-Book-Produktion: Zeilenwert GmbH, 2019

ISBN 978-3-532-60044-3

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

1.Einleitung: Freundschaft – Das Vitamin des Lebens

2.Vom Wesen der Freundschaft

3.Drei Arten von Freundschaft

4.Urvertrauen – Die beste Basis für tiefe Freundschaften

5.Einfühlungsvermögen – Empathie

6.Ehrlichkeit – Sind Notlügen erlaubt?

7.Treue und Zuverlässigkeit

8.Von Freunden lernen und in der Auseinandersetzung wachsen

9.Freundschaften innerhalb der Familie

10.Freundschaft am Arbeitsplatz – Mit Interessenkonflikten jonglieren

11.Freundschaft im digitalen Zeitalter

Ausblick

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Freundschaft bildet seit Jahrtausenden in allen Kulturen einen zentralen Wert des menschlichen Zusammenlebens. Sie schenkt Orientierung, Halt, Freude und Lebenssinn. Auch in unserer modernen, globalisierten, digitalisierten, schnelllebigen Zeit wird ihr Wert unverändert hoch angesehen. Jedoch scheinen die zugrundeliegenden Tugenden, auf denen echte, lebendige Freundschaften basieren, zunehmend in Vergessenheit zu geraten.

Als Psychiater und Psychotherapeut begegne ich täglich seelisch kranken Menschen, die einsam sind. Aber auch solchen, die in Beziehungen leben, die der seelischen Gesundheit abträglich sind. In therapeutischen Gesprächen werden Themen wie mangelnder Zusammenhalt, fehlende Unterstützung, Einsamkeit, Egoismus, respektloses Verhalten und vieles mehr thematisiert. Zieht man in Betracht, dass seelische Erkrankungen auf dem Vormarsch sind und voraussichtlich in der kommenden Dekade die orthopädischen Erkrankungen als Ursache für Krankschreibungen von der Spitzenposition verdrängen werden, wird deutlich, wie unglaublich wichtig und wertvoll gute, tragfähige und belastbare Beziehungen, also auch Freundschaften, sind.

Die Resilienzforschung, die der Frage nachgeht, was Menschen in belasteten Lebenssituationen gesund hält, hat als einen wesentlichen Faktor für Resilienz gut funktionierende, haltgebende soziale Netze identifiziert. Der Einsamkeitsforschung verdanken wir die Erkenntnis, dass einsame Menschen kürzer leben als Menschen, die sich nicht einsam fühlen. Und zunehmend mehr Menschen fühlen sich einsam.

Bei der Frage nach tiefen Freundschaften handelt es sich also nicht um Wellness, sondern sie hat eine tiefgreifende persönliche und gesellschaftliche Bedeutung. Als Psychotherapeut bin ich davon überzeugt, dass Freundschaften einen Lebenssinn stiften, Zufriedenheit und Wohlbefinden fördern und uns Orientierung und Halt geben. Neben dem Effekt, dass sie unserer Gesundheit dienen, erhöhen sie schlicht unsere Lebensqualität und lassen das alltägliche Leben leichter werden. Und ich bin davon überzeugt, dass Menschen, denen es schwer fällt, sich auf Freundschaften einzulassen, lernen können, wie sie tiefe Beziehungen eingehen können. Kein einfacher Weg, aber ein möglicher. Die intensive Auseinandersetzung mit Freundschaft, welche die Lektüre dieses Buchs verspricht, wird ihnen helfen, Ansatzpunkte zu finden, wie sie neue Schritte gehen können, um Freundschaften aufzubauen und zu vertiefen.

Wir sind einem rasanten gesellschaftlichen Wandel unterworfen, der unsere Beziehungen oberflächlicher und unverbindlicher werden lässt. Deshalb ist es an der Zeit, sich auf jahrtausendealte Werte zurückzubesinnen. Von Aristoteles bis zur modernen Wissenschaft existieren Erkenntnisse über das Wesen und den Wert von Freundschaft, von denen wir uns einige anschauen werden. Dann liefert uns die Psychotherapieforschung wichtige Hinweise darauf, dass wir als Menschen so geschaffen sind, dass wir auf gute Beziehungen ausgerichtet sind. Wir können beziehungsweise wollen einfach nicht ohne den Kontakt zu Menschen leben, die uns wertvoll sind. Um tiefe Freundschaften zu leben, lohnt sich die Auseinandersetzung mit älteren Tugenden, wie Treue und Ehrlichkeit, sowie mit neueren Tugenden, die schon immer existierten, aber noch nicht so lange benannt sind, wie Urvertrauen und Empathie, also Einfühlungsvermögen. Es folgen Überlegungen, wie wir innerhalb von Freundschaften persönlich reifen und uns weiterentwickeln können. Auch Grenzen von Freundschaften, wie sie beispielsweise innerhalb der Familie oder am Arbeitsplatz existieren, werden wir betrachten. Abschließend werden wir die Prägung von Freundschaften durch moderne Medien beleuchten und überlegen, wie wir in unserem digitalen Zeitalter tiefe Freundschaften leben können.

