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In seiner umfassenden Auslese erkennt der Autor einen harmonischen Themenkanon und durchleuchtet ein weites Spektrum menschlicher Eigenarten. Er selbst möchte in seinem unverblümten Lebenswerk einen Weckruf für mehr Gelassenheit, Freundschaft und Mut geben. Er studierte Psychologie und Pädagogik, arbeitete in mehreren Berufsfeldern und ist seit mehreren Jahrzehnten der buddhistischen Meditation eng verbunden. Das kleine Einmaleins der Gedanken- und Körperentspannung praktiziert er nicht nur über sein Taijiquan hinaus. Die Herausforderung einer gelingenden Selbstfindung und Entwicklung möglicher Widerstandkraft ist sein Erfahrungsschatz, den er mit seinen Protagonisten und Ihnen gerne teilt. Eine notgedrungene Nachhilfe für uns Erwachsene, die sich oft ohnmächtig, unzufrieden und angegriffen fühlen, ohne eine reale Gefahrenquelle. Diesen Nebel der ängstlichen Wut mit Lebensfreude und einem weiten Horizont von Fähigkeiten zu überwinden, ist sein Anliegen und Plädoyer in diesem Buch vom philosophischen Bergsatz. Die Blüten der Inspiration eines friedlichen Menschen, sind nur 3 Drittel lang und gefüllt mit Nährwerten, konkreten Praxistipps und Beispielen.
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Seitenzahl: 477
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Aus Freude an
Liebe und Freundschaft
Vorwort
8
Kein Waldsterben
- Ohnmacht, Lagerfeuer und Wende
9 Projektstart
- Hormone, Bedürfnisse und Wertequadrat
10 Stolze Regulationen
- Wiederkäuen, Reize und Geheimnis
11 Schlüsselerlebnisse
- Trauma, Schockstarre und Wutkreislauf
12 Wahres Lächeln
- Innenleben, Buchautor und Bio-TCM
13 Phasenkreislauf
- Stress, Meditation und Bewusstseinsbereiche
14 Unbekannte Perle
- Taiji, Pfirsich und Brillengläser
Nachwort + Vorschau
Einen freundlichen Tag wünsche ich Ihnen, werte Menschen! Ahnungslos, ob Sie schon in den Genuss des 1. Drittels gekommen sind, oder sich in diesen Grundlagenroman hinein schlängeln wollen, - ich begrüße und beglückwünsche Sie herzlich.
Auch wenn es den achtsamen Lesern unnötig erscheinen möge, weise ich nun die Zugeströmten darauf hin, dass es sich hierbei nicht um einen branchenüblichen Roman handelt, der in sich abgeschlossen ist. Ebenso wenig diene ich mit kochfertigen Rezepten bzw. glücklichen Ratschlägen. Sehr oft wurde mir vorgeworfen, meine Leser nicht schnell zu erfreuen. Mit anderen Worten, - die Spannung fehlt, die Erotik, Kurzweile oder Ähnliches. Tja, - wer sich fesseln lassen möchte, möge sich jetzt lieber in einen SM-Tempel mit Bondage-Fachberatung begeben. Hier ist aufmerksames Lesen angesagt. Die Konflikte sind innerlich und ich hoffe, dies ist Ihnen klar. Ohnehin hat selten eine Salbe für Herzschmerz oder Antriebsschwäche gewirkt.
Wenn auch die Neuen unter Ihnen bereit sind, oder sich für stark genug halten, können wir loslegen. Das 2. Drittel steht bevor und auf Salome-Grace warten die besagten Schoten und Mühen. Schreckliche Wiederholungen und seitenlange Lehrreden werden ihr begegnen. Aber Sie wollten es ja so, - freiwillig, wissbegierig und hoffentlich entspannt. Sind einige Passage zu krass, legen Sie eine Pause ein und beruhigen sich. Es sind nur Worte! Wäre ich nicht fähig diese Zusammenhänge zu erkennen, könnten Sie diese auch nicht lesen. Vertrauen Sie mir, - sowohl zwischen den Zeilen, als auch fettgedruckt bereichern viele Perlen ihren künftigen Weg. Dies Buch wird nicht Ihr Leben verändern, aber Sie selbst werden einen vielfältigen Überblick erhalten. Und nun, - viel Inspiration und Freude dabei!
Ohje, fast hätte ich vergessen eine kleine Rückblende zu schreiben. Kann ja sein, dass einige Leser Gedächtnislücken haben oder vor längerer Zeit den ersten Teil gelesen haben.
Salome-Grace ist unser weiblicher Freund. Sie ist eine liebreizende Lehrerin, die sehr gerne lacht und ein überaus schönes Leben lebt. Leider ist ihr Lebenspartner in Übersee und mehr an seiner Karriere interessiert, weshalb Salome-Grace sich freut einen ungewöhnlichen Laienmönch kennenzulernen. Unser Joe „Monk“ ist arbeitslos und leitet mit ihr gemeinsam ein Anti-Gewalt-Training an ihrer Schule. Seine merkwürdigen und doch nicht so unsinnigen Sichtweisen lassen sie aufmerksam werden und es entwickelt sich zwischen beiden eine private Freundschaft.
Theresa ist die beste Freundin von Salome-Grace und taute nach anfänglichen Zweifeln auf. Auch sie bitte Joe um Erklärungen und vertraut ihm, bleibt aber in ihrer Schutzzone. Für dieses Drittel erhielt sie Urlaub und kümmert sich um ihre Börsenkurse und Liebschaften. Unsere Freunde indes befinden sich auf einem Wochenendausflug. Salome-Grace war noch nicht auf richtiger Betriebstemperatur und brauchte einen Tapetenwechsel. Die philosophischen Gespräche mit Joe findet sie zwar interessant und saugt die psychologischen Hinweise auf, aber ist noch nicht an ihrer Schmerzgrenze angelangt. Nachdem sie sich ihre traumatisierenden Erlebnisse offenbarten, setzen sie ihre Fahrt fort.
Jetzt aber Bühne frei für die neuen Lehrreden und friedliche Lebensfreude!
Claus W. Ryschka
„Dein Freund ist kein Autist und kann aber auch keine Gefühle mitfühlen?“
„Ein Autist empfindet anders und ist sehr wenig mitfühlend. Er würde aber auch nicht abwertende und sehr verletzende Dinge tun bzw. sagen. Mein Freund ist sehr grenzwertig und weiß sich nicht anders zu helfen. Sie ist eine Träumerin und wünscht sich eine illusorische Partnerschaft. Autisten sind sehr sachlich und greifen keinen Menschen an.“
„Ok. Und weil Du sie liebst, als Deinen Freund, hast Du es Dir gefallen lassen. Weil Du sie verstehst und so akzeptierst, wie sie ist.“
„Ja. Therapeuten betrachten von außen. Nur wahre Freunde, liebende Menschen, gehen auch auf der zweiten Seite mit, - körperlich und seelisch. Worte helfen nicht bei Schmerz. Wer nicht hören will, muss fühlen. Das kennst Du ja. Denke an den Zahnarzt. Bei Traurigkeit zeigt sich wie emotional gefestigt und stabil ein Mensch ist. Wir können es keinem verübeln, wenn er kein Blut sehen kann oder körperliche Nähe scheut. Doch achte darauf, wenn Du bedürftig bist, von wem Du wahres Mitgefühl empfangen kannst. Bedenke dabei, dass ein Mensch als Freund, der wahres Mitgefühl empfinden kann, es Dir als wirklichen Freund auch gerne schenkt. Lasse es zu. Nicht von jedem. Vertraue auf Deinen empathischen Freund. Nicht auf den sexuellen Partner. Freundschaft ist gelebte Nächstenliebe. Und die Nächstenliebe muss erst erarbeitet werden. Das kann jeder, wenngleich es für Autisten sehr schwierig ist. Die Nächstenliebe ist die Kraft, die viel erträgt, mehr als die Angst vermeidet. Es lohnt sich!“
„Wollen wir weiter?! Ich habe langsam Hunger. Und ich bin auf das Hotel gespannt, das Du für uns gebucht hast. Ein Doppelzimmer wird es wohl nicht sein“, zwinkert Salome-Grace.
„Oh doch. Glaubst Du, ich lasse mir diese Chance entgehen. Deine Kreditkarte war total voll aufgeladen. Der Bankdirektor sagte mir, ich würde gleich noch ein Glas Sekt bekommen.“
„Blödmann. Das ist keine Prepaidkarte. Hast Du denn online gebucht?“
„Nein. Doch. Ich habe reserviert. Von Onlineaktivitäten halte ich wenig und würde ich sicher nicht Deine Kreditkartennummer preisgeben. Lediglich möchte ich ganz männlich mit Deiner Kreditkarte im Hotel bezahlen. Natürlich werde ich dann stolz sagen, dass sie von Dir ist, meiner Gemahlin. Der Rezeptionist wird dann verwundert sein, weshalb wir zwei Zimmer wollen. Es wird lustig“, schäkert Joe.
„Bekomme ich auch eine Massage?“
„Ich habe nicht gewagt ein Wellnesshotel auszusuchen. Da zahlt man gleich für dies Wort mehr. Serviceorientiert wie ich aber bin, habe ich recherchiert und zwei Physiotherapeutinnen am Ort ausfindig gemacht. Wenn Du also nachher willst, - ein Anruf und Du kannst dich massieren lassen. Dort habe ich jeweils zwei Termine bestellt, die ich ggf. absagen würde. Keine Sorge. Du wirst dich erholen!“
„Ich würde lieber von Dir massiert werden. Deine Hände sind so weich und ich bin mir sicher, dass Deine Liebe schon labend sein würde. Du kannst das sicher prima“, freut sie sich.
„Dear, wenngleich ich kein Masseur bin, durfte ich von meiner geliebten ehemaligen Partnerin viel lernen, wenn sie mich massierte. Sie ist Physiotherapeutin und war damals schon viele Jahre bei einem Meister für Qi Gong. Sie ist der wunderbarste Mensch, den ich je erleben durfte. Wenn Du mich also wirklich körperlich spüren willst, dann erkläre ich mich bereit. Aber ich berechne 6,33 Euro pro Wirbel. Plus 2 Lächeln am Abend“, schmunzelt Joe zu Salome-Grace und beide fahren vergnügt in Richtung ihres Ausflugsdomizil.
Nach 10 Minuten überholt sie ein Motorradfahrer und schneidet sie so stark, dass Joe blitzschnell ausweichen und eine Böschung hinunter fahren muss. Salome-Grace ist ganz außer sich und erschrocken. Auch Joe hat kurzzeitig ernst geschaut, aber sogleich wieder ein Lächeln im Gesicht. „Sie können sich abschnallen. Wir sind gelandet.“
„Idiot! Wir hätten sterben können! JOE!“, ist Salome-Grace aufgebracht über seine Reaktion, fühlt sich aber auch gleich wieder so sicher, dass sie ihn erleichtert umarmt. „Du bist gut ausgewichen. Super schnell. Wenn Du mir jetzt aber erzählen willst, dass das geplant war und wir jetzt in ein Kloster hinter dem Wald gehen, schlage ich dich.“
„Nein. Ein Kloster befindet sich nicht hinter diesem spontan gestreiften Wald. Ich vermute aber die Anwesenheit von Feen und Elfen. Sogar Kobolde werden im Dickicht auf uns warten. Ich bleibe lieber im Wagen. Du schaust mal, warum der Motor futsch ist.“
„Du Schisser. Lass den Wagen an.“
Sie stehen ungefähr 3 Meter neben der Landstraße direkt an einer Allee. Ein Stück weiter verläuft ein schmaler Bach und ein Rapsfeld zeigt sich unweit in gelber Blütenpracht. Tatsächlich springt der Wagen nicht mehr an. Salome-Grace schaut mit liebevoll-dominanten Blick zu Joe und will es zunächst nicht glauben, aber bleibt auch nach dem 3. Versuch alles regungslos.
„In Extremsituationen sind die Eigentümer der Gefährte angesagt. Probiere Du es mal“, sagt Joe und steigt aus. Salome-Grace rutscht auf den Fahrersitz und kann den Motor auch nicht starten. Sie entriegelt die Motorhaube von innen und Joe hebt sie vorne hoch. „Du hast hoffentlich eine robuste Strumpfhose dabei. Wozu sonst könntest Du jetzt noch zu nütze sein“.
„Die behalte ich an. Ich bin doch nicht blond. Keilriemen gibt es gar nicht mehr“, kontert Salome-Grace.
„Das wäre schlecht, denn diese Variante hatte ich ja einkalkuliert, um uns in diese Verlegenheit zu bringen. Mach mich jetzt nicht an. ZIEH - DICH - AUS! Es gibt sie noch, die Keilriemen. Nur wohl nicht an Deinem Mini.“
Beide beugen sich über den Motor und Joe schaut überall nach. Salome-Grace ist ratlos und schaut fragend: „Brauchst Du sie nun doch? Zeig mal.“
„Nein, kannste an lassen. Ich habe keine Ahnung woran es liegt. Der Keilriemen liegt an der Lichtmaschine und die ist verbaut. Zum Kotzen!“
„Ich freue mich. Endlich mal etwas, das Du nicht kannst. Dachte schon, im Nu hast Du alles repariert und ich stehe wieder als Frauchen daneben und bin auf dich angewiesen. Du kannst es aber auch nicht. Schön! Jetzt hol uns mal hier raus, Du Monk!“, strahlt sie und setzt sich auf einen großen Stein.
„Ich habe die Motorhaube angehoben. Du rufst den ADAC.“
„Kein Netz!“
„Meins auch nicht. Wo hast Du mich hier hin gelotst Grace!“
„Ich! DU bist gefahren. Ich vertraute Dir noch bis vor 5 Minuten. Das hätte ich lassen sollen. Hinter Klostermauern kann man auch nur stillsitzen und innerlich navigieren.“
„Ich raste aus!“, schreit Joe vom Auto und muss herzhaft lachen.
„Jetzt biste froh, dass ich einen kurzen Rock anhabe, stimmts! Wenn ich mich jetzt nicht mit meinem Daumen an die Straße stelle, verhungern wir hier“, reizt sie Joe.
„Mach mal. Ich würde so eine wie dich nicht mitnehmen. Ich wette, keiner hält an und wir stehen in 70 Minuten immer noch hier. Lass uns losgehen.“
„Spinnst Du. Wer trägt meinen Koffer?“
„Hat der keine Rollen. Bo ey! Warum hast Du keine Gefechtsausbildung gemacht. Rucksack ist immer besser!“
„Du Weichei hast groß Reden. Glaubst, mit Deinem Rucksack sind wir gerettet. Mit Dir möchte ich kein Abenteuer. Ich müsste dich ja noch beschützen. Schwächling“, schmunzelt sie.
„Darling, auch wenn es verführerisch wäre mit Dir unterm Sternenhimmel zu übernachten, kann es doch kalt werden. Schon bei 6° kann es zu Erfrierungen kommen. Warten wir noch länger, bist Du auch schon unterkühlt. Du kannst meinen Rucksack tragen und ich ziehe Deinen Koffer. Ok?“
„Na gut. Weil Du es bist. Haben wir es noch weit? Henning sagte mir, Du warst bei den Special Forces und bist Ausbilder bei den Einzelkämpfern gewesen. War das die Story mit dem Fine Man?“
„Korrekt. Heute bin ich aber Joe Monk und weich. Wenn ich recht liege, sind wir ca. 3 Kilometer ostwärtig vom nächsten Dorf. Wir richten uns nach der Sonne und gehen übers Feld. Ja. Wenn ich es mir Recht überlege, ziehst Du besser selbst Deinen Koffer. Nicht das hinterher was fehlt.“
„Ach so ist das! Kneifen, Du Esel. Ein Gentleman würde mich auf Händen tragen. Muckies hast Du auch nicht. Warum bin ich nur mit Dir auf so eine gefährliche Reise gegangen. Du machst alles so schrecklich“, steht auf und lehnt sich an Joe, der mit ihr lacht.
Sie schließen den Wagen ab, stellen ein Warndreieck auf und gehen durch das Feld. Joe zieht den Koffer und beide sind vergnügt. Sie genießen den Duft der Rapsknospen und das Geschwitzter der Vögel.
Nach einer Weile sagt Joe: „Ich bin so froh, dass Du keine Modefrau bist, die ich verarzten muss, weil sie ihre High Heels ausziehen und sich barfuss einen Splitter einfängt.“
„Hast Du denn Deinen Arztkoffer mit?“
Joe setzt an, seine Art mit verändertem Ton einzusetzen. Er liebt es offensichtliche Späße zu machen, wenn er sicher ist, dass sein Partner es versteht. „Meine Erste-Hilfe-Tasche ist im Rucksack. Wenn wir Feindkontakt haben, nimm die Tasche und laufe so schnell Du kannst zu einem Luftschutzbunker. Im Rucksack sind ein Taschenmesser, eine Taschenlampe, wasserfeste Streichhölzer und Taschentücher. Eine Wasserflasche ist auch drin. Wenn Du in Sicherheit bist, rufe mit Deinen Smartphone den Bauern, dem dies Feld hier gehört. Wir werden uns vielleicht wiedersehen, wenn wir das hier überleben. Ich liebe dich.“
Salome-Grace weiß um seine Spielereien und freut sich mit einem breiten Lächeln. „Schon bemerkenswert, dass Du doch Einzelkämpfer warst, wo Du doch sagst ein Angsthase zu sein. Wolltest Du beweisen, wie hart Du bist? Hast Du auch deshalb Kampfsport gemacht?“, wird sie nun doch ernst und will Joe verstehen.