Wir werden uns im Folgenden intensiv mit dem Wesen und dem Wert von Freundschaft auseinandersetzen. Einiges wird Ihnen bekannt sein, vieles werden Sie nach der Lektüre in einem neuen Licht betrachten können. Ich möchte Sie anregen, Ihre gegenwärtigen Freundschaften so zu gestalten, dass sie an Tiefe gewinnen, Ihre haltgebenden Verbindungen zu stärken und bei der Suche nach neuen Freunden eine kluge Auswahl zu treffen – für Menschen, die Ihnen wirklich gut tun. Dabei werden Sie feststellen, dass tiefe Freundschaften auf dem Weg zu einem guten Leben unverzichtbar sind.

Marienheide im Dezember 2018Bodo K. Unkelbach

Zur Frage der Geschlechtsbegrifflichkeit:

Ich verwende im vorliegenden Buch die männliche Form. Der allgemeine Hinweis, dass dies zur besseren Lesbarkeit so gewählt ist und Frauen selbstverständlich einbezogen sind, trifft zwar zu, ist aber gerade im Zusammenhang mit einem Buch über Freundschaft etwas zu kurz gegriffen, zumal Frauen bei diesem Thema uns Männern oftmals überlegen zu sein scheinen. Selbstverständlich beziehen sich meine Ausführungen auf beide Geschlechter. Ich könnte also von Freundinnen und Freunden sprechen, das wäre politisch korrekt, aber zu sperrig. Es wäre auch möglich, ausschließlich die weibliche Form zu verwenden, aber dann würde der oberflächliche Leser meinen, es handele sich ausschließlich um ein an Frauen gerichtetes Buch. So komme ich wieder auf die männliche Form zurück, wohl wissend, mich damit schuldig zu machen, da ich mich von der über viele Jahrhunderte bestehenden Unterdrückung von Frauen in Männerherrschaftssystemen in meiner Wortwahl nicht angemessen abgrenze. Unsere Frauen haben Besseres verdient! Es bleibt nun doch bei der männlichen Form, weil mir eine passende, leicht zu handhabende Idee zur Umsetzung einer gleichberechtigten Sprache noch fehlt. Hoffentlich findet sich für die deutsche Sprache bald eine zufriedenstellende Lösung!

1. Einleitung: Freundschaft – Das Vitamin des Lebens

Wir kugelten über den Boden und lachten. Ein Lachkrampf jagte den anderen, bis wir keine Luft mehr bekamen. Die Tränen liefen. Wir waren eine Gruppe von Jungs, 14 Jahre alt, saßen bei einem Freund im Kinderzimmer, imitierten unsere Lehrer, äfften sie nach und brachen in schallendes Gelächter aus. Die Welt um uns herum erschien plötzlich in einem absurden Licht und war wahnsinnig komisch. In diesem Moment fühlten wir uns tief miteinander verbunden, schwammen auf einer Wellenlänge, steckten uns gegenseitig mit unserer Albernheit an, konnten den Moment genießen und den Rest der Welt ausblenden. Wir wollten nie so werden wie die anderen. Unsere jüngeren Geschwister verstanden unsere Witze nicht, in den Augen unsere älteren Geschwister waren wir noch Kinder und die Erwachsenen verhielten sich ohnehin, als stammten sie von einem anderen Planeten. Sie waren streng, ernst, vernünftig und einfach todlangweilig. Die Angst davor, sich den Gesetzen dieser Erwachsenen beugen zu müssen, wehrten wir durch unsere Lachsalven ab. Wir entdeckten unsere Welt neu, spannen unsere eigenen Regeln und Weisheiten. Wir verstanden uns, wo so viele andere uns nicht verstanden. Unsere Freundschaft war stark und sollte nie enden. Und tatsächlich kam es so. Viele Freundschaften, die damals geschlossen wurden, haben sich weiterentwickelt und sind auch vierzig Jahre später noch lebendig.