„Nein. Das nicht. Bis nach meiner Militärzeit war ich kein bisschen vergeistigt und berechnend. Erst, als ich die Bundeswehr verließ, wurde ich intellektuell und zeitweise recht theoretisch. Seit meinem 6. Lebensjahr nutzte ich mein Gehirn sehr wenig und machte daher auch nur meinen Realschulabschluss. Alles mit geringster Anstrengung. Ich bin mir sicher, dass ich nach meiner Traumatisierung all meine Energie auf den Sport gerichtet habe, um die Wut, meine Scham und Angst zu kompensieren. Wie gesagt, war ich als 4-jähriger noch in der Phase, wo ich nicht rational verarbeiten konnte. Mein Geist und Persönlichkeit mussten sich also in eine Richtung entwickeln, die mir ermöglichte mich auszuleben. Und zwar körperlich. Alles geschah unbedacht. Ich glaube, der liebe Gott gibt uns immer ein Werkzeug, das uns eine zweite Chance bietet. Zwar habe ich derart viel Sport gemacht, dass ich zweimal täglich trainierte und 6 Sportarten parallel ausübte, sodass ich letztlich kein Olympiasieger wurde, aber ich war seelisch beruhigt und hatte eine Fähigkeit, einen Weg, der mich am Leben hielt. Die Liebe meiner Familie war der Balsam und menschlich war alles bestens. Auch den Kampfsport fing ich nicht bewusst an, um mich verteidigen zu können. Nicht im Ansatz hatte ich den Wunsch zu kämpfen. Das ist wohl das Merkmal von körperlich vergewaltigten Menschen. Als Kleinkind noch mehr. Es war abgespalten. Kampf gab es nur im Sport, beim Handball, Tennis etc. und bei Mathe. Als Deutscher musste ich sowieso zur Bundeswehr und weil Sport mein Leben war, wollte ich sehr sportlich arbeiten. Um Krieg spielen oder ein Kämpfer sein, ging es mir nie. Wohl daher war es mir bis heute auch kein Wunsch Sex zu haben. Dies Verlangen hatte ich nie und ich wollte einfach nur ein guter Mensch und Freund werden, die Nächstenliebe erleben. Ja, eine Familie gründen, eins Tages. Aber eben nicht bewusst geplant. Ich war ein treudoofer, naiver und glücklicher Junge, später auch Soldat. Naja, eine Zeitlang. Meine Angst lernte ich aber durch Fähigkeit und auch geistige Arbeit, wie auch bei der Meditation zu regulieren, sie in den Griff zu bekommen. Echt krass. Im Schwimmbad bin ich nie vom 10-Meter-Turm gesprungen. Beim Militär gab es ganz andere Ausbildungen. Die innere Geisteshaltung ist so immens wichtig. Über meine Militärzeit mit Spezial Forces etc rede ich nicht so gerne, ist es mir nicht wichtig. Gelernt habe ich sehr viel und es half mir auch. Hier und jetzt lebe ich als Philanthrop und Pazifist, bin ein einfacher sanfter männlicher Mensch und lasse mich gerne von Dir beschützen. Gleichberechtigung. Erwähnt sei nur noch, dass ich stolz bin bis heute nie einen Menschen geschlagen zu haben. Also außerhalb vom Training und Dienst.“
„Du bist ein sehr besonderer Mensch. Deine Offenheit und selbstlose freie Art ist ermunternd für mich. Dir gegenüber kann ich alles zeigen und habe kein Schamgefühl. Das ist herrlich“, strahlt Salome-Grace und legt ihren Arm um seine Schultern.
Eine Stunde später erreichen sie das Dorf. Mittlerweile ist es später Nachmittag und Salome-Grace bekommt Netzempfang auf ihrem Smartphone. Sie tippt etwas ein und Joe fragt: „Wie möchtest Du fortfahren? Was suchst Du?“
„Ich will ein Taxi rufen und suche im Internet eine Taxizentrale.“
„Dear, bis zu unserem Hotel sind es noch 50 Km! Taxi wäre machbar, aber auch bei Deinem Gehalt ist es eine teure Angelegenheit. Wollen wir nicht hier bleiben und flexibel eine andere Bleibe suchen? Zudem wäre es vorteilhaft Dein Wagen abschleppen und reparieren zu lassen.
Wir sollten nicht so weit entfernt sein.“
„Stimmt. Hast Recht. Ich rufe den ADAC an und wir gehen in ein Wirtshaus.“
„Dort steht es schon, das Haus des Wirtes. Wie gut, ist das hier bestimmt in keinem Routenplaner zu finden.“
Eingekehrt fragen sie nach einem Hotel und setzen sich an einen Tisch, um etwas zu essen. Die Kellnerin ist sehr freundlich und hilfsbereit. „Ein Hotel haben wir hier nicht. Erst im nächsten Dorf. Das ist aber auch 30 km entfernt. Warum versuchen Sie es nicht in der Jugendherberge. Zu Fuß sind das nur 15 Minuten. Aber heute ist Donnerstag und meist sind Schulklassen zum Walderlebnis hier.“
„Danke für den Tipp. Meine charmante Begleitung ist mein Freund. Sie ist auch Lehrerin. Da wird was zu machen sein. Zur Not schicken wir einige Ruhestörer nach Hause“, witzelt Joe und Salome-Grace ist auch heiter aufgelegt.
„Jetzt wollte ich der Schule entkommen und eine Abwechslung, und dann das“, verzieht Salome-Grace ihre Mine.
„Ich verstehe dich. Nur wollten wir ja sowieso eine Monk-Massage und brauchen kein Wellnesshotel. Die Krankengymnasten bestelle ich ab und wir haben ja wirklich eine ungewöhnliche Reise und Erlebnisse. Hauptsache wir sind mal gemeinsam abseits des Alltagstrotts.“
„Ich werde aber dort vorher anrufen. Extra hin latschen will ich nicht.“
Noch bevor die Kellnerin wiederkommt, hatte Salome-Grace zwei Zimmer erhalten können und beide speisen fürstlich nach Hausmannsart. Mit einem Kaiserschmarn zum Nachtisch setzen sie ihren Marsch fort. Die Anhöhe führt über eine kleine Serpentine hinauf zu dem Jugendzentrum, in dem wöchentliche Ferienzeiten und Naturexkursionen angeboten werden. „Na, so eine Bergtour ist was Aufregendes. Ne Seilbahn hätten sie schon einbauen können“, beschwert sich Salome-Grace.
Angekommen am Ziel erblicken sie ein idyllisches Anwesen direkt auf der Alm. Das Fachwerkhaus aus Holz, mit bunt angemalten Fensterläden hat eine große Terrasse und bietet viel Platz für Sonnenliegen und Tische. In der frühabendlichen Sonne ist es noch recht warm draußen und einige Jugendliche spielen auf einer grünen Wiese Wikinger-Schach und Federball. Salome-Grace und Joe sind begeistert über den Ausblick hinab ins Tal.
„Man merkt gar nicht, dass es nur ein Mittelgebirge ist“, wundert sich Salome-Grace.
„Wow. Ich muss auch sagen. Eine Ähnlichkeit mit Sonthofen z.B. ist nicht zu leugnen. Siehst Du, vielleicht sollten wir hierher geführt werden. Wenn morgen Dein Wagen wieder flott ist, kann unsere Reise weitergehen, sofern wir nicht sogar hierbleiben. Günstiger ist es wohl allemal.“
Eine Mitarbeiterin begrüßt beide herzlich und freut sich über die beiden gestrandeten Gäste. „Für gewöhnlich sind nur Klassen hier, aber weil immer mal Schüler nicht mitfahren, war ich froh, Ihnen zwei Zimmer anbieten zu können. Sie bekommen sogar die Nordseite, für einen schönen Sonnenuntergang, mit Balkon und eigenem Bad. Der Speisesaal ist im Hinterhaus. Die Karte ist für alle Aktivitäten und Verpflegung“, reicht Joe eine Art Bonusschein, auf der abgestempelt wird, wenn man beim Essen war oder beim Förster teilgenommen hatte.
„Das ist sehr freundlich von Ihnen. Gegessen haben wir im Röss‘l. Lecker! Frühstück wird uns morgen reichen. Dürfen wir uns auch Spiele ausleihen?“
„Ja, natürlich. Alles was noch da ist. Aber beeilen sie sich. Nach dem Abendbrot sind alle Schüler draußen und nutzen jeden Winkel des Geländes.“
Salome-Grace und Joe suchen sich ihre Zimmer, die auch nebeneinander liegen. Sie verabreden sich kurz frisch zu machen und sich dann bei der Spieleausleihe zu treffen. Als Salome-Grace durch den Innenhof zu Joe kommt, werden beide von einer Schülerin angesprochen. „Hi! Ich bin Jodie. Sie sind Lehrerin?! Das geht schnell rum, das wir heute Abend nicht unter uns sind. Unsere Lehrer wohnen zwar auch hier, aber gehen nach dem Essen ins Dorf.“
Die lebendige Schülerin war aus einer Abiklasse eins Gymnasiums. Die Fahrt war Bedingung für die eigentliche Abschlussfahrt nach London. Ihre lockere Art gefiel sichtbar und Salome-Grace und Joe nahmen die Einladung an, mit einigen Abgängern beim Beachvolleyball mit zuspielen. Es fehlten gerade noch 2 im Team und coole Erwachsene sind willkommen. Auf einem Stück der großen Rasenfläche waren zwei Felder mit feinem Sand aufgefüllt und sogar eine kleine Tribüne für Zuschauer war aufgebaut. Entgegen der Beachregeln, spielten jeweils 4 pro Mannschaft gegeneinander. Mit der Zeit kamen auch andere Jugendliche hinzu und feuerten beide Teams an. Salome-Grace und Joe bewegten sich auf verschiedenen Hälften und freuten sich beide riesig wenn sie einen Punkt machten. Die Stimmung war ausgelassen und richtig gelöst. Einige Schüler und Schülerinnen legten sich in die Sonne und die Musik wurde aufgedreht. Die Sieger erhielten die erste Wahl der Getränke. Die Klassenkasse war knapp und es konnte nur begrenzt Alkohol eingekauft werden. Zum Glück waren auch keine Minderjährigen da, sodass es kein Problem war und die Lehrer ihren Feierabend im Dorf verbrachten. Salome-Grace stiftete noch etwas Geld für die Getränke und beide Ausflügler holten sich dann noch Boule-Kugeln. Das spätere Lagerfeuer und Grillen einiger Gruppen wollten sie vielleicht noch besuchen. Etwas abseits begannen sie ihr Pètanque-Spiel und kamen ins Schwärmen.
„Du Joey! So viele Jahre habe ich nicht mehr so vergnügt und doch erholsam gechillt. Wenn wir früher auf Tour gingen, war ab hotten angesagt, Clubs und Parties. Alles laut und ich liebe ja Hip-Hop und R’nB. Hier aber ist die Natur und ich fühle mich zuhause. Die Kids nerven mich nicht und das Bewegen ist herrlich. Keine Hektik. Und Du bist bei mir und diese herrliche Blue Hour ist gigantisch“, schaut sie verträumt Joe an und dreht sich zur untergehenden Sonne. Beide setzen sich unvermittelt auf die Wiese und bleiben einfach still in ihrer Freude.
„Es ist mir eine tiefe Ehre mit Dir diesen Augenblick zu genießen Salome-Grace!“, sagt Joe bedächtig und ergriffen. Seine Worte stimmen Salome-Grace etwas traurig.
„Du hast doch sicher schon öfter so einen Sonnenuntergang in den Bergen erlebt. Meinst Du Deine ehemalige Partnerin?“
„Zunächst nicht. Ich erlebe es wortlos und spüre mein Glück, dass ich jetzt mit Dir erlebe. Erst wenn ich darüber nachdenke, denke ich an Rachel und Sari. Mit beiden hatte ich nur wenig Zeit und diese Momente mit Sari gar nicht. Sie starb noch vor unserer Hochzeit an Brustkrebs und schaut uns wohl gerade zu. Mit beiden wäre ich gerne alt geworden. Drum genieße jeden Augenblick der Freude. Wir wissen nie wann es vorbei ist“, sagt Joe mit einem sentimentalen Seufzer.
„Das tut mir sehr leid Joey! Sie müssen ganz besondere Menschen für dich gewesen sein. Deine Worte zeugen von Achtung und wahrer Liebe. Sie sind in Deinem Herzen und Du bewahrst sie Dir. Mit Patrick habe ich auch gute Zeiten erlebt. Wir sind ja schon viele Jahre ein Paar. Diese Nähe, die ich glaube, die Du und Deine Partnerinnen zueinander empfunden hattet, spüre ich nicht. Es ist eine andere Nähe. Mit Dir ist es spirituell und herzlich. Gemeinsam schweigen und sich nicht peinlich animiert fühlen. Bei Dir kann ich wirklich so sein, wie ich bin.“
„Weil Du es bist. Ich öffne mich wahrlich und Du auch. Mit jedem Menschen ist das nicht möglich, selbst für mich nicht. Es sind wohl mehr Menschen, die mit mir so harmonieren, aber jetzt bist Du meine Nächste. Zudem sind die anderen in mir.“
„Du meinst Kira-Leemae und Zoè-Fleur?!“
„Ja. Ich liebe sie ihrer selbst wegen und wertschätze sie als meine Freunde. Beide würden diese Augenblicke auch genießen. Derzeit leider nicht mit mir. Du würdest sie auch lieben. Unter einander ist eine Verbindung, die keiner sieht und hört. Wir sind uns gleich vom Holz. Nur die Lüfte tragen uns der Wege. Teilweise weit weg, teilweise in Gedanken und Vorstellungen unterschiedlicher Richtungen. Ach könnten sie mich nur annehmen!“
„Sie werden es eines Tages. Du kannst sie bestimmt mal wiedersehen“, stubst sie ihn an.
„Wir werden sehen. It’s out of my hands. Beide entscheiden für sich, wen sie für sich als würdig eines Freundes erachten. Ich arbeite aber an mir, dass ich es für sie wert sein kann“, lächelt Joe liebevoll und zuversichtlich.
„Wollen wir rein gehen?“
Joe nickt und die jugendliche Lagerfeuerromantik überlassen sie der Clique. Oben wollen sie noch in Joe’s Zimmer quatschen. Aus der Küche holen sie sich noch Wasser und machen es sich auf dem Bett gemütlich.
“Ich hatte Dir doch von Mona erzählt, einer Freundin von mir. Sie hat einen 5-jährigen Sohn. Vor einiger Zeit sprach sie mich an, was sie wegen ihm tun könne, würde er ADHS haben. Er sei ganz verstört und gar nicht zutraulich. Ich war etwas ratlos und versuchte sie zu beruhigen. Damit ich etwas Luft habe, sagte ich ihr mir Gedanken zu machen, welche Möglichkeiten sie hätte ihn zu fördern. Kannst Du ihn Dir mal anschauen?“
„Salome-Grace Porter! Ich bin kein Kinder- und Jugendpsychiater und auch kein Sonderschullehrer!“
„Du bekommst doch am meisten mit und erkennst was mit ihm ist. Deine Fähigkeiten haben normale Fachleute nicht. Du würdest mir damit sehr helfen, weil ich Mona und Nick mag. Bitte!“
„Du schreckliche Klette! Wenn Du meinst, dann können wir sie ja mal besuchen. Ich sage nur gleich, - wenn er sehr zappelig ist, dann würde ich es nicht versuchen zu vertreiben. Die Natur findet immer ihre Wege. Und wenn er unzutraulich und verstört ist, liegt er ja auch im Trend. Ok. Förderung hört sich gut an. Das machen wir. Aber bitte mit Kuchen“, lacht Joe hinterher.
Plötzlich klopft es laut an der Tür!
„GRACE! Joe! Kommt schnell!“, sind die Rufe von draußen zu hören.
Salome-Grace und Joe stehen auf und öffnen die Zimmertür. Jodie, die Schülerin steht ganz aufgeregt vor ihnen und greift Grace am Arm.
„Komm‘ schnell mit! Wins ist in seinem Zimmer und hat sich eingeschlossen! Kommt schnell! Joe! Schnell!“
„Ganz ruhig. Weißt Du warum er sich eingeschlossen hat? Wir kommen mit“, spricht Joe mit eindringlicher Stimme und Salome-Grace umfasst Jodie’s beide Schultern.
„Er hat gesagt, dass er nicht mehr Leben will. Aus der Küche hat er ein Messer mitgenommen. Es gab Streit und er will nicht aufmachen.“
Alle drei gehen schnell zu dem Zimmer in das sich der Schüler eingeschlossen hat. Vor dem Raum steht Henry, der Schulsprecher. Er ist relativ gefasst und sagt, die Lehrer seien noch im Dorf und haben ihre Handys nicht eingeschaltet. Jodie ist wieder entsetzt und schreit Salome-Grace und Joe an: „Ihr müsst ihm helfen. Ihr seid doch Lehrer.
Die einzigen, die wir jetzt noch haben.“
„Grace, nimm Jodie und bring sie beiseite.“ Salome-Grace ist sofort dabei und zieht Jodie zum Ende des Gangs.
„Henry?! Was weißt Du von Wins? Gib mir bitte alle Informationen, die vielleicht weiterhelfen können“, fragt Joe ruhig und bestimmt.