Während es Kindern noch leicht fällt, Freundschaften einzugehen, tun sich viele Erwachsene damit schwer. Häufige, berufsbedingte Ortswechsel, wenig freie Zeit, permanente Ablenkung durch Medien, ein hoher Grad an Individualismus gepaart mit enttäuschenden Beziehungen in der Vergangenheit lassen viele Menschen zögern, sich auf neue Freundschaften einzulassen.

Dabei sollten Freundschaften doch etwas Selbstverständliches sein. In der modernen Gesellschaft scheint es ihnen aber ähnlich wie einer gefährdeten Tierart zu ergehen. Ungeschützt stehen sie unter Beschuss. Als sei es ein kaum erschwinglicher Luxus, sich neben dem Alltagsgeschäft Zeit für seine Freunde nehmen zu können. Der moderne Mensch steht permanent unter Zeitdruck, eine zunehmende Technisierung und Komplexität beschert ihm immerzu neue Aufgaben und Ablenkung. Er ist ein Medien- und Freizeitspezialist und wendet für Herausforderungen im Beruf jede Menge Zeit auf. Zeit, die früher für die Pflege guter Nachbarschaften und tiefer Freundschaften zur Verfügung stand.

Dieser Tendenz stellen sich immer mehr Menschen entgegen. Sie widersetzen sich der schleichenden Vereinnahmung durch den Kapitalismus und besinnen sich zurück auf das, was im Leben wirklich zählt: Gute, tragfähige Beziehungen. Oder kurz gesagt: Freundschaften. Denn neben lebendigen Familien, deren Zusammenleben durch Wertschätzung gekennzeichnet ist, sind Freundschaften das Wertvollste, was wir haben.

Immer mehr Menschen werden sich dieses Reichtums, den man nicht in Geld aufwiegen kann, bewusst. Er zeigt sich in Zufriedenheit, Gelassenheit, Selbstwert, Selbstsicherheit und Orientierung. Schließlich spenden Freundschaften einen Lebenssinn. Es steigt das Bewusstsein, dass in Zeiten der Not die ausgestreckte Hand eines Freundes unersetzlich ist und die Freude an gemeinsam erlebter Zeit noch lange nachwirkt und Kraft gibt.

Die moderne Gesellschaft begnügt sich zu oft mit billigen Abbildern von Freundschaft. In den Sozialen Medien werden Freundschaften gar „gesammelt“. Doch dabei handelt es sich um Fast-Food-Freundschaften, in denen man sich mit gehaltlosen Informationen vollstopft, ohne wirklich davon satt zu werden.

Doch spätestens dann, wenn wir in eine Lebenskrise geraten, wird uns deutlich, dass nichts die Menschen ersetzen kann, die real für uns da sind und es gut mit uns meinen. Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Mitgefühl, Zuwendung, Verständnis, Annahme, emotionale Unterstützung und Verbundenheit sind nicht kurzfristig zu erwerben, sondern werden uns von Menschen geschenkt, die fest an unserer Seite stehen und die wir Freunde nennen dürfen. Befriedigend können nur echte, tiefe Begegnungen von Mensch zu Mensch sein, in denen man Wertschätzung spürt und die Freiheit besitzt, vorbehaltlos und offen über sich zu erzählen.

Einsamkeit

Der ärgste Widersacher der Freundschaft ist nicht etwa in der Feindschaft zu suchen sondern in der Einsamkeit. Verfeindet zu sein bedeutet, immerhin noch in einer Beziehung zu stehen. Einsamkeit dagegen ist Ausdruck von Beziehungslosigkeit. Und Einsamkeitsgefühle innerhalb einer Freundschaft stellen diese in Frage, können sie aushöhlen und entwerten.

In den Gemeinschaften, in denen wir leben, besteht fast immer die Möglichkeit, feindlich gesinnten Menschen aus dem Weg zu gehen. Einsamkeit jedoch können wir nicht ausweichen, da dieses Gefühl in uns steckt. Neurowissenschaftler wie Manfred Spitzer gehen davon aus, dass einsame Menschen kürzer leben als Menschen, die sich mit anderen verbunden fühlen. Die Folgen von Einsamkeit werden mit den tödlichen Auswirkungen von Tabakkonsum verglichen und sind gravierender für die Betroffenen als die Konsequenzen von Luftverschmutzung, Bluthochdruck oder Bewegungsmangel.