„Willst Du nicht zu ihm rein?“
„Nein. Erst Mal brauche ich dich und Jodie. Es bringt nichts die Tür einzuschlagen. Wenn er am Limit dreht, braucht er Ruhe. Atme durch und konzentriere dich auf den heutigen Abend.“
„Wir waren draußen am Feuer und es gab Streit wegen seiner Livi. Sie ist in unserer Nebenklasse und nicht mit. Ich kenne sie vom Schulrat. Wins ist dann aufgesprungen und weg gerannt. Jodie ist ihm über den Weg gelaufen, als er aus der Küche kam. Er hatte ein Messer in der Hand. Als Jodie ihn ansprach und sagte, er soll mit raus kommen, meinte er, dass er Schluss machen will. Das halte er nicht aus. Jodie kam dann raus zu mir und holte mich. Wir sind dann hoch, um mit Wins zu reden und er wollte nicht aufschließen. Dann hat Jodie euch geholt.“
„Danke Henry. Du bist klasse. Einen wie dich kann jeder gebrauchen. Du und Jodie habt das Richtige gemacht. Jetzt brauche ich Deine Hilfe. Du gehst zum Dorf und suchst eure Lehrer. Nimm Dir mindestens einen Mitschüler mit. Von unterwegs versucht ihr es auch immer wieder sie telefonisch zu erreichen. Wir können nicht warten bis sie wiederkommen. Weiter unten wird es Netz fürs Handy geben. Bringt die Lehrer sofort mit hier her. Achtet auf euch. Geht schnell, aber denkt daran, dass ihr nur helfen könnt, wenn ihr unten ankommt! Alles wird gut!“, instruiert Joe Henry mit leiser Stimme. Er achtet darauf, dass seine Worte nicht zu dem Schüler ins Zimmer dringen. „Hast Du mich verstanden? Bitte wiederhole meine Worte.“
„Ich nehme mir mindestens einen Mitschüler und hole die Lehrer. Wir laufen nicht und können nur helfen, wenn wir ankommen. Alles wird gut“, wiederholt Henry die Anweisung.
„Genau. Du bist genau der Richtige für den Auftrag und schaffst das!“
Joe geht zu Salome-Grace und Jodie, die sich auf eine Bank gesetzt haben. Jodie weint und ist total fertig. Salome-Grace schaut Joe hilfesuchend an und hält Jodie im Arm. Jodie schreit Joe an: „Warum gehst Du nicht zu Wins. Du musst ihn retten!“
Joe hockt sich direkt vor Jodie und legt seine Hand auf ihr Knie. Mit der anderen Hand streichelt er Salome-Grace’s Hand und lächelt sie beruhigend an. „Jodie. Du und Henry seid sehr tapfer und habt alles getan, was ihr tun könnt. Henry hat mir schon einiges erzählt. Bevor ich zu Wins gehe, möchte ich auch von Dir wissen, was Du mir erzählen kannst. Kennst Du Livi, die Freundin von Wins. Hat Wins noch etwas erzählt? Alles kann jetzt von Bedeutung sein. Bitte atme tief ein und schau mich an. Wir sind hier. Du bist sicher und Wins auch. Gleich geht es Dir besser. Wir hören Dir beide zu“, lächelt Joe sie mit einer Seelenruhe an und bringt Jodie wieder zum Durchatmen.
„Livi ist gar nicht seine Freundin. Wins und Livi waren auf einer Party zusammen, aber Livi hat sich dann für Brendon entschieden. Unsere Truppe hängt immer ab und Wins ist neu. Ich weiß nicht, warum Livi ihn so behandelt hat, aber einmal schrie sie Wins an und ließ ihn stehen, in der Schule. Vorhin sagte Wins, dass Livi ihn noch kennenlernen wird. Dann sagte er, - ich will Schluss machen.“
„Wie ist Dein Verhältnis zu Wins?“
„Ich bin seine Mitschülerin und wir verstehen uns gut. Er ist ein ganz dufter Typ. Ich bin mit Henry zusammen. Viel weiß ich nicht über ihn.“
„Hat Wins einen Freund hier. In der Klasse oder weißt Du von einem Freund, von dem er erzählt hat?“
„Jack. Beide sind in der Theater-AG und Wins sagte, dass er mit ihm öfter mal was losmacht.“
„Jodie, Du bist eine Seele. Salome-Grace bleibt bei Dir. Henry holt eure Lehrer. Alles wird gut!“, beruhigt er sie weiter. Mit seinen Augen gibt er Salome-Grace ein Zeichen mit ihr sprechen zu wollen. Sie stellen sich ein paar Meter weiter und Joe sieht ihre Anspannung. Er legt seine Hände auf ihre Oberarme und schaut sie gelassen an.
„Auch wir atmen. Wir schaffen das. Du bist stark und hilfst mir bitte. Jodie muss zu ihren Freundinnen gehen. Ich brauche dich hier oben und zwar alleine. Ich werde hier warten und Du bringst Jodie runter. Die anderen Schüler sollen sich um sie kümmern. Wir können jetzt kein Geschrei gebrauchen. Sie könnte es schmeißen. Ich rufe die Feuerwehr vom Festnetz. Wir können aber nicht warten bis die kommen und ob ein Psychologe dabei ist, weiß ich auch nicht. Das ist hier keine Großstadt. Die Feuerwehr ist aber auch dafür ausgebildet. Sie bringen ein Sprungtuch, wenn Wins aus dem Fenster springen will.“
„Ja. Mache ich. Wir sind wohl die einzigen Erwachsenen hier“, stellt sie fest und besorgt sich.
„Richtig. Wir sind hier. Du bist hier und ich bin hier. Die Kinder sind unten. Wins ist in seinem Zimmer und wir regeln das. Vertrau‘ mir! Wenn es einen Weg gibt, finde ich ihn!“, sagt Joe in einem Ton, der Salome-Grace ins Mark fährt. Sofort ist sie beruhigt und wie ausgewechselt. Sie nimmt Jodie und zieht sie fast gegen ihren Willen die Treppe hinunter.
Joe bleibt noch kurz stehen und geht zu seinem Zimmer, das genau an das von Wins grenzt. Er geht zum Fenster und schaut nach, ob das Nebenzimmer auch einen Balkon hat. Kein Balkon. Der zweite Stock des Hauses ist ungefähr 10 Meter über dem Erdboden. Seine Mine sieht aus, als sei er beunruhigt, aber dennoch mit einer Idee im Gepäck. Er geht hinunter und ruft die Feuerwehr. Er meldet akute Suizidgefahr, mit allen nötigen Informationen. Dann geht hinunter zur Rezeption und sucht hinter dem Thresen nach etwas. Er nimmt sich zwei Schlüssel und noch etwas Kleines mit zurück zum Ende des Flures und wartet bis Salome-Grace zu ihm zurückgekommen ist.
Salome-Grace kommt schnell die Treppe hinauf zu Joe und fragt: „Was machen wir jetzt?“
„Du bist eine Lehrerin. Willst Du mit ihm reden? Wir wissen recht wenig. Wichtig ist die Ruhe.“
„ICH? NEIN! Du sprichst mit ihm. Ich bin zu aufgeregt. Unten ist alles in Aufregung und ich hatte Probleme die Kids in Schach zu halten. Sie bleiben jetzt unten und schicken die Lehrer hoch. In der Jugendherberge sind tatsächlich kein Erwachsenen außer uns!“, ist sie wieder durch den Wind.
„Schau mich an. Atme! Atme ein. Atme aus. Ich bin hier“, er nimmt sie in seine Arme und spricht leise weiter, „Du bist so gut. Ohne dich schaffen wir das nicht. Wir sind das Deeskalationsteam. No Man get lost. Du gehst in mein Zimmer. Das ist nebenan. Ich öffne die Tür von Wins’s Zimmer und werde mein Smartphone anlassen. Du rufst mich jetzt an. Dann kannst Du alles hören, was wir erzählen. Das ist wichtig. Nur bei Sichtkontakt kann agiert werden. Keiner darf in das Zimmer, ohne mein Kommando. Warte ab bis ich sage: schnelles Waldsterben! Erst dann darfst Du die Tür von außen freigeben. Halte die Türe im Auge, falls die Lehrer da sind und rein wollen. Sie sollen draußen bleiben. Auch der Feuerwehr musst Du sagen, dass ich drin bin und keiner einfach reinkommen soll. Viele Köche verderben den Brei. Vielleicht haben wir nur diese Chance. Ich checke ihn von innen. Schnelles Waldsterben! Hast Du das?“
„Schnelles Waldsterben. Ich bleibe hier und höre mit. Lasse keinen rein. Aber wie kommst Du rein?“
„Ich habe zwei Schlüssel, die wie ein Generalschlüssel aussehen. Wenn sie nicht passen, dann benutze ich eine Art Dietrich“, erklärt er und zeigt ihr ein Stück Draht, dass er schon zurecht gebogen hat.“
„Du kannst das?“
„Special Forces! Vertrau‘ mir! Ich werde das Beste geben und es wird reichen!“, macht deutlich, zu wissen, was er vorhat und nicht unbedarft ist. Salome-Grace vertraut ihm so sehr, dass sie lächelt und sich auf das Bett setzt. Sie ruft Joe mit ihrem Smartphone an und wartet, bis er abnimmt. Joe steckt sein Handy ein und geht zur Tür des Nebenzimmers. Ohne zu klopfen oder etwas zu sagen versucht er den ersten Schlüssel. Er passt nicht. Jetzt muss es schnell gehen, kann es Wins hören. Der zweite Schlüssel passt und Joe ist blitzschnell hinein. Er stellt sich wortlos an die Tür, sodass Wins nicht hinaus könnte. Wins steht am Fenster und greift sofort das Messer. Er geht zwei Schritte vor und schreit Joe an aus dem Zimmer zu gehen: „Wer sind Sie? Gehen Sie raus!“ Er hält das Messer in Joe’s Richtung und wartet. Joe schaut ihn still an und macht keine Anstalt auf seine Frage zu antworten. Er geht wie selbstverständlich zum Bett, dass einen Meter vor ihm steht, setzt sich hin und schaut nur Wins an.
„Was soll das? Ich bring mich um. Hauen Sie ab.“
Joe schaut Wins an und bleibt ruhig. Er lächelt nicht, aber hat eine sanfte Mimik aufgelegt.
„Sie wollen mich voll labern, stimmt‘s. Wenn Sie einen Schritt weiter kommen, bringe ich mich um.“ Er hält die Schneide an seinen Kehlkopf und deutet an ernst machen zu wollen.
Joe schaut sich mit seinen Augen im Zimmer um, ohne seinen Kopf zu drehen. Das Fenster ist weit geöffnet. Wins steht drei Meter vom Bett entfernt. Wins ist aufgeregt und tippelt hin und her. Das Messer hält er abwechselnd an seinen Hals und in Richtung gegen Joe gezeigt.
„Keiner kann mir helfen. Sie können mich nicht davon abbringen. Ich mache Schluss. Es hat keinen Sinn mehr. Bleiben Sie sitzen!“, schreit er Joe an.
Joe sagt keinen Ton. Langsam beginnt er sein Lächeln deutlicher werden zu lassen. Dabei wirkt er entschlossen und konzentriert. Sein Gesicht ist auf Wins gerichtet. Ohne seine Pupillen auf das Messer zu richten, weitet sich sein Blick. Seine Hände liegen auf den Oberschenkeln entspannt und mit den Handflächen nach unten. Er sitzt da, wie ein ganz normaler Mann, der sanft lächelt und gar nicht weiß, was mit dem Schüler los ist.
„Sie machen mich ganz verrückt. Sagen Sie was!“, schreit er Joe an. Dieser bleibt unverändert in seiner Haltung und antwortet nicht.
„Sie wissen ja gar nicht was passiert ist. Sie hasst mich und ich hasse mich auch. Da gibt es keinen Ausweg. Ich kann nicht anders.“
Fast unbeteiligt dreht Joe seinen Kopf zur Tür, als wolle er andeuten, dass jemand hinein kommen könnte. Oder, dass das ein Ausweg für Wins wäre. Danach schaut er wieder zu Wins. Plötzlich setzt Wins an, in Richtung der Tür zu laufen, aber Joe ist blitzschnell aufgestanden und stellt sich vor die Tür und lächelt. Kein Wort. Nur sein Lächeln und Präsents.
Wins ist ganz irritiert und schreit Joe an den Weg frei zu machen. Er droht ihn zu verletzten und richtet das Messer gegen Joe. Als Wins mit dem Messer an Joe’s Arm heranschnellt, hat Joe den Arm und die Hand von Wins im Griff und wirft Wins augenblicklich zu Boden. Dabei stellt er sich wieder zurück an seine Position vor die Tür und bleibt wieder ruhig. Wins liegt auf dem Rücken und das Messer liegt nun zwischen Wins und Joe. Joe schaut auf das Messer und sieht wie Wins auch zum Messer schaut. Wins zögert verblüfft und beugt sich langsam zum Messer, nimmt es wieder auf und geht schnell rückwärts einen Schritt zurück. „Wie haben Sie das gemacht? Wieso haben Sie mir das Messer nicht weggenommen?“, fragt Wins perplex.
„Ich bin Joe. Du bist Wins. Ich werde dich nicht aus diesem Zimmer lassen. Du hast aber den freien Weg aus dem Fenster.“
Wins öffnet seinen Mund und schaut Joe mit großen Augen an. Er dreht sich um und geht zum Fenster, ohne an den Rahmen zu lehnen. „Sie dürfen das gar nicht. Sie haben mich umgeworfen. Sie müssen mir helfen. Und wenn ich aus dem Fenster springe?“
„Ich halte dich nicht auf. Du bist ein freier Mensch. Nur durch die Tür lasse ich dich nicht. Dein Messer kannst Du behalten. Und umgeworfen hast Du dich durch mich selbst. Ich habe dich nur neutralisiert. Es ist alles gut, wenn Du von der Tür wegbleibst. Ich greife nicht in Deine Privatsphäre ein“, versichert er Wins ganz authentisch und leise. In dieser souveränen Art strahlt er die ruhige Stärke aus, die Wins zunächst reizt und eskalieren lässt. Wins schleudert eine Vase gegen die Wand. Plötzlich bricht Salome-Grace ins Zimmer und steht neben Joe. „Was ist passiert. Hat er dich verletzt?“ Sie berührt Joe am Arm und schaut panisch zu Wins. Joe dreht sich zu ihr und nickt ihr leicht zu das er ok ist. Wins fängt an zu schreien: „Was will sie hier? Sie soll weg gehen!“
Joe gibt ihr zu verstehen, dass alles gut sei und sie nebenan auf das Codewort warten solle. Als sie den Raum verlassen hat, geht Joe wieder zum Bett und setzt sich hin. Wins steht ganz durcheinander am Fenster und schaut Joe an. Dieser federt etwas auf der Matratze und setzt sich auf einen Stuhl, der gegenüber dem Bett steht. Jetzt sind noch 2 Meter zwischen beiden. Er schaut Wins an und beteuert: „Keine Sorge, ich komme Dir nicht zu nahe. Hier sitze ich aber nicht so schwammig, wie auf dem weichen Bett“ und lächelt Wins vertraut an.
Wins lehnt sich gegen die Fensterscheibe, die nach innen geöffnet ist und lässt sich erschöpft auf einen anderen Stuhl fallen. Er schaut ängstlich und verwirrt aus. Seine Verzweiflung ist aber nicht mehr akut. „Wieso bist Du hier?“, fragt er.
„Jodie und Henry haben Salome-Grace und mich gebeten auf dich Acht zu geben. Sie mögen dich. Salome-Grace ist mein Freund. Sie wartet drüben, bis wir hier fertig sind“, erklärt er wie selbstverständlich und ohne Beunruhigung.“
„Sie wollen mich umstimmen, dass ich kein Scheiß baue und mich umbringe.“
„Ich nicht. Wenn Du magst, sage ich kein Wort mehr. Ich weiß wie es ist, an Dummheiten zu denken. Da stört jeder. Ich respektiere Deinen Weg.“
„Was wollen Sie dann hier, wenn Sie nicht mit mir reden wollen?“
„Ich will nicht nicht mit Dir reden. Es liegt an Dir. Andere würden Dir gut zureden und eines Besseren belehren. Ich labere dich nicht voll. Du kannst aber gerne reden. Ich höre aktiv zu.“
Wins ist so verunsichert, dass er das Messer fallen lässt und zu Boden schaut. Er stützt sich mit seinen Ellenbogen auf den Knien ab. Einige Sekunden vergehen, bis Wins den Strohhalm ergreift.
„Livi hat mich gesehen. Sie verachtet mich und hasst mich bestimmt. Vorhin gab es Streit, weil Emma alles erzählt hat. Sie hat es auch Livi verraten!“
Wins schaut Joe an und er hört zu.
„Livi ist meine Freundin. Olivia heißt sie richtig. Wir wollten verreisen und für immer zusammen sein. Dann hat mich Emma mit Bennett gesehen, wie wir uns küssten. Ich weiß auch nicht wie das kam. Bennett und Wins, Bens und Wins. Das klingt schön. Aber ich liebe Livi. Sie wollte zwar mit Brendon zusammen kommen, aber dann doch mit mir. Jetzt hat sie gleich Schluss gemacht und es ihren Eltern erzählt. Die haben bei meinen Eltern angerufen und ich habe nur noch Ärger. Sie sind Spießer und verstehen mich nicht. Ich bin nicht schwul. Emma musste das ja allen am Lagerfeuer erzählen. Jetzt bin ich durch und Ben will auch nicht mehr, dass wir uns sehen. Da komme ich nicht mehr raus.“ Er fängt an zu weinen und streckt seine Oberkörper. Was soll ich noch ohne Livi und Ben. Er ist mein Freund und Livi liebe ich. Es war doch nur ein Kuss!“, schreit er verzweifelt heraus.
Joe fühlt mit ihm und bleibt einfach da. Hört zu, sodass Wins alles rauslassen kann, was in ihm hochkommt.
Zwischenzeitlich kam Jodie zu Salome-Grace und berichtete ihr. „Henry ist auf halbem Wege und konnte unsere Lehrer noch nicht erreichen. Die Feuerwehr ist noch nicht da. Wir sind aufgeregt. Wann kommt Hilfe?
„Joe hat gesagt, dass die Feuerwehr länger braucht, weil das hier eine Freiwillige Feuerwehr ist, die ihre Leute erst alarmieren muss. Das dauert. Der Psychologe muss auch erst aus der Stadt geholt werden. Aber Hilfe ist schon bei Wins. Es gibt keinen Besseren als Joe. Er ist besser ausgebildet als die anderen Fachleute. Er ist Profi. Ich vertraue ihm total!“, beruhigt Salome-Grace Jodie. Weil das Smartphone mitläuft, schickt sie Jodie wieder runter zu den anderen. Salome-Grace ist sehr angespannt und zittert an den Händen. Sie hat Angst um Joe und Wins.