Denn abgesehen davon, dass wahre Freundschaften wunderschön sind und das Leben bereichern, dienen sie auch unserer Gesundheit – sozusagen als erwünschte Nebenwirkung. Doch obwohl wir uns inzwischen ihrer toxischen Folgen bewusst sind, greift Einsamkeit wie eine Seuche um sich.

Tatsächlich ist Einsamkeit ansteckend. Freunde von einsamen Menschen stehen in der Gefahr, ebenfalls einsam zu werden. Das erscheint zunächst wie ein Widerspruch, gehen wir doch im Allgemeinen davon aus, dass einsame Menschen daran zu erkennen sind, dass sie keine Freunde haben. Doch nur vermeintlich: Denn einsame Menschen sind in erster Linie Menschen, die sich einsam fühlen. Und dieses Gefühl kann uns an jeden Ort dieser Welt begleiten: in Menschenmengen, ins Einkaufszentrum, an den Arbeitsplatz, in unsere Familien und in den Freundeskreis hinein. Einsame Menschen können von noch so vielen Menschen umgeben sein, ihre Einsamkeit ergibt sich aus der Unfähigkeit, sich mit diesen emotional zu verbinden. Trifft also ein Einsamer auf einen anderen Menschen, der es gut mit ihm meint, verfügt er nicht über die Freiheit, sich auf ihn einzulassen. Das Einsamkeitsgefühl hemmt ihn, sich zu öffnen. Bleibt er verschlossen, so wird auch der freundliche Mensch, dem er gerade begegnet, sich in seiner Gegenwart über kurz oder lang einsam fühlen, weil kein echter zwischenmenschlicher Austausch zustande kommt.

Nur wenn es ihm gelingt, seine unbewusste Angst vor menschlicher Nähe zu überwinden und den anderen an dem teilhaben zu lassen, was ihn innerlich bewegt, kann er der Einsamkeit den Rücken kehren. Hierfür benötigt er die Bereitschaft, sich zu öffnen, sich auf eine tiefe zwischenmenschliche Begegnung einzulassen und persönlich in diese Beziehung zu investieren.

Menschen, denen das schwer fällt, sind gut beraten, an dieser Stelle schrittweise vorzugehen. Nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern mit Themen anzufangen, die einen emotional wenig berühren. Kommt man so ins Gespräch, eröffnet sich die Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum die Intensität der Themen zu erhöhen. So ergibt sich der Raum, die Reaktionen des Gegenübers zu prüfen. Man lernt dessen Haltungen und Gesichtspunkte kennen und, noch wichtiger, man erfährt, ob er angemessen und respektvoll auf die eigenen Mitteilungen über sich selbst reagiert. Trifft man auf einen Menschen mit groben Reaktionen, weiß man, dass man eher auf Abstand gehen sollte. Erhält man aber eine behutsame und wertschätzende Resonanz, lohnt es sich, schrittweise mehr von sich preiszugeben und umgekehrt, auch ein offenes Ohr und Mitgefühl für den anderen zu entwickeln.

Einsamkeit ist nicht mit dem Alleinsein zu verwechseln. Mit dem Wort Einsamkeit wird ein Gemütszustand beschrieben, mit Alleinsein hingegen ein Zustand, der äußere Bedingungen beschreibt. Wenn ich eine Wanderung ohne Begleitung unternehme, kann ich den ganzen Tag allein im Wald sein, ohne mich auch nur ein bisschen einsam zu fühlen. Ich kann es genießen, meine Gedanken schweifen zu lassen, innerlich Abstand von der Hektik des Alltags zu gewinnen und mein bewegtes Leben zu reflektieren. Ich kann die Natur um mich herum bestaunen und dabei die Zeit vergessen. Ebenso ist es möglich, dass ich mich auf einer Party mit 100 Gästen furchtbar einsam fühle. Trage ich dieses Gefühl in mir, kann es sich in der Begegnung mit meinen Freunden auf diese übertragen.

Die Ansteckungsgefahr von Einsamkeit liegt darin begründet, dass Gefühle an sich ansteckend sind. Bricht ein Mensch in unserer Nähe in schallendes Gelächter aus, lachen wir unwillkürlich mit. Weint sich ein anderer bei uns aus, werden auch wir traurig. Menschen, die sich allein gelassen fühlen, transportieren ihr Einsamkeitserleben zu ihren Freunden, die deren Einsamkeit dann mitempfinden. Dieser Vorgang muss sich nur oft genug wiederholen, bis auch der Freund davon überzeugt ist, dass man im Leben grundsätzlich alleingelassen wird.