Wins hat sich derweil auf das Bett gesetzt und das Messer liegt auf dem Stuhl. Er hatte es aufgehoben und schien nicht mehr damit handgreiflich zu werden. Die wahre Anteilnehme von Joe öffnet ihn und gibt ihm die Kraft sich gehen zu lassen.
„Mit Livi will ich ein Kind. Sie hat es sich auch gewünscht. Wir wollen nacheinander das Abi machen und dann gehen wir weg. Ihre Eltern sind auch gegen mich. Einmal war ich bei ihr und der Vater von Livi wollte nur von mir wissen, wie mein Vater zu den Oberbürgermeisterwahlen steht. Livi kotzt es an, wie ihre Eltern mit ihr umgehen. Meine Eltern sind auch so konservativ und finden, dass ich zu viel Theater mache. Nur weil ich Musik liebe und auf Demos gehe. Ich kann nicht mehr. Jetzt hat Levi mit mir Schluss gemacht und Ben will keinen Kontakt mehr. Was soll ich noch hier. Scheiß Abitur. Scheiß Leben. Ich habe es satt!“, steht auf und greift wieder zum Messer, schaut aber zu Joe, der mit ernstem Blick den Kopf schüttelt. „Es ist Deine Wahl. Ich begleite dich“, gibt Joe zu verstehen. Wins ist erneut am Stocken und zögert etwas zu sagen. „Verstehen Sie mich nicht. Ich will mich umbringen!“, schreit er Joe an.
„Auch wenn Du es konservativ erwartest, nehme ich Dir nicht das Messer weg. Ich kämpfe nicht mehr gegen jemand, nur für Menschen.
Und würdest Du kein Messer haben, bliebe noch das Fenster zum rausspringen. Und halte ich dich auf, rette Dein Leben, hast Du irgendwann wieder Gelegenheit mit einem anderen Messer. Mit einer anderen Frau. Mit einer anderen Krise. Hier und jetzt ist es Zeit für dich zu kämpfen, aber nicht gegen mich. Nicht mit einem Messer oder dem Fenster. Du willst dich nicht umbringen. Du bist verzweifelt und soweit zu reden. Das ist gut. Ich bin hier. Lass alles raus. Was glaubst Du zu wollen?“
„Ich will Livi habe ich gesagt. Ich liebe sie.“
„Wenn Du dich tötest, ist die Liebe spirituell noch da, aber Dein Leben mit ihr unmöglich. Selbsttötung ist also eine schlechte Lösung. Du liebst Livi und willst mit ihr leben. Was hält dich davon ab?“
„Sie hat doch Schluss gemacht. Sie glaubt, ich bin ein Schwuler.“
„Bist Du schwul?“
„Nein!“
„Der Kuss mit Ben war nicht so gemeint?“
„Doch. Es war schön. Aber anders.“
„Anders sein und sich anders verhalten ist sehr schwer.“
„Was soll dieser Kommentar? Sie wissen doch gar nicht wie das ist. Die anderen haben gesagt, dass sie Lehrer sind. Sie und diese andere Lehrerin. Sie sind nicht anders als meine Eltern und die Eltern von Livi.“
Joe schaut demonstrativ auf sein Smartphone und sagt: „Wir haben nicht so viel Zeit. Wenn die anderen kommen, nehmen sie dich mit in die Klinik. Wenn Du aber willst, dann gebe ich Dir die Chance mich zu verstehen. Es wird Dir helfen. Vertrau‘ mir Wins!“, schaut ihm tief in die Augen und neigt seinen Kopf mit einem unglaublichen Schmunzeln, dass Wins kaum unbeeindruckt lassen kann. „Bist Du neugierig, warum ich mehr weiß, als Du und ich zusammen?“
„Sie sind kein Lehrer stimmt‘s. Sie haben so einen Griff vorhin gemacht. Wer sind Sie? Erzählen Sie es mir“, wird Wins ganz zahm und einsichtig.
„Du kannst mich Joe nennen. Ich bin Dein Mitmensch, Dein Nächster. Hier und jetzt. Sehr wohl kann ich verstehen, wie Du dich fühlst und welche Gedanken in Dir ablaufen. Ein Lehrer bin ich nicht, aber ich liebe eine Lehrerin. Sie heißt Kira-Leemae und sie war so wütend auf mich, dass sie mir den Kontakt untersagte. Ich wusste nicht weiter und war verzweifelt. Ein Brief an sie war so missverständlich, dass sie wohl Angst bekommen hat. Als ich ihren Brief erhielt, wurde ich panisch und meditierte lange und überlegte, bis ich kurz davor war an Selbstmord zu denken. Ich wollte nur noch eines, - das sie keine Angst vor mir hat. Sie ist für mich mein Freund und wie eine kleine Schwester. Wir waren Kollegen.“ Die Tränen laufen Joe herunter und er zeigt sich ganz verletzlich und offen. Wins merkt, dass es nicht gespielt ist und wird immer aufmerksamer. „Was hast Du gemacht Joe?“, fragt er ihn.
„Sie war in die Straße gezogen, durch die ich seit 7 Jahren täglich gehe. Das realisierte ich erst nachdem wir keine Kollegen mehr waren. Ich glaubte, sie würde Angst bekommen, weil über mich schlechte Dinge erzählt wurden, an der Schule. Dann schickte ich ihr mein Buch, das ich für sie und zwei andere Menschen geschrieben hatte und dazu einen Begleitbrief, indem ich ihr alles erklärte. Kira-Leemae ist ein wunderbarer Mensch und wir waren auf einer Wellenlänge. Wir beide wollten nichts miteinander. Sie hat einen Partner und ich freute mich für sie. Alles ist schief gelaufen. Ich hatte ihr meine Freundschaft angeboten und ein Freundschaftsarmband geknüpft. Keiner wollte etwas, nur das Gerede in der Schule ließ sie ängstlich gegen mich reagieren. Mein Brief sollte sie aufklären, dass alles gut sei und wir uns vielleicht mal zufällig über den Weg laufen. In dem Buch war alles beschrieben. Die Story meines Lebens. Sie und zwei andere Menschen sind für mich wie Schwestern und ich würde für sie durchs Feuer gehen.“
„Es war nie etwas Unsittliches im Spiel, kein unmoralischer Gedanke und auch keine anzüglichen Gefühle. Eine platonische Beziehung. Worte können einen Menschen kaputt machen und auf die falsche Fährte bringen. An diesem Abend, drei Tage nachdem Kira-Leemae mir den Kontakt zu sich untersagte, stand ich vor der Wahl. Ich hätte alles getan, damit sie keine Angst vor mit hatte. So glaubte ich damals. Nur die tiefe Meditation führte so weit, dass ich wieder klar kam und einsah, dass ich an ihr nichts ändern konnte. Der Moment, als ich begann sie zu lieben. Die selbstlose bedingungslose Nächstenliebe, ihrer selbst wegen. Mein Leben hätte ich für sie gegeben, würde es heilsam gewesen sein. Die wahre Liebe ist so klar, dass jede Dummheit oder Irrweg erkannt wird. Ich unterlies diesen letzten Schritt und löste mich von den falschen Gedanken, arbeitete an mir und bereinigte meine Route.“
„Hast Du sie wiedergesehen?“
„Nur ein paar Mal auf dem Schulweg. Aber nur für ein zwei Sekunden aus Hundert Meter Entfernung. In ihrer Straße habe ich sie nie gesehen. Ich ging über ein Jahr ein Umweg, weil ich vor ihr Angst hatte. Ja, ich hatte Angst, dass sie vor mir Angst haben könnte. Heute, 4 Jahre später gehe ich wieder durch ihre Straße und sollten wir uns sehen, werde ich ihr mit einem Lächeln begegnen. Wenn sie wütend wird oder ängstlich, kann ich nichts tun außer ihr mit meiner Liebe Sicherheit zu schenken. Sie geht ihren Weg und lebt ihr Leben und ich gehe meinen Weg und lebe mein Leben. Meine Nächstenliebe kann sie mir nicht verbieten. Seit dieser Nacht, als ich kurz vor dem Ende war, zünde ich jeden Abend eine Kerze an, als Symbol meiner Nächstenliebe für sie. Natürlich bete ich auch für sie, dass sie gesund und glücklich ist, mit ihrem Partner und vielleicht ihren Kindern“, wieder lächelt Joe liebevoll und lässt Wins daran teilhaben.