Eines der besten Gegenmittel gegen Einsamkeit liegt in einer tiefen Freundschaft. Eine solche besteht aus mehr als dem gelegentlichen Austausch über die Fußballbundesliga. Freundschaften leben von tiefen Verbindungen zueinander. Wobei auch die Diskussion über Fußballergebnisse ein wunderbares Sprungbrett sein kann, um die persönliche Begegnung intensiver zu gestalten.

Gute Freunde – Schlechte Freunde?

In meiner Tätigkeit als Chefarzt einer suchtmedizinischen Abteilung habe ich täglich mit Drogenabhängigen zu tun, die mir berichten, sie seien an „falsche“ Freunde geraten, die sie zu ihrem ersten Drogenrausch verführt hätten. Andere Patienten mit Depression oder Angststörungen berichten mir über tiefe Enttäuschungen. Sie seien davon ausgegangen, gute Freunde zu haben, und als sie dann in einer Krise dringend Hilfe benötigt hätten, waren ihre Freunde „plötzlich“ nicht mehr erreichbar. Die Frage stellt sich also: Wie unterscheidet man gute von schlechten Freunden?

Wenn wir beispielsweise den Drogenkonsum eines Freundes tolerieren, wissen wir nicht, wessen Haltung auf Dauer möglicherweise die des anderen beeinflusst. Lässt sich der Abstinente doch irgendwann zum Drogenkonsum verführen oder wird sich sein Abstinenzwillen später einmal auf den Konsumenten positiv auswirken? Und wie verhält es sich mit Menschen, die ab und an einen über den Durst trinken? Es kann hier keine eindeutigen Handlungsanweisungen geben. Entscheidend ist der jeweils eigene Maßstab. Trinke ich selbst gerne reichlich Alkohol, werde ich mir Freunde suchen, die es ähnlich halten. Ist mir das zuwider, bin ich gut beraten, mir Freunde zu suchen, die selbst ebenfalls gemäßigt trinken oder abstinent leben.

Um solche Entscheidungen zu treffen, benötige ich eine persönliche Haltung. Es geht nicht darum, das Verhalten eines anderen zu verurteilen, sondern um die Frage, mit welchen Menschen ich mich umgeben möchte. Stehe ich aber nicht zu meiner Meinung oder bilde mir erst gar keine, besteht die Gefahr, von zerstörerischen Eigenschaften anderer mitgerissen zu werden.

Kann ich die Haltung eines anderen nicht einschätzen, sollte ich langsam vorgehen. Manche Eigenarten eines Menschen werden erst sichtbar, wenn wir einen Menschen über längere Zeit kennen. Deshalb lässt sich grundsätzlich empfehlen: Lassen Sie sich für den Aufbau von guten und tragfähigen Freundschaften Zeit. Aber woran misst man die Güte einer Freundschaft? Auf diese Frage existiert keine objektive Antwort, schon gar nicht eine Messlatte, die man einfach anlegt, um gute von schlechten Freundschaften unterscheiden zu können. Eher spielen viele verschiedene Eigenschaften zusammen, die in gegenseitiger Wechselwirkung zueinander stehen und uns Halt und Kraft geben. Dazu gehören Werte wie Respekt, gegenseitige Achtsamkeit, Einfühlungsvermögen, Mitgefühl, Beistand, Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Humor und Lebensfreude.

Teilen wir diese Werte, dann werden wir uns Menschen suchen, die ähnliche Einstellungen haben wie wir und mit ihnen gute Freundschaften aufbauen. Denn nicht nur Drogenkonsum kann ansteckend sein, sondern jede menschliche Eigenschaft hat das Potential, sich auf einen anderen zu übertragen. Positive wie negative Eigenarten können in zwischenmenschlichen Beziehungen verstärkt werden. In schlechten Freundschaften nehmen negative Eigenschaften oder Verhaltensweisen eines Freundes so viel Raum ein, dass dadurch die Freundschaft eher zur Last wird, als dass sie Freude auslöst.

Ein weiteres Kriterium, mit dem man gute von schlechten Freundschaften unterscheiden kann, ist die Beobachtung des Umgangs mit Dritten. Treffen wir beispielsweise auf einen Menschen, der andere entwertet, können wir davon ausgehen, wenn wir eine engere Beziehung zu ihm aufbauen, dass dieser Umgang früher oder später auch uns betreffen wird. Menschen, die andere Menschen in gute oder schlechte Menschen einteilen, werden dies auch mit uns tun. Nur solange unsere Freundschaft glatt läuft, werden wir zu den Guten gehören. Entwickelt sich ein Konflikt, müssen wir damit rechnen, plötzlich auf der Seite der Schlechten zu stehen, um schließlich fallengelassen zu werden. Gehen wir mit offenen Augen durch die Welt und beobachten, wie der Mensch vor uns seine bisherigen Beziehungen gestaltet hat und davon berichtet, können wir uns viele Enttäuschungen ersparen, wenn wir Warnsignale rechtzeitig ernst nehmen.

Wenn wir über das Wesen der Freundschaft nachdenken, sollten wir auch immer berücksichtigen, dass sie auf Gegenseitigkeit beruht. Wenn wir uns fragen, von wem wir in einer Notlage Hilfe erwarten können, stellt sich auch die Frage, wem wir helfen würden oder in der Vergangenheit geholfen haben. Einbahnstraßen in Freundschaften führen zu deren Tod. Nur wenn wir bereit sind zu geben, werden wir auch empfangen. Dass Geben seliger als Nehmen ist, ist nicht nur eine biblische Weisheit (Apostelgeschichte 20, 35), sondern auch moderne Wissenschaftler gehen davon aus, dass Geben glücklicher macht und gesünder ist als Nehmen (Manfred Spitzer: Einsamkeit – erblich, ansteckend, tödlich).

Wollen wir unsere Freundschaften vertiefen, geht es also längst nicht nur um die Frage, wer uns in einer Notsituation helfen würde. In guten Freundschaften halten sich Geben und Nehmen die Waage, so wie es den Freunden möglich ist. In schlechten Freundschaften findet sich hier ein deutliches Ungleichgewicht.

Die Eintrittskarte für Freundschaft besteht oft aus Offenheit und Neugierde. Mein Gegenüber verstehen zu wollen, auf ihn gespannt zu sein. Was hat er erlebt, wie ist er mit größeren Herausforderungen umgegangen? Kann ich seine Beweggründe nachvollziehen? Kann ich seine Blickwinkel, seine Werte teilen? Ein solcher Austausch schweißt zusammen. In schlechten Freundschaften hingegen ebbt das Interesse an der Person rasch ab. Oft ist nur von Bedeutung, was der Freund hat oder darstellt. Nicht aber, was ihn als Person ausmacht, was er fühlt und denkt und was ihm viel bedeutet.

Tiefe Freundschaft

Tiefe Freundschaft bedeutet, Nähe zulassen und sie nicht nur aushalten sondern auch genießen zu können. Sich an der gemeinsamen Zeit zu freuen. Zum Freund kann ich werden, wenn ich bereit bin, Einblicke in meine Schwächen zuzulassen und mit den verletzlichen Seiten meines Freundes behutsam umzugehen. Dann entsteht etwas, das wir auch als Bindung bezeichnen. Menschen verbinden sich miteinander, weil sie Vertrauen zueinander gefunden haben und sich aufeinander verlassen können. Die Verbundenheit untereinander gibt ihnen Sicherheit und Halt. In schlechten Freundschaften hingegen gelingt es kaum, sich an der Anwesenheit des anderen zu erfreuen. Vielleicht strahlen Besitztümer, Macht und gesellschaftlicher Einfluss Anziehungskraft aus. Aber die Person an sich wird eher als anstrengend, ermüdend oder langweilig erlebt.

Wenn wir uns diese Werte näher anschauen, werden wir tiefe Freundschaften von bloßen Zweckgemeinschaften oder schlechten Freundschaften unterscheiden lernen. Wir werden verstehen, welchen Reichtum wahre Freundschaft bereit hält und warum sie eine wesentliche Antwort auf die Frage ist, was das Leben lebenswert macht. Denn als Menschen sind wir auf gelingende Beziehungen ausgerichtet. Unser Leben ist davon geprägt, dass wir uns weiterentwickeln, was uns insbesondere im Spiegel unserer Freundschaften gelingt. Der lebendige Austausch lehrt uns zu leben, führt zu Weisheit und trägt zu unserem Lebensglück bei.