„Du hast es geschafft und kannst sie lieben, ohne mit ihr zusammen zu sein?! Das ist stark!“
„Wahre Liebe ist körperlos, im Herzen. Es ging nicht um mich. Du bist jetzt wichtig und Dein Weg. Doch glaube mir eines. Ich bin sehr anders als die gesellschaftliche Norm sich das einfordert. Ich habe Todesangst erlebt, ganz real, in anderen Gefahrensituationen und bin dankbar so weit gekommen zu sein, die Nächstenliebe entwickelt zu haben. Ich bin Dein Nächster und wenn ich das kann, dann ist für dich auch nichts unmöglich. Es gibt immer einen Weg zu Deiner Liebe. Richte sie nicht auf Livi, sondern lebe sie im Herzen. Dann ist sie frei und unabhängig eines Menschen. Auch wenn das die Krönung der Menschen ist. Du kannst alles erreichen, was ich erreichen konnte. Lebe. Lebe Wins. Gehe Deinen Weg und darauf wirst Du die Liebe entwickeln. Deine Eltern, die Schule und Freunde - alle sind für dich da.“
„Auf jeweils andere Art. Deine Art kannst Du finden und die Mut und Kraft erzeugen. Lenke Dein Ziel nicht auf einen Menschen. Kira-Leemae war nie mein Ziel. Es war nie mein Wunsch sie zu lieben oder etwas von ihr zu wollen. In meinem Herzen liebe ich sie. Und Du kannst Livi auch lieben. Auch Ben. Wer Du auch bist, wirst Du noch mehrmals überdenken. In ein paar Jahren bist Du ein anderer Mensch. Schon in dieser Minute, gar Sekunde bist Du schon ein neuer Mensch. Du bist hier bei mir und hast Mitgefühl empfunden, als ich geweint habe. Du hast gemerkt, dass es echt war. Meine Liebe. Nichts ist lohnender als die Liebe. Sie ist das stärkste Ziel. Dann ist Livi immer bei Dir. Du wirst noch viel Zeit haben, einen Weg zu finden, die Sache aufzuklären. Sie ist nur geschockt, weil sie nicht damit gerechnet hat, dass Du Ben küsst. Sprich mit ihr. Sie wird Dir die Chance geben. Jodie und Henry würden Dir auch helfen. Alle werden Dir dabei helfen. Du bist derjenige, der entscheidet, was Du willst. Sie ist nicht verloren und Dein Leben fängt an bunt zu werden. Ob Mann oder Frau ist jetzt nicht die Frage. Wer Du werden willst. Welchen Weg Du gehen willst. Was für ein Ziel Du anstrebst. Das sind die Fragen, die dich weiterbringen. Und ich spüre, dass Leben in Dir ist und die Kraft des Wunsches. Die Kraft Deiner Liebe. Dein Mut mit ihr zu reden. Sie wollte mit Dir ein Kind und ist nun verunsichert. Es ist ein Missverständnis. Alles wird gut Wins!“, strahlt Joe ihn an.
Wins sitzt nur da und ist voll aufgeladen von der Energie, die ihm Joe überträgt. Jedes Wort trifft ganz tief. Wins ist erleichtert und lächelt Joe an.
„Noch nie hat mein Vater so mit mir geredet. Auch kein Lehrer. Ich glaube Dir. Levi will mich. Ja, und ich werde mit ihr reden“, freut ich Wins und schöpft neue Zuversicht. „Aber bei Deiner Kira-Leemae ist es doch auch nur ein Missverständnis gewesen. Sie wird auch mit Dir reden, wenn Du zu ihr gehst“, vermittelt er Joe.
„Der Ball liegt auf ihrer Seite. Solange ich lebe, werde ich sie lieben und meine Türe für sie offen halten. Und doch achte ich ihren Wunsch keinen Kontakt aufzunehmen. Sollte sie mit mir reden wollen, bin ich für sie da. Meine Liebe ermöglicht mir diese Geisteshaltung“, beruhigt er Wins, das alles gut sei.
Im Nebenraum ist Salome-Grace ganz aufgelöst und weint still am Handy. Sie hörte sich das alles mit an und war komplett bei den beiden drüben. Ein Geräusch im Flur lässt sie aufblicken. Jodie kommt in das Zimmer und ruft dass die Lehrer mit ihr sprechen wollen. Jodie hält Salome-Grace ihr Handy hin und sie erzählt dem Lehrer von Wins, wie es steht. Sie seien gleich da und die Feuerwehr hören sie auch schon. Salome-Grace kann die Lehrer etwas aufklären und legt dann auf. Jodie fragt, wie es drinnen aussieht.
„Ich glaube er hat es geschafft. Wins und Joe werden bald raus kommen. Wir müssen aber noch ruhig sein. Geh runter und beruhige die anderen. Gleich ist es vorbei“, lächelt sie Jodie an.
„Wieso nehmen die mich gleich mit in die Klinik?“, will Wins wissen.
„Ich war einfach nur da, bei Dir und mit Dir. Du warst in Not und wolltest einen fatalen Fehler begehen. Die Feuerwehr und Lehrer dürfen das nicht ignorieren. Auch wenn Du für jetzt wieder klarer denken und lächeln kannst. Sieh es als Erfahrung an, ein paar Tage in Ruhe zu überlegen. Lass dich stützen. Du bist nicht alleine. Das Schlimmste hast Du gerade gemeistert. Du bist stark und mutig. Und irgendwie zu beneiden, mit Deiner Livi.“
„Ja, ich werde über alles nachdenken und Livi und Ben einen Brief schreiben.“
„Wähle Deine Worte gut aus! Sie sind Deine Freunde und sie mögen dich. Halte dich schriftlich kurz. Warte die Zeit ab und rede besser Auge in Auge. Sie werden dich gerne treffen.“
„Warum bist Du denn nun hier. Mit Grace?“
„Salome-Grace wollte mal ein kurzen Ausflug machen, schulfrei haben. Ist nicht so recht gelungen. Aber sie ist auch stark und nicht alleine,“ lächelt er Wins an und reicht ihm seine Hand, die er annimmt. Bevor beide das Zimmer verlassen schaut Joe noch kurz aus dem Fenster, um zu sehen wie tief es von dort hinunter geht. Er rümpft die Nase und pustet erleichtert aus. Dann gehen beide auf den Flur und Salome-Grace steht schon dort und freut sich wie ein kleines Mädchen. Auch die beiden Lehrer stehen unweit bereit, um Wins in Empfang zu nehmen. Salome-Grace umarmt Joe und küsst ihn mehrmals auf die Wange. Im Weggehen dreht sich Wins um und sagt gerührt und selbstbewusst zu Joe: „Ich wünsche Dir, dass Kira-Leemae sich bei Dir meldet und ihr Freunde sein könnt. Danke Joe!“ und lächelt ihm zu. Joe schaut ihn gewohnt sanft an und vertraut ihm seine Maxime: „Das Leben ist interessant.“ und rollt seinen Mund, als wolle er still für sich den Wunsch auch zu gerne wahrgeworden sehen. Salome-Grace steht neben ihm und schaut fast mitleidig und lieb an.
Die vielen Gespräche mit den Lehrern, Feuerwehr, Polizei und noch betroffenen Schülern ziehen sich noch über eine Stunde hin, bis Salome-Grace und Joe aufs Zimmer gehen können. Joe hatte vorgeschlagen, da es ohnehin schon weit nach Mitternacht war, dass sie einen Schlummertrunk einnehmen könnten. Salome-Grace hatte ihm auch eindringlich gesagt, dass sie mit ihm unbedingt reden wolle. Auf dem Bett sitzend nimmt Salome-Grace die Arme von Joe und wird energisch. Mit ernster Stimme sprudelt es aus ihr heraus „Ich hatte eine Heidenangst vorhin. Das war so dramatisch und ich wäre am liebsten rüber gekommen. Du bist verrückt da rein zugehen, wo er ein Messer hatte. Du machst sowas nie wieder. Hast Du mich verstanden!“ Sie fängt an zu weinen und bricht fast in Joe’s Armen zusammen.
„Wieso hast Du es so gemacht, mit Wins?“
„Ich agierte intuitiv, unüberlegt. Ich habe ihn ernst genommen und wollte seine Autonomie nicht beschränken. Fachleute hätten ihn davon wohl überzeugen wollen, dass es keine gute Idee ist, zu sterben. Das wäre aber so, als würde ich versuchen dem Kleinkind davon zu überzeugen, dass der Lutscher ungesund ist. Ein Mensch im roten Bereich denkt nicht mehr klar und ist rationalen Ratschlägen nicht mehr zugänglich. Darum wusste und weiß ich, - vorhin auch intuitiv, wie jetzt bewusst. So lenkte ich die fatalen Gedanken von Wins auf meine. Eine schlichte wie effektive Ablenkung. Ich weiß um meine Authentizität und meine eigenen dramatischen Empfindungen. Die Story mit Kira-Leemae konnte ich ihm erzählen und konnte gut eine emotionale Nähe zulassen. Wins hat so Druck abgebaut, weil er für mich Mitgefühl empfand. Er sollte nicht überlegen, warum er sich umbringen will. Dafür findet man immer Gründe. Auf der schmerzhaften Tiefe einer wahren Geschichte und der emotionalen Verbindung konnte ich ihn wieder mit aus dem Keller holen und dann etwas anbieten, - den Wunsch warum er überleben soll. Vermeidung ist negativ gedacht. Ein Ziel oder Herzenswunsch immer lohnender und kraftvoller.